Im Norden des Südens - Uschi Gassler - E-Book

Im Norden des Südens E-Book

Uschi Gassler

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Beschreibung

Märchen, Mord und mehr aus Pforzheim und Umgebung. Zum fünfjährigen Jubiläum des Goldstadt-Autoren e. V. setzen sich siebzehn Vereinsautorinnen und -autoren mit der Region auseinander, in der sie leben. In spannenden, bissigen, tiefgründigen oder humorvollen autobiografischen bis fantastischen Geschichten und Gedichten gibt es für Alteingesessene und Reingeschmeckte gleichermaßen viel zu entdecken. Die mitwirkenden Autorinnen und Autoren: Carmilla DeWinter, Alexandra Dietz, Prof. Erich H. Franke, Uschi Gassler, Christine Geiger, Tobias Hartmann, Fred Keller, Claudia Konrad, Anna-Lena Lucke, Andrea Lutz, Ernst Merz, Helga Pendelin, A. S. Schmidt, Elfriede Weber, Dr. Wolfgang Weimer, Ina Zantow, Rolf Zefferer

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DAS BUCH

Siebzehn Autorinnen und Autoren des Goldstadt-Autoren e. V. tragen anlässlich des fünfjährigen Vereinsbestehens am 1. März 2019 mit spannenden, bissigen, tiefgründigen und humorvollen Geschichten und Gedichten zu dieser Jubiläumsanthologie bei. Diese sind in den Genres Zeitgenössisches, Phantastik und Krimi angesiedelt und haben ihre Handlungsorte in Pforzheim und der Region.

DER HERAUSGEBER

Der Goldstadt-Autoren e. V. wurde am 1. März 2014 gegründet, ist im Vereinsregister eingetragen und hat seinen Sitz in Pforzheim.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite www.goldstadt-autoren.de. Anfragen an die Vorstandschaft können über die E-Mail-Adresse [email protected] gerichtet werden.

INHALT

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ORSTAND

JETZT ISCHES GSCHAFFT!

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ACHWORT

VORWORT

Mit der Idee, einen Autorenverein für die Region Nordschwarzwald ins Leben zu rufen, fanden sich am 1. März 2014 drei Autorinnen, zwei Autoren sowie drei Nichtschreibende zusammen und unterzeichneten Satzung und Papiere zur Gründung des Goldstadt-Autoren e. V. Das Ziel war die Schaffung einer Plattform für angehende und aktive Autoren sowie für Literaturbegeisterte zur gemeinschaftlichen Förderung und Weiterentwicklung im schriftstellerischen Bereich.

Heute sind wir auf dreißig Mitglieder angewachsen und blicken mit Stolz auf die vielen Veranstaltungen zurück, die wir in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt haben.

In dieser Anthologie präsentieren Vereinsautorinnen und -autoren Ausschnitte aus dem breitgefächerten literarischen Sortiment, das unser Verein mittlerweile zu bieten hat.

PAUL GASSLER

1. Vorstand

EINLEITUNG

Wer seit Jahren in der »Goldstadt« lebt, dazu Artikel über das Geschehen in dieser Stadt schreibt, der sollte manches zu erzählen haben. Als Journalistin konnte ich zwar nicht unmittelbar an diesem literarischen Projekt teilnehmen, bin aber froh über die Gelegenheit, mich durch diese einleitenden Worte daran beteiligen zu können.

Ob heiter und besinnlich, mörderisch und fantastisch oder sonderbar und skurril: Die Vielfalt zwischen Erfahrung und Erfindung, Wirklichkeit und Unwirklichkeit, mit der meine Schreibkollegen zu Werke gegangen sind, beeindruckt mich wirklich sehr.

Beispielsweise ist die Rede von einer »bedrohlichen« Statue im beliebten Stadtpark. In ironisch gefärbter Heiterkeit ruft die Autorin Kindheitserinnerungen wach, wobei der Leser mit dem Charme des Ortes und der Magie der Dinge konfrontiert wird. In Versen mit dem Ittersbacher Bähnle nach Pforzheim unterwegs zu sein, erweckt Bilder im Kopf und lässt Gefühle aufkommen, die mancher Zeitgenosse noch tief in sich trägt. Und – ein norwegischer Goldschmiedeschüler erkundet mit seinem Hund die Enz. Es ist beachtlich, was alles an diesem Fluss geschieht. Auch ein Mord. Ein Mord? Pardon, das sind nun wieder ganz andere Geschichten. In der Goldstadt und Umgebung isch ebbes los!

Kurzum: Das gefächerte Sammelsurium an unterhaltsamer wie ernster Prosa und Lyrik lädt nicht nur zum Lesen ein, es ist darüber hinaus eine Laudatio an die Heimat, die aller Ehren wert ist.

INA ZANTOW

WIE’S ISCH!

A. S. SCHMIDT

LA DORADA

Ich heiße Anton Graf, bin 53 Jahre alt und gehe in meiner Funktion als Stadtrat der Stadt Pforzheim wie jeden Montagmorgen zu einer nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats. Es gibt insgesamt vierzig von uns.

Eigentlich komme ich aus Aalen im Vorland der Schwäbischen Alb, aber die Liebe, oder besser gesagt, was ich dafür hielt, hat mich vor zweiundzwanzig Jahren hierher verschlagen.

Es ist kurz vor neun an diesem eisig kalten, mit tiefen grauen Wolken verhangenen Januartag. Es kommt mir so vor, als wolle es überhaupt nicht mehr hell werden. Egal, auch das wird sich bald ändern, wenn sie hören, was ich vorzuschlagen habe. Die werden Augen machen, feixe ich insgeheim, und schreite mit großen Schritten über den Marktplatz zum Neuen Rathaus.

Im kleinen Sitzungsaal des Ratsaalgebäudes, von wo man über die Zerrennerstraße hinweg den schönsten Fleck Pforzheims überschauen kann, setze ich mich an meinen Platz und richte meinen Blick aus dem Fenster auf die Stadtbibliothek, das Stadttheater und die Stadtkirche.

Wer hat sich bloß solch langweilige Namen ausgedacht? Andere Städte haben doch auch wohlklingende Namen für ihre Sehenswürdigkeiten gefunden, wie die »Herzogin Anna Amalia Bibliothek« in Weimar oder das Markgrafentheater in Erlangen, und irgendwer hat Kirchen, Münster sowie Kathedralen deutschlandweit mit den Namen sämtlicher Heiliger der Kirchengeschichte versehen. Nur wir nicht.

Als sich der Saal gefüllt hat, grüße ich in die Runde und lasse mir nichts anmerken. Zur heutigen Sitzung sind nur fünf Stadträte erschienen, die wir umgangssprachlich »den Ältestenrat« nennen. Ich gehöre seit zwei Jahren diesem Altherrengremium mit Dame an.

Die Dame heißt übrigens Johanna Ritter, die mit ihren 49 Jahren darauf besteht, mit Fräulein angesprochen zu werden und immer sehr adrett gekleidet ist. Als Stadtkämmerin wacht sie, seit dieser Sache vor ein paar Jahren, wie ein Zerberus stets darüber, dass hier nichts aus dem finanziellen Ruder läuft.

In dieser informellen Runde werden keine Anträge diskutiert oder Beschlüsse gefasst, sondern über die Stadtentwicklung gesprochen.

Und heute steht nur ein Punkt auf der Agenda: Die Bewerbung Pforzheims als Kulturhauptstadt im 250. Gründungsjahr unserer Schmuck- und Uhrenindustrie.

Ich muss an mich halten, um nicht laut loszulachen, als unser Oberbürgermeister die Sitzung eröffnet und ohne eine Miene zu verziehen den einzigen Agendapunkt von einem Blatt Papier abliest.

»Meinungen dazu?«, fragt er, wortsparend und übellaunig wie immer.

»Ja, ich«, sage ich schnell, bevor mir jemand zuvorkommt, räuspere mich, setze mich gerade und strecke den Rücken durch.

»Meine Herren, Fräulein Ritter, ich komme soeben aus meinem wohlverdienten Winterurlaub aus Spanien. Barcelona, um genau zu sein, und dort hatte ich eine Idee. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir der Stadt zum 250. Goldstadt-Jubiläum einen anderen, angemessenen Namen geben, sie umbenennen, verstehen Sie, und nicht nur die Stadt selbst, auch ihre Sehenswürdigkeiten.«

Ich lehne mich erhobenen Hauptes und mit herausforderndem Blick zurück und harre der Reaktionen.

»Haben Sie zu viel Sangria gesoffen da unten?«, fragt Metzgermeister Müller zu meiner Rechten. »Die Stadt umbenennen? Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?«

»Ganz im Gegenteil«, antworte ich.

»Ich nehme an, Sie haben sich auch schon einen Namen ausgedacht?«, fragt zu meiner Linken Herr Rotmeyer, ein pensionierter Gymnasiallehrer, und grinst mich unverschämt an.

»La Dorada«, antworte ich und lege ein erhabenes Lächeln auf.

»Wie bitte? La was?«, fragt nun Herr Fischer, seines Zeichens ehemaliger Vorsitzender der Handwerkskammer.

»La Dorada, wie El Dorado. Das heißt ›der Vergoldete‹. Aber weil wir eine Stadt sind, muss sie natürlich ›La Dorada‹ heißen, die Stadt, verstehen Sie? Weiblich«, erkläre ich.

»Ja … aber, das geht doch nicht!«, blafft nun wieder Herr Müller dazwischen. »Herr Bürgermeister, was sagen Sie denn dazu?«

»Spinnst du jetzt völlig, Anton?«, fragt mich dieser und wirft mir einen bitterbösen Blick zu.

Ich verneine und antworte: »Der einzig wohlklingende Name in der ganzen Stadt ist ›Monte Scherbelino‹, finde ich. Da war wenigstens mal einer ein wenig kreativ. Wie wollen wir uns mit einem Namen wie Pforzheim als Kulturhauptstadt bewerben? Wenn ich zu den Leuten sage, ich komme aus Pforze, was wie Furze klingt, verziehen sie die Nase, und wenn ich laut und deutlich erkläre, Pforzheim, sehen sie mich immer noch an, als hätte ich einen fahren lassen. Und sagt nicht, euch geht es nicht genauso.«

»La Dorada«, sagt Johanna Ritter, gefolgt von einem verzückten Seufzer. »Ich finde das schön – irgendwie romantisch. Das würde die Touristen in Scharen anlocken, was unseren leeren Kassen sehr gut tun würde. Alle würden sich die Stadt La Dorada an der Enz ansehen wollen. Man könnte zum Jubiläumsjahr den Monte Scherbelino mit einer goldfarbenen Folie verhüllen, so dass er schon von weitem sichtbar gülden in der Sonne glänzt.«

»Jetzt fängt die auch noch an zu spinnen und will einen auf Christo machen! Und den Sonnenberg nennen wir dann ›Monte del Sol‹, oder was?«, brummt Herr Eisemann, der sich Kapitän zur See nennt, nur weil er dreißig Jahre lang einen alten Frachtkahn den Rhein rauf und runter geschippert hat.

»Warum denn nicht?«, entgegne ich. »Und seien Sie nicht so unverschämt. Das war eine wunderbare Idee von Ihnen, Fräulein Ritter. Und aus der Stadtbibliothek könnten wir zum Beispiel die ›Markgraf Ernst von Baden Bücherei‹ machen. Die Stadtkirche in ›Karl Joseph Bouginé Kirche‹ umtaufen, das war ein evangelischer Theologe und Lehrer aus dieser Stadt. Und aus dem Stadttheater das ›Carl Wilhelm Kahlo Theater‹ machen. Kennt den vielleicht jemand?«

Ich schaue alle Anwesenden der Reihe nach an und ernte nichts als Achselzucken und angewiderte Blicke. Bis auf Fräulein Ritter, die scheint hingerissen von meinen Ideen zu sein.

»Grundgütiger«, sage ich in gespielter Empörung. »Carl Wilhelm Kahlo war Fotograf und der Vater von Frida Kahlo, ihr wisst schon, die berühmte mexikanische Malerin. So was muss man doch ausnutzen.«

»Es reicht jetzt, Anton!«, blafft mich der Oberbürgermeister an. »Und aus dem Leopoldplatz machen wir ›La Plaza Leopoldo‹ und veranstalten Stierkämpfe, oder wie? Das ist eine ernste Angelegenheit, und ich verlange, dass wir eine so wichtige Sache mit der nötigen Seriosität diskutieren und nicht wie die sprichwörtlichen Pforzheimer Seggl.«

»Das war mein Ernst«, antworte ich.

»Dein Vorschlag ist abgelehnt, die Sitzung vertagt, bis jemand etwas Vernünftiges zu diesem Thema beizutragen hat. Guten Tag, meine Herren, Fräulein Ritter.«

Der Oberbürgermeister faltet das vor ihm liegende Blatt mit dem Agendapunkt zusammen und steckt es in die Jackentasche, steht auf, bleibt kurz vor mir stehen und presst die Lippen aufeinander, als wolle er noch etwas sagen. Tut er aber nicht. Stattdessen stürmt er aus dem Raum, gefolgt von den anderen Ratsmitgliedern, die kopfschüttelnd und spottend an mir vorbeigehen.

Draußen hat es angefangen zu schneien. Über den Dächern von Pforzheim, nein, von La Dorada,hat sich eine Puderzuckerschicht niedergelegt, und ich schaue mit zufriedener Miene hinaus. Dass sie meinen Vorschlag ablehnen würden, war klar, aber wenigstens hat mal jemand etwas in dieser langweiligen Runde gewagt.

»Herr Graf?«

Ich drehe mich um und sehe Johanna Ritter hinter mir stehen.

»Ich habe gar nicht bemerkt, dass Sie noch da sind«, entschuldige ich mich.

»Wollen wir nicht eine Tasse Kaffee zusammen trinken gehen? Ich würde gerne mehr über La Dorada hören.«

»Sehr gerne, Fräulein Ritter«, sage ich und hake mich bei ihr unter.

Dann legt sie ihren Kopf ein wenig schief und zwinkert mir zu.

»Sie können Juanita zu mir sagen.«

»Mit dem größten Vergnügen«, antworte ich. »Ich bin Antonio.«

ERNST MERZ

ODE AN DIE GOLDSTADT

Wer kennt sie nicht, die kostbar edlen Steine,

die meisterhaft in Gold und Silber eingefasst.

Erst durch den Schliff erglänzen sie im Scheine,

wenn grelles Sonnenlicht zum Brechungswinkel passt.

Durch Bomben lag dies Handwerk in den Trümmern,

seit jeher war bekannt der Gilde güldne Kunst.

Jetzt galt es, sich um Aufträge zu kümmern,

Graveure, Fasser, Schmiede standen hoch in Gunst.

Die Nachkriegsjahre düngten hart, nicht unbrisant,

die Schreckensbilder schwerlich auszuroden.

Dem Phönix gleich, entstieg der Dachstuhlfabrikant,

trotz Krankheit, Tod und Hungerperioden.

Gern hat ein Goldschmied Hilfsarbeiter eingestellt,

mit Muggeseggele lief vieles runder.

Schnell hat zu Pforzheims Ruhm sich auch das Gold gesellt,

die Zunft gebar durch Ehrgeiz wahre Wunder.

Noch waren spärlich angefüllt die Kassen,

in Kleinbetriebe brachten Rassler neuen Schwung.

Auf lauten Eisen schritten sie durch Gassen,

die Goldschmiedbauern blieben in Erinnerung.

Das Diftele lag lange wach, fand keinen Schlaf,

hat’s Schüttelfass mit Stahlkugeln erfunden.

Auch ließ man Steine wachsen, was Profit betraf,

so konnten Schmucksteinfasser schnell gesunden.

Die Polisseusen schliffen und polierten,

gelegentlich auch Sprachgeschwätz aus Kapos Mund.

Wenn reich gefasstes Gold die Perlen zierten,

schnell tat zum Juwelier die Qualität sich kund.

Tagtäglich drehten Ausläufer die Runden,

sie brachten ihre Waren zum Bestimmungsort.

Bis in die Nacht verliefen ihre Stunden,

erst wenn kein Auftrag vorlag, schickte man sie fort.

Aus allen Angeln platzten kleine Räume,

ein Segen für die Menschen dieser Region.

Klein Genf, das war der Grundstein mancher Träume,

so blieben Schmuckfabriken nicht nur Vision.

ALEXANDRA DIETZ

DIE REISE EINER TASCHENUHR

Darf ich mich vorstellen?

Gestatten, ich bin eine Taschenuhr. Manche meinen auch: »Schäbiges altes Ding« oder schlichtweg »unbrauchbar«. Dabei würde mein Uhrwerk nach ein paar fachmännischen Handgriffen wieder schnurren wie ein Kätzchen. Gut, einige Macken habe ich auch an meinem Gehäuse, aber die lassen sich ausbessern.

Ich lag jahrelang zwischen Federn, Armbanduhrenbändern und unzähligen winzigen Schräubchen in einem Schränkchen mit vielen Schubladen. Das war schlimm, denn von der Welt habe ich nicht mehr viel gesehen, Tageslicht auch nicht. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem irgendwelche Menschen begannen, die Wohnung meines alten Besitzers auszuräumen.

Zuletzt kam das Schränkchen an die Reihe, worin ich lag. Es wurde hochgehoben, Treppen hinabgetragen und wieder abgestellt. Vermutlich im Laderaum eines großen Autos, das sich jetzt in Bewegung setzte. Das Gewackel und Geschepper tat mir gar nicht gut.

Auch während der Fahrt wurde es nicht besser. Ich bemerkte, wie das Glas über meinem Zifferblatt beschlug, so nervös war ich. Denn ich wusste nicht, wohin mich meine Reise führen sollte.

Irgendwann hielt das Auto an. Alles wurde ausgeladen und in einen Raum gestellt. Mir war das nicht geheuer.

Als endlich Ruhe einkehrte, glaubte ich, es geschafft zu haben. Doch irrte ich mich gewaltig.

Denn schon einige Tage später öffnete eine Hand ausgerechnet die Schublade, in der ich lag. Sie griff nach mir und steckte mich in eine Jackentasche. Es folgte ein langer Marsch durch eine laute Stadt. Mir wurde angst und bang.

Ich beruhigte mich erst, als wir am Ziel angekommen waren und ich erkannte, wohin mich mein neuer Besitzer gebracht hatte: In einen großen, eleganten Juwelierladen. Überall standen moderne Vitrinen mit funkelnden Schmuckstücken und vielen prächtigen Uhren. Diese glänzten neu und schienen zu funktionieren.

Mein Besitzer ging zu einem Mann, der hinter einer Theke an einer Uhr herumhantierte. Er erklärte ihm, er wolle mich verkaufen, denn eine Reparatur käme für ihn aus Kostengründen nicht in Frage. Dann fragte er, ob hier in den Schmuckwelten Interesse bestünde.

Der Mann bestätigte, genau der richtige Ansprechpartner zu sein, denn er sei Uhrmachermeister. Er legte mich auf seinen Arbeitstisch, hob eine Lupe vors Auge und begutachtete mich von allen Seiten. Dabei lächelte er geheimnisvoll vor sich hin. Was das wohl bedeutete?

Nun wurde verhandelt, mein Besitzer erhielt Geld und verschwand.

Der Uhrmachermeister zerlegte mich in viele Einzelteile und entfernte all den Staub und Rost, der sich in meinem filigranen Inneren, einem Geflecht von Brücke, Federn und Rädern, angesammelt hatte. Das war eine Wohltat. Danach reinigte und polierte er mein reich verziertes, edles Goldgehäuse sowie das Zifferblattglas auf Hochglanz. Nun setzte er mich sorgfältig wieder zusammen.

Schließlich war seine Arbeit getan.

Ich war sehr glücklich. Endlich war ich bei jemandem, der meinen Wert erkannt hatte.

Ich erhielt einen besonderen Platz in einer der gläsernen Vitrinen, und neben mir wurde ein kleines Schild aufgestellt mit der Aufschrift: »750er Gold, gefertigt 1820 in Pforzheim.« Seither genieße ich die Aufmerksamkeit vieler Menschen.

Ob meine Reise hier zu Ende ist, weiß ich nicht. Aber ich vertraue darauf, dass mein neuer Besitzer mich nur in gute Hände abgeben wird.

CHRISTINE GEIGER

LIEBESGEDICHT AN EINE STADT

Pforzheim,

du goldengoldige Stadt,

in der mein Herz

schon als Embryo

geschlagen hat.

In deinen Flüssen verlier

und find ich mich.

In Nagold, Enz und Würm

ich spür meine Liebe zu dir.

Im Wellenstrudel führ

und zieh mich durch dich hin.

Kein Silber, kein Gold

werden mir je so hold,

wie deine Schwarzwaldpforten.

Lass meine Seele

deine Baumwipfel

horten.

Kein Gold, kein Silber

wiegt dich je auf.

Ich zieh mir all deine Uhren auf

und lauf mit dir durch deine Täler.

Straßen, Gassen, bergwärts,

breiter, schmäler.

Vom Wartberg bis zum Wasserturm

nehm ich dich im Sturm.

Kein Eck, kein Platz, kein Fleck,

die ich nicht kenn –

wenn doch das letzte Fünftel

deiner 250 Goldstadtjahr

bis heut auch

mein Leben war.

Ringe, Broschen, Ketten, Uhren …

überall sind Spuren

von glanzvoll Geschmeide.

In deinen Museen ich weide

meinen Blick.

Eindringlich schön –

mag alles, alles von dir sehn.

Sollst ewig weiter bestehn.

Pforzheim, mei Pforze,

du bist mein Geschick,

mein großgülden Glück.

Vom Zehenring

bis zum Kettending

in meinem Genick,

verschließt du mit

einer einzigen Öse

mein Geschick.

Ich blick mit dir nach vorn,

nicht zurück.

Leb in dir,

bin wieder neu geborn

in deinem strahlenden Gold.

Weil’s Krieg und Schicksal gewollt,

wurdest du zerstört.

Oh, wie hätt ich sie so sehr verehrt,

deine Altstadt,

die nur noch die Erinnerung hat.

Seh ich mich satt

in geschichtlich Bildern,

wollen goldne Träume

wildern in mir.

Pforze, mei Pforze,

ich glaub bald,

ich gehör halt

für immer nur dir.

ELFRIEDE WEBER

TAGTRAUM