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Das dunkle Wasser wird ihr Grab: Der Kriminalroman »Hendriksen und die toten Mädchen« von Ole Hansen jetzt als eBook bei dotbooks. Innerhalb weniger Wochen werden in Hamburg drei Frauenleichen aus dem Wasser gezogen. Sie weisen keine Verletzungen auf, weswegen die Polizei die Fälle als Selbstmorde zu den Akten legen will – doch Privatdetektiv Dr. Marten Hendriksen hat seine Zweifel … Gibt es einen Zusammenhang mit dem Fall der verschwundenen Anja Ebeling, mit deren Suche er beauftragt wurde? Schon bald führt eine Spur Hendriksen und sein Team in die zwielichtige Welt Erotikportale, in denen tausende User anonym ihre dunkelsten Fantasien austauschen. Sind Anja und die anderen Frauen vielleicht Opfer eines wütenden Kunden geworden? Als plötzlich ein Mitglied seines eigenen Teams in Gefahr gerät, bleibt Hendriksen nicht mehr viel Zeit, um den Schuldigen zu finden … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Hamburg-Krimi »Hendriksen und die toten Mädchen« von Bestsellerautor Ole Hansen wird alle Fans von Klaus-Peter Wolf begeistern und kann als sechster Fall in der Krimireihe komplett unabhängig gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 344
Über dieses Buch:
Innerhalb weniger Wochen werden in Hamburg drei Frauenleichen aus dem Wasser gezogen. Sie weisen keine Verletzungen auf, weswegen die Polizei die Fälle als Selbstmorde zu den Akten legen will – doch Privatdetektiv Dr. Marten Hendriksen hat seine Zweifel … Gibt es einen Zusammenhang mit dem Fall der verschwundenen Anja Ebeling, mit deren Suche er beauftragt wurde? Schon bald führt eine Spur Hendriksen und sein Team in die zwielichtige Welt Erotikportale, in denen tausende User anonym ihre dunkelsten Fantasien austauschen. Sind Anja und die anderen Frauen vielleicht Opfer eines wütenden Kunden geworden? Als plötzlich ein Mitglied seines eigenen Teams in Gefahr gerät, bleibt Hendriksen nicht mehr viel Zeit, um den Schuldigen zu finden …
Der Roman ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich, www.sagaegmont.com/germany.
Über den Autor:
Ole Hansen, geboren in Wedel, ist das Pseudonym des Autors Dr. Dr. (COU) Herbert W. Rhein. Er trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben, sowie Umweltwissenschaften und Geschichte, wobei er seine beiden Doktortitel erlangte. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde. Heute wohnt der Autor an der Ostsee.
Von Ole Hansen sind bei dotbooks bereits die folgenden eBooks erschienen:
Die Jeremias-Voss-Reihe:
»Jeremias Voss und die Tote vom Fischmarkt. Der erste Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Jeremias Voss und der tote Hengst. Der zweite Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Jeremias Voss und die Spur ins Nichts. Der dritte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Jeremias Voss und die unschuldige Hure. Der vierte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod. Der fünfte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Jeremias Voss und der Tote in der Wand. Der sechste Fall«
»Jeremias Voss und der Mörder im Schatten. Der siebte Fall«
»Jeremias Voss und die schwarze Spur. Der achte Fall«
»Jeremias Voss und die Leichen im Eiskeller. Der neunte Fall«
»Jeremias Voss und der Tote im Fleet. Der zehnte Fall«
»Jeremias Voss und die Toten im Watt. Der elfte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
Die Marten-Hendriksen-Reihe:
»Hendriksen und der mörderische Zufall. Der erste Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Hendriksen und der Tote aus der Elbe. Der zweite Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Hendriksen und der falsche Mönch. Der dritte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Hendriksen und der Tote auf hoher See. Der vierte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Hendriksen und der falsche Erbe. Der fünfte Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
»Hendriksen und die toten Mädchen. Der sechste Fall« – erscheint auch als Hörbuch bei Saga
Die Arne Claasen-Reihe:
»Arne Claasen und die vergessenen Toten. Der erste Fall«
»Arne Claasen und die tödliche Fracht. Der zweite Fall«
»Arne Claasen und die Tote am Elbufer. Der dritte Fall«
Die Claasen&Hendriksen-Reihe:
»Die Tote von Pier 17 – Der erste Fall für Claasen & Hendriksen«
»Mord im Trockendock – Der zweite Fall für Claasen & Hendriksen«
Einige seiner Kriminalromane sind auch in Sammelbänden erschienen:
»Die dunklen Tage von Hamburg«
»Das kalte Licht von Hamburg«
»Die Schatten von Hamburg«
»Die Morde von Hamburg«
»Die Toten von Hamburg«
Unter seinem Klarnamen Herbert Rhein veröffentlichte der Autor bei dotbooks auch die folgenden eBooks:
»Todesart: Nicht natürlich. Gerichtsmediziner im Kampf gegen das Verbrechen.«
»Todesart: Nicht natürlich. Mit Mikroskop und Skalpell auf Verbrecherjagd.«
Folgende Bücher von Ole Hansen sind auch als PoD erhältlich:
»Jeremias Voss und die Tote vom Fischmarkt. Der erste Fall«
»Jeremias Voss und der tote Hengst. Der zweite Fall«
»Hendriksen und der mörderische Zufall. Der erste Fall«
»Hendriksen und der Tote aus der Elbe. Der zweite Fall«
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Originalausgabe 2024
Copyright © der Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Ruslan Huzan, Christian Horn, Bratislava_Zvada
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-915-4
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Ole Hansen
Hendriksen und die toten Mädchen
Der sechste Fall
dotbooks.
Ein unangenehmer Nieselregen trieb die Fußgänger in der Hamburger Innenstadt in die Kaufhäuser. Einen Mann jedoch schien der Regen nicht zu stören. Er hatte den Schirm aufgespannt, schlenderte vor dem Eingang des Alsterkaufhauses hin und her, sah immer wieder auf die Uhr und wurde von Mal zu Mal unruhiger. Einer Polizeistreife fiel er auf, weil es so aussah, als würde er gleich renitent werden, und sie gingen auf ihn zu.
Der Mann war mittelgroß und schlank. Mit dem Vollbart war sein Alter schwer zu schätzen. Die Beamten kamen überein, dass er so um die Vierzig sein musste. Seine Haltung und sein Äußeres machten einen gepflegten Eindruck. Die Haare, soweit man es unter der Mütze sehen konnte, waren frisch geschnitten, der Vollbart getrimmt, und auch der Kleidung sah man an, dass sie nicht von der Stange kam. Er schien einer gehobenen Gesellschaftsschicht anzugehören.
Als die Beamten sich näherten, klappte er den Regenschirm zu und ging schnell, aber nicht hastig, ins Alsterkaufhaus.
Für die Beamten bestand kein Anlass, ihn zu verfolgen. Auf der Straße im Regen zu warten, war schließlich keine Ordnungswidrigkeit.
Der Bärtige verschwand in den Herrentoiletten. Als er kurz darauf wieder herauskam, hätte ihn kaum jemand wiedererkannt. Seinen Kopf zierte eine Vollglatze, die von einem gelockten Haarkranz eingefasst war. Auch der Vollbart fehlte. Er hatte sich in einen anderen Menschen verwandelt.
Er tauchte in der Masse der Besucher unter und verschwand in Richtung Alster-Parkhaus. Hier stieg er in einen älteren, gepflegten Mercedes und fuhr in Richtung Hauptbahnhof davon.
Er war stinksauer, dass ihn wieder einmal eine Frau versetzt hatte.
Seine Wohnung in Uhlenhorst lag in einem älteren, aber gepflegten Mehrfamilienhaus. Er stürmte die Treppen in den dritten Stock hoch, denn einen Fahrstuhl gab es nicht. Eine Frau, die ihm auf dem Weg nach unten begegnete, rempelte er an, ohne sich zu entschuldigen. Die Frau sah ihm böse nach. Er schloss die Tür zum Apartment 3a auf, warf die Autoschlüssel in eine Schale, die im Flur auf einer Kommode stand, und ließ seine lederne Umhängetasche von der Schulter rutschen. Dass sie mit dem Notebook darin zu Boden fiel, kümmerte ihn nicht. Er hatte nur ein Ziel. Er riss die Tür zum Arbeitszimmer auf, schaltete den Laptop ein und rief das Portal Sex-4-2 auf. Als es auf dem Bildschirm erschien, ging er mit dem Mauszeiger auf »gelesene Nachrichten«. Er las die letzte Nachricht, und seine Wut stieg noch um ein einige Grade. Er klickte auf »Antworten« und schrieb an Sexy Bird:
Wo warst du? Ich habe über eine Stunde auf dich gewartet! Ich bin stocksauer! Du hast mir noch gestern versichert, dass du kommst!
Es dauerte nicht lange, dann ging die Antwort von Sexy Bird ein.
Schatzi, du hast dich im Datum geirrt, wir wollten uns doch erst nächsten Dienstag treffen. Bitte, mein Lieber, sei nicht sauer. So ein Versehen kann jedem passieren.
Diese Antwort erzürnte ihn noch mehr.
Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass du mich sitzen lässt. Dass du nicht wusstest, dass wir uns heute treffen wollten, ist gelogen. Lies deine letzte Nachricht, und du wirst sehen, dass du mir geschrieben hast, dass wir uns heute um elf Uhr vormittags vor dem Alsterkaufhaus treffen wollten.
Sexy Bird: Tut mir leid, mein Schatz, da muss ich etwas durcheinander gebracht haben, denn in meinem Terminkalender steht unser Treffen unter dem Sechzehnten. Heute hätte ich auch gar nicht gekonnt. Ich hatte um zehn Uhr einen Termin beim Frauenarzt, und der steht schon seit langem fest. Nun sei wieder lieb. Wenn du willst, können wir uns am Wochenende treffen. Da ist mein Freund weg und wir können es uns bei mir richtig gemütlich machen. Was hältst du davon? Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen.
Ist das hundertprozentig sicher, oder willst du mich nur hinhalten, damit ich viele Coins verbrauche?
Sexy Bird: Das ist jetzt aber gemein von dir. Wofür hältst du mich? Ich bin doch keine Animatöse! Ich muss genauso Coins kaufen wie du.
Schon gut. Ich halte dich natürlich nicht für eine Animateurin. Wenn ich das täte, hätte ich dir nicht so lange geschrieben und dir schon gar nicht meine geheimsten erotischen Träume mitgeteilt. Also gut. Wir treffen uns am Samstag, dem dreizehnten, um zehn Uhr vor dem Alsterkaufhaus.
Genau, Schatzi. Ich habe es in meinen Terminkalender eingetragen.
Vergiss es nicht wieder.
Sexy Bird: Wo denkst du hin, mein Süßer? Ich freue mich doch genauso wie du auf unser Treffen, und dann machen wir alles, wovon wir träumen.
Obwohl sie nur kurze Mitteilungen ausgetauscht hatten, erregten Sexy Birds Worte ihn so, dass er ins Badezimmer laufen musste.
Bis zum Sonnabend konnte er kaum arbeiten. Immer wieder dachte er an das Treffen und an das, was sie beide zusammen anstellen würden.
Am Sonnabendmorgen kaufte er eine Flasche Champagner, um damit ihr erstes reales Treffen zu feiern.
Der elegante Herr war rechtzeitig vor dem Alsterkaufhaus. Je weiter der Zeiger seiner Armbanduhr sich der Zehn näherte, desto erwartungsvoller wurde er. Gleich würde er die Frau sehen, mit der er über ein halbes Jahr pornografische Gedanken ausgetauscht hatte. Zum x-ten Mal fragte er sich, wie sie wohl aussehen mochte. Zwar hatte er ihr Profilfoto gesehen, doch das konnte geschönt sein.
Die Uhr zeigte zehn an. Er sah sich um, doch keine Frau schien ihn zu beachten. Es wurde fünf nach, zehn nach – nichts. Um Viertel nach zehn keimte in ihm zum ersten Mal der Verdacht auf, sie könnte ihn erneut versetzt haben. Er wollte den Gedanken verscheuchen, doch der hatte sich bereits wie ein böser Geist in seinem Gehirn festgesetzt.
Es gab so viele Möglichkeiten, warum sie sich verspätet haben konnte. Aber eine Stunde später war offensichtlich, dass er wieder einmal der Dumme war. Kochend vor Wut raste er nach Hause und setzte sich an den Laptop. Nach zwei Tagen hatte er die Adresse der Frau herausgefunden.
***
»Guten Morgen, Dörte, ich hoffe, du hattest ein geruhsames Wochenende«, begrüßte Dr. med. Hendriksen das Urgestein der Hamburger Agentur für vertrauliche Ermittlungen.
Dörte Hauser hatte zusammen mit Hendriksens Vorgänger Jeremias Voss die Agentur aufgebaut, und als Marten Hendriksen sie übernahm, war er dankbar, als Dörte ihm sagte, sie wolle den Job gerne behalten. Ihr Wissen über die Büroabläufe und den Umgang mit Behörden und Presse waren unverzichtbar.
»Moin, Chef, wie siehst du denn aus? Hast du in einer Pfütze gebadet?«
Hendriksen nahm das Mountainbike von seiner Schulter und lehnte es gegen Dörtes Schreibtisch.
»Könnte man denken«, sagte er mit einem Grinsen. »Aber nein, ich bin kurz bevor ich hier ankam in einen Wolkenbruch geraten, und ein liebenswerter Autofahrer hat mir eine Dusche verpasst. Hast du mal ein Handtuch für mich?«
»Natürlich.«
Dörte ging zur Pantryküche, zog zwei Geschirrhandtücher aus einem der Hängeschränke über der Herd-Spüle-Kombination und reichte sie ihrem Chef.
»Danke.«
»Wie bist du bloß auf die Idee gekommen, bei diesem Wetter mit dem Fahrrad herzukommen?«
»Ich dachte, ich würde es im Trockenen schaffen.«
Dörte schüttelte verständnislos den Kopf. »Unvernünftig, wie die Männer so sind. Du versaust den ganzen Parkettboden.«
Sie ging zurück zur Pantryküche und holte zwei Scheuerlappen aus dem Unterschrank.
»Hier, stell dein Rad darauf, damit das Wasser nicht aufs Parkett tropft. Das könnte den Boden ruinieren.« Dörte schüttelte erneut den Kopf. »Was, wenn jetzt ein Kunde hereinkäme, was soll der denn von uns denken?«
»Keine Sorge, der Boden ist versiegelt.«
»Ja, vor fünf Jahren. Hier vor meinem Schreibtisch dürfte die Versiegelung längst abgelaufen sein.«
Hendriksen hatte sich inzwischen das Gesicht abgetrocknet und die Haare trocken gerubbelt, nun begann er, sein Mountainbike abzureiben.
Dörte beugte sich mit gerunzelter Stirn über den Schreibtisch. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Das ist ein Geschirrhandtuch und kein Putzlappen. Damit trocknen wir unsere Tassen ab. Männer! Am besten, du bringst das Rad in dein Büro, gehst nach oben und ziehst dir trockene Sachen an, sonst erkältest du dich noch und steckst uns an. Ich kümmere mich um den Rest.«
»Ein vernünftiger Vorschlag.«
Hendriksen drehte sich um und wollte in sein Büro gehen, von wo aus eine Treppe in den ersten Stock führte. Hier gab es ein Duschbad und eine Umkleide, in der er Ersatzkleidung aufbewahrte.
»Und was ist mit dem Rad? Das willst du doch nicht etwa hier stehen lassen? Was soll ein Besucher denken, wenn dort, wo er sich hinsetzen soll, ein klitschnasses Rad herumsteht.«
»Was ist mit dir los, Dörte? So pingelig kenne ich dich gar nicht«, murrte Hendriksen.
»Mit mir ist gar nichts. Ich kann es nur nicht leiden, wenn der Empfangsbereich, der unsere Visitenkarte ist, wie eine Abstellkammer aussieht.«
»Schon gut, ich weiß ja, dass du dich bemühst, diesen Raum eindrucksvoll zu halten.«
Hendriksen nahm das Mountainbike und verschwand in seinem Büro. Er lehnte es an die Wand hinter dem Schreibtisch und stieg die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Diese Etage hatte Jeremias Voss sich einst als Wohnung ausgebaut und dort bis zu seiner Hochzeit mit der Erbin des Malakow-Konzerns gewohnt.
Hendriksen und sein Partner Arne Claasen hatten sich entschieden, die Wohnung aufzulösen und in Büroräume umzuwandeln. Die Umkleideräume für Männer und Frauen waren bereits fertig, so dass Hendriksen nach einer heißen Dusche trockene Kleidung anziehen konnte.
Als er zum Büro hinunterging, sah er, dass sein Mountainbike gereinigt und trocken war.
Er streckte den Kopf durch die offene Tür in den Empfangsbereich. »Dörte, du bist ein Schatz.«
»Das merke ich mir. Ich konnte nicht mitansehen, wie dein Rad das Büro verschmutzt. Was sollen die Besucher von uns denken?«
»Heute hast du es aber wirklich mit den Besuchern, dabei sehe ich keinen einzigen.«
»Wart es nur ab. Die kommen schon noch, das habe ich im Gefühl.«
»Dein Gefühl in Ehren, aber könnten wir uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren? Wie sieht es mit einem Pott Tee aus?«
»Kommt sofort. Das Wasser ist schon heiß, muss ihn nur noch aufbrühen.«
Es dauerte nicht lange, und das würzige Aroma von Minze zog durchs Büro.
Marten Hendriksen war während der Semesterferien seines Medizinstudiums zum Weltreisenden geworden. Zusammen mit einem Studienfreund war er nur mit Rucksack und Schlafsack teils per Anhalter oder zu Fuß, selten mit dem Bus und noch seltener mit dem Flugzeug durch die Kontinente gereist.
Im Nahen Osten, ganz besonders in der Türkei, war er zum Pfefferminzteetrinker geworden. In Hamburg hatte er so lange die orientalischen Geschäfte durchkämmt, bis er eines gefunden hatte, das frische Pfefferminzkräuter verkaufte. Seitdem bezog er seinen Tee nur noch von dort. Dörte war mit der Zeit zur Expertin in Pfefferminzteezubereitung geworden.
Hendriksen bedankte sich für sein morgendliches Lebenselixier, dann beäugte er misstrauisch die Post, die Dörte in drei Stapel geordnet auf seinem Schreibtisch abgelegt hatte.
Der kleinste Stapel bestand nur aus zwei Briefen. Sie kamen von ihrem Buchführungsbüro und mussten sofort beantwortet werden. Der zweite Stapel war Informationsmaterial, das unter die Überschrift »nice to know« fiel, und der dritte Stapel, der größte, enthielt nur Werbung oder Bitten um Spenden, also Material, das Hendriksen unbesehen in den Papierkorb warf.
Bevor er die beiden wichtigen Briefe beantwortete, fragte er Dörte, ob es etwas Neues gab.
»Hast du heute Morgen schon die Zeitung gelesen?«, rief sie von ihrem Schreibtisch aus.
»Welche Zeitung?
»Egal, irgendeine, zum Beispiel das Hamburger Tageblatt.«
»Nein, hatte noch keine Zeit dazu.«
Dörte nahm die Tageszeitung, ging in Hendriksens Büro und reichte sie ihm.
»Hier, lies mal.«
Sie zeigte auf den Artikel auf der ersten Seite.
Hendriksen nahm ihr die Zeitung aus der Hand. Schon die reißerische Überschrift erregte seine Aufmerksamkeit.
Mysteriöse Frauenleiche in der Alster gefunden
Heute Morgen gegen vier Uhr dreißig meldete ein junger Angler bei der Polizei, er habe einen Menschen in der Alster treiben sehen. Die nach wenigen Minuten eingetroffenen Beamten und Beamtinnen, ein Notarzt und die Besatzung des Rettungswagens konnten eine Frau nur noch tot aus der Alster bergen. Erste Untersuchungen vor Ort ließen keine Verletzungen erkennen. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Die Tote aus der Alster ist bereits die dritte Frau, die auf so mysteriöse Weise aus Hamburgs Flüssen gefischt wurde. Im Dezember wurde eine zweiundzwanzigjährige Frau in der Bille treibend gefunden, im April eine Sechsundreißigjährige in der Elbe bei Blankenese, und jetzt die Alsterfrau. Bei keiner der Frauen wurden Verletzungen festgestellt.
Treibt in Hamburg etwa ein Serienkiller sein Unwesen?
Verfügt er über eine Mordmethode, die selbst die Rechtsmedizin mit ihren hypermodernen Geräten nicht entschlüsseln kann? Können Frauen sich nachts noch auf die Straßen wagen?
Der Rest des Artikels bestand aus Vermutungen, die zu lesen Hendriksen sich ersparte. Er faltete die Zeitung zusammen und reichte sie Dörte zurück.
»Daschja een Ding.«
»Das kannst du laut sagen, Chef. Der Artikel wird in Hamburg ganz schön für Aufregung sorgen.«
»Das mit Sicherheit. So manche Frau wird nachts erst mal nicht mehr auf die Straße gehen. Versuch mal, so viel Informationen wie möglich aus dem Internet oder bei deinen anderen Kontakten zu sammeln. Vielleicht können wir einen Auftrag an Land ziehen.«
»Willst du da wirklich mitmischen? Ist das nicht viel zu gefährlich? Wenn die Polizei mit ihren vielen Möglichkeiten schon im Dunkeln tappt, wie willst du da mit unseren beiden Ermittlerinnen erfolgreich sein?«
»Du vergisst mich und die Rentnergang.«
»Wie konnte ich nur?« Dörte verdrehte die Augen. »Das ist natürlich etwas ganz anderes. Was sind schon zwanzigtausend Polizisten gegen unser Sechs-Personen-Team?«, sagte Dörte ironisch. »Mein Rat ist, lass die Finger davon!«
Hendriksen grinste. »Schaun wir mal. Du kümmerst dich um die Informationen, und ich bearbeite die lästige Post.«
Während er sprach, hatte er sich die beiden Briefe des Buchhaltungsbüros gegriffen und begann zu lesen. Dörte verließ leise das Büro.
Hendriksen vermerkte seine Gedanken stichwortartig am Rand der Schreiben und überließ es Dörte, sie auszuformulieren.
Eine Viertelstunde später stürmten seine beiden Ermittlerinnen ohne anzuklopfen ins Büro.
»Moin, Chef«, grüßte Sue Xing.
Irene Bartels, eine Zeitung in der Hand, wartete Hendriksens Erwiderung gar nicht erst ab.
»Moin, Chef, hast du die Morgenzeitung schon gelesen?«
»Wenn du den Artikel über die Frauenleiche in der Alster meinst, den hat mir Dörte gerade gezeigt.«
»Was hältst du davon?«
»Moin erst mal, die Damen, keine Ahnung. Auf jeden Fall eine gediegene Sache.«
»Drei Frauen in Hamburgs drei Flüssen, alle offenbar ohne erkennbare Verletzungen und alle bei beginnender Ebbe.«
»Woher weißt du denn das?«, fragte Hendriksen irritiert. »Stand doch nicht in dem Artikel.«
»Dann hast du ihn nicht zu Ende gelesen. Es wird ziemlich zum Schluss erwähnt«, antwortete Sue.
Hendriksen macht ein gespielt schuldbewusstes Gesicht.
»Tatsächlich?«
»Du hast gar nicht erst so weit gelesen.«
»Gut möglich. Aber ihr beiden seid doch sicher nicht zu mir gekommen, um mich über diese Nachricht zu informieren. Worum geht es?«
»Ich dachte«, sagte Irene voller Eifer, »wir könnten bei den Ermittlungen, wenn es denn welche gibt, mitmischen. Wäre doch eine interessante Aufgabe herauszufinden, was hinter den Todesfällen steckt, und sie vor der Polizei zu lösen. Das wäre doch mal wieder ein Knaller.«
Irene schien ganz besessen von der Aussicht zu sein, der Polizei eins auszuwischen.
Hendriksen grinste. »Sprich mal mit Dörte, was die von deinem Vorschlag hält. Im Ernst. Es ist schon eine Überlegung wert. Doch bevor wir uns zu weit aus dem Fenster lehnen, sollten wir zunächst herausfinden, was die Forensik ermittelt hat und wie die Polizei den Tod der Frau aus der Alster bewertet. So auf blauen Dunst hin etwas zu unternehmen, davon halte ich nichts.«
»Bist du jetzt endlich fertig?«, fragte Sue ihre Kollegin.
»Bin ich.«
»Gut, Chef, dann habe ich ein Anliegen. Ich bitte dich, Irene und mir für den Rest des Tages freizugeben.«
Hendriksen sah sie erstaunt an. »Wollt ihr beide blau machen?«
»Warum musst du uns immer gleich etwas Negatives unterstellen?«, moserte Sue. »Es geht um harte Arbeit für uns beide. Gehirntraining, wenn du so willst. Ich habe einen Bekannten, der in der Hackerszene tätig ist. Er hat mir versprochen, mich in die Arbeitsweise von Hackern einzuweisen. Heute hätte er Zeit für mich. Irene wollte ich mitnehmen. Kann nicht schaden, wenn sie ihr Computerwissen erweitert. Also, Chef, dürfen wir da hin gehen?«
»Natürlich dürft ihr. Sagt Dörte, wo wir euch erreichen können.«
»Geht klar, tschüss, Chef.«
Sue Xing war in China als Undercover-Agentin für Industriespionage ausgebildet worden, um in einem Hamburger Unternehmen geheime Forschungsergebnisse zu stehlen. Hendriksen wiederum war von dem Unternehmen angeheuert worden, Maßnahmen zu entwickeln, um das Ausspionieren von Daten zu verhindern. Es war unvermeidlich, dass Sue Xing und Hendriksen, die beide zur gleichen Zeit am gleichen Problem arbeiteten, allerdings mit verschiedenen Zielsetzungen, zusammenstießen. Er versuchte, die undichte Stelle in der Forschungseinrichtung zu finden, und Sue wollte das Leck vergrößern, um leichter an geheime Forschungsergebnisse heranzukommen. Hendriksen gelang es, sie zu überreden, mit ihm zusammenzuarbeiten. Sue, zur Spionage gezwungen, hoffte, sich mit Hendriksens Unterstützung von den Knebeln der Erpressung lösen zu können. Am Ende konnten die Hintermänner des Diebstahlprojekts sowohl in Hamburg als auch in China entlarvt werden. Sue Xing blieb in Deutschland und bekam aufgrund ihrer Verdienste eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Sie verließ Hamburg vorerst, um in München zu studieren. Ganz überraschend meldete sie sich nach dem Studium wieder bei Hendriksen und bat um eine Anstellung als Ermittlerin.
Ihre Kollegin Irene Bartels hatte keinen so abenteuerlichen Lebenslauf, war aber genauso qualifiziert. Sie kam von der Bundeswehr, bei der sie zwölf Jahre gedient hatte, zuerst bei den Feldjägern und anschließend beim Militärischen Abschirmdienst, dem MAD.
Nachdem Sue und Irene gegangen waren und die Post erledigt war, nahm sich Hendriksen einen Artikel über die neuesten Einbruchsmethoden in elektronisch gesicherte Objekte vor. Er studierte ihn gründlich und verglich ihn mit dem, was er bisher wusste. Dabei kam ihm eine Idee. Er würde einen Raum als Forschungslabor einrichten, in dem sie die neuesten Einbruchsmethoden nachstellen konnten, um Gegenmaßnahmen für die Industrie zu entwickeln. Er konnte sich vorstellen, dass ein solches Softwarepaket der Renner auf dem Sicherheitsmarkt werden würde.
Er wurde von Dörte gestört, die ohne anzuklopfen ins Büro trat. Aber Hendriksen hatte es selbst so verfügt. Er hasste es, wenn er durch Anklopfen aus seinen Gedanken gerissen wurde, vor allem wenn er versuchte, Probleme durch Meditation zu lösen.
Er blickte von dem Bericht auf. »Was gibt es, Dörte?«
»In meinem Büro wartet eine Frau, die dich sprechen möchte.«
»Jung, schön, und sieht sie nach Geld aus?«
»Chef, ich bitte dich. Sie ist eine mögliche Klientin und als solche geschlechtsneutral. Ob sie über Geld verfügt, kann ich nicht sagen. Ist nicht ablesbar an ihrer Kleidung. Ich schätze sie auf Mitte sechzig.«
»Hat sie dir gesagt, weswegen sie mich sprechen will?«
»Nein, hat sie nicht. Sie will es nur dir sagen.«
»Gut, schick sie rein. Mal sehen, was sie auf dem Herzen hat.«
Dörte öffnete die Bürotür. »Würden Sie bitte eintreten, Frau von Basewitz? Herr Doktor Hendriksen empfängt Sie.«
Hendriksen musste sich zwingen, angesichts des geschäftsmäßigen Tons ernst zu bleiben. Er stand auf und ging auf die Frau zu. Sie war fast einen Kopf größer als er, hatte blonde Haare. Gefärbt, dachte Hendriksen, denn am Haaransatz sah er einen grauen Schimmer. Das Gesicht war schmal und wirkte trotz Make-up abgehärmt. Gekleidet war sie in Jeans und eine weiße Bluse. Ein Plastikregenmantel bot Schutz gegen das Wetter. In der Hand hielt sie einen zusammenfaltbaren Regenschirm, aus dem Wassertropfen auf den Boden fielen.
Dörte nahm ihr den Schirm ab und half ihr beim Ausziehen des Regenmantels. Bevor sie das Zimmer verließ, fragte sie Frau von Basewitz, ob sie ihr einen Kaffee oder Tee anbieten dürfe.
»Danke, Frau Hauser.« Sie hatte offensichtlich Dörtes Namensschild auf dem Schreibtisch gesehen. »Für einen Kaffee wäre ich dankbar.«
Hendriksen kam zur Sache, sobald Dörte die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Guten Tag, Frau von Basewitz, Sie wollten mich sprechen?«
»Ja, Herr Doktor, es geht um meine Enkelin.«
»Bitte nehmen Sie Platz und erzählen Sie mir von dem Problem. Sind Sie damit einverstanden, dass ich unser Gespräch auf einen Tonträger aufnehme? Die Aufnahme dient nur dazu, später nachverfolgen zu können, was Sie gesagt haben. Damit kann ich sicher sein, immer in Ihrem Interesse zu handeln.«
Als Frau von Basewitz zögerte, fügte Hendriksen hinzu:
»Sie bekommen von der Aufnahme am Ende unseres Gesprächs eine Kopie, so dass Sie über die gleichen Informationen verfügen wie ich.«
»Ich bin mit der Aufnahme einverstanden.«
Frau von Basewitz wollte schon anfangen zu sprechen, doch Hendriksen stoppte sie mit einer Handbewegung. Er schaltete das Aufnahmegerät ein, gab Tag und Uhrzeit, ihren und seinen Namen ein, dann sagte er: »Frau von Basewitz ist in der Agentur für vertrauliche Ermittlungen erschienen, um ein Problem mit mir zu besprechen.«
Hendriksen zeigte mit der Hand einladend auf Frau von Basewitz. »Nun erzählen Sie bitte, was Sie hierher geführt hat.«
»Jetzt, wo ich so vor Ihnen sitze, erscheint mir meine Angst nicht mehr so gewaltig. Höchstwahrscheinlich habe ich mich in meiner Einsamkeit – Sie müssen wissen, ich lebe allein – in eine Hysterie hineingesteigert. Ich denke, ich brauche Sie gar nicht weiter mit meinem Problem zu belästigen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen Ihre Zeit gestohlen habe.«
Frau von Basewitz machte Anstalten aufzustehen. In diesem Moment erschien Dörte mit dem Kaffee.
»Nun setzen Sie sich bitte wieder hin und trinken den Kaffee. Ein Verhalten, wie Sie es zeigen, ist in unserem Geschäft nicht selten. Da geht es uns wie Zahnärzten. Zu denen kommen die Patienten mit Zahnschmerzen, doch wenn sie vor der Tür stehen, sind die plötzlich weg. Aber der Schmerz ist natürlich nicht weg, sondern wird nur von anderen Gefühlen überlagert. Er meldet sich mit gleicher Stärke zurück, sobald die Person wieder zu Hause ist. Ihnen geht es ähnlich. Sie haben ein Problem, und das verringert sich nur, wenn Sie darüber sprechen. Sie sollten dem Gefühl, das Sie zu uns geführt hat, vertrauen. Denken Sie an den Spruch Geteiltes Leid ist halbes Leid. Also erzählen Sie mir, was Sie bedrückt. Erst am Ende entscheiden Sie, ob Sie es vergessen wollen, oder ob es Sinn hat, weiterzumachen.«
Frau von Basewitz schwieg eine Weile und schien das Gesagte zu überdenken. Hendriksen störte sie nicht. Dann veränderte sich ihre Haltung, die drückte das Kreuz durch, sah Hendriksen direkt in die Augen und sprach mit fester Stimme: »Sie haben recht, Herr Doktor Hendriksen. Es hat keinen Sinn, vor etwas davonzulaufen. Ich bin hier, weil ich meine Enkelin seit drei Monaten vermisse. Um das zu verstehen, müssen Sie unsere familiäre Situation kennen. Meine Enkelin heißt Anja Ebeling. Sie ist jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und lebte seit dem fünften Lebensjahr bei mir. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie ist ein vernünftiges Mädchen mit ausgeprägtem eigenen Willen. Sie ist in Hamburg zur Schule gegangen, hat ihr Abitur gemacht und ist danach ausgezogen. Sie wohnte zunächst in einer Wohngemeinschaft für Studenten. Nach einem halben Jahr hat sie sich eine eigene Wohnung genommen.«
»Konnte sie sich das leisten? Wohnungen sind in Hamburg nicht gerade billig.«
»Ja, sie konnte es sich leisten. Als einziges Kind erbte sie das gesamte Vermögen ihrer Eltern. Dazu kamen noch zwei Lebensversicherungen, die sowohl die berufstätige Mutter als auch der Vater abgeschlossen hatten. Außerdem hat sie mir einmal gesagt, dass sie neben dem Studium Geld dazuverdient.«
»Hat sie an der Hamburger Universität studiert?«
»Ja, Wirtschaftswissenschaften.«
»Hat sie ihr Studium bereits abgeschlossen?«
»Das weiß ich nicht. Wir standen uns, seit sie bei mir ausgezogen ist, nicht mehr nahe. Schuld daran bin wohl ich, weil ich sie sehr gescholten habe, als sie bei mir ausziehen wollte. Sie hatte ihr eigenes Apartment mit Badezimmer und allem Drum und Dran und brauchte keine Miete dafür zu bezahlen.«
»Warum ist sie dann ausgezogen?«
»Sie sagte, sie wolle ihr eigenes Leben leben und nicht immer unter Aufsicht stehen.«
»Gab es denn einen Grund, so etwas zu sagen?«
»Leider ja, es war meine Schuld. In den letzten Monaten, als sie noch bei mir wohnte, gerieten wir immer öfter aneinander. Sie gab eine Geburtstagsparty, und bei der waren eigenartige Typen. Einer besaß die Frechheit, sich auf einer antiken Kommode im Flur eine Linie einzuziehen, ich glaube, so sagt man das wohl, wenn jemand Kokain schnupft. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall habe ich meine Enkelin am nächsten Morgen zur Rede gestellt und ihr gesagt, dass ich so etwas nicht in meinem Haus dulde. Das war das Letzte, was ich zu ihr sagen konnte, denn bereits am Abend war sie ausgezogen. Sie hinterließ mir einen kurzen Brief, in dem sie sich für alles, was ich für sie getan habe, bedankte. Aber sie wolle ausziehen, weil ich mich in ihr Leben einmische.«
»Hatten Sie danach noch Kontakt zu Ihrer Enkelin?«
»Wie man’s nimmt. Sie hat mich angerufen, etwa einmal im Monat. Sie hat mir etwas von sich erzählt, nur ganz Allgemeines, und hat mich gefragt, wie es mir geht, und das war es auch schon. Vor vier Monaten hatte ich das Gefühl, dass sie wieder mehr Kontakt zu mir haben wollte. Sie hatte mir sogar angeboten, mal wieder einen Kaffee zusammen zu trinken.«
»Wo? Bei Ihnen oder bei Ihrer Enkelin?«
»In einem Café in der Innenstadt. Ich war darüber sehr erfreut und habe darauf gewartet, dass sie sich melden würde. Doch seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.«
»Haben Sie die Telefonnummer Ihrer Enkelin?«
»Leider nein, wenn sie angerufen hat, dann stand auf dem Display immer nur: unterdrückte Nummer.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Nein, sie hat mir nie eine Adresse mitgeteilt.«
»Sie sagten, sie habe Wirtschaftswissenschaften studiert. Wissen Sie, was sie seit ihrem Studienende gemacht hat? Was ich meine, ist, welchen Beruf hat sie ergriffen und bei welcher …«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob sie ihr Studium überhaupt beendet hat.«
»Das sind ziemlich magere Informationen.«
Beide schwiegen, Hendriksen, weil er überlegte, ob es überhaupt einen Ansatz für Ermittlungen gab, und Frau von Basewitz, weil sie sich fragte, ob sie irgendetwas zu erwähnen vergessen hatte. Sie räusperte sich. Mit einer Handbewegung forderte er sie auf zu sprechen.
»Ich weiß nicht, ob es erwähnenswert ist, aber während des Studiums hat sie mal erwähnt, dass sie in einem Call Center arbeitet.«
»Das könnte ein Ansatz für Ermittlungen sein. Hat sie gesagt, bei welchem Call Center und wo es liegt?«
»Nein, ich glaube nicht, und wenn sie es erwähnt haben sollte, kann ich mich nicht mehr daran erinnern.«
»Hat sie irgendwann mal Namen erwähnt? Freundinnen, Kommilitonen oder andere Personen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»War sie religiös? Ist sie oft zur Kirche gegangen?«
»Sie war nicht religiös, sie verachtete die Kirchen, das heißt nicht die Kirchgänger, sondern die Kleriker.«
»Ich denke, das reicht fürs Erste. Ich werde Ihren Fall morgen mit meinen Mitarbeitern besprechen und Sie anschließend von unserem Entschluss unterrichten. Bitte hinterlegen sie bei Frau Hauser Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer.«
Hendriksen stand auf und geleitete Frau von Basewitz zu Dörte in den Empfangsraum.
»Bitte gib Frau von Basewitz eine Kopie unseres Gesprächs.«
»Sofort, Chef.«
»Morgen werden wir sehen, ob wir den Fall übernehmen können oder nicht. Wenn wir uns dafür entscheiden, dann sehen wir eine reelle Chance, den Fall zu lösen. Ob Ihnen das Ergebnis letztlich gefällt, das liegt nicht in unserer Macht.«
Er verabschiedete sich von Frau von Basewitz und ging zurück in sein Büro.
Gegen drei Uhr am Nachmittag kamen Sue und Irene von ihrem Termin mit dem Hacker zurück. Beide waren begeistert. Selbst Sue, die durch ihr Training als Industriespionin in China eine umfassende Ausbildung als Programmiererin bekommen hatte, musste zugeben, dass ihr Wissen inzwischen veraltet war. Der Hacker hatte sie mit einigen Anwendungstricks für den Umgang mit Internet und Darknet auf den neuesten Stand gebracht.
Begeistert berichteten die beiden Hendriksen über den Einblick in die Arbeitsweise eines Hackers. Sues Freund hatte ihnen auch angeboten, sie weiter zu unterweisen, dann allerdings gegen eine angemessene Entlohnung.
Hendriksen, der schnell begriffen hatte, wie wertvoll die Kenntnisse eines Hackers für die Agentur sein konnten, stimmte der Weiterbildung zu, forderte Sue jedoch auf, dafür zu sorgen, dass sich die Kosten in einem akzeptablen Rahmen hielten.
»Und nun, meine Damen, holt euch etwas zu trinken, denn wir haben einen möglichen Fall zu diskutieren. Am Ende unseres Gesprächs will ich von euch wissen, ob ihr ihn für lösbar haltet.«
Die beiden Frauen kamen mit leeren Händen zurück.
»Nanu«, sagte Hendriksen, »was ist mit euch los, keinen Durst?«
Bevor sie antworten konnten, trat Dörte mit einem Tablett ein.
»Chef, du weißt doch, wir haben uns darauf geeinigt, dass ich für die Küche zuständig bin und dass nicht jeder dort herumwuselt. Ich weiß dann nie, was verbraucht wurde. Wenn ihr etwas zur Stärkung braucht, dann wendet euch an mich. Dann habt ihr sogar den Vorteil, bedient zu werden.«
»Schon gut, wir wissen dein Engagement zu schätzen. Sue und Irene wollten dir nur Arbeit ersparen.«
»Pah, Arbeit ersparen! Das bedeutet für mich, dass ich morgens in jeden Topf schauen muss, um zu sehen, was verbraucht wurde, und die Teebeutel wieder nach Sorten sortieren muss. Von Arbeitsersparnis kann da keine Rede sein.«
»Schon gut, wir haben deine Bedenken registriert und werden uns daran halten. Jetzt müssen wir uns der Arbeit zuwenden, sonst können wir uns den Kaffee überhaupt nicht leisten.«
»Chef, ich habe das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst.«
»Und ob ich das tue. Hol dein Notizbuch und setz dich zu uns.«
Dörte verschwand und kam mit ihrem Stenoblock und einer Tasse Kaffee zurück.
Hendriksen begann mit einer Zusammenfassung dessen, was Frau von Basewitz erzählt hatte.
»So, jetzt wisst ihr so viel wie ich. Wie seht ihr den Fall?«
Es folgte ein längeres Schweigen.
Als es Hendriksen zu lange dauerte, sagte er: »Nur keine Scheu, meine Damen, ihr müsst doch inzwischen zu einer Meinung gekommen sein. Heraus damit, egal, ob ihr sie für unsinnig haltet oder nicht. Mir geht es nicht anders. Hilft aber nichts, wir müssen eine Entscheidung treffen.«
»So wie ich das sehe, ist der Auftrag schlimmer, als die vielzitierte Nadel im Heuhaufen zu suchen. Beim Heuhaufen könnten wir jeden einzelnen Grashalm zur Seite legen und würden dann irgendwann auf die Nadel stoßen. Hier haben wir nicht einen konkreten Punkt, an dem wir mit den Ermittlungen ansetzen können.«
»Ich bin ähnlicher Meinung«, sagte Sue, »wobei ich nicht ganz so schwarz sehe wie Irene. Wir haben zum Beispiel den Namen der jungen Frau, und wir wissen, dass sie in Hamburg studiert und in einem Call Center gearbeitet hat. Das ist zwar nicht viel, aber es wäre schon mal ein Einstieg. Ich denke, wir könnten es machen.«
»Weißt du, wie viel Anja Ebelings es in Hamburg gibt? Ich nehme an, es sind hunderte«, entgegnete Irene ungeduldig.
»Da mag schon stimmen, doch wir haben drei Ansatzpunkte.«
Irene schüttelte den Kopf. »Call Center gibt es auch wie Sand am Meer. Die meisten liegen im Ausland. Natürlich können wir versuchen, eins nach dem anderen anzurufen, ob wir jedoch von irgendeinem eine Antwort bekommen, ist fraglich. In der EU bestimmt nicht, da gilt das Datenschutzgesetz.«
Hendriksen ließ die beiden Frauen die Diskussion führen, ohne einzugreifen. Er hatte das Gefühl, dass Irene weniger ihre persönliche Meinung vertrat, sondern den Advocatus Diaboli spielte. Sobald er den Eindruck gewann, dass die Diskussion zu hitzig wurde, griff er ein. Als weder Irene noch Sue neue Gedanken oder Ideen in die Debatte einbrachten, beendete er die Diskussion und wandte sich an Dörte.
»Dörte, du hast die ganze Zeit zugehört, ohne dich zu beteiligen. Was ist dein Eindruck, wer hat die besseren Argumente, Sue oder Irene?«
»Mich das zu fragen, ist unfair, Chef. Jetzt soll ich Schiedsrichter spielen und Partei für die eine ergreifen und mir den Zorn der anderen zuziehen.«
»Gut, das sehe ich ein. Dann frage ich dich, was du denkst. Hat Irene ihre Überzeugung vertreten, oder hat sie versucht, alle Argumente gegen eine Übernahme des Falls gegen Sues Auffassung zu verwenden?«
»Ich bin überzeugt, dass sie den Anwalt des Teufels spielte.«
An Irenes kaum merklichem Schmunzeln erkannte Hendriksen, dass Dörte und er recht hatten.
»Also, Irene, jetzt wollen wir deine wirkliche Meinung hören.«
»Schade, dass ihr es gemerkt habt. Ich kann nur sagen, dass Sue sich hervorragend geschlagen hat und ich ihr voll zustimme. Ich bin dafür, dass wir den Fall übernehmen. Eins muss ich jedoch zu Protokoll geben: Ich bin nicht hundertprozentig überzeugt, dass wir ihn auch lösen werden.«
»Danke, Irene, das hast du gut gemacht. Stimmen wir jetzt ab. Irene, ich entnahm deinen Worten, dass du für die Übernahme bist. Ich bin ebenfalls dafür, was ja klar sein dürfte.«
»Sue?«
»Bin dafür.«
»Bleibe nur noch ich übrig, und ich stimme auch dafür«, sagte Dörte.
Sie legte eine Aktennotiz an, dass die Übernahme einstimmig beschlossen worden war, und fügte Irenes einschränkende Bemerkung hinzu.
»Damit machen wir Schluss für heute. Nachdem wir eine Nacht darüber geschlafen haben, setzen wir uns morgen früh um neun Uhr zusammen, um die Aufgaben zu verteilen.«
Hendriksen erhob sich und sah Dörte mit einem bittenden Blick an. »Auch wenn ich Feierabend angeordnet habe, machst du mir noch einen Pfefferminztee?«
»Selbstverständlich, Chef, das mache ich auch ohne deinen Dackelblick.«
»Willst du noch arbeiten?«, fragte Sue.
»Ja, ich will mir noch ein paar Gedanken für morgen früh zurechtlegen. Zu Hause komme ich nicht dazu.«
»Kann ich dir dabei helfen?«
»Das ist lieb von dir, aber ich muss es allein tun.«
»Dann tschüss, Chef.«
Sue und Irene verabschiedeten sich.
Als Sue und Irene am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr die Agentur betraten, hatte Dörte schon alles für die Besprechung hergerichtet. Vor Hendriksen stand ein dampfender Becher Pfefferminztee, aus frischer Minze gebrüht. Auf dem Tisch befand sich eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Kanne mit vierprozentiger Kondensmilch. Auch Sues und Irenes Becher standen an ihren Plätzen. Am meisten aber bestaunten die Frauen einen Teller mit Brötchenhälften, die mit Butter, Käse, Wurst und Marmelade belegt waren.
Dörte erklärte: »Ich weiß doch, dass ihr morgens nie vernünftig frühstückt, und da dachte ich mir, dass ihr nicht richtig arbeiten könnt, wenn ihr nichts im Magen habt. Also setzt euch und greift zu. Der Chef hat angerufen. Er kommt eine Viertelstunde später. Wegen eines Rohrbruchs ist eine Straße gesperrt, so dass er einen Umweg fahren muss.«
Dörte nahm den Pfefferminztee mit und stellte ihn in die Mikrowelle.
Hendriksen erschien wenige Minuten nach neun. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, ein Zeichen, dass er sich sehr beeilt hatte. Biki hing über seiner Schulter.
»Moin, die Damen, ich entschuldige mich für mein Zuspätkommen.«
Er nahm das Mountainbike von der Schulter und lehnte es hinter seinem Schreibtisch an die Wand.
»Was ist denn das?«, fragte er und deutete auf die Brötchen. »Hat jemand Geburts- ? Dörte!«, rief er laut.
Dörte kam mit dem Becher dampfendem Pfefferminztee herein. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass heute jemand Geburtstag hat?«
Sue klärte ihn auf. »Niemand hat Geburtstag, Chef. Die Brötchen hat Dörte besorgt, weil sie glaubt, wir seien mit leerem Magen zu aggressiv.«
»Ist doch wahr«, sagte Dörte mit Nachdruck.
Hendriksen nahm ein Wurstbrötchen, biss herzhaft hinein und sagte mit vollem Mund:
»So meine Damen, an die Arbeit. Ihr hattet eine Nacht Zeit, um über eure gestrige Entscheidung zu schlafen. Möchte eine von euch etwas ändern, hinzufügen oder ihre Zustimmung rückgängig machen, dann ist jetzt die Zeit dafür. Fangen wir mit Irene an. Hast du etwas zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben?«
»Nein, ich stehe zu meiner Entscheidung von gestern.«
»Ich auch«, stimmte Sue zu, bevor Hendriksen sie fragen konnte.
»Dann ist es so. Dörte, rufe Frau von Basewitz an und mach den Vertrag fertig. Wir werden uns darüber unterhalten, wie wir den Fall angehen und wer welche Aufgaben übernimmt.«
Hendriksen nahm sich ein weiteres Brötchen, diesmal wählte er eins mit Camembert, legte es jedoch gleich wieder zur Seite, um nicht mit vollem Mund zu sprechen.