Im Raum der Stille - George Steiner - E-Book

Im Raum der Stille E-Book

George Steiner

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Beschreibung

Nach seinem großen Erfolg "Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe" legt George Steiner mit diesen Essays ein weiteres Werk bei Suhrkamp vor. Darin folgt der Meister des Lesens in literarisch-philosophischen Essays einem Zug glanzvoller Namen: Beckett und Brecht, Broch und Celan, Cioran und Canetti, Nabokov und Koestler, Kraus und Bernhard, Benjamin und Scholem, Céline, Simone Weil und Lévi-Strauss, um nur einige zu nennen. Die Mehrzahl von ihnen verbindet sich mit dem von Steiner selbst geprägten Begriff der ›Suhrkamp-Kultur‹. Geheimnis und Wunder, aber auch die Abgründe künstlerischer Schöpfung sind es, die den Kritiker anziehen. Unter seinem scharfen Blick können intellektuelle Masken durchaus fallen. Und doch ist George Steiner vor allem eines: ein Liebender. Versessen auf die Lektüre, auf den physiognomischen Klang der jeweils ganz eigenen Stimme, zieht er sie hinein in einen »Raum des Geistes, wo dieser seine Flügel öffnen kann: in die Stille« (Antoine de Saint-Exupéry). Nach den vielbesprochenen und erfolgreichen englischen, französischen und italienischen Ausgaben liegen George Steiners »Lektüren«, eine Auswahl seiner brillanten Essays für den "New Yorker", nun endlich auch in deutscher Sprache vor.

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Seitenzahl: 306

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George SteinerIm Raum der Stille

Lektüren

Originalausgabe:

George Steiner at The New Yorker. Essays

Edited and with an introduction by Robert Boyers

New York: New Directions 2009

Ausgabe und Auswahl wurden für die deutsche Ausgabe modifiziert.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2011

© Suhrkamp Verlag Berlin 2011

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

Inhaltsverzeichnis

Der Kleriker des Verrats Über Anthony Blunt

Alte funkelnde Augen Über Bertrand Russell

Tausend Jahre Einsamkeit Über Salvatore Satta

An der schwarzen Donau Über Karl Kraus und Thomas Bernhard

Eine Geschichte dreier Städte Über Elias Canetti

B. B. Über Bertolt Brecht

Der Freund eines Freundes Über Walter Benjamin und Gershom Scholem

Katzenmann Über Louis-Ferdinand Céline

Schwarzer Freitag Über Simone Weil

Kurzer Prozeß Über E. M. Cioran

Der verlorene Garten Über Claude Lévi-Strauss

Von Nuancen und Skrupeln Über Samuel Beckett

La Morte d'Arthur Über Arthur Koestler

Traumstadt Über Hermann Broch

Nördlich der Zukunft Über Paul Celan

Aus dem Totenhaus Über Albert Speer

Königstode Über Schach

Anmerkungen

Nachweise

Der Kleriker des VerratsÜber Anthony Blunt

Im Sommer des Jahres 1937 fuhr der neunundzwanzigjäh­rige Kunstkritiker des Londoner Spectator nach Paris, um sich Picassos kurz zuvor enthülltes Gemälde »Guernica« anzusehen. Dieser große Aufschrei einer empörten Menschheit fand stürmischen Beifall. Das Urteil des Kritikers, das am 6. August gedruckt wurde, war hingegen strikt ablehnend. Das Gemälde sei »ein privater Geistesblitz, der in keiner Weise erkennen lasse, ob Picasso die politische Bedeutung Guernicas durchschaut habe«. In seiner Kolumne vom 8. Oktober besprach der Kritiker, Anthony Blunt, Picassos grimmige Serie von Radierungen zum Thema »Traum und Lüge Francos«. Auch diesmal war seine Reaktion negativ. Diese Arbeiten »können nur eine begrenzte Clique von Ästheten erreichen«. Picasso sei blind gegenüber der vorrangigen Sichtweise, daß der Spanische Bürgerkrieg »nur eine tragische Episode in der großen Vorwärtsbewegung« sei, die ihr Ziel in der Niederlage des Faschismus und der letzt­endlichen Befreiung des gemeinen Mannes habe. Die Zukunft gehöre Künstlern wie William Coldstream, erklärte der Kritiker des Spectator am 25. März 1938. »Picasso gehört zur Vergangenheit.«

Professor Anthony Blunt kam auf das Studium von »Guer­nica« im Verlauf einer Reihe von Vorlesungen zurück, die er im Jahr 1966 hielt. Diesmal räumte er die Größe des Werkes und seine geniale Komposition ein. Er brachte es in Verbindung mit Motiven aus Matteo di Giovannis »Massaker der Unschuldigen«, mit Guido Reni, mit den allegorischen Gemälden Poussins (er war inzwischen, was Poussin betraf, zur führenden Autorität aufgestiegen). Überraschenderwei­se konnte Blunt nachweisen, daß der apokalyptische Terror von »Guernica« einem Ausschnitt aus Ingres' marmornem »Jupiter und Thetis« geschuldet war. Wenn in Picassos gefeiertster Leinwand fast keine unmittelbare, spontane Anteilnahme zu spüren war, wenn alle Hauptthemen schon in der Radierung »Minotauromachie« aus dem Jahr 1935 enthalten waren, so war dies einfach eine Frage der ästhe­tischen Ökonomie. Die Radierung hatte auf dieselbe Art, wenn auch in kleinerem, verspielterem Maßstab, »die Eindämmung des Bösen und der Gewalt durch Wahrheit und Unschuld« in Szene gesetzt wie »Guernica«. Die zugrunde liegende Einstellung des Künstlers war nicht, wie der junge Blunt impliziert hatte, Indifferenz, Weigerung, Partei zu ergreifen. Und 1945, wenige Monate nachdem er der kom­munistischen Partei beigetreten war, hatte Picasso erklärt: »Nein, die Malerei dient nicht der Dekoration von Wohnungen. Sie ist ein Instrument des Krieges, des Angriffs und der Verteidigung gegenüber dem Feind.«

Der Kunstkritiker des Spectator hatte es nicht so formuliert. Sein Sinn für Ästhetik, für die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft, war subtiler. Die Feinde waren Matisse, dessen Sichtweise »nicht länger die einer realen Welt« zu sein schien, oder Bonnard, der sich für formale Expe­rimente und Farbgleichgewicht entschieden hatte, auf Kosten »menschlicher Werte«. Die Kunst, so sah es Blunt in seinen Chroniken von 1932 bis zum Beginn des Jahres 1939, hatte wesentliche und herausfordernde Aufgabe: ih­

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