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Die Abenteuer des Raben gehen weiter!
Der Krieg der magischen Kollegien hat Balaia ins Chaos gestürzt. Nach schweren Verlusten steht dem Raben eine weitere Prüfung bevor: Die Krieger und der Elfenmagier müssen zwischen einer neuen Ordnung und ihren Verpflichtungen gegen Balaia wählen – und somit zwischen Treue und Verrat.
Mit seiner rasanten Mischung aus Action, Spannung und Humor hat sich der junge britische Autor James Barclay an die Spitze der modernen Abenteuer-Fantasy geschrieben.
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Seitenzahl: 400
DIE CHRONIKEN DES RABEN
DIE LEGENDEN DES RABEN
Für meine beiden ältesten FreundePeter Robinson und John »George« Cross.Mehr als drei Jahrzehnte,und es geht weiter …
Hier sind wohl keine Überraschungen zu erwarten. Ich danke meinem unermüdlichen Redakteur und Freund Simon Spanton, der immer bereit war, zu diskutieren und mit Ratschlägen auszuhelfen, gelegentlich auch mal mit einem Bier. Die hervorragende Herausgeberin Nicola Sinclair konnte wider Erwarten bei der Presse großes Interesse wecken; und nicht zu vergessen mein Agent Robert Kirby, der nie den Mut verlor. Ich danke euch für alles, was ihr für mich getan habt.
Auch dieses Mal unterstützten mich Dick Whichelow und Dave Mutton mit produktiver Kritik. David Gemmell und Peter Hamilton steuerten wertvolle Ratschläge für die geschäftliche Seite des Schriftstellerlebens bei. Ariel leistete ausgezeichnete Arbeit an meiner Website (vor allem an theravengazetteer.com). Rob Bedford, Gabe Chouinard und Sammie von sffworld.com haben sich für mich eingesetzt. Und nicht zuletzt möchte ich auch allen danken, die sich die Zeit genommen haben, mir in Zusammenhang mit dem Raben eine E-Mail zu schreiben.
Myx wurde langsamer, damit der Rabe und die TaiGethen zu ihm aufschließen konnten. Wie Hirad sofort bemerkte, veränderte sich vor ihnen die Natur des Tunnels oder zumindest dessen Ausgestaltung. Er drehte sich um und vergewisserte sich, dass alle noch da waren.
»Wo ist Auum?«, fragte er verwundert.
»Er hilft uns«, erklärte Rebraal. »Er wird später zu uns zurückkehren.«
»Auf welche Weise hilft er uns?«
»Er jagt die Jäger«, sagte Rebraal. »Das ist besser für ihn selbst und für uns.«
»Hoffentlich hast du recht damit.«
Sie hatten an einer Stelle angehalten, wo sich das Erscheinungsbild der Wände unvermittelt änderte. Von hier an gab es keine Pastellfarben mehr, sondern nur noch eine dunkle, fleckige Holzvertäfelung, die das Licht dämpfte und dem Tunnel eine düstere Ausstrahlung verlieh.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Der nächste Verteiler«, sagte Myx. »Oder vielmehr seine Grenze. Sie sind nicht alle gleich.« Er gestattete sich ein Lächeln. »Manche unserer früheren Herren besaßen mehr Stilgefühl als andere.«
Er führte sie zum Ende des Ganges. Trotz der magischen Verstärkung waren auf dem Holz stellenweise Moos und Schimmel gewachsen. Hirad fuhr mit dem Finger darüber und spürte die Feuchtigkeit, dann zog er den Handschuh wieder an. Vor einer dunkelblau gestrichenen Tür drehte Myx sich zu ihnen um.
»Dort drinnen könnten wir auf Schwierigkeiten stoßen«, warnte er die Gefährten.
»Wessen Kammer ist es?«, fragte der Unbekannte.
»Sie gehört Laryon. Oder besser: gehörte ihm«, berichtete Myx. »Später wurde sie dann Dystrans Bereich zugeschlagen.«
»Tja, es wird mir ein Vergnügen sein, den ganzen Müll auszuräumen«, sagte der Unbekannte.
Er zog sein Schwert. Laryon. Ein Name, den der Rabe nie vergessen würde. Der Meistermagier Laryon hatte sein Leben geopfert, um den Unbekannten zu befreien, damit dieser die Protektorenmaske ablegen konnte. Er hatte sich stets für die Befreiung der Protektoren ausgesprochen und war deshalb von den Protektoren, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen xeteskianischen Magiern, wirklich geachtet hatten. Er war schon sechs Jahre tot, doch sein Geist lebte weiter.
Myx wollte die Tür öffnen.
»Halt mal«, unterbrach Denser ihn. »Bist du sicher, dass da nichts passiert?«
»Die Tür ist mit Explosionssprüchen und Sperren gesichert, die aber nicht auf mich ansprechen. Sobald sie geöffnet ist, sind die magischen Sicherungen unwirksam.« Er wandte sich an den Unbekannten. »Halte dich bereit, Bruder.«
»Der Rabe, Vorsicht jetzt!«, warnte der Unbekannte. »Da drin wartet nichts Gutes auf uns. Thraun, du bleibst draußen, bis wir aufgeräumt haben.«
Myx öffnete die Tür, Laternenlicht fiel in den Gang heraus. Fluchend knallte er die Tür sofort wieder zu. Das Brüllen eines Spruchs ließ die Balken beben, und die Luft draußen kühlte sich merklich ab.
»Drei Ziele«, sagte er. »Los.«
Dieses Mal stemmte er einen Fuß gegen die Tür und warf sie ganz auf, rannte hinein und riss seine Waffen vom Rücken. Hirad und der Unbekannte folgten ihm sofort.
»Myx, nein!«, rief der Unbekannte, als er den ehemaligen Protektor zögern sah. »Mach Platz!«
Vor ihnen standen zwei Magier und ein Mann, der weder Magier noch Soldat war. Die Rabenkrieger schlitterten über das Eis, das sich nach dem Spruch auf dem Boden gebildet hatte. Der Unbekannte nahm sich zuerst die Magier vor, die jeden Versuch aufgaben, noch einmal Sprüche zu wirken, und sich zur Flucht wandten. Für eine besonders elegante Kampfweise blieb keine Zeit, er stach dem ersten Magier einfach seine Klinge in die Seite, ehe dieser auch nur einen Schritt getan hatte. Hirad war neben ihm und erwischte das Bein des zweiten. Seine Klinge schnitt durch das Fleisch bis auf den Knochen, der Magier ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Bevor sie sich dem dritten Mann zuwenden konnten, hatte ihn ein Elfenpfeil erledigt.
Der Unbekannte machte dem verstümmelten Magier den Garaus und sah sich um.
»Der Raum ist sauber. Thraun, du kannst jetzt hereinkommen. Der Letzte schließt die Tür.« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sich um. »Was, zum Teufel, soll das hier?«
So seltsam der Anblick auch war, sie befanden sich allem Anschein nach in einem Hausflur. Wie der Gang draußen war auch der Flur mit Holz vertäfelt und mit Wandbehängen geschmückt. An den Wänden standen Tische mit verschiedenen Utensilien, ein Teil des Mobiliars war allerdings beim Kampf zu Bruch gegangen. Drei Türen gingen vom Flur ab, am hinteren Ende führte eine Treppe nach oben.
»Laryon war schon immer anders als die anderen.«
»Sol, es tut mir leid«, sagte Myx.
»Nein, entschuldige dich nicht. Du kannst nicht in ein paar Augenblicken deine ganze Ausbildung abschütteln. Leite uns an, und wir kämpfen, wo immer es nötig ist.«
»Wir müssen hier durch«, erklärte Myx. »Dystran hat hier unten eine große Forschungsgruppe und eine ständige Wache eingesetzt. Hier geht etwas Wichtiges vor.«
Wie um seine Worte zu bekräftigen, waren weiter oben auf der Treppe Bewegungen zu hören.
»Gibt es weitere Ausgänge?«, fragte der Unbekannte.
»Es gibt drei«, antwortete Myx. »Wir müssen jedoch in jedem Fall die Treppe hoch.«
»Da hinauf?«, staunte Hirad.
»Vergiss nicht, dass wir immer noch unter der Erde sind. Es mag wie das Innere eines Hauses aussehen, aber es gibt keine Fenster und keine Gärten.« Myx wandte sich wieder an den Unbekannten. »Wir sollten uns zuerst um die Räume in diesem Stockwerk kümmern.«
»Darrick, hast du Vorschläge?«
»Häuserkampf war kein Teil meiner Ausbildung, Unbekannter«, erklärte Darrick. »Aber ich würde zunächst die Türen und die Treppe sichern.«
»Einverstanden. Rebraal, könntest du das weitergeben? Thraun, Denser, bleibt vorerst bei den Elfen. Wir brauchen einen Magier, der einen Schild wirken kann. Los jetzt. Sie werden oben bald etwas unternehmen.«
Myx deutete auf die einzelne Tür auf der linken Seite. »Forschung.«
Der Unbekannte nickte und führte Hirad und Darrick weiter. Hinter ihnen folgte Sian’erei, die schon einen Spruch wirkte.
»Schild steht.«
»Lass ihn stehen und bleib hinter uns«, sagte Hirad. »Wir wollen dich nicht verlieren.«
»Ihr braucht einen Bogenschützen«, wandte Rebraal ein. »Widersprich mir nicht.«
»Wollte ich auch nicht.«
Der Unbekannte versetzte der Türklinke einen Tritt, dass die Balken krachten. Der Riegel brach, und die Tür flog mit einem Knall auf. Er und Hirad gingen in die Hocke, Rebraal zielte auf den Bereich, den er überblicken konnte. Der Raum war verlassen, in der Mitte stand ein langer Tisch, auf dem sie Papiere und ein kompliziertes hölzernes Modell sahen.
»Umkehren«, befahl der Unbekannte. Sie wichen zurück und drehten sich um. »Thraun, geh hinein, Denser, du gibst Deckung. Myx?«
»Die beiden anderen Türen führen in einen Salon.«
»Rebraal, geh nach links in eine gute Schussposition, wir ziehen auf der anderen Seite das gegnerische Feuer auf uns.«
An den wartenden TaiGethen vorbei führte sie der Unbekannte den Gang hinunter. Die Gesichter der Elfen blieben ausdruckslos, während sie mit gespannten Bogen die Treppe bewachten. Die Magier hatten bereits Schilde gewirkt.
»Alles bereit?«
Hirad nickte und beschloss, dieses Mal die Tür vorsichtig zu öffnen. Ein Armbrustbolzen schlug in die gegenüberliegende Wand.
»Schräg links, ein Ziel, roter Stuhl!«, meldete Hirad und stürmte als Erster hinein.
Die Rabenkrieger kämpften nun in einem eleganten Salon, in dem es Teppiche, Stühle, Sofas, niedrige Tische und sogar einen Kamin gab. Der Armbrustschütze hatte sich hinter einen Stuhl geduckt und lud gerade nach. Neben ihm standen drei Magier. Sie wollten Sprüche wirken, dabei kam jedoch nichts heraus, denn ihre Arme zitterten vor Anstrengung, und ihre Mienen verrieten, dass sie große Angst hatten.
»Ach, du meinte Güte.« Hirad setzte über ein Sofa hinweg, Darrick folgte ihm, und der Unbekannte wich nach rechts aus.
Rebraals Bogen summte, und sein Pfeil traf die Hand des Armbrustschützen und nagelte sie an den Schaft seiner Waffe. Der Elf folgte den anderen in den Raum und legte schon den nächsten Pfeil ein. Hirad landete auf den Füßen, zog das Schwert schräg nach unten und schnitt dem vorderen Magier den Hals durch. In einem blutigen Schauer ging der Mann zu Boden. Darrick bohrte seinem Gegner einfach die Klinge durchs Herz, während der Unbekannte mit dem dritten Magier kurzen Prozess machte.
Drei weitere Tote, ein Soldat außer Gefecht gesetzt. Der Unbekannte zog den Überlebenden am Lederwams hoch.
»Rede. Wie viele sind noch hier?«
»Das weiß ich nicht. Zehn?« Das Blut strömte aus seiner Wunde, und er versuchte, die verletzte Hand zu stützen. Er wimmerte vor Schmerzen. »Man hat uns befohlen, diese Räume zu bewachen. Ihr dürft nicht hinaus. Sie wussten, dass ihr hier entlangkommen würdet.«
»Wer?« Der Unbekannte schüttelte den Mann heftig, der schmerzvoll keuchte.
»Alle.« Irgendwie schaffte er es, zu lächeln.
Der Unbekannte ließ ihn fallen, und Hirad schlug ihn mit dem Heft seines Schwerts bewusstlos.
»Meinst du, er hat die Wahrheit gesagt?«
Myx schaute zur Tür herein. »Das ist gut möglich.«
»Wir müssen schleunigst verschwinden. Wir können nicht warten, bis …«
Auf dem Flur war ein warnender Ruf zu hören. Bogen summten, und eine Feuerkugel der Al-Arynaar glühte. Daraufhin ertönten oben weitere Rufe, Armbrustbolzen wurden abgefeuert, und schließlich flammte ein grelles blaues Licht auf. Myx hatte einen halben Schritt in den Raum getan und wollte sich gerade umdrehen, als der Spruch einschlug. Die Explosion ließ die Wände wackeln, und der Protektor flog quer durch den Raum, prallte gegen die Wand und rutschte zu Boden. Blaue Flammen versengten den Türrahmen.
Draußen auf dem Flur schrien die TaiGethen, die jetzt in der Falle saßen. Ein brennender Elf taumelte an der Tür vorbei und brach zusammen.
»Was war das?« Hirad wollte zur Tür, doch Sian’erei hielt ihn auf.
»Wir haben schon wieder den Mana-Strom verloren«, sagte sie. Tränen quollen aus ihren Augen. »Sie hatten keinen Schutzschild mehr.«
Die Schritte vieler Menschen trampelten die Treppe herunter.
Auum führte seine Tai tiefer und tiefer in die Katakomben hinein. Denser hatte recht gehabt. Die Gänge waren chaotisch angelegt, doch obwohl sie sich tief unter der Erde befanden, hatten die Gebete seinen Elfen Kraft geschenkt, und nun betrachtete er die Tunnel und Abzweigungen wie die Pfade im Regenwald. Tiere hinterließen ihre Spuren auf den bevorzugten Routen, und bei Menschen war es nicht anders.
Sie hatten die Richtung bestimmt, in die sich der Rabe bewegte, und einen Weg gewählt, der oberhalb und rechts von den Rabenkriegern verlief. Zwar kamen sie nur auf Umwegen voran, doch die Xeteskianer hatten genügend Spuren hinterlassen. Aufgewühlter Staub auf dem Boden, Streifen von Fingern, die über Wände geglitten waren, eine glänzende Fläche, wo Kleidung den Stein berührt hatte. Leicht zu übersehen, wenn man nicht genau wusste, worauf man achten musste.
Auum lief fünf Schritte vor Duele, Evunn und weiteren fünf Kriegern. Seine Tai hielten die Bogen bereit, er selbst hatte den Beutel mit den Jaqrui geöffnet und ein Kurzschwert in die rechte Hand genommen. Er machte sich Sorgen, weil seinen Tai bald die Pfeile ausgehen würden. Zwar hatte er seine eigenen Pfeile den Gefährten überlassen, doch nach einer ausgedehnten Jagd wäre ihre Munition erschöpft.
Vor und hinter ihnen waren Feinde unterwegs. Die Tai bewegten sich geräuschlos und ohne ein Wort. Gesten und Zeichen reichten ihnen völlig aus, um sich zu verständigen. Auum beschleunigte seine Schritte. Er wollte die Gruppe erledigen, die sich vor ihnen befand. Die Gegner hatten es offenbar eilig, es waren mindestens zwanzig, und sie legten auf Heimlichkeit keinen Wert, da sie sich für die Jäger und nicht für die Gejagten hielten.
An einer Gangkreuzung blieb er stehen. Links lagen offenbar größere Höhlen, von dort wehte Luft heran, die mehr Platz zum Zirkulieren gehabt hatte und etwas frischer roch. Wahrscheinlich ein weiterer Verteiler. Auf dem Gangboden lag jedoch eine unberührte Staubschicht. Interessant, dass niemand dorthin abgebogen war. Er blickte nach rechts. Die Feinde waren immer noch deutlich zu hören. Sobald er die Ecke erreicht hatte, winkte er seinen Tai, ihm in einem gewissen Abstand zu folgen.
Auum rannte los. Wie viele andere war auch dieser Gang von einem blauen Licht erfüllt und mit bleichen Zeichnungen geschmückt. Der Tunnel stieg leicht an und beschrieb eine Rechtskurve. Auum nahm die Witterung auf. Der Gang war kurz. Gleich darauf huschte er um die Ecke und spürte links eine Öffnung, bevor er sie sah. Ihr Ziel war jetzt sehr nahe. Am Ende der Kurve sah er, keine zehn Schritte vor sich, gerade noch den letzten Stiefel hinter einer Biegung nach links verschwinden.
Er wählte die davor liegende Abzweigung nach links, bewegte sich parallel zu den Gejagten und lauschte angestrengt. Hinter ihm drohte keine Gefahr, die Geräusche kamen ausschließlich von rechts. Die Hinweise, die er für seinen Angriff brauchte, fand er in den Luftströmungen: Ein Quergang zweigte nach rechts ab und führte in einem Bogen zurück zu den Feinden. Die Tai schlossen rasch auf.
Aus der Richtung, in die sie gehen wollten, hörte Auum eine Explosion. Sie wurde durch die Felsen gedämpft, doch die Druckwelle, die durch die Gänge lief, verriet ihm, dass der Ursprung nicht weit entfernt sein konnte. Die Feinde reagierten sofort auf den Lärm und rannten los. Für Auum war dies von Vorteil. Die Gegner waren jetzt direkt vor ihm und kreuzten von rechts nach links den Gang, in dem er sich mit seinen Kriegern befand. Die Xeteskianer konnten ihn nicht sehen, denn er blieb am Rande ihres Gesichtsfeldes, und sie hatten ohnehin nur Augen für den Weg, der direkt vor ihnen lag. Im Dschungel würden sie nicht lange überleben.
Als Auum vier Schritte von der Gangkreuzung entfernt war, rannten die beiden letzten Soldaten vorbei. Er zögerte keine Sekunde, zog einen Jaqrui aus dem Beutel und ließ den flüsternden Wurfstern fliegen, der den Hinterkopf eines Mannes traf, Haut und Knochen durchschlug und im Gehirn stecken blieb. In einem Schauer von Blutstropfen taumelte der Mann gegen die Gefährten, die vor ihm liefen.
Duele und Evunn nutzten die Verwirrung sofort aus. Links und rechts flogen Pfeile an Auum vorbei und fällten zwei weitere Gegner. Auums Klinge grub sich ins Kreuz eines Mannes, der bisher nicht einmal bemerkt hatte, was über seine Freunde hereingebrochen war. Er ging in die Knie, rutschte noch ein Stück weiter und hob beide Arme. Auum riss ihm den Kopf zurück und schnitt ihm die Kehle durch.
Erst jetzt reagierten die anderen Soldaten. Rufe hallten durch den Gang, Offiziere brüllten Befehle, und die ersten Kämpfer zogen die Schwerter aus den Scheiden, um sich den Gegnern zu stellen. Auum nutzte das Überraschungsmoment, so gut er konnte. Er zog die zweite Klinge aus der Scheide und stach sie einem Soldaten in den Hals, drehte sich auf dem rechten Fuß um die eigene Achse und trat mit dem linken Bein abwärts zu. Der Tritt brach einem weiteren Soldaten das Kniegelenk, und nun sprang Auum einen Schritt zurück, um sich vor den anrückenden Gegnern in Sicherheit zu bringen.
Duele hatte seinen Bogen fallen lassen und stand bereits neben ihm, Evunn schoss unterdessen einen weiteren Pfeil ab, der von einem Kettenhemd abglitt und im Arm eines ganz anderen Soldaten stecken blieb. Hinter der Truppe bereitete ein Magier einen Spruch vor. Natürlich konnte der Magier keinen vernichtenden Spruch wirken, ohne zugleich seine eigenen Männer zu töten, und so setzte Auum unbeirrt den Angriff fort.
Die Xeteskianer waren vor Schreck wie gelähmt und leisten kaum Widerstand. Drei Gegner bemühten sich, eine geordnete Formation einzunehmen, doch es gelang ihnen nicht, und so focht jeder für sich, so gut er eben konnte. Die TaiGethen kannten keine Hemmungen. Auums Klingen zuckten schneller hin und her, als das bloße Auge folgen konnte, wehrten einen halbherzigen Schwertstoß ab und brachten einem Soldaten eine tiefe Schnittwunde im Gesicht bei. Geduckt unterlief Auum einen gegnerischen Schwerthieb und stach einem anderen Mann seine Klingen in die Brust. Die beiden Xeteskianer gingen zu Boden. Auch Duele erledigte im Handumdrehen einen Gegner, der mit aufgeschlitzter Kehle inmitten eines Blutschwalls in sich zusammensackte.
Die Xeteskianer zauderten. Wer vorne stand, brannte natürlich nicht darauf, das Schicksal zu teilen, das die Kameraden so schnell ereilt hatte. Auum setzte sofort nach, als sie sich zurückzogen. Über einen niedrig geführten Schlag sprang er hinweg, drehte sich bei der Landung um sich selbst und brach dem Soldaten mit einem aufwärts gerichteten Tritt die Nase.
Sie wollten schon aufgeben, als der Magier seinen Spruch wirkte und dabei eine Geste machte, als wollte er einen unsichtbaren Schädel packen und zerquetschen. Evunn schrie auf. Er ließ den Bogen fallen, presste die Hände an die Schläfen und sackte zusammen. Sein gequältes Keuchen war das einzige Lebenszeichen.
Zwischen ihnen und dem Magier standen mindestens zehn Männer. Es waren zu viele.
»Duele, beschäftige sie.«
Auum wich rasch sechs Schritte zurück und konnte beobachten, wie Duele sich gegen zwei Männer gleichzeitig zur Wehr setzte. Elegant bewegte er sich und wusste seine beiden Schwerter gegen die schweren Waffen der Gegner geschickt einzusetzen. Evunn lag hilflos am Boden und starrte Auum flehend an, weil er hoffte, der Anführer könne seine Schmerzen linden. Vor ihnen spreizte der Magier abermals die Hände und führte sie zusammen.
Auum rannte los. Zwei Schritte vor den Kämpfenden sprang er hoch, um den Schwertern zu entgehen. Wie ein Speer flog er über die Soldaten und den Magier hinweg, überschlug sich in der Luft und kam mit beiden Füßen auf. Dann fuhr er herum, zog die Klingen über Kreuz und trennte dem Magier beinahe den Kopf vom Hals.
Sie hatten keine Zeit, sich auszuruhen. Evunn war außer Gefecht gesetzt. Auum wurde wütend. Das war ein Gefühl, das er sonst eher unterdrückte, doch jetzt beflügelte es ihn; es stachelte ihn an, sich schneller und präziser denn je zu bewegen. Er griff an und dankte Tual, die seine Bewegungen ebenso lenkte wie die seines Tai auf der anderen Seite. Im Namen von Yniss brachten sie Tod und Vernichtung über die Feinde.
»Halte die verdammte Tür geschlossen!«, rief Hirad Darrick zu, als abermals ein wuchtiger Spruch einschlug, dass sich die Balken bogen. Das Holz qualmte inzwischen, doch der General hatte den Tisch gegen die Tür geschoben und drückte mit aller Kraft dagegen. Rebraal war bei ihm und wartete.
Am zweiten Zugang, nahe der Treppe, hielt Hirad die Xeteskianer in Schach. Der Gang war voller Soldaten, überall Blut und verkohltes Fleisch. Drei Tote lagen vor den Füßen des Barbaren. Aus einer Schnittwunde auf seiner Stirn tropfte ihm das Blut in die Augen.
Die Magier konnten weder ihn noch Thraun, der ihm gegenüber die Feinde in der Forschungskammer bekämpfte, mit Offensivsprüchen erreichen. Doch die Reihe der feindlichen Schwertkämpfer nahm kein Ende. Weiter hinten kümmerte sich der Unbekannte um Myx, doch er musste sich bald wieder in den Kampf einschalten. Sian suchte unterdessen das Mana-Spektrum ab und hoffte wie alle anderen, das julatsanische Mana werde sich wieder stabilisieren.
Hirad versetzte seinem Gegner mit gestrecktem Bein einen Tritt und zwang ihn zurückzuweichen. Der Mann rutschte im Blut aus, doch sofort nahm ein anderer seinen Platz ein und griff Hirad mit einem Zweihandschwert an, wobei er den Türrahmen als Deckung für seine offene Flanke benutzte. Der Barbar winkte ihn zu sich.
»Du wirst sterben wie alle deine Freunde«, sagte er.
Der Soldat schluckte den Köder nicht, sondern beschränkte sich darauf, die Stellung zu halten. Hirad trat näher und führte einen Streich von unten nach oben. Der Soldat wich unsicher zurück und wollte zurückschlagen, verfehlte ihn aber deutlich. Sofort trat Hirad noch näher an ihn heran und nutzte die Blöße, die der Gegner sich gab. Der Mann wich noch weiter zurück und traf mit seiner Klinge abermals nur die leere Luft, als Hirad lächelnd auswich.
»Netter Versuch.«
Wieder erschütterte ein Spruch die Tür, die Darrick hielt. In der Mitte brach das Holz, die Splitter flogen durch den Salon. Der Tisch bebte, und Darrick wurde ein Stück zurückgeschoben.
»Pass auf!«, warnte Hirad ihn. »Sie werden es wieder mit Kraftkegeln versuchen.«
»Wir müssen irgendwie das Blatt zu unseren Gunsten wenden«, sagte Rebraal.
»Dann lasst es uns versuchen.« Die Stimme des Unbekannten klang laut und nahe in Hirads Ohren. »Wenn wir schon untergehen, dann wenigstens mit ihrem Blut in unserem Gesicht.«
Hirad grinste seinen Gegner an, der ihn herauslocken wollte.
»Ich komme gleich, mein Junge, du wirst schon sehen.« Er hob die Stimme. »He, Thraun, ist bei dir alles klar?«
Das Kreischen eines xeteskianischen Soldaten war Antwort genug. Thraun warf ihm mit wilden Raubtieraugen einen kurzen Blick zu. Sein Haar war vor Schweiß verfilzt. Dann nahm ein weiterer Feind die Position des gefallenen Kameraden ein, und der Kampf ging weiter.
Auum hörte ganz in der Nähe den Einschlag eines weiteren Spruchs. Seiner Sache wieder sicher, bog er nach rechts ab und führte die Gefährten einen steil ansteigenden Gang hinauf. Evunns Bogen hatte er sich über die Schulter geschlungen, die Pfeile hatte er aus den Leichen gerissen und in seinen eigenen Köcher gesteckt. Evunn selbst hing benommen zwischen ihm und Duele. Ohnmächtig war er nicht, doch er redete unzusammenhängend und nahm seine Umgebung nicht mehr wahr. Beinahe lief er sogar aus eigener Kraft, doch er stolperte viel zu oft, und so war es einfacher, ihn mitzuschleifen. Er starrte ins Leere, und seine Arme, die Auum und Duele sich über die Schultern gelegt hatten, zuckten hin und wieder.
»Yniss schickt uns eine weitere Prüfung«, sagte Auum.
»Ich frage mich, ob es nicht Ix ist, der uns heute Nacht seine Macht zeigt«, erwiderte Duele.
Das war durchaus möglich. Der launische Gott des Mana-Elements zerstörte gern Yniss’ Werke und lachte entzückt über die Nöte seiner Diener. Auum war jedoch entschlossen, als Letzter und am lautesten zu lachen. Sein Zorn war verflogen, sobald vor ihm der letzte Xeteskianer mit weit aufgerissenen Augen voller Angst an seinem eigenen Blut erstickt war. Was nun an die Stelle seines Zorns trat, war womöglich noch gefährlicher.
Vor ihm erklang ein Stimmengewirr. Irgendjemand stieß einen Schmerzschrei aus, jemand rief Befehle, dann tappten eilige Schritte. Stahl klirrte, und er konnte den Geruch von Feuer und den Gestank des Todes wahrnehmen. Durch einen düsteren Gang, wo die Lichtsprüche schwächer und die Schatten etwas tiefer waren, rannte er in Richtung des Lärms.
Der Gang veränderte sich. Die TaiGethen erreichten eine Kreuzung, deren Wände mit Holz vertäfelt waren. Auum schob den Kopf um die Ecke. Zwei Wächter standen vor einer offenen Tür und spähten in den Raum dahinter. Narren waren sie. Hinter ihnen ertönten Kampfgeräusche.
»Wir haben sie gefunden«, verkündete Auum.
Sie legten Evunn ab. Er hatte nicht genug Kraft, sich zu sträuben, sondern lächelte nur leicht und schloss die Augen.
»Zwei Gegner«, sagte Auum. »Ich übernehme den linken.«
Die TaiGethen sprangen geschmeidig und mit gespannten Bogensehnen um die Ecke herum. Die Soldaten spürten die Gefahr und drehten sich gleichzeitig um, hoben die Armbrüste und wollten feuern, doch der Tod war schon zu nahe, und ihre Reaktion kam viel zu spät.
»Lass sie beim nächsten Angriff die Tür zerstören und halte dich bereit«, sagte der Unbekannte Krieger.
Darrick machte sich darauf gefasst zu sterben. Der Unbekannte eilte zu Hirad zurück, der immer noch denselben Soldaten beschäftigte und dafür sorgte, dass der Türrahmen versperrt blieb, damit die Gegner keine Armbrustbolzen abschießen konnten. Rebraal wartete, den letzten Pfeil eingelegt, neben Darrick.
Es war eine Verzweiflungstat, doch ihnen blieb nichts anderes übrig. Die versperrte Tür würde bald bersten, und sobald sie nachgab, waren sie den magischen Angriffen schutzlos ausgeliefert. Ihre einzige Chance bestand darin, die Magier zu erwischen und sich in den Nahkampf zu stürzen, damit von der Treppe her keine Sprüche mehr gewirkt und keine Armbrüste abgefeuert werden konnten. Dies wiederum bedeutete, dass sie mit Messern und Dolchen arbeiten mussten. Es war lange her, dass Darrick diese Kampfweise das letzte Mal geübt hatte. Gleich würde sich herausstellen, ob er und die anderen noch wendig und geschickt genug waren, um das Gefecht zu überleben.
Myx stand wieder auf den Beinen, und Sian hatte sich einigermaßen erholt, auch wenn sie ihre Magie noch nicht wieder einsetzen konnte. Sie mussten ausbrechen. Thraun ermüdete allmählich, und Hirad wollte keinen Rabenkrieger wehrlos seinem Schicksal überlassen. Wenn schon, dann wollten sie kämpfend untergehen.
Darrick holte tief Luft, als es draußen auf dem Gang vorübergehend still wurde. Nur Hirads Schmähungen und Thrauns Schwerthiebe waren noch zu hören. Jetzt oder nie.
»Der Rabe, macht euch bereit«, sagte der Unbekannte. Seine Stimme klang so beruhigend, dass Darrick einen Moment lang beinahe glaubte, sie würden es überleben. Dann bemerkte er Hirads Gesichtsausdruck, und ihm wurde klar, dass die Rabenkrieger tatsächlich daran glaubten.
Sie hatten viel öfter als er selbst dem Tod ins Antlitz geblickt, überlegte Darrick. Nicht einmal in der Garnison von Understone oder auf dem Schlachtfeld vor Septerns Haus hatte er ernsthaft daran gedacht, dass er sterben könnte.
Hier drinnen sah es ganz anders aus, seit Ranyls Hausgeist durchs Fenster geflohen war.
Er bemerkte das Blitzen der Sprüche, wenige Augenblicke bevor die Tür endgültig zusammenbrach. Darrick und Rebraal standen gut gedeckt links und rechts neben der Tür und blieben unverletzt. Sie zählten bis drei und warteten ab, bis der Kraftkegel sich wieder auflöste.
»Los jetzt!«, rief der Unbekannte.
Rebraal trat in die Türöffnung und schoss den Pfeil ab, der einen Magier mitten in die Brust traf, ehe seine Soldaten ihn abschirmen konnten. Darrick holte tief Luft und stürmte hinaus, der Unbekannte und Hirad folgten ihm in den Kampf.
Sein Herz stockte, als er sah, dass überall Xeteskianer waren. Der Gang war breit genug für drei Männer mit Langschwertern, doch jetzt standen nur zwei vor ihm. Hinter ihm war der Zugang zu den Katakomben von den grässlich entstellten, schmorenden Leichen der TaiGethen und der Al-Arynaar-Magier versperrt, vor ihm lauerte der Feind. Wächter waren im Gang postiert, Verstärkungen warteten auf der Treppe. Viele hatten sich mit Armbrüsten bewaffnet, die sie gerade anlegten. Die Magier blieben im Hintergrund. Zwei standen links und rechts neben der Treppe, weitere warteten auf den Stufen.
Er stürzte sich auf die vordersten Xeteskianer. Ein Bolzen zischte an ihm vorbei und blieb in der Tür stecken. Rebraal war neben ihm und bewegte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit; er hatte den Bogen abgelegt und kämpfte jetzt mit Kurzschwert und Dolch.
»Bleibt beisammen und achtet auf die Flanken«, rief Darrick, als ringsum im engen Raum Rufe ertönten. Er blockte zwei rasch nacheinander geführte Schläge ab, drängte seinen Gegner zurück und suchte nach einer Lücke in der Deckung. »Gebt den Magiern keine direkte Sichtverbindung.«
Darricks Gegner machte seinen ersten Fehler und versuchte es mit einem weiten Schwinger. Der General kam ihm zuvor, trat in den Schlag hinein, blockte den Schwertarm ab und durchbohrte mit dem Dolch in der rechten Hand das Herz des Mannes, der schaudernd zusammenbrach. Dann versetzte Darrick ihm einen Stoß, um die Kämpfer hinter ihm aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Der ehemalige General hatte keine Zeit, die Erfolge seiner Waffenkunst zu bewundern. Er sprang über den Toten hinweg und duckte sich gleich wieder, um in Deckung zu bleiben. Einige Feinde hatten das Gleichgewicht verloren, doch Rebraal hatte sich mit seinem ersten Gegner mehr Zeit gelassen, und jetzt war Darricks rechte Flanke ungedeckt. Eine Klinge zuckte, er fing die Klinge im letzten Moment mit dem Griff seines Dolchs ab und drückte sie nach unten. Er blickte nach links, worauf sein zweiter direkter Gegner mit einem ungeschickten Schlag reagierte. Ein dritter gesellte sich zu den beiden, konnte aber, da er zu weit rechts stand, noch nicht eingreifen. Darrick war dankbar dafür.
Er wich mit einer wiegenden Bewegung einem weiteren von rechts geführten Schlag aus. Die Klinge zischte knapp an seinem Gesicht vorbei. Die Gegenbewegung trug ihn wieder nach vorn, doch als er auf seinen Gegner eindringen wollte, sah er sich von einem Schlag behindert, der seinen linken Oberarm treffen sollte. Er reagierte mit der rechten Hand und trieb dem Mann unter den Rippen die Dolchklinge tief in den Leib.
Einen Moment später stach der zweite Xeteskianer zu. Darrick war nicht schnell genug, und die Klinge durchdrang seine Rüstung und brachte ihm eine Schnittwunde an der Hüfte bei. Die Wunde brannte höllisch, und er spürte, wie das Blut floss. Vor Schmerzen grunzte er und wich zurück.
»Rebraal, ich brauche dich.«
»Bin schon da.« Sein Kurzschwert hackte Darricks Gegner die rechte Hand ab, der Dolch traf das Gesicht und bohrte sich ins Auge. Dann nahm er Anlauf, trat zu und warf den kreischenden Mann auf den Rücken. »Darrick?«
»Ich werde es überleben«, sagte der ehemalige General.
Obwohl sein rechtes Bein nass vor Blut war, griff er wieder an.
Auum und Duele nahmen ihre Bogen auf den Rücken und hoben Evunn wieder auf. Ihr Tai-Bruder wehrte sich nicht. Er kam kurz zu sich und wurde gleich wieder ohnmächtig, sein Kopf sank auf die Brust. Auum fürchtete um Evunns Leben, durfte sich aber von dieser Furcht nicht beirren lassen. Während sie an den zwei toten Wachen vorbeigingen, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Duele zog die Pfeile aus den Leichen, dann liefen sie weiter zum Verteiler.
Der Lärm voraus hatte zugenommen. Zwar schlugen keine Sprüche mehr ein, doch jetzt waren die Geräusche eines Nahkampfes zu hören. Es sah tatsächlich so aus, als befänden sie sich nun im Innern eines Hauses. Die Wände waren mit Holz vertäfelt und mit Gemälden geschmückt, vom schmalen Flur zweigten mehrere Türen ab, die alle verschlossen waren. Auum entschied sich, sie vorerst zu ignorieren und seine Tai möglichst rasch ins Kampfgebiet zu führen.
Vor einer leeren Nische bedeutete er Duele, Evunn allein zu übernehmen, während er weiterschlich. Der Gang endete vor einer nackten Wand, auf der rechten Seite befand sich ein ähnlicher Treppenabsatz mit weiteren Türen. Er ging in die Hocke und spähte um die Ecke. Am Ende des Ganges sah er eine Treppe, vor der sich mehr Xeteskianer drängten, als er zählen konnte. Zu beiden Seiten standen Türen weit offen. Laut drangen ihm die Geräusche von Kampf und Tod in die Ohren, und dazwischen vernahm er die Stimmen der Menschen, die er kannte. Einer schrie lauter als alle anderen. Hirad Coldheart.
Wenige Augenblicke später war er wieder bei Duele.
»Wir müssen ihn zurücklassen. Es gibt Arbeit für uns.«
»Hier?«
Auum blickte auf Evunn hinab, dessen Geist sich schon wieder trübte. »Ihm kann kaum mehr passieren, als ihm schon zugestoßen ist.«
Er kniete nieder und küsste Evunn auf die Lippen. Dann nahm er den Kopf des verletzten Elfen aus Dueles Schoß und legte ihn sachte auf den Boden. Evunns Beine ragten in den Gang hinein, doch das war ein Risiko, das sie eingehen mussten.
»Wir werden dich nicht im Stich lassen, Bruder. Verlasse uns nicht. Yniss wird dich schützen.« Er richtete sich auf, zog sein Kurzschwert und öffnete den halb leeren Beutel mit den Jaqrui. »An diese Männer will ich keine Pfeile verschwenden. Sie sind weniger als Tiere und verdienen keine Achtung. Wir greifen an.«
Die beiden TaiGethen huschten davon, Evunn blieb zurück. Ihre Gebete waren bei ihm, doch ihre Gedanken richteten sich auf den Kampf. Ihr Gefährte hatte nur eine Chance, wenn ein Magier ihn behandelte. Welchen Spruch der Xeteskianer auch eingesetzt hatte, er hatte Evunns Gehirn geschädigt.
Auum bedeutete Duele, neben ihm zu laufen. Ohne auch nur einmal im Schritt innezuhalten, drehte Auum die Klinge herum und stach sie einem Feind in den Hals, der röchelnd zu Boden ging. Ein erstickter Schrei entrang sich seiner zerstörten Kehle. Trotz des Kampflärms hatten es die Soldaten bemerkt und drehten sich um. Ihr Schicksal ereilte sie mit einer Geschwindigkeit, der sie nichts entgegensetzen konnten.
Auums Jaqrui heulte. Es war nicht die Zeit, um heimlich vorzugehen. Jetzt wollten sie Angst und Schrecken verbreiten. Die sichelförmige Klinge traf das Opfer über dem Gürtel im Bauch. Dueles Wurfstern grub sich in den Arm eines anderen Gegners. Beide schrien und wollten ihre Gefährten zu Hilfe rufen. Es war zu spät, die TaiGethen kamen über sie wie ein Wirbelsturm.
Duele nahm die zweite Klinge und zog sie dem Gegner durchs Gesicht. Auum suchte sich einen guten Stand und stieß den nächsten mit einem mächtigen Tritt zurück. Ein Schritt, und er versetzte ihm einen Schlag in den Nacken, dann stieg er über den stürzenden Mann hinweg. Er stach bereits dem Xeteskianer dahinter das Schwert in den Schenkel, als die Gegner noch nicht einmal ihre Verteidigung abgestimmt hatten.
Auum kämpfte ohne einen bewussten Gedanken und erreichte jene Ebene, auf der er sich selbst beinahe wie einen Fremden beobachtete. Er sah alles und wusste, dass Tual jede einzelne Bewegung dirigierte. Sie waren so langsam, diese Xeteskianer. Hilflos fuchtelten sie im engen Raum mit ihren schweren Klingen herum. Sie sollten für ihre Taten bezahlen. Jeder, der starb, tat Buße für die Verbrechen, die sie am Elfenvolk insgesamt und im Besonderen an Evunn und all jenen TaiGethen verübt hatten, die infolge der Entscheidungen ihrer Meister gefallen waren.
Eine kalte Ruhe überkam Auum. Seine Klinge arbeitete innerhalb der Deckung eines weiteren Feindes und durchbohrte dessen Auge. Seine freie Hand blieb unterdessen nicht untätig, er ballte sie zur Faust, um Nasen und Münder zu zerschmettern, er öffnete sie, um den Handballen auf eine Stirn oder Brust zu dreschen oder um mit gestreckten Fingern eine Luftröhre zu zerquetschen.
Sie kamen ihm nicht einmal nahe. Tänzelnd brachte er sich in Sicherheit, ehe sie zurückschlagen konnten, teilte leichtfüßig Tritte gegen Knie und Fußgelenke aus und fand rasch das Gleichgewicht wieder, um abermals zuzuschlagen oder Hieb auf Hieb zu unterlaufen.
Er hörte das Flüstern im Kopf – das Mantra, das den Göttern gewidmet war, denen er diente. Wieder und wieder hörte er es ohne Unterlass: Dienen will ich über den Tod hinaus und alles behüten, was ihr erschaffen habt.
Auums Klinge blockte einen Angriff ab, er wich einem zweiten Hieb aus, entging geduckt einem Armbrustbolzen und tötete einen weiteren Mann.
Wieder rückte er vor.
Thraun heulte und stieß sein Schwert einem Xeteskianer seitlich in den Kopf. Zitternd blieb es stecken, als der Mann vor ihm zusammenbrach. Der Gestaltwandler riss einen Dolch aus der Scheide und stürzte zur Tür, um einen weiteren hilflosen Wächter niederzumachen.
So musste es sein. Vor ihm, in dem Kampfgetümmel, das zu einer wilden Prügelei auf Leben und Tod ausgeartet war, liefen der Unbekannte und Hirad Gefahr, von den Feinden überwältigt zu werden. Blut rann aus einer Schnittwunde auf Hirads Stirn, seine beiden Arme waren verletzt, und während Thraun zuschaute, riss ein Schwertstreich seine Rüstung über der Brust auf. Das Leder färbte sich dunkel. Doch Hirad war alles andere als gelähmt. Die Schmerzen schienen ihn eher zu beflügeln, denn er griff sofort an und stach dem Gegner beide Waffen in die Brust.
Hinter Thraun wachte Denser über Erienne. Sein Mana-Vorrat war erschöpft, doch er schützte sie mit dem Schwert, falls Thraun fiel. Aber Thraun würde nicht versagen.
Er biss seinem Opfer die Nase ab, stach ihm das Messer in den Oberschenkel und legte ihm einen Arm um den Hals, um ihn an sich zu ziehen. Sosehr sich der Wächter auch wehrte, er konnte nicht entkommen. Einen Moment später stach Thraun ihm den Dolch durch die ungeschützte Schulter bis tief in den Brustkorb hinein.
Abermals knurrte der Gestaltwandler, ließ das Opfer fallen und suchte sich den nächsten Gegner, den er töten konnte. Er roch und schmeckte das Blut und den Tod. Erinnerungen an den Wald und die Jagd stiegen in ihm auf. Die Schmerzen über seinen Verlust trieben ihn weiter. Er wollte das Rudel, mit dem er jetzt lief, nicht wieder verlieren. Nie wieder, so lange er lebte.
Die Kämpfer vor ihm wollten zurückweichen, doch der Druck von der anderen Seite des Ganges ließ ihnen keinen Raum. Thraun bellte, sah die Angst in ihren Augen, bleckte die blutigen Zähne und griff an.
»Kommt doch her!«, rief Hirad. »Glaubt ihr Bastarde wirklich, ihr könntet mich kriegen?«
Sein ganzer Körper war von Schweiß und Blut bedeckt. Jeder Atemzug brannte in den Lungen, die Arme und Beine zuckten vor Schmerzen, in seinem Kopf hämmerte es. Überall lagen Leichen auf dem Boden, sodass er kaum noch stehen konnte. Als er die Schnittwunde auf der Brust abbekommen hatte, war er gestrauchelt, und es hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Er spürte die Wunde jedes Mal, wenn er zuschlug, und obwohl er schon viele Gegner erledigt hatte, rückten immer mehr nach.
Er fing den Blick eines verängstigten blutjungen Soldaten auf und knurrte. Der Bursche wich seitlich aus und brach im nächsten Moment zusammen, gefällt vom wuchtigen Schlag des Unbekannten gegen seine Schläfe. Die Klügeren hatten inzwischen die Schwerter abgelegt und drängten sich im begrenzten Raum, um jeweils zu zweit oder gar zu dritt einen Rabenkrieger anzugreifen.
Er und der Unbekannte wehrten sich nach Kräften und benutzten ihre Gegner als Schilde gegen die Armbrüste und Magier, die nicht schießen und keine Sprüche wirken konnten, weil sie sonst ihre eigenen Leute getroffen hätten. Er fürchtete allerdings, ein Seniormagier oder ein Meister des Kreises der Sieben könnte in den Kampf eingreifen. Sie waren durchaus fähig, individuelle Ziele zu treffen, wo auch immer sie sich befanden.
Davon durfte er sich jedoch nicht beirren lassen. Er schlug zu, erwischte den Arm eines Wächters und spürte, wie sich das Messer tief in dessen Fleisch bohrte und Sehnen und Muskeln durchtrennte. Der Mann keuchte und ließ die Klinge fallen. Hirad setzte nach, packte das Heft seines Dolchs fester und schlug es dem Mann auf den Mund. Zähne brachen, Blut spritzte aus der aufgeplatzten Lippe und dem zerfetzten Zahnfleisch. Gleich danach folgte seine linke Hand und jagte dem Gegner das Messer in den Schritt. Sofort drehte er das Messer noch einmal herum, ehe er es herauszog. Der Wächter ging zu Boden, presste die Hände auf die Wunde und war kampfunfähig.
Nicht zum ersten Mal verschwamm sein Blick. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Ein Faustschlag traf seine Wange, er taumelte einen Schritt zurück. Ein Schwert näherte sich bedrohlich, und er hatte keine Verteidigungsmöglichkeit mehr. Doch die Klinge erreichte ihn nicht. Ihr Besitzer zuckte heftig und stürzte. Aus seinem Hinterkopf ragte eine gekrümmte Metallklinge.
Hirad blickte zur Treppe hoch. Dort oben herrschte Panik, und aus gutem Grund. Die TaiGethen hatten wieder in den Kampf eingegriffen und bewegten sich so schnell, dass man kaum mit dem Auge folgen konnte. Jeder Hieb traf sein Ziel.
»Ja!«, rief Hirad. »Ja!«
Neue Energie durchflutete ihn. Er blickte nach rechts. Der Unbekannte drosch seinem Gegner die Faust aufs Kinn, der Schlag riss den Mann von den Beinen und warf ihn gegen die beiden Soldaten, die hinter ihm standen. Darrick rief Rebraal etwas Aufmunterndes zu. Das Blatt wendete sich zu ihren Gunsten.
Ein Magier wich auf den Treppen vor ihnen zurück. Hirad knurrte, doch zwischen ihm und dem Mann standen noch einige Feinde. Er unterlief die Deckung eines Soldaten, duckte sich unter einem weiten Schwinger hindurch und versenkte mit einem aufwärts geführten Stich sein Messer im Bauch des Mannes. Ohne innezuhalten, stieß er den Sterbenden zur Seite, schlug einem anderen Soldaten, der auf den Unbekannten losgehen wollte, die Faust ins Gesicht und drang weiter vor.
Der Rabe würde siegen, der Kampf wäre bald vorbei.
Vuldaroq und Heryst hatten sich über die Nachrichten aus Xetesk gefreut. Ihre Spione im Dunklen Kolleg waren sehr geschickt und gut getarnt, und die Herren der Kollegien hatten sich, jeder in seinen Gemächern, bequem niedergelassen und in einer gemeinsamen Kommunion erfahren, wie der Überfall der Elfen Chaos und Vernichtung über Xetesk gebracht hatte.
Sie waren pikiert, weil man es versäumt hatte, sie vorher zu konsultieren, zeigten sich aber zufrieden angesichts des Zerstörungswerks, und Vuldaroq sah nicht den geringsten Grund, mürrisch zu reagieren. Nun ja, beinahe jedenfalls. Er war nicht sehr angetan von der Al-Arynaar-Magierin, von der die Kommunion ausgegangen war. Die lysternischen und dordovanischen Magier hatten sie unter Druck gesetzt und gedrängt, direkt mit den jeweiligen Herrschern zu reden. Anscheinend war die Frau jedoch der Ansicht, die Angelegenheiten der Elfen gingen niemanden sonst etwas an. Vuldaroq war es nicht gewohnt, auf diese Weise behandelt zu werden. Auch Heryst war nicht erbaut, doch das lysternische Oberhaupt hatte gute Gründe, nicht zu laut zu protestieren. Er hatte den Raben entkommen lassen, und diese Peinlichkeit war nicht so leicht aus der Welt zu schaffen.
»Wann erwartet Ihr die Rückkehr Eures Kommandos?« Vuldaroq staunte immer noch, dass jemand so leicht in die Stadt und sogar ins Kolleg eindringen konnte, doch offenbar war genau dies geschehen.
»Das ist uns nicht bekannt«, entgegnete Dila’heth. »Vielleicht kehren sie überhaupt nicht zurück. Wir vermögen es nicht zu sagen.«
»Dennoch seid Ihr sicher, dass sie ihre Aufgaben im Kolleg erledigen«, bohrte Vuldaroq.
»Eure Spione können Euch sicher mehr darüber berichten. Die Nachricht, dass die Bibliothek überfallen wurde, ist gewiss ein sehr gutes Zeichen. Auum wird lieber sterben, als das Aryn Hiil zu verlieren, falls er es dort gefunden hat.«
Sie wirkte sehr müde. Der Druck auf die Belagerungstruppen, das zweite Versagen des julatsanischen Manas, die Belastung, mit den Anführern zweier Kollegien zu sprechen, all das forderte seinen Tribut.
»Es tut mir leid, dass wir Euch so sehr beanspruchen«, warf Heryst ein. Sanft wie Balsam, der auf eine Wunde träufelte, berührten seine Gedanken Vuldaroqs Geist. »Wir haben jedoch noch weitere Fragen. Wollten Eure Brüder dem Dunklen Kolleg nicht während ihres Einsatzes so viel Schaden wie möglich zufügen?«
»Euer Streit geht uns nichts an. Wir sind hier, um zurückzuholen, was uns gestohlen wurde«, entgegnete Dila’-heth. »So war es von Anfang an, und sobald wir Gewissheit haben, werden wir uns nach Norden wenden und Julatsa aufsuchen, wie Euch bereits bekannt ist.«
»Selbstverständlich«, lenkte Vuldaroq ein. »Und wir möchten Euch aus ganzem Herzen für jede Hilfe danken, die Ihr uns gebt. Unser Herz wird stets für das Elfenvolk schlagen.«
»Seid nicht so herablassend, Dordovaner«, sagte Dila’-heth. »Eure Konflikte haben Calaius Schaden zugefügt. Xetesk mag jetzt gerade der Hauptschuldige sein, doch keiner von Euch ist völlig ohne Schuld.«
»Junge Dame, ich …«, wollte Vuldaroq sagen.
»Ich denke, Vuldaroq wollte Euch nur wissen lassen, dass wir Euch für Euer Eingreifen ewig dankbar sein werden. Wir haben Eurem Land nicht absichtlich Schaden zugefügt und wollen dafür sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird, indem wir das gegenwärtige Regime in Xetesk beseitigen.«
»Verzeiht mir«, sagte Dila. »Dieser Krieg hinterlässt bei uns allen seine Spuren.«
»So ist es«, sagte Vuldaroq. »Fühlt Euch bitte nicht angegriffen.«
»So habe ich es nicht empfunden.«
»Gut«, sagte Vuldaroq. Er holte tief Luft. »Da wäre noch etwas. Wie wir hörten, gab es Kämpfe in den Türmen und Katakomben von Xetesk, auch wenn wir aus offensichtlichen Gründen keine Einzelheiten erfahren konnten. Ich wusste gar nicht, dass die Elfen auch diese Bereiche angreifen wollten.«
»Das tun sie auch nicht. Der Ra…« Dila unterbrach sich, doch es war zu spät.
»Wie bitte?« Vuldaroq war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.
»Es gibt noch andere Ziele im Kolleg«, beeilte Dila sich zu sagen. »Ich habe nicht alle Gespräche der TaiGethen mit ihren Ratgebern verfolgt.«
»Bei diesen Ratgebern handelt es sich offenbar um die Rabenkrieger«, erwiderte Vuldaroq beiläufig.
»Das habe ich nicht gesagt«, gab Dila’heth kühl zurück. »Wenn es weiter nichts zu besprechen gibt – ich muss morgen wieder einen Krieg führen.«
»Euch ist sicher bekannt, dass die Verbündeten den Raben suchen«, sagte Heryst. »Sie sind Kriminelle, die festgesetzt werden müssen.«
»Sie sind die Freunde der Elfen«, erwiderte Dila vorsichtig.
»Und was soll das heißen?«, fragte Vuldaroq.
»Das heißt, dass ich sie nicht denen ausliefern würde, die ihnen etwas antun wollen, selbst wenn ich wüsste, wo sie sind.«
»Sie sind Geächtete«, sagte Vuldaroq.
»Sie haben fast im Alleingang das Volk der Elfen gerettet. Ihr Opfer spricht sie in den Augen der Elfen von jedem Verbrechen frei.«
»Sagt mir«, bohrte Vuldaroq, »sind sie nun in Xetesk oder nicht?«
»Ihr habt gehört, was ich zu sagen hatte«, erwiderte Dila. »Soll ich es wiederholen?«
»Wir werden uns wieder sprechen, wenn Ihr nicht mehr ganz so müde seid«, sagte Vuldaroq.
»Ich glaube nicht.«
Die Verbindung brach ab, und Vuldaroq war mit Heryst allein.
»Ich denke, damit hat Eure Demütigung einen krönenden Abschluss gefunden, Lord Heryst.«
»Spart Euch die ermüdenden Sticheleien, Vuldaroq. Wir haben wichtige Dinge zu besprechen.«
»Ach, wirklich?« Vuldaroq lächelte vor sich hin, doch das Lachen sollte ihm rasch vergehen.
»Die Rabenkrieger sind mehr als ein bloßes Ärgernis und eine Bande von Flüchtlingen«, fuhr Heryst fort. »Fahrt nicht gleich aus der Haut und vergesst zunächst einmal, was passieren mag, wenn sie aus Xetesk fliehen können. Überlegt Euch vielmehr, was geschehen wird, wenn ihnen die Flucht nicht gelingt. Ich will Euch nicht wie einen Narren behandeln. Ihr habt, genau wie ich, die Gerüchte vernommen, die sich um Erienne ranken. Es scheint so, als säße sie im Dunklen Kolleg fest. Dystran weiß, was wir beabsichtigen. Was, wenn sie nun gefangen wird?«
Vuldaroq überlegte. »Wir müssen sie retten. Zum Wohle von ganz Balaia.«
»In der Tat«, stimmte Heryst zu. »Es geht um mehr als um Euren oder meinen Vorteil. Wenn sie das ist, was wir glauben, dann wird sie sich nicht so leicht ausschalten lassen wie ihre Tochter.«
»Doch in wessen Hände wird sie fallen?«
Heryst seufzte. »Das dürfte kaum das Problem sein, solange es nicht Xetesk ist. Bitte, Vuldaroq, lasst uns nicht darüber streiten. Es ist für uns beide zu wichtig.«
»Sie ist eine Dordovanerin«, sagte Vuldaroq. »Sie gehört mir.«
»Wenn sie eine Magierin des Einen ist, dann gehört sie niemandem. Genau das ist das Problem.«
»Wenn Ihr sie fangt, dann werdet Ihr sie mir ausliefern«, verlangte Vuldaroq.
»Macht Euch nicht lächerlich. Jeder Versuch, sie zu fangen, muss ein gemeinsamer Versuch sein. Und die Belohnung muss geteilt werden«, erwiderte Heryst.
»Aber wenn sie nun flieht und Euch in die Hände fällt?«
»Oder Euch?«
»Vielleicht müssen wir uns darauf einigen, dass wir in diesem Punkt uneins sind«, sagte Vuldaroq.
»Vuldaroq!« Herysts Stimme hallte schmerzhaft laut im Schädel des dordovanischen Erzmagiers. »Dies ist kein Streit über Nachschubwege oder die Kommunikation auf dem Schlachtfeld. Dies betrifft die Zukunft von ganz Balaia. Es geht um ein Balaia, in dem wir beide das Gleichgewicht wiederherstellen wollen. Oder irre ich mich etwa?«
Vuldaroq schwieg
Was als verzweifelter Ausbruchsversuch begonnen hatte, endete in einem Gemetzel. Von den TaiGethen hinter ihnen in Panik versetzt, hatten die xeteskianischen Wächter die Flucht nach vorn angetreten und sich dem Raben genähert. Im hin und her wogenden Gedränge konnten sie jedoch ihre Armbrüste nicht mehr anlegen, was Thraun und dann auch Hirad die Möglichkeit gab, bis zu den wehrlosen Magiern vorzustoßen.