Im Schatten der Vergangenheit - Christine Ferdinand - E-Book

Im Schatten der Vergangenheit E-Book

Christine Ferdinand

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Beschreibung

Sarah lernt, durch einen Zufall nach dem anderen, Aiden kennen. Dieser ist anders, das merkt sie sofort. Doch wie genau, sollte sie schon bald selbst erfahren. Sie kommen sich näher. Aidens Vergangenheit holt ihn schnell ein. Und auch über Sarah legt sich ein dunkler Schatten, der sie ein Leben lang begleiten wird.

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Inhaltsverzeichnis

Zitat

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Sarah

Aiden

Epilog

Zitat:

Wir blieben noch eine gewisse Zeit einfach so stehen und genossen die Ruhe, die Stille und die Gewissheit das alles nur ein Traum gewesen war.

Sarah

Ohne es zu wissen, begann heute ein Tag, den ich nie vergessen werde. Da ich hiervon natürlich nichts ahnte, machte ich mich, wie jeden Tag, für die Arbeit fertig.

„Seh zu das du hier wegkommst!“, rief eine schrullige Stimme aus dem Flur. Ich zuckte schon nicht mal mehr zusammen. Es war fast täglich das meine Nachbarn, egal ob über, unter oder neben mir, schreiend durch das Haus riefen. Doch das war das übel, endlich auf eigenen Beinen stehen zu wollen. Eine Ein-Zimmer-Mini Wohnung, mit Mauerblick und wöchentlich verstopfter Toilette, in der besten Arbeitswohnlage, die es gab. Mehr konnte ich mir jedoch mit meinem einfachen Büro Job derzeit nicht leisten. Ich stand, wie sagte man so schön, ganz unten auf der Gehaltsliste. Bei Bugs & Newman musste man sich, je nachdem wie lange man dort überlebt hatte, hocharbeiten. Und da dies erst mein dritter Monat war, gab es noch eine Menge Luft nach oben. Um mir überhaupt zwischendurch mal etwas leisten zu können und auch mal ein Taxi anstatt die U-Bahn zu nehmen, ging ich jeden Samstag zusätzlich noch Hunde ausführen. Hoffentlich würde es dieses Wochenende nicht schon wieder in Strömen regnen. Obwohl das zu dieser Jahreszeit, leider fast an der Tagesordnung war.

Verträumt sah ich noch immer in den Spiegel. Meine dunklen Haare band ich mir schnell zu einem Knoten zusammen, der von hinten fast aussah als würde er gleich explodieren. Auch ein Friseurbesuch wurde leider bald mal wieder fällig. Ich stolperte aus dem Badezimmer, griff mir meinen Pumps und zog diese noch im laufen an. Für heute hatte ich mir extra meinen blauen Blazer rausgesucht, da wir mit ein paar Kollegen noch in eine Bar wollten. Das taten wir ungefähr einmal im Monat. Ein Glück, denn mehr konnte ich mir auf keinen Fall leisten. Und die Männer waren auch nicht mehr das was sie mal waren. Die Emanzipation der Frauen war ja schön und gut, aber das hatte gravierende Folgen für die wenigen Gentlemen, die noch frei herumliefen.

Ohne es zu wollen schweiften meine Gedanken zu meinem letzten Freund. John. Wir hatten über vier Jahre ein ON-OFF Beziehung.

Die endgültige Trennung war mir tatsächlich erst gelungen, als ich aus unserer Kleinstadt in der Nähe von Morristown wegzog und hier in Manhattan ein neues Leben anfing. Wieso es uns immer wieder zueinander gezogen hatte, war mir bis jeher ein Rätsel gewesen. Vermutlich, weil er tatsächlich der letzte Gentleman war?

Zumindest wenn wir zusammen ausgegangen waren, bestand er darauf zu zahlen oder meinen Mantel zu halten. Den Stuhl vorrücken und über jeden noch so kleinen Witz von mir zu lachen.

Er war sehr aufmerksam. Doch ich war nicht die einzige die diesen Gentleman erleben durfte. Auch dutzende andere Frauen, wie mir viel zu spät mitgeteilt wurde, hatte er an der Hand. Mir drehte sich der Magen um, wenn ich daran zurückdenken musste. Ich legte mir die Hand auf den Bauch. Zwar brachte auch der Gedanken an John meinen Bauch ins Schwanken, aber die Klarheit, dass ich wieder mal nichts gefrühstückt hatte, tat ebenfalls seinen Beitrag. Kurzer Hand überquerte ich die Straße, um den nächsten Coffeeshop anzusteuern.

Die Tür klingelte leise, als ich sie aufmachte. Es war kaum zu hören, denn es waren so viele Leute in dem Laden das ein lautes Gemurmel alles andere übertönte.

So gut es ging, drängelte ich mich durch die Masse.

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, eins, zwei, drei, vier...“, murmelte ich vor mir hin. Es war einen art Tick von mir das ich, wenn ich irgendwo warten musste, die Leute vor mir zählte. Daraus ließ sich einigermaßen ableiten, wann ich drankam.

„Eins, zwei, drei“, ich stoppte. Irgendetwas nahm ich aus dem Augenwinkel wahr und erweckte meine Aufmerksamkeit. Es war ein junges Pärchen. Sie kicherte leise vor sich hin. Strich immer wieder eine Strähne von ihrem schwarzen Haar hinter das Ohr. Fast war es peinlich, wie sie sich verhielt, doch als ich sah warum, wusste ich, was sie fühlte. Der Mann, welcher ihr gegenübersaß, bestand darauf zu Zahlen. Er war gut gekleidet, trug einen grauen Anzug, hatte einen Vollbart und kurz geschorene dunkle Haare. Sie zog die Rechnung mit ihren grazilen Händen, wo die rot lackierten Nägel nur so aufloderten, die ganze Zeit zu sich herüber. Doch er nahm zärtlich ihre Hand runter und drückte sie zurück. Dabei setzte er ein unglaublich großartiges und zugleich bedrohliches lächeln auf. Auch wenn er einen Vollbart trug, sah man das Blitzen seiner Zähne, und das Funkeln in den Augen. Er meinte es ernst. Tod ernst. Das wusste auch die Frau mit den roten Fingernägeln. Am Ende gab sie sich geschlagen und überließ ihm die Rechnung.

„Tschuldigung, gehts mal weiter?“, drängelte der Mann mit unruhigem Schritt hinter mir. Ich sah nach vorne. Nur noch zwei Leute vor mir.

„Natürlich“, sagte ich kurz und schloss die Lücke. Ein letztes Mal warf ich einen Blick zur Seite. So unauffällig wie möglich drehte ich meinen Kopf, um noch etwas mitzubekommen. Das Pärchen von eben war auf dem Weg nach draußen. Er ließ ihr den Vortritt, hielt aber noch schnell die Tür auf. Ich war tatsächlich auf einen der letzten dieser aussterbenden Art gestoßen. Ein echter Gentleman.

Benommen drehte ich mich zurück nach vorne, nahm meine Bestellung entgegen und verließ ebenfalls den Coffeeshop. Dieses Mal lag allerdings ein weiteres komisches Gefühl der Leere in mir.

Doch nicht in meinem Magen, sondern in meinem Herzen. Der Mensch war einfach nicht dafür gemacht allein zu sein. War das vielleicht der Grund wieso wir andauern zu John zurück ging?

Kopfschüttelnd lief ich weiter die Straße hinab zur nächsten U-Bahn-Station.

„Sarah, hast du das schon fertig bearbeitet?“ Nancy stand nervös vor mir. Ihr blondes schulterlanges Haar wippte hin und her.

Schnell kramte ich die Mappe raus und drückte sie ihr in die Hand.

„Ja alles fertig“, sagte ich und schenkte ihr ein Lächeln.

„Oh danke!“ Wie ein Rettungsboot krallte sie die Mappe fest an sich. „Du bist meine Rettung. Ansonsten hätte ich das nie geschafft.

Wenn du erst mal soweit bist, dann frag mich später auch ruhig. Ich werde dir dann helfen.“

„Miss Hawener!“ Die Worte flogen so hart durch den Raum, das beinah etwas kaputt ging.

„Komme!“, rief Nancy und sauste los.

Mein Lächeln verstummte, denn mein Magen machte sich erneut bemerkbar. Der Cookie von heute früh hatte leider nicht lange vorgehalten. Wie ein Verbrecher sah ich mich um. In unserem Büro, wo zu Spitzenzeiten fast sechzig Leute gleichzeitig durch die Gegend liefen, war auch heute gut gefüllt. Und da Mr. Winchester mit Nancy beschäftigt war, erlaubte ich mir fünf Minuten eher in die Mittagspause zu gehen. So unauffällig es ging, schleuste ich meine Handtasche mit nach draußen. Erst als die Fahrstuhltür sich schloss, entwich die ganze Luft aus meinen Lungen. Die Anspannung, so groß wie Backsteine, viel von meinen Schultern.

Unten angekommen, war ich dankbar das mein Lieblings-Coffeeshop einer großen Kette angehörte. Direkt auf der anderen Straßenseite unserer Firma gab es ebenfalls eine Filiale davon.

Das vertraute klingeln ertönte. Viel besser zu hören als heute Morgen. Es war noch lange nicht so viel los.

Ich lief quer durch den Laden. Auf halbem Weg konnte ich meinen Augen nicht trauen. Der Gentleman von heute Morgen saß dort an einem Tisch mit einer Frau. Aber Stopp. Diese Frau war blond und hatte keine feurig roten Nägel. Das einzige was sie gemeinsam hatten, waren eine Model-ähnliche Figur. Fassungslos und unglaublich wütend auf diesen Mann, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte, schnaubte ich verächtlich. Wohl etwas zu laut. Der Möchte-gern-Gentleman-ich-kann-jede-haben, sah auf der Stelle zu mir hoch. Diese gefährlichen Augen von heute Morgen fixierten mich. Fast legten sie mir Fesseln an und ich war mir sicher das es ein kurzes auffunkeln von Zorn darin gab. Automatisch drehte ich mich weg. Meine Wangen glühten. Rot wie eine Tomate gab ich direkt meine Bestellung auf. Ohne auch nur einen weiteren Blick zu wagen, nahm ich meine Tüte, den Kaffee und verließ den Shop, so schnell es ging. Die Straße überquerte ich zum Glück ohne Schaden.

Als sich die Fahrstuhltür gerade schloss, atmete ich stoßartig aus.

Mein Kopf viel mir in den Nacken. Es wurde wirklich zeit das es Wochenende wurde.

„Tschüss!“, riefen ein paar Leute im Vorbeigehen.

„Tschüss“, erwiderte ich. Endlich Feierabend. Heute war ich stolz auf mich. Trotz des Gefühlschaos zwischendurch, hatte ich wirklich viel Arbeit schaffen können.

„Kommst du endlich?“ Emma und Nancy hatten schon ihre Mäntel übergezogen.

„Ja“, sagte ich und sprang auf. Zu dritt gingen wir in Richtung Fahrstuhl. Als die Tür aufging, standen schon mehrere Leute drin.

Wir suchten uns eine Ecke, um nicht den ganzen Weg laufen zu müssen. Die Tür schloss sich.

Emma schubste mich am Arm. Dann beugte sie sich zu mir herüber und tuschelte mir ins Ohr:

„Die sollten sich mal ein Zimmer nehmen.“ Mit einem Nicken zeigte sie nach links. Dort stand ein Mann mit einer Frau. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und er umschlang ihren Körper. Presste seinen, ohne Rücksicht zu nehmen, wie das auf anderen wirken könnte, an sie heran. Den Kopf vergrub er in ihrem rot leuchtenden Haar. Soeben wollte ich meinen Blick abwenden, als der Mann den Kopf hob. Mir fiel die Kinnlade runter. Das war der Möchte-gern-Gentleman-ich-kann-wirklich-jede-haben, dem ich den ganzen Tag schon über die Füße laufe.

„Erde an Sarah?“ Nancy winkte mit der Hand vor meinem Gesicht hin und her. Ich zwinkerte unvermeidbar und drehte mich weg so dass der Mann, wenn er den gucken sollte, nur meinen Rücken sah.

Schnell band ich noch meinen Zopf auf. Mein dunkles dickes Haar viel mir in Wellen über die Schultern. Ich hoffte nur dass er mich nicht erkannte. Warum auch immer, hatte ich das Gefühl, nachdem ich mich heute Mittag so komisch geäußert hatte, dass er es mir auf eine Art und Weise heimzahlen wollte.

„Alles okay Sarah? Willst du heute jemanden abschleppen oder warum zeigst du uns jetzt erst deine großartigen Haare?“

Nancy schnappte sich eine Strähne die mir über den Rücken viele und wickelte sie immer wieder um einen Finger.

„Haha. Und den verführerischen Blick üben wir wohl noch, oder?“

Sie rümpfte die Nase, ich zog eine Grimasse zurück. Der Abend konnte jetzt einfach nur noch besser werden. Wenn Mister Macho, wie er ab sofort für mich hieß, mir nicht wieder über den Weg lief.

Das „Docks“ war ungefähr zwei Blocks entfernt. Die Straße war gut ausgeleuchtet, so dass man selbst im Dunkeln keine Angst haben musste allein dort hinzugehen. Wir saßen an einem gemütlichen Tisch an der Ecke. Dort konnte man alles sehen und wir konnten hemmungslos über die Leute in der Bar reden. Nach fünf Cocktails wusste ich trotzdem das ich das morgen bereuen würde.

„Ich werde gehen“, verkündete ich und nahm meine Handtasche.

„Nein“, sagen Emma und Nancy im Chor.

„Doch“, ich stand auf „sonst müssen die Hunde mich morgen hinter sich her schleifen.“

„Dann nehme dir aber ein Taxi.“ Bestand Nancy und kramte in ihrer Handtasche. Kurz darauf drückte sie mir zwanzig Dollar in die Hand. Ich versuchte es ihr zurückzugeben. Es war mir unangenehm Geschenke, geschweige denn Geld von anderen anzunehmen. Sie schob es mir erneut zurück. Um den ganzen ein Ende zu setzten, beschloss ich mir tatsächlich ein Taxi zu nehmen.

„Ich nehme mir ja ein Taxi, aber bitte lass das mit dem Geld.“

Sie schob es ein letztes Mal rüber und winkte ab.

„Ich bestehe darauf! Ohne dich wäre ich nie in die nächste Runde gekommen.“

Mir war klar das sie dir Arbeit meinte. Weil ich ihr heute geholfen hatte, wollte sie sich so dafür bedanken. Unsere Chefs machten den Aufstieg auf der Karriere Leiter zu eine Art Spiel. Wenn es darum ging höher zu kommen, musste man so viele Aufgaben erledigen, die eigentlich gar nicht allein zu schaffen waren. Und wenn man es doch schaffte, wussten sie, dass man es draufhatte. Entweder hatte man Beziehungen unter den Kollegen oder bestach welche. In den Augen von Mr. Winchester, war der Kollege, welcher eines von den beiden Sachen besaß, ein Glücksgriff für die Firma und kam in die „nächste Runde“.

Um jetzt nicht noch einen Streit vom Zaun zu brechen, steckte ich das Geld ein. Ohne es Nancy aber zu sagen, würde ich es am Montag wieder in ihre Tasche zurück schmuggeln.

Emma und Nancy drückten mich noch mal fest, als ich geradewegs das Lokal verließ.

Mir schoss die kalte Luft ins Gesicht. Es hatte vor kurzem noch geregnet. Dieser unverwechselbare Duft war kaum zu überriechen.

Mit geschlossenen Augen nahm ich einen tiefen Atemzug. Schnell riss ich die Augen wieder auf, als ich merkte, wie ich zur Seite kippte. Es war ein langer Tag und den sollte ich jetzt schnell enden lassen.

Fast zehn Minuten wartete ich auf ein Taxi. Doch wenn eines kam, waren andere Leute schneller als ich und schnappten es mir weg. Im angetrunkenen Kopf beschloss ich, es einfach einen Block weiter zu probieren. Meine Beine setzten sich in Bewegung. Erst als ich bereits einige Minuten unterwegs war, bemerkte ich das mich jemand verfolgte. Zumindest lief jemand schon ziemlich lange hinter mir.

„Alles gut“, säuselte ich vor mir hin. Das bildete ich mir wahrscheinlich doch alles nur ein. Die Straßenlaternen leuchteten so hell, dass niemand es wagen würde, hier jemanden zu überfallen.

Seelenruhig lief ich also weiter. Die Schritte hinter mir wurden hörbar und schneller, meine passten sich dem Tempo an. Ich bildete es mir also doch nicht ein. Ich warf immer mal wieder ein Blick zurück. Das einzige was ich jedoch erkennen konnte, war das die Gestalt einen langen schwarzen Mantel trug.

„Wo bleiben denn die Taxis?“, brummte ich mit zittriger Stimme.

Beim nächsten Atemzug packte mich etwas von hinten, schleuderte mich gegen die Mauer eines Hauses und drückte mich an die Wand.

Der Laut, welcher mir aus dem Mund drang, wurde vom Aufprall erstickt. Wir standen im Schatten einer riesigen Treppe. Keiner konnte uns hier sehen. Der Mann drückte mir seine riesige Hand auf den Mund. Automatisch kniff ich die Augen zusammen.

„Was wollen sie von mir?“ Seine Stimme war kalt und Rasiermesser scharf. Mein Atem ging schneller. Ich? Was ich von ihm wollte? Der Duft seines Parfüms zog mir tief in die Nase. Unter anderen Umständen roch es verdammt gut. Aber jetzt drehte sich mir nur noch der Magen.

„Warum verfolgen sie mich?“ Er drückte mich weiter gegen die Wand. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Bei jedem Wort was der Mann sprach, ging mein Atem noch schneller. Bei der wenigen Luft, die ich bekam und doch immer mehr und mehr versuchte sie einzusaugen, war es nur noch eine Frage der Zeit bis ich in Ohnmacht fallen würde. Noch als ich dabei war den Gedanken zu denken und die Bewusstlosigkeit zu begrüßen, ließ er von mir ab. Ich sackte ein wenig zusammen. Meine Lungen füllten sich mit frischer, nicht parfümierter, klarer Luft. Die Augen gingen auf und ich sah, wer vor mir stand. Es war der Mann aus dem Coffeeshop von heute Morgen und heute Mittag. Mit letzter Kraft sah ich fest in seine Augen. Dieses Blick Duell wollte ich nicht verlieren. Und das tat ich auch nicht. Der Mann ging zwei Schritte zurück, sah sich unsicher um. Immer wieder fiel sein Blick auf mich zurück.

„Entschuldigen sie. Ich...es tut mir leid. Ich weiß nicht was in mir gefahren war.“ Der Mann kam einen Schritt in meine Richtung.

Reflexartig wich ich zur Seite. Die Warnung verstand er sofort und nahm erneut Abstand. Wieder dieser suchende Blick in die leere Straße und auf mich. Dann drehte er sich um und verschwand.

Einfach so, ohne noch etwas zu sagen war er plötzlich weg.

Mir war nicht klar wie lange ich noch in der Ecke stand. Vielleicht zehn oder sogar zwanzig Minuten. Dann ging ich aus dem Schatten in den Schutz des Lichtes, lief schnell in Richtung Bar zurück, wo mir zum Glück bereits ein freies Taxi über den Weg fuhr und diesen schrecklichen Abend für mich noch zum Guten beendete.

Aiden

„Komm Baby, aufstehen. Ich habe noch Termine.“ Wie mir das immer auf die Nerven ging. Nur weil man ein bisschen Spaß haben wollte, dachten die Weiber immer, man würde sie sofort heiraten und eine Familie gründen. Aber das war mit Sicherheit nicht mein Hintergrund. Nach meiner letzten Beziehung mit Amal, die mich mehr als ausgenutzt hatte, war mein Bedarf dran gedeckt. Auch nach dem Ende unserer Beziehung versuchte sie mich zu kontrollieren und im Auge zu behalten. Erst mit einer einstweiligen Verfügung konnte ich sie auf Abstand bringen. Meinem Umfeld gegenüber hatte ich es nicht erwähnt. Es war mir peinlich das mich eine Frau so fertig gemacht hatte, dass ich rechtliche Schritte einleiten musste. Sprüche wie: Echte Männer regeln das auf andere Art und Weise und nicht mit Rechtsmitteln, hallten mir damals in den Ohren. Im Großen und Ganzen muss ich allerdings zugeben, dass ich ihr sogar ein wenig dankbar war für das was sie getan hatte.

Sonst wäre ich nicht zu dem Mann geworden, der ich jetzt war.

Die Frau von gestern trat aus meinem Badezimmer. Das riss mich aus den Gedanken. Ich war bereits seit über einer halben Stunde fertig. Warten war nicht meine Stärke.

„Na endlich. Zieh deine Schuhe an und dann los.“

Sie kam elegant auf mich zu. In meiner Hose fing es an zu zucken.

Hätte ich jetzt schon Feierabend würde ich mich glatt auf eine neue Verführung einlassen, doch ich hatte mich heute früh mit Amanda, oder war es Alexa, verabredet. Namen waren für mich Schall und Rauch. Mir ging es darum jemanden für die Nacht zu haben. Allein schlafen, geschweige denn allein zu sein, war wie die Hölle auf Erden. Es war als wäre ich in dem Moment in ein schwarzes Loch gezogen worden und nicht mehr herauskommen. Wenn ich Ablenkung hatte und dazu noch auf meine Kosten kam, was konnte mir Besseres passieren.

Unten angekommen, winkte ich ein Taxi ran.

„Ciao“, ich nahm die blonde Schönheit vor mir noch einmal fest in den Arm und drückte ihr einen sanften Kuss auf. Auch wenn ich sie so schnell nicht wiedersehen würde, man wusste nie wofür, die Begegnung gut wäre. Und von meiner Gentleman Ehre ganz abgesehen, wurde ich so erzogen.

„Ciao“, hauchte sie atemlos. Ich wusste, was für eine Wirkung ich auf Frauen hatte und zugegeben, genoss ich es.

Wir saßen an einem kleinen Tisch im Coffeeshop. Um so weiter es auf acht Uhr zuging, umso mehr Leute waren unterwegs. Gab es denn niemanden mehr der noch eine vernünftige Kaffeemaschine besaß?

Amanda, zur Sicherheit hatte ich noch mal nach ihrem Namen gefragt, saß direkt vor mir und erzählte mir von ihrer stressigen Woche. Frauen mochten es, wenn man ihnen zuhörte und hin und wieder auf Schlagwörter reagierte. Wenn Männer sagten, dass Frauen kompliziert wären, dann sollte ich vielleicht ein Buch veröffentlichen mit dem Code, wie jede Frau zu knacken war.

Automatisch begann ich ein wenig zu lächeln. Amanda schenke mir ein zuckersüßes lächeln zurück. Sie dachte wohl das, dass gerade für sie gedacht war. Ich ließ das so im Raum stehen. Vorsichtig ließ ich meinen Blick ein wenig durch den Raum wandern. Andere Leute beobachten fand ich durchaus spannend. Besonders wenn interessante Menschen dabei waren, bei denen man nicht genau wusste, was sie taten. Die Neugier lag irgendwie in meiner Natur.

Vielleicht war ich aber auch durch das Stalking von meiner missratenen Ex Frau mit der Zeit nur so aufmerksam geworden.

In der sehr langen Reihe am Tresen stand eine Frau, an der ich hängen blieb. Sie murmelte etwas vor sich hin. Es lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Was dachte sie wohl gerade? Vielleicht war sie Schizophren, schoss es mir durch den Kopf, und hatte sich selbst gerade ein Witz erzählt. Was mir allerdings noch auffiel, dass sie eine äußerst gute Haltung besaß. Ihre Figur war weiblich. Es stand ihr sehr gut. Der blaue Blazer, den sie trug, passte sich genau ihrer Taille an. Äußerst modebewusst. Was machte sie wohl beruflich?

Der strenge Zopf deutete eindeutig auf einen Bürojob hin. Die leichte Bräune auf ihrem Gesicht zeigte jedoch das sie sich auch durchaus draußen bewegte.

„Aiden?“, Amanda ruckelte mich an. Mist! Ich hatte ihre Aufmerksamkeit verloren.

„Entschuldige. Ich dachte, ich hätte jemanden von früher gesehen.“

Schnell ergriff ich ihre Hand. Sie wurde Rot. Bingo! Ihr Misstrauen war verflogen. Vielleicht konnte ich sie für heute Abend nehmen?

Den ganzen Tag konnte ich mir ihr Gerede allerdings nicht anhören. In der Nacht jedoch könnte ich sie zum Schweigen bringen.

„Ich muss dann jetzt auch los.“ Umgehend holte ich mein Portmonee aus der Tasche und winkte der Kellnerin zu. Sie kam sofort zu uns herüber und legte die Rechnung auf den Tisch.

„Nein, ich werde zahlen“, sagt Amanda kokett. Sie zückte ihre Tasche. Doch ich war es gewohnt zu zahlen. Am Geld sollte es nicht scheitern, denn schließlich verdiente ich als Partner in einer der größten Kanzlei des Landes, viel davon.

„Ich zahle, keine Widerrede!“ Mein Blick wurde ernst. Amanda schluckte trocken. Sie reagierte jetzt schon sehr auf meine Anwesenheit. So wie ich es liebte. Heute Abend würde ganz sicher noch was laufen. Erneut lächelte ich. Etwas zu viel. Amanda fühlte sich abermals angesprochen. Ich stand auf, zog ihr den Stuhl hervor und ging mit ihr aus dem Coffeeshop.

Der Vormittag verging sehr schnell. Es lagen viele Akten auf meinem Tisch. Ich bearbeitete mehrere parallel. Viele meiner Kollegen schafften das nicht und konzentrierten sich meist nur auf einen großen Fall, für mich kam das jedoch nicht in Frage. Es war innerlich das Gefühl, als wäre es nicht genug. Als wäre da noch Platz über etwas anderes nach zudenken, was ich bei weitem nicht wollte.

Es klopfte.

„Ja“, sage ich eisern und in Gedanken noch bei meinem letzten Fall.

Natalia schaute um die Ecke.

„Kommst du?“, fragte sie ohne auf meine Art einzugehen.

Ich fuhr mir mit den Händen, durch die kurzen Stoppeln auf meinem Kopf. Wieder ein Date. Das hatte ich vollkommen vergessen. Obwohl es mit Natalia anders war. Sie war eine der Sekretärinnen an unserer Kanzlei. Ich hatte sie ein paar Mal flachgelegt. Sie mochte es gerne an ungewöhnlichen Orten. Für zwischendurch war das sehr praktisch. Sie, und auch ich wusste, was wir aneinander hatten. Es ging lediglich um Sex.

„Ich komme“, sagte ich kurz und schlug die Akte vor mir zu.

Sie ließ die Tür ein Spalt auf und lief vor.

„Das will ich ja wohl hoffen.“ Ihre zweideutige Art brachte mich zum Schmunzeln. Obwohl ich im Moment den Kopf so voll hatte, das ich mir sicher war, jetzt einfach nur etwas zum Mittag zu mir zu nehmen.

Der nächste Coffeeshop war direkt um die Ecke der Kanzlei.

Elegant hackte sich Natalia ein. Für Außenstehende sah es bestimmt so aus, als wären wir ein Pärchen. Doch wir wussten, wie schon gesagt, beide das es nicht so war und auch nie so sein wird.

Im Shop angekommen waren wir pünktlich vor der Rushhour dort.

Wir gaben direkt unsere Bestellung auf und suchten uns einen Platz.

„Du hast den Kopf nicht frei“, sagte Natalia, als wir uns setzten. Als wäre das was Neues, schnaufte ich verächtlich ein wenig auf.

„Ist das je anders?“ Ich wusste selbst nicht, ob das eine Frage oder Antwort von mir war.

„Du hast wieder einen großen Fall?“, fragte sie vorsichtig.

Ich nickte zustimmend. Zwar arbeitete sie in derselben Firma, sprach ich jedoch mit niemanden über meine Fälle. Außer mit den Klienten selbst. Und genau das wusste Natalia auch.

„Gleich ist die Voranhörung“, sagte ich trocken.

„Dann wünsche ich dir viel Glück.“

Ein Nicken sollte als Dank ausreichen. Damit war das Thema beendet.

Minuten vergingen, der Raum füllte sich langsam. Neben dem bekannten klingeln der Tür Glocke, entrann jemanden ein abwertendes Schnauben. Es klang wie ein Zischen. Diese Niedrigkeit kannte ich nur von Amal. Wie sie mich immer runter gemacht hatte und wie sehr ich nichts wert sei. Sofort sah ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Als ich bemerkte das es die Frau von heute Morgen in dem blauen Blazer war, fing mein Puls an schneller zu schlagen. Sie fixierte mich. Was wollte sie nur? Keiner von uns beiden sah weg. Bis sie von dem Typen hinter sich angesprochen wurde und am Tresen weiter vorrückte.

„Aiden?“ Natalia holte mich ins hier und jetzt zurück. Verdammt!

Erneut hatte diese unbekannte Frau es geschafft mich von meiner eigentlichen Begleitung abzulenken. Das durfte nicht zur Gewohnheit werden. Für die nächsten Augenblicke versuchte ich mich vollkommen auf Natalia zu konzentrieren. Im Augenwinkel sah ich, dass die fremde Frau schnell den Coffeeshop verließ. Eine gewisse Erleichterung durchfuhr mich. Kurzerhand beschloss ich ebenfalls meine Mittagspause abzubrechen und ging mit Natalia zurück in die Kanzlei.

„Vielen, vielen Dank Mr. Brooks.“ Die Mutter meiner Mandantin schüttelte mir überschwänglich die Hand.

„Sehr gerne. Aber passen Sie bitte auf ihrer Tochter auf.“

Ich setzte das falscheste Lächeln auf, was ich hatte. Dieser Fall war mir so unangenehm und brachte mich fast dazu mich zu übergeben.

Die sechzehnjährige Mandantin stand mit dem Rücken an der Wand gelehnt und nahm das alles nur am Rande wahr. Mit deutlich genervtem Blick beobachtete sie die Unterhaltung zwischen mir und ihrer Mutter.

Ohne mich von der Tochter zu verabschieden, ging ich den großen Saalartigen Gang entlang.

„Aiden!“, rief eine Frauenstimme. Ich sah mich um. Das erste was ich sah, waren die Feuerroten Haare von Lucy. Sie war Schreiberin im Gericht und kam mir gerade sehr gelegen.

Ich blieb stehen und setzte meinen charmantesten Blick auf.

„Lucy“, meine Stimme klang dunkel. „Wie schön dich zu sehen.

Das versüßt mir den Tag mehr als ich verdient hätte.“ Sie wurde rot.

Ein weiteres Bingo für heute. Noch ein zwei Sätze weiter und ich würde sie mit zu mir nehmen können.

„Ich wollte nur, also“, stammelte sie. Es war deutlich zu sehen das ich sie komplett aus der Bahn geworfen hatte. Ihr Beine drückten sich leicht gegeneinander und mit schüchternem Blick sah sie zu mir hoch.

„Du wolltest mit mir zu Abend essen“, sagte ich fordernd. Schnell ergriff ich ihre Hand. Mit einem Ruck zog ich sie mit. Ihr blieb hörbar die Luft weg. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben. Die Vorfreude in meiner Hose putschte mich an.

Sie eröffnete mir das sie noch etwas aus ihrem Büro abholen musste. Natürlich begleitete ich sie. Diese kleine Geste zeigte ihr, dass sie mir wichtig war. Zumindest für die nächsten Stunden.

Bereits auf dem Rückweg im Fahrstuhl hatte ich sie soweit.

Ein paar Stunden später und zwei schnellen Nummern auf der Toilette, nahm ich meine Umgebung zum ersten Mal richtig wahr.

Was mir dann allerdings auffiel, ließ meinen Magen drehen. Die Frau von heute im blauen Blazer saß in der Ecke am Tisch mit zwei weiteren Frauen. Zwar trug sie die Haare diesmal offen, war die Kleidung dieselbe. Das war definitiv die Frau. Alle am Tisch unterhielten sich angeregt. Bis auf diese eine Frau. Ihr Blick schweifte in der Bar herum. Obwohl es dunkel war, konnte ich erkennen, wie sie angestrengt nach irgendetwas Ausschau hielt.

Amal – schoss mir durch den Kopf. Sie hatte sie mit Sicherheit auf mich angesetzt, um mich unter Beobachtung zu halten. Die Frau nahm ihre Handtasche und verabschiedete sich von den anderen.

Das war meine Gelegenheit sie zur Rede zu stellen.

„Ich werde jetzt gehen“, sagte ich zu Lucy ohne sie anzusehen.

Sofort entriss ich mich ihrem Griff. Darüber Diskutieren wollte ich jetzt mit Sicherheit nicht. Die Frau war schon kaum noch zu sehen.

Schließlich fand ich sie vor der Bar im Getümmel wieder. Sie wartete auf etwas oder jemanden. Ich stellte mich etwas abseits, um den richtigen Moment abzupassen. Ich konnte ihr kaum hier zwischen den ganzen anderen Leuten meine Vermutung unterbreiten. Was mir bei näherem Hinsehen auffiel, das die Frau müde und erschöpft aussah. Plötzlich sah sie auf ihr Handy und lief los. Ohne nachzudenken nahm ich die Verfolgung auf. Vielleicht musste sie Amal Bericht erstatten? Wo wollte sie nur hin? Nach ein paar Metern wurden ihre Schritte schneller. Sie muss mich bemerkt haben. Immer wieder drehte sie sich herum. Das Adrenalin in meinem Körper kochte über. Der Tequila tat den Rest und ich rannte der Frau nach, packte sie an der Schulter und drückte sie mit der Hand auf dem Mund in den Schatten unter eine dunkle Treppe.

„Was wollen Sie von mir?“, brüllte ich sie an. Reflexartig schloss sie die Augen und stand starr vor mir.

„Warum verfolgen sie mich?“ Mein Druck wurde fester. Ich hatte sie ertappt! Ihr Atem wurde schneller und flacher. Sekunden lang passierte daraufhin nichts. Mist! Was tat ich hier überhaupt? Sofort ließ ich sie los. Ihr Körper zog sie leicht nach unten.

„Entschuldigen sie. Ich“, die aufgestaute Wut war auf einmal wie verflogen. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht was in mir gefahren war.“

Zögerlich ohne wirklich zu wissen was ich sagen sollte, versuchte ich mich zu entschuldigen.

Natürlich wollte ich ihr helfen und ging etwas auf sie zu.

Automatisch wich sie mir aus. Die Angst in ihren Augen war grausam mit anzusehen. Wie konnte ich einer völlig Fremden nur so viel Angst machen? Ich sah mich um. Niemand war da der ihr helfen konnte. Verzweifelt versuchte ich nach einer Lösung zu suchen und beschloss sie allein zu lassen. Natürlich war ich jetzt der falsche, der ihr helfen konnte. Zügig ging ich fort und ließ sie allein im Dunkeln zurück.

Sarah

Zu Hause angekommen schloss ich schnell die Tür hinter mir und verriegelte diese sofort. Noch ganz unter Schock zog ich mich schnell um und ging direkt in mein Bett. Ich wollte nie wieder an den heutigen Abend zurückdenken. Nie wieder. Langsam machten sich die dunklen Gedanken breit was alles hätte passieren können.

Was dieser Mann mit mir hätte angestellt, wäre er nicht von selbst zur Einsicht gekommen. Ich zog mir die Decke über den Kopf, um von der Welt draußen noch weiter zu fliehen. Irgendwann schlief ich endlich vor Erschöpfung ein.

„Ja ich bin dabei. Das hatte ich dir doch versprochen Matt.“ Mit drei Hunden an der einen und meinem Bruder am Handy an der anderen Hand, lief ich den kleinen Park in meinem Viertel entlang.

„Danke Sarah. Du bist die Beste. Aber“, er sprach nicht weiter.

„Aber was?“, schnaufte ich und schloss die Augen. Was kam jetzt wohl für eine Hiobsbotschaft?

„John ist auch da.“ Meine Schritte verlangsamten sich bis ich stehen blieb. Stille herrschte.

„John?“, fragte ich zögerlich noch mal nach, nur um sicher zu gehen das ich mich nicht verhört hatte.

„Ja, du weißt doch das ich mit ihm noch immer Kontakt habe und er macht ein bisschen Urlaub hier und deswegen ist er auch da.

Aber es sind ja auch noch ganz viele andere Leute da. Ihr müsst euch ja überhaupt nicht unterhalten. Bitte, ändere jetzt nicht deine Meinung. Du weißt, wie viel es mir bedeutet das du Christin endlich kennen lernst.“ Seine Stimme klang traurig gegen Ende.

Christin war die neue Freundin meines Bruders. Er hatte nach einem Rosenkrieg mit seiner Ex-Frau, nach langer Zeit endlich wieder jemanden gefunden. Sie waren schon ein paar Monate zusammen, doch ergab sich noch nicht die Gelegenheit für mich sie kennen zu lernen. Mein Bruder und Christin hatten sich nach kurzer Zeit bereits ein kleines Haus in Green Village angemietet. Das war ein absoluter Glücksgriff und deswegen mussten sie sich schnell entscheiden.

„Na gut. Ich bin dabei“, sagte ich mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Danke! Du hast was bei mir gut. Dann bis heute Abend. Hab dich lieb kleine Schwester.“ Matt klang glücklich. Zwar war es mir wichtig, gerade für Menschen, die mir alles bedeuten, da zu sein und für sie zu tun, fühlte es sich falsch an hier und heute Matt zugesagt zu haben.

„Ich dich auch großer. Bis später.“

Leicht genervt legte ich auf. Ich musste mich heute Abend tatsächlich auf der Party meines Bruders mich mit meinem Ex herumschlagen? Das würde ein Spaß werden.

Mit mulmigem Gefühl machte ich mich zu Hause fertig. Da es kalt war, entschloss ich mich für eine schwarze Jeans mit meinem weißen, am Rücken mit Spitze bedecktem Shirt. Meine Windjacke natürlich nicht zu vergessen. Die Haare band ich mir, wie im Büro, zu einem Zopf. Jetzt noch eine komplizierte Frisur herzuzaubern, hatte ich keinen Sinn dran. Schnell noch meine Tasche und losging es.

Kaum zwanzig Minuten später war ich bei Matt angekommen.

Ich klopfte und er öffnete die Tür.

„Hi!“, sagte ich erfreut. Wir nahmen uns in die Arme. Obwohl wir uns ein paar Monaten schon nicht mehr gesehen hatten, hatte er sich nicht verändert. Er hatte noch immer einen kleinen Bauch, was bei seinem muskulösem, stabilen Körper und seiner Größe nicht wirklich auffiel. Die kurzen dunkeln Haare hatte er nach hinten gekämmt und die schwarze Hornbrille verzierte noch immer seine Nase. Hinter ihm kam eine groß gewachsene schlanke Frau, mit kurzen Haaren hervor. Matt löste sich von mir.

„Sarah, das ist Christin.“ Sie nahm mich sofort in den Arm. Das überraschte mich sehr positiv. Es war schön so herzlich empfangen zu werden.

Ich trat ganz ein und Matt schloss hinter mir die Tür. Ruckartig blieb ich stehen, als wir direkt John in die Arme liefen. Sein großer durchtrainierter Körper wirkte noch definierter, als ich es in Erinnerung hatte. Die Haare trug er noch immer kurz und die schwarze Brille war ebenfalls die gleiche.

Mir rutschte mein Herz in die Hose. Die Freude von eben war verflogen. Ein komisches Flattern machte sich in meiner Magengegend breit.

„Sarah“, sagte John mit der mir so bekannten warmen Stimme.

„John“ Ich versuchte meine Stimme so kühl klingen zu lassen wie es ging.

„Wo geht’s in die Küche?“, fragte ich und sah meinen Bruder direkt an.

„Hier lang. Komm ich zeig es dir.“ Ohne John auch nur einen weiteren Blick zu würdigen, folgte ich Matt.

Wir saßen an einem großen Tisch. Es waren bestimmt fünfzehn Leute hier. Freunde und Arbeitskollegen der beiden. Das Essen war wirklich lecker. Christin hatte ihre Tapas Künste unter Beweis gestellt. Sie und Matt sahen wirklich glücklich aus. So sah er, selbst am Anfang der Beziehung mit seiner Ex nicht mal aus. Meine Gedanken schwelgten zurück in Erinnerung an die Zeit wo John und ich glücklich schienen. Nach außen sahen wir immer glücklich aus. Schließlich wusste ich, da noch nicht was für ein Schwein er war und wie oft er mich wirklich betrogen hatte.

Ohne es zu merken, sah ich John, der Schräg gegenüber von mir saß, direkt in die Augen. Hektisch sah ich auf meinen Teller, griff nach meinem Glas Wein und nahm einen Schluck. Die Unterhaltungen der anderen störte meine Handlung nicht. Zum Glück hatte meine Träumerei niemand bemerkt. Bis auf John natürlich.

„Entschuldige mich“, sagte ich zu Christin, die links von mir saß.

Christin nickte nur und setzte ihre Unterhaltung mit Matt fort. Ich brauchte dringend frische Luft. Vorsichtig schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf. Ohne mich umzusehen, ging ich nach hinten auf die Veranda.

Die kalte Luft tat gut. Es war schön mal kein Lärm und rauschen um mich herum zu haben. Die Nacht hatte sich bereist über die Dächer gelegt. Ein unwohles Gefühl überkam mich erneut. Die Erinnerung an gestern Abend war noch sehr präsent. Zwar versuchte ich einfach nicht an diesen Überfall zu denken, war das weitaus schwieriger, als ich dachte. Besonders der fremde Mann ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Nicht unbedingt die Angst vor ihm, sondern eher die Angst was ihn wohl beschäftigte und zu solch einer Handlung verleitete?

„Sarah“ Johns Stimme durchschnitt die Stille. Ich kniff die Augen zu. Zwei Schritte überquerten die Veranda. John stand jetzt direkt hinter mir. Ich ging einen kleinen Schritt vor, ohne mich umzusehen.

„Lass mich in Ruhe John.“ Meine Stimme noch immer kühl. Was aber mit Sicherheit auch an der Kälte hier draußen lag.

Plötzlich lagen seine großen warmen Hände auf meinen Schultern.

Die Wärme umschloss mich vollkommen. Es war so schön und einfach rundum vertraut. Jeder Muskel in meinem Körper entspannte sich zunehmen.

„John“ diesmal klang sein Name zu sanft aus meinem Mund. Ich wollte ihn doch dazu bringen aufzuhören.

„Sarah. Bitte es tuut mi leid.“ Säuselte er mit den Lippen an meinem Hals. Ich riss meine Augen auf. Es war deutlich zu hören das er zu viel getrunken hatte. Zudem wollte ich mich nicht wieder rumkriegen lassen. Warum hatte ich diesem Abend nur zugestimmt und war nicht einfach zu Hause geblieben?

Wütend, weites gehend auf mich selbst, verschränkte ich die Arme vor der Brust und lief ein Stück weiter in den Garten. Automatisch entriss ich mich Johns Griff.

„Sarah, komm, bitte.“ Er folgte mir.

„Nein!“, rief ich laut. Mir war es im Moment egal, ob das jemand hören würde. Mit geschwollener Brust drehte ich mich wütend herum und sah ihn direkt an. Er kam langsam und stark schwankend, auf mich zu.

„Du hast alles kaputt gemacht.“ Platzte es aus mir raus. „Ich dachte, wir hätten eine Zukunft, aber du konntest dich ja nicht unter Kontrolle halten.“

Es war irgendwie gemein ihm das jetzt alles an den Kopf zu knallen, besonders weil ich nicht wusste, was er morgen davon überhaupt noch wissen würde. Das Licht der Veranda zeigt mir genau, was sich in Johns Gesicht abspielte.

„Du hast alles kaputt gemacht!“, sagte ich erneut sehr deutlich.

Seine Augen zogen sich noch enger aneinander. Seine Schritte wurden langsamer und sicherer.

„Ich soll alles kaputt gemacht haben?“ Die Tonlage seiner Stimme hatte sich deutlich verändert. Genau das war immer der Augenblick, in dem ich wieder zurückruderte. Er hatte seine Macht gezeigt. Was in bestimmten Situationen durchaus anziehend auf mich wirkte.

Doch jetzt nicht mehr.

„Ja, das hast du!“ Umso sicherer und deutlicher Johns Stimme wurde, begann meine zu zittern. Er sollte jedoch nicht merken das ich unsicher wurde. Mittlerweile stand er dicht vor mir. Ich spürte die Wärme, welche von ihm ausging.

„Wenn es jemand kaputt gemacht hat“, schimpfte er leise „dann warst du kleines Miststück es!“ Die letzten Worte schrie er mit solch einer Wucht in mein Gesicht, das mein Trommelfell anfing zu vibrieren. Ich wollte nur noch hier weg. Ich brauchte Raum, platz, Luft!

Meine Beine liefen los. Kurzer Hand entschloss ich, um das Haus herum, nach vorne auf die Auffahrt zu laufen. Ich wurde schneller, rannte fast.

„Du bleibst gefälligst hier!“, schrie er mir nach. Ich stand bereits vorne am Haus. John kam mir, ohne zu zögern nach. „Bleib stehen!“, hallte es durch die Nacht.

Aus unerklärlichen Gründen tat ich, was er sagte. In mir kochte es.

Ich wollte nicht mehr wegrennen. Langsam drehte ich mich herum und suchte seinen Blick. Mein Kopf lief auf Hochtouren. Doch mir vielen so schnell nicht all die Worte ein, die ich ihm am liebsten noch gesagt hätte.

„Warum? Was willst du noch?“, entgegnete ich ihm im selben Ton Volumen wie er. „Wofür willst du mir die Schuld geben, wenn du dich mit anderen Frauen vergnügst, als wäre nichts dabei!“ Mein Körper begann zu zittern. Zwar war etwas Luft raus, doch es staute sich noch mehr in mir auf. Das spürte ich. Erneut drehte ich mich weg und lief weiter.

„Wenn du mich öfter ran gelassen hättest dann wäre das alles nicht passiert!“, schrie er mir hinterher. Es war, als hätte er diesen Satz geübt. So leicht und deutlich kam er von seinen Lippen.

Wie von einer Notbremse gestoppt, blieb ich stehen. Lief nicht mehr weiter, lief nicht mehr weg. Solch einen Vorwurf musste ich mir nicht bieten lassen. Ich drehte mich abermals in seine Richtung.