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Die Medizin-Suche im Netz ist der neue Volkssport. Die große Frage ist noch offen: Macht Wikipedia oder NetDoktor.de uns gesünder? Andere können schon beantwortet werden: Wie zuverlässig sind die Quellen? Wer stellt eigentlich das Medizin-Wissen ins Netz? Welche Zwecke werden damit verfolgt? Wo steht die Wahrheit über meine Medikamente? Was hält mein Arzt von Doktor Google? Bin ich ein Cyberchonder? Das Arzt-Patient-Verhältnis verändert sich schon ohne Wikipedia & Co. dramatisch. Für viele Mediziner wird die Medizinethik zu einem großen Problem. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesen setzt Ärzte ein, um Gewinne zu erzielen. Das Wort von der Sinnentleerung macht die Runde. Hilft unser eigener Symptome-Check ihnen da weiter? Oder macht die Online-Diagnose alles noch schlimmer? Laut Sozialgesetzbuch ist jeder von uns erst einmal selbst für seine Gesundheit verantwortlich. Aber als das so beschlossen wurde, gab es das Internet noch nicht. Alle sind sich einig: Eine Medizin ohne Google wird es nie wieder geben. Je eher wir das Beste daraus machen, umso besser. Dieses E-Book ist ein Beitrag in diese Richtung.
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Quintessenz* und Prävention
Über den Tellerrand hinaus
Hilfe suchen bei Doktor Google
- aber richtig!
Von Imre Kusztrich
Band 25 der Präventions-Buchreihe
Quintessenz (von lateinisch quinta essentia, „das fünfte Seiende“) ist im übertragenen Sinne das Wesentliche, das Hauptsächliche, das Wichtigste. Ursprünglich wurde die quinta essentia von dem griechischen Philosophen und Naturforscher Aristoteles in Form des Äthers den vier Elementen hinzugerechnet.
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IGK-Verlag
Die Witwe Mirja Sachs sollte es wissen. Doch wir werden es nie erfahren. Hat der deutsche Inbegriff von Lebenskunst, der Multi-Millionär, Kunstmäzen, Fotograf, Buchautor und Astrologe Gunter Sachs seine Symptome gegoogelt? Jedenfalls schreibt er in seinem Abschiedsbrief, dass er nach einschlägiger Lektüre selbst erkannt hat, „an der ausweglosen Krankheit A. zu erkranken.“ Viele tippen aufs Internet – und einzelne behaupten es sogar.
Sachs setzte am 7. Mai 2011 seine Unterschrift unter dieses Dokument und beendete sein Leben.
Wo er sich über Störungen der Gehirnleistung schlau gemacht hat, ist ein Rätsel - offenbar nicht bei seinen Ärzten.
Fachmediziner für Alzheimer reagierten entsetzt und unterstellten ihm einen tödlichen Irrtum – die falsche Diagnose. „Niemand kann sich selbst diagnostizieren“, warnte der Psychiater Professor Dr. Alexander Kurz von der Psychiatrischen Klinik der Exzellenzuniversität TU München. Sein Kollege Professor Dr. Dan Rujescu stuft Selbstdiagnosen bei vermuteter Demenz als gefährlich ein, weil sich sogar Fachleute irren können. Es gibt viele Formen der Demenz, und manche sind komplett behandelbar. Nur etwa die Hälfte führt zu Alzheimer. Er kennt als Leiter der Gedächtnisambulanz der Ludwig Maximilians Universität die wahren Kranken. Professor Dr. Rujescu: „Gunter Sachs kann sich getäuscht haben.“
Tatsächlich beklagte Gunter Sachs die rapide Verschlechterung seines Gedächtnisses, einen abnehmenden Sprachschatz und wachsende Vergesslichkeit. Keines dieser Symptome bei einem Achtundsiebzigjährigen ist ein sicheres Zeichen für Alzheimer.
Zwei Tage vor seinem Tod hat Gunter Sachs, allein zurückgezogen in sein Haus in Gstaad, einige enge Freunde angerufen und ungewöhnlich lange über Probleme des Alters telefoniert. Wegen seiner dunklen Gedanken vermuteten sie, er leide an Schwermut, an Depression. An beginnende Alzheimer-Erkrankung dachte keiner.
Es ist nicht einmal sicher, ob der Multi-Millionär auf eine Demenzerkrankung zusteuerte. Es gibt auch Formen einer anderen mentalen Störung, Depression, die sich ebenfalls als Gedächtnisstörung äußern. Ein seltenes, aber typisches Krankheitsbild ist das Ganser-Syndrom, 1897 von dem deutschen Psychiater Dr. Sigbert Josef Maria Ganser erstmals beschrieben. Es wird auch als Pseudodemenz bezeichnet.
Sachs, der jung gebliebene moderne Weltenbürger, war ein begeisterter Internet-Surfer und speicherte auf seinem Apple-Laptop Tausende private, wirtschaftliche und wissenschaftliche Dokumente. Bereits 2003 recherchierte auf seine Bitte einer seiner Biografen für ihn bestimmte medizinische Therapien für einige von ihm erkannte Symptome, die aus Rücksicht auf die Privatsphäre hier nicht näher präzisiert werden.
Offensichtlich vertraute Gunter Sachs darauf, auch ohne Arzt die richtigen Schlussfolgerungen ziehen zu können.
Diese vielleicht gefährliche Selbsteinschätzung scheinen mit der Jetset-Legende heute etwa 80 Prozent unserer Zeitgenossen in der entwickelten Welt zu teilen: Sie googeln Symptome, sie googeln Krankheiten, sie googeln Medikamente, sie googeln Therapien.
Ein wichtiges Motiv: Ihr virtueller Doktor Google unterscheidet nicht zwischen Privatpatient und gesetzlich Versichertem, denn die so genannte Netzneutralität verpflichtet Internet-Provider, jeden Nutzer mit der gleichen Information zu versorgen.
Die Nicht-Mediziner finden sich in bester Gesellschaft wieder. Auch jeder zweite Arzt googelt Medizin.
Wer sich im Internet selbst über Symptome, Krankheiten, Behandlungen, Medikamente, Patientenerfahrungen und Medizinfehler informiert, wird im Anschluss nicht mehr jene Patientin oder jener Patient sein, als der sie oder er das letzte Mal die Praxis einer Ärztin oder eines Arztes verlassen hat.
Googeln öffnet Augen.
Googeln erweitert den Horizont.
Googeln verunsichert.
Googeln belohnt.
Das Verb googeln wurde 2004 in den Duden aufgenommen und leitet sich vom Suchmaschinen-Anbieter Google ab. Googeln bedeuten im juristischen Sinne konkret, mit der Suchmaschine Google im Internet zu recherchieren und suchen. Umgangssprachlich wird dieser Begriff längst für die generelle Arbeit online – wörtlich: sich im Internet befindlich - mit irgendeiner Suchmaschine, nicht nur mit Google konkret, eingesetzt. Seltener wird die Bezeichnung googlen verwendet, das aber nicht im Duden vorkommt..
Vor allem ändert Googeln das Arzt-Patient-Verhältnis. Zum Besseren oder Schlechteren. Verbraucherverbände ermuntern Patienten seit 2012 ausdrücklich zum intensiveren Gespräch mit ihren Ärztinnen und Ärztinnen und erinnern ausdrücklich daran, dass deren medizinisches Handeln nicht immer sinnvoll und notwendig ist. Es begann mit der Aktion „Choosing wisely“ (Klug wählen) der amerikanischen ABIM Foundation
www.choosingwisely.org
gegen ärztliche Leistungen, die sich als wirkungslos oder schädlich erwiesen haben. Im Mai 2014 zogen Schweizer Internisten nach. Keine Antibiotika gegen Atemwegsinfekte, eine Darmspiegelung ohne Auffälligkeiten erst nach zehn Jahren wiederholen, kein generelles Osteoporose-Screening bei Frauen unter 65 – das sind einige Warnungen vor Überbehandlung und unbegründeten Belastungen, nicht nur finanzieller Art. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, DGIM, folgte 2015 beim 121. Internistenkongress in Hannover, motiviert von ihrer eigenen, kritisch formulierten Erkenntnis, dass Ärzte etablierte Methoden einsetzen, die sie kennen, aber nicht dem neuesten Stand der Erkenntnis entsprechen. Damit „nicht veraltetes Wissen wie ein Ballast an uns hängt“, so die Task Force „Unnötige Leistungen“ der DGIM, muss ein Abgleich mit der medizinischen Entwicklung erfolgen. Künftig ist das vielleicht auch eine Aufgabe für den Patienten, der googelt.
Googeln ändert das Arzt-Patient-Verhältnis nicht so, wie es das Gesundheitswesen selbst durch die wachsende Überregulierung, vor allem aber auch Ökonomisierung der ärztlichen Tätigkeiten bereits getan hat.
Von allem Anfang seiner Geschichte an hat der Mensch die Hilfe Heilkundiger gesucht, um Krankheit, Schmerz und Tod abzuwehren. An die Stelle einer fürsorgenden Zweierbeziehung zwischen einem Hilfesuchenden und einem Wissenden ist die von wirtschaftlichen Interessen geprägt erzwungene Unpersönlichkeit getreten. Der Deutsche Ärztetag 2013 widmete sich besonders der gefährdeten Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Arzt. Im Programm hieß es wörtlich: „Die fortgesetzte, gezielte Skandalisierung unseres Berufsstandes aber erschüttert das Vertrauen der Menschen in die medizinische Versorgung nachhaltig.“
Googeln aus Misstrauen, Googeln aus Wachsamkeit sind wichtige Motive.
Aber vermutlich ist für die meisten der Impuls, das Internet abzusuchen, kein negativer Antrieb.
Die Erklärung findet sich eher in den gleichen Kriterien wieder, nach denen der Sieger im „National Geographic Photographer Contest 2014“ ermittelt wurde. Aus mehr als 150 Ländern waren über 9.200 Fotos aus den Kategorien Menschen, Orte und Natur eingesandt worden. Das Siegerbild eröffnet sich einem ebenso wenig schnell wie seine Beschreibung: „Ein Knoten glüht in der Dunkelheit“.
Was zeigt das Foto, das dem Gewinner 10.000 US Dollar eingebracht hat?
Wir blicken in ein öffentliches Verkehrsmittel in Hong Kong. In der Dunkelheit des Waggons drängen sich viele Dutzende Menschen, die alle irgendwie unsichtbar bleiben – fast alle, bis auf eine einzige Frau. Sie blickt auf ihr Smartphone. Wir können sie nur ausnehmen, weil ein Lichtschein auf ihr interessiertes Antlitz fällt, ausgestrahlt vom illuminierten Bildschirm. Der Fotograf Brian Yen schreibt dazu:
„In den letzten zehn Jahren haben mobile Daten, Smartphones und soziale Netzwerke für immer unsere Existenzen verändert. Obwohl diese Frau im Zentrum dieses dicht gefüllten Zuges stand, sagte der warme Glanz ihres Telefons in ihrem Gesicht den Fremden um sie herum, dass sie nicht wirklich anwesend war. Es gelang ihr, für einen kurzen Moment von hier weg zu schlüpfen; sie ist ein Knoten, der im sozialen Netz flackert, die Erde erobert, frei wie ein Schmetterling. Unsere Existenz ist nicht länger an unsere physische Existenz gebunden. Wir sind frei, davonzurennen, und wir werden es tun.“
Diese Freiheit, aus dem unpersönlicher werdenden Patient-Arzt-Verhältnis auszubrechen, entspricht dem Zeitgeist.
Sie richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Ärztinnen und Ärzte unseres Vertrauens.
Es ist fast unser Versuch, einen Beitrag zu leisten, damit deren immer schwieriger zu erfüllende Leistung am Ende zu den gewünschten Ergebnissen führt.
* Hinweis: In diesem eBook wird für Patienten und Ärzte beiderlei Geschlechts vereinfacht die männliche Form verwendet, es sei denn, es wird ausdrücklich auf Patientinnen oder Ärztinnen hingewiesen.