Herzblatt - Frieda Roth - E-Book

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Frieda Roth

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Beschreibung

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken Es gibt Tage, da wünscht man sich, im Bett geblieben zu sein. Und doch verändern sie dein Leben so, dass du es dir gar nicht mehr anders vorstellen möchtest. Ohne Action und trotzdem mit zahlreichen blauen Flecken. Auf Körper und Seele. Lulu verliert zwei Jobs, einen Traum und ihr Selbstwertgefühl. Was sie bekommt, ist ein emotionales Jo-Jo, wahre Freundschaft und eine intrigante Widersacherin. Das Leben wäre ja auch sonst langweilig. Die ehemalige Lektorin lebt mit ihrem Ex und dessen neuer Liebe unter einem Dach und findet ihre Bestimmung als Moderatorin beim Radio. Und Sam, der buchstäblich mit einem Knall in ihr Leben tritt. Der jedoch steht zwischen zwei Frauen und hat allerlei Mühe, die richtige Entscheidung zu treffen. Wie gut, dass es Freunde wie Gretchen und Oliver gibt, die dabei gerne behilflich sind.

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Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken

Es gibt Tage, da wünscht man sich, im Bett geblieben zu sein. Und doch verändern sie dein Leben so, dass du es dir gar nicht mehr anders vorstellen möchtest. Ohne Action und trotzdem mit zahlreichen blauen Flecken. Auf Körper und Seele.

Lulu verliert zwei Jobs, einen Traum und ihr Selbstwertgefühl. Was sie bekommt, ist ein emotionales Jo-Jo, wahre Freundschaft und eine intrigante Widersacherin. Das Leben wäre ja auch sonst langweilig.

Die ehemalige Lektorin lebt mit ihrem Ex und dessen neuer Liebe unter einem Dach und findet ihre Bestimmung als Moderatorin beim Radio. Und Sam, der buchstäblich mit einem Knall in ihr Leben tritt. Der jedoch steht zwischen zwei Frauen und hat allerlei Mühe, die richtige Entscheidung zu treffen. Wie gut, dass es Freunde wie Gretchen und Oliver gibt, die dabei gerne behilflich sind.

Das Manuskript aus dem Jahr 2011 wurde 2023 ohne bedeutende Änderungen überarbeitet.

Frieda Roth. 1969 geboren, geschieden, in Vollzeit berufstätig und zweifache Mutter bereits erwachsener Söhne.

Das Schreiben begleitet die tätowierte Indie-Autorin seit ihrer frühen Jugend, beginnend mit kurzen, später längeren Texten auf einer uralten Triumph Adler.

In ihren Romanen verarbeitet sie Hoffnungen und Ängste auf eine ganz eigene, sehr persönliche Weise. Wichtig ist ihr, dass alle Geschichten mit einer satten Portion Humor versehen sind. Das Leben ist nämlich bunt.

Mit ihren Heiligen Birmas Emil und Paul lebt sie in Südhessen und twittert täglich unter dem Account @dietantefrieda.

Weitere Veröffentlichungen:

ZIMTZICKE (2004)

FUNKENMARIE (2005)

DORNRESCHEN (2005)

MAMA MIA (2006)

VOLLE LOTTE (2007)

GLÜCKSKLEE (2008)

Mitwirkende

Ludowika Luise (Lulu) Herz Lektorin und Aushilfskellnerin

Björn Glück Logopäde | Lulus bester Freund und Ex-Mann

Samuel (Sam) Loos(Funkenmarie) Moderator bei Radio Sonnenschein

Alex Frisör | in einer Beziehung mit Björn

Oliver Prinz(Funkenmarie) Moderator bei Radio Sonnenschein

Marie Prinz(Funkenmarie) Tagesmutter | verheiratet mit Oliver

Gunter (Gunni)(Funkenmarie) Visagist

Gretchen Fraage Lektorin | Lulus Freundin und ehemalige Kollegin

Lisbeth und Konstantin Lulus Eltern

Arndt Lektor | in einer Beziehung mit Sylvia

Sylvia Cheflektorin | in einer Beziehung mit Arndt

Emilia Schwester von Alex

Jacqueline Biestermann Lebensgefährtin von Sam

Enrico Biestermann Bruder von Jacqueline

Emma Jackson Patientin von Björn

Kollegium Radio Sonnenschein:

Marc-Dominic Hinze Sportmoderation

Arife Özgül Hörertelefon

Allegra Meier Marketing

Till Nachrichten

Pia

Micha

Milena Hörertelefon

Doris Hörertelefon

Lukas Wetterintendant

Außerdem dabei:

Tyson Chihuahua

Bella und Edward Jemenchamäleons

Swantje(Glücksklee) Gastronomin | Besitzerin des Keller

Lennard Glück(Glücksklee) Polizeibeamter

Joey Miller(Glücksklee) Polizeibeamter

Tekin Dönerbudenbesitzer | Lulus ehemaliger Klassenkamerad

Für Alex.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL eins

KAPITEL zwei

KAPITEL drei

KAPITEL vier

KAPITEL fünf

KAPITEL sechs

KAPITEL sieben

KAPITEL acht

KAPITEL neun

KAPITEL zehn

KAPITEL elf

KAPITEL zwölf

KAPITEL dreizehn

KAPITEL vierzehn

KAPITEL fünfzehn

KAPITEL sechzehn

KAPITEL siebzehn

KAPITEL achtzehn

KAPITEL neunzehn

KAPITEL zwanzig

KAPITEL einundzwanzig

KAPITEL zweiundzwanzig

KAPITEL dreiundzwanzig

KAPITEL vierundzwanzig

KAPITEL fünfundzwanzig

KAPITEL sechsundzwanzig

KAPITEL siebenundzwanzig

KAPITEL achtundzwanzig

KAPITEL neunundzwanzig

KAPITEL dreißig

KAPITEL einunddreißig

KAPITEL zweiunddreißig

KAPITEL dreiunddreißig

KAPITEL vierunddreißig

KAPITEL fünfunddreißig

KAPITEL sechsunddreißig

KAPITEL achtunddreißig

KAPITEL achtunddreißig

KAPITEL neununddreißig

KAPITEL vierzig

KAPITEL einundvierzig

KAPITEL zweiundvierzig

KAPITEL dreiundvierzig

KAPITEL vierundvierzig

KAPITEL fünfundvierzig

KAPITEL sechsundvierzig

KAPITEL siebenundvierzig

KAPITEL achtundvierzig

KAPITEL neunundvierzig

KAPITEL fünfzig

KAPITEL einundfünfzig

KAPITEL zweiundfünfzig

KAPITEL dreiundfünfzig

KAPITEL vierundfünfzig

KAPITEL fünfundfünfzig

KAPITEL sechsundfünfzig

KAPITEL siebenundfünfzig

KAPITEL achtundfünfzig

KAPITEL neunundfünfzig

KAPITEL sechzig

KAPITEL einundsechzig

KAPITEL zweiundsechzig

KAPITEL dreiundsechzig

KAPITEL vierundsechzig

KAPITEL fünfundsechzig

Herzblatt [2011] Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken

KAPITEL eins

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,

denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält,

lenkt deinen Lauf.

Khalil Gibran.

Der Morgen lief ganz gut. Dann bin ich aufgestanden.

Ich erwache tiefenentspannt und durchaus befriedigt. Das war mit Abstand der geilste Sex seit dem Einsetzen meiner Periode. Und mit der ist es angesichts meines Jahrgangs schon weit her. Sehr weit.

Mit geschlossenen Augen sauge ich die Erinnerung der letzten Nacht tief ein. Ein perfekter Cocktail aus Kardamon, Patchouli und einem Hauch Bitterorange. Oder...? Ist das etwa Hundekacke?

Mein Radiowecker, ein Kind der frühen Achtziger, hat sich in alter Gewohnheit verselbständigt. Exakt siebenunddreißig Minuten vor der programmierten Alarmzeit und in eigenwilliger Lautstärke brüllt mir der gute Jon Bon Jovi You give love a bad name ins morgendlich sensible Gehör.

Es ist Hundekacke – und meine vaginale Hochstimmung relativ schnell im Eimer. Schwerfällig quäle ich mich aus dem Bett und sammle mittels Papiertuch die kleine Wurst auf. Phallisches Geistesgut verpufft, als mir der Duft verdauter Nahrungsmittel in die Nase steigt. Ich spüle sowohl Hundewurst, als auch jeglichen Gedanken an weitere, wie auch immer geartete Würste mit tiefem Seufzen das Klo hinunter.

„Bjööö-ööörn!“, grolle ich schon am Treppenaufgang. Zugegeben, es klingt wie der Ruf einer Domina. Stimmlich bin ich dauererkältet. Seit ich sprechen kann, klingt meine Stimme heiser, rau und manchmal ein wenig krächzend. Wie Pink!, sagen liebe Freunde. Wie die Frau von der Sexhotline!, sagen ehrliche Freunde. „Hast du Tyson gestern Nacht denn nicht noch mal nach draußen gelassen?“

Ich vernehme hektisches Klappern aus der Küche im Erdgeschoss.

„Nee-heee“, kommt die überraschte Antwort. „Hätte er denn noch mal gemusst?“

Ich klemme Tyson unter meinen Arm und schnaube: „Hätte er mir sonst ins Schlafzimmer gekackt?“

Tyson ist ein drei Monate alter Chihuahua. Sie wissen schon: diese mexikanischen Fledermäuse, die überwiegend aus Ohren bestehen, deren Augen aussehen, als litten sie unter Verstopfung, und die tatsächlich ganz offiziell als Kleinhundrasse anerkannt sind, weil sie bellen können. Genau so ein Exemplar wurde mir vor vier Wochen von einem Gast in der Jagdhütte aufgedrängt. „Sooonst iccch muss leidärrr ärrrtränken Chhhuuund in Bierrrglas“, erklärte das russische Double von Arnold Schwarzenegger mit tollwütigem Knurren in der Stimme, setzte ein nicht mal faustgroßes, zitterndes Etwas bedeutungsschwanger neben die potentielle Tatwaffe und dekorierte es mit Schaum. Beide sahen mich aus großen, hervorquellenden und tiefschwarzen Augen an. Der eine mit unverhohlener Überheblichkeit, der andere mit trauriger Unschuld.

Ich bin eigentlich kein Mensch, der sich erpressen lässt. Aber als plötzlich unter der riesigen Pranke zwei winzige Pfoten im Gerstensaft paddelten, fühlte ich mich genötigt, einzugreifen und dem Drama ein Ende zu setzen.

„Nasdrowje!“, lachte Arnie, ließ Tyson in meine Schürzentasche gleiten, kippte den halben Liter Bier in einem Zug und bestellte noch zwei Wodka.

Wenn ich am Abend kellnere, liegt es an Björn, sich um den Hund zu kümmern. Und wenn ich am Morgen vor meinem regulären Job in die Küche komme, soll er dafür sorgen, dass mein Kaffee auf dem Tisch steht. Das sind so ziemlich die einzigen Pflichten, die der Herr des Hauses hat.

„Hat er ins Haus gemacht?“, fragt Björn und erwärmt zu meiner Missstimmung gerade erst das Wasser der Padmaschine. Das dauert!

„Was hab ich denn gesagt?“, blaffe ich. „Natürlich hat er ins Haus gemacht.“

„Dann hätte er wohl noch mal rausgemusst.“

Ich möchte Björn auf der Stelle erschlagen.

Normalerweise ist jetzt wieder kopfinterne Diskussion angesagt: Wie ungerecht vom Leben ich mich behandelt fühle, dass ich trotz zwei Jobs den Haushalt fast im Alleingang schmeiße und mir ständig seinen Kopf zerbreche. Normalerweise. Jetzt mache ich mir ein paar Gedanken weniger. Denn aufgrund der regressiven Wirtschaftslage sah sich der Pächter der kleinen gutbürgerlichen Kneipe, in der ich seit über zehn Jahren kellnere, gezwungen, Personal abzubauen. Gestern war mein Letzter. Einen Job bin ich also los.

Zwar bedauere ich den Verlust meines doch recht lukrativen Nebenverdienstes – der Abschied am gestrigen Abend war entsprechend tränenreich –, dennoch atme ich insgeheim auf. Chronischer Schlaf- und Erholungsmangel, nach acht Stunden Büro bis weit nach Mitternacht auf den Beinen – da danken dir Körper und Geist jede noch so kurze Auszeit. Außerdem ist im Verlag, in dem ich seit sechs Jahren arbeite, von Umstrukturierung die Rede, und ich mache mir nicht unbegründet Hoffnung auf den Posten der stellvertretenden Cheflektorin. Arndt und ich wären das perfekte Team. Tag für Tag würden wir Hand in Hand arbeiten und...

„Wolltest du nicht immer mal eine Prinzessin sein?“

„Hä?“ Björn reißt mich jäh aus meinen Gedanken. Gedanken an Arndt, was ich ihm besonders übelnehme.

„Hast du dir früher denn nicht gewünscht“, schiebt er sorgsam den Kaffeepott vor meine Nase, „eine Prinzessin zu sein?“

„Na, ganz sicher nicht!“ Ich habe mir vorgestellt, Superwoman zu sein. Oder ein Geschöpf der Finsternis, was im Übrigen meine Vorliebe für Fledermäuse im Allgemeinen und Chihuahuas im Besonderen erklärt. Aber Prinzessin? Igitt! Niemals!

In Björns Gesicht zeichnet sich eine Spur Enttäuschung ab. „Ganz sicher nicht? Warum nicht?“

Ich stelle meine Tasse ein bisschen lauter ab als nötig.

Björn versteht die unausgesprochene Warnung. „Ja. Schon gut. Ist nicht wichtig.“ Er widmet sich zerknirscht seinem Laptop, der wie allmorgendlich anstelle einer Zeitung auf dem Küchentisch die Tagesnachrichten offeriert.

Björn und ich kennen uns seit siebzehn Jahren, dreizehn davon sind wir verheiratet.

„Ach, Lulu“, jaulte meine Mutter wie ein ausgesetzter Hund auf dem Raststättenparkplatz, als ich sie vor gut zwölf Monaten darüber in Kenntnis setzte, dass Björn und ich uns würden scheiden lassen. „Denkt doch auch mal in die Kinder!“

Kinder? „Mama? Welche Kinder?“

„Na... die, die ihr einmal haben werdet“, erklärte sie dogmatisch und ich stellte kurzzeitig mein Wahrnehmungsvermögen infrage.

Nach einer Diskussion, dass in meinem Alter die Chancen, schwanger zu werden, bei nicht mal mehr zwanzig Prozent liegen, stand diese Möglichkeit seit über fünf Jahren ohnehin außer Frage. Björn und ich hatten uns bereits weiter auseinandergelebt als Elton John und die Beckhams. Alles, was uns noch verband, war Freundschaft. Doch selbst das konnte sie von der Endgültigkeit unserer Entscheidung nicht vollständig überzeugen.

„Ein Kind würde euch wieder zusammen...“

„Maaa-maaa!“, fiel ich ihr genervt ins Wort.

„Aber Angelina und Brad haben doch auch...? Und Madonna? Und jetzt sogar der Pocher mit der Ex vom Boris... Nee, die haben’s ja selbst gemacht.“ Himmel! Sie sollte endlich ihr GALA-Abo kündigen.

„Nein!“

Mama seufzte enttäuscht. Doch ihre Enttäuschung barg nur die Trauer um den eigenen Verlust. Und dabei war der noch selbstgemacht, denn sie hatte Papa vor zehn Jahren nach einem heftigen Streit über die Anordnung der Joghurtbecher im oberen Fach des Kühlschranks erst zusammengefaltet und dann hochkant aus der Wohnung geworfen.

Mein wohl liebenswerter, aber völlig unselbständiger Erzeuger quartierte sich in der kleinen Pension meiner Schulfreundin Bea ein. Und so kam es, dass meine vermeintliche Stiefmutter nicht mal drei Monate älter ist als ich.

„Wie geht’s dir eigentlich? Jetzt? So?“

Ich sehe über die Schulter meines Spiegelbildes hinweg zu Björn, der lässig gegen den Türrahmen des Badezimmers lehnt.

Er ist noch immer ein kleiner Macho. Und das hatte ich echt an ihm geliebt. Mit den Jahren verkümmerte er jedoch mehr und mehr zum Weichei. Nicht, dass Björn einfach nur gerne andere für sich arbeiten lässt, er ‚verunselbständigt’ regelrecht. Es raubt mir den letzten Nerv, ihn ständig bemuttern zu müssen. Nichts geschieht in Eigeninitiative oder ohne dass er dafür überschwängliches Lob erwartet. Ja, hast du das fein gemacht? Ganz fein? Ja? Örks!

„Warum?“, frage ich skeptisch und tusche hochkonzentriert meine Wimpern. Wer sich schon mal versehentlich so ein Bürstchen ins Auge gerammt hat, passt künftig besser auf. „Hast du noch einen Job für mich?“

Björn tritt seufzend hinter mich und legt eine Hand auf meine Schulter. „Ach, Lulu. Nun sei doch froh, dass du endlich wieder ein bisschen Zeit für dich hast.“

„Schätzchen, ich verbringe den ganzen Tag mit mir. Ich denke also, ich habe genug Zeit für mich.“

Er schüttelt den Kopf. „Zeit, um unter Leute zu gehen.“ Als meine rechte Augenbraue nach oben schnellt, fügt er erklärend hinzu: „Ohne Tablett in der Hand. Nur zu deinem privaten Vergnügen. Verstehst du, was ich meine?“

„Ja“, erwidere ich knapp. „Und ich meine, ich komme zu spät zur Arbeit.“ Ich habe echt keine Lust, morgens um sieben tiefgründige Gespräche mit meinem Ex zu führen. „Könntest du bitte gleich noch mal mit Tyson nach draußen gehen? Und Bella und Edward brauchen frisches Wasser“, lege ich rasch seine Prioritäten für heute fest. „Die Spülmaschine habe ich eingeschaltet, die kannst du in zwei Stunden ausräumen. Der Müll muss nach draußen, deine Schmutzwäsche ins Bad und...“

„Ich habe mich verliebt.“

„...die Biotonne... Was?“

Eine zartrosa Färbung legt sich über Björns Wangen. Leise wiederholt er, was ich sehr wohl sehr gut schon beim ersten Mal verstanden habe. „Ich habe mich verliebt.“

„Na... das... das ist doch wunderbar!“ Gegenwärtig überfordert mit dieser Neuigkeit, fange ich mich jedoch rasch wieder. Immerhin sind wir seit fast fünf Jahren kein Paar mehr. Wie und wo er während dieser Zeit seinem hormonellen Überdruck entgegenwirkte, will ich gar nicht wissen.

„Ja... und... Alex und ich sind ziemlich verliebt. Ineinander.“

Da steht er. Wie ein kleiner, schüchterner Junge. Ich küsse seine Stirn und knuffe ihm spielerisch gegen die Schulter. „Hey, das ist toll! Aber jetzt muss ich los.“

„Lulu?“, ruft Björn mir nach, als ich die Treppe hinunter zur Haustür haste. „Mir ist deine Meinung sehr wichtig, weißt du? Es ist nur okay, wenn es auch für dich okay ist.“

„Okay!“

„Lulu?“

Ich seufze. „Ja-haaa?“

„Ich koche was Schönes. Heute Abend. Für dich, Alex und mich. Ja?“

„Jaaa-haaa!“ Erleichterung macht sich in meinem Körper breit, als hinter mir die Tür ins Schloss fällt.

KAPITEL zwei

„Björn hat also wieder Sex“, fasst Gretchen meinen morgendlichen Bericht zusammen und blinzelt angestrengt in ihre Kaffeetasse. Liest sie da den Text ab? „Mit jemand anderem als sich selbst“, fügt sie stirnrunzelnd hinzu.

„Und du, mein Wonneproppen?“, erkundigt sich Piet gewohnt impertinent. „Wann, wo und wie hattest du denn das letzte Mal Sex?“

Gerne hätte ich „Gestern Nacht!“ geantwortet.

Doch da wendet Gretchen bereits ein: „Außer in deinen Träumen, natürlich.“

„Oder mit Big Johnny.“

Für diese Bemerkung versetze ich Piet einen Klaps gegen den Hinterkopf. „Wer solche Kollegen hat, braucht echt keine Feinde mehr.“

„Komm schon, Lulu“, drängt er dreist und ziemlich penetrant. „Erzähl mir deine kleinen Geheimnisse. Irgendwas Schmutziges.“

Ich winke Piet mit dem Zeigefinger näher. „Dein Hemdkragen.“

Gretchen prustet vor Lachen. „Du willst ein wirkliches Geheimnis erfahren, Piet?“

Er nickt und verdeckt mit einer Mappe seinen Hals.

Ich schmunzele schon mal vor.

„Es kommt doch auf die Größe an!“ Gretchen jongliert ein Lineal durch ihre Finger.

Kurze Stille. Dann ein Räuspern.

„Ich stehe trotzdem jederzeit gerne zur Verfügung“, lässt Piet uns wissen, bevor er mit leicht zerknirschtem Gesichtsausdruck abzieht.

Amüsiert schaue ich ihm nach und entdecke Arndt, der sich im Flur angeregt mit einem unserer Nachwuchsautoren unterhält. Er sieht kurz zu mir hinüber und lächelt.

„Oha!“ Mein Stoßseufzen interpretiert Gretchen als Zeichen zwischenmenschlicher Frustration. Oder kurz gesagt: schon sehr lange brachliegende sexuelle Aktivität im Hause Herz.

Und damit liegt sie ziemlich richtig.

Die letzten Male – und das ist bereits einige Jahre her – haben Björn und ich ausnahmslos in der Hündchenstellung miteinander geschlafen. Er ritt mich derart heftig, dass ich fürchtete, er könne mir jeden Augenblick in den Nacken beißen, mich besabbern und sich bis zum Abklingen der Erektion in mir verhaken. Am liebsten war ihm sowieso, wenn ich es ihm oral – igitt, allein der Gedanke löst noch immer Würgereiz in mir aus! – oder mit der Hand besorgte. Wir merkten schnell, dass keiner von uns beiden mehr richtig Spaß an der Sache hatte – und ließen es bleiben.

„Wie lange geht das eigentlich schon?“, fragt Gretchen und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Zwischen dir und Arndt?“

„Da geht doch überhaupt nichts“, erwidere ich und die Spur des Bedauerns in meiner Stimme gleicht einem Trampelpfad.

„Eben drum.“ Gretchen macht es sich auf meinem Tisch bequem. „Ihr kennt euch doch jetzt schon... wie lange? Zwei Jahre?“

„Drei Jahre“, korrigiere ich und schiele zur Tür. Allein diesen Mann anzusehen, ist schon wie Sex.

Arndt ist die personifizierte Erotik. Wie Hugh Jackman, George Clooney und Matthew McConaughey in einer Person. Er ist gut einsneunzig groß, schlank und durchtrainiert. Sein dichtes schwarzes, leicht gelocktes Haar ist an den Schläfen ergraut und verleiht ihm noch mehr Sexappeal. Als ob das nötig wäre! Er weiß das und versteckt sich hinter gespielter (oder ehrlicher?) Zurückhaltung. Das kann frau zur Raserei bringen – vor Sehnsucht und Verlangen. Nur die unangemessen helle Stimme ist wenig stimulierend. Doch wozu sollte er reden müssen? Die Frauen fallen schon ganz von alleine um.

„Kerle wie er stehen halt nicht auf Durchschnittsfrauen wie mich“, stelle ich sachlich fest. „Die haben ihre Heidis und Naomis und Claudias. Da kann ich nicht gegen anstinken.“

Gretchen ist eine durch und durch ehrliche Haut. Sie widerspricht mir nicht. „Stimmt schon. Aber weißt du, jeder Mensch trägt einen Zauber im Gesicht, der eines anderen Liebe erweckt.“

„Von welchem Kalenderblatt hast du das denn?“, frage ich und schenke ihr ein liebevolles Lächeln. Gretchen hat ihr Herz am rechten Fleck.

„Keine Ahnung“, zuckt sie mit den Schultern. „Doch es lässt sich auf keinen Fall leugnen, dass er in dir genau diesen Zauber sieht.“

„Ach, Quatsch!“, winke ich mit einem Gesichtsausdruck ab, der sagt: ‚Gib mir mehr! Gib mir mehr!’

Gretchen umfasst ihre Kaffeetasse wie ein Buch mit sieben Siegeln, das sie nun entschlüsseln würde. „Es ist offensichtlich, dass er ständig deine Nähe sucht.“

Ich muss zustimmend nicken.

„Dieses Geplänkel... und dann hat er immer so ein Glitzern in den Augen, wenn er sich mit dir unterhält. Hallo?“ Gretchen ist eine scharfe Beobachterin. „Die zarten Berührungen... traut er sich aber erst seit ein paar Wochen“, eruiert sie nachdenklich.

Eine sehr scharfe Beobachterin, muss ich feststellen. „Äh...“

„Woran liegt’s denn noch? Und sag bloß nicht, an Sylvia“, greift Gretchen einer möglichen Ausrede – und nichts anderes wäre es gewesen – vor.

Sylvia ist eine dieser Frauen, die mit perfekt gezupften Augenbrauen und getuschten Wimpern zur Welt gekommen und mit einem Glanz bedacht sind, der jedem Kerl suggeriert: Bekomm ruhig einen Ständer bei meinem Anblick. Daneben komme ich mir vor wie Angela Merkel beim Baywatch-Casting.

Bis auf dieses eine Mal vor dreiundzwanzig Jahren...

„Weißt du, und wenn es nur wäre, um dieser Mascaraschnitte endlich eins auszuwischen“, scheint Gretchen meine Gedanken zu lesen. „Aber darum geht’s natürlich nicht“, fügt sie rasch hinzu.

„Natürlich nicht. Ich hatte ja schon meine Genugtuung.“

Sie tippt mir zart mit dem Finger auf die Nase. „Und du solltest dir noch was Gutes tun, Herzblatt. Lass es zu. Zeige ihm, dass du es auch willst.“

Ich nippe an meinem Kaffee. Eine Verlegenheitsgeste, wenn ich nicht weiß, was ich tun oder sagen oder gar denken soll.

„Wenn er so gut ist wie er aussieht“, fährt Gretchen enthusiastisch fort, „wird er dir das Hirn aus dem Schädel vögeln und du schreist immer noch ‚Mehr! Mehr! Tiefer! Tiefer!’“

„Was ist denn hier los?“

Arndt betritt mein Büro und Gretchen hopst rasch vom Tisch. „Szene aus einem Lektorat! Ich bin dann mal weg“, zwinkert sie und schließt die Tür hinter sich.

„Guten Morgen, Lulu. Ich...“ Er sieht zurück zur Tür. „Ich wollte nicht stören.“

„Tust du nicht! Tust du nie!“ Gedanklich schlage ich mir gegen die Stirn. Ich benehme mich ja wie ein Schulmädchen. Schnell nippe ich an meinem Kaffee.

Arndt scheint es zu gefallen. Er lächelt gerührt und kommt näher. Dabei berührt mich seine Schulter wie zufällig am Arm. „So?“

Ich spucke vor Schreck die braune Plörre in die Tasse zurück.

„Lulu?“

„Hm?“ Mein Herz knattert wie ein kaputter Auspuff, als ich an den Traum der vergangenen Nacht denke. Während mir wieder einfällt, was er alles mit mir angestellt hat. Und ich mit ihm. Meine Wangen beginnen zu glühen.

„Alles klar?“ Er beugt sich zu mir hinab und ich sauge mich an seinem Blick fest. Da war dieses seltsame Glitzern in seinen Augen, von dem Gretchen gesprochen hat. Oder bilde ich mir das nur ein?

Ich nicke mechanisch. „Ja, klar. Alles klar.“

„Wirklich?“ Arndt tritt näher, umfasst meine Oberarme und macht Anstalten, in meinem Gesicht zu versinken. Zumindest denke ich das. „Du hast was“, murmelt er und löst damit einen Impuls in mir aus.

Ich kann nicht anders. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn. Dann weiche ich erschrocken zurück.

Es ist wie im Film: Arndt zuckt kurz mit den Augenbrauen, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit macht. Mit der Zunge fährt er über sich über die Lippen, nimmt mich ins Visier und tritt erneut auf mich zu.

„Ent-ent-entschuldigung“, stottere ich, wohl wissend, eindeutig zu weit gegangen zu sein. „Ich... es...“

Die Erklärung holt sich Arndt direkt von meiner Zunge. Überraschend. Wild. Zügellos. Mir fegt es den Boden unter den Füßen weg und mein Hintern landet unsanft auf der Schreibtischplatte. Um nicht nach vorn über zu kippen, hat sich Arndt blitzschnell zwischen meine Beine gestellt. Quasi nur zur Sicherheit!

Genau das werden wir nämlich Sylvia erklären, die urplötzlich in meinem Büro steht, während sich Arndts rechte Hand noch in meinem BH befindet. Bevor Sylvia von ihren Unterlagen aufblickt, haben wir bereits einen Abstand von mehr als einem Meter zueinander hergestellt. Schnelligkeit ist eben alles.

„Es ist nicht das, wonach es aussieht“, merkt Arndt heiser an und räuspert sich kurz.

Hätte er nicht ausgerechnet diese bescheuerte Ausrede vom Stapel gelassen, man müsste Bodenfrost melden bei so viel Coolness.

„Was denn, Honigbärchen?“, kommt Sylvia äußerst beschäftigt in einem Manuskript blätternd, auf uns zu.

Honigbärchen? Ich unterdrücke einen Würgereiz.

Etwas verwirrt beobachte ich, wie Sylvia murmelnd im Kreis geht, genau drei Mal. Sie bleibt stehen und starrt mich an. „Wir müssen reden.“

Dachte ich mir. Diese Chance hatte ich ihr damals nicht gegeben. Das könnte jetzt heiter werden.

„Dies hier“, tippt sie bedeutungsvoll auf das Papier in ihrer Hand, „ist ein Manuskript des zweiten Teils der Fantasystory von Berta Brecht. Du hast es abgelehnt. Warum?“

Ich kneife mir selbst in den Arm, bevor ich antworte: „Weil ich den ersten Teil auch schon abgelehnt habe.“

„Die Autorin“, näselt Sylvia in autoritärem Tonfall, um mir einmal mehr ins Bewusstsein zu rücken, wer hier die Chefin ist, „hat sich persönlich bei mir beschwert.“

„Autorin?“, wiederhole ich ungläubig. „Autorin? Welche Autorin, bitte? Berta Brecht hat die Herr der Ringe-Trilogie eins zu eins ab-ge-schrie-ben.“

Kurzzeitig schaudert mir. Dann beruhigt mich der Gedanke, dass Sylvia womöglich so vertieft in den Text gewesen war, dass sie die prekäre Situation zwischen Arndt und mir tatsächlich nicht erfasst hat.

„Berta Brecht hat sich ja nicht mal die Mühe gemacht, die Namen zu ändern“, erkläre ich daher sachlich und stelle mich bereits auf eine längere Diskussion ein, als ich bemerke, wie Arndt tief Luft holt.

„Nun gut“, gibt Sylvia ungewohnt schnell nach. „Wenn du das sagst.“

Es tritt eine so unangenehme Stille ein, dass mir selbst eine Showeinlage von Roberto Blanko lieber gewesen wäre. Doch ich wage nicht, mich zu bewegen. Sylvia sieht mit einem Mal aus, als wolle sie mich anspringen und warte nur auf einen Wimpernschlag.

Arndt ist es, der seine Hand auf meine Schulter legt und mich damit binnen einer Sekunde um fünf Jahre altern lässt vor Schreck. „Dann wäre ja alles geklärt“, verstärkt er kurz den Druck und schickt sich an, zu gehen.

„Warte kurz, Honigbärchen“, wirft Sylvia ihre giftigen Fänge nach ihm aus und schlingt sie um Arndts verboten schlanke Hüfte.

Mir stockt der Atem.

„Ich wollte noch ein Wort zur Umstrukturierung sagen.“ Sie lächelt mich mit dem Charme einer schwarzen Witwe an. „Die Stelle des zweiten Cheflektorats werde ich selbst besetzen. Das Management wird vorübergehend Vater übernehmen. Ich muss mich schonen und so kann ich von zu Hause aus arbeiten.“

Dafür, dass mir von Arndt nicht das Hirn aus dem Schädel gevögelt wurde, bin ich gerade ziemlich schwer von Begriff. „Hä?“

„Wieso schonen?“, fragt Arndt und sieht auch nicht allwissend aus. „Wieso...?“

Interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin nur frustriert, um einen gutbezahlten Job gekommen zu sein. Dennoch horche ich auf.

„Na, weil“, lächelt Sylvia so zuckersüß, dass ich beinahe Diabetes davon bekomme, „wir beide ein Kind erwarten.“

Ich kann den Schlag regelrecht hören, der Arndt mit voller Wucht trifft. „Wie bitte? Du bist schwanger? Von... äh... seit wann?“

Ein diabolisches Grinsen breitet sich über ihrem Gesicht aus. Sie packt Arndt energisch an der Hand. „Seit heute, Honigbärchen. Dafür wirst du jetzt sorgen. Komm mit!“

Er soll ihr jetzt ein Kind machen? Was glaubt sie denn, was er ist? Ein andalusischer Zuchthengst?

Ich schüttele den Kopf. Kann mir auch egal sein. Für mich ist die Sache gelaufen. Arndt hat seinen unwiderstehlichen Glanz verloren – auch wenn ich gerne noch die eine oder andere Stelle poliert hätte. Nein! Ich muss einen Haken dran machen. Ebenso an meine Beförderung. Verdammter Mist!

Wütend und enttäuscht knalle ich meinen Kaffeebecher auf den Tisch, als die Tür mit einem Wusch zufliegt. Dann rufe ich Gretchen an. Ich muss mir jetzt sofort eine Kippe bei ihr schnorren. Noch während ich die Nummer wähle, öffnet sich meine Bürotür erneut und Sylvia streckt ihren Kopf herein. „Ach, übrigens? Lulu?“

Ich schaue nur widerwillig auf. „Hm?“

„Du bist entlassen.“

Mir fällt spontan der Hörer aus der Hand.

KAPITEL drei

„Das kann sie doch nicht machen!“, ereifert sich Piet nicht mal zehn Minuten später und rauft sich die Haare.

„Kann sie doch“, krächzt Gretchen. Sie hält nur mühsam die Tränen zurück. „Diese verdammte Neufirmierung vor zehn Wochen.“

Piet zuckt ahnungslos mit den Schultern.

„Wir alle bekamen neue Verträge. Neue Verträge! Verstehst du?“

Er macht noch immer einen verwirrten Eindruck.

„Drei Monate Probezeit, weil wir quasi alle in einem neuen Unternehmen untergekommen sind“, werfe ich heiser ein. Ich fühle mich wie mit einem Eimer Eiswasser übergossen. Das war damals als unbedeutende Formsache deklariert worden.

„Drei Monate Probezeit“, wiederholt Gretchen das böse Orakel. „Drei Monate Probezeit...“

„Verdammt!“ Nun ist auch bei Piet der Groschen gefallen. „Aber mit welcher Begründung?“

Ich schüttele den Kopf. „Stellenabbau? Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? Der Krieg in Afghanistan? Was weiß ich. Während der Probezeit brauchst du keine Begründung.“ Meine flache Hand schnellt auf den Tisch. „Gretchen, gib mir bitte noch eine Kippe.“

„Aber hier drin ist... es jetzt auch egal.“

Piets Stirn kräuselt sich wie gebrauchtes Krepppapier. „Du kannst doch nicht kampflos das Feld räumen, Lulu?“

„Ich kann aber auch nicht tun, als sei nichts passiert“, erwidere ich resigniert.

„Nein“, muss mir Gretchen beipflichten, „dafür wird die Kotzkuh schon sorgen. Unter diesen Umständen...“

„...ist es besser, ich packe und schaue, dass ich hier auf schnellstem Weg raus bin. Ich möchte weder ihr noch...“ Ich schlucke und blinzele ein paar Tränen weg. „Ich muss einfach raus hier.“

Sylvia hat keine Zeit verplempert. Kaum eine Stunde nach der mündlichen Mitteilung liegt die Kündigung schwarz auf weiß auf meinem Schreibtisch. Sie ist voller Tipp- und Formfehler. Sylvia muss sie selbst geschrieben haben. Na ja, sie war nie das hellste Birnchen im Kronleuchter. Nur dank dem Vermögen ihres Vaters und einem enormen Selbstbewusstsein mogelt sie sich auch heute noch geschickt und durchaus erfolgreich durchs Leben.

Als ich vor die Tür des kleinen Verlagshauses trete, tut sich mit einem Schlag der Himmel auf und es beginnt wie aus Eimern zu schütten. Binnen Sekunden bin ich völlig durchnässt. Mir steht das Wasser in den Schuhen, als ich endlich an meinem Wagen angelange.

„Verdammte Scheiße!“

Jetzt fehlt nur noch ein Erdbeben.

Und das folgt wenige Minuten später. Oder wenigstens fühlt es sich für den Bruchteil einer Sekunde so an.

Nachdem ich nämlich vier Versuche und zwei Wutausbrüche später meine alte Karre endlich gestartet habe, schere ich, zugegeben etwas unbedacht und aggressiv, aus der Parklücke. Den mit überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Wagen nehme ich nicht wahr. Er mich allerdings auch nicht.

„Verdammte Scheiße!“, kommentiert der Fahrer die blecherne Kollision. Da sind wohl zwei, die sich gefunden haben? Sein TÜV ist nämlich auch schon eine Weile abgelaufen. „Doch nicht ausgerechnet jetzt!“

„Ähm...“ Ich fuchtele mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um auf mich aufmerksam zu machen. „Sie können mir gerne morgen noch mal in den Wagen fahren, wenn Ihnen das besser in den Terminplan passt?“, biete ich großzügig an. Hat der sie noch alle?

Er reibt sich mit der Hand die Stirn und schenkt mir endlich einen Funken seiner scheinbar so kostbaren Aufmerksamkeit. Dann erstarrt er.

„Erde an Unfallfahrer“, sage ich vorsichtig. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Oh, Gott!“

„Nein, nein, nein“, winke ich ab. „So hoch noch nicht.“

Er sieht mich an wie ein verschrecktes Kaninchen. „Mein Gott, geht es Ihnen gut?“ Seine unter anderen Umständen sicher strahlenden blauen Augen sind dunkel gerändert. Er ist kreidebleich.

„Mir schon“, bin ich nun ein wenig besorgt. „Aber Sie machen mir ein bisschen Kummer.“

Nach kurzem Zögern kramt er in seiner Gesäßtasche und zieht ein Handy hervor. „Wir müssen einen Notarzt rufen.“

„Soll der Sie gleich in die Klappsmühle bringen?“ Himmel, ist der Kerl durch den Wind.

„Sie... verdammte Scheiße!“

Allmählich ist meine Geduld erschöpft. Es gießt noch immer in Strömen und ich friere. Außerdem sitzen mir Wut und Enttäuschung in den Gliedern. „Was heulen Sie eigentlich hier rum?“, blaffe ich den Kerl deshalb an, der mich nun mit besorgtem Blick untersucht. „Sie sind doch zu schnell gekommen.“

„Das höre ich zwar zum ersten Mal“, platziert er einen seichten Witz, „aber Sie sind einfach aus der... verdammte Scheiße, Sie müssen unbedingt zum Arzt.“

„Hören Sie jetzt endlich auf zu fluchen!“

„Ach“, vernehme ich plötzlich die Stimme des Grauens. „Da hast du endlich mal bekommen, was du verdient hast.“

Ich drehe mich langsam um und halte nur mit Mühe eine Ladung Speichel zurück, die ich Sylvia gerne ins Gesicht geschleudert hätte.

„Wurde aber auch mal Zeit.“ Ein triumphierendes Lächeln breitet sich auf ihrem frisch gepuderten (haha, eindeutig zweideutig!) Gesicht aus.

Über ihre Schulter hinweg sehe ich eine Handvoll Kollegen, die aufgeregt zum Ort des Geschehens eilen.

„Fick dich ins Knie, du plastinierte Kotzkuh!“ Ich verpasse ihr einen Schubs gegen die Brust, sehe mit Genugtuung, wie sie strauchelt, und wende mich von ihr ab. Würde sie mir ein Messer in den Rücken rammen wollen, wäre jetzt die beste Gelegenheit.

Der Unfallfahrer hat die rechte Augenbraue nach oben gezogen und sieht nun erstaunt auf mich herab. Meine Güte, ist der Kerl groß!

„Meine Chefin“, murmele ich erklärend.

Er räuspert sich. „Schätze, Ihren Job sind Sie los?“

„Da schätzen Sie richtig.“

„Lulu! Ver...“

„...dammte Scheiße! Ich weiß. Aua!“ Gretchen drückt mich so fest an sich, dass ich autsche.

„Oh, tut mir leid. Tut mir so leid, Lulu.“ Sie weint.

Hallo? Wer wurde denn gerade durch seinen Wagen geschleudert? Ehrlich gesagt, ich war nicht angeschnallt. Aber das tut ja jetzt nichts zur Sache.

Vorsichtig löse ich mich aus dem Griff des mitleidenden Klammeräffchens. Inzwischen ist Gretchen genauso durchnässt wie ich. Und mit Blut beschmiert. „Oh? Ist das meins?“ Nun erschrecke ich doch.

„Ich sagte doch...“

„Mir wird schlääächt“, übergebe ich mich auf die Schuhe des blauäugigen Riesen.

„Danke“, seufzt er, nachdem mein letztes Röcheln eine gefühlte Ewigkeit zurück liegt und nichts mehr nachzukommen droht. Unsicher legt er seine Hand auf meinen Rücken. „Bitte... Lulu? Ich bringe Sie jetzt ins Krankenhaus.“

KAPITEL vier

Der Notarztwagen trifft beinahe umgehend ein. Piet hatte ihn bereits gerufen, als er den Rumms unserer ineinander krachenden Wagen hörte, der bis in sein Büro drang. Im Krankenhaus werde ich eingehend untersucht. Ein Schädel-Hirn-Trauma kann ausgeschlossen werden. Na, sicher. Schließlich ist mir ja das Hirn nicht aus dem Schädel gevögelt worden. Leider. Dafür kann ich eine Prellung der linken Schulter und eine anständige Platzwunde sowohl an der Stirn als auch auf dem Nasenrücken in meinem Tagebuch vermerken. Zusätzlich schwellen das linke Auge und der Wangenknochen zwar langsam, aber entschlossen an. Leute, sehe ich scheiße aus.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, frage ich den Unfallfahrer, nachdem ich ein Formular zu Entlassung auf eigene Verantwortung unterschrieben habe. Und noch eine Entlassung. Irgendwie pervers, oder?

„Ähm... Loos. Samuel Loos... Sam“, antwortet er heiser und überlegt offensichtlich, ob er mir ganz förmlich die Hand entgegenstrecken oder lieber ein Bier ausgeben soll.

Er ist wie selbstverständlich im Krankenwagen mitgefahren, saß während meinen Untersuchungen im Warteraum und reicht mir nun einen heißen Coffee to go.

„Wo wollten Sie eigentlich so eilig hin?“

„Zur Arbeit.“

„Sind sie Feuerwehrmann?“ Ich nippe an meinem Kaffee, der auch feuerheiß ist.

Sam schüttelt den Kopf. Das hat ein Witz sein sollen. „Ich bringe Sie jetzt nach Hause. Ein Taxi habe ich schon bestellt. Und hier“, er zieht Visiten- und Versicherungskärtchen aus seinem Portemonnaie und hält mir beides vor die Nase, bevor er es in meine Jackentasche gleiten lässt, „ist wohl vorerst alles, was Sie zur Schadensermittlung brauchen. Ich weiß nicht, ob Sie Anzeige erstatten möchten. Schmerzensgeld? Oder...?“ Ein schwermütiges Seufzen entflieht seiner Kehle. „Vielleicht reden wir auch einfach bei einem Kaffee drüber?“

Demonstrativ hebe ich meinen Becher.

„Hören Sie, ich ersetze Ihnen wirklich jeden Schaden, den ich verursacht habe.“ Sam klingt auf seltsame Weise gehetzt. Er hebt beschwichtigend die Hände. „Wenn Sie möchten, können wir auch jetzt gleich zur Polizei fahren und...“

„...denen sagen, dass ich nicht angeschnallt war und ohne zu schauen aus der Parklücke geprescht bin? Bin ich irre?“

Sam sieht mich an, als wäre genau das seine Vermutung. Also, Letzteres. „Aber ich bin...“

„...zu schnell gekommen, was Ihnen ja sonst nie passiert. Haha. Schon gut. Ich will einfach nur nach Hause.“ In meinem Schädel hat sich Spongebob Schwammkopf eingenistet. Außerdem brummt und schmerzt er und ich sehne mich nach meinem Bett.

Noch im Ausgangsbereich des Krankenhauses, unmittelbar neben dem Mobilfunkverbotsschild, klingelt mein Handy.

„Lulu?“, japst Gretchen überbesorgt. „Wie geht’s dir?“

Ich trete rasch vor die Tür. Es regnet noch immer. „Alles okay“, beruhige ich Gretchen. „Nur ein paar blaue Flecke und einen Dickkopf.“

„Haha. Witzig“, meckert sie erleichtert, klingt jedoch ungleich besorgt. „Lulu, es tut mir leid, aber... die Kotzkuh hat dein Auto abschleppen lassen. Wegen unberechtigten Parkens auf dem Firmengelände.“

„Hat die ‘nen Schaden?“ Was für eine blöde Frage. „Erstens bin ich noch... und zweitens ist meine Karre ja nicht mal mehr auf...“ Ich winke seufzend ab. Was Gretchen natürlich nicht sehen kann, doch sie schweigt betroffen. „Darauf kommt’s jetzt auch nicht mehr an.“

„Lulu, ich...“ Gretchen stockt. Im Hintergrund höre ich den Drachen lautstark fauchen. „Ich muss Schluss machen.“

„Klar“, verstehe ich. „Aber lass dir nicht alles von der Kotzkuh gefallen.“

„Mach ich.“

Als ich das Handy zurück in die Jackentasche stecken will, gleitet es knapp an der Taschenöffnung vorbei und poltert die sieben Stufen hinab zur Straße. Ein Glück ist es wenigstens nicht in alle Einzelteile zersprungen. So ein Sony Ericsson übersteht... die quietschenden Reifen eines gerade ankommenden Notarztwagens dennoch sicher nicht gänzlich unbeschadet.

„Oh-oh. Das“, räuspert sich Sam, „tut mir jetzt echt leid.“

Ich habe mich auf die obere Treppe gesetzt und starre ins Leere. Nein, mir ist heute kein Hufeisen auf den Kopf gefallen. Ganz sicher nicht.

„Nicht dein Tag heute, was?“ Sam setzt sich neben mich. Sein Arm streift meinen und er strahlt eine herrliche Wärme aus. Außerdem riecht er gut.

„Kann nur besser werden“, versuche ich mich selbst aufzumuntern. „Was soll denn jetzt noch passieren?“

Sam stößt verächtlich Luft durch die Nase. „Da fällt mir einiges ein.“

Das klingt nicht wirklich optimistisch. Ich schiele zu ihm hinüber. Oder besser hinauf. Er sieht nachdenklich aus, besorgt und völlig übermüdet. „Unser Taxi kommt.“

Inzwischen schmerzen Knochen und Muskeln und was weiß ich noch alles. Schwerfällig rappele ich mich auf und trete zur Straße.

Das Taxi hält genau vor meiner Nase. Und ich vor einer Pfütze. Ein kurzes Platsch und meine Hose sieht aus wie das Gefieder eines Perlhuhns. Sam, der nur wenige Sekunden später ankommt, sieht an mir hinab und wendet sich dann ab. Seine Schultern vibrieren.

Ich versetze ihm einen Schlag gegen seinen kräftigen Bizeps und bereue es sofort. Es tut mir mehr weh als es ihm sollte. „Hör sofort auf zu lachen, Blödmann!“

„Ich“, hustet Sam, „lache... doch... gar nicht!“ Er hält mir galant die Tür auf. Das Grinsen in seinem Gesicht ist nicht zu übersehen.

„...diesem Grund Daniel Powter mit Bad Day...“, tönt es aus den Lautsprechern des Taxis und vertreibt auch den letzten Funken Hoffnung, der Tag könne doch noch etwas Gutes bringen.

„Könnten Sie bitte das Radio ausschalten?“, bittet Sam den Fahrer, der nur zögernd einwilligt.

„Des is de beschde Sender iwwerhaupt!“, knurrt der und blickt vorwurfsvoll in den Rückspiegel.

„Jaja. Weiß schon“, knurrt Sam gleichermaßen zurück.

„Raa-dii-oo Sonnenschein.“

„Jaja. Weiß schon.“

„Die hot‘s joh beinah zerbröselt, saach isch Ehne. Bankrodd unn sou. Verstäje Sie?“, plappert der Fahrer ungeachtet unseres Interesses weiter. „Weil die koa Werbung mache. Des finnisch gud.“

„Hmhm“, brummt Sam nun ein wenig ungehalten.

„Des häwwe die äwwer aa gar nedd näirisch, weil....“

„Halten Sie endlich die Klappe, verdammt noch mal!“ Wenn es darum geht, anderen Menschen ordentlich auf den Schlips zu treten, bin ich heute wohl ganz dicke im Geschäft. „’tschuldigung“, murmele ich deshalb – erschrocken über mich selbst. „Es tut mir wirklich leid.“

„Macht joh nix, Frolleinsche“, winkt der Fahrer großzügig ab. „Brauch Ehne nedd laad zu du. Sie säje joh selwer groad ziemlisch beschisse aus.“

Na, danke. Jetzt fühle ich mich auch so.

KAPITEL fünf

Mit einer dunklen Vorahnung betrete ich wenig später die Wohnung – und stehe prompt in einer Pfütze. Tyson schießt mit fliegenden Ohren um die Ecke und beschnuppert das Malheur. Sein Gesichtsausdruck zeigt, dass es sein Pippi ist und er sehr stolz darauf, dass ich es gefunden habe.

„Lulu? Bist du das?“

„Nein“, antworte ich – im wahrsten Sinn des Wortes – angepisst. „Armin Meiwes.“

„Hä?“ Björn klappert schon wieder mit den Töpfen. Sicher hat er das als kleiner Junge nicht gedurft. „Wer soll das denn sein?“

Ich verdrehe die Augen. Den halben Tag hängt er vor der Glotze. Aber hier versagt sein modernes Allgemeinwissen. „Der Kannibale von Rotenburg“, helfe ich ihm auf die Sprünge. „Der, der den...“

„Jaja, schon gut. Ich weiß“, fällt Björn mir ins Wort und kommt ganz aufgebracht aus der Küche. „Wie kommst du denn gerade auf den?“

Ich zucke mit den Schultern und ziehe mir die feuchte Socke vom Fuß. „Pfff, so halt.“