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Die letzte Schlacht des Raben
Der atemberaubende Abschluss von James Barclays großer Erfolgsserie um die Gefährten des magischen Söldnerbundes „Der Rabe“: Die Drachen sind heimgekehrt und die Elfen gerettet. Doch dann legt sich ein Bann um den Kontinent Balaia, das Ende der Welt steht bevor: Balaia droht in Flammen aufzugehen und Dämonen fallen in das Land ein. Ein letztes Mal müssen die Gefährten des Raben ihre magischen Kräfte vereinen. Doch zu welchem Preis?
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Seitenzahl: 421
Für Simon Spanton,einen großartigen Freundund Redakteur,ohne den es den Rabennicht gegeben hätte.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, möchte ich allen danken, die mich beim Schreiben dieses Buchs unterstützt und ermuntert haben: Peter Robinson, John Cross, Dave Mutton und Dick Whichelow für ihre Kritik, für ihre Vorschläge und Anregungen. Rob Grant für fundierte Ratschläge in einer Zeit, in der sich vieles verändert hat. Robert Kirby, der mir neue Perspektiven eröffnet hat, und Nicola Sinclair, die dafür gesorgt hat, dass ich auf dem Teppich blieb.
Meiner Familie einfach dafür, dass sie wundervoll ist.
David Gemmells Freundschaft und seine Ratschläge waren mir in den Jahren, die ich ihn kannte, eine große Hilfe. Sein viel zu früher Tod im Juli 2006 hinterlässt eine Lücke, die nicht geschlossen werden kann.
Sha-Kaan hatte die Bruten auf der Ebene von Teras verteilt und hoffte, sie würden Frieden halten, während sie nahe genug beieinander hockten, um sofort reagieren zu können, wenn der richtige Augenblick kam. Da Hirad und der Rabe sich nun oberhalb des Triverne-Sees versteckten und weniger als zwei Tagesmärsche von Xetesk entfernt waren, hatte er die Brutführer noch einmal zusammengerufen.
Es würde, so hatte er sich überlegt, nicht ausreichen, wenn sie einfach in die Heimat der Arakhe sprangen und unabhängig voneinander kämpften. Dieses Mal, dieses eine Mal nur mussten sie gemeinsam vorgehen – eine vereinte Streitmacht, die einzig und allein das Ziel verfolgte, den Raben zu unterstützen, indem sie die Dämonen attackierte, die das Tor und den Manastrom nach Balaia beherrschten.
Ihm fiel der unkontrollierte Himmelsriss ein, der zwischen Balaia und seiner Heimat Beshara eine Verbindung hergestellt hatte. Dieses Mal waren die Rahmenbedingungen völlig anders. Damals hatten kriegerische Bruten die Verteidiger der Kaan bedroht, die den ungehindert wachsenden Riss bewacht hatten. Der Rabe hatte einen Weg gefunden, ihn zu schließen, bevor er so groß geworden war, dass feindliche Bruten mit der Invasion Balaias beginnen konnten.
Dieses Mal hatten die Arakhe die Kontrolle über den Riss. Sein Ursprung lag irgendwo in ihrer sterbenden Dimension, und der Ausgang befand sich allen Berechnungen zufolge irgendwo über Xetesk am Himmel. Die Schuld trugen die vermessenen Xeteskianer. Dieses Mal durften sich die Drachen allerdings nicht um den Zugang streiten, weil dies das Ende aller Bruten bedeutet hätte. Abermals musste der Rabe unbedingt Erfolg haben. Es stand mal wieder auf Messers Schneide, wie Hirad Coldheart es ausgedrückt hätte.
So beeindruckend es auch war, wenn sich tausende Drachen auf der Ebene niederließen – was Sha-Kaan jetzt sah, war einfach Ehrfurcht gebietend. Skoor, Naik, Veret, Kaan, Stara, Gost und die kleineren Bruten, alle flogen in ihren gewohnten Formationen und bildeten die Ehrengarde für die anderen, die gemächlich im Zentrum dahinglitten. Sha-Kaan hatte die Anführer aller Bruten zu dieser Beratung am Himmel gebeten, doch selbst ihn lenkte das Licht ab, das in allen Regenbogenfarben auf den Schuppen tanzte. Erfreut hörte er die Laute, die durch den klaren blauen Himmel hallten, während die Bruten sich gegenseitig mit den kompliziertesten Manövern zu überbieten versuchten.
»Niemand war müßig während der kurzen Verzögerung«, begann Sha-Kaan.
»Wir alle sind es müde, auf deinen Ruf zu warten«, entgegnete Caval-Skoor.
»Ich hoffe sehr, du kannst uns endlich unser Ziel nennen«, fügte Koln-Stara hinzu. »Ich bin nicht der Einzige in meiner Brut, den diese Hinhaltetaktik misstrauisch macht.«
»Muss irgendeiner von euch über Angriffe auf sein Brutland berichten?« Sha-Kaan wartete. »Ich begrüße es jedenfalls, dass ihr und eure Bruten etwas Zeit bekommen habt, um über das nachzudenken, was Yasal und ich zu sagen hatten. Vergesst nicht, dass dies der wichtigste Grund dafür war, euch auf der Ebene zu verteilen.«
»Wir warten noch auf die Rückkehr der Späher aus unserem Land«, sagte Caval. »Ich jedenfalls weiß nicht, ob mein Brutland sicher ist. Ich bin zu weit entfernt, um die Rufe zu hören, falls es Angriffe gibt.«
»Glaubst du wirklich, dein Land würde bedroht?«, fragte Yasal-Naik. »Die Anwesenheit aller Bruten hier ist Beweis genug, dass wir wenigstens für den Augenblick am gleichen Strang ziehen.«
»Ich habe nicht alle Köpfe gezählt«, erwiderte Koln. »Niemand weiß, wie viele Angehörige anderer Bruten nicht anwesend sind.«
»Willst du uns beschuldigen, Großer Stara?«, fragte Eram-Gost scharf.
»Ich beschuldige niemanden. Allerdings weiß ich nicht genug.«
Sha-Kaan spürte, wie unter den Drachen, die sie umgaben, die Spannung stieg, was unmittelbar darauf an die Begleiter gesendet wurde, die sie umgaben. Die Demonstrationen der fliegerischen Gewandtheit hörten sofort auf, die Reihen schlossen sich, die Bruten gingen zueinander auf Distanz. Ringsumher hielten die Drachen inne und warteten. Wie brüchig dieser Frieden doch war. Hoch über allen anderen flogen die Kaan und Naik gemeinsam und beobachteten die Entwicklung.
»Bitte, meine Bruten«, sendete Sha-Kaan. »Wir haben keinen Grund, misstrauisch zu sein.« Er wartete, bis seine Worte die Spannung etwas gemildert hatten. »In diesem kleinen Bereich von Beshara kreisen fast zweitausend Drachen. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie es weitergehen kann. Entweder wird es die größte Tat in unserer langen und blutigen Geschichte, oder es wird die schlimmste Katastrophe, die uns und alle unsere Fusionsdimensionen je getroffen hat. Vergesst nicht, wenn die Arakhe uns erreichen, sind alle, von denen ihr abhängt, angreifbar. Ich sage es noch einmal, wir dürfen nicht versagen.«
Er flog ins Zentrum des Kreises, der von Besharas mächtigsten Drachen gebildet wurde, und änderte seine Haltung. Er drehte sich langsam, um den anderen Drachen seine ungeschützten Bauchschuppen darzubieten.
»Was soll werden?«
Ein langer Moment folgte, in dem Sha-Kaan sich fragte, ob er nicht am Ende doch eine gewaltige Dummheit begangen hatte. Doch nacheinander und mit wachsender Geschwindigkeit ahmten die anderen seine Haltung nach. Er ließ Gefühle von Wärme und Kameradschaft zu ihnen strömen und stieß mit einem Bellen eine mächtige Feuerlanze in die Luft.
»Dann lasst uns an die Arbeit gehen.«
Auum hielt diesen Moment für den gefährlichsten. Kaum dass sie die Veränderung der Aktivitäten im Kolleg bemerkt hatten, waren die Cursyrd ausgeschwärmt und hatten die schützende Hülle des Kaltraums umringt. Eine neue Art war aufgetaucht, die er bisher noch nicht gesehen hatte. Sie waren flach und fast konturlos bis auf einen Überzug aus feinen Haaren auf der Bauchseite. Einmal hatten sie den ganzen Schutzschirm abgedeckt und das Licht der Morgendämmerung ausgeblendet. Er hatte sie beobachtet, wie sie hin und her gezogen waren, und eine Magierin der Al-Arynaar zu sich gerufen. Eine Elfin, die er kannte und achtete.
»Sie sind Gleiter«, hatte Dila’heth erklärt. »So nennen wir sie jedenfalls. Wir haben hin und wieder einige gesehen, aber nie so viele auf einmal. Sie suchen nach den Mana-Spuren.«
»Gut«, sagte Auum. »Dann vergeuden sie ihre Zeit. Morgen wird der Standort unserer Sprüchewirker selbst für einen Blinden offensichtlich sein.«
»Wir müssen Yniss für alles danken, was sie davon abhält, uns zu stören.«
»Dennoch sollten wir gut vorbereitet sein.«
Rebraal, der das Balaianische besser verstand und dem die Götter eine unendliche Geduld geschenkt hatten, übernahm die wenig erfreuliche Aufgabe, die widerstrebenden Menschen zu beschwichtigen. Unterdessen kümmerte Auum sich um die Verteidigung. Die Bewachung der Magier, die die Sprüche für die Kalträume wirkten, wurde verdreifacht. Beobachter postierten sich auf den Mauern des Kollegs und den Dächern aller Gebäude. Magier warteten in kleinen Gruppen in Deckung zusammen mit Kriegern der Al-Arynaar und waren bereit, auf jeden Eindringling sofort zu reagieren. Alle Bewohner des Kollegs trugen Waffen und hatten Instruktionen bekommen, damit sie sich im Notfall richtig verhielten.
Von seinem Aussichtspunkt aus betrachtete Auum den Schutzschirm und forschte nach Hinweisen, ob ein Angriff unmittelbar bevorstand. Gruppen der schnellen und starken Seelenfresser flogen über die Hülle hinweg. Vermutlich suchten sie nach Schwachpunkten. Das war ein vergebliches Unterfangen. Sorgen machte Auum sich allerdings wegen der gelegentlichen Erkundungsflüge der höheren Dämonen – die riesigen Arakhe, die auf Nestern aus Tentakeln flogen und die Körper grotesk entstellter Menschen hatten. Sie waren die Herren von Julatsa. Sie entschieden, ob ein Angriff beginnen oder die Erkundung fortgesetzt werden sollte.
Unten im Hof vor dem Turm tauchte Rebraal aus dem Vortragssaal auf und ging, umgeben von Menschen, zum Haupttor. Auum konnte nicht hören, was sie redeten, aber ihre Körpersprache verriet, dass sie zornig waren und einen hitzigen Wortwechsel führten. Er wandte sich an Duele und Evunn.
»Die Menschen machen Schwierigkeiten«, sagte er. »Ich will sehen, was ich tun kann. Ihr wisst, was hier noch zu erledigen ist.« Er seufzte gereizt. »Yniss möge uns behüten, aber diese dummen Menschen wären fähig, sich nach Verkündung eines Freispruchs noch selbst für schuldig zu erklären.«
Rasch lief Auum die Treppe am Torhaus hinunter, überwand die letzten Stufen mit einem Sprung und landete direkt vor Rebraal und den sechs unglücklichen Menschen auf dem Pflaster. Pheone war nicht dabei. Auum hatte wie gewünscht ihre Aufmerksamkeit erregt.
»Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte er Rebraal in der Elfensprache.
»Sie wollen uns nicht zustimmen«, sagte Rebraal. »Sie haben nicht gesehen und gehört, was wir erfahren haben. Sie glauben nicht an eine Bedrohung anderer Dimensionen.«
»Das ändert nichts an dem, was getan werden muss.« »Für uns ändert es durchaus etwas«, erwiderte einer der Menschen in passablem Elfisch. Auum zollte ihm mit einem winzigen Nicken Respekt. »Wir haben zwei Jahre mit deinen Leuten verbracht«, erklärte er. »Wir hatten viel Zeit.«
»Name?«
»Geren.«
»Geren, deine Bemühungen weiß ich zu schätzen, aber deine Einwände sind schädlich.«
»Das sehen wir anders.«
»Es gibt keine andere Möglichkeit. Ihr werdet Julatsa morgen verlassen oder Sklaven der Cursyrd werden.« Auum wandte sich zur Treppe um, aber Geren erhob die Stimme und hielt ihn auf.
»Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen und zu bestimmen, was wir tun und lassen sollen? Dies ist unser Kolleg, und nur wir, die Ratsmitglieder, werden entscheiden, wann und ob wir es verlassen. Verstehst du das?«
»Rebraal?« Auum wechselte den Dialekt. Er drehte sich nicht um.
»Ich höre mir das schon seit mehr als einer Stunde an«, erwiderte Rebraal in der gleichen Mundart. »Sie wollen nicht auf meine Erklärungen hören.«
»Dann wird es Zeit, die Höflichkeiten zu vergessen. Du hast getan, was du konntest.«
»Auum, wir brauchen die Hilfe der menschlichen Magier. Sie verstehen sich viel besser als wir darauf, den Schild aufzubauen.«
»Du wirst ihre Hilfe bekommen.« Jetzt drehte er sich wieder zu Geren um. Sein Gesicht war hart, sein Geist war klar. Der Mann wich, wie es sein sollte, unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Deine Drohungen werden keine Wirkung zeitigen«, sagte er mit zitternder Stimme.
»Ich drohe nicht«, entgegnete Auum. »Dieses Kolleg steht nur noch, weil die Al-Arynaar, die Krallenjäger und die TaiGethen gestorben sind, um es zu beschützen. Es ist nur noch unabhängig, weil die Al-Arynaar euch seit zwei Jahren unterstützen. Rebraal, der Anführer der Al-Arynaar, hat euch erklärt, warum wir aufbrechen und nach Xetesk reisen müssen. Ist dies die Achtung, die ihr denen entgegenbringt, die euch das Leben gerettet haben?«
»Eure Opfer für das Kolleg werden wir nie vergessen, und unsere Achtung für euch ist unverändert. Aber was du verlangst, dient leider nicht dem Interesse des Kollegs und der Stadt Julatsa«, antwortete Geren.
Auum packte Geren an der Kehle und drückte ihn gegen seine Gefährten zurück, die viel zu ängstlich schienen, um ihm beizuspringen.
»Hast du auch nur einen Augenblick geglaubt, wir wären freiwillig hier? Wir hatten keine Wahl, weil die Menschen die Cursyrd in unsere Dimension gelockt haben. Wir sind hier, weil auch wir durch eure Dummheit sterben müssen, wenn wir die Bedrohung nicht ausschalten. Begehe nicht den Fehler zu glauben, mir wäre es wichtig, ob du lebst oder stirbst, Mann. Wir nehmen unsere Leute und was wir sonst noch brauchen mit und reisen nach Xetesk, wo ihr Menschen und wir Elfen die besten Aussichten haben zu überleben. Rebraal sagt, wir brauchen dazu eure Hilfe, also helft uns. Entscheidet euch für das Leben.«
Er stieß Geren fort. Der Magier sah ihn mit unverhohlenem Hass an.
»Ihr alle, geht jetzt und tut, worum ich euch bitte«, sagte Rebraal. »Es tut mir leid, dass es so weit kommen musste.«
Auum fasste ihn am Arm und führte ihn von den Menschen fort. »Es reicht. Vergiss sie. Falls sie nicht mitkommen wollen, sind wir auch ohne sie stark genug.«
»Wir sind dafür verantwortlich, auch sie zu retten.« »Du hast zu viel Zeit damit verbracht, Hirad und dem Geist deines Bruders zu lauschen.« Auum gestattete sich ein schmales Lächeln. »Los jetzt. Wir brauchen Wagen und Pferde. Haben wir genug?«
»Es wird knapp«, sagte Rebraal. »Wir können uns glücklich schätzen, dass Pheone von Julatsa verlangt hat, ein paar Zuchttiere am Leben zu lassen. Deshalb haben wir einige junge und starke Tiere, die unsere Wagen ziehen können, auch wenn sie sich hier, genau wie in Blackthorne, nur langsam vermehren. Wie die Tiere sich im Falle eines Angriffs verhalten, werden wir erst sehen, wenn es so weit ist. Die Wagen sind das größere Problem.«
»Brennholz?«
»Viele sind nicht mehr als das, und die übrigen sind in einem schlechten Zustand. Im ganzen Kolleg gibt es keinen einzigen Stellmacher mehr. Die Schreiner tun, was sie können, und wir suchen in den Ställen und den Gebäuden des Kollegs nach Zaumzeug und Geschirr. Wir müssen genügend zusammenbekommen, um die Magier, die die Sprüche wirken, und den größten Teil der Vorräte zu befördern, aber alle anderen Magier müssen ohne Schutz reisen.«
Auum nickte. »Ich werde die Krieger entsprechend einweisen.«
»Was meinst du, werden sie angreifen?« Rebraal deutete nach oben zu den Dämonen, die über dem Kolleg kreisten und sie beobachteten.
»Ich glaube nicht«, sagte er. »Sie wissen, dass wir etwas vorhaben, aber sie wissen auch, welchen Preis sie zahlen müssen, wenn sie das Kolleg angreifen. Was würdest du tun?«
»Ich würde warten, bis ich sicher bin, was geschehen wird. Der richtige Augenblick wäre der Moment, in dem wir durchs Tor fahren.«
»Ja, mein Freund, das wäre der entscheidende Moment. Dann sind wir behindert und verletzlich. Unsere Krieger werden erbittert kämpfen müssen.«
»Tual wird uns leiten.«
»Und Shorth wird unsere Feinde foltern.« Die beiden Elfen berührten sich an den Armen. »Wir werden es tun.«
»Möge Yniss über uns wachen.«
Auum sollte recht behalten. Die Nacht nahm ihren Lauf, und der Angriff der Dämonen blieb aus. Allerdings gab es Anzeichen dafür, dass sie sich zusammenrotteten, weil sie mit einem Ausbruchsversuch rechneten. Auf allen Wegen zum Kolleg waren Straßensperren zu erkennen. Auch patrouillierten die Dämonen jetzt verstärkt unmittelbar vor den Mauern des Kollegs. Andere schwebten über dem Kolleg, beobachteten und spähten. Sie warteten.
Auum und Rebraal hatten die Magier und Krieger der Al-Arynaar mehrmals im Vortragssaal eingewiesen, die Taktik beim ersten Vorstoß aus den Toren erörtert und besprochen, was von ihnen auf der vermutlich dreitägigen Reise ins südlich gelegene Xetesk erwartet wurde. Unterwegs würde sich die Zelle der TaiGethen eine Weile absetzen, um den Raben am Triverne-See abzuholen.
Schließlich stand Rebraal mit Pheone vor dem Rat des Kollegs und den noch lebenden Menschen. Alles in allem zählten sie einhundertsieben Köpfe: vierunddreißig Magier, die übrigen waren Wächter des Kollegs und jene, die vor dem Angriff der Dämonen ins Kolleg gerufen worden waren. Alle hatten Angst und Vorbehalte, fügten sich aber ins Unvermeidliche.
»Wir haben in den letzten Tagen viel von euch verlangt, und es war wenig Zeit für Höflichkeiten. In den kommenden Tagen wird euch noch mehr abverlangt werden. Die meisten unter euch haben die Entscheidung infrage gestellt, die ohne eure Einwilligung getroffen wurde. Es gibt keine Diskussion. Jetzt ist der Moment, mir zu vertrauen. Und natürlich Auum.«
Er wartete, bis sich das Gemurmel legte.
»Ihr habt über die Bedingungen außerhalb des Kollegs und die schwierige Lage, in der wir uns befinden, alles gehört, was ihr wissen müsst. Jetzt ist der Augenblick gekommen, fest daran zu glauben, dass wir etwas ändern können, und dass ihr mit dieser Reise nach Xetesk und der Verteidigung des Kollegs euren Teil dazu beitragen könnt, die Menschen und Elfen zu retten.«
Er hob die Hände, als sich abermals Gemurmel erhob.
»Haltet ihr das für übertrieben? Wie schnell habt ihr euch doch an das Leben gewöhnt, das ihr jetzt führt. Wann habt ihr das letzte Mal einen nennenswerten Vorstoß unternommen oder eine Seele gerettet, die sich außerhalb der schützenden Kalträume befand? Zweifelt nicht daran, dass die Cursyrd, die Dämonen, euer Land beherrschen. Sie wollen hier bleiben und euch verzehren. Ihr seid Beute, und sie reißen euch, wie es ihnen gefällt und wie es alle Raubtiere in der Natur tun. Glaubt ihr wirklich, ihr könntet sie besiegen, wenn ihr in eurer schützenden Hülle bleibt?«
Wieder wartete er. Dieses Mal bestand die Antwort aus unbehaglichem Füßescharren. Er nickte.
»Wer mich kennt und während der Gefangenschaft hier im Kolleg die Al-Arynaar kennengelernt hat, der weiß sicherlich, dass Elfen von Menschen im Allgemeinen nicht sonderlich viel halten.«
Ein Kichern lief durch den Saal.
»Andererseits wollen wir nicht leichtfertig euer Leben aufs Spiel setzen. Viele Elfen haben alte Freunde unter den Menschen, und wenn wir über eure Schwächen klagen, so wissen wir doch auch eure Stärken zu schätzen. Mein eigener Bruder entschloss sich, unter Menschen zu leben und zu sterben. Einen besseren Beweis für das, was euch Menschen möglich ist, gibt es für mich nicht. Allein aus diesem Grund schon möchte ich, dass es euch gut geht, und mit euch auch uns. Deshalb müsst ihr mir glauben, dass unser Vorhaben die einzige Möglichkeit darstellt, die uns jetzt noch bleibt. Die Gründe dafür werdet ihr vor den Mauern mit eigenen Augen sehen. Die Reise, auf die wir uns morgen früh begeben werden, ist gefährlich. Ich will euch aber eines ganz deutlich sagen. Die Elfen wissen, dass euch die Berührung der Dämonen tödlich verletzen kann. Wir erwarten nicht von euch, dass ihr euch heldenhaft opfert. Dazu habt ihr in Xetesk noch Zeit. Zuerst einmal müsst ihr alle überleben, um die Mauern des Dunklen Kollegs überhaupt zu erreichen. Wir übernehmen die Verteidigung der Karawane, während ihr anderen euch so gut wie möglich ausruht und Ausschau haltet. Die Magier sind das Fundament unseres beweglichen Kaltraums, und deshalb werden sie meist in den Wagen reisen, die wir repariert haben. Was die anderen angeht, so brauchen wir Freiwillige, die einen Wagen lenken können und sich mit Pferden auskennen. Wir verstehen nicht viel von diesen Tieren.« Er lächelte. »Es scheint so, als hätten sogar wir eine Unvollkommenheit.«
Wieder lachten die Zuhörer, dieses Mal ein wenig entspannter. Er hob beide Hände.
»Ich will euch nicht länger aufhalten und bitte euch, so lange wie möglich zu schlafen, weil die Karawane nur anhalten wird, um den Pferden, aber nicht den Menschen etwas Ruhe zu gönnen. Zwei letzte Bemerkungen will ich noch anfügen. Ihr werdet sicher den Eindruck haben, in der Karawane stärker gefährdet zu sein als im Kolleg. Das ist nicht der Fall. Allein die Kalträume hindern die Dämonen daran, euch jederzeit nach Belieben zu schnappen. Diesen Schutz werdet ihr aber auch unterwegs um euch haben. Mauern helfen nicht gegen Dämonen, nur Sprüche bieten Schutz. Und schließlich, wo immer ihr steht oder geht, einen Spruch wirkt oder ausruht, wird ein Elf über euch wachen. Ein Elf, der euch beschützt und gegen den Dämon kämpfen kann, der euch holen will. In diesem Punkt sind wir stärker, und ihr braucht nichts zu fürchten. Wir werden euch nicht im Stich lassen. Wir brechen morgen in der Dämmerung auf. Seid bereit.«
Rebraal erschrak, als er ein unerwartetes Geräusch hörte. Sie applaudierten ihm.
Hirad hockte an einem Baum, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und die Hände vor den Knien verschränkt. Sein Schwert steckte in der Scheide und lehnte neben ihm am Stamm. Die schon früh fallenden Blätter ringsum legten ein Zeugnis von der Kälte ab, die die Dämonen nach Balaia gebracht hatten. Der Rabe hatte es riskiert, gegen Abend ein Kochfeuer anzuzünden, das inzwischen aber längst wieder erloschen war. In diesen Stunden vor der Dämmerung war die Welt eiskalt und still. Hirad war erschöpft. Zuerst Sha-Kaan und dann die Kraft, die er für Ilkar hielt, hatten seinen Schlaf gestört. Der Freund versuchte immer noch erfolglos, Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Jetzt, da er die letzte Wache vor der Dämmerung übernommen hatte, fand er die Muße, seine schlafenden Freunde, die beiden Protektoren Kas und Ark und den stillen, aber entschlossenen Elfenmagier Eilaan zu betrachten. Keiner von ihnen schlief ungestört. Thraun jagte die Dämonen seiner Vergangenheit, sein Körper zuckte, und sein Mund bewegte sich, wenn er im Schlaf murmelte. Erienne stand trotz der gewaltigen Entfernung und der schlechten Gesundheit der alten Elfenfrau hin und wieder mit Cleress in Verbindung. Im Augenblick wanderte sie irgendwo links von ihm durchs Unterholz, nachdem sie abrupt erwacht war.
Er hatte sie gebeten, regelmäßig seinen Namen zu rufen, doch sie hatte es nicht getan. Sie blieb jedoch nicht lange fort, und schließlich legte sie ihm die Hand auf die Schulter und ließ sich neben ihm nieder.
»Dann bin ich nicht der Einzige, der heute Nacht Stimmen gehört hat, was?«, sagte Hirad leise.
Erienne hakte sich bei ihm unter und lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Sie hat nicht viel gesagt. Sie hatte nicht genug Kraft, die arme Frau.«
»Hilft sie dir?«
»Was könnte sie denn tun? Sie spricht die richtigen Worte, wann immer ich sie hören kann, aber ich bin nicht geschickt genug, um über diese Entfernung zu antworten, deshalb ist es eine einseitige Angelegenheit.« Sie hob den Kopf. »Hör mal, Hirad, was in Blackthorne passiert ist, tut mir leid. Ich habe mich dumm verhalten.«
»Erienne, du musst dich bei mir oder den anderen nicht entschuldigen. Mir ist vor allem wichtig, dass du dich jetzt besser fühlst.«
»Das Problem ist ja, dass ich es nicht genau weiß. Es ist nicht die Magie des Einen selbst, denn theoretisch kann ich die Sprüche wirken. Es fühlt sich allerdings ganz anders an, als einen Eiswind zu sprechen oder einen harten Schild aufzubauen. Wenn man dabei versagt, passiert nicht so viel. Wenn es mir aber nicht gelingt, den Dämonen die Mana-Hülle zu nehmen, dann wäre das für uns alle tödlich. Das belastet mich.«
Hirad wollte antworten, aber dann fielen ihm einige Worte des Unbekannten ein, und er besann sich, ehe er etwas Falsches sagte.
»Wir können dir beim Umgang mit deinen Kräften nicht helfen. Das ist mir klar, und ich will gar nicht so tun, als könnte ich begreifen, welchem Druck du ausgesetzt bist. Vergiss aber nicht, wie hart wir gearbeitet haben, um auch dann kämpfen zu können, wenn dein Spruch nicht zur Verfügung steht. Vergiss das nicht, denn dies bedeutet, dass wir auch dann überleben können, wenn du ausfällst. Du bist die stärkste Waffe, die wir haben, aber eben nicht die einzige. Wir anderen sind auch noch da.«
Erienne kicherte. »Wie machst du das bloß?«
»Was denn?«
»Etwas zu sagen, das mich im Grunde herabsetzt, und es dennoch wie Trost und Unterstützung klingen zu lassen.«
»Es klingt so, weil es das sein soll.«
»Hier ist meine Antwort.« Sie knuffte ihn in die Seite. »Erzähl mir von deinen Stimmen. Bist du sicher, dass es Ilkar ist? Ich meine, das ist selbst für deine Begriffe weit hergeholt.«
Hirad zuckte mit den Achseln. »Ach, ich weiß nicht. Ich habe gestern Abend hier herumgesessen und mich gefragt, ob das alles nur passiert, weil ich will, dass er auf irgendeine Weise noch da ist, und ob ich die ganze Sache nicht selbst ausgebrütet habe.«
»Und wie lautet deine Schlussfolgerung?«
»Dass es kein Zufall sein kann. Es geschah ja erst, als die Dämonen das Mana nach Balaia hineingepumpt haben, falls Baron Blackthornes Zeitbestimmung zutrifft. Außerdem fühlt es sich sehr nach ihm an, auch wenn ich es nicht erklären kann. Worte habe ich nicht gehört, es ist verschwommen und verschleiert. Aber weißt du, wie es ist, wenn du am Geruch der Kleidung erkennst, wer sie getragen hat? So ähnlich fühlt es sich an, nur innerhalb meines Kopfs. Ich wünschte, ich könnte mich klarer ausdrücken.«
Erienne rückte herum, bis sie ihn ansehen und die Unterarme auf seine Knie stützen konnte.
»Geh mit dem Gefühl«, riet sie ihm. »Versuch nicht, dagegen anzukämpfen oder es zu erzwingen. Lass dich von ihm leiten. Wenn es dabei hilft, dass du härter kämpfst, dann nutze es.«
»Ich will es versuchen.«
»Aber es ist schwer, nicht wahr? Es ist schwer, etwas in dir zu haben, das du haben willst, aber nicht nutzen kannst. Davon verstehe ich etwas.«
»Das glaube ich gern.« Hirad lächelte. »Und wenn du jetzt meinen Rat hören willst, dann leg dich hin. Auum könnte im Laufe des Vormittags jederzeit auftauchen, und dann werden wir diese kleine, friedliche Oase verlassen müssen. Dann werden wir kämpfen und Furcht haben.«
»Aber nur noch ein einziges Mal. Danach dürfen wir uns wieder langweilen.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Was denkst du?« Erienne beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Gute Nacht, Hirad.«
Die Cursyrd erwarteten sie schon, ehe das nervöse Pferd vor den ersten Wagen gespannt wurde. Seit sie mitten in der Nacht begonnen hatten, die fünfzehn Wagen zu beladen, von denen einige kaum mehr waren als primitive gedeckte Anhänger, trafen auch die Feinde ihre Vorbereitungen. Auum hatte daran keinen Zweifel. Es war nur die Frage, wer beim ersten Tageslicht die bessere Taktik einsetzen konnte.
Für die Menschen und Al-Arynaar, die bei den Einweisungen nicht genau hingehört hatten, musste der Anblick erschreckend sein. Seelenfresser schwebten um den Schutzschild und warteten auf den Moment, in dem er aufgelöst werden sollte. Sie drängten sich vor dem Haupttor und boten dem Auge ein entsetzliches Kaleidoskop von Farben dar. Auch über den Straßensperren schwebten sie, und auf die Straße hatten sie menschliche Sklaven als zusätzliche Hindernisse getrieben. Dabei stießen sie eine Kakophonie von Lauten aus, die zwischen den Gebäuden des Kollegs und in der Luft hallten und auch der tapfersten Seele einen Schauder über den Rücken jagten.
»Läufer sollen jedes Pferd begleiten!«, rief Rebraal. »Kutscher, ihr sitzt auf und stellt die Wagen im Hof bereit. Freie Magier, auf die Wagen. Achtet auf die Grenzen der Kalträume. Los jetzt!«
Auums Atem stand in der kalten Luft als Dampfwolke vor seinem Mund und vermischte sich mit dem Atem der hundertachtzig Magier und zweihundertzwanzig Krieger der Al-Arynaar, der Kollegwächter und der freien Julatsaner. Er drehte sich einmal um sich selbst. Die Pferde trugen Scheuklappen und wurden aus den Ställen in den Hof geführt. Immer zwei wurden vor jeden Wagen gespannt. Die Tiere waren launisch, und so stellten sich Elfen zu ihnen, flüsterten ihnen beruhigende Worte ins Ohr und streichelten ihnen die Nüstern und Hälse.
Vor der ersten Gruppe von fünf Wagen hatten sich dreißig Al-Arynaar-Magier und fünfzig Krieger versammelt. Sie bildeten die Vorhut und sollten für den ersten Wagen den Weg freiräumen und wenn möglich sogar eine Bresche in die Reihen der Cursyrd schlagen, die sich vor dem Tor versammelt hatten. In jedem der Wagen, die immer zu zweit nebeneinander fahren sollten, saßen sechs menschliche Magier und sechs Krieger der Menschen und Elfen. Die Magier sollten nach vorn einen Kaltraum aufbauen, sobald sie den Schutz des Kollegs verlassen hatten. Neben den Wagen sollten Elfenkrieger und weitere Magier laufen, einige andere hockten schon auf den Wagendächern und schirmten sie gegen Angriffe aus der Luft ab.
Auf die erste Abteilung sollten zwei weitere folgen, die fast identisch aufgebaut waren. Die wenigen freien Pferde waren an die Wagen der zweiten Abteilung gebunden. Auch sie trugen Scheuklappen, und in der Nähe liefen Elfen, die darauf vorbereitet waren, ihre Riemen durchzuschneiden, falls sie durchgehen sollten.
Sie hatten alles getan, was sie tun konnten. Auum war so zufrieden, wie er es angesichts der Umstände nur sein konnte. Er und seine Tai würden die Nachhut bilden, weil ihrer Ansicht nach dort die Gefahr, Magier zu verlieren, am größten war. Im Augenblick saßen die Magier noch schwer bewacht im Keller und hielten die Kalträume aufrecht. Sie mussten ihre Schutzräume bald verlassen.
Es lag in der Natur der Sache, dass für jeden Kaltraum jeweils drei Magier gebraucht wurden, damit der Spruch stabil blieb. Unter normalen Bedingungen, sofern man überhaupt von Normalität sprechen konnte, würden sich die ablösenden Magier nahtlos einfügen und die Konstruktion speisen, sodass stets ein makelloser Schirm erhalten blieb. Wenn sich alle drei Magier gleichzeitig bewegten, würde der Spruch unweigerlich zusammenbrechen.
Der Moment der größten Gefahr war nahe. An fünf Stellen warteten jeweils drei Kaltraum-Magier darauf, dass sie sich in Bewegung setzen konnten. Sie sollten in einer bestimmten Reihenfolge ihre Sprüche fallen lassen und unter dem Schutz der Al-Arynaar zu den vorher festgelegten Wagen rennen. Drei der Trios hatten keine großen Probleme, sie kamen gut hinüber, denn ihre Wagen standen in der Nähe. Sie konnten die Sprüche aufgeben, ohne irgendjemanden außer sich selbst zu gefährden. Nachdem die entsprechenden Bereiche des Kollegs geräumt waren, konnten sie ihren Standort verlassen, und die Cursyrd mochten das Gelände dann übernehmen.
Für die beiden letzten Gruppen sah die Sache völlig anders aus. Ihre Sprüche schützten den Hof und das Haupttor, und da die Magier, die schon im Hof in den Wagen saßen, ihre Sprüche erst wirken und die Strukturen neu aufbauen konnten, wenn sie wieder Verbindung zum Mana hatten, würde es eine gewisse Zeitspanne geben, kurz zwar, aber dennoch sehr gefährlich, in der kein Schutzschirm zur Verfügung stand. Alle im Kolleg wussten es, und auch die Cursyrd hatten dies begriffen. Genau darauf warteten sie.
Auum ließ sich Zeit. Dreimal bekam er Meldungen, dass bestimmte Bereiche des Kollegs geräumt waren, und dreimal wurden die zugehörigen Kalträume aufgegeben, damit die Magier unter dem Schutz der noch stehenden Hülle zu ihren Wagen rennen konnten. Zuerst waren das Refektorium und der Vortragssaal an der Reihe, als Zweites das Herz und die Bibliothek, schließlich die persönlichen Gemächer, Zimmer und Büros. Die Cursyrd versuchten gar nicht erst, die Magier zu jagen, die für diese Bereiche verantwortlich gewesen waren. Das war nicht nötig. Sie sollten eine bessere Gelegenheit bekommen.
Drei Wagen, die zur dritten Abteilung gehörten, waren schon besetzt. Zwei, von Al-Arynaar umgeben, waren noch leer. Sie standen mitten auf dem Hof, ein gutes Stück von den Stellen entfernt, zu denen die Magier vernünftigerweise hätten rennen müssen. Dila’heth war der Ansicht, dass die Cursyrd ohnehin wussten, wo die Magier sich versteckten, doch alles, was die Cursyrd auch nur für einen Moment auf eine falsche Fährte locken konnte, verschaffte den Verteidigern möglicherweise einen entscheidenden Vorteil.
Schon strömten die Dämonen in die Bereiche des Kollegs, die gerade eben frei geworden waren. Die Kalträume endeten jetzt direkt an den Mauern des Innenhofs, und dort drängten sich die Cursyrd nun, verhöhnten die Julatsaner und verhießen ihnen einen qualvollen Tod. Die Seelenfresser stolzierten durch ihr neues Reich und präsentierten Farben von Dunkelgrün über Purpur und Blau bis Tiefschwarz. Hunderte Exemplare einer winzigen dunkelgrauen Sorte flogen schnatternd über das Kolleg hinweg. Sie stellten für sich genommen keine große Gefahr dar, besaßen allerdings scharfe Krallen und strahlten eine tödliche Kälte aus. Wenn sich genug von ihnen zusammentaten, konnten sie einen Menschen oder einen Elf bezwingen. Weiter oben schwebten die Herren der Dämonen auf ihren Tentakeln und dirigierten ihre Untertanen. Alles in allem waren die Julatsaner im Verhältnis von mindestens zehn zu eins unterlegen.
»Rebraal!«, rief Auum. »Sie sollen sich vorbereiten!«
Die Kakophonie der Dämonenstimmen schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Die Al-Arynaar und TaiGethen benutzten zur Verständigung untereinander die Zeichensprache und flüsterten Worte in die Ohren der Kutscher, der Pferde und der wenigen menschlichen Schwertkämpfer, die sich weigerten, auf einem Wagen sitzend zu fliehen.
Auum hörte, wie ein Dämon Rebraals Namen rief. Er fuhr herum und schritt bis zur Grenze des Schutzschirms. Dort stand das Ungeheuer, größer als er selbst, die Flügel auf dem Rücken zusammengefaltet, und starrte ihn mit seinem schmalen Gesicht an, verzog den lippenlosen Mund zu einem Grinsen und wechselte die Farbe von Grau nach Grün.
»Rebraal«, schrie das Wesen in einer schlechten Nachahmung von Auums Stimme, »du wirst der Erste sein. Deine Seele wird mir gehören. Komm zu mir, komm nur näher.«
Er winkte Rebraal, der ihn jedoch ganz sicher nicht hören konnte. Dabei stießen seine Arme durch die Hülle des Kaltraums herein. Auum baute sich vor dem Dämon auf, bis dieser sich auf ihn konzentrierte.
»Und du, Elf, kannst uns nicht aufhalten«, zischte der Dämon. »Nun komm schon, ergib dich. Wir wollen uns berühren, dann wirst du erfahren …«
Auum griff blitzschnell zu, packte den Dämon an den Handgelenken und zog ihn in die Hülle hinein. Das Wesen kreischte und riss sich los, stolperte und stürzte. Auum versetzte ihm einen Schlag auf die Brust, zog sein Kurzschwert aus der Scheide und nagelte einen Arm des Dämons am Boden fest. Das Wesen schrie.
»Sei vorsichtig mit deinen Wünschen«, sagte er.
Gleich darauf zückte er seinen Dolch und stieß ihn dem Dämon tief in die Achselhöhle. Das Wesen riss vor Furcht die Augen weit auf. Es bäumte sich noch einmal auf und blieb still liegen. Auum nahm seine Waffen wieder an sich, drehte sich zum Rand des Schutzschirms um und stand mit einer fließenden Bewegung auf.
»Shorth wird euch alle holen.«
Er zog sich einige Schritte zurück, Duele und Evunn waren inzwischen bei ihm und nahmen ihn in die Mitte.
»Wir sind bereit«, sagte Duele.
»Dann wollen wir beten.«
Die Tai knieten nieder. Auum sprach ein kurzes Gebet, in das alle Elfen im Hof einstimmten. Sie sprachen wie mit einer Stimme, und die alten Worte brachten sogar die johlenden und kreischenden Cursyrd zum Schweigen.
»Mit unserem Atem, Yniss, sind wir dein. Mit unserem Leib, Tual, sind wir dein. Mit unseren Seelen, Shorth, sind wir dein. Führt uns, leitet und uns segnet uns, während wir unser Werk vollbringen. So soll es sein.«
Auum hieß seine Gefährten wieder aufstehen.
»Tai, es geht los.«
Die TaiGethen eilten zum Zentrum des Hofs zurück und stellten sich zwischen den beiden Wagen auf, die auf die letzten Magier warteten. Sogleich fanden die Cursyrd ihre Stimmen wieder. Ein fast schmerzhaft lautes Heulen, Kreischen, Schreien und Rufen begann, zerrte an den Nerven der Verteidiger und unterhöhlte ihren Mut und ihre Tapferkeit. Auum empfahl ein letztes Mal sein Leben der Gnade Yniss’ und nickte Rebraal zu.
Die Tore von Julatsa wurden geöffnet, damit die Vorhut der Al-Arynaar unter Führung von Rebraal hinausstürmen konnte. Gleich hinter ihnen führte Pheone die Magier, die schon ihre Sprüche für den Moment vorbereiteten, wenn sie den Schutzschirm verließen. Die ersten Wagen setzten sich in Bewegung. Unruhig stampften und schnaubten die Pferde und zogen nur widerwillig an. In den Ställen und in der Wachstube am Torhaus ließen die Magier den letzten Kaltraum fallen, und sofort brach die Hölle über das Kolleg herein.
Die Cursyrd stürzten aus dem Himmel herab und drängten von allen Seiten herein. Mitten auf dem Hof wirkten die Magier der zweiten und dritten Abteilung bereits ihre Sprüche, und auch die Magier in der ersten Wagengruppe bauten neue Kalträume auf. Allerdings erforderte die Vorbereitung dieser Sprüche einen gewissen Aufwand. So fiel den Kriegern und Magiern der Al-Arynaar die Aufgabe zu, möglichst viel Zeit herauszuschlagen und den Weg freizuräumen.
Auum gab der zweiten Wagengruppe ein Zeichen und rief: »Haltet die Pferde zurück! Magier, wirkt eure Sprüche nach eigenem Ermessen. Krieger, beschützt die Magier und den Fahrweg.«
Eiswind und Kraftkegel fegten in die Luft hinauf und stießen die Cursyrd zur Seite oder ließen ihre Körper schmelzen. Vor den Magiern hackten, hauten und prügelten die Krieger und zwangen die Gegner zum Rückzug. Winzige Dämonen stießen in großer Zahl herab und trieben ihre Krallen in die Schädel, Schultern und Rücken der Kämpfer. Kaum dass eine der Drohnen weggerissen oder abgeschüttelt war, tauchten schon zwei weitere auf, um die Opfer zu kratzen, zu beißen und zu schwächen.
»Denkt an ihren wunden Punkt!«, brüllte Auum. »Schickt sie zu Shorth!«
Er drehte sich auf dem linken Fuß und versetzte einem Seelenfresser, der zu einem Wagen rennen wollte, einen Tritt vor den Kopf. Das Wesen fiel flach auf den Rücken, sprang sofort wieder auf und griff, Gift und Galle speiend, den Anführer der TaiGethen an. Auum war schnell, er nahm den Dolch in die rechte Hand und hatte so die linke frei. Damit ließ er mehrere blitzschnelle, harte Schläge auf den Rumpf und die Brust des Wesens los, stach ihm das Messer in die Kehle und den Oberkörper und wartete auf eine Gelegenheit, den tödlichen Streich zu führen.
Das Wesen war jedoch gewandt genug, die verletzliche Stelle zu schützen, auch wenn es dem Elfenkrieger keinen einzigen Schlag versetzen konnte. Inzwischen kamen noch weitere hinzu und nahmen Auum in die Zange. Er wich einen Schritt zurück, betrachtete die fünf, die jetzt vor ihm standen, und das Dutzend Angreifer, die über ihm flogen, und lächelte. Ringsumher hörte er die verzweifelten Rufe einzelner Al-Arynaar, die überwältigt wurden, er hörte das Kreischen der Cursyrd, die vom Eiswind getroffen wurden, das böse Knirschen, wenn die Kreaturen mit Kraftkegeln zerquetscht wurden, und lauter als alles andere das Heulen und Summen der geflügelten Feinde, die in Wellen angriffen.
Er blendete alles außer seinen unmittelbaren Gegnern aus, machte wieder einen Schritt nach vorn und spürte, wie die Feinde sich über ihm zum Angriff sammelten. Sein Lächeln verblasste nicht. Links und rechts bewegten sich Schatten und schlossen mit außerordentlicher Geschwindigkeit zu ihm auf. Wie die Cursyrd war auch er nie allein.
Rebraal führte die Al-Arynaar durch das Tor auf das freie Gelände jenseits der Mauern. Vor ihnen und direkt über ihnen drängten sich die Cursyrd. Der Angriff stand unmittelbar bevor, Seelenfresser und Drohnen eilten ihnen entgegen.
»Haltet die Formation und fahrt weiter«, rief er inmitten des Ansturms der Feinde. Frontal prallten die Gegner aufeinander. Rebraal schlug hart zu und fegte einen Seelenfresser beiseite. Mit der linken Hand führte er einen gedrungenen Streitkolben, mit der rechten ein Kurzschwert. Als das Wesen rückwärts torkelte, setzte Rebraal sofort nach. Die winzigen Drohnen prasselten wie Hagel herab. Jede einzelne war kleiner als sein Kopf, aber alle hatten Krallen und kämpften wie besessen. Der Schwarm fiel beißend und kratzend über die vorderen Reihen der Al-Arynaar her. Die Wunden, die sie ihm zugefügt hatten, brannten vor Kälte, das Blut strömte über Rebraals Hals und seine Arme.
Er versetzte dem Seelenfresser vor ihm einen Kopfstoß, verschaffte sich damit etwas Luft und fand Zeit, sein Schwert in die Scheide zu stecken. Mit der freien Hand riss er eine Drohne von sich herunter und schleuderte sie zur Seite. Gleichzeitig forderte er seine Leute mit Gesten auf, seinem Beispiel zu folgen. Sprüche donnerten in die Luft hinauf. Todeshagel und Eiswind räumten direkt über ihm den Himmel frei. Schreiend stürzten die Cursyrd ab, ihre Haut brodelte nach dem Eiswind oder war vom Hagel zerfetzt und durchsiebt.
Die Cursyrd wichen zurück, verteilten sich links und rechts und griffen verstärkt an den Flanken an.
»Die vordere Reihe, stoßt weiter vor, die zweite Reihe, etwas zurückfallen und die Magier beschützen. Haltet die Wagen in Bewegung!«
Er hatte sich umgedreht, um entsprechende Zeichen zu geben, und gerade als er sich wieder nach vorn wenden wollte, traf die Klaue eines Seelenfressers seine Wange. Der Riss war tief, und sofort wurde die Gesichtshälfte taub. Seine Muskeln verkrampften sich und erschlafften gleich wieder. Vor ihm tummelten sich die Al-Arynaar, hackten eine Gasse in die Angreifer und trieben sie zurück. Rebraal wurde es schwindlig, alles verschwamm ihm vor den Augen. Arme packten ihn und rissen ihn hinter die erste Reihe der Magier zurück.
Überall waren jetzt Drohnen und störten die Konzentration der Magier. Er musste etwas unternehmen. Es wurden nicht genug Sprüche abgefeuert, und am Himmel rotteten sich die Cursyrd schon wieder für den nächsten Angriff zusammen. Schließlich wischte er sich das Blut aus dem Gesicht und blinzelte, um seinen Blick zu klären. In den Ohren hörte er ein starkes Rauschen, er schüttelte unwillig den Kopf. Dann vernahm er wieder die Schüsse, mit denen die Cursyrd eingedeckt wurden. Sprüche flogen knisternd durch die Luft.
Er konzentrierte sich. Drohnen landeten auf seinem Kopf. Er riss eine herunter und schleuderte sie fort. Ja, es wurde Zeit, etwas zu unternehmen.
»Sorgt dafür, dass die Magier sich konzentrieren können. Los jetzt.«
Krieger liefen durch die Gruppen der Magier und pflückten die Drohnen von ihnen herunter. An den Flanken gelang es den Verteidigern mit Mühe und Not, die Seelenfresser abzuhalten. Einige Al-Arynaar verlegten sich ausschließlich darauf, die aus der Luft angreifenden Gegner zu bekämpfen. Es herrschte ein heilloses Durcheinander, von geordnetem Kampf konnte keine Rede mehr sein.
»Wir brauchen den Kaltraum«, murmelte er, während er eine Drohne vom Rücken eines Magiers zerrte und die kalten Kratzer auf seinem Hals ignorierte. Wenigstens kamen sie vorwärts.
Die Krieger kämpften fieberhaft im Getümmel. Klingen blitzten in der Morgensonne, das Summen der Drohnen wurde sogar noch lauter. Ein Kraftkegel fuhr in die Luft hinauf, räumte eine Schneise frei und verschaffte ihnen eine kleine Atempause. Als er hinter sich ein Kreischen hörte, drehte er sich sofort um.
Der erste Wagen war einem konzentrierten Angriff ausgesetzt. Die Elfen, die zum Schutz neben dem verängstigten Kutscher standen, zeichneten mit ihren Schwertern komplizierte Muster in die Luft. Auch wenn sie die Drohnen verscheucht hatten, dräuten direkt über ihnen die Seelenfresser und warteten auf ihre Gelegenheit.
Rebraal arbeitete sich langsam nach hinten durch. Unterwegs steckte er den Streitkolben weg und zückte einen Dolch. Die Drohnen flitzten vor seinen Augen hin und her, sodass er heftig um sich hacken musste, um sie abzuhalten.
»Lasst die Wagen fahren!«, rief er den Elfen zu, die neben den Pferden gingen.
Die Tiere waren außer sich vor Angst und hatten zwischen den Scheuklappen die Augen verdreht, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Bei jedem Schritt brachen sie ein wenig nach links oder rechts aus, und ihr gequältes Schnauben tat ihm in der Seele weh.
Als Rebraal nur noch wenige Schritte von dem Wagen entfernt war, gelang den Cursyrd ein entscheidender Durchbruch. Drei Seelenfresser stürzten sich aus dem Himmel aufs Segeltuchdach und stießen mit den Füßen die dort postierten Elfen zur Seite. Einer zerfetzte sofort die dünne Abdeckung, die anderen beiden rannten nach vorn.
»Hinter euch!«, brüllte Rebraal und deutete auf die Angreifer.
Die Wächter des Kutschers konnten ihn nicht hören. Sie bemerkten die Gegner erst, als eines der Wesen schon auf dem Fahrer hockte und ihm die Krallen ins Gesicht schlug. Der arme Mann hatte nicht einmal Zeit zu schreien, ehe seine Seele genommen wurde. Der Seelenfresser jubelte, schlug nach links und rechts, traf die beiden Wächter vor die Brust und presste sie an den Rahmen des Aufbaus. Der zweite Dämon sprang einem Pferd auf den Rücken und biss es in den Hals.
Das Tier stieg hoch und kreischte, es wollte fliehen und wich auf dem Pflaster nach links aus, da kein Kutscher mehr da war, der es zurückhalten konnte. Das zweite Pferd folgte nur zu willig seinem Beispiel. Sofort setzten Drohnen und Seelenfresser nach. Andere Cursyrd hatten inzwischen das Wagendach zerfetzt und sprangen hinein. Auf den Stufen am Kutschbock kämpften Elfen mit dem Dämon, der die Position des Fahrers eingenommen hatte. Andere strömten herbei.
»Nein!«, rief Rebraal. »Haltet Disziplin. Ihr könnt ihnen nicht mehr helfen. Bewegt euch, fahrt weiter, Al-Arynaar!«
Sie hörten auf ihn, wie sie immer auf ihn hören würden, und inmitten der Katastrophe ergab sich eine Gelegenheit. Von ihrem Erfolg berauscht, strömten die Cursyrd in hellen Scharen zum Wagen. So ließ der Druck anderswo ein wenig nach, da die Feinde abgelenkt waren. Inmitten des zornigen Heulens, das die Meisterdämonen hoch droben ausstießen, sobald sie erkannten, wie unvorteilhaft sich die Dinge entwickelten, führte Rebraal seine Krieger und Magier zu einem neuen Angriff.
Die Magier, die im Moment anderswo nicht gebraucht wurden, holten die Drohnen vom Himmel. Krieger formierten sich an der Spitze der Angriffswelle und setzten den Seelenfressern zu, die sich vor der ersten Barrikade gesammelt hatten. Einige Augenblicke später flogen Sprüche in den Himmel und geradeaus nach vorn. Der Eiswind ließ die Dämonenkörper schmelzen, Kraftkegel schleuderten sie in alle Richtungen, Todeshagel zerfetzte sie. Die Drohnen verbrannten in der Hitze von Flammenhänden. Feuerkugeln zogen durch den Himmel. Links stieg sogar eine Feuerwand empor.
Inzwischen wieder an der Spitze des Trupps, ignorierte Rebraal das über sein Gesicht strömende Blut und die schreckliche Kälte, die sich auf seiner Wange ausbreitete. Auf einen Ruf von den Magiergruppen blieben die Krieger stehen und duckten sich. Sprüche fegten über sie hinweg und stießen die Seelenfresser zur Seite. Sofort unternahmen die Kämpfer links und rechts einen Ausfall, um den kleinen Vorteil zu nutzen und einen Weg freizuhacken, damit die Wagen folgen konnten.
Sie hatten die Barrikade fast erreicht. Vor einem Haufen von Holz, Steinen und Schutt hatten die Cursyrd Dutzende Julatsaner zusammengetrieben. Die Menschen hatten bleiche Gesichter und starrten mit tief in den Höhlen liegenden schwarzen Augen durch fettige Haarsträhnen hindurch ins Leere. Sie rührten sich nicht, als die Cursyrd von den Al-Arynaar und den anrückenden Wagen von der Straße vertrieben wurden. Schnell fuhren sie nicht, da sich sonst die Kalträume nicht hätten aufrechterhalten lassen, aber die Begegnung war unausweichlich, und Rebraal war um nichts in der Welt bereit, den Zug anzuhalten.
»Platz da!«, rief er. »Macht Platz!«
Sein Dolch zerschlitzte das Gesicht eines Seelenfressers, der direkt vor ihm gelandet war. Er trat mit gestrecktem Bein zu und traf den Bauch des Wesens. Es grunzte, taumelte einen Schritt zurück und war sofort von Al-Arynaar umgeben.
»Macht Platz!«
Sie rührten sich nicht. Geschlagen, verschreckt und unfähig, einen eigenen Gedanken zu fassen, saßen sie zwischen zwei Schrecken in der Falle: auf der einen Seite ihre Cursyrd-Herren, auf der anderen Seite die anrückenden Elfenkrieger. Keiner wollte nachgeben.
»Bereitet die Kraftkegel vor«, sagte Rebraal.
Niemand widersprach ihm. Die Elfen kamen im Trab herbei, inzwischen konnten die Magier die Barrikade aus Menschen und Schutt gut überblicken. Noch einmal winkte Rebraal mit beiden Armen.
»Weg da! Bitte, geht weg!«
Nichts. In diesem Augenblick fragte er sich, ob diese Menschen vielleicht sogar das Ende begrüßten, das sie nun ereilen sollte. Keiner flehte, keiner schrie um Hilfe. Keine Träne floss. Sie standen nur da und warteten.
»Wir sind bereit«, sagte jemand links hinter ihm.
Rebraal zog sich hinter die Magier zurück.
»Wirkt den Spruch«, befahl er.
Die Barrikade war an der Einmündung der Straße errichtet worden, die in südlicher Richtung durch die Stadt führte. Zu beiden Seiten erhoben sich hohe Gebäude. Es war eine perfekte Umgebung für einen Kraftkegel, und die Wirkung war ebenso dramatisch wie schrecklich.
Die unsichtbaren Rammen aus Mana-Energie prallten gegen die ungeschützten Menschen und ihre dämonischen Hirten. Menschen und Cursyrd wurden vom Boden gehoben und rückwärts gegen die Barrikade geschleudert. Links und rechts spritzte Blut an den Wänden hoch, die Körper wurden an den Gebäuden zerquetscht. Schließlich gab die Barrikade explosionsartig nach. Die Elfenmagier hielten den Druck aufrecht und schoben den Schutt und das Holz nach links und rechts zur Seite. Rebraal hörte die gequälten Schreie der zerquetschten Menschen und das Knirschen von Metall auf Stein. Die Bestandteile der zertrümmerten Barrikade rollten die Straße hinunter. Erschrocken kreischten die Cursyrd. Ein Mann wollte sich erheben und weglaufen, aber ein weiterer Kraftkegel warf ihn frontal gegen ein Gebäude auf der anderen Straßenseite, als wäre er eine kleine Puppe im Sturm.
»Es tut mir leid«, murmelte Rebraal. »Möge Shorth euch rasch Frieden gewähren.« Zu mehr hatte er nicht Zeit. Viel zu viel Schutt lag noch auf dem Boden. »Zielt aufs Pflaster. Räumt die Straße, sonst gehen unsere Räder kaputt.«
Links und rechts zogen sich die Al-Arynaar zurück, um die Magier zu beschützen, die auf die Straße traten. Die Cursyrd ergriffen unterdessen die Flucht und stiegen bis über die Dächer auf. Ihre Meister erholten sich gerade wieder von dem überraschenden Schlag und kamen von oben und von hinten heran. Rebraal rannte zum Ende des Zuges.
»Die Wagen sollen in einer Reihe hintereinander fahren. Eine Reihe!«
Jetzt rollten sie. Immer mehr Wagen kamen aus dem Tor, hinter den Kollegmauern ertönten laute Kampfgeräusche, da die Cursyrd jetzt aus allen Himmelsrichtungen geflogen kamen. Rebraal lächelte grimmig. Einen kleinen Schritt hatten sie getan, aber die Reise hatte gerade erst begonnen. Er betete, dass die Kalträume bald gewirkt werden konnten, denn er war nicht sicher, wie viel Kraft sie noch hatten.
Auum sah es mit äußerster Klarheit. Er und seine Tai bewegten sich wie ein einziges Wesen, handelten wie ein einziger Mann und kämpften blitzschnell und präzise innerhalb der allgemeinen Verwirrung. Sie nahmen sich die Seelenfresser vor, eine leichte Beute für die Tai-Zelle. Die Drohnen schwirrten umher, wollten die Elfen mit ihren Krallen verletzen und wurden fast nebenbei erledigt. Die größte Bedrohung für die menschlichen Magier, die Kutscher und die Pferde waren die großen starken Seelenfresser, die im Getümmel auf den richtigen Moment lauerten, um zuzuschlagen.
Duele und Evunn beschrieben gleichzeitig eine Pirouette und schnappten sich ein muskulöses blaues Wesen. Es konnte nicht einmal mehr vor Schreck nach Luft schnappen, als Auum ihn an der Brust festhielt. Duele riss den Arm des Dämons nach außen, Evunn stieß den Dolch mit der Rückhand in das entblößte Nervenzentrum, und der Cursyrd starb.
Auum stand wieder auf. Links hatte sich ein Al-Arynaar von seiner Kriegergruppe gelöst. Er war von Drohnen fast völlig bedeckt, verwirrt und desorientiert. Sofort waren drei Seelenfresser bei ihm, hackten mit ihren Krallen, bissen und kratzten ihn. Einer fasste sein Kinn, als er schwach genug war, und nahm seine gebrochene Seele in sich auf.
Überall stürzten die Cursyrd jetzt vom Himmel herab und überfluteten förmlich den Innenhof. Drohnen prasselten herunter wie böser Hagel, danach segelten die Seelenfresser herbei. Duele und Evunn postierten sich neben Auum. Sie konnten eine Veränderung in der Taktik der Cursyrd ausmachen, nachdem sich die Wagen der zweiten Welle in Bewegung gesetzt hatten. Der Kampf gegen die Al-Arynaar am Boden und auf den Wagen war schwierig und tödlich, weil diese die Schwäche der Dämonen auszunutzen verstanden. So konzentrierten sie sich jetzt vor allem auf die Pferde und versuchten, den Zug auf diese Weise zum Stehen zu bringen.