Im Netz der Schwarzen Witwe - Suzanne Brockmann - E-Book

Im Netz der Schwarzen Witwe E-Book

Suzanne Brockmann

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Beschreibung

Seine Tarnung ist sein einziger Schutz: Unter falschem Namen gibt FBI-Agent John Miller sich im Urlaubsparadies als todkranker Millionär aus. Und niemand darf wissen, wer er wirklich ist! Auch nicht die hinreißende Mariah Westford, sein Engel in diesem mörderischen Spiel. Er darf ihr nicht sagen, wie heiß seine Gefühle für sie sind, muss die Leidenschaft, die zwischen ihnen bei jeder Begegnung lodert, ignorieren. Denn John ist einer Serienkillerin auf der Spur, die ihrer Opfer heiratet, um sie eiskalt zu ermorden. Johns Plan ist ebenso einfach wie riskant: Er wird ihr nächster Ehemann werden und sie überführen. Dann ist er endlich frei für Mariah - vorausgesetzt, er überlebt das Netz der Schwarzen Witwe.

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Seitenzahl: 331

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Suzanne Brockmann

Im Netz der Schwarzen Witwe

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Christian Trautmann

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Love With the Proper Stranger

Copyright © 1998 by Suzanne Brockman

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München;

pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-387-8 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-386-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

PROLOG

S ie mischte Opium in seinen Kaffee. Eigentlich sollte er so spät abends keinen Kaffee mehr trinken. Der Arzt hatte es ihm verboten.

Doch sie wusste, wie viel Vergnügen es ihm bereitete, ab und zu gegen die Vorschriften des Doktors zu verstoßen.

Er lächelte, als sie ihm den Becher brachte, und sein Lächeln wurde noch breiter, als er einen Schluck trank. Er mochte den Kaffee süß.

Das Opium würde ihn nicht umbringen. Es war Teil des Rituals, Teil des Spiels. Sie hatte ihm genug gegeben, um ihn zu verwirren, seinen Verstand zu lähmen, ihn willenlos zu machen und vollkommen unter ihre Kontrolle zu bringen, während sie sich auf ihr Schachmatt vorbereitete.

Sie küsste ihn aufs schütter werdende Haar, und er seufzte zufrieden – der König, der sich nach einem harten Arbeitstag entspannte, in der Sicherheit seiner Burg, an der Seite seiner wunderschönen Königin.

Heute Nacht würde dieser König sterben.

Tony atmete gepresst, seine Stimme war heiser. John Miller konnte es deutlich über sein Funk-Headset hören, und er wusste, dass Tony Angst hatte.

„Ja, das ist richtig, ich gehöre zum FBI“, sagte Tony gerade und gab damit seine Tarnung auf. Miller war klar, dass sein Partner und bester Freund in echten Schwierigkeiten steckte. „Und wenn Sie so schlau sind, wie Ihr Ruf behauptet, Domino, dann befehlen Sie Ihren Gorillas, die Waffen hinzulegen und sich mir zu ergeben.“

Domino lachte. „Ich habe Sie von zwanzig Leuten umzingeln lassen, und da glauben Sie, ich würde mich ergeben?“

„Ich habe über zwanzig Mann Verstärkung“, log Tony, während John die Funktaste drückte.

„Ach ja? Und wo ist diese Verstärkung?“

Johns für gewöhnlich unerschütterliche Selbstbeherrschung drohte ihn zu verlassen. Er hatte den Befehl, draußen vor dem Lagerhaus still abzuwarten, bis die Hubschrauber eintrafen, eine Demonstration von Stärke. Aber er konnte nicht mehr länger warten. Er würde einfach nicht mehr warten.

„Mann, John, hast du es nicht mitbekommen?“, meldete sich Freds kratzige Stimme über Funk. „Die Hubschrauber wurden zu einem neuen Zielort dirigiert – es gab einen Attentatsversuch auf den Gouverneur. Es herrscht Code Red, oberste Priorität. Du bist auf dich allein gestellt.“

Keine Hubschrauber. Keine Verstärkung. Nur Tony drinnen im Lagerhaus, kurz davor, von Alfonse Domino hingerichtet zu werden. Und John Miller hier draußen.

Ein solches Szenario hatte John nicht auf der Rechnung gehabt. Darauf war er nicht vorbereitet.

Er schnappte sich die Maschinenpistole vom Boden des Vans und rannte auf das Lagerhaus zu. Er brauchte ein Wunder, doch er vergeudete keine Zeit mit Beten. Er wusste sehr gut, dass das nichts nützen würde und sie ohnehin kaum eine Chance hatten.

„Ich kündige.“

Die Vorstandsmitglieder schauten sie verblüfft schweigend an.

Marie Carver sah in die vertrauten, plötzlich geschockten Gesichter und wusste, dass diese zwei kleinen Worte ihr die Freiheit brachten. Es war ganz einfach. Sie kündigte.

„Ich habe bereits für einen Ersatz gesorgt“, erklärte sie den Anwesenden, wobei sie sich zusammenreißen musste, um nicht ausgelassen loszulachen. Sie kündigte. Morgen würde sie nicht durch den Haupteingang gehen und den Fahrstuhl nach oben zu ihrem Vorstandsbüro in der Penthouse-Etage nehmen. Morgen würde sie an einem anderen Ort sein. In einer anderen Stadt, in einem anderen Bundesstaat. Vielleicht sogar in einem anderen Land. Sie gab die Einstellungsberichte herum, die ihre Sekretärin getippt und mit einem fröhlichen gelben Einband versehen hatte. „Ich habe sämtliche Bewerbungsgespräche geführt und die Auswahl auf drei Kandidaten eingegrenzt. Jedem von ihnen würde ich als neuem Präsidenten von Carver Software mein vollstes Vertrauen aussprechen.“

Alle zwölf Vorstandsmitglieder fingen gleichzeitig an zu reden.

Marie hob die Hand. „Sollten Sie sich dazu entschließen, jemand anderen einzustellen, brauchen Sie selbstverständlich meine Zustimmung, da ich nach wie vor die Mehrheitsanteile der Firma halte. Aber ich glaube, Sie werden beeindruckt sein von der Auswahl, die ich Ihnen hier präsentiere.“ Sie klopfte mit den Fingerknöcheln auf den gelben Einband. „Ich möchte Sie bitten, mit Ihren Fragen zu warten, bis Sie die Berichte gelesen haben. Sollten danach Ihre Bedenken nicht ausgeräumt sein, können Sie mich bis sechs Uhr heute Abend zu Hause erreichen. Danach werde ich in Kontakt mit meiner Sekretärin bleiben, die ich zur Vorstandsassistentin befördert habe.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich bedanke mich für Ihr Verständnis und werde Sie alle bei der nächsten jährlichen Aktionärsversammlung sehen.“

Sie nahm ihren Aktenkoffer und verließ zügig den Raum.

Das Opium wirkte.

Seine Pupillen waren beinah nur noch stecknadelkopfgroß, und er sabberte ein wenig. Benommen blinzelnd beobachtete er, wie sie tanzte.

Diesen Teil mochte sie. Damit zeigte sie ihm, dass er nie mehr die Gelegenheit bekommen würde, etwas zu empfinden oder jemanden zu verletzen.

Sicher, dieser hier war sanftmütig gewesen. Er hatte sie mit seinen alten weichen Händen nie geschlagen. Stets hatte er darauf geachtet, ihr nicht wehzutun. Er hatte ihr teure Geschenke gemacht. Doch der Akt an sich blieb immer ein Akt der Gewalt, immer ekelhaft, und er verlangte grundsätzlich nach einer Strafe.

Der Todesstrafe.

Ihr Kleid fiel zu Boden und bildete einen See aus Seide zu ihren Füßen. Geschickt stieg sie heraus. Seine Augen waren glasig, doch die Begierde, die ihr Anblick in ihm weckte, war darin zu sehen. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch besaß er nicht mehr genügend Kraft, um sie zu erreichen.

Und sie tanzte immer noch weiter, zum Rhythmus, mit dem das Blut durch ihre Adern gepumpt wurde, in Erwartung des Momentes, in dem er ihr in die Augen blicken und begreifen würde, dass er ein toter Mann war.

Freiheit.

Das Bewusstsein traf sie wie die kalte Luft, die ihr durch die offene Tür am Ende des Ganges entgegenwehte. Sie erschien ihr frisch und rein, wie jene Frühlingsbrise, die Hoffnung, Lebendigkeit und Erneuerung brachte. Durch die geöffnete Tür konnte sie ihr Auto auf dem Parkplatz sehen, das für ihre Flucht bereitstand.

„Mariah.“

Es gab nur eine Person im Vorstand, die ihren Aufbruch verhindern konnte, zumindest vorübergehend. Susan Kane. Tante Susan. Marie drehte sich um, wobei sie rückwärts weiter den Flur entlangging.

Susan folgte ihr, und ihr langes Kleid mit Batikmuster wehte im Wind. In ihren blaugrauen Augen lag ein Ausdruck von Missbilligung. „Mariah“, rief sie Marie ein weiteres Mal bei dem Kosenamen aus ihrer Kindheit. „Anscheinend hast du das schon seit einiger Zeit geplant.“

Marie schüttelte den Kopf. „Erst seit zwei Wochen.“

„Ich wünschte, du hättest es mir erzählt.“

Jetzt blieb Marie stehen und begegnete dem strengen Blick der älteren Frau. „Das konnte ich nicht“, sagte sie. „Ich habe es selbst den meisten meiner Mitarbeiter erst heute Morgen erzählt.“

„Warum?“

„Die Firma braucht mich nicht mehr“, erklärte Marie. „Die letzten Entlassungen liegen drei Jahre zurück. Wir haben es geschafft, Sue. Die Profite steigen kontinuierlich, wir sind erfolgreich. Du kennst die Zahlen doch genauso gut wie ich.“

„Dann nimm dir Urlaub und entspann dich für eine Weile.“

Marie lächelte reumütig. „Das ist ja ein Teil meines Problems“, gestand sie. „Ich kann mich nicht entspannen.“

Susans Miene wurde sanfter, ein Ausdruck von Besorgnis trat in ihre Augen. „Macht dir dein Magen immer noch zu schaffen?“

„Unter anderem.“ Es gab noch so viele andere Gründe. Sie war zweiunddreißig Jahre alt und hatte seit ihrer Scheidung vor vier Jahren kein Privatleben mehr. Nach wie vor machte sie unzählige Überstunden, um den Profit zu erhöhen, um zu expandieren, um noch mehr Leute einzustellen. Dabei zählte die marode Computersoftwarefirma, die ihr Vater ihr nach seinem tödlichen Herzinfarkt hinterlassen hatte, längst zu den fünfhundert erfolgreichsten Unternehmen. Jeden Morgen, wenn sie das neue Bürogebäude betrat, fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat. Wozu war es gut, dass sie sich mit der Leitung des Unternehmens so viel Stress antat, dass sie davon Magengeschwüre bekam?

Wenn sie so weitermachte, würde sie mit sechzig noch in ihrem Büro sitzen, viel zu spät Feierabend machen und in ihre trostlose Eigentumswohnung zurückkehren. Sie würde nach wie vor aus Kartons leben, weil sie es immer noch nicht geschafft hätte, ihre Habseligkeiten auszupacken.

Sie würde auf ihr Leben zurückblicken, auf diese sinnlos verschwendeten Jahre.

Denn die Wahrheit lautete, dass sie dieses Unternehmen nie führen wollte, obwohl sie auf Wunsch ihres Vaters Betriebswirtschaft studiert hatte.

Zugegeben, es hatte Jahre gedauert, bis sie in der Lage war, es sich selbst einzugestehen. Dabei hatte sie bis heute noch keine Ahnung, was sie wirklich tun wollte.

Eines aber wusste Marie genau. Sie wollte nicht nur ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen leiten, sondern das Gefühl haben, für ein höheres Ziel zu kämpfen. Eines Tages wollte sie auf ihr Leben zurückblicken und stolz sein. Sie wollte das Gefühl haben, wirklich etwas erreicht zu haben.

Marie überlegte, ob sie für ein politisches Amt kandidieren sollte. Sie zog außerdem in Erwägung, zur Heilsarmee zu gehen. Inzwischen besaß sie eine ellenlange Liste von Wohltätigkeitsorganisationen, die verzweifelt Leute suchten – von Buchhaltern für die Heilsarmee bis zu praktisch veranlagten, Hammer schwingenden Handwerkern für das Familienhilfsprojekt „Foundation for Families“.

Doch bevor sie irgendetwas tun konnte, musste sie ihren Stress in den Griff bekommen.

Schritt eins bestand darin, sich von diesem Unternehmen zu lösen. Diese Besessenheit von ihrem Job musste aufhören, ebenso die Fixierung der Mitarbeiter auf sie. Sie würde schlicht einen kalten Entzug machen.

Die Firma könnte es überstehen. Jeder ihrer drei Job-Kandidaten würde die Aufgabe mit einer Frische und Vitalität angehen, die ihr seit fast zwei Jahren fehlte. Ob Marie die Trennung ebenso leicht überstehen würde, war eine andere Frage …

„Wohin gehst du?“, wollte Susan wissen.

„Das weiß ich nicht“, gestand Marie. „Ich werde mir meine Kamera schnappen und mich einfach auf den Weg machen. In einem Buch über Stressabbau habe ich gelesen, dass man sich ein paar Monate freinehmen und alles hinter sich lassen soll, einschließlich seines Namens. Dieses Buch empfiehlt mir, vorübergehend sogar eine neue Identität anzunehmen. Angeblich soll mir das helfen, mich von allem zu lösen, was meine Magengeschwüre verursacht hat.“ Sie lächelte. „Ich werde Marie Carver in meiner Wohnung einschließen, zusammen mit allen Zweifeln an meinem Verstand und mit meiner Angst, Carver Software könnte den Bach runtergehen, sobald ich die Stadt verlassen habe.“

Susan umarmte sie kurz, eine für sie ungewöhnliche Zuneigungsbekundung. „Der Job gehört dir, wenn du zurückkommst“, flüsterte die ältere Frau. „Dafür werde ich sorgen.“

Marie löste sich von ihr und brachte kein Wort heraus. Ginge es nach ihr, würde sie nie mehr zurückkehren. Dann könnten Marie Carver und ihre verdammten Magengeschwüre für immer verschwinden.

Sie benutzte ein Messer, um ihm eine Locke seines Haars abzuschneiden.

Er besaß nicht mehr viele, weshalb sie sich mit einer dünnen Strähne grauer Haare von seinem Hinterkopf begnügen musste. Aber das war egal. Es war das Einzige, was sie behalten würde.

Abgesehen vom Geld.

Sie hatte ihm nun Handschellen angelegt, er ließ es bereitwillig geschehen. Offenbar vermutete er ein neues Sexspiel und hegte nicht den geringsten Verdacht, dass er nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte.

Doch als sie das Stilett zückte, las sie eine gewisse Bestürzung in seinen durch die Wirkung der Droge glasigen Augen.

„Was hast du vor?“, fragte er.

Sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. Er durfte nicht sprechen. Es war ihm nicht gestattet zu sprechen.

Nur kannte er die Regeln nicht. „Clarise?“, beschwor er sie, und trotz des Opiums schlich sich Furcht in seine Stimme, ließ sie beben, als Clarise ihm die Messerspitze auf die Brust setzte.

Für einen kurzen Moment empfand sie Bedauern.

Clarise. Den Namen mochte sie sehr. Es war eine Schande, dass sie nur noch wenige Augenblicke Clarise sein würde. Danach konnte sie den Namen nicht mehr benutzen. Sie war zu schlau, um einen solchen Fehler zu begehen.

„Du bist jetzt weit genug gegangen“, sagte er, indem er versuchte, seine Angst hinter Autorität zu verstecken. „Binde mich los, Clarise.“

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht lehnte sie sich auf die hauchdünne Klinge, die tief in sein Herz drang und ihn für immer erlöste.

„Tötet ihn.“

Dominos Befehl kam, ehe John Miller die Tür des Lagerhauses erreicht hatte. Die Schüsse, vier rasch aufeinanderfolgende, wurden durch das Headset ohrenbetäubend verstärkt.

Tony.

Tony war tot.

John wusste es. Er hatte keine Chance, seinen Freund zu retten.

Zwar besaß er das Band, auf dem zu hören war, wie Domino den Befehl zur Tötung eines Bundesagenten gab. Er hatte außerdem genug Beweise, um Domino in den Todestrakt zu befördern. Wenn er jetzt durch die Tür des Lagerhauses stürmte, würde er damit allerdings nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, selbst getötet zu werden.

Das sagte ihm sein Verstand. Doch die Wut war stärker, und sein unbändiger Zorn auf diesen Killer schärfte seine Sinne.

Tony war tot, und der Dreckskerl, der dafür verantwortlich war, sollte nicht in einem Schnellboot entkommen. Er würde nicht irgendwo in Südamerika untertauchen, wo das FBI nicht mehr an ihn herankam. Nein, Alfonse Domino würde in der Hölle schmoren.

John warf sich in vollem Lauf gegen die Tür des Lagerhauses, hob die Waffe in Hüfthöhe und brüllte beim Anblick von Tonys Leiche, die in einer Blutlache auf dem kalten Betonboden lag, seinen ganzen Schmerz und seinen Zorn heraus. Dann schoss er auf den verblüfften Domino und seine Männer.

Sie hielt ihr Flugticket bereit, das auf einen falschen Namen ausgestellt war. Einen vorübergehenden Namen.

Jane Riley. Schlicht und unauffällig. Plain Jane. Plane Jane. Der Gedanke amüsierte sie. Aber nur kurz, da sie wusste, dass ihr Lächeln auffiel. Und momentan hatte sie nicht das geringste Interesse daran, irgendwem aufzufallen.

Sie trug zu diesem Anlass ein Kopftuch und eine einfache sandfarbene Jacke, die sie in einem Secondhandshop in der Stadt gekauft hatte.

Sie nahm nichts von Clarise mit. Nichts außer dem Geld und ihrer Sammlung. Neun Haarlocken.

Sie reiste mit leichtem Gepäck und bestieg das Flugzeug nach Atlanta lediglich mit einer Tragetasche. In der befanden sich mehrere Romane, die sie im Flughafenshop gekauft hatte, sowie zweitausend Dollar in bar. Der Rest des Geldes wartete bereits auf ihrem Schweizer Bankkonto.

In Atlanta wollte sie den Zug nehmen. Wohin, wusste sie noch nicht. Vielleicht nach New York. Oder nach Philadelphia.

Sie würde sich ein oder zwei Kinobesuche gönnen und sich Zeit lassen bei der Entscheidung, wer sie sein wollte. Dann würde sie sich die Haare schneiden und färben lassen, sich passend zu ihrer neuen Identität einkleiden, sich eine neue Stadt in einem neuen Bundesstaat aussuchen und ihr Spiel von vorn beginnen.

Damit sie die zehnte Locke bekam.

1. KAPITEL

J ohn Miller schlug das Herz bis zum Hals, und sein Mund war trocken, als er aus dem Schlaf hochschreckte. Er sprang auf und versuchte, sich zu orientieren, wobei er automatisch nach seiner Waffe griff.

„John, alles in Ordnung?“

Verdammt, er befand sich in seinem Büro. Er war an seinem Schreibtisch eingeschlafen, und nun stand er mit gezückter Waffe und zitternden Händen in seinem Büro.

Daniel Tonaka stand im Türrahmen und beobachtete ihn. Wie so oft blieb Daniels Miene ausdruckslos. Allerdings war sein Blick demonstrativ auf die Pistole in Johns Hand gerichtet.

John steckte sie wieder ins Halfter und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Ja“, sagte er. „Alles in Ordnung. Ich bin bloß für einen kurzen Moment eingeschlafen.“

„Vielleicht solltest du lieber nach Hause fahren und dich ins Bett legen.“

Ins Bett. Klar. In einem anderen Leben vielleicht.

„Du siehst übel aus, Mann“, bemerkte Daniel.

John fühlte sich auch mies. Er brauchte dringend einen Fall, an dem er arbeiten konnte. Solange er arbeitete, waren die Träume nicht so schlimm. Die Zeit zwischen den Fällen war unerträglich. „Ich brauche einfach noch mehr Kaffee.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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