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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Es war sieben Uhr morgens, als bei Dr. Norden das Telefon läutete. Fee Norden war gerade aus dem Bad gekommen, und Daniel stand bereits unter der Dusche. Fee war es gewohnt, dass das Telefon zu jeder Tages- und Nachtzeit läuten konnte. Bei einem Arzt gab es keine Bürozeit, jedenfalls nicht bei Dr. Norden, den man noch als einen richtigen Hausarzt bezeichnen konnte. Eine heisere Männerstimme meldete sich. Den Namen konnte Fee nicht verstehen. »Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung, aber könnte Herr Dr. Norden bald zu uns kommen? Meiner Frau geht es sehr schlecht«, sagte die erregte Stimme. »Wer spricht dort bitte?«, fragte Fee. »Magnus, Werner Magnus. Herr Dr. Norden kennt uns.« Fee kannte den Namen auch. »Mein Mann kommt sofort, Herr Magnus«, sagte sie.
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Seitenzahl: 151
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Es war sieben Uhr morgens, als bei Dr. Norden das Telefon läutete. Fee Norden war gerade aus dem Bad gekommen, und Daniel stand bereits unter der Dusche.
Fee war es gewohnt, dass das Telefon zu jeder Tages- und Nachtzeit läuten konnte. Bei einem Arzt gab es keine Bürozeit, jedenfalls nicht bei Dr. Norden, den man noch als einen richtigen Hausarzt bezeichnen konnte.
Eine heisere Männerstimme meldete sich. Den Namen konnte Fee nicht verstehen.
»Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung, aber könnte Herr Dr. Norden bald zu uns kommen? Meiner Frau geht es sehr schlecht«, sagte die erregte Stimme.
»Wer spricht dort bitte?«, fragte Fee.
»Magnus, Werner Magnus. Herr Dr. Norden kennt uns.«
Fee kannte den Namen auch. »Mein Mann kommt sofort, Herr Magnus«, sagte sie.
Daniel trocknete sich schon ab. Er hatte den Namen gehört.
»Frau Magnus geht es nicht gut, Daniel«, sagte Fee.
»Dann muss es aber schon arg sein«, murmelte er. »Sonst würden sie so früh nicht anrufen.«
Aber wie arg es war, warf ihn dann fast aus dem Gleichgewicht. Der Grund für den Nervenzusammenbruch von Gerda Magnus war schrecklich genug. Beatrix, die zwanzigjährige Tochter, war seit dem Mittag des gestrigen Tages verschwunden, und eine Beatrix Magnus blieb dem Elternhaus nicht einfach fern, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Dr. Norden kannte dieses stille, zurückhaltende, liebenswerte Mädchen sehr genau.
Dr. Norden spritzte Frau Magnus ein Beruhigungsmittel und wartete, bis sich der Schüttelfrost legte.
»Es ist unbegreiflich«, murmelte Werner Magnus, »einfach unbegreiflich, und die Polizei tut nichts. Erst nach vierundzwanzig Stunden wird eine Suchmeldung bearbeitet. Unsere Tochter sei mündig, hat man mir gesagt. Sie kann selbst bestimmen, wo sie sich aufhalten will. Aber Sie kennen doch unsere Trixi. Sie läuft nicht einfach davon. Sie ist auch nicht so, dass sie einfach eine Nacht wegbleiben würde. Es muss etwas passiert sein, Herr Doktor. Wir wissen nicht mehr aus noch ein.«
»Haben Sie gar nichts in Erfahrung bringen können?«, fragte Dr. Norden mitfühlend.
»Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen. Sie war vormittags auf der Uni und hat die Vorlesung bis zum Schluss besucht. Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Ihr Wagen wurde bisher nirgends gefunden, von Trixi keine Spur. Und nun muss ich auch noch Angst um meine Frau haben.«
»Ich werde mich um Ihre Frau kümmern, Herr Magnus, und ich habe einen guten Draht zur Polizei. Ich werde da sofort etwas unternehmen.«
»Ich bin Ihnen dankbar, Herr Dr. Norden, unendlich dankbar, aber wenn wir unsere Trixi nicht wiederbekommen, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.«
Im Augenblick wusste Dr. Norden auch keinen Trost. Sein Gesicht war finster, als er an den heimischen Frühstückstisch zurückkehrte. Viel Zeit hatte er nicht für die Morgenmahlzeit.
Fee war entsetzt, als er ihr sagte, was geschehen war.
»Das ist schlimm, sehr schlimm, Daniel«, sagte sie erregt. »Beatrix Magnus ist kein leichtsinniges Mädchen. Sie läuft nicht einfach weg, wie so manche. Auch ein Mann könnte sie dazu nicht bewegen. Sie hätte ihre Eltern angerufen, wenn sie etwas vorhätte. Ich kenne sie doch von ihrer Mitarbeit bei der Fürsorge. Außerdem betreut sie gerade die alte Frau Wegener. Um die muss ich mich gleich kümmern. Wenn sie das erfährt, kann es ihr Tod sein. Sie ist ganz vernarrt in Trixi.«
»Reg du dich jetzt nicht auch noch auf, Fee«, sagte er. »Ich fahre zu Frau Wegener. Man muss ihr etwas vorschwindeln.«
Aber er brauchte der alten Frau Wegener nichts mehr vorzuschwindeln. Sie saß tot in ihrem Lehnsessel am Fenster.
*
Ganz einfach war es für Dr. Norden nicht gewesen, dies festzustellen. Er hatte erst einige Male geläutet, aber als ihm nicht geöffnet wurde, war er zur Hausmeisterin gegangen, die einen Schlüssel zu der Wohnung der alten Dame besaß und auch öfter mal nach ihr schaute. Frau Wegener, Mitte siebzig, war nicht bettlägerig. Sie konnte nur sehr schlecht sehen und war von Arthritis geplagt. Sie war pflegebedürftig, weigerte sich aber entschieden, in ein Pflegeheim zu gehen. Eine Zugehfrau kam täglich und hielt die Wohnung sauber, die ein Schmuckkästchen war. Frau Wegener war großzügig. Ihre größte Freude war es jedoch, wenn Beatrix zu ihr gekommen war, um ihr vorzulesen oder ihr von ihrem Studium zu erzählen, für das sich die alte Dame sehr interessierte, denn Beatrix Magnus studierte Kunstgeschichte. Der längst verstorbene Herr Wegener war Schriftsteller und Geschichtsforscher gewesen, ein Professor schon in jungen Jahren, aber, wie Frau Wegener immer gesagt hatte, zu klug und zu gut für diese Welt.
»Ich war gestern Nachmittag bei ihr«, sagte die Hausmeisterin, Frau Nitschke, als sie die Wohnungstür aufschloss. »Sie war traurig, weil das Fräulein Trixi nicht gekommen war und rief mich an. Sie fühlte sich nicht gut. Ich habe mich auch gewundert, dass das Dirndl nicht kam. Es war doch so gewissenhaft.«
Dr. Norden sagte noch nichts. Dann, als sie die Tote in ihrem Sessel sitzen sahen, stockte ihm der Atem. Ihm kam der Gedanke, dass Werner Magnus bei Frau Wegener angerufen haben könnte und der Schock sie getötet hätte. Aber dann, als er sie aufrichtete, entdeckte er an ihrer rechten Kopfseite eine blutige Stelle. Es schien, als sei sie mit dem Kopf auf das marmorne Fensterbrett aufgeschlagen.
»Ogottogott«, stöhnte Frau Nitschke nur immer, und Dr. Norden dachte flüchtig, dass dieser Tag wahrhaftig nicht aufregender anfangen konnte.
Seine Sekretärin Loni wartete indessen vergeblich auf sein Erscheinen in der Praxis, und sie rief besorgt zu Hause an. Als Fee den Anruf bekam, war es schon halb neun Uhr vorbei, und sie hatte eine düstere Ahnung, dass noch mehr passiert sein konnte.
Die drei Norden-Kinder tobten schon herum.
»Ihr seid jetzt mal ganz lieb und bleibt bei Lenni«, ermahnte sie ihre Trabanten. »Ich muss schnell mal wegfahren.«
»Auch noch«, sagte Danny, der Älteste, bockig. »Papi ist schon so früh weg und hatte keine Zeit für uns, und nun haust du auch noch ab.«
Er hatte schon manchmal recht kräftige Ausdrücke auf den Lippen, aber das nahm hier niemand tragisch. Man konnte es nicht verhindern, weil sie ja doch alles aufschnappten, und im Glashaus wurden die Norden-Kinder nicht aufgezogen.
Fee konnte unbesorgt das Haus verlassen, denn die gute Lenni war die beste Hüterin der Kinder. Fee fuhr zur Wohnung von Frau Wegener, die sie sehr gut kannte, denn sie kümmerte sich in ihrer knappen Freizeit auch um die Alten und Kranken und vermittelte ihnen Hilfe.
Ein heißer Schrecken durchzuckte sie, als sie gerade einen schwarzen Wagen mit verhangenen Fenstern halten sah. Die Haustür stand offen. Auch die Wohnungstür von Frau Wegener.
Und dann hörte Fee die Stimme ihres Mannes, der beruhigend auf Frau Nitschke einredete.
»Die Wohnung wird versiegelt, Frau Nitschke«, sagte er. »Sie geben niemandem die Schlüssel. Ich kann jetzt nicht länger bleiben.«
»Sie war doch eine so nette alte Dame«, schluchzte Frau Nitschke.
»Ihr ist nicht mehr zu helfen«, sagte Dr. Norden, und dann sah er Fee.
»Es tut mir leid«, kam es leise über seine Lippen. Etwas anderes wusste er im Augenblick nicht zu sagen, aber es war bezeichnend für ihn. Es tat ihm ehrlich leid, es ging ihm nahe.
»Ich habe alles schon weitergegeben, Fee. Fahr wieder nach Hause«, sagte er. »Ich muss in die Praxis. Du weißt, das Leben geht weiter, immer weiter.«
Seine Stimme war rau und wollte ihm nicht mehr recht gehorchen.
»Hat sie erfahren, was mit Beatrix ist?«, fragte Fee leise.
»Ich weiß es nicht. Ich werde Herrn Magnus fragen.« Er legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Ich konnte auch die genaue Todesursache nicht feststellen. Sie hat eine Verletzung am Kopf. Wir sprechen später darüber.«
Ihm ging vieles durch den Sinn, aber einen klaren Gedanken konnte er nicht fassen. Und auch Fee war von zwiespältigen Empfindungen bewegt.
Konnte es möglich sein, dass Beatrix bei Frau Wegener gewesen war, diese vielleicht stürzte und sich tödlich verletzte? Bei einer so alten und gebrechlichen Frau konnte das möglich sein.
Konnte es aber auch möglich sein, dass Beatrix von Panik erfasst worden war und die Flucht ergriff? Nein, das glaubte Fee nicht.
Beatrix war für ihr Alter ein sehr reifes und ernstes Mädchen, was ethische Dinge betraf. Sie hatte schon manchmal Menschen geholfen, die an der Grenze zum Jenseits standen. Der Tod hatte nicht den wahnsinnigen Schrecken für sie, von dem so mancher gelähmt wurde, wenn er vor der nackten Tatsache stand.
*
Als Daniel mittags mit Verspätung heimkam, war er nervös und geistesabwesend. Dieser Vormittag hatte ihm zu viel abverlangt.
Fee sah ihn nur fragend an. Fragen selbst wollte sie nicht stellen.
»Ich habe mit Herrn Magnus gesprochen«, sagte er tonlos. »Er hat Frau Wegener nicht angerufen. Er wollte sie nicht auch noch aufregen. Die Suche nach Beatrix ist jetzt eingeleitet. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Heute kommt wirklich mal wieder alles zusammen.«
Aber Zeit, sich zu sammeln, hatte er auch nicht. Er musste zu Frau Magnus.
Ihr Zustand hatte sich noch verschlechtert. Sie war völlig apathisch. Dr. Norden hielt es für das beste, sie in die Klinik zu bringen.
»Nicht in eine Nervenklinik«, stöhnte Werner Magnus. »Es würde sie umbringen, wenn ihr das bewusst wird.«
Dr. Norden beruhigte ihn. »Ich halte es nur für besser, wenn sie ständig unter Kontrolle ist«, sagte er. »Sie werden jetzt einigen Aufregungen ausgesetzt sein, von denen sie besser nichts erfährt. Ihr Herz muss kontrolliert werden. Wo immer ich Ihnen helfen kann, Herr Magnus, können sie sich auf mich verlassen.«
»Mir gibt Frau Wegeners Tod zu denken«, sagte der andere leise, mit mühsamer Beherrschung. »Trixi hatte die alte Dame so gern. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie deswegen einfach die Flucht ergreift.«
Später erfuhr Daniel von Fee, dass ihr der gleiche Gedanke gekommen sei.
»Ich muss ihn von mir weisen«, sagte Fee. »Trixi Magnus hätte dich sofort gerufen, es sei denn …«, sie geriet ins Stocken, und Daniel fuhr nach einem tiefen Atemzug fort: »Es sei denn, sie hätte sich eine Mitschuld an dem Sturz der alten Dame gegeben«, murmelte er. »Aber wir dürfen jetzt nicht auch noch durchdrehen, Fee.«
Am Abend traf Michael Magnus in München ein, von seinem Vater telegrafisch herbeigerufen. Er studierte in Wien Musik, Violoncello, um es genau zu sagen.
Er rief noch bei den Nordens an und bat um ein Gespräch mit Fee. Weil sie Beatrix doch recht gut kenne, sagte er entschuldigend.
Ob er gleich kommen wolle, fragte ihn Fee.
Nein, so sehr eile es jetzt wohl doch nicht, meinte er darauf deprimiert. Aber er wäre ihr dankbar, wenn sie am nächsten Vormittag eine Stunde Zeit für ihn hätte.
Es blieben unzählige Fragen offen. Von Beatrix war noch immer nicht die geringste Spur gefunden worden, auch nicht von ihrem Wagen, auf den sich die Suche jetzt vor allem konzentrierte.
*
Am nächsten Morgen konnte man es schon ausführlich in der Zeitung lesen.
Gesucht wurde die Kunststudentin Beatrix Magnus, Alter zwanzig Jahre, Tochter des kaufmännischen Direktors Werner Magnus, der eine Belohnung von zwanzigtausend Euro ausgesetzt hatte, wenn ein Hinweis das Schicksal seiner Tochter aufklären würde.
Eine Entführung konnte ausgeschlossen werden, da eine diesbezügliche Nachricht bisher ausgeblieben war.
Ein Bild von Beatrix und eine sehr genaue Personenbeschreibung wurde veröffentlicht. Halblanges blondes Haar, blaue Augen, auffallend schöne Zähne, mittelgroß, schlank, leicht gebräunte Haut. Sie war bekleidet mit einem grünbeige karierten Faltenrock, grüner Bluse, beiger Lederjacke und ebenfalls beigen Stiefeln. Sie fuhr einen grünen Volkswagen. Die amtlichen Kennzeichen waren ebenfalls genau angegeben.
Es war nun nicht so, dass Beatrix nach dem Verlassen der Universität von niemandem gesehen worden war. Die Drähte liefen heiß. Zwanzigtausend Euro waren verlockend, wenngleich die Hinweise als recht oberflächlich eingestuft wurden. Aber immerhin hatten sechs Kommilitonen ausgesagt, dass sie gesehen hätten, wie Beatrix ihren Wagen bestieg und davonfuhr, und zwei behaupteten, auch noch mit ihr gesprochen zu haben.
Davon wusste Fee Norden allerdings noch nichts, als Michael Magnus zu ihr kam.
Er sah bleich und übernächtigt aus. Er war ein sehr schlanker, dunkelhaariger junger Mann, dessen helle Augen im starken Kontrast zu seinem Haar standen. Es waren aber keine kalten Augen. Sie waren klug und wachsam, forschend und zwingend.
»Ich möchte Sie nicht lange belästigen, Frau Dr. Norden«, sagte Michael leise, »aber mit meinem Vater ist schwer zu sprechen über das, was ich in Erfahrung bringen möchte, und es gibt wenige Menschen, die meine Schwester kannten, richtig kannten.
Trixi hat mir von Ihnen erzählt. Sie sind so etwas wie ein Vorbild für sie. Sie kann sich geändert haben, seit ich sie das letzte Mal sprach. Das ist drei Monate her. Es könnte ein Mann in ihr Leben getreten sein, der ihr viel bedeutet, den meine Eltern aber ablehnen. Verstehen Sie mich bitte richtig. Ich möchte nur eine logische Erklärung für ihr spurloses Verschwinden suchen. Es könnte ja sein, dass meine Eltern von einem Schuldbewusstsein geplagt werden. Auch das könnte ich verstehen. Meine Eltern sind sehr konservativ. Sie haben uns auch so erzogen. Aber sie sind weltoffen. Sie stecken den Kopf nicht in den Sand.«
»Trixi ist auch weltoffen, wenngleich sie nach außen verschlossen wirkt«, sagte Fee gedankenverloren. »Sie ist ein eigenartiges Mädchen, sehr hilfsbereit, selbstlos fast, möchte ich sagen. Nein, ich glaube nicht, dass es da um einen Mann geht. Sie liebt ihre Eltern zu sehr, als dass sie diese enttäuschen würde.
Ich denke eher, dass sie auf einen Mann verzichten würde, wenn er den Eltern nicht gefällt, als eine tiefe Kluft zu reißen. Mir ist Trixis Verschwinden auch unerklärlich, Herr Magnus. Ich habe viel darüber nachgedacht.«
»Aber irgendeine Erklärung muss es geben! Sie kann doch nicht auf dem Weg von der Uni nach Hause wie vom Erdboden verschwinden«, sagte Michael leise. »Nicht, wenn man nicht das Schlimmste annehmen will.«
»Und was würden Sie vermuten?«
»Dass sie jemanden mitgenommen hat. Aus purer Gutmütigkeit. Ich denke dabei an einen Mann, der vielleicht aufdringlich geworden ist, der erst sehr nett war. Es ist schrecklich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.«
»Ja, das ist schrecklich«, sagte Fee leise. »Ich weiß von Trixi nur, dass sie ihr Studium sehr ernst nahm und immer hilfsbereit war. Sie leistete der alten Frau Wegener sehr oft Gesellschaft.«
»Mein Vater sagte mir, dass die alte Dame gestorben ist. Ein eigenartiges Zusammentreffen.«
»Das ein bloßer Zufall sein kann«, sagte Fee. »Frau Wegener war alt.«
»Und um wen könnte sich Trixi sonst noch gekümmert haben?«
»Ich weiß es nicht. Bei Frau Wegener war sie täglich, und allzu viel Zeit hatte sie ja nicht.« Fee Nordens Stimme bebte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Trixi ein Leid zufügen könnte. Sie hat bestimmt niemandem wehgetan. Wenn ich an ihr Lächeln denke …«
Michael wandte sich ab. Fee spürte, dass er sich kaum noch beherrschen konnte.
»Wie viele Menschen sind schon durch ihre Güte und ihre Gutgläubigkeit Gaunern in die Hände gefallen«, fügte er heiser hinzu. »Aber wenn Trixi ein Leid angetan würde, werde ich nicht ruhen, bis ich den Täter gefunden habe.« Er hielt inne, hob dann den Kopf und sah Fee mit leeren Augen an. »Noch eine Frage bitte, Frau Dr. Norden, es müsste ja nicht ein Mann gewesen sein, der da eine Rolle spielt, es könnte ja auch eine Frau sein, ein Mädchen.«
Fee bewegte verneinend den Kopf. »Ich weiß nur, dass sie manchmal mit Britta Eckner beisammen war, aber die steht außerhalb jeden Verdachtes. Sie ist Sozialhelferin.«
»Sie ist mir nicht bekannt«, sagte Michael misstrauisch.
»Sie wohnt erst einige Wochen hier. In der Sacknerstraße.«
»Ich werde jeder Spur nachgehen, auch der kleinsten«, sagte Michael.
»Wir möchten so gern helfen, Herr Magnus«, sagte Fee, »wenn wir nur wüssten wie.«
*
Aber wie war Eltern zu helfen, die verzweifelt um ihr verschwundenes Kind bangten? Gerda Magnus schwebte zwischen Angstpsychosen und völliger Apathie. Werner Magnus war nicht mehr fähig, seiner Arbeit nachzugehen. Es war nur ein Glück, dass man in seiner Firma viel Verständnis für ihn aufbrachte.
Michael hatte Britta Eckner aufgesucht. Sie war ein ähnlicher Typ wie Beatrix, still und zurückhaltend. Und auch sie war restlos erschüttert. Aber ein winziger Hinweis kam doch von ihr einer, dem sie wohl keine besondere Bedeutung beigemessen hatte.
»Ich habe Trixi an diesem Tag nicht gesprochen«, erklärte sie, »ich habe nur ihren Wagen gesehen. Es war noch jemand darin, eine Frau.«
Michael hielt den Atem an. »Wo haben Sie den Wagen gesehen?«, fragte er. »Bitte, erinnern Sie sich genau.«
»Bei der Ortsausfahrt«, erwiderte sie ohne zu zögern. »Es war mittags. Ich war bei den Zieglers. Die Mutter ist im Krankenhaus, und da betreue ich zeitweise die Kinder. Es ist eine Barackensiedlung. Ich war gerade auf dem Heimweg. Ich dachte, dass Trixi auch in der Siedlung zu tun hätte.«
»Es war bestimmt ihr Wagen?«, fragte Michael.
»Ja, sicher, ich kenne ihn doch.«
»Die Frau haben Sie nicht erkannt? War sie jung oder älter?«
»Ich glaube jung. Der Wagen war schnell vorbei. Sie hatte kurzes blondes Haar, noch heller als das von Trixi. War sie denn danach nicht mehr zu Hause?«
»Nein, das stand aber auch in der Zeitung«, sagte Michael, der jedem misstraute.
»Wir halten keine Tageszeitung«, sagte Britta leise. »Ich bekomme sie immer einen Tag später von Leuten, bei denen ich manchmal auch helfe. Ich verdiene noch nicht so viel, und meine Mutter bekommt nur eine kleine Rente.«
Bisher hatte sich Michael noch nicht viel Gedanken darüber gemacht, dass es auch Menschen gab, die nicht mal Geld für eine Zeitung übrig hatten. Er war im Wohlstand aufgewachsen. Er hatte Sorgen nie kennengelernt.
»Es war mittags«, sagte Britta bebend. »Wie kann man am helllichten Tag verschwinden? Es müssen doch auch andere sie gesehen haben.«
Aber vorerst schien es, als hätte niemand sonst Beatrix Magnus und ihren Wagen gesehen.
*
Dr. Norden erfuhr, dass Frau Wegener an einer Gehirnblutung gestorben sei, die durch die Kopfwunde hervorgerufen worden war. Die genaue Untersuchung hatte ergeben, dass sie sich an der Kante des Marmorsimses verletzt hatte. Wie das geschehen konnte, war nicht genau festzustellen. Vielleicht hatte sie einen Schwächeanfall erlitten und war aus dem Sessel zur Seite gekippt.