Hotel Rosenhain - Elisabeth Dreisbach - E-Book

Hotel Rosenhain E-Book

Elisabeth Dreisbach

0,0

Beschreibung

Helma muss als Tochter des Besitzers von „Hotel Rosenhain“ oft zurückstehen. Ihren Eltern scheinen die Gäste wichtiger als sie selbst. Langsam aber sicher wächst ihr Hass auf „die Gäste“, die sie mit allen Mitteln zu vergraulen sucht. Helma geht bald eigene Wege. Als sie eines Tages ausrückt, scheint sich eine Katastrophe anzubahnen. In dieser verwirrenden Situation findet das einsame Mädchen eine Freundin, die ihr zuhört und für sie da ist. Elisabeth Dreisbach (1904 - 1996) zählt zu den beliebtesten christlichen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre zahlreichen Romane und Erzählungen erreichten ein Millionenpublikum. Sie schrieb spannende, glaubensfördernde und ermutigende Geschichten für alle Altersstufen. Unzählig Leserinnen und Leser bezeugen wie sehr sie die Bücher bewegt und im Glauben gestärkt haben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 212

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hotel Rosenhain

Band 32

Elisabeth Dreisbach

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Elisabeth Dreisbach

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-153-4

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Dank

Herzlichen Dank, dass Sie dieses eBook aus dem Folgen Verlag erworben haben.

Haben Sie Anregungen oder finden Sie einen Fehler, dann schreiben Sie uns bitte.

Folgen Verlag, [email protected]

Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter und bleiben Sie informiert über:

Neuerscheinungen aus dem Folgen Verlag und anderen christlichen Verlagen

Neuigkeiten zu unseren Autoren

Angebote und mehr

http://www.cebooks.de/newsletter

Autor

Elisabeth Dreisbach (auch: Elisabeth Sauter-Dreisbach; * 20. April 1904 in Hamburg; † 14. Juni 1996 in Bad Überkingen) war eine deutsche Erzieherin, Missionarin und Schriftstellerin.

Elisabeth Dreisbach absolvierte – unterbrochen von einer schweren Erkrankung – eine Ausbildung zur Erzieherin in Königsberg und Berlin. Sie war anschließend auf dem Gebiet der Sozialarbeit tätig. Später besuchte sie die Ausbildungsschule der Heilsarmee – der ihre Eltern angehört hatten – wechselte dann aber zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg, für die sie in den Bereichen Innere Mission und Evangelisation wirkte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründete Dreisbach in Geislingen an der Steige ein Heim für Flüchtlingskinder, in dem im Laufe der Jahre 1500 Kinder betreut wurden. Dreisbach lebte zuletzt in Bad Überkingen.

Elisabeth Dreisbach war neben ihrer sozialen und missionarischen Tätigkeit Verfasserin zahlreicher Romane und Erzählungen – teilweise für Kinder und Jugendliche – die geprägt waren vom sozialen Engagement und vom christlichen Glauben der Autorin.1

1 Quelle: wikipedia.org

Inhalt

Titelblatt

Impressum

Autor

Der verhängnisvolle Schulaufsatz

Wie kann man den Sommer nicht lieben

»Erzähl' mir die schöne Geschichte!«

Eine Geburtstagseinladung und ihre Folgen

Es spukt im Hotel Rosenhain

Ein Schrank fällt um

Friederike geht – eine Erzieherin kommt

Die gestörte Hochzeit

In stürmischer Nacht verirrt

Polizeilich gesucht

Wilhelma findet eine Freundin

Schwester Helma

Wilhelma und ihre Gäste

Unsere Empfehlungen

Der verhängnisvolle Schulaufsatz

Das Laub begann sich schon gelb zu färben. In anderen Jahren war der Betrieb in dem Kurort Fichtenau im schönen Schwarzwald um diese Zeit bereits im Abnehmen begriffen. Dieses Jahr schien der selten schöne Spätsommer noch viele Fremde zu längerem Verbleiben zu veranlassen. Herr Bleubert, der Besitzer des größten Hotels, schmunzelte. Sein Haus war noch vollbesetzt, und für die nächsten Wochen hatte sich sogar noch eine ganze Anzahl Gäste angemeldet. Wohl waren die meisten Rosen im Park bereits verblüht, aber die bunte Schönheit der Dahlien und Georginen war auch nicht zu verachten. Überhaupt war es, als wollte die kleine Schwarzwaldstadt in diesem Herbst ihr schönstes Kleid zur Schau tragen. In verschwenderischer Fülle und Farbenpracht blühten vor allen Häusern, in Gärten und Anlagen, besonders aber im Kurpark die Herbstastern. Die Blätter der Kastanien- und Ahornbäume leuchteten im Schein der Sonne in allen Farben. Ganz besonders aber hoben sich die jungen Plantanen hervor, die im Kurgarten um die Springbrunnenwiese gepflanzt waren. Das leuchtete vom zartesten Gelb bis zum blutigsten Rot. Dazwischen waren grüne, braune und orangenfarbene Flecke malerisch verteilt. Es war eine Pracht. – Ja, das mochte den Gästen gefallen.

Wilhelma Bleubert, die einzige Tochter des bekannten Hotelbesitzers, schien heute nichts von der bunten Schönheit rings um sie her wahrzunehmen. Sie befand sich auf dem Heimweg von der Schule. Unmutig ging sie ihren Weg. Ihr Gesicht war wieder einmal düster umwölkt. Sie schien die Reden ihrer Schulkameradinnen, die mit ihr den gleichen Weg zu gehen hatten, nicht zu beachten, obwohl diese ein wichtiges Thema behandelten.

»Ich möchte nicht an ihrer Stelle sein«, sagte ein keckes Ding. »Das setzt was von ihrem Vater.«

»Ich finde es ja auch blöd«, sagte eine andere.

»Sie muss immer etwas Besonderes tun«, meinte eine dritte.

»Na, der Vater wird ihr diesmal wohl auch etwas Besonderes geben.«

Jetzt lachten alle, und es klang direkt schadenfroh. Wilhelma kümmerte sich nicht darum. Sie beschäftigte sich aber selbst stark mit dem Vorgang, den die Mädchen ebenso wichtig behandelten.

In ihrer Schulmappe befand sich ein Heft, das sie wie ein schweres Gewicht mitschleppte. – Das Aufsatzheft! – Der Lehrer hatte der Klasse ein Thema gegeben: »Die Freuden des Kurbetriebes«, und dann lang und breit darüber gesprochen. Die Antworten waren auch schnell und befriedigend erfolgt. Die Freuden des Kurbetriebes aufzuzählen, das war doch nicht schwer. Die interessanten und eleganten Fremden aus dem In- und Ausland, die das sonst so stille Straßenbild während der Saison belebten, – der Kurgarten, in dem allerlei Festlichkeiten veranstaltet wurden, – italienische Nächte mit märchenhafter Beleuchtung und Feuerwerk, – Trachtenfeste und Kinderbälle. Ja, der Kurbetrieb brachte ständig Abwechslung. Mit wahrem Feuereifer nahmen die Kinder die Arbeit auf. Nur eine beteiligte sich ganz freudlos daran: Wilhelma Bleubert. Als der Lehrer die Aufsätze korrigierte, traute er seinen Augen nicht. In Helmas Aufsatzheft standen nur wenige Sätze.

»Ich hasse alle Fremden und wünschte in einer Stadt zu wohnen, die keinen Kurbetrieb hat.«

Herr Stählin war entrüstet. Das schrieb die Tochter Bleuberts, des Besitzers des ersten Kurhotels, dessen Haus den größten Zulauf von Fremden aufzuweisen vermochte? Nein, das durfte nicht ungestraft bleiben. Er stellte Wilhelma vor der ganzen Klasse zur Rede.

»Sage mir, wieso du zu solch einer unpassenden, um nicht zu sagen unverschämten Meinung kommst?«

Das Mädchen gab keine Antwort.

»Du bist ein verstocktes Kind!« fuhr es der Lehrer verärgert an. »Zur Strafe wirst du deinem Vater den Aufsatz vorlegen und mir das Heft mit seiner Unterschrift versehen zurückbringen!«

Helma wusste, was das bedeutete, aber sie hatte nicht anders handeln können. Was für ihre Kameradinnen nur Freude und Unterhaltung bedeutete, war für sie eine Qual. Sie war ein zu ehrliches Kind, um etwas anderes zu schreiben, als was sie wirklich empfand. Wäre doch nur die Szene mit dem Vater erst vorbei! Sie fürchtete sich davor.

Im kleinen Privatwohnzimmer war Frau Bleubert gerade dabei, den Mittagstisch für ihre Tochter zu decken, als Wilhelma eintrat.

»Es ist recht, dass du pünktlich kommst«, sagte die Mutter, »ich kann mich gerade einen Augenblick freimachen und bleibe so lange bei dir.«

Helma, so wurde sie im Hause allgemein genannt, hatte gar keinen Appetit. Das fiel Frau Bleubert natürlich gleich auf.

»Schmeckt es dir nicht?«

»O doch – aber …!«

»Nun?«

»Ach Mutti, es ist wieder etwas ganz Dummes passiert, und diesmal ist es, glaube ich, sehr schlimm.«

»Um Gottes willen, Kind, du jagst mir einen Schreck ein! Was ist es denn?«

Und nun berichtete Helma die Aufsatzgeschichte. Es war leichter, mit der Mutter darüber zu sprechen als mit dem Vater.

»Aber Heimchen, wie kannst du mir so etwas antun? Und der Vater soll das auch noch unterschreiben? Das gibt ja wieder einen schönen Auftritt. Sag mal, Mädchen, ist es dir denn nicht klar, dass du deine Eltern damit beleidigst? Du bist unser einziges Kind. Wir leben und arbeiten nur für dich – und so dankst du uns alle Mühe!«

Tatsächlich, die Mutter weinte. Helma spürte ein Würgen im Hals. Am liebsten hätte sie sich jetzt an die Mutter geschmiegt und sie gebeten: Sei mir doch nicht böse, ich will wirklich nichts Dummes mehr machen, und undankbar will ich auch nicht sein, – versteh mich doch, ich konnte einfach nicht anders!

Aber sie brachte kein Wort heraus. Mit gesenktem Kopf und hängenden Armen saß sie der Mutter gegenüber. Das schöne Kalbsschnitzel und die goldgelben Bratkartoffeln wurden kalt, ja, Helma rührte nicht einmal die Sahnenachspeise an. Da war wieder das Dunkle, Drückende, das ihr ganzes Kinderleben beschwerte und sie gar nicht mehr froh werden lassen wollte, – und, es lag klar auf der Hand, es war gar kein Zweifel, niemand anders war schuld daran als die Gäste! Nur die Gäste! Alles wäre ganz anders, wenn sie in einem Privathaushalt leben könnte wie die anderen Kinder, und der Vater, wie andere Männer auch, seinem Beruf nachgehen würde.

Helma steigerte sich wieder hinein in ihren alten Groll und fand jetzt erst recht kein gutes Wort für die Mutter, sondern stieß hervor: »Und ich hasse sie doch, die Fremden!«

»Ich verstehe dich nicht!« Mehr sagte die Mutter nicht. Dann ging sie traurig hinaus und nahm den unglücklichen Aufsatz mit. Helma aber saß noch lange auf ihrem Platz. »Bald hat mich überhaupt niemand mehr lieb«, redete sie sich ein. »Die Mutter versteht mich nicht mehr. Den Lehrer habe ich gekränkt, und der Vater hat schon lange einen Zorn auf mich, da bleibt mir nur noch meine gute Rike, – und schließlich noch Hans, – ach, ich wollte …« Doch was sie eigentlich wollte, wusste Helma selber nicht. Aber sie war auf dem besten Weg, sich in ein krankhaftes Gefühl der Bitterkeit und des Unverstandenseins zu verirren. Helma war in Gefahr!

Trotz der vielen Pflichten machte sich Frau Bleubert am Nachmittag zu einem Ausgang fertig. Sie tat es heimlich und stahl sich aus dem Haus, damit ihr Mann nichts von ihrem Vorhaben merkte. Diese heimliche Art war ihrem Wesen zuwider. Aber heute blieb ihr gar keine andere Wahl.

Nun saß sie in der Wohnung des Lehrers Stählin, der sie, erstaunt über diesen Besuch, in sein bestes Zimmer geführt und sich ihr gegenüber in einem Stuhl niedergelassen hatte.

»Herr Stählin, ich komme wegen Helmas Aufsatz«, begann Frau Bleubert und zog das schwarze Heft ihrer Tochter aus der Tasche. »Es ist ganz unmöglich, dass mein Mann davon in Kenntnis gesetzt wird. Denken Sie doch, was ihm die törichten Worte seines Kindes bedeuten müssen! Er ist ohnedies schon durch den großen Betrieb unseres Hauses ständig gereizt und sehr nervös. Bitte sehen Sie von einer Unterschrift ab.«

Herr Stählin sah, dass Frau Bleubert ehrlich bekümmert war. Er behandelte daher die Angelegenheit seiner Schülerin etwas nachsichtiger, als er es sonst vielleicht getan hätte.

»Ich will Ihnen gewiss keine Unannehmlichkeiten mit Ihrem Gatten heraufbeschwören«, antwortete er. »Aber Sie begreifen sicher, Frau Bleubert, dass ich derartige Ungezogenheiten in meiner Klasse nicht durchgehen lassen kann, und eine bodenlose Ungezogenheit ist es, wenn die Tochter des Besitzers des größten Hotels am Orte schreibt: ›Ich hasse die Fremden.‹ Sagen Sie doch selber, was wäre unser Ort ohne den Fremdenverkehr? Fast alle Familien leben von ihm. Erlauben Sie, dass ich frage, was wäre Ihr Haus ohne Kurbetrieb?«

»Ich weiß es – ich weiß es wohl, Herr Stählin.«

»Wilhelma ist bald elf Jahre alt. Sie muss wissen, dass sie sich so etwas nicht erlauben darf. Es ist eine Nichtachtung der Tätigkeit ihres Vaters. Jeder weiß es, welch ein fleißiger, strebsamer Mensch und tüchtiger Fachmann Herr Bleubert ist!«

»Ich weiß es, ich weiß es.«

Frau Bleubert sah gequält aus. Außerdem konnte sie eine sich steigernde Unruhe darüber, dass sie das Haus heimlich verlassen hatte, nicht verbergen. Wenn sie gerade jetzt dringend gebraucht würde, und ihr Mann nach ihr fragte …

»Haben Sie Geduld mit Helma«, bat sie den Lehrer, »sie ist bestimmt nicht boshaft, sondern braucht nur jemand, der ihre Wesensart versteht. Aber wer hat denn bei uns Zeit für sie?«

Jetzt meinte Herr Stählin in ihren Augen Tränen zu sehen. »Wir wollen die Aufsatzgeschichte als erledigt betrachten«, lenkte er ein. Dann bedankte und verabschiedete sich Frau Bleubert, um so rasch wie möglich wieder nach Hause zu eilen.

Herr Stählin aber musste seiner Frau in der Küche schnell mitteilen, er sei soeben zu der Erkenntnis gekommen, dass auch im schönsten und größten Hotel anscheinend nicht der Himmel auf Erden sei.

»Ja, ja«, wiederholte Frau Stählin seufzend, »Himmel auf Erden«, und dann dachte sie sich ihr Teil.

Als Helma am Abend in ihrem Bett lag, kam die Mutter noch schnell für einen Augenblick zu ihr.

»Heimchen, die Sache mit deinem Aufsatz ist geregelt, ich war bei deinem Lehrer. Wir brauchen diesmal Vater nichts davon zu sagen. Aber nicht wahr, in Zukunft unterlässt du solche Sachen!«

Helma schlang in Dankbarkeit die Arme um den Hals der Mutter. Ein Seufzer entrang sich ihrer Brust. Aber es war ihr auch in diesem Augenblick unmöglich, Worte zu finden, um der Mutter zu sagen, was in ihrem Innern vorging.

Wie kann man den Sommer nicht lieben

»Meinetwegen könnte es immer Winter sein. Der Winter gefällt mir am besten!« Wilhelma Bleubert saß mit ihrer Mutter und Rike, der alten Kinderfrau, im Wohnzimmer neben dem großen Speisesaal, der jetzt ungemütlich und kahl wirkte, weil die Fensterläden geschlossen und sämtliche Möbel zusammengestellt und mit Schutzdecken umhüllt waren. In dem kleinen Wohnzimmer stand ein grünes Kachelöfchen, darin brannte ein lustiges Feuer, das eine behagliche Wärme und Stimmung verbreitete. Dazu kam, dass Rike auf die heiße Ofenplatte ein paar rotbackige Äpfel zum Braten gelegt hatte. Die schmorten jetzt und krachten und knackten geheimnisvoll. Dabei erfüllten sie das ganze Zimmer mit einem süßen Duft, so dass einem das Wasser im Munde zusammenlief. Helma fand es unsagbar gemütlich. Der Park draußen schien zu schlafen, wenigstens hatten alle Bäume und Sträucher weiße Schlafhauben aufgesetzt, und der Rasen war mit einem dicken Schneefederbett zugedeckt. Irgendwo jauchzten ein paar Kinder beim Schlittenfahren, aber Helma mochte nicht hinaus, sie fand es viel schöner im warmen Zimmer bei der Mutter und Rike. In ihren Händen hielt sie eine himmelblaue Häkelarbeit. Die Mutter saß im Sessel am Fenster und nähte Monogramme in die vielen neuen Küchentücher, die im Sommer gebraucht wurden. Rike half ihr dabei. Helma warf der Mutter einen zärtlichen Blick zu, und dann stieß sie einen wohligen Seufzer aus.

»Ach, wie ist es im Winter schön!«

Jetzt blickte Rike über ihre Brille hinweg zu dem Kind.

»Du bist vielleicht ein komisches Mädel! Andere Kinder sind unglücklich, wenn sie im Zimmer bleiben müssen. Die jammern, wenn es kalt ist, und können es kaum erwarten, bis es Frühjahr wird und sie draußen im Wald und auf den Wiesen herumtollen können. Wenn ich daran denke, wie wir als Kinder im Frühjahr auf die Berge stiegen und ganze Körbe voll Schlüsselblumen und Anemonen pflückten und uns mit Kränzen geschmückt haben … Ach, war das eine schöne Zeit!«

»Aber ich mag den Winter doch lieber«, beharrte Wilhelma auf ihrer Meinung.

Nun mischte sich auch die Mutter in das Gespräch. »Warum denn, Wilhelma? Gefällt es dir nicht auch, wenn die Sonne allen Schnee wegschmilzt und die ersten Grasspitzchen neugierig aus der Erde hervorgucken, damit sie dann den Gänseblümchen und Veilchen sagen können, dass es für sie schon warm genug sei und sie es wagen dürften, aus der schützenden Erde zu schlüpfen? Und ist es nicht schön, wenn die vielen Fliedersträucher im Park in voller Blüte stehen und so herrlich duften, dass man am liebsten gar nicht mehr ins Haus möchte? Ich werde nie vergessen, wie wundervoll alles blühte, als du vor zehn Jahren – nein, warte, im Mai werden es ja schon elf Jahre – auf die Welt kamst. Der Goldregen leuchtete, als wäre er wirklich aus purem Gold, und erst die Rosen, Heimchen, die vielen, vielen Rosen in unserem Park, das muss dir doch auch gefallen.«

»Ach ja«, antwortete das Kind gedehnt, »das ist alles ganz nett, – aber im Winter ist's halt doch am allerschönsten.

Im Frühling kommen all die fremden Leute, und im Sommer sind es noch viel mehr, und kein Mensch hat mehr Zeit für mich. Du, Mutti, rennst den ganzen Tag umher, immer muss man dich suchen, und Rike hat auch immer so schrecklich viel zu tun, und wenn man ein bisschen mit dem Zimmermädchen plaudern will, dann klingeln die Fremden wieder und wollen was von ihnen. Und wenn ich mal eine Schulkameradin mitbringe und wir nur ein ganz klein bisschen lustig und laut sind, dann kommt der Vater aus dem Büro gerannt und schimpft: ›Ruhe! – Die Gäste!‹

Auf dem Rasen darf man auch nicht herumspringen, Blumen darf ich auch nicht abpflücken, – aber die Fremden, die Gäste, die dürfen alles. Die sprechen auch nicht immer leise, und manche lachen ganz laut, auch um die Mittagszeit, wenn ich immer ganz ruhig auf einem Stuhl sitzen muss und mich nicht bewegen darf, damit die Gäste schlafen können. Der eine Mann ganz besonders, weißt du, Mutti, der so viel Gold auf dem Bauch und im Mund hat.«

»Gold auf dem Bauch und im Mund?« wiederholte Frau Bleubert fragend. »Wen meinst du denn?«

»Na, du weißt doch, auf dem Bauch hat er die dicke, glänzende Uhrkette und die blanken Taler, und fast alle seine Zähne sind aus Gold, der muss sehr reich sein. Ja siehst du, Mutti, der lacht auch immer so laut, aber mit dem schimpft der Vater nie. Und wenn der Hans mal einen Spaß macht und mich auf den Kofferwagen setzt und mit mir durch den Park fährt, dann ist gleich wieder der Vater da und zankt: ›Hans, was fällt dir ein? Was sollen die Gäste denken?‹ Und dann tut der Hans mir so leid, weil er doch mein Freund ist. Guck, Mutti, im Winter ist das alles ganz anders, da sind wir so schön allein, keine Fremden sind da, und du hast Zeit für mich, und Rike erzählt mir Geschichten. Und es ist so schön warm, und Bratäpfel haben wir auch, und manchmal fährst du mit mir Schlitten, – und Vater verreist, und wir sind ganz herrlich allein.«

»Aber Heimchen!« Wie aus einem Munde riefen es die beiden Frauen.

In demselben Augenblick öffnete sich die Türe und Herr Bleubert trat ein. Er schmunzelte vergnügt und hielt einen Brief in der Hand.

»So schön wie ihr möcht' ich es auch einmal haben«, sagte er gutgelaunt, und dann breitete er den Briefbogen auf dem Tisch aus. »Sieh, Margarete, da habe ich heute die Antwort vom Bürgermeisteramt bekommen, man ist gar nicht abgeneigt, allerlei zur Hebung des Skisportes zu unternehmen, ich denke, dass der Antrag wegen des Baues einer Sprungschanze auf der Hinterwaldwiese genehmigt wird. Ha, wenn unser Ort den Skifahrern mehr bietet, dann sollt ihr einmal sehen, wie sich die Sache hier mit einem Schlag hebt. Dann sind wir nicht nur auf die paar Sommermonate angewiesen und haben es nicht mehr nötig, im Winter das Haus zu schließen, als wäre es ein Grabgewölbe. Dann hört das ängstliche Rechnen auf, und wir haben im Winter wie im Sommer das Haus besetzt. Natürlich wird das Personal dann nicht mehr nur für den Sommer angestellt, sondern bleibt das ganze Jahr im Haus. Jawohl, das müssen wir erreichen. Dann erst lohnt es sich, ein solches Haus zu halten wie das unsrige.«

In seiner Begeisterung hatte Herr Bleubert gar nicht darauf geachtet, dass weder seine Frau noch Rike irgendetwas zu seinen Plänen geäußert hatten. Sie dachten beide nicht ohne Bangen daran, wie es sein würde, wenn sie auch im Winter in demselben Tempo durch die Tage hetzen müssten, wie es während des Sommers geschah.

»Packe mir doch heute Abend meinen Koffer«, fuhr Herr Bleubert fort, »ich reise morgen mit dem Frühzug nach Freudenstadt, um mir den dortigen Winter-Hotelbetrieb anzusehen. Jetzt habe ich noch einige schriftliche Angelegenheiten zu regeln.«

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als aus der Ofenecke ein bitterliches Schluchzen drang. Erschrocken sprang Frau Bleubert auf: »Heimchen, was ist dir denn?« Rike aber nickte wortlos mit dem Kopf, sie ahnte, was in der kleinen Kinderseele vorging. Helma konnte eine ganze Weile gar nichts sagen. Endlich stieß sie weinend hervor: »Dann habe ich überhaupt nichts mehr von euch, dann ist's im Winter genauso schrecklich wie im Sommer.«

Frau Bleubert hatte das erregte Kind an sich gezogen und streichelte immer wieder beruhigend über die weichen, braunen Haare. Aber obgleich sie mit gütigen Worten ihr Töchterchen zu trösten versuchte, konnte sie es nicht verhindern, dass auch ihr Herz traurig und beschwert wurde. Bis vor kurzem hatte sie keine Ahnung davon gehabt, wie sehr auch Helma unter den Verhältnissen des Hauses litt. Sie selbst hatte immer wieder versucht, sich tapfer zu beherrschen, wenn es sie auch schwer ankam, dass zur Pflege des Familienlebens so wenig Zeit blieb. Gewiss, sie verstand, dass ihr Mann so viel wie möglich unternehmen musste, um die vielen Unkosten, die das große Haus verursachte, zu decken. Allein die Pflege des Parkes verschlang jährlich eine große Summe Geld. Dazu musste beinahe jedes Jahr etwas verändert oder erneuert werden, damit das Haus mit andern Hotels Schritt halten konnte. So hatte man im letzten Jahr in alle Zimmer fließendes Wasser legen lassen. Die Gäste wollten eben alles recht bequem und neuzeitlich haben. Da hieß es sonst überall so viel wie möglich sparen.

Allerdings, die Fremden durften nichts davon merken. Die wollten für ihr Geld auch etwas haben, und der Wahlspruch des Hausherrn lautete: »Für die Gäste nur das Beste!«

Niemand von den vielen Fremden ahnte, dass der Besitzer dieses vornehmen Hotels, in dem man vorzüglich wohnte und speiste, während der Wintermonate mit seiner Familie beinahe kärglich lebte, um durchzuhalten, ohne Schulden machen zu müssen. Sie, Frau Margarete, verstand es, dass ihr Mann fast krankhaft besorgt war, die Wünsche der Gäste zu befriedigen und alles zu tun, damit sie sich gerne im Hotel »Rosenhain« aufhielten. Aber der Gedanke, dass das Kind unter diesen Verhältnissen litt, dass es, wenn auch nicht äußerlich, so doch innerlich so viel entbehrte, schien ihr unerträglich.

Wilhelma war ein schönes Kind. Ihr kastanienbraunes Haar, zu einem Pagenkopf geschnitten, umrahmte ein feines, kluges Gesichtchen, aus dem ein Paar große, dunkle Augen fragend in die Welt blickten. Die Kurgäste unterhielten sich gerne mit dem zierlichen Töchterchen des Hotelbesitzers. Als es noch ein kleines Mädchen von drei, vier Jahren war, hatte es sich's gern gefallen lassen, wenn die eine oder andere der eleganten Damen ein Weilchen mit ihm spielte und es mit Süßigkeiten beschenkte. Aber im letzten Sommer war es der Mutter mehr als einmal aufgefallen, dass Helma sich abwandte und scheu und unnahbar tat, wenn ein Kurgast sich ihr näherte. Sie hatte geglaubt, es hinge mit einer gewissen Schüchternheit zusammen, jetzt aber, wo das Kind in solch leidenschaftlicher Weise gezeigt hatte, was in ihm vorging, sah die Mutter alles in einem andern Lichte.

»Ich mag die Fremden nicht!« schluchzte Helma jetzt aufs neue. »Und ich will nicht, dass sie auch noch im Winter kommen!« Das Kind war ganz erregt und sah in seinem trotzigen Aufbegehren wirklich aus, als würde es sich auf den ersten besten Kurgast, der sich blicken lassen würde, stürzen.

»Aber Heimchen«, wehrte die Mutter erschrocken über diesen Gefühlsausbruch ab, »wenn das der Vater hören würde! Denke doch, wenn keine Fremden zu uns kämen, dann müssten wir unser Haus und den Park und alles andere verkaufen. Und dann wären wir heimatlos. Du darfst nicht so von den Fremden reden; wir müssen froh sein über jeden Kurgast, der zu uns kommt. Und hast du nicht Ursache, dankbar zu sein? Denke einmal an die vielen Kinder, die es längst nicht so gut haben wie du.«

In dieser Art versuchte die Mutter noch eine ganze Weile dem Kinde zuzureden, aber es schien heute ganz unzugänglich und steigerte sich immer mehr in Erregung, bis die Mutter schließlich in Sorge war, ob es wohl krank sei, und es frühzeitig zu Bett legte. Sie selbst blieb noch lange wach. Die Sorge um das Kind ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Für wen arbeiteten sie denn eigentlich, sie und ihr Mann? Doch nur für das Kind. Das einzige Kind, das seltsamerweise in dem großen, schönen Haus nicht glücklich zu sein schien. –

Der Winter hatte sich empfohlen. Er war diesmal nicht sehr streng gewesen. Wohl hatte es viel geschneit, aber der frühzeitig auftretende warme Südwind hatte den Schnee sehr schnell wieder aufgeleckt. So war es auch nicht viel mit dem Skisport gewesen. Dazu hatte es mit dem Bau der Sprungschanze noch nicht geklappt. Ursache genug, um Herrn Bleubert in die denkbar schlechteste Laune zu versetzen. Jetzt war es Anfang April. Der Frühling hatte es dieses Jahr mit seinem Einzug sehr eilig gehabt. Die Sonne meinte es gut. Nun regten sich auch Herrn Bleuberts Lebensgeister wieder. Er ordnete umfangreiche Vorbereitungen für den Sommer an. Sämtliche Läden wurden geöffnet und die Fenster weit aufgerissen, so dass die Sonne überall hineinhuschen konnte.

Alle Betten wurden hinunter auf den Rasen getragen, gesonnt, geklopft und gebürstet. Frau Bleubert und Rike liefen mit Kopftüchern herum, und durch sämtliche Zimmer, Treppenhäuser, Säle und Gänge ergossen sich ganze Ströme von Seifenwasser.

Zwei Zimmermädchen, die schon lange die Saison im Hotel Rosenhain mitmachten, wurden früher als die anderen angestellt, damit sie beim Fest des Großreinemachens tatkräftig mitwirken konnten. Sie scheuerten und putzten sich die Hände voller Blasen. Auch Helma musste schon mithelfen. Sie trug der alten Rike, der das Treppensteigen oft beschwerlich wurde, die frische Bettwäsche herbei, damit sie die Betten beziehen konnte. Außerdem hatte ihr die Mutter einen leichten Teppichklopfer gekauft, da machte das Helfen Spaß. Frau Bleubert freute sich, wenn ihr kleines Mädchen so munter herumsprang und ein frohes Gesicht machte. Es hat gewiss seinen Kummer wieder vergessen, versuchte sie sich einzureden. Bei Kindern geht es ja meistens viel schneller als bei Erwachsenen.

»So ist's recht«, sagte sie dann ermutigend zu ihrem Töchterchen. »Sei nur immer fleißig und lustig und vergnügt dabei. So gefällst du mir am besten!«

Wilhelmas elfter Geburtstag nahte. »Jetzt habe ich schon bald eine große Tochter«, sagte die Mutter. »Es dauert gar nicht mehr lange, dann reichst du mir bis an die Schultern.«

Da blickte Helma die Mutter bittend an: »Mutti, ich habe einen einzigen Geburtstags wünsch.«

»Was denn für einen, mein Kind?«

»Ich weiß zwar nicht, ob der Vater es erlaubt. Weißt du, ich möchte so gern ein paar Mädchen einladen. Elli Berner, Trudel Lindner und Käthi Wurster mit ihren beiden Brüdern. Ich fände das so fein, wenn wir im Speisesaal Kakao trinken und Kuchen essen dürften. Dann würden wir tun, als seien wir vornehme Kurgäste, und Anne müsste uns bedienen. Meinst du, der Vater erlaubt es, wenn ich ihn sehr darum bitte?«