Ich liebe dich! Ich schlag dich tot! - Nicole Diercks - E-Book

Ich liebe dich! Ich schlag dich tot! E-Book

Nicole Diercks

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Beschreibung

Gewalt bezeichnet man als rücksichtslos angewandte Macht, sie ist ein unrechtmäßiges Vorgehen, das auf Menschen, Tiere oder auch Gegenstände willkürlich schädigend oder verändernd einwirkt. Dieses Buch bearbeitet verschiedene Formen von Beziehungsgewalt, die gegen Frauen aber auch die gegen Männer. 2019 wurden hierzulande 141.792 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Laut der Kriminalstatistik sind von 5.065 Opfern häuslicher Gewalt in Schleswig Holstein mittlerweile 1.083 männlich: 21,4 Prozent, Tendenz stetig steigend. Die Langzeitstudie von 2004 über Männer, die unter Gewalt stehen oder standen, enthüllt schockierendes, diese habe ich hier aufgegriffen. Tatsächlich begegnet Männern heute schon mehr Gewalt in der Beziehung, als Frauen, sie sprechen eben nicht drüber. Aber das tun wir hier einmal. Gewalt in der Beziehung ist das Pendant zu Gewalt im Elternhaus und zeigt eine höchst erkrankte Dimension: Wo bitte sollen wir uns denn noch sicher fühlen, wenn nicht zuhause?!

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Ich liebe dich! Ich schlag dich tot!

Ich liebe dich! Ich schlag dich tot!DefinitionGewalt in der VorzeitGewalt heuteBeziehungs-Gewalt seitens MännerBeziehungs-Gewalt seitens FrauenMännlichkeitÜberlegungen zum ZeitgeistImpressum

Ich liebe dich! Ich schlag dich tot!

Definition

Gewalt bezeichnet man als „rücksichtslos angewandte Macht“, sie ist ein unrechtmäßiges Vorgehen. Man bezeichnet damit Handlungen, Vorgänge und soziale Zusammenhänge, in denen auf Menschen, Tiere, Natur oder auch Gegenstände willkürlich gewaltvoll beeinflussend verändernd oder zumeist auch schädigend eingewirkt wird (Wikipedia). Gewalt ist der tatsächliche oder angedrohte absichtliche Gebrauch von physischer oder psychologischer Kraft oder Macht, die willkürlich gegen andere Personen gerichtet ist, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzung, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt, und so auch akzeptiert wird (Weltgesundheitsorganisation). Gewalt wird in Zusammenhang mit Aggression gebracht oder damit gleichgesetzt. Als Aggression bezeichnet man von der Evolution entstammende bio-psychosoziale Mechanismen zur Ressourcengewinnung und –verteidigung (Wikipedia). Diese Mechanismen werden bei Menschen durch Aspekte der individuellen Persönlichkeit, sozioökonomische, kulturelle und situative Umstände und Auslöser aktiviert, sowie durch negative Emotionen. Als pathologisch gilt eine Aggression, die übertrieben, andauernd oder dem Kontext nicht angemessen ist. Mit Aggressivität bezeichnet man die Wahl für das Potential der Aggression. Es wird darunter auch eine Ausübung von willkürlichem Zwang verstanden: Der Wille des Opfers, wird missachtet, umgangen oder gebrochen.

Die soziale Rolle von Gewalthandlungen in verschiedenen kulturellen und religiösen Kontexten, ihre kulturspezifischen Ursachen und Bedingungen, sowie die unterschiedlichen Konzeptionen von Gewalt sind zentrale Fragestellungen in der Forschung. Weiterhin wird zwischen individueller und kollektiver, zwischen staatlicher und privater Gewalt unterschieden. Philosophisch ist Gewalt seit dem Wegfall der göttlichen Ordnung untrennbar verknüpft mit der Frage nach der Legitimität der Aktionen. Obwohl eine Auseinandersetzung mit Gewalt bis in die Anfänge der Philosophie zu verfolgen ist, ist ihre Problematisierung ein relativ neues Phänomen, nämlich seit dem Gewalt nicht mehr als „selbstverständlich gilt“. Seit der modernen Emanzipation gilt Gewalt sogar als untragbar und verdammenswert.

 Auf Grund der anthropologisch gegebenen und unhintergehbaren Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit des Menschen als Gattungswesen entschlüsselt sich Gewalt schon immer als fundamentales Moment jeder Vergesellschaftung. Das Gleichgewicht des Schreckens beruht auf der erwiesenen Fähigkeit aller, jederzeit Krieg führen zu können. Der Mensch muss nie, kann aber immer gewaltsam handeln, er muss nie, kann aber immer töten: jederzeit und jedermann – und zwar auch völlig ohne jeden Anlass. Und jeder Mensch kann jederzeit durch jedermann getötet werden ... Die Sorge, Furcht, Angst voreinander ist ein Grundrauschen jeder Gesellschaft. Zusammenleben heißt stets auch: sich (voreinander) zu fürchten und sich (gegenseitig) zu schützen. Keine soziale Ordnung beruht auf der Prämisse der Gewaltlosigkeit, denn wenn das so wäre, bräuchten wir weder Zäune, noch den Staat, noch Waffen oder eine Polizei.

 Zweifellos hatten die Menschen der Vergangenheit ein anderes Verhältnis zur Gewalt, als wir es heute haben. Damals war der Krieger, der Gegner im Kampf tötete, ein geachteter Mann und der Krieg eine Quelle der Anerkennung. „Wir in der Ersten Welt verstehen heute nicht mehr, dass die Begriffe Krieg und Glück eine sinnvolle Konstellation bildeten“, sagt Peter Sloterdijk, „denn erst mit der Zähmung des christlichen Menschen, habe man Krieg und Kampf als Inkarnation des Bösen statuiert!“ Wobei Herr Sloterdijk sich da leider tragisch irrt, denn es gab wohl keine gnadenloseren Kämpfe als die unter den Kreuzrittern … und das waren dann ja wohl schon alles bereits vollkommen christianisierte Individuen?!

 Wir angeblich heute zivilisierten Menschen denken, „die Gewalt“ sei aus unserem Leben praktisch verschwunden. Wer das geschrieben hat, ist auch nicht ganz so up-to-date, wenn ich da mal ganz kurz an die nicht mehr abreißende Terrorlawine erinnern darf, die sich nun bereits seit 9/11 über die gesamte Welt erstreckt, und die bedeutet, dass jederzeit - jedermann - überall mit einer umgeschnallten Bombe an einem Irren in die die Luft gesprengt werden kann …! So eine Art von unpersonalisierter Gewalt gegen Privatpersonen hat es noch nie zuvor gegeben. Und parallel ist die Gewalt, die Frauen in ihren Beziehungen erleben auf dem höchsten Stand seit dem Bestehen der Welt. Alle drei Tage wird eine Frau umgebracht und jede dritte bis vierte Frau erfährt Gewalt in der Beziehung. Man kann also leider nicht sagen, dass Gewalt jetzt irgendwie out ist ...

Aber Gewalt gehörte eben schon immer, wie ja auch Liebe, zum Leben dazu. Wir glauben heute schon immer haben Menschen einander geschlagen, misshandelt, vergewaltigt, getötet und Krieg gegeneinander geführt. Und schon immer haben sie es auch aus der reinen Lust an der Zerstörung und der Quälerei getan, denn wir Menschen können uns ja jede Grausamkeit vorstellen. Das Streben nach Macht, die Lust am Leiden der anderen, der Triumph des Siegers sind leider tatsächlich weder alt noch überkommen. Verändert haben sich lediglich die Formen der Gewalt, ihre Reichweite, ihre Subtilität und ihr Ausmaß.

Gewalt in der Vorzeit

Ich habe mir Gedanken gemacht, unnötig vielleicht, weil: Ich war ja auch nicht dabei damals … Aber ich fragte mich, wie gewaltvoll wohl unsere Ahnen in Stein-, Kreide-, und Bronzezeit zueinander waren …? Man hat schon einige von ihnen gefunden, aber soweit ich weiß, niemanden, der einen eingeschlagenen Schädel oder so was hatte. Der Steini hat garantiert nicht grunzend am Feuer gesessen und gewaltfrei debattiert, dennoch habe ich den verschwommenen Eindruck, dass man sich damals nicht gleich immer gegenseitig ans Leder gegangen ist - wenn man wohl nicht gerade tätlich angegriffen wurde. Das lag sicherlich auch daran, dass man das Leben zu schätzen wusste, als man inmitten von lauter Gefahren lebte, und jederzeit das Lunch von einem Säbelzahntiger oder das Opfer eines Unwetters oder einer fiesen, unbekannten Beere werden konnte ... Außerdem gab es unheimlich viele Ressourcen, bei unheimlich wenig Mitstreitern, und unheimlich viel Platz - man ging sich also auch in verschiedenen Stämmen nicht auf die Nerven, wenn man das nicht wollte. Das heißt, die typischen, heute tragenden Motive für Raub, Gewalt und Mord, griffen da noch gar nicht: Besitzgier, Neid, Hass, Eifersucht und Konkurrenz ... Außerdem gab es da ja nun auch nichts, das man beneiden hätte können. Wer ein neues Fell wollte, der holte sich halt kurz eines … Und wer ‘ne neue Pfeilspitze brauchte, hat sich eben eine aus dem nächsten schicken Stein rausgekloppt ... Der einzige Artikel, der wohl zu Kämpfen geführt hat, waren möglicherweise Frauen. Wenn einem Stamm, wegen einem Brand oder einer tückischen Seuche, alle Frauen weggestorben waren, musste man ja irgendwie für Nachschub sorgen, damit der Stamm – und damit das eigene Überleben – gesichert war … Denn ohne seine Rotte war man einfach nur Futter! Und über das Abwerben von Frauen wird man sich dann wohl sicherlich nicht bei einer kleinen Konferenz mit Mammutfondue am Lagerfeuer drüber unterhalten haben …  

Ich habe einfach die Idee, dass die Vormenschen weitaus „kultivierter“ und friedvoller waren als wir es heute sind. Das lag zum einen wahrscheinlich auch daran, dass sie noch dachten und rechneten wie Säugetiere. Beutetiere rechnen ja immer rein biologisch nach dem „negativen Energie-Erhaltungssatz“: „Energie, die ich jetzt verballere, ist Energie, die dann weg ist! Energie, die weg ist, ist möglicherweise dann genau die Energie, die ich gleich zur Flucht brauchen könnte! Also nicht machen! Selbst die kindlichen Spiele von Säugetieren imitieren Kämpfe, und üben lebenswichtige Fertigkeiten wie Wegrennen, Abtauchen, Antäuschen und Angreifen - auch diese Energie ist also nicht verloren. Solche Beutetiere wissen immer: Jeder Kampf, jede Bewegung kostet Energie! Und jeder Kampf kann auch schnell mal der letzte sein - also nicht machen! Alle Beutetiere haben daher fast immer den Kodex „Leben und leben lassen“. Ein Reh würde niemals einen Dachs angreifen und eine Kuh niemals eine Katze … Und ich glaube, die Steini‘s waren gedanklich noch sehr wie Tiere, sie waren im Kern gelassen, sie dachten nicht viel nach, sie nahmen das Leben, wie es eben kam. Und ihnen fehlte garantiert gedanklich die Komplexität für Aggression, Neid und Eifersucht – auch weil ganz bestimmt das Ego entwicklungspsychologisch noch gar nicht in ihnen angelegt war. Solche Wesen waren dann auch nicht aggressiv und nicht per se gewaltvoll – sie waren in erster Linie instinktiv. Das ist meine ganz persönliche Meinung.

 Der Älteste, den wir von unseren Vorfahren nach dieser Zeit fanden, war dann der „Ötzi“, und der hatte dann auch schon, mitten in den Alpen, einen Pfeil zwischen den Schulterblättern stecken! Also muss sich die Gewalt dann potenziell gesteigert haben, denn alles, was wir noch weiter von unseren Vorfahren fanden, zeigte ja immer viel Gewalt. Das fängt schon im ach-so-kultivierten Ägypten an, wo in den Pyramiden lauter ermordete Mumien liegen, von Nofretete über Tut-Anch-Amun - nur Mord und Totschlag! Und was wir sonst noch so ausheben, ist häufig im Massengrab, geschändet, geköpft, erschlagen … Es ging ordentlich zur Sache damals! Eine Raumforderung beinhaltete sicherlich auch die Auslöschung aller dahin bisher sich friedlich aufhaltenden … das hat ja selbst Hitler nicht anders gemacht. Ein Kollateralschaden wahrscheinlich. Und das finde ich umso erstaunlicher, denn man hatte ja schon bald eine Sprache, und konnte sich irgendwie zur Kenntnis bringen?! Tatsächlich was das Mittelalter garantiert um ein Vielfaches aggressiver als die Kreidezeit.  

Überall herrscht Zweifel, dass wir uns heute zu einer immer friedfertigeren Gesellschaft entwickelt haben sollen ...?! Untersuchungen zeigen, dass es in europäischen Ländern seit dem Mittelalter einen deutlichen Rückgang an Morden gibt. Angeblich. Allerdings lässt der Vergleich der Strafverfolgung über die Jahrhunderte wohl kaum wirklich belastbare Zahlen zu! Die Anzeigebereitschaft und Dokumentation im Mittelalter war ganz anders, ganze Städte brannten immer wieder ab, jeder Regent forderte eine andere Handhabung in der Amtsführung und Dokumentation ... Und die Frage stellt sich: Wie lückenlos und wahrhaftig haben sich die handgeschriebenen, papierenen Informationen, ohne jede Quellensicherung, innerhalb der letzten 800 Jahren wohl erhalten …?! Die Rechtfertigung von Notwehr und persönlicher Gefahr war ja ganz anders. Die Ethik darüber, was „Gewalt“ darstellte war völlig verschieden. Und die Vorstellungen von Ehre und Männlichkeit haben sich total verändert – und damit auch die Motive, die Definition und die sittliche Grenze für Gewalt. Kein Mensch kann also rechtsfest das Mittelalter mit der Neuzeit vergleichen!

Und: was soll das auch?! In der damaligen Zeit waren die meisten Menschen bitterarm und wurden schon jung von Thyphus, Cholera, Syphillis und Pest dahingerafft – wenn sie nicht verbrannten, erfroren oder verhungerten. Oder von Plünderern oder Räubern erschlagen wurden. Und die paar Großkopferten, die da ungehemmt auf deren Kosten auf den Schlössern hurten und schlemmten, waren wahrscheinlich gewaltvoller als alles, was da unten rumstolperte! Wir wissen heute vieles von den Mobbings und Morden der Altvorderen damals!

Eine der prominentesten Geschichten eines mittelalterlichen Mobbing-Mordes liegt dem Märchen von „Schneewittchen“ zugrunde. Im Stadtarchiv von Bad Wildungen liegen ihre Originalbriefe von 1553 ... Das auffallend schöne Adelsfräulein Margaretha von Waldeck sollte nämlich am Hof in Brüssel verheiratet werden. Doch hatte sie leider eine Liason mit Kronprinz Philip II. von Spanien - der aber seinerseits der alten und hässlichen Kronprinzessin von England versprochen war. Margaretha schrieb darüber nur verklausuliert nach Hause, umso mehr aber über ihren plötzlich labilen Gesundheitszustand. In immer schwächer und fahriger werdender Handschrift, berichtete sie von einem „verblödendem Körper bei überwachem Geist“... Sie ahnte, dass „die böse Stiefmutter mit dem vergifteten Apfel“ eine Adlige mit eigenen Interessen in der Nähe der Prinzessin sein musste. Die von Margaretha klar geschilderten Symptome lassen stark an eine schleichende Vergiftung mit Arsen denken. Im Jahre 1554 am 13. März starb die schöne Jungfrau schließlich im Alter von nur 15 Jahren, von ihrer Leiche ist im Familiengrab jedoch nichts zu finden. Es ist gut denkbar, dass sie irgendwo zusammenbrach, von den zwergenhaften Bergleuten am Fuße des Schlosses aufgenommen wurde, dort schließlich anonym verstarb und auch von ihnen begraben wurde. Der Prinz jedoch fand sie nie mehr wieder …

Gewalt heute

Nur zwischen fünf bis zehn Prozent glauben, dass Morddelikte in Deutschland rückläufig sind. Aber es verwundert ja auch nicht, denn heutzutage sind 85% jeder Unterhaltungssendung auf Mord und Totschlag ausgerichtet, und es gibt fast nur noch Krimis zu sehen. Wer also laufend Morde im Fernsehen konsumiert, ist davon umringt und durchtränkt – und der hat natürlich dann auch den Eindruck, es gebe ziemlich viel davon überall ... oder könnte es zumindest gleich geben.

Die körperliche Gewalt von deutschen Jugendlichen nimmt seit zehn Jahren drastisch ab, sie ist um 54 Prozent zurückgegangen, die lieben Gäste der Frau Merkel allerdings juchzen diese Statistik wieder himmelhoch - und die haben dann ja auch gleich immer gerne ein kleines Messerchen zur Hand. Auch die Suizide sind rückläufig. Gute Nachrichten …?!

Naja, wir hauen uns zwar heute nicht gleich mit der Streitaxt auf den Kopf, aber es gibt ganz andere Formen von Gewalt in der heutigen modernen Welt – und zwar solche, die keiner kommen sieht, und die auch keiner eindämmen kann, wenn sie ihn dann trifft. Amokläufe zum Beispiel gelten heute auch als Ausdruck einer verletzten Männlichkeit. Es wirkt hier der Nachahmungseffekt, der insbesondere durch die Medien stattfindet, und der so zu einem Teil ihrer Strategie wird – was sie mit Terroristen gleichstellt.

Facebook und Twitter erschaffen heute einen völlig neuen Raum, in dem jeder fast anonym und frei agieren kann, ohne Verantwortung zu übernehmen. Das führt auch zu einer erschreckenden Zunahme an politischer Gewalt, wie die bereits an die Siebziger Jahre erinnert! Das Internet ist viele Teilnehmer ein rechtsfreier Raum. Sie sprechen da ungehemmt Dinge aus, die anderswo nicht sagbar sind … siehe „Corona-Leugner“ und „Querdenker“. Alte Sagbarkeitsregeln werden so massiv überschritten, was zur kompletten Enthemmung und zum Wegfall von Respekt und ethischer Grenzen, wie auch jeglicher Benimmgrenzen führt.

Cybermobbing

Die neuen Medien eröffnen Verletzungsspielräume, die es früher einfach nicht gab. Das ist die neue Gewalt, und sie ist rein verbal. Damit gehört sie zur Klassifikation der „psychischen Gewalt“, die man auch „leise Gewalt“, „unsichtbare Gewalt“ oder „weißen Terror“ nennt.

Man kann sagen: „Vernetzt und verletzt!“  Unter Cyberbullying oder Cybermobbing versteht man die öffentliche Beleidigung, Bedrohung, Bloßstellung, Ächtung, Verleumdung, Belästigung oder psychische Vernichtung von willkürlich ausgewählten Personen mithilfe von modernen Kommunikationsmedien. Cybermobbing ist gekennzeichnet durch das Vorliegen einer bewussten aggressiven Handlung durch die neuen Medien, und das wiederholte und vollkommen willkürliche Vorkommen. Die Liste der körperlichen und seelischen Symptome, die 

Cybermobbing auslösen kann, ist lang, es ist dieselbe Liste wie die Schäden, die durch psychische Gewalt ausgelöst werden. Diese fangen bei Selbstunsicherheit an und enden im Suizid. Aus der „Studie Cyberlife II“ geht hervor, dass jeder fünfte Betroffene mit dem Gedanken an Suizid spielt, und jeder siebte als Folge Alkohol oder Tabletten zu sich nimmt.

Eine Studie kam 2011 zu dem Ergebnis, dass mittlerweile 32 % (in NRW sogar 36 %) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Opfer von Cyber-Mobbing betroffen sind. 21 % der Befragten konnten sich vorstellen, auch als Täter im Internet aufzutreten. Das Mobbing kann verschiedene Formen annehmen: Fotos oder Filme werden eingestellt, private Daten werden veröffentlicht, es werden E-Mail/ SMS/ WhatsApp-Shitstorms (Harassment) entfesselt, es werden Läster-Diskussionsgruppen gegründet (Dissing), unwahre und diffamierende Dinge werden veröffentlicht (Flaming), es kommt zu Veröffentlichungen von intimen Informationen über eine dem Opfer nahestehende Person (Outing, Trickery). Oder ein Täter loggt sich verdeckt unter der nicht geprüften Identität des Opfers ein (Impersonisation), und verbreitet in dessen Namen Unwahrheiten und Bösartigkeiten. Die Ausgrenzung aus sozialen Gruppen (Exclusion) durch Spott, Häme und Schikane ist unter Jugendlichen ja nun kein neues Phänomen, aber die Formen und Wege des Mobbings haben sich stark verändert: Konflikte werden heutzutage zunehmend anonym und ausschließlich über die Kommunikationsmedien ausgetragen. Nun sind all diese bösartigen Attacken im Internet auch noch weltweit einsehbar, dazu erfahren Opfer nicht immer sofort davon, und es ist ja bekannt: was einmal im Internet stand, lässt sich nicht mehr so leicht entfernen! Für die Opfer bedeutet dies, dass es keinen sicheren Rückzugsort mehr gibt. Dies kommt einem massiven Eingriff in die Privatsphäre gleich und es gibt keine Pause. 

Allerdings werden auch genügend Erwachsene regelmäßig zu Cybermobbing-Tätern oder Opfern, und das sind nicht nur öffentlich bekannte Personen. 12 % der Internetnutzer, die sich in sozialen Netzwerken engagierten, gaben Mobbing, sowie auch sexuelle Belästigungen an. Überwiegend waren weibliche Personen in der Altersklasse von 14 bis 39 Jahren betroffen.

Beim klassischen Mobbing Face-to-Face besteht in der Regel ein Machtungleichgewicht zwischen Täter/-in und Opfer, der Täter ist oder fühlt sich stärker als das Opfer. Dabei kann es sich auf beiden Seiten sowohl um Einzelpersonen als auch um Personengruppen handeln. Beim Cybermobbing muss dies nicht mehr vorhanden sein, denn die körperliche Distanz zwischen den Konfliktparteien, und eine vermeintliche Sicherheit durch die Anonymität fungieren als Schutzraum und auch Maske. Dadurch wagen es auch Schwächere, selbst aktiv zu werden und aggressive Handlungsoptionen anzuwenden. Dies ist eine mögliche Erklärung dafür, warum jedes fünfte Cybermobbing-Opfer dann schließlich reaktiv selbst zur Täterin oder zum Täter wird.