Jäger des Feuers - James Barclay - E-Book

Jäger des Feuers E-Book

James Barclay

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Beschreibung

Die beste Söldnertruppe der Welt zieht wieder in die Schlacht ...

Sie sind die härteste Söldnertruppe der Welt – sechs Krieger und ein Magier: der »Bund des Raben«. Seitdem die finsteren Wytchlords ihr Land in einen blutigen Krieg gestürzt haben, eilen die Raben von Schlacht zu Schlacht, um der grausamen Magie der Unholde Einhalt zu gebieten. Ein Auftrag, der dem Bund des Raben alles abverlangt – bis zum letzten Blutstropfen...

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DER ROMAN

Sie nennen sich »Der Bund des Raben«. Sieben Söldner, kampferprobt in vielen Schlachten, und seit dem Sieg über die finsteren Wytchlords steht fest: In ihrer Heimat Balaia sind sie die Besten. Dieser Sieg hatte allerdings seinen Preis. Der mächtige Zauber, mit dem die Bedrohung der Wytchlords schließlich besiegt wurde, hat den Himmel zerrissen und die Tore zur Welt der Drachen geöffnet  – eine Welt, von der bislang nur in Ammenmärchen und Sagen erzählt wurde, und die nun auf erschreckende Weise real geworden ist. Denn das Heer der Drachen sinnt auf die Vernichtung der Menschen, und im heraufziehenden Krieg kann keiner Freund und Feind auseinanderhalten. Doch die Raben stehen vereint gegen den Untergang ihrer Welt. Vereint bis zum letzten Blutstropfen …

 

»James Barclays Fantasy-Romane lesen sich wie Thriller: mächtige Krieger, finstere Magier und knallharte Action!« The Guardian

 

James Barclays DER BUND DES RABEN:

 

Erster Roman: Dieb der Dämmerung

Zweiter Roman: Jäger des Feuers

Dritter Roman: Reiter der Nacht

DER AUTOR

James Barclay wurde 1965 in Suffolk geboren. Er begeisterte sich früh für Fantasy-Literatur und begann bereits mit dreizehn Jahren, die ersten eigenen Geschichten zu schreiben. Nach seinem Abschluss in Kommunikationswissenschaften besuchte Barclay eine Schauspielschule in London, entschied sich dann aber gegen eine Bühnenkarriere. Seit dem sensationellen Erfolg seiner Romane um den »Bund des Raben« konzentriert er sich ganz auf das Schreiben. James Barclay ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt und arbeitet in Teddington bei London.

 

Mehr zu Autor und Werk unter: www.jamesbarclay.com

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Titel der englischen Originalausgabe NOONSHADEDeutsche Übersetzung von Jürgen Langowski

Ausgabe 1/2011

Redaktion: Rainer Michael Rahn

Copyright © 2000 by James Barclay

Copyright © 2010 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Karte: Franz Vohwinkel

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN 978-3-641-08700-5V002

www.heyne-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

DER ROMANDER AUTORWidmungPersonenverzeichnisPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37DanksagungCopyright

Für meine Eltern Keith und Thea Barclay.Ihr wart immer da und immer wundervoll.

Personenverzeichnis

DER RABEHirad Coldheart, BarbarenkriegerRas, KriegerRichmond, KriegerTalan, KriegerSirendor Larn, KriegerDer Unbekannte KriegerIlkar, Julatsa-MagierXETESKStyliann, Herr vom BergeMagisches KollegDenser, SeniormagierSelyn, Magier-SpioninNyer, Densers MentorLaryon, Meister der ForschungSol, ein ProtektorDORDOVERErienne, Hüterin der MagieMagisches KollegAlun, Eriennes GatteThraun, KriegerJandyr, Elfen-BogenschützeWill Begman, DiebVuldaroq, Herr des TurmsLYSTERNHeryst, Lordältester MagierMagisches KollegRy Darrick, ArmeegeneralJULATSABarras, HauptunterhändlerMagisches KollegBARONE, LORDS UND SOLDATENBlackthorne, Baron im Süden Gresse, Baron im Südosten Tessaya, Lord der Wesmen Travers, ein Hauptmann

Prolog

Die Schwingungen in seinem Kopf wurden stärker. In der Dunkelheit des Choul, tief unter dem Dschungel von Teras, regte sich nervös die schlummernde Brut. Die meisten verstanden nicht, was sie fühlten.

Wie ein Juckreiz, der sich durch Kratzen nicht vertreiben lässt, drang das Summen in seine Gedanken und ließ ihm keine Ruhe. Er öffnete ein riesiges blaues Auge, die Pupille weitete sich, um sich an das schwache Licht anzupassen, das durch den Eingang hoch droben fiel, und er sah den ausgehöhlten feuchten Fels, die Lianen, die herunterkrochen, und die Flechten, die sich an jede geeignete Fläche klammerten. Er sah einen Flügel flattern, einen Hals zittern und Krallenfüße scharren, als die Brut viel zu früh erwachte. Er spürte, wie ihr Puls schneller ging, wie die Lungen grollend die Luft einsogen, und wie die Mäuler weit geöffnet wurden.

Ein gewaltiger Schauder lief durch seinen Körper, und Sha-Kaans Herz setzte einen Moment aus. Die Vibration, der Vorbote einer Katastrophe, lärmte in seinem Kopf. Er richtete sich auf und entfaltete die gewaltigen Schwingen, um zu fliegen. Ein Schrei formte sich in seinem Maul. Er rief die Brut und führte sie aus dem Choul heraus, dem Licht entgegen zum weiten, brodelnden Himmel, wo gerade eben eine neue Schlacht begann.

1

Es sollte ein ruhmreicher Sieg werden. Lord Senedai von den Heystron-Stämmen stand auf einer erhöhten Plattform und beobachtete die Rauchwolken, die über Julatsa wallten. Ein Gebäude nach dem anderen wurde dort in Brand gesteckt, köstlich stieg ihm der beißende Rauch in die Nase. Durch die Schwaden sah er das weiße und schwarze Feuer, das seine Schamanen dank der Verbindung zu den Wytchlords erzeugen und als Waffe benutzen konnten, um das, was im Herzen der Stadt noch übrig war, in Schutt und Asche zu legen. Die Julatsaner hatten ihnen nichts entgegenzusetzen.

Das weiße Feuer entsprang den Fingerspitzen von einhundert Schamanen und fraß den Stein und das Fachwerk der einstmals stolzen Kollegstadt. Gebäude, Zäune und Barrikaden wurden in Trümmer gelegt. Wo Männer und Frauen entsetzt fortliefen, riss ihnen das schwarze Feuer das Fleisch von den Knochen und ließ ihre Augen im Schädel platzen, während sie kreischend und qualvoll starben.

Senedai empfand kein Mitgefühl. Er sprang von der Plattform herunter und rief seine Leutnants zu sich. Jetzt hielten nur noch die Magier seinen Vorstoß zum Kolleg auf. Sie schirmten große Bereiche am Stadtrand ab, und die feindlichen Soldaten schützten die Magier vor den Schwertern seiner Krieger. Es war an der Zeit, diesen lästigen Widerstand zu beseitigen.

Als er ins Schlachtgetümmel rannte, Befehle gab und zusah, wie die Standarten und Banner geschwenkt wurden, während die Stämme seinen Befehlen Folge leisteten, entstand vor ihm eine Flammenwand. Die magische Explosion griff um sich; Schamanen wurden von den Flammen erfasst und starben wie die Fliegen.

»Angreifen, angreifen!«, befahl er. Hier, direkt vor ihm, war der Schlachtlärm ohrenbetäubend. Schwerter klirrten, und die Männer schrien panisch oder vor Furcht und vor Schmerzen. Befehle wurden gebrüllt, manchmal verzweifelt und manchmal siegesgewiss, und er hörte Metall auf Leder klatschen, Steine poltern und Balken knacken.

Seine Leibwache bildete einen schützenden Halbkreis um ihn, während er sich knapp außerhalb der Bogenschuss-Reichweite hielt, wie es alle bis auf die verwegensten Schamanen taten. Die Reihen der Julatsaner waren fast aufgerieben und standen kurz vor dem Zusammenbruch. Sobald die feindlichen Linien durchbrochen waren, konnten sie geradewegs bis zu den Mauern des Kollegs vorstoßen.

Hornsignale wurden gegeben, und seine Krieger griffen erneut an. Hinter den feindlichen Linien wurden die Magier vom schwarzen Feuer in Stücke gerissen, noch während sie ihre schützenden Sprüche wirkten. Er konnte die Qualen der Gegner fühlen, und die Äxte seiner Wesmen hoben und senkten sich und ließen Blut in den rauchigen, trüben Himmel spritzen.

»Die Magier auf der rechten Seite müssen vernichtet werden!«, rief er einem Leutnant zu. »Gib sofort das Signal! « Der Boden erbebte unter der mächtigen julatsanischen Magie, kalte Luft vertrieb die Wärme des Tages, und aus dem Himmel regneten brennende Tropfen herunter. Seine Stammesbrüder bezahlten teuer für jeden Schritt, den sie machten.

Eine Abteilung Schamanen löste sich aus dem Verband und rannte nach rechts. Sobald sie sich in Bewegung setzten, wurden sie mit einem Pfeilhagel eingedeckt. Einer stürzte und wand sich hilflos am Boden, als ein Pfeil tief in seinen Oberschenkel eindrang. Er wurde zurückgelassen. Senedai sah den anderen nach und schauderte, als ihre Hände und Lippen sich bewegten, während sie das Feuer aus den abgrundtiefen schwarzen Seelen der Wytchlords heraufbeschworen und seine entsetzliche Kraft auf die hilflosen Opfer lenkten.

Doch während er die Schamanen beobachtete, spürte er eine Veränderung. Das Feuer, das vor den ausgestreckten Fingern pulsierte, wurde kurz stärker, dann flackerte es und erstarb. Irgendetwas lief wie eine Welle durch die Stämme. Überall auf dem Schlachtfeld wurden Rufe laut, die Schamanen starrten ihre Hände und dann einander an, verständnislos und plötzlich voller Furcht.

Vom Feind waren Jubelrufe zu hören, die auf alle Linien der Verteidiger übergriffen. Sofort nahm das Sperrfeuer der Sprüche an Heftigkeit zu, und die Verteidiger nutzten die Verwirrung, die von den Wesmen Besitz ergriffen hatte. Die Angreifer wurden zurückgetrieben.

»Mein Lord?«, fragte ein Hauptmann. Senedai drehte sich zu ihm um. Das Gesicht des Mannes verriet eine Furcht, die eines Wesmen-Kriegers unwürdig war, und der Feldherr spürte eine heiße Wut in sich aufsteigen. Er betrachtete noch einmal den erlahmenden Angriff und die Magie, die seine Männer vernichtete, er sah die Schwerter der erschöpften Verteidiger, die auf einmal mit frischer Kraft und Entschlossenheit geschwungen wurden. Er stieß den Hauptmann zur Seite und rannte, ohne Rücksicht auf das Risiko, nach vorn.

»Bei allen Geistern, sind wir denn auf einmal keine Krieger mehr?«, überbrüllte er den Schlachtlärm. »Hörner, blast zum Angriff! An allen Fronten angreifen! Zur Hölle mit der Magie, wir kämpfen mit Stahl. Greift an, ihr Bastarde, greift an!« Er stürzte sich in den Kampf, seine Axt fuhr durch die Schulter eines Julatsaners, der seine Stadt verteidigen wollte. Der Mann brach zusammen, und Senedai trampelte über die Leiche hinweg, riss die Axt heraus und schlug sie mit der flachen Seite dem nächsten Gegner ins Gesicht. Ringsum folgten die Stammesbrüder seinem Beispiel und begannen, Schlachtlieder zu singen, während sie zum Angriff übergingen.

Die Hörner gaben neue Befehle, die schwankenden Standarten wurden von den Trägern aufgerichtet und nach vorn gebracht. Die Wesmen stürzten sich wieder in die Schlacht um Julatsa, ignorierten die Sprüche, die ihren Gefährten den Tod brachten, und schlugen erbarmungslos zu. Die Verteidiger wichen unter dem ungestümen Angriff zurück.

Lord Senedai wagte es, sich einen Moment zwischen den Schlachtreihen umzuschauen. Viele Krieger würden ohne das Feuer der Wytchlords sterben, aber die Wesmen, so glaubte er, mussten dennoch siegreich bleiben. Er prägte sich die Positionen ein, an denen Trupps von offensiven Magiern standen, wehrte einen ungeschickten Hieb ab und stürzte sich wieder ins Kampfgetümmel.

 

Der Rabe stand schweigend auf Parves zentralem Platz. Die Schlacht war gewonnen. Dawnthief war gewirkt worden, die Wytchlords waren vernichtet, und ihre Stadt war abermals ein Ort der Toten. Über ihnen hing der Nachhall von Dawnthief braun und wabernd in der Luft, ein fremder und bösartiger Fleck, der wie ein lauerndes Raubtier über Balaia schwebte. Es war ein Dimensionsriss, der ins Nichts führte.

Auf der anderen Seite des Platzes hatten Darrick und die Überreste der Kavallerie der vier Kollegien jeden noch vorhandenen Widerstand beseitigt. Jetzt stapelten sie die Leichen auf primitiven Scheiterhaufen – die Jünger der Wytchlords, die Wesmen und die Wächter auf einer Seite, die eigenen Gefallenen auf der anderen. Die Behutsamkeit, mit der die toten Kavalleristen bewegt wurden, stand in krassem Gegensatz zur Behandlung der toten Feinde, die respektlos geschleift und übereinander geworfen wurden. Styliann und die Protektoren waren in die verwaiste Pyramide eingedrungen und durchsuchten den Schutt, um Aufschluss zu bekommen, wie dieser uralte, entsetzliche Schrecken erneut hatte erstarken können.

Die Stille auf dem Platz war beinahe körperlich spürbar. Keiner von Darricks Männern sagte ein Wort, während sie ihrer undankbaren Arbeit nachgingen. Am Himmel unter dem Riss flog kein einziger Vogel, und der Wind, der über das offene Land wehte, schien sich auf ein Flüstern zu beschränken, sobald er um Parves Gebäude strich.

Was den Raben anging, so wurde auch dieser Sieg von einem Verlust überschattet.

Denser stützte sich schwer auf Hirad, und Erienne legte ihm auf der anderen Seite den Arm um die Hüfte. Ilkar stand beim Barbaren. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Grabes, waren Will, Thraun und der Unbekannte Krieger. Alle starrten den verhüllten Leichnam Jandyrs an. Der Bogen des Elfenkriegers lag neben ihm, das Schwert auf dem Toten.

Der Rabe trauerte schweigend. Im Augenblick des Triumphs war Jandyr das Leben genommen worden. Nach allem, was er durchgemacht hatte, war das ein höchst ungerechtes Ende.

Für Ilkar wog der Verlust besonders schwer. Es gab nicht viele Elfen in Balaia. Meist bevorzugten sie die warmen Länder im Süden, und nur die wenigen, die von der Magie gerufen wurden, reisten zum Nordkontinent. Angesichts der kleinen Zahl war der Verlust eines Kriegers wie Jandyr ein schwerer Schlag. Ganz besonders betroffen waren Will und Thraun. Ihr alter Freund war im Dienst für Balaia und den Raben gefallen. Was als einfaches Rettungsunternehmen begonnen hatte, war als verzweifelte Jagd auf den Stufen vor dem Grabmal der Wytchlords zu Ende gegangen, nachdem der einzige Spruch gesucht und gewirkt worden war, der Balaia vor dem uralten Bösen retten konnte. Doch Jandyr war gestorben, bevor er sehen konnte, wie Dawnthief erfolgreich eingesetzt wurde. Das Leben war manchmal grausam. Grausam wie der Tod im falschen Augenblick.

Der Unbekannte sprach die Abschiedsworte des Raben. »Im Norden, im Osten, im Süden und im Westen. Auch wenn du fort bist, wirst du immer zum Raben gehören, und wir werden dich nie vergessen. Die Götter sollen lächelnd auf deine Seele herunterschauen. Gut soll es dir ergehen bei allem, was dir jetzt und in der Ewigkeit noch begegnen mag.«

Will nickte. »Danke«, sagte er. »Ich weiß eure Achtung und Ehrerbietung zu schätzen. Aber jetzt möchten Thraun und ich eine Weile mit ihm allein sein.«

»Selbstverständlich«, sagte Ilkar und entfernte sich.

»Ich bleibe noch ein Weilchen«, sagte Erienne, die sich von Denser löste. »Schließlich war er bereit, meine Kinder zu retten.« Will nickte, und sie kniete sich neben das Grab und teilte mit dem Dieb und dem Gestaltwandler Thraun den Kummer und die Trauer.

Der Unbekannte, Hirad und Denser gesellten sich zu Ilkar, und zu viert ließen sie sich im Windschatten vor dem Eingang der Pyramide nieder. Der Riss hing drohend und riesig über ihnen. Weiter draußen auf dem Hauptplatz stapelten Darricks Männer Leichen übereinander und bereiteten die Scheiterhaufen vor. Große Lachen von getrocknetem Blut bedeckten die Pflastersteine. Hier und dort wehte ein abgerissenes Tuch im warmen Wind hin und her. Styliann und die Protektoren waren noch im Innern der Pyramide und nahmen zweifellos jede Rune, jedes Gemälde und jedes Mosaik auseinander.

General Ry Darrick kam herüber und setzte sich zu ihnen, als der Unbekannte Becher mit Kaffee aus Wills blubberndem Topf verteilte. Die Krieger schwiegen eine Weile.

»Ich bringe es nur ungern zur Sprache«, sagte Darrick, »aber so groß unser Sieg auch ist, wir zählen höchstens dreihundert, und zwischen uns und der Heimat stehen gut und gern fünfzigtausend Wesmen.«

»Ist das nicht seltsam?«, meinte Ilkar. »Wenn man sich vorstellt, was wir alles erreicht haben, und doch haben wir Balaia lediglich eine Chance gegeben, weiter nichts. Nichts ist gesichert.«

»So viel zu der Aussicht, wir könnten uns auf unseren Lorbeeren ausruhen«, sagte Hirad.

»Unterschätze nicht, was wir erreicht haben«, widersprach Denser, der die Hände unter den Kopf geschoben und es sich bequem gemacht hatte. »Wir haben den fast sicheren Triumph der Wytchlords und ihre Vorherrschaft über Balaia vereitelt. Noch wichtiger, wir haben sie vernichtet und uns selbst neue Hoffnung geschenkt. Auf diesen Lorbeeren darfst du dich ausruhen.«

»Ich will’s versuchen«, sagte Hirad. Das Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück.

»Vergiss nicht«, fuhr Denser fort, »dass die Wesmen keine Magie haben.«

»Dafür haben wir keine Armeen«, wandte Ilkar ein.

»Ich frage mich, ob überhaupt noch ein Land da ist, in das wir zurückkehren können«, überlegte der Unbekannte.

»Eine Kommunion würde sicher helfen, einige Dinge zu klären«, stimmte Denser zu.

»Danke für deine unnützen Ratschläge, Denser«, sagte Ilkar. »Warum schläfst du dich nicht einfach mal aus?«

»War doch nur ein Gedanke«, meinte der Xetesk-Magier pikiert.

»Wir sind aber leider viel zu weit entfernt, um über diese Entfernung eine Kommunion zu versuchen, nicht wahr?« Ilkar klopfte ihm auf die Schulter.

»Selyn hat es geschafft«, mischte Styliann sich ein. Die Rabenkrieger fuhren hoch und drehten sich um. Der Herr vom Berge von Xetesk trat aus den Schatten im Eingangstunnel der Pyramide. Er war bleich und müde, sein Haar hing strähnig auf der Schulter. Der geflochtene Pferdeschwanz hatte sich längst aufgelöst.

»Darf ich?« Er deutete zum Topf. Der Unbekannte zuckte mit den Achseln und nickte. Styliann füllte sich einen Becher und setzte sich zum Raben.

»Ich habe nachgedacht«, sagte er.

»Haben Eure Fähigkeiten denn überhaupt keine Grenzen?« , murmelte Denser.

Stylianns Augen blitzten. »Die Dawnthief-Katalysatoren mögen zerstört sein, Denser, doch ich bin immer noch Euer vorgesetzter Magier. Das solltet Ihr nicht vergessen.« Er hielt inne. »Selyn war auf die Kommunion spezialisiert. Sie hat berichtet, dass, unmittelbar bevor sie die Stadt betrat, große Verbände der Wesmen Parve in Richtung Understone verlassen hätten. Diese Truppen haben Understone noch nicht erreicht, deshalb werden wir auf sie stoßen, bevor wir selbst den Pass erreichen.« Styliann biss die Zähne zusammen, als habe er Schwierigkeiten, die nächsten Worte auszusprechen. »Wir sollten vorläufig zusammenarbeiten.«

Die Atmosphäre kühlte sich merklich ab. Schließlich ergriff der Unbekannte das Wort. »Euer letztes Eingreifen war zwar willkommen, aber kaum ein gezielter Versuch, uns zu helfen. Davor habt Ihr Euch große Mühe gegeben, uns alle zu töten. Ihr wolltet sogar die Protektoren auf mich hetzen. Und jetzt auf einmal wollt Ihr mit uns zusammenarbeiten?« Der Unbekannte blickte zur Pyramide, und sein Gesicht verriet, wie empört er war.

»Wir sind ohne Eure Hilfe hierher gekommen. Wir werden auch ohne Eure Hilfe wieder zurückkommen«, sagte Hirad.

Styliann betrachtete sie ruhig, ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen.

»Ihr seid gut, das muss ich euch lassen«, sagte er. »Aber Ihr überseht, wie schwierig Eure Lage ist. Ohne Hilfe wird der Rabe niemals den Osten erreichen. Vergesst nicht, dass der Understone-Pass eigens für Euch geöffnet wurde. Inzwischen dürfte er mit ziemlicher Sicherheit wieder gesperrt sein. Ich verfüge über genügend Reichweite in der Kommunion und dazu über genügend Verbindungen, um Euch auf die andere Seite zu bringen. Ihr dagegen nicht, und Darrick ist letzten Endes mir und den vier Kollegien verantwortlich.«

»Das klingt so, als brauchtet Ihr uns überhaupt nicht«, sagte Hirad, und Styliann lächelte.

»Den Raben kann man immer mal wieder gut gebrauchen.«

Der Unbekannte nickte leicht. »Dann nehme ich an, Ihr habt eine Idee?«

»Einen Weg, ja. Die militärische Taktik überlasse ich lieber dem General.« Er blickte zu Darrick, der den Wortwechsel schweigend verfolgt hatte. Sein Gesicht hatte sich ein wenig verdüstert, als er an seine Position in der Befehlshierarchie erinnert worden war.

»Vielleicht solltet Ihr uns sagen, an welchen Weg Ihr denkt, mein Lord«, sagte Darrick.

Hirads Kopf dröhnte. Er brauchte etwas zu trinken. Am besten Alkohol, um die Schmerzen eine Weile zu vertreiben. Er stand mühsam auf und wollte zum Feuer gehen.

»Alles klar, Hirad?«, fragte Ilkar.

»Eigentlich nicht«, antwortete der Barbar. »Mein Kopf bringt mich um.« Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Das Gefühl verging rasch wieder, doch in der Atmosphäre hatte sich etwas verändert. Eine Bewegung war zu spüren, die nichts mit dem Lufthauch zu tun hatte, der sie warm umwehte.

Hirad hielt inne und schaute zum Himmel hinauf, zum klaren blauen Himmel, in dem der riesige Riss leicht wallte. Dann auf einmal geriet die gescheckte braune Fläche in heftige Bewegung, warf Blasen und wölbte sich nach außen. Ein Loch entstand, und ein Bellen oder Brüllen störte den mehr oder weniger friedlichen Nachmittag. Ein triumphierendes, apokalyptisches, ein wahrhaft schreckliches Geräusch.

Hirad kreischte, drehte sich um und rannte blindlings in Richtung der meilenweit entfernten Wälder im Osten davon. Alle Ängste, die er seit seiner ersten Begegnung mit Sha-Kaan gehegt hatte, wurden schlagartig wahr.

So kurz nach dem Sieg sahen sie sich nun einer noch viel schlimmeren Niederlage und der völligen Vernichtung gegenüber. Am Himmel von Balaia kreiste ein Drache.

 

Dieser Weg war ihm der liebste – der Weg des Schwerts. Die Wesmen waren Krieger, keine Magier. Dank der Macht der Wytchlords hatten sie zwar ihre Siege viel schneller erringen können, als er es zu hoffen gewagt hatte, doch Lord Tessaya war sicher, dass sie auch ohne das weiße und schwarze Feuer gesiegt hätten.

Jetzt war die Magie, ob geborgt, gestohlen oder geschenkt, verschwunden. Die Schamanen hatten nicht mehr die Befehlsgewalt, und die Wesmen gehorchten wieder ihren Stammesfürsten. Es war zugleich erschreckend und aufregend. Sollte die Einheit zerfallen, dann würden sie von den Armeen der vier Kollegien hinter die Blackthorne-Berge zurückgetrieben werden. Wenn er aber die Stämme zusammenhalten konnte, dann, so glaubte Tessaya, konnten sie Korina einnehmen. Und mit der Eroberung der Hauptstadt würde ihm auch das Herz, die Seele und der Reichtum Ost-Balaias in die Hände fallen.

Doch er musste immer noch die Magie der vier Kollegien fürchten, gegen die sie jetzt keine Verteidigung mehr hatten. Sein Traum, die Türme von Xetesk brennen zu sehen, war mindestens für den Augenblick verflogen. Ein amüsiertes Lächeln entstand in seinem wettergegerbten, tief gebräunten Gesicht. Es gab auch andere Wege, die feindlichen Magier zu bekämpfen.

Niederlage war ein Wort, das in Tessayas Denken nicht vorkam. Besonders dann nicht, wenn er noch im Ruhm des jüngsten Sieges schwelgte. Eines Sieges gegen die Magier.

Beinahe hätte sich unter den tausenden, die durch den Understone-Pass strömten, eine Panik ausgebreitet, als bekannt wurde, dass die Schamanen ihre Verbindung zu den Wytchlords verloren hatten. Doch Tessaya, der, ohne es zu wissen, ein Ebenbild des im fernen Julatsa kämpfenden Senedai war, hatte die Unruhe unterdrückt und war an der Spitze der Wesmen-Meute gerannt, als sie im Osten wieder ans Tageslicht kam.

Die Verteidiger des Kollegs wussten, dass sie kamen, und sie waren hoffnungslos in der Unterzahl. Woge auf Woge von Wesmen-Kriegern wurde in die Schlacht geworfen, und ihr Heulen übertönte die gerufenen Befehle, die ängstlichen Schreie und das Klagen der Sterbenden. Mit Tessaya an vorderster Front waren sie unbesiegbar. Das Blut der Sieger rauschte in ihren Köpfen, ihre Schwerter und Äxte schlitzten Fleisch auf und ließen Knochen splittern. Die vordersten Linien der Feinde hatten hartnäckig gekämpft, doch nun lagen ihre Leichen vor dem Pass im Schlamm, die Unterstützung durch die Magier war dahin, und es war letzten Endes kaum mehr als ein organisiertes Gemetzel gewesen. Tessaya war enttäuscht.

Er saß im Gasthof von Understone, aus dem die Toten hinausgetragen worden waren, und erinnerte sich an den Kampf, an die taktischen Fehler der Verteidiger und die widersprüchlichen Befehle, die er gehört hatte. Vor allem aber erinnerte er sich an jene, die fortgelaufen waren oder die Arme gehoben und aufgegeben hatten, noch bevor sie wirklich verloren hatten. Ganz anders als die Kämpfer am westlichen Ende des Understone-Passes. Dort war er auf einen organisierten Feind getroffen, der bereit war, bis zum letzten Mann Widerstand zu leisten. Ein Feind, der seine Armeen viel länger aufgehalten hatte, als es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Ein Feind, den er achten konnte.

Vor allem aber enttäuschte ihn das Versagen des Generals, der nach Tessayas Informationen in Understone den Befehl hatte. Der Mann war seinem Ruf keinesfalls gerecht geworden. Wirklich schade, er hätte gern gegen einen würdigen Gegner gekämpft. Doch wie es schien, war der Mann ebenso ein Feigling wie alle anderen. Darrick war ein Name, den die Wesmen nicht mehr fürchten mussten.

Die Tür des Gasthofs öffnete sich, und der Anführer seiner Schamanen kam herein. Ohne die Macht der Wytchlords war er kein Mann mehr, den man besonders beachten musste, doch der Lord der Paleon-Stämme behandelte ihn nicht weniger respektvoll als zuvor.

Tessaya schenkte ihm einen Schluck ein, und die beiden Männer setzten sich hinten im Gebäude im Zwielicht an einen Tisch.

»Du siehst müde aus, Arnoan.«

»Es war ein langer Tag, mein Lord.«

»Aber er ist vorbei, wie es scheint.« Draußen war schon der Lärm der Siegesfeiern zu hören.

»Wie steht es um deine Verletzungen?«, fragte Arnoan.

»Ich werde sie überleben.« Tessaya lächelte amüsiert über Arnoans väterliche Sorge. Die Verbrennung am rechten Unterarm tat weh, und er hatte sogar Brandblasen, doch die Wunde war gesäubert, behandelt und verbunden worden. Er hatte sich rasch in Sicherheit gebracht, als die Feuerkugel einschlug, und so hatte er überlebt.

Die Schnittwunden im Gesicht, auf der Brust und den Beinen waren die üblichen Trophäen nach einem erbitterten Kampf. In seinem Alter und dank seiner Stellung war das Äußere sowieso nicht mehr wichtig, und außerdem wurde er der Aufmerksamkeit der Frauen allmählich überdrüssig. Sein Geschlecht würde den Krieg überleben, er hatte Söhne in allen Altersstufen, vom Kleinkind bis zum kräftigen Jüngling. Nun hatte ihr Stammvater die Horden der Wesmen in Understone zum Sieg geführt. Was kam als Nächstes? Es war eine Frage, die anscheinend auch Arnoan beschäftigte.

»Wie geht es denn morgen weiter?«, fragte der Schamane.

»Wir werden ausruhen und unsere Stellung ausbauen. Ich werde den Understone-Pass nicht noch einmal verlieren«, sagte Tessaya. Sein Gesicht wurde hart. »Lord Taomi und die Streitkräfte im Süden sollten in spätestens einem Tag zu uns stoßen. Dann können wir die Eroberung Korinas planen.«

»Glaubst du wirklich, dass wir dies erreichen können?«

Tessaya nickte. »Sie haben keine Heere, nur Verteidiger und Reservisten in den Städten. Wir haben hier zehntausend, weitere fünfzehntausend stehen zwei Tagesmärsche vor dem Pass, noch einmal fünfundzwanzigtausend haben die Triverne-Bucht überquert und greifen die Kollegien an, und dazu kommen noch die Truppen aus dem Süden. Wer sollte uns da aufhalten?«

»Mein Lord, niemand stellt den militärischen Vorteil in Frage, den wir nun haben. Doch die Kollegien verfügen immer noch über Magier in beachtlicher Stärke. Es wäre ein Fehler, sie zu unterschätzen.« Arnoan beugte sich vor und verschränkte die gichtigen Finger vor sich auf dem Tisch.

Tessaya hob den verbrannten Arm. »Glaubst du wirklich, ich schätze diese Gefahren falsch ein?« Er kniff die Augen zusammen. »Arnoan, ich bin der älteste Stammeslord und habe den größten Stammesrat unter mir. Dies habe ich erreicht, weil ich niemals den Fehler begehe, einen Feind zu unterschätzen.

Die Magier sind mächtig, und die Kollegien werden sich mit aller Kraft gegen uns stellen. Doch ein Magier ermüdet rasch, und ohne seine Leibwächter kann er leicht getötet werden. Es war ein Rückschlag, dass wir unsere Magie verloren haben, doch wir sind geboren, um mit dem Schwert zu kämpfen, nicht mit Sprüchen.

Die Wesmen werden Balaia beherrschen, und ich werde die Wesmen regieren.«

 

Von Süden her sollte Tessaya keine Hilfe bekommen. Die Wesmen wurden aufgerieben und zogen sich in Richtung der Stadt Blackthorne zurück, deren Besitzer sich nach seinem Sieg in den Klippen hoch über dem Schlachtfeld ausruhte. Bei ihm waren der angeschlagene, aber sonst recht muntere Baron Gresse und etwa fünfhundert Männer und Magier, die alle davon träumten, bald in ihre Häuser zurückzukehren.

Doch die Euphorie nach dem Sieg in den Varhawk-Klippen sollte sich nicht lange halten. Ihre Situation blieb gefährlich. Etwa ein Dutzend Magier war vom weißen Feuer getötet worden, und Verletzte gab es mehr als Gesunde. Die Niederlage der Wesmen war vor allem deren eigener Verwirrung zu verdanken, nachdem sie die Magie der Wytchlords verloren hatten. Blackthorne und Gresse hatten diese Panik nur noch weiter schüren müssen. Falls die Wesmen sich entschlossen, zurückzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen, wäre ein zweiter Sieg nur schwer zu erringen.

Blackthorne hielt eine solche Rückkehr jedoch für sehr unwahrscheinlich. In der unübersichtlichen Situation zwischen den Klippen war kaum zu erkennen, wie stark der jeweilige Gegner war, und wenn er der Kommandant der Wesmen gewesen wäre, dann hätte er den Rückzug nach Blackthorne befohlen, um sich dort die Wunden zu lecken und den nächsten Schlag zu planen, während über die Bucht von Gyernath Verstärkung eintraf.

Der Baron trat vor den Felsüberhang, den er sich als Kommandoposten ausgesucht hatte. Viel Platz gab es dort nicht. Im Eingang brannte ein Feuer, drinnen hockten einige seiner erfahrensten Helfer. Gresse war natürlich auch dort. Er saß an eine Wand gelehnt, und Blackthorne wusste aus eigener Erfahrung, dass er starke Kopfschmerzen hatte und von Übelkeit geplagt wurde, sobald er sich bewegte.

Vor ihm erstreckten sich die Klippen nach Norden und Süden. Gleich nach dem Sieg hatte er seine Männer und Magier nach Süden geführt, gegen die Windrichtung fort von den vielen verwesenden Toten. Seine eigenen gefallenen Krieger waren auf Scheiterhaufen verbrannt worden, die toten Wesmen wurden den Aasfressern überlassen. Der Überhang befand sich dicht unter dem Gipfel eines sanften Hügels, ein gutes Stück von der gefährlichen Kante und den schroffen Hängen von Varhawk entfernt. Auf den kleinen Plateaus und flachen Hängen konnten seine Männer sich unter dem warmen, aber bewölkten Himmel ausruhen. Trotz der Bedrohung durch die Wesmen brannten an einem Dutzend Stellen Lagerfeuer. Blackthornes Wachen, die am Rand des Lagers postiert waren, hatten strikte Anweisung, sich nicht zum Licht umzudrehen, solange sie Wache hielten. An wichtigen Positionen blickten Elfenaugen in die Nacht, um früh genug vor jedem Angriff warnen zu können. So konnten die übrigen Kämpfer beruhigt schlafen.

Geräusche waren jetzt kaum noch zu hören. Die Feiern waren aufgeregten Gesprächen gewichen, dann leisen Unterhaltungen, und schließlich, als die Dämmerung kam, forderte die Müdigkeit ihren Tribut. Blackthorne gestattete sich ein Lächeln. Rechts neben ihm räusperte sich jemand.

»Mein Lord?« Blackthorne drehte sich zu Luke um, dem nervösen Jungen, den er geschickt hatte, um die verbliebenen Köpfe zu zählen.

»Sprich, mein Junge.« Der Baron bemühte sich, sein sonst so strenges Gebaren abzumildern. Er legte dem Burschen väterlich eine Hand auf die Schulter. »Woher kommst du eigentlich, mein Junge?«

»Von einem Gehöft drei Meilen nördlich von Blackthorne, mein Lord.« Er starrte den Boden vor seinen Füßen an. »Ich bin jetzt wohl der Herr auf dem Hof. Falls dort überhaupt noch etwas übrig ist.«

Blackthorne sah, dass Luke, kaum älter als sechzehn, mit den Tränen rang. Das lange dunkle Haar fiel zu beiden Seiten seines Gesichts herunter. Der Baron drückte seine Schulter und ließ die Hand sinken.

»Wir alle haben Menschen verloren, die wir lieben, Luke«, sagte er. »Doch was wir zurückerobern können, das werden wir uns holen, und diejenigen, die zu mir gestanden und den Osten vor den Wesmen gerettet haben, wird man als Helden feiern. Die Lebenden wie die Toten.« Er unterbrach sich und hob Lukes Kinn, um dem Jungen in die feucht schimmernden Augen zu sehen.

»Hattest du denn ein gutes Leben auf deinem Hof?«, fragte er. »Sprich aufrichtig.«

»Es war schwer, mein Lord«, sagte Luke mit vor Bewunderung glühendem Gesicht. »Und nicht immer glücklich, wenn ich ehrlich sein soll. Das Land ist nicht immer freundlich, und die Götter haben uns nicht jedes Jahr mit Kälbern und Lämmern gesegnet.«

Blackthorne nickte. »Dann habe ich dich und die anderen, die so sind wie du, im Stich gelassen. Dennoch warst du bereit, dein Leben für mich in die Waagschale zu werfen. Wenn wir wieder die Herren in Blackthorne sind, wollen wir uns ausführlich unterhalten. Aber jetzt hast du mir etwas zu melden, glaube ich?«

»Ja, mein Lord.« Luke zögerte, und der Baron forderte ihn mit einem Nicken auf weiterzusprechen. »Es sind insgesamt fünfhundertzweiunddreißig, mein Lord. Achtzehn davon sind Magier, fünf von ihnen sind zu schwer verletzt, um Sprüche zu wirken. Wir haben fünfhundertvierzehn Bewaffnete, aber mehr als vierhundert haben in der Schlacht irgendwelche Verletzungen davongetragen. Einhundertfünf können überhaupt nicht kämpfen. Ich habe die nicht mitgezählt, die bis morgen früh sterben werden.« Luke hielt inne. »Mein Lord«, fügte er hinzu.

Blackthorne zog die Augenbrauen hoch. »Und warum bist du so sicher, dass diese Männer sterben werden?«

»Ich habe es oft genug auf dem Hof gesehen, mein Lord«, sagte Luke, der endlich ein wenig Selbstvertrauen fasste. »Wir sind nicht so unterschiedlich, wir Menschen und die Tiere. Ich höre es am Atem, und ich sehe es in den Augen und daran, wie ihre Körper liegen. Im Innern wissen wir es, wenn unsere Zeit gekommen ist, und die Tiere wissen es auch, und das sieht man.«

»Ich muss dir wohl glauben«, sagte Blackthorne. Er staunte, als ihm bewusst wurde, dass er in seinem langen Leben vermutlich weniger Tote gesehen hatte als dieser junge Bursche. Gewiss hatten sie in den letzten beiden Tagen genügend Leichen gesehen, um für ein ganzes Leben genug zu haben, doch er hatte bisher noch nie weiter darüber nachgedacht. Für Luke aber war der Tod von Vieh ein wirtschaftliches Problem und ein Berufsrisiko. »Wir müssen uns ein andermal weiter unterhalten, Luke. Ich schlage vor, dass du dir jetzt einen Platz suchst, an dem du dich niederlegen kannst. Wir haben schwere Tage vor uns, und ich brauche Männer wie dich.«

»Gute Nacht, mein Lord.«

»Gute Nacht, Luke.« Blackthorne sah dem jungen Mann nach, als er fortging. Er hielt den Kopf ein wenig höher, und seine Schritte waren ein wenig länger. Der Baron schüttelte leise den Kopf, und das Lächeln spielte wieder um seine Lippen.

Unter anderen Bedingungen hätte der Bauernsohn Luke auch ein Lord werden können. Blackthorne war sicher, dass der Bursche sich auf einer Burg ebenso heimisch gefühlt hätte wie im Kuhstall.

Der Baron grübelte über die Zahlen, die Luke ihm genannt hatte. Weniger als vierhundertfünfzig Männer, die noch kämpfen konnten. Erschreckend wenige Magier, und selbst diejenigen, denen er noch etwas abverlangen konnte, waren auf die eine oder andere Weise verletzt. Er schätzte, dass die Wesmen ihnen immer noch zwei zu eins überlegen waren, und er hatte keine Ahnung, wie viele in seiner Stadt oder am Brückenkopf hockten, wie viele auf der Straße nach Gyernath unterwegs waren und wie viele im Osten umherschwärmten. Er nagte an der Unterlippe und versuchte, das Flattern, das er auf einmal im Herzen spürte, zu unterdrücken. Schwere Zeiten. Und er musste stärker sein, als er je gewesen war.

Die Wahrheit war doch, dass die Wesmen trotz des Verlusts ihrer Magie immer noch Korina erreichen konnten, wenn nicht bald entlang der Blackthorne-Berge aus dem derzeit herrschenden Chaos irgendeine Art von Organisation entstand. Die Kollegien mussten sich einschalten. Die Befehlsgewalt übernehmen. Das war zwar unschön, jedoch der Alternative eindeutig vorzuziehen.

Die Kollegien waren allerdings fern und wussten nicht, welche Probleme Blackthorne hatte. Er konnte zwar aus dem Norden kaum Hilfe erwarten, sollte aber wenigstens versuchen, seine Magier eine Kommunion mit Xetesk halten zu lassen. Kommunikation war ein Vorteil, den die Menschen im Osten ins Spiel bringen mussten, wenn sie siegen wollten.

Baron Blackthorne gähnte. Es war Zeit, nach Gresse zu sehen und zu schlafen. Morgen musste er dann neue Entscheidungen treffen. Er musste einen Eindruck vom Gesamtbild bekommen. Understone, Gyernath, die verstreuten Dörfer an der Küste und im Landesinneren. Er musste wissen, woher Hilfe kommen konnte, um die Wesmen über die Bucht von Gyernath zurückzujagen. Und er musste einen Weg finden, seine Stadt und seine Burg zurückzuerobern. Sein Bett. Er unterdrückte den plötzlich aufwallenden Zorn, kehrte der Nacht den Rücken und zog sich unter den Überhang zurück.

 

Die Wesmen griffen weiter an. Tausende strömten zu den Grenzen von Julatsa, kletterten über die Leichen ihrer gefallenen Brüder und warfen sich der verzagten Kollegwache entgegen. Von seinem Turm aus blickte Barras zum Kampfgetümmel hinab, er sah die Sprüche in die Invasionsarmee fahren, und er sah die Angreifer erbarmungslos weiter vorrücken.

Es war spät am Nachmittag, und die einzige Kampfpause war entstanden, als die Wesmen ihre Magie verloren. In diesem Augenblick hatte Barras’ Herz einen Freudensprung gemacht, weil er wusste, dass der Rabe die Wytchlords vernichtet hatte. Er hatte einen erleichterten und erfreuten Ruf ausgestoßen, doch jetzt hätte er vor Frustration schreien können.

Denn die Wesmen waren keineswegs in alle Winde zerstreut worden, sondern der Rückschlag schien ihre Wut erst recht zu entfachen. Sie hatten einfach nur mit größerer Wildheit als je zuvor angegriffen und mit größerer Leidenschaft ihre Schwerter und Äxte geschwungen.

Zuerst war es ein reines Abschlachten gewesen. Die Kollegwachen hatten die Stellungen gehalten, als die Sprüche ganze Angriffswellen der Wesmen vernichteten. Tausende waren im machtvollen Sperrfeuer Julatsas gestorben. Den Flammenkugeln, dem Eiswind, dem Erdhammer, dem Todeshagel, dem heißen Regen und dem Knochensplittern hatten sie nichts entgegenzusetzen.

Doch wenn ein Magier nicht ausruhen kann, dann erschöpft sich sein Mana, und die Wesmen wussten dies. Die Julatsaner hatten bereits viel Kraft dafür aufgewendet, die Menschen und Gebäude vor den Angriffen der Schamanen zu schützen. Auch dies wussten die Wesmen.

Das Sperrfeuer der Magie war nun zu einem kleinen Rinnsal ausgedünnt, und die Wesmen rückten mit beängstigendem Selbstvertrauen vor, rannten gegen die Reihen der Kollegwachen und der Reservisten an und brauchten keine Angst mehr vor einem weiteren Mana-Schlag zu haben.

Links neben Barras biss sich der General der julatsanischen Streitkräfte auf die Lippen und fluchte.

»Wie viele sind es?«, fragte er niemanden im Besonderen. Seine Stimme war belegt, und er war verzweifelt. Es mussten weit über zehntausend Angreifer sein.

»Zu viele«, antwortete Barras.

»Dessen bin ich mir wohl bewusst«, fauchte der General. »Und wenn das eine Anspielung auf …«

»Beruhigt Euch, mein guter Kard. Es ist kein Seitenhieb, und niemand soll sich getroffen fühlen. Ich habe einfach nur eine Tatsache festgestellt. Wie lange können wir sie noch aufhalten?«

»Drei Stunden, vielleicht weniger«, erwiderte Kard unwirsch. »Ohne Mauern kann ich Euch nicht viel versprechen. Wie ist die Kommunion verlaufen?«

»Dordover hat gestern auf unsere Bitte dreitausend Mann geschickt. Sie müssten am Abend hier sein.«

»Dann könnt Ihr ihnen auch gleich sagen, dass sie zurückkehren können«, meinte General Kard verbittert. Er schien auf einmal um Jahre gealtert. »Bis dahin wird Julatsa gefallen sein.«

»Sie werden das Kolleg nie einnehmen«, sagte Barras. Kard zog die Augenbrauen hoch.

»Wer soll sie denn daran hindern?«

Barras wollte etwas erwidern, doch er hielt den Mund. Kard war nur ein Soldat, er konnte es nicht verstehen.

Es war undenkbar, dass das Kolleg eingenommen wurde. Noch mehr als das, es war ein entsetzlicher Gedanke und eine Vorstellung, die dem alten Elfenmagier die Galle hochsteigen ließ. Und es gab tatsächlich eine Möglichkeit zu verhindern, dass die Wesmen ihre Beute bekamen.

Doch als er sich wieder umdrehte und zur Schlacht blickte, die am Stadtrand tobte, als er sah, wie sein Volk unter den Klingen der Eindringlinge litt, betete Barras, dass es so weit nicht kommen möge. Denn was er im Sinn hatte, das wünschte er niemandem. Nicht einmal den Wesmen, die vor den Toren seines geliebten Kollegs standen.

2

Schrecken und Verwirrung herrschten auf dem Hauptplatz von Parve. Beim ersten Schrei des Drachen erstarben für einen Augenblick alle Geräusche, weil alle, ob Mensch oder Tier, die Köpfe nach oben zum Riss drehten.

Frei laufende Pferde gingen durch und rasten davon, während die anderen bockten und ihre Reiter abwarfen oder an den Riemen zerrten, mit denen man sie an Geländer oder Pfosten gebunden hatte. Instinktiv stießen sie erstickte Schreie aus, denn sie wussten, dass sie Beutetiere waren.

Was Menschen und Elfen anging, so wich der namenlose Schrecken bald hoffnungsloser Ergebenheit, als der Drache, zuerst noch eine undeutliche Gestalt, heruntersank. Das Bellen und die Schreie, mit denen er den Sonnenschein Balaias begrüßte, klangen begeistert und zufrieden. Er wand sich, drehte sich um sich selbst und kreiste, schlug ungleichmäßig mit den Flügeln und tollte durch den Luftraum, den er gerade in Besitz genommen hatte.

Als er sich weiter dem Boden näherte, war er deutlicher zu sehen, und seine ganze schreckliche Größe wurde offensichtlich. Ilkar nahm es mit analytischem Blick auf und ignorierte seinen zitternden Körper, das heftig schlagende Herz und den Drang davonzurennen, sich auf den Boden zu werfen, zu kämpfen, sich zu verstecken, was auch immer.

Der Drache war bei weitem nicht so groß wie Sha-Kaan, jenes Untier, auf das sie hinter dem Dimensionsportal der Burg Taranspike gestoßen waren. Auch die Färbung und die Form des Kopfes waren anders, doch die Grundform war identisch. Der lange, schlanke Hals bog sich und streckte sich, als die Augen den Boden absuchten, der Schwanz hing hinter dem massigen Körper herab.

Sha-Kaan war mehr als hundertzwanzig Fuß lang gewesen, während dieser hier nicht mehr als siebzig maß. Sha-Kaans Haut und Schuppen hatten im Fackelschein golden geglänzt, dieser hier war dagegen dunkel und rostrot, und der flache, keilförmige Kopf sah ganz anders aus als Sha-Kaans hoher Schädel mit der langen Schnauze.

Die tiefe, alles durchdringende Stille, die sich über den Hauptplatz gesenkt hatte, wurde rasch wieder durchbrochen, als die Zuschauer, die mit offenem Mund gestarrt hatten, sich aus ihrer entsetzlichen Betäubung rissen und erkannten, dass der Drache rasch herunterkam. Nun brach eine Panik aus. Darricks normalerweise wohl geordnete Kavallerie verteilte sich in den Straßen, Reiter und Pferde prallten zusammen, brüllten und sprangen wild durcheinander, kreisten chaotisch umeinander und suchten auf kürzestem Wege vor der drohenden Gefahr zu fliehen.

Darrick schrie sich die Kehle heiser, als er Ordnung und Ruhe wiederherstellen wollte, doch es gelang ihm nicht. Hinter ihm kamen der Rabe und Styliann auf die Beine, die Müdigkeit war schlagartig vergessen.

»Nach drinnen, nach drinnen!«, rief Ilkar. Er rannte zum Eingang der Pyramide, doch dann blieb er wie angewurzelt stehen, und der Unbekannte hätte ihn beinahe über den Haufen gerannt. Er drehte sich um. »Wo ist Hirad?«

Der Unbekannte fuhr herum und rief nach dem Barbaren, der inzwischen mehrere hundert Schritt gelaufen war und keinerlei Anstalten machte, langsamer zu werden. Im Tumult, der jetzt auf dem Platz herrschte, waren seine Rufe nicht zu hören.

»Ich hole ihn«, sagte der große Mann.

»Nein«, widersprach Ilkar, der mit einem Auge den auf die Stadt herunterstoßenden Drachen verfolgte. Der Unbekannte packte seinen Arm.

»Ich hole ihn«, sagte er noch einmal. »Du verstehst das doch?« Ilkar nickte, und der Unbekannte rannte hinter Hirad her, der gerade um eine Ecke verschwand.

Vom Eingang des Tunnels aus sah Ilkar seinen Freund instinktiv niederkauern, als der Drache mit seinem Leib, der die Masse von zwanzig Pferden hatte, keine zwanzig Fuß über dem Flachdach des höchsten Gebäudes vorbeistrich. Er konnte beobachten, wie der Drache den Kopf drehte und auf die fliehenden Menschen, Elfen und Tiere hinabblickte, er hörte ihn bellen und spürte eine schreckliche Angst in der Magengrube. Der Schrei schmerzte in seinen empfindlichen Ohren, und die schützenden inneren Membranen schlossen sich instinktiv.

Der Drache stieg wieder hoch, flog in Schräglage eine unglaublich anmutige Kurve, wendete und riss das Maul auf. Die weißen Reißzähne hoben sich deutlich vor dem dunklen Schlund ab. Ilkar schauderte, als der riesige Schatten des Drachen über den rennenden Unbekannten Krieger fiel.

Es ging alles viel zu schnell. Der Unbekannte schaute auf, als der Schatten auf ihn fiel, drehte sich um und rannte im rechten Winkel zur Flugbahn des Drachen davon. Über und hinter Ilkar schimmerte der Riss und öffnete sich noch einmal. Der Elfenmagier spürte die Bewegung in der Luft, ohne sich umzudrehen. Der Drache dachte offenbar nicht mehr daran, sein Feuer zu speien, sondern stieß einen enttäuschten Schrei aus, auf den ein zweiter, wütender Ruf folgte, und schoss abrupt wieder zum Himmel hinauf.

Hirad, der durch die verlassenen Straßen in den Randbezirken Parves lief, hörte den zweiten Schrei. Er keuchte, als ein starker Druck in seinem Kopf entstand, blieb stolpernd stehen und presste die Hände auf die Ohren. Als die Stimme über ihm »Halt!« brüllte, schlug er der Länge nach auf den Boden.

 

Sha-Kaan stieg wütend zum brodelnden Loch am Himmel empor. Für ihn war erst ein kleiner Augenblick vergangen, seit er den Menschen Hirad Coldheart vor den Gefahren des Wissens gewarnt hatte, das er besaß, und vor dem Amulett, das so lange um seine Krallen geschlungen gewesen war. Und so dankte man ihm nun dafür.

Zuerst der Diebstahl des Amuletts, dann war dessen Inschrift benutzt worden, und schließlich hatte man auch noch einen unbeschränkten Zugang zu seiner Fusionsdimension geöffnet. Zur Fusionsdimension der ganzen Brut Kaan.

Hinter ihm flog die Brut aus dem Choul heraus, ungehalten wegen der abrupten Unterbrechung ihres Schlafs. Dreißig Kaan flogen auf und gesellten sich zu denen, die bereits um das Tor im Himmel kreisten.

Aus allen Richtungen, angelockt durch die Gegenwart des Tors und die Vibrationen, die es durch die Nervenstränge jedes Drachen in Reichweite jagte, kamen die Feinde. Wenn die feindlichen Bruten nicht gleich zu Anfang abgeschreckt werden konnten, dann würde eine Schlacht entbrennen, wie man sie seit dem Erscheinen des einzigen großen Menschen Septern nicht mehr gesehen hatte. Septern, der die Brut Kaan gerettet hatte, der ihnen die rettende Fusion angeboten hatte, als sie dezimiert und beinahe schon ausgerottet waren.

Sha-Kaan bewegte die Flügel schneller, als eine Warnung in seinem Kopf erklang. Aus einer Wolkenbank hinter dem Riss flog ein einzelner Drache von der Brut Naik auf die wallende Masse zu. Seine Geschwindigkeit trug ihn blitzschnell durch die überraschten Wachen hindurch, und sein Siegesschrei brach ab, als er ins Tor stürzte und verschwand.

Andere wollten ihm folgen, doch Sha-Kaan hielt sie mit einem Impuls auf. »Ich kümmere mich darum«, sagte er. »Wehrt die anderen Angreifer ab. Überlasst ihnen nicht das Tor.« Er schoss wieder nach oben und umkreiste den Riss, um dessen Größe und Tiefe abzuschätzen, bevor er die Flügel anlegte und sich hindurchstürzte.

Die Reise war ein Durcheinander aus Druck, Blindheit, halb erfassten Botschaften und einer Ahnung, was jenseits des Durchgangs lag. Sha-Kaan platzte in den Himmel von Balaia hinaus und spürte sofort die Gegenwart von zwei Wesen, die ihm bekannt waren. Der feindliche Naik tauchte bedrohlich in seinem Bewusstsein auf. Sha-Kaan brüllte ihm seinen Schlachtruf entgegen und wusste, dass der Naik die Aufforderung nicht ablehnen konnte. Das zweite Wesen war kleiner, viel kleiner, aber nicht weniger wichtig. Hirad Coldheart. Mit ihm musste er ein Wörtchen reden. Als er zum Naik hinabstürzte, übermittelte Sha-Kaan dem Mann den Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren.

 

Ilkar bekam eine Gänsehaut. Er hatte nicht nur Angst, sondern fühlte sich auch völlig hilflos. Er rechnete damit, dass jeden Augenblick neue Schrecken, noch mehr Drachen und noch mehr Entsetzen auftauchen mussten. Hinter ihm starrten die übrigen Rabenkrieger und Styliann zum Himmel. Zum ersten Mal in ihrer langen, erfolgreichen Karriere konnten sie nichts weiter tun als zuschauen.

Der Kampf war schnell und erbittert. Die beiden Drachen rasten mit erschreckender Geschwindigkeit aufeinander zu, der kleinere von unten und der größere, der viel größere mit den goldenen Schuppen, kam von oben.

»Sha-Kaan«, keuchte Ilkar, der ihn an der Kopfhaltung erkannt hatte.

Sha-Kaan schoss durch Balaias bewölkten Himmel und brüllte eine wütende Drohung. Einen Augenblick, bevor er mit dem rostroten Feind zusammenprallte, stellte er einen Flügel schräg und kam dadurch unter den anderen Drachen. Als er unter dessen Bauch entlangflog, hauchte er und verbrannte dem anderen Drachen den Bauch auf voller Länge.

Der Schmerzensschrei schien die Luft zu spalten, das verletzte Wesen flog in Spiralen und mit verdrehtem Kopf nach oben und suchte nach dem Angreifer, doch es schaute in die falsche Richtung. Sha-Kaan hatte nun das Maul geschlossen und flog eine scharfe Kurve, um sich hinter den Gegner zu setzen. Der rostrote Drache war aufgrund der Schmerzen desorientiert und suchte noch nach Sha-Kaan, als dieser schon blitzschnell die Entfernung überbrückte, rasch mit den Flügeln schlug, um sich über der Beute zu stabilisieren, den Hals durchbog und mit erschreckender Kraft nach dem Schädel seines Gegners hackte. Der ganze siebzig Fuß lange Körper des rostroten Drachen zuckte, die Krallen suchten einen Halt in der leeren Luft, die Flügel flatterten wild, und das Bellen verwandelte sich in ein Gurgeln, als der tödlich verletzte Drache abstürzte.

Mit angehaltenem Atem sah Ilkar zu, wie Sha-Kaan zusammen mit seiner Beute stürzte und sie erst freigab, als beide in Dachhöhe waren. Dann drehte er mit einem dröhnenden Triumphschrei ab und schwebte in der Luft, während sein Gegner mit einer Wucht, die den Boden erbeben ließ, tot auf den Hauptplatz prallte. Eine riesige Staubwolke wallte hoch, die aufgestapelten Leichen gerieten ins Rutschen. Eine groteske Bewegung der Toten.

Nervosität griff in Parve um sich, ein übles Gefühl im Bauch, als ginge die ganze Welt aus den Fugen. In der Stille, die auf den Kampf folgte, hörte man nur noch Sha-Kaans Flügel schlagen, als er über seinem Opfer kreiste. Aus solcher Nähe betrachtet, war der siegreiche Drache wirklich ein gewaltiger Anblick. Sha-Kaan war beinahe doppelt so groß wie sein Opfer, und er schien den Himmel auszufüllen. Neben ihm wirkte sogar der Riss mit seiner ungebändigten Kraft winzig. Dreimal kreiste er und stieß ein gedehntes kehliges Brüllen aus. Er kam bis dicht über den Boden herunter, strich nur wenige Fuß über dem getöteten Gegner hinweg, dann wendete er in der Luft und flog direkt hinter Hirad her.

»Oh, nein«, stöhnte Ilkar, der wieder ins Licht heraustrat.

»Was könnt Ihr da schon tun?« Stylianns Stimme war noch leise vor Schreck, doch sie verriet immer noch seine Macht, und sie war drohend und zynisch.

Ilkar drehte sich zu ihm um. »Ihr versteht es nicht, was? Menschen wie Ihr können es nicht verstehen. Ich habe keine Ahnung, was ich tun kann, aber ich werde etwas tun. Ich kann ihn damit jetzt nicht allein lassen. Er gehört zum Raben.«

Der Elfenmagier rannte auf den Platz hinaus und lief in die Richtung, die auch der Unbekannte eingeschlagen hatte. Nach kurzem Zögern folgten Thraun und Will seinem Beispiel.

Denser dagegen sank in sich zusammen. Seine Kräfte waren erschöpft, und er starrte den riesigen Körper des Drachen an, den Sha-Kaan so mühelos getötet hatte. Erienne hockte sich neben ihn und wiegte seinen Kopf.

»Bei den Göttern im Himmel«, flüsterte er. »Was habe ich getan?«

 

Hirad lag, die Hände an die Ohren gepresst, auf dem Boden; die Kampfschreie der Drachen erfüllten die Luft und hallten in seinem Kopf. Als es vorbei war, stemmte er sich benommen auf die Knie hoch und wagte es, sich in Richtung Parve umzuschauen. Am Rande bemerkte er, dass der Unbekannte Krieger in seine Richtung gerannt kam und etwas rief, doch seine Aufmerksamkeit galt vor allem dem riesigen Sha-Kaan, der über der toten Stadt kreiste. Der abrupte Sturzflug des Drachen riss ihn aus seiner Starre, und als das Wesen über den benachbarten Gebäuden auftauchte, erwachte in ihm eine Angst, wie er sie noch nie empfunden hatte. Sein persönlicher Albtraum war Realität geworden. Er reagierte, wie er reagieren musste. Er rappelte sich auf und rannte weg.

Hirad spürte Sha-Kaan in seinem Bewusstsein, lange bevor sich der Schatten über ihn senkte. Wieder ergab er sich seinem Schicksal. Er blieb stehen und schaute nach oben, als der riesige Drache, mehr als zwanzigmal so groß wie er selbst, in der Luft wendete, den Hals hierhin und dorthin drehte, und seine Beute keine Sekunde aus den Augen verlor.

Wie zuvor schwebte er einen Augenblick lang in der Luft und schlug träge mit den Flügeln, dann landete er sachte und stützte den gewaltigen Körper mit allen vier Gliedmaßen ab, bis er direkt vor Hirad saß. Sha-Kaan legte die Flügel hinter den Barbaren und schob den Kopf vor, um Hirad von den Beinen zu werfen. Benommen setzte sich der Barbar aufs Hinterteil. Er spürte den Zorn des Wesens, sah Sha-Kaan an und stellte überrascht fest, dass er nicht seinem Tod ins Auge blickte.

Der Drache hielt den riesigen Kopf still, sein Körper schimmerte im Sonnenlicht und füllte das Sichtfeld des Barbaren völlig aus. Hirad schenkte sich die Mühe, wieder aufzustehen, doch er überlegte sich gerade, was er nun sagen sollte, als Sha-Kaan die Nüstern aufblähte und einen Strom heißer, stinkender Luft in sein Gesicht blies.

Der Drache betrachtete den Barbaren einen Moment, scharrte ein wenig mit den Klauen, um es bequemer zu haben, und riss dabei ohne sichtbare Anstrengung tiefe Rinnen in den harten, trockenen Boden.

»Normalerweise sagt man wohl etwas wie ›Schön, dich wieder zu sehen, Hirad Coldheart‹, aber das trifft leider nicht ganz zu.«

»Ich …«, wollte Hirad erwidern.

»Sei still!« Sha-Kaans Stimme dröhnte über der Torn-Wüste und klirrte in Hirads Kopf. »Was du jetzt denkst, ist unwichtig. Wichtig ist dagegen, was du getan hast.« Der Drache schloss die Augen und atmete ein, langsam und nachdenklich. »Dass etwas so Kleines einen so gewaltigen Schaden anrichten kann. Du hast meine Brut in Gefahr gebracht.«

»Das verstehe ich nicht.«

Sha-Kaans Augen richteten sich auf Hirad und schienen ihn zu durchbohren.

»Natürlich verstehst du es nicht. Aber du hast mir etwas gestohlen.«

»Ich habe nicht …«

»Still!«, donnerte Sha-Kaan. »Sei still und hör mir zu. Schweige, bis ich dir zu sprechen befehle.«

Hirad leckte sich nervös über die Lippen. Er hörte, wie der Unbekannte dicht hinter ihm langsamer wurde und stehen blieb. Unter seinen Füßen knackten die Pflanzen auf der toten Erde. Hirad winkte hinter seinem Rücken, dass sein Freund zurückbleiben solle.

Wieder sprach Sha-Kaan, und seine Augen waren Ozeane voll kalter Wut. Seine Nüstern waren geweitet, und aus ihnen wehte aus einer Entfernung von weniger als drei Fuß ein stinkender Wind durch Hirads Haar. Der Barbar kam sich klein vor, obwohl dieses Wort kaum beschreiben konnte, was er empfand. Unbedeutend. Und doch hatte sich das mächtige Wesen entschlossen, mit ihm zu reden, statt ihm einfach die Haut vom Leib und das Fleisch von den Knochen zu brennen.

Sha-Kaans Stimmung konnte man freilich nicht missverstehen. Dies war nicht der Drache, der bei ihrer ersten Begegnung hinter dem Tor des Drachenmagiers in der Burg Taranspike so amüsiert über Hirads Gegenwart gewesen war. Jenes Treffen hatte den Raben unweigerlich nach Parve geführt, wo der Dawnthief-Zauber gesprochen worden war.

Jetzt war der Drache wütend. Er war zornig und besorgt, aber nicht um Hirad, sondern um sich selbst. Der Barbar hatte das Gefühl, er werde nichts Angenehmes zu hören bekommen.

Er sollte Recht behalten.

»Ich habe dich gewarnt«, sagte Sha-Kaan. »Ich habe dir gesagt, dass ich dir etwas vorenthielt, mit dem du dich selbst und auch meine Brut zerstören könntest. Du wolltest nicht auf mich hören, und jetzt besudeln die Folgen deines Tuns den Himmel in meiner und in deiner Dimension.

Genau hier, Hirad Coldheart, liegt das Problem. Ich nehme an, es ist typisch für dich, dass du dir etwas ausdenkst, um dich selbst zu retten und zu verteidigen, wobei du aber viele von meiner Brut tötest. Doch deine Rettung kann nur eine vorübergehende sein. Denn wenn meine Brut verschwindet, dann bist du ohne Verteidigung. Es braucht nur einen einzigen Drachen, der auf eure Zerstörung aus ist, mehr nicht. Und es gibt tausende, die darauf brennen, diese Welt in Stücke zu reißen. Tausende.« Hirad starrte in Sha-Kaans unendlich tiefe Augen und wusste nicht, was er sagen sollte.

»Du hast keine Ahnung, was du getan hast, was?« Sha-Kaan blinzelte langsam und hob Hirads Lähmung auf. »Sprich.«

»Nein, ich verstehe es wirklich nicht«, sagte Hirad. »Ich weiß nur, dass wir Dawnthief finden und wirken mussten, weil uns sonst die Wytchlords und die Wesmen ausradiert hätten. Du kannst uns doch nicht vorwerfen, dass wir versucht haben, unser Leben zu retten.«

»Weiter kannst du nicht denken. Die Auswirkungen deiner Taten sind dir egal, solange du dich in deinem unmittelbaren Triumph sonnen kannst, nicht wahr?«

»Wir waren verpflichtet, alle Waffen zu benutzen, die uns zur Verfügung standen«, sagte Hirad ein wenig pikiert.

»Diese Waffe stand euch nicht zur Verfügung«, sagte Sha-Kaan, »und sie wurde zu ungenau eingesetzt. Außerdem hast du sie mir gestohlen.«

»Sie war da und musste genommen werden«, erwiderte Hirad. »Und ob ungenau oder nicht, wir haben sie benutzt, um Balaia zu retten.«

Sha-Kaan riss das Maul weit auf und lachte. Das Lachen donnerte über die Torn-Wüste, ließ entsetzte Tiere in Panik fliehen und den Unbekannten auf der Stelle innehalten, warf Hirad auf den Rücken. Abrupt hörte das Lachen wieder auf, doch es hallte noch einige Augenblicke wie Donner zwischen Parves Gebäuden.

Der gewaltige Drache streckte den Kopf vor, bewegte ihn langsam über Hirads hingestrecktem Körper hin und her und hielt über Hirads Kopf inne. Speichel tropfte aus dem halb geöffneten Maul.

Hirad drückte sich auf die Ellenbogen hoch und blickte in die Augen, die das Licht verschluckten. Der Mut verließ ihn, als er die Fangzähne, die ihm so leicht das Leben nehmen konnten, jeder so groß wie sein Unterarm, so dicht vor sich sah.

»Balaia retten«, wiederholte Sha-Kaan. Seine Stimme war jetzt leise und voller Kälte. »Ihr habt nichts dergleichen getan. Vielmehr habt ihr ein Loch zwischen unseren Welten aufgerissen, das die Kaan nicht ewig verteidigen können. Und wenn wir unterliegen, wer wird euch dann vor der völligen Vernichtung oder elender Sklaverei schützen? Was meinst du?« Sha-Kaan nahm den Kopf wieder hoch. Hirad folgte seinem Blick und sah den Unbekannten und Ilkar und Will und Thraun, die jetzt nur noch wenige Schritte entfernt standen, ängstlich, aber ungebeugt. Hirad lächelte. Stolz erfüllte sein Herz.

»Wer sind die da?«, wollte Sha-Kaan wissen.

»Sie sind der Rabe, oder sein größter Teil.«

»Deine Freunde?«

»Ja.«

Sha-Kaan zog den Kopf etwas zurück und fasste sie alle ins Auge.

»Dann hört mir zu, Hirad Coldheart und der Rabe. Hört mir genau zu, und ich werde euch sagen, was getan werden muss, um uns alle zu retten.«

 

Lord Tessaya wanderte mit einer Flasche weißem Traubenbrand durch die Stadt Understone. Die vom Kampf aufgewühlten Straßen, in denen Blut und Regen geflossen waren, waren jetzt von der heißen Sonne ausgedörrt. Der Schlamm verharrte in grotesken Formen, die alle an Tod und Zerstörung erinnerten.

Ringsum auf den saftigen grünen Hügeln, welche die Stadt umgaben, war der Lärm der Siegesfeiern zu hören. Dutzende Kochfeuer knisterten, und der Rauch kräuselte sich zum leicht bewölkten Himmel hinauf. Der Lärm von Trainingskämpfen und das laute Lachen, wo Geschichten erzählt wurden, übertönten den allgemeinen Radau, doch einige Geräusche fehlten – die Schreie der Gefolterten, das Weinen der Vergewaltigten und das Flehen der Sterbenden.

Tessaya war es zufrieden. Denn er war nicht nach Understone gekommen, um zu zerstören und zu vernichten. Dieses Schicksal blieb den Kollegien vorbehalten. Nein, er war nach Understone gekommen, um zu erobern und zu herrschen. Der erste Schritt auf dem Weg, der dazu führen sollte, dass er eines Tages ganz Balaia beherrschte. Diese Herrschaft konnte er nun, da die Wytchlords vernichtet waren, allein genießen.

Er wollte nicht mit Angst und Schrecken regieren. In einem Land, das viel zu groß war, um sich von der Hand der Furcht packen zu lassen, käme nur ein Narr auf eine solche Idee. Was er vorhatte, war viel einfacher. Er wollte die Bevölkerungszentren von zuverlässigen Stellvertretern verwalten lassen. Vertrauenswürdige Männer einsetzen, die über das Volk herrschten, Regeln aufstellten und für Gehorsam sorgen, wie es seinen Vorstellungen entsprach. Versammlungen und Gespräche kontrollieren. Die Macht musste sichtbar sein. Die eiserne Hand. Den Leuten keine Hoffnung lassen, andererseits aber keinen gerechtfertigten Unmut provozieren.

Tessaya nagte an der Unterlippe. Dies stand im Gegensatz zur üblichen Art der Wesmen, doch wie er es sah, hatte die übliche Art nichts als Konflikte und Zersplitterung heraufbeschworen. Wenn die Wesmen Balaia beherrschen wollten, dann mussten sie sich umstellen.

Als er den Ortsrand erreichte, blieb Tessaya einen Augenblick stehen und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Die Straßen vor ihm führten bis tief ins Herz von Ost-Balaia. Die Arterien, denen er auf dem Weg zu seinem Sieg folgen würde.

Zu beiden Seiten erhoben sich sanfte grüne Hänge bis zu der erstaunlichen Ebene, auf der Lord Denebre zu Hause war, sein alter Handelspartner. Dort gab es fruchtbares Ackerland und viel Vieh, und dort herrschte tiefer Frieden. Im Augenblick jedenfalls.

Entscheidungen mussten getroffen werden, doch vorher galt es, einige Fragen zu stellen.

Tessaya wandte sich nach links und stieg einen Hang hinauf. Auf dem Hügel hatten die Verteidiger von Understone ihre Kasernen errichtet, die jetzt als Gefängnis dienten. Zwei Dutzend Baracken aus Segeltuch, das man auf Holzrahmen gespannt hatte, jeweils für zweihundert Mann gebaut. Sechs davon beherbergten etwa dreihundert Gefangene, sodass noch genug Raum für seine Männer vorhanden war, oder jedenfalls für diejenigen, die hier einquartiert werden wollten.

Männer und Frauen waren voneinander getrennt worden, und die verletzten Wesmen lagen neben den Verwundeten aus Ost-Balaia. Sie mochten Feinde gewesen sein, doch sie hatten eine ehrenhafte Behandlung verdient und sollten die Chance bekommen weiterzuleben, nachdem sie nicht den Weg des Feiglings gegangen waren, nicht kapituliert, sondern mutig gekämpft hatten.

Als er sich den Gebäuden näherte, bemerkte er erfreut die Haltung der Wachen. Bolzengerade waren sie in gleichmäßigem Abstand rings um die Hütten der Gefangenen aufgestellt. Er nickte dem Mann zu, der ihm die Tür öffnete.

»Mein Lord«, sagte der Mann und neigte ehrerbietig den Kopf.

Die Baracke war überfüllt, die Luft im Innern stickig und heiß. Die Männer hatten sich auf den Kojen und auf dem Boden ausgestreckt, einige spielten Karten, andere steckten die Köpfe zusammen und redeten. Eines aber verband sie alle. Es war die Tatsache, dass sie besiegt worden waren. Die Erniedrigung, sich feige ergeben zu haben.

Als Tessaya eintrat, breitete sich Schweigen in der Hütte aus, bis alle ihn anstarrten und darauf warteten, dass er über ihr Schicksal entschied. Die Verachtung, mit der er sie betrachtete, war beinahe körperlich spürbar.