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Als Promi-Fotograf ist Jake immer auf der Jagd nach Bildern von Stars und Sternchen. Auf einer Hochzeit, bei der er die Exklusivrechte erhalten hat, begegnet er Max Swanson. Er ist Bestseller-Autor mit einem weiblichen Pseudonym, über das nichts bekannt ist. Auch Jake ist hinter der Identität dieser Autorin her. Max hütet allerdings ein weiteres brisantes Geheimnis - was wird geschehen, wenn Jake ihm zu nahe kommt und es lüftet? Ca. 54.500 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte dieses Buch ungefähr 270 Seiten.
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Als Promi-Fotograf ist Jake immer auf der Jagd nach Bildern von Stars und Sternchen. Auf einer Hochzeit, bei der er die Exklusivrechte erhalten hat, begegnet er Max Swanson. Er ist Bestseller-Autor mit einem weiblichen Pseudonym, über das nichts bekannt ist. Auch Jake ist hinter der Identität dieser Autorin her. Max hütet allerdings ein weiteres brisantes Geheimnis - was wird geschehen, wenn Jake ihm zu nahe kommt und es lüftet?
Ca. 54.500 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 270 Seiten.
von
Brigitte Melchers & Sandra Gernt
„Du schuldest mir was, Brian.“
„Einen Dreck schulde ich dir.“
„Ohne mich hättest du deinen Job verloren.“
„Ohne Leute wie dich wäre es nie soweit gekommen!“
„Trotzdem …“ Jake hielt inne. Er hatte ein gutes Gespür, wie weit er Leute in die Ecke drängen durfte, bevor die anfingen, um sich zu schlagen. Brian Marley stand kurz davor auszuticken. Da sie sich telefonisch unterhielten, war das ein geringeres Problem. Keine Gefahr, Zähne zu verlieren oder die Nase gebrochen zu bekommen. Doch er wollte etwas von dem Kerl und es war Zeit für das Zuckerbrot, um es zu erreichen. Die Peitsche war weniger ratsam, denn ja: Brian wäre seinen Job als Pressesprecher bei Luxham & Curtney, einem angesagten Verlagshaus in London, beinahe wegen eines Skandalreporters losgeworden. Abschaum!
Jake war als Promi-Fotograf auch nichts Besseres und nur an seinen schlechten Tagen versuchte er, sich vom Gegenteil zu überzeugen.
„Brian? Gib mir wenigstens einen Tipp. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich bin garantiert nicht blöd genug, deinen Namen mit reinzuziehen. Ich will auch morgen meine Miete zahlen, du willst genauso leben … Und ich hätte hier ein paar wunderschöne Fotografien von Ihrer Majestät, die von meinen in deinen Besitz wechseln und dir beim Überleben behilflich sein könnten.“
„Du willst mich bestechen, Jakob? Denkst du wirklich, ich sei käuflich?“
Bingo, Baby! Er hat angebissen!
„Bestechen? ICH? Mein Lieber, ich biete dir Entschädigung für den erlittenen Kummer wegen dieser hässlichen kleinen Affäre. Ich weiß doch, wie sehr die Seele leidet und wie lange es dauert, bis das ausgestanden ist. Tomkins gehört nicht zu meinen Leuten, die würden niemals das Vertrauen derer missbrauchen, die uns helfend die Hand reichen. Aber ich habe Berufsehre, du verstehst? Es ist mir eine Ehre, dich wieder auf die Beine zu bringen.“
„Nun, ich bin mir keineswegs zu schade, Hilfe anzunehmen … Und vielleicht hab ich gehört, dass Elisabeth Cameron heute Nachmittag ins Haus kommt, um die Druckfahne ihres neuen Krimis vorbeizubringen.“
„Hast du vielleicht auch gehört, um wie viel Uhr das genau sein soll?“
„Sorry, nein. Die Dame ist so unglaublich auf ihre Privatsphäre bedacht, nach wie vor weiß nur unser Boss persönlich, wie sie wirklich aussieht. Du kannst dir sicher sein, dass die schicken Fotos auf den Buchumschlägen gefaked sind, aber nicht mal Lilly weiß mehr. Und die weiß normalerweise alles.“
Lilly war die Chefsekretärin von Mr. Curtney, dem mittlerweile einzigen Inhaber des Verlages. Dass die Bilder, die von Elisabeth Cameron im Umlauf waren, nicht mit der Realität übereinstimmten, das wusste längst jedes Kind. Die Starautorin feierte internationalen Erfolg mit ihren Krimis, die inzwischen sogar verfilmt wurden. Die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung in seltener Einigkeit, lobten den Wortwitz, die spritzigen Dialoge, die außergewöhnlichen Ideen hinter den Mordfällen, die Lebendigkeit der Charaktere, den Tiefgang der Schicksale … Und nicht zuletzt die wenig originelle Tatsache, dass das Ermittlerduo, ein attraktiver Inspektor und ein junger weiblicher Sergeant, einander zwar umkreisten und häufiger die Funken zwischen ihnen stoben, jedoch nie und unter keinen Umständen die unsichtbaren Linien überschritten wurden. Keine unangemessenen Berührungen, keine Küsse, keine Dates. Dennoch lasen sich manche Passagen höchst erotisch und aufregend. Das heizte die Diskussion über das Privatleben der Autorin noch mehr an. Jeder Reporter, der etwas auf sich hielt, wollte das erste echte Interview mit ihr führen, statt sich wie bisher mit E-mailantworten auf einem Fragebogen abspeisen zu lassen. Ein Foto von ihr wäre fast so viel wert wie ein Bild von der Queen, die ihrem Ur-Enkel die Windeln wechselte. Immerhin hatten die Buchverkäufe erst kürzlich jene Reihe um einen gewissen Zauberlehrling hinter sich gelassen und Mrs. Cameron gehörte zu den Topverdienern des Landes.
Jake war ein kleines bisschen besessen davon, das Geheimnis dieser Dame zu lüften. Gleichgültig, ob es sich um eine hutzelige Omi von 94 Jahren, ohne Gebiss und mit fliederfarbenem Lockenkopf handelte oder um einen vierzehnjährigen Teenager mit Zahnspange, er wusste: Elisabeth Cameron hatte etwas zu verbergen. Geheimnisse lockten ihn wie Motten das Licht. Nur darum war er Promi-Fotograf geworden und lag oft wochenlang auf der Lauer, um Stars und solche, die es gerne wären, im bestmöglichen Moment zu knipsen. Fotos, die wirklich Geld brachten waren Stars mit Babys und Stars beim Sex. Die waren allerdings langweilig … Nein, Jake wollte Fotos, die Geschichten erzählten. Geschichten von Geheimnissen. Wie Elisabeth Camerons wahre Identität.
Er schaltete das Handy aus und machte sich auf den Weg zum Verlagshaus. Der frühe Vogel fing den Wurm, der eifrige Fotograf hatte Chancen auf Sensationsbilder. Jake wollte jede Person knipsen, die in den nächsten Stunden dieses Gebäude betrat. Brian war angewiesen ihn zu kontaktieren, sobald die Druckfahne vorlag, und falls diese tatsächlich persönlich überbracht werden sollte statt von einem Kurier …
Vier Stunden hatte er in seinem alten, unauffälligen, dunkelblauen Toyota auf der Lauer gelegen. Jake besaß mehrere Fahrzeuge für alle Gelegenheiten: Einen protzigen spanischroten Sportwagen für Glamourevents, einen geländegängigen schwarzen Transporter, einen silbergrauen, gediegenen BMW mit getönten Scheiben und eben diese Karre hier, mit der er in den meisten Gegenden stundenlang parken konnte, ohne bemerkt zu werden. Jake liebte diesen Wagen. Vor zehn Jahren hatte er ihn sich von seinem ersten verkauften Foto angeschafft. Ein Zufallsschnappschuss von einer berühmten Sängerin, die er anhand ihrer Stimme beim Shopping im Gammeloutfit erkannt hatte. Damals hätte er sich niemals träumen lassen, auf diese Weise tatsächlich professionell Geld zu verdienen … Achtzehn war er da gewesen, hatte sich als Autowäscher und Parkwächter durchgeschlagen und nicht gewusst, für welchen anständigen Beruf er sich entscheiden sollte. Die Entscheidung wurde ihm dadurch abgenommen.
Siebzehn Personen hatten in den vergangenen vier Stunden das Gebäude betreten, in dem sich neben dem Verlag ein Antiquitätenhändler und eine Uhrmacherwerkstatt befanden. Jede dieser Personen hatte er bestmöglich fotografiert, nicht alle waren so freundlich gewesen, ihre Gesichter zu präsentieren. Bei keiner hatte er das Gefühl, Elisabeth Cameron näher gekommen zu sein. Und dennoch hatte Brian ihn gerade angerufen und ihm mitgeteilt, dass die Druckfahne angekommen war.
„Keiner kann sagen, wann genau“, sagte er bedauernd. „Lilly war über zwei Stunden im Archiv beschäftigt, irgendwann in dieser Zeit wurde das Skript abgegeben.“
Jake nahm es unbewegt hin, dankte Brian und versprach, ihm eine anständige Geldsumme für den Tipp zukommen zu lassen, auch wenn er nicht den erhofften Erfolg gebracht hatte. Er wusste wie wichtig es war, sich seine Informanten bei Laune zu halten; solches Geld war grundsätzlich klug investiert.
Nachdenklich fuhr Jake zu seinem Haus in South Kensington, wo er sich sofort in der Dunkelkammer im Keller einschloss, um die Bilder zu entwickeln. Er gehörte zu jenen Fotografen, die zweigleisig fuhren – er nutzte intensiv die digitale Fotografie mit all ihren Vorzügen, genauso allerdings auch die altmodische Technik. Die lieferte nun einmal eine spezielle Qualität und Lebendigkeit von Farben und Motiven, an die keine Pixelklöppelei der Welt herankam. Außerdem liebte er den Entwicklungsprozess, dabei konnte er am besten nachdenken.
Der Reihe nach betrachtete er die siebzehn Menschen, die er mit seinem Objektiv eingefangen und auf Papier gebannt hatte. Fünf gehörten zum Verlag, vermutlich hatte er sie nach der Mittagspause erwischt. Einer war ihm als Mitarbeiter des Antiquitätenladens bekannt. Die restlichen Leute waren Männer und Frauen jeden Alters. Eine Inderin im traditionellen Sari, der leuchtend rot gefärbt war, musterte er besonders gründlich. Doch es gab keinen Hinweis darauf, dass dies eine raffinierte Verkleidung einer Europäerin war – die Hauttönung der Frau war zu gleichmäßig, zu natürlich, der Gesichtsschnitt ebenfalls typisch für den indischen Raum.
Da war allerdings ein Pizzabote, von dem Jake das Gesicht nicht hatte fotografieren können. Der junge Mann hatte die graue Kappe mit dem Firmenlogo zu tief in die Stirn gezogen. Zudem hatte er zwar ein fröhliches Lied gepfiffen, ein Popsong, der im Moment von den Radiostationen rauf und runter gespielt wurde, aber den Kopf hatte er gesenkt gehalten.
Nachdenklich musterte Jake das halbe Dutzend Fotos, das er von dem Mann hatte. Die Uniform, auf der ebenso wie auf der Kappe ein Logo abgedruckt war, der Werbeaufkleber auf dem weißen Kleinwagen – das alles hatte Jake davon überzeugt, es mit einem echten Lieferdienst zu tun zu haben. Wenn er sich nun vorstellen konnte, dass Elisabeth Cameron, die gefeierte Krimiautorin, sich als Inderin verkleidete, warum sollte sie nicht auch einen falschen Pizzaboten losschicken? Die Frau hatte definitiv genug Geld für solche Scherze … Rasch ließ er die Finger über die Tastatur seines Laptops gleiten. Innerhalb von Minuten erfuhr Jake mehrere Details: Der Wagen gehörte einem Autoverleih, wie er anhand des Nummernschilds und eines ausgesprochen nützlichen, leider nicht wirklich legalen Programms herausgefunden hatte; diesen Pizzalieferanten gab es nicht, unter der angegeben Adresse gab es lediglich einen Friseursalon; und auch das Logo war eine Fälschung. Der Bote war mit Sicherheit ein Schauspieler oder vielleicht auch ein arbeitsloser Tänzer. Seine schlanke, kraftvolle Statur und die anmutigen Bewegungen waren Jake ins Auge gesprungen. Da viele verarmte Künstler in London hausten und dort Taxi fuhren, kellnerten oder eben auch Pizzen auslieferten, hatte er sich nichts dabei gedacht, als er ihn knipste. Ja, je länger er auf die Bilder starrte, desto sicherer war er sich, dass dieser Mann das Skript überbracht hatte. Diese Runde war wieder an Elisabeth Cameron gegangen. Das Geheimnis der Krimiautorin blieb vorerst gewahrt …
Damit der Tag nicht restlos vergeudet war, stellte Jake einige seiner Schnappschüsse auf Portalen ein, wo Profibilder frei verkäuflich und lizenzfrei angeboten wurden. Kleinvieh machte schließlich auch Mist und er hatte über die Jahre ein beachtliches Portfolio erschaffen. Jene Bilder, auf denen Menschen oder Autokennzeichen deutlich erkennbar waren, konnte er ohne Genehmigung der Beteiligten nicht verwenden. Das gäbe bloß potentielle Urheberrechtsstreitigkeiten. Den Pizzaboten hatte er allerdings so ideal erwischt, dass sein Gesicht restlos von den Kartons mit der vermeintlichen leckeren Ware verdeckt wurde, die Inderin war ebenfalls auf einem Bild unkenntlich und er hatte noch einige weitere Fotos von interessanten Hausfassaden geschossen. Es nahm recht viel Zeit in Anspruch, die Bilder zu digitalisieren, hochzuladen und auf den Portalen mit geeigneten Suchschlagwörtern zu verknüpfen. Auf diese Weise hielt sich Jake beschäftigt und bekämpfte den Frust über seine Niederlage, bis der Alarm seines Handys losging. Er musste sich duschen und umziehen, denn heute Abend war er der exklusive Fotograf eines gesellschaftlichen Events: Der Sohn einer international gefeierten Schauspielerin gab seine Verlobung mit einer jungen Dame aus dem Adel bekannt. Die Mutter, Eleanor Roswell, zählte zu den Heerscharen Prominenter, die Jake einen Gefallen schuldeten. Wenn es ihm gelang, einen Star in extrem peinlicher oder kompromittierender Situation zu knipsen, dann verkaufte er diese Bilder nicht, wie es sämtliche seiner Kollegen tun würden. Ihm ging es nicht ums Geld und noch weniger darum, Menschen öffentlich zu zerstören. Er war gierig nach ihren Geheimnissen, ihren Schwächen und Sünden, ja. Teilen musste er nichts davon. Darum verkaufte er Stars, die sich mit Babybauch präsentierten, oben ohne auf Balkonen sonnten und damit regelrecht dazu einluden, der Welt den Bauchnabel zu zeigen, oder wie sie mit geheimnisvollen Fremden an ihrer Seite durch die Clubszene tanzten. Die wirklich brisanten und intimen Bilder – Promis in Panik und Todesangst, Menschen, die in Tränen aufgelöst dastanden oder mitten auf der Straße in Wutausbrüche verfielen, die ihre Kinder schlugen oder mindere Straftaten begingen – gab er nicht weiter. Stattdessen kontaktierte Jake die Betroffenen. Die E-Mail-Gespräche liefen meist nach einem vorhersagbaren Muster ab:
„Hi, mein Name ist Jakob. Ich bin Fotograf und schicke Ihnen gerade etwas zu.“ Kurze Pause, der Promi erhielt die Gelegenheit, das Skandalfoto zu entdecken. Nahezu alle von ihnen besaßen Fanpages im Netz oder waren anderweitig problemlos zu erreichen. Die erste Reaktion bestand in neunundneunzig von hundert Fällen aus hilfloser Wut, die sich entweder mittels Aggression, Sarkasmus oder resignierter Frage nach dem Preis ausdrückte. Natürlich glaubte jeder, der ihn noch nicht kannte, dass er auf Erpressung aus war. In seltenen Fällen klang die Erwiderung nach entspanntem „Mach damit, was du willst, ich hab kein Problem mit schlechter Presse.“ Sobald Jake nachhakte und sein Angebot unterbreitete, gingen auch diese Leute fast alle darauf ein:
„Ich werde dieses Foto vernichten. Niemand wird es bekommen und ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich keine Kopie davon zurückbehalte. Was ich dafür verlange ist kein Geld, sondern Ihr Wohlwollen. Wenn Sie mal eine Party geben und offizielle Fotos brauchen, denken Sie an meinen Namen. Wenn ein Freund von Ihnen heiratet und einen Fotografen sucht, denken Sie an meinen Namen. Und wenn Sie Schwierigkeiten mit einem Kollegen von mir haben – denken Sie an meinen Namen. In letzterem Fall kann ich Ihnen keine Erfolgsgarantie geben, da ich kein Anwalt bin und auch nicht zu kriminellen Mitteln greife. Aber manchmal hilft ein Gespräch unter Kollegen weiter.“
Anfangs war ihm viel Misstrauen und Skepsis begegnet und die Stars hatten sich eher auf sein Angebot eingelassen, weil sie das Gefühl hatten, ihnen bliebe keine andere Wahl. Im Laufe der Zeit jedoch hatte sein Name sich herumgesprochen und man wusste inzwischen, dass er sein Wort hielt. Die Skandalfotos tauchten nirgends auf, nicht einmal in den Fällen, wo man ihm empört gesagt hatte, er solle sich zum Teufel scheren. Das Wohlwollen als Gegenleistung sorgte dafür, dass er eine Menge Exklusivrechte für die Partys, Verlobungen und Hochzeiten der Promis erhielt. Seine Kollegen hassten ihn dafür, doch damit konnte Jake recht gut umgehen. Es war ein merkwürdiges Leben, das er führte. Ihm gefiel es gut … Und da er ein begnadetes Talent dafür hatte, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein und extrem schnelle Reflexe besaß, um diesen Moment für die Ewigkeit bannen zu können, musste er sich wirklich nie Gedanken um die nächste Mahlzeit machen.
„Du musst ganz einfach kommen, Kumpel!“ Max rollte innerlich mit den Augen. Er hatte diverse mögliche Erwiderungen auf der Zunge. Keine davon war ratsam, wenn er seine Freundschaft zu Toby Roswell nicht riskieren wollte. Der Typ war eine erstklassige Nervensäge. Immer ein wenig hilflos, weder der klügste noch der selbstbewussteste Mann dieser Welt und stets auf der Suche nach einem breiten Rücken, hinter dem er in Deckung gehen konnte. Auf der anderen Seite war er zuverlässig, von Grund auf ehrlich, großzügig und liebenswert. Das konnte man nicht von allzu vielen Söhnen höchst prominenter Schauspielerinnen behaupten … Zweifellos der Grund, warum Toby es geschafft hatte, sich Emma zu angeln. Deren Adelstitel war zu geringfügig, um genannt werden zu müssen, doch sie war eine atemberaubende Schönheit und besaß mehr als genug Geld. Die Herrenwelt lag ihr zu Füßen; der blasse, nette Toby hatte das Rennen vor all den Kerlen mit Sixpacks und Sexappeal gemacht. Max gönnte ihm das Glück von ganzem Herzen und er war fest entschlossen, ihm als Trauzeuge zur Seite zu stehen. Auf die glamouröse Verlobungsparty, die Tobys durchgeknallte Mama heute geben wollte, hatte er hingegen überhaupt keine Lust.
„Max, bitte … Bitte! Du kannst mich nicht allein lassen. Wenn du da bist, sind die Freundinnen meiner Mutter abgelenkt und tratschen nicht darüber, wie langweilig ich bin und dass mein Anzug ja wirklich bestens geeignet ist, um meinen schlaffen Bauch zu verstecken und was weiß ich … Emma zählt auch auf dich, okay? Bitte, ich revanchiere mich irgendwie dafür!“
Seufzend brummte Max sein Einverständnis ins Handy und beendete das Gespräch. Er war zu gut für diese Welt, eindeutig. Toby hilflos unter Hyänen zu lassen, das konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er wog das Handy in der Hand. Sollte er Mel noch einmal stören und ihre Dienste in Anspruch nehmen? Sie hatte ihm bereits geholfen, sich in den Pizzaboten zu verwandeln. Es war Gold wert, eine Maskenbildnerin zur Freundin zu haben, die beim Theater arbeitete. Er wollte sie jedoch nicht zu sehr strapazieren, obwohl er ihr jeden Einsatz bezahlte. Nun, er würde eine der vorgebundenen Krawatten nehmen, dann konnte er sich auch ohne Hilfe für diese dumme Party zurechtmachen. Auch wenn es jedes Mal ein Kampf für ihn war, Hemden, Tuchhosen und Jacketts passend zum Anlass auszusuchen und mit der idealen Krawatte zu kombinieren. Diesmal würde er etwas nehmen, das er bereits vor einigen Monaten bei einer Theaterpremiere getragen hatte, da konnte hoffentlich nichts schief gehen.
Max marschierte zum Bad, um sich rasch zu duschen und zu rasieren. Für die Öffentlichkeit war er der reiche Sohn eines Wirtschaftsmagnaten. Der jüngste von drei Kindern, der noch keinen Tag seines Lebens hatte arbeiten müssen. Ein adoptiertes Findelkind, dessen Schicksal einst zahlreiche Gemüter bewegt hatte … Der dank zahlloser Aktienfonts und Immobilien, die bei seiner Adoption für ihn angelegt und zum einundzwanzigsten Geburtstag an ihn überschrieben wurden, auch niemals würde arbeiten müssen. Da er keine Skandale provozierte, einen Abschluss in Jura in Oxford geschafft hatte und bei Wohltätigkeitsveranstaltungen Geld für notleidende Kinder spendete, redete niemand böse über ihn. Es gab Gerüchte, dass er seine Dauerfreundin versteckte, weil er sich für ihre ärmliche Herkunft schämte. Was eher niedlich war, denn Mel war nun einmal nicht seine Freundin. Er hatte ihr vor einigen Jahren das Leben gerettet und ließ sie im Appartement neben sich wohnen, weil sie niemanden sonst auf dieser Welt hatte. Sie stammte aus einer sehr konservativen indischen Familie, die sie für ihren viel zu westlichen Lebensstil verstoßen hatte. Sprich, sie hatte sich geweigert, der Zwangsverheiratung zuzustimmen. Mel verdiente ihr eigenes Geld, könnte sich diese schöne Wohnung davon allerdings nicht leisten. Um ihr schlechtes Gewissen zu besänftigen, nutzte Max ihre Hilfe, um sich zu verkleiden, wenn er Kontakt mit seinem Verlag aufnehmen musste. Ein gutes Arrangement – umso besser, weil die Leute ihn in festen Händen glaubten und darum weniger über ihn tratschten. Oder versuchten, ihn zu verkuppeln.
Kritisch musterte er sich im Spiegel. Sein kurzes schwarzes Haar brauchte noch keinen frischen Schnitt, lange würde es nicht mehr gut gehen. Im Moment war er glatt rasiert, was bedeutete, dass er spätestens gegen Mitternacht wieder stoppelbärtig herumlaufen würde. Die Damen liebten es, ihn selbst nervte es. Die übliche Plage eben, wenn man der dunkle Typ war. Max hatte noch einige unübliche Probleme mit seinem Körper, aber die hatte er unter Kontrolle. Zumindest die meiste Zeit über. Seine blaugrauen Augen waren eines davon. Egal, wie freundlich er zu lächeln versuchte, die Leute fühlten sich von seinem Blick rasch beunruhigt. Vor allem sensiblere, feinsinnigere Gemüter, die spürten, was sich unter der gepflegten äußeren Hülle verbarg … Darum vermied er es, tagsüber rauszugehen und trug wenn möglich Sonnenbrillen. Da er ansonsten den Kopf meist gesenkt hielt, unterstellte man ihm Schüchternheit. Schüchtern – pah!
Max ruckelte an der silbergrauen Krawatte herum. Er hasste diese Dinger, sie erwürgten ihn. Dennoch erduldete er sie, genau wie den teuren, maßgeschneiderten Anzug und die glänzend polierten Schuhe aus sündigem italienischem Leder. Oder diese alberne Rolex, die seinen Wohlstand postulieren musste, obwohl jeder davon wusste. Sein ältester Bruder hatte sie ihm geschenkt und er trug sie brav. Das einzige, worauf er sich freute, war die Gelegenheit, sein Lieblingsauto zu fahren. Ein Jaguar XJR Portfolio, die nachtschwarze Limited Edition aus dem Jahre 2006. Diese elegante, kraftvolle Schönheit durfte viel zu selten raus aus ihrem Käfig und ihre muskulösen 395 PS konnten in London schlicht nicht genutzt werden. Max besaß andere Autos, aber alle aus dem Hause Jaguar. Dafür gab es tiefere Gründe, die niemanden außer ihm etwas angingen.
Als er gerade seine Penthouse-Wohnung verlassen wollte, klingelte das Handy. Es war Becky, seine ältere Schwester.
„Max? Emma sagte mir gerade, dass du ebenfalls zur Party kommst, stimmt das?“
„Ich bin auf dem Weg. Soll ich dich mitnehmen?“
„Ja, bitte, sei so gut. Mum nervt mich, ich soll ein Taxi nehmen, weil sie Javis Dienste heute Nacht benötigt.“
Javier war der Chauffeur der Familie, ein ältlicher Mexikaner, den ihr Dad eines Tages angeschleppt hatte. Der Mann besaß die Geduld eines Engels, konnte fahren wie der Teufel, hatte genug Geschick, um jedes mechanische Problem bei Autos selbst beheben zu können und war schlicht zu alt, zu hässlich und seiner Frau zu treu, um Skandalreporter auf falsche Ideen zu bringen. Etwa, dass er eine Affäre mit einer der Damen des Hauses haben könnte.
Max fuhr mit dem Fahrstuhl direkt in die Tiefgarage hinab, wofür man einen Schlüssel und einen speziellen Code benötigte, und machte sich auf den Weg zu seiner Schwester.
Rebecca war acht Jahre älter als er, also siebenunddreißig. Ihr zweiter Ehegatte Roger reiste ununterbrochen um die Welt, was Becky den Freiraum gab, den sie so dringend zum Leben benötigte wie Luft zum Atmen. Sie hatte keinen Führerschein, ließ sich gerne vom Familienchauffeur kutschieren, wenn weder Roger noch einer ihrer Liebhaber zur Verfügung standen.
Sie wartete bereits, als Max vor ihrem Anwesen hielt, und stöckelte in mörderischen High Heels auf seinen Wagen zu. Becky war blond, zart und klein, optisch das genaue Gegenteil von ihm. In ihrem elfenbeinfarbenen Abendkleid sah sie atemberaubend aus und würde Emma, der weiblichen Hauptperson des Abends, zumindest teilweise die Show stehlen. Die beiden waren glücklicherweise gut genug befreundet, sodass Emma es ihr nicht übel nehmen würde.
Sie begrüßte Max mit einem Kuss auf die Wange und plapperte fröhlich auf ihn ein, während er zurück in die Innenstadt fuhr. Emmas Mutter hatte Räumlichkeiten in einem Fünf Sterne-Hotel gemietet, um der Feier das nötige Ambiente zu geben. Er liebte Becky. Sie war ein Freigeist, eine Künstlerin durch und durch. Sie musste malen, um diese Welt zu verkraften, in starken Farben und mit symbolträchtigen Motiven. Ihre zumeist fußballtorgroßen Gemälde wimmelten stets vor Leben und Mystik. Ihre kreativen Schübe befeuerte sie mit ätherischer Musik, Rotwein und wildem Sex – zumeist nicht mit ihrem Mann Roger, den das allerdings nicht weiter interessierte. Im Moment hatte sie vermutlich wieder einen Schub, erkennbar daran, dass sie ohne Punkt und Komma redete und die ganze Zeit über lachte. Hatte sie ihr Kunstwerk vollendet, stürzte sie regelmäßig ab, kleidete sich in düsteren Farben und sprach oft tagelang kein einziges Wort. Oder aber sie stand kurz davor, in einen neuen Schub zu geraten, nachdem sie längere Zeit gewartet und ihre Farben nicht angerührt hatte.
Nicht bloß ein Psychiater würde sich wohl die Finger danach lecken, sie auf bipolare Störung zu behandeln. Becky war nicht daran interessiert und solange sie ihre Kunst ausleben konnte, bestand keine Gefahr, dass sie sich oder andere verletzte.
Max war zufrieden, selbst kein einziges Wort sagen zu müssen. Becky plapperte für sie beide und ihm war egal, worüber sie sich aktuell begeisterte. Es hielt sowieso nicht länger als fünfzehn Sekunden vor …
Als sie ihr Ziel erreichten, empfing sie das übliche Blitzlichtgewitter und tausende Fragen von neugierigen Reportern.
„Max Swanson, wo ist Ihre bezaubernde Freundin?“, war die häufigste, die in seine Richtung gestellt wurde.
„Zuhause“, knurrte er einsilbig.
„Mel mag diese Veranstaltungen nicht“, sprang Becky für ihn ein.
„Und Ihr Mann, Mrs. Swanson, wo ist der?“ Sie hatte ihren Familiennamen nach der Hochzeit behalten, mit der Begründung, dass es ihre Energien blockieren würde, sich an einen neuen Namen gewöhnen zu müssen.
„Roger ist in Australien, soweit ich weiß.“ Mit großer Geste studierte sie ihre Armbanduhr, bevor sie sich korrigierte: „Nein, jetzt müsste er bereits in Neuseeland gelandet sein. Er wird großartige Arbeit leisten, seiner Firma ein Vermögen einspielen und mir selbstverständlich aus jedem Land etwas Hübsches mitbringen.“
Sie strahlte und lächelte kokett, wofür die Aasgeier sie anbeteten und den einsilbigen Kerl neben ihr glücklicherweise vergaßen. Sobald sie sich genug im Blitzlichtgewitter aufgeladen hatte, um bereit für die Party zu sein, hakte sie sich bei ihm unter und zog Max mit sich.
Am Eingang wachten zwei Kleiderschränke von Türhütern darüber, dass ausschließlich geladene Gäste das Hotel betraten – gewöhnliche Übernachtungsgäste mussten heute den Seiteneingang benutzen. Weder er noch Becky mussten ihre mit goldener Tinte geschriebenen Einladungen vorweisen, sie waren prominent genug, um sofort erkannt zu werden.
„Sie werden bereits erwartet, Mr. Swanson“, sagte der Security höflich, zückte sein Handy und sprach „Er ist hier“ hinein.
„Der arme Toby“, murmelte Becky mitfühlend. „Wie soll er erst die Hochzeit überleben, wenn er bereits bei der Verlobungsparty derart am Ende ist?“
„Immer ein Schritt nach dem anderen“, erwiderte Max. Als sie die Lobby betraten, eilte Toby auf sie zu.
„Ich bin so froh, dass du gekommen bist! Es ist die Hölle, ich kenne vielleicht einen von zehn Gästen!“ Aufgelöst und bleich wie üblich fiel ihm Toby um den Hals. Max gewährte ihm eine brüderliche Umarmung, bevor er ihn von sich schob. Ihm war bewusst, dass sie gerade fotografiert wurden, obwohl die Sensationsgeier draußen bleiben mussten. Ein Blick über Tobys Schulter bestätigte es: Ein Mann in Max’ Alter stand am Eingang zum Festsaal, bewaffnet mit einer teuer aussehenden Profikamera. Er war mittelgroß, schlank, hatte rötliches, leicht gelocktes Haar, das ihm bis fast zu den Schultern reichte. Kein giftiges Karottenrot, sondern ein angenehmer Kupferton, der ihn edel wirken ließ. Max kannte ihn vom Hörensagen. Ein Promi-Fotograf, der seine Tricks hatte, um Exklusivrechte für Veranstaltungen wie diese zu erhalten.
„Mein Freund, du solltest versuchen, auf deiner Verlobungsparty glücklich auszusehen, und nicht wie ein Kätzchen, das man gerade vor dem Ertrinken gerettet hat“, murmelte er in Tobys Richtung.
„Ich bin wahnsinnig glücklich, immerhin bist du jetzt da und kannst gemeinsam mit Becky dafür sorgen, dass man Emma und mich in Ruhe lässt.“ Toby strahlte ihn an und küsste Becky zur Begrüßung auf die Wange. Max verdrehte innerlich die Augen. Der Junge war zu arglos für diese Welt! Er war froh, als Emma dazustieß und auf einen Wink von Becky hin ihren Verlobten medienwirksam küsste. Gemeinsam gingen sie in den Festsaal. Als sie den Fotografen passierten, starrte Max ihm bewusst ins Gesicht, um ihn mit seinem gefürchteten Raubtierblick auf Abstand zu halten. Zu seiner Überraschung begegnete der Kerl ihm mit einem Lächeln, das eine Provokation in sich war. Der Mann hatte Nerven, das musste man ihm lassen …
Jake musste sich schwer zusammenreißen. Den ganzen Abend über wollten seine Finger nichts lieber tun, als Max Swanson zu knipsen. Er hatte bereits eine ganze Serie Bilder von ihm, von denen er ein oder zwei gut verkaufen können würde. Doch er brauchte auch Fotos von den anderen Promis, sonst würde sich der Aufwand nicht lohnen. Leider war diese Party nicht hochkarätig genug, und keiner der Anwesenden schien ihm den Gefallen tun zu wollen, einen brauchbaren Skandal zu produzieren. Bislang hatte er das glückliche Verlobungspaar, wie es sich innig küsste, die stolze Gastgeberin, Eleanor Roswell, in ihrem viel zu aufreizenden Kleid; einen Fußballstar, der sich mit seiner neuen Freundin zeigte, und ansonsten eben bloß die üblichen Verdächtigen. Alles Fotos, die er im Anschluss plangemäß an die Boulevardpresse versteigern konnte, aber Spitzenpreise brauchte er nicht zu erwarten. Der Rest, soweit er Gnade fand, würde im Album der Familie landen, wofür er zwar auch Geld bekam, garantiert wollte jedoch niemand dreihundert verschiedene Perspektiven von demselben schlecht gelaunten Typen haben. Es war also sinnlos, den Sucher immer wieder auf Max zu richten … Zumal der Kerl meist den Boden fixierte und sich abseits vom Trubel aufhielt. Pflichtschuldig verewigte Jake einige ältliche Damen, als diese in seine Richtung lächelten – vermutlich gehörten sie zur buckligen Verwandtschaft, da durfte er kein Risiko eingehen.
Sobald er sicher war, dass er jeden Anwesenden mindestens zwei Mal geknipst hatte, entspannte er sich etwas und gönnte sich ein Häppchen vom Büffet. Selbstverständlich gab es das Beste vom Bestem, einiges davon sehr kreativ angerichtet. Auf Champagner verzichtete er, Jake musste einsatzbereit sein. Sobald sich ein Motiv bot, musste er blitzschnell reagieren können, Alkohol würde seine Reflexe verlangsamen.
Auch Max Swanson trank nichts als Wasser, wie ihm nebenbei auffiel. Eine völlig irrelevante Beobachtung, denn nein, dieser Mann brauchte ihn überhaupt nicht zu interessieren. Der Kerl war reich, ja, er strahlte Gefahr aus, das auch, er zog sämtliche unverheiratete – und mehr als ein paar verheiratete – Damen wie ein Magnet an. Hoffnung machte er keiner von ihnen und seine Freundin saß brav daheim. Jake stand auf starke, dunkle Männertypen wie ihn, sofern sie ungebunden waren. Und mindestens bisexuell. Oder experimentierfreudig. Längere Beziehungen brauchte er nicht, das ließ sich schlecht mit seinem Job vereinbaren. Also: Max mochte auch ihn wie ein Magnet anziehen, doch er widerstand der Versuchung, sich einen Korb zu holen. Oder einen Fausthieb ins Gesicht. Ob dieser Kerl bei Wasser blieb, weil er seinen aufregenden Körper nicht ruinieren wollte oder weil er ein trockener Alki war – nichts davon hatte Bedeutung. Gar nichts!
Und wenn ich es reime und im Falsett singe, glaube ich vielleicht sogar daran …
Max war froh, als ihm Becky kurz vor Mitternacht signalisierte, dass sie nach Hause wollte. Der Abend war erwartungsgemäß sehr anstrengend für ihn gewesen. Unentwegtes Spießrutenlaufen, um paarungswilligen Weibchen zu entkommen, die von seiner raubtierhaften Natur und seinem Reichtum angezogen statt abgeschreckt wurden – er hasste es. Man durfte auch nicht zu direkt und unhöflich agieren, um keinen Skandal zu provozieren, der alles nur noch verschlimmern würde. Sprich, die meisten waren nicht angemessen entmutigt und würden ihn bei nächster Gelegenheit wieder belästigen. Sogar einige Männer hatten ihn im Visier gehabt, auch wenn sie ihn dankenswerterweise nicht offensiv angemacht hatten. Unter ihnen war dieser Fotograf gewesen, der sich hinter seiner Kamera versteckt hatte und es dennoch nicht verbergen konnte. Jake war sein Name, das hatte Max aufgeschnappt, als Emmas Mutter ihn in den höchsten Tönen vor ihren Freundinnen gelobt hatte. Der Kerl hatte etwas an sich, das Max beunruhigte. Er wusste nicht genau, was das war, abgesehen von der Ungerührtheit, mit der er anfangs Max’ Blick erwidert hatte. Da Kampf nicht infrage kam, solange es keine offensichtliche Bedrohung gab, zog er die Flucht vor. Zum Glück war auch Becky dieser Meinung, wobei sie vermutlich bloß vor den albernen Partyspielchen flüchtete, die ab Mitternacht vorgesehen waren.
Seine Schwester hüllte sich in melancholisches Schweigen, als sie wieder im Jaguar saßen und er sie zurück nach Hause fuhr. Das war nicht ungewöhnlich, hielt allerdings nach zehn Minuten immer noch an.
„Was ist los?“, fragte er nach einer Weile besorgt. Er mischte sich für gewöhnlich nicht ein, doch Becky wirkte, als hätte sie Ansprache nötig.
„Simon war da“, erwiderte sie nach einem längeren Moment des Zögerns. „Ich hatte ihn erst vorhin entdeckt und wollte sofort fort von ihm. Entweder ist er sehr spät gekommen, oder er hatte sich die ganze Zeit über auf der Terrasse versteckt, um mir nicht weh zu tun.“
Max grübelte hastig nach. Der Name war zu beliebig, er konnte ihn beim besten Willen nicht zuordnen.
„Ist er ein Ex-Freund, ein Ex-Modell oder ein anderweitiges Problem?“, fragte er schließlich, auf die Gefahr hin, dass sie ihm für seine Ignoranz den Kopf abbeißen würde. Doch sie seufzte nur.
„Ex-Modell“, murmelte sie. „Ich hab ihn im vergangenen Herbst gemalt, wir hatten eine phantastische Woche im September zusammen.“
„Und dann?“
„Dann war das Porträt fertig und er ist nach Paris weitergezogen. Ich hätte ihn gerne noch ein wenig länger behalten, aber wenn das Bild fertig ist, ist es nun einmal fertig. Nicht einmal für großartigen Sex hätte ich das weiter herauszögern können.“
Max versuchte erst gar nicht, den Gedanken seiner Schwester zu folgen. „Er hat dir demnach nicht das Herz gebrochen, eure künstlerische Beziehung hat einfach bloß ihr natürliches Ende gefunden. Und das ist jetzt neuerdings ein Problem für dich, weil …?“ Sie hatte schließlich dauernd Beziehungen zu ihren Modellen und stellte sich für gewöhnlich nicht so an, wenn sie die Herren – gelegentlich auch Damen – vor die Tür gesetzt hatte.
„Problem, Problem? Es ist wahnsinnig verstörend! Eben weil alles so vergänglich ist und nicht mehr wirkliche Bedeutung besitzt!“ Becky schluchzte auf, woraufhin Max hastig an die Seite fuhr und anhielt. Er kannte die emotionalen Ausbrüche seiner Schwester, sie hielt nie irgendetwas zurück. Wenn sie traurig war, weinte sie wie ein Kind. Laut, verzweifelt, mit dem Schmerz einer ganzen Welt, die in ihren Grundfesten erschüttert worden war. Leider konnte man sie nicht mehr mit dem Versprechen auf eine Kugel Zitroneneis ablenken, wie es früher möglich gewesen war. Also hielt er sie stoisch fest, tätschelte ihr den Rücken, betete, dass sie Taschentücher dabei hatte und dass ihre Wimperntusche und all das andere farbige Zeug in ihrem Gesicht von der Reinigung aus seinem Jackett entfernt werden konnte.
Sobald der Anfall vorbei war, kämpfte sich Becky aus seiner Umarmung frei.