Joana - Kh Beyer - E-Book

Joana E-Book

Kh Beyer

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Beschreibung

Der Roman ist eine Konstruktion aus gesellschaftlichen Verhältnissen und ihre Auswirkung auf das Zusammenleben von Individuen. Alle handelnden Personen, Orte und Gegebenheiten sind frei erfunden. Die Basis des Romans sind Erlebnisberichte Betroffener.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Beginn

Joana als Gastwirtin

Die Grenzöffnung

Der Wandel

Der Neubeginn

Die Suche

Joana wird Hotelier

Die Eröffnung

Der Betrieb läuft

Die Erweiterung

Essen außer Haus

Der Druck wächst

Der Erpressungsversuch

Das Ende unseres Hotels

Die Hochzeitsreise

Nachwort

Vorwort

Um wirklich Liebe empfinden, geben und empfangen zu

dürfen, bedarf es meines Erachtens bestimmter

Voraussetzungen.

Zunächst bedarf es eines Gesellschaftssystems, in

welchem das menschliche Leben geachtet und geliebt

wird.

Es bedarf eines Gesellschaftssystems, das frei ist von

Existenzangst.

Es bedarf eines Erziehungswesens, in welchem das

menschliche Miteinander und Füreinander an erster

Stelle steht.

Es bedarf einer Gleichberechtigung und gegenseitigen

Achtung.

Es bedarf der konsequenten Einsicht in die

Verschiedenheit menschlicher Charaktere.

Es bedarf einer partnerschaftlichen Offenheit.

Es bedarf einer nicht übertriebenen, elterlichen

Fürsorge.

Es bedarf der Verfügbarkeit von genügend persönlicher

Freizeit in der Entwicklungsphase.

Das bisher einzige Gesellschaftssystem, das die meisten

dieser Bedingungen für alle Gesellschaftsmitglieder

anstrebt und erfüllt,

ist der Sozialismus.

KhBeyer

Der Roman ist eine Konstruktion aus gesellschaftlichen

Verhältnissen und ihre Auswirkung

auf das Zusammenleben

von Individuen.

Alle handelnden Personen, Orte und Gegebenheiten

sind frei erfunden.

Die Basis des Romans sind Erlebnisberichte

Betroffener.

Der Beginn

Eine Selbstständigkeit in der DDR war eher für Personen geeignet, die gern etwas länger und intensiver arbeiten wollten als ihre Mitbürger. Das Konzept der DDR Führung war nicht unbegründet. Die freiwillige Mehrleistung des Unternehmers brachte neben Steuereinnahmen auch innovative Anregungen im Umgang mit schwer verkäuflichen Sortimenten. Bei diversen Handelsabkommen mit Freunden oder wichtigen Handelspartnern fielen bisweilen Produkte an, die in der DDR einfach keinen regen Absatz fanden.

Ein Gastwirt in der DDR hatte neben dem gastronomischen Auftrag, auch einen Handelsauftrag in Form von Straßenverkauf außerhalb der Ladenöffnungszeiten. Heute wird das entweder mit verlängerten Ladenöffnungszeiten oder mittels Tankstellen realisiert.

Der einfachste Weg, ein Gastwirt zu werden, war in der DDR der Weg über die Kommission. Der Betreffende konnte entweder bei der HO oder beim KONSUM, Kommissionär werden. HO und KONSUM waren die beiden führenden Handelsorganisationen der DDR. Mit welchem Partner der zukünftige Gastwirt ein Geschäft eröffnete, hing meist mit der Lage des Betriebes zusammen. KONSUM war eher eine ländliche Handelsgenossenschaft, während sich die HO auf Städte konzentrierte.

Unausgebildet, konnte kein Bewerber in der DDR, Gastwirt werden. Ein Meisterzeugnis erleichterte den Wunsch ungemein.

In meiner Gaststätte gab es nur einen Arbeiter. Das war ich selbst. Ich tat es als Koch genauso wie als Barmann, Verkäufer und Bedienung. Selbst die Reinigung des Betriebes war meine persönliche Aufgabe. Ich war sozusagen, ein Einpersonenunternehmen.

Meine Gasträume boten Platz für einhundert Gäste. Zu DDR Zeiten. Das heißt, unsere Gaststätten wurden auch rege besucht. Nicht wie im Westen, wo selbst der Konsum von zehn Bieren, die Haushaltskasse ins Wanken bringt. Genau aus dem Grund, konnten wir in der DDR, täglich oder fast täglich, unsere zahlreichen Stammkunden bedienen. In dem Zusammenhang bildeten sich familienähnliche Verhältnisse. Bei Reparaturen oder sonstigen Schwierigkeiten, musste ein Gastwirt nicht zu lange suchen. Die Abhilfe war praktisch unter seinen Stammgästen zu finden.

Der Gastwirt des Ortes war Bestandteil des Ortes; aber auch seine Nachrichtenzentrale. Neben dem Frisör, dem Fleischer, Lebensmittelhändler und Bäcker, war der Gastwirt ein Nachrichtenportal. Heute fällt diese Aufgabe dem Internet zu.

Mit dem Wunsch, Gastwirt zu werden, verfolgte ich die Familientradition meiner Eltern. Das Leben in diesem Umfeld gefiel mir und bot sehr viel Raum für kreative Ansätze. Daneben war der Bekannten - und Freundeskreis ungeheuer groß. Genau dieses Leben passte sehr gut zur Philosophie der DDR Staatsführung.

Arbeit mit und für den Menschen. Die DDR Gastwirte waren sozusagen, mitunter auch ungewollt, Vollstrecker des sozialistischen Gedankens im Sinne der Arbeiter- und Bauernmacht.

Die Gesetze und deren wirksame Kontrolle, verhinderten Betrug und Missbrauch von Geschäften.

Mit einer wirkungsvollen Steuergesetzgebung wurden private Bereicherungen eingeschränkt und ein gesellschaftlicher Nutzen aus dem Engagement gewonnen. Die gesellschaftliche Anerkennung des Berufes Gastwirt war sehr hoch.

Die DDR hatte einer der größten gesellschaftlichen Errungenschaften, der Preisbindung, den Vorrang gegeben. Sämtliche Bewerber auf dem Markt hatten nur eine Art der Konkurrenz: Die Qualität ihrer Produkte. Es gab keinen Preiskampf, keine Ausbeutung deswegen und eine ziemlich wirkungsvolle Planpolitik.

Kein Händler konnte zu Lasten seiner Konkurrenz, mehr verkaufen als der Plan für ihn vorsah. Er konnte das nur mittels besserer Qualität, Kreativität und einem allmählichen, planvollen Wachstum im Rahmen gesamtstaatlicher Vorgaben. Eine Gesellschaft, ein Wachstum zusammen.

Selbst der gemeine Beschiss zu Lasten der Kunden, wurde ziemlich wirkungsvoll verhindert. Die festen Preise erforderten auch deren Einhaltung.

Gastronomen denken jetzt, sie hätten da genug Spielraum. Irrtum. Der Spielraum war gesetzlich vorgeschrieben. Selbst der Gewichtsverlust durch Schälen und Garen, war erprobt und vorgeschrieben.

Dafür gab es Tabellen.

Sämtliche Speisen und Getränke, insbesondere Mixgetränke, sollten kalkuliert werden. Dabei wurde für zehn Portionen kalkuliert; auf den Zehntel Pfennig genau. Ein Rundungsfehler konnte bei einer Prüfung empfindliche Busgelder auslösen. Die wurden auf zwei Jahre zurück berechnet. Ich habe mich auch mal um einen halben Pfennig verrechnet. Dabei rundete ich die sechste Stelle nach dem Komma falsch. Der halbe Pfennig kostete mich nach einer Betriebsprüfung den Monatslohn eines Dreischichtarbeiters.

Selbstverständlich gab es Kollegen, die beim Umgang mit Zahlen ein paar Probleme hatten. Für die wurden alle Kalkulationen fertig in einem Register angelegt.

Das konnte man sich kaufen oder bei Kollegen, abschreiben. Heute gibt es Gastwirte, Bedienungen und Barhilfen, die ohne einem Abrechnungsprogramm in der Kasse, nicht in der Lage wären, eine korrekte Rechnung auszustellen. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

Die Kalkulationsblätter waren auch gleichzeitig Ratgeber bei der Menügestaltung. Man setzte auf das Baukastenprinzip. Beilagen, Saucen, Fleischgerichte, Desserts und so weiter; alles war einzeln für jede Garmethode aufgeführt. Der Westen braucht dafür noch hundert Jahre.

Im Ort sprach sich schnell herum, dass ich die Gaststätte allein betreibe. Unter meinen Gästen waren schnell Frauen und Männer, die mir Hilfe anboten.

Natürlich gegen ein kleines Entgelt.

In der DDR gab es dafür ein Pauschalsystem. Auf diesen Lohn, der nur mit fünf Prozent besteuert wurde, waren viele fleißige DDR Bürger verrückt.

Auf die Art, konnte ich mir gelegentlich eine Putzhilfe leisten. Die freie Zeit nutzte ich für Einkäufe oder für die Verbesserung meiner Gaststätte.

Die einzige Reinigungsarbeit, die an mir permanent hängen blieb, war die Toilettenreinigung. Bei den Mengen Alkohol, die wir unseren Gästen verkauften, kann sich Jeder gut vorstellen, wie die Toiletten am Abend aussahen. Seien Sie gewiss, schon in den ersten zwei Monaten lernte ich nahezu jeden menschlichen Charakter kennen, den eine Gesellschaft zu bieten hat.

Meine jugendlichen und gleichaltrigen Freunde feierten regelmäßig Partys bei mir. Oft kamen Angebote von jungen Frauen und Kolleginnen, mir helfen zu wollen.

Das Ganze hatte aber einen Nachteil. Sobald meine Freunde zum Feiern kamen, blieb auch meine Kehle nicht trocken. Meine Mutter, eine gestandene Gastwirtin, empfahl mir, keinen Alkohol mit zu trinken.

Dafür habe ich mir dann Flaschen mit Saft oder Tee gefüllt. Diese Getränke mussten dem entsprechenden alkoholischen Getränk, farblich ähneln. In der DDR gab es Sorten aus Rumänien und Bulgarien, die nie von einem Gast verlangt wurden. Genau in so eine Flasche füllte ich die Nachahmung. Etwas Alkohol musste trotzdem rein in das Getränk. Viele meiner Gäste rochen an den Flaschen. Sie hatten die Absicht, mich nachhaltig einzuseifen, um sich diese oder jene Rechnung zu sparen. Andere, vor allem die Stammtischbesucher, versuchten das mit Einzelbestellungen. Damit wollten sie mich provozierend in Stress versetzen in der Absicht, keinen Strich auf den Deckel zu bekommen.

Zu diesen Zeiten wurden die Rechnungen auf dem Bierdeckel erfasst. Ein Bier war ein Strich, für Speisen schrieb ich den Preis und für Schnäpse, ein Kürzel. Die Deckel wurden manchmal weich vom übergetretenen Bierschaum. Bestimmte Gäste versuchten dann, den einen oder anderen Strich zu löschen. Der Gastwirt brauchte also auch ein ungeheuer funktionierendes Gedächtnis. Das Training des ersten Jahres war ganz sicher nicht verlustfrei. Verluste musste der Wirt ausgleichen.

Genau das war aber in der DDR fast ein Kinderspiel.

Warum? Der DDR Gastwirt lebte vom Trinkgeld. Nicht von seinem Lohn oder den Prozenten. Mein Lohn für meine Arbeit betrug in etwa eintausend Mark pro Monat.

Nur ein Beispiel. Ein Bier kostete dreiundvierzig Pfennig. Kein einziger Gast ließ sich auf fünfzig Pfennig heraus geben. Das kennen wir erst seit wir den Westen kennen. Die verschenken ihre Gelder lieber an Tankstellen und an Zinsen für ihre Kredite. Keinesfalls darf ein Mitbürger von ihrem Geld leben wollen. Es sei denn, er arbeitet für eine Bank, eine lügende Zeitung oder eine das Recht beugende Versicherung. Das löst aber einen ungeheuren gesellschaftlichen Neid aus.

Dafür holt sich ein Westdeutscher eben in der Kaufhalle, palettenweise billigstes Gesöff, das er Bier nennt.

Gesoffen wird nicht etwa in einer Gaststätte. Nein.

Dafür gibt es Garagen, Keller und Abfallräume.

Westdeutsche Kultur nennt sich das.

In der DDR galt eben noch ein altes Sprichwort, ein deutsches. Unter Freunden gesoffen, ist Kotzen keine Schande. Wenn man aber keine Freunde und nur Heuchler kennt, ist dieses Sprichwort überflüssig.

Westdeutsche Kultur eben. Und schon sind wir bei der vielbeschworenen Freiheit. Das ist Freiheit von dümmsten Großmäulern, die echte Freiheit eben nicht kennen.

Gegen Zwölf, also Mitternacht, war in der DDR, Polizeistunde. Bars, Tanzlokale und ausgewählte Lokale waren davon befreit. Das konnte jeder Gastwirt beantragen. Dafür gab es bestimmte Auflagen, die normalen Gastwirten einfach zu lästig waren. Unsere Gemeindepolizei, der ABV, kontrollierte regelmäßig die Einhaltung der Polizeistunde. Eine sehr vorteilhafte und gute Einrichtung war das. Bisweilen hatte ich Gäste in einem Zustand, der dazu einlud, die Polizeistunde zu missachten. Nicht selten musste ich dafür das Hausrecht bemühen. Volkstümlich würden wir sagen: den Gast rausschmeißen. Leider hatte ich hin und wieder Gäste, denen ich körperlich nicht unbedingt gewachsen war. Und genau da war mir eben der ABV sehr behilflich. Der ABV war ein Gemeindevolkspolizist.

Und der kannte eben jeden Bürger der Gemeinde. Oft half nur dessen Erscheinung. Handgreiflich wurde es sehr selten.

Mein Vorbild in der Hinsicht war mein Vater. Er war ziemlich resolut bei der Durchsetzung des Hausrechtes und musste nicht selten von der Familie gebremst werden. In erster Linie ging es darum, zu zeigen, wer der Hausherr und damit, der Platzhirsch ist. Es geht um Respekt.

Zu einer Party bei mir brachte die Clique ein Mädchen mit, das sich mit Joana vorstellte. Zu der Zeit haben schon andere Mädchen versucht, in das Geschäft einzusteigen. Es erschien ihnen interessant genug. Sie putzten bei mir und wollten auf die Art meine Gunst erreichen. Zu der Zeit habe ich noch oft in der Gaststätte geschlafen, wenn es zu spät wurde. Ich stellte mir ein paar Stühle zusammen, und legte mich auf denen zur Ruhe. Hauptsächlich war das aber notwendig, wenn ich größere Gemüselieferungen bekam.

Gemüse kam in der DDR im gesäuberten Erntezustand.

Also, nicht gefroren. Um Verluste zu vermeiden, war eben Nachtarbeit angesagt. Interessant war das, wenn Rosenkohl, Karotten oder Schwarzwurzel geliefert wurden. Schwarzwurzel war in der DDR der Arbeiterspargel und äußerst begehrt. Rosenkohl natürlich auch. Entscheidend war die Verhinderung von Verlust. Der wäre zu meinen Lasten gegangen.

Lebensmittelverschwendung in den unerträglichen Ausmaßen von heute, gab es nicht in der DDR. Die hätte ich protokollieren müssen und dafür hätte man mir die Hosen straff gezogen. Dazu sollten ausführlich, Verlustprotokolle verfasst werden. Eine recht mühevolle Aufgabe.

Die anderen Freundinnen boten mir schnell an, ich könnte bei ihnen übernachten. Manchmal tat ich das.

Vor allem, wenn ich blau war. Zumindest sparte mir das ein Taxigeld oder die Nacht auf den Stühlen. Nicht selten kam es zu sexuellen Belästigungen mir gegenüber, nach heutigem Sprachgebrauch. Auf die Art lernte ich sehr schnell die Schönheit der Verschiedenheit kennen. Unsere Frauen und Mädchen waren nicht zu feige, die Schönheit ihrer Figuren zu präsentieren.

Der Sportunterricht, die Freizeitgestaltung, die Arbeit und die damit verbundene Bewegung, bescherte uns Partnerrinnen, die durchweg gesund, klug, fleißig und schön waren.

Prälat Hinter vom Tölzer Bulle, würde jetzt sagen:

„Die gesegnete Gabe von Schönheit und Klugheit wurde in der DDR mit einhundertzehn Prozent erfüllt.“

Im Westen dagegen, wurden wir mit den misslungenen Auslagen und Versuchen der Kosmetikindustrie und Chirurgie geschockt. Nicht selten wurde versucht, aus Truthennen, Truthähne zu kreieren. Und umgedreht.

Leider hat das bis heute noch Keiner am Gehirn probiert. Bei diesen Kreaturen hätte die vollständige Entnahme, keinen Schaden angerichtet. Eher, eine leichte Verbesserung.

Zum Glück, können wir diese Kreaturen in Zeitungsredaktionen, Fernsehen, Rundfunk und Parlamente abschieben. Bei den Kreaturen in den Westparlamenten bin ich mir nicht ganz sicher, ob bisweilen bei einer Gesichtsoperation, nicht das Gehirn mit erwischt oder entfernt wurde. Ich stelle mir gerade vor, wir müssten mit diesen chirurgischen Fehlgriffen arbeiten. Grauenhaft. Sie müssen sich nur vorstellen, wie die Bitte: „Bring mir mal bitte eine Kaffee mit“, aus einem chirurgischen Fehlversuch klingt. Sie würden wahrscheinlich das Auto der Kreatur aufschließen.

Joana half mir bei der Nachtarbeit. Sie putzte mit, schälte mit und sie schlief einmal mit auf den Stühlen.

Irgendwann fuhren Joanas Eltern übers Wochenende nach Thüringen zu ihrer Familie.

„Heute und morgen, kannst Du bei mir mit schlafen.“

Ich tat Joana leid.

Eigentlich hatte ich eine Wohnung, die ich mit einer Familie teilte. Mit meiner Familie. Bei der Planung der Familie war ich leider nur ein praktischer Bestandteil. Zu der Familie kam ich in Ausübung des femininen Hausrechtes: „Ich bestimme, wer der Vater meiner Kinder ist!“.

Ein junger Mann lässt sich bisweilen von Dingen blenden, die das Gehirn restlos ausschalten. Meine erste Frau war sehr lieb, fleißig, schön, gesellig und nicht eifersüchtig. Ich hingegen, war es anfangs. Fast schon krankhaft.

Es musste Etwas getan werden, um das Eifersuchtsgefühl zu brechen. Arbeit. Viel Arbeit. Und genau das führte mich zu dem Plan, eine Gaststätte zu betreiben.

Das Eifersuchtsgefühl hatte nicht unbedingt sexuelle Ursachen. Mir war nur die komplette Familienplanung entglitten. Ich wurde so zu einem Hampelmann degradiert. Britta, meine erste Frau, hat mich praktisch, kalt gestellt. Mir half nur der rechtzeitige Ausbruch, um auch meinem Leben einen Sinn zu geben. Ich sah das ja bei meinen Eltern und denen gelang es. Meine Berater waren mir also sicher.

Die Genossen in meinem Betrieb waren eher traurig.

Sie hätten mich gern als Ausbilder gesehen. Sie liebten wie unsere Lehrlinge, meine legere Art der Ausbildung.

Mir lag die spezielle Begabung meiner Lehrlinge besonders am Herzen. Einer konnte sich in der Kalten Küche oder Patisserie besonders gut bewegen, der Andere in der Restaurantküche. Trotzdem unterstützten mich meine Genossen und Kollegen tatkräftig bei der Umsetzung meines Wunsches nach meiner eigenen Gaststätte. Nicht etwa mit finanziellen Zugaben oder Beziehungen zu Einrichtungsgegenständen. Nein. Mit Ratschlägen. Ich rede von richtigen Ratschlägen und nicht von Klugscheißerei. Jeder Ratschlag der Genossen war hilfreich.

Nach dem Dienst in der Gaststätte gingen Joana und ich zu ihr. Joana stammt aus einer sehr kinderreichen Familie. In der DDR war das keine Seltenheit.

Nach der Abendtoilette kamen wir gleich zur Sache.

„Nimmst Du die Pille?“, war praktisch die erste Frage in der DDR.

„Ja.“

Die üblichen Streicheleinheiten und die herrliche Figur Joanas bescherten uns einen wirklich schönen Abend.

Die Erstbesteigung blieb uns erspart.

„Wie hat es Dir gefallen?“

„Das passt. Wir können zusammen gehen.“

Joana wollte von Anfang an mit Vorsatz feststellen, ob es in der Mitte passt. Und wenn die passt, wird der Rest passend gemacht. Ein häufig angewandtes, sehr praktisches DDR Sprichwort. Das klingt jetzt vielleicht zu sachlich. Man könnte fast denken, das Praktikum kommt vor dem Genuss. Und genau damit, lagen wir richtig. Der Rest ist ausbaufähig.

Wir leben unser Leben von der einfachen Seite her.

Ohne zu große Erwartungen und Pläne. Obwohl wir gerade in der DDR sehr weit im Voraus planen konnten.

Das erleichterte mir das zielgerichtete Sparen auf zukünftige Investitionen. Selbstverständlich konnte ich die in der DDR eine Firma abschreiben. Die Abschreibung wurde aber auch versteuert.

Grundmittelsteuer nannte sich das. Eine sehr gerechte Steuer, mit der der Verschleiß von Arbeitsmitteln geplant wurde.

Zuerst stand natürlich die Scheidung von meiner Britta samt meiner Familie an. Ganz arm waren wir nicht. Ich habe drei Jahre in der Sowjetunion gearbeitet. Britta wollte sich nicht scheiden lassen. Die erste schwere Prüfung stand uns damit bevor.

In der DDR wäre die Scheidung an sich kein Problem gewesen. Nur, jetzt kommt die Besatzung, Plünderung der DDR durch die Westbesatzer dazu. Und die bringen ihre missratenen, deutbaren Gesetze mit. Eine Schar von Rechtsverdrehern aus dem Westen überfällt die DDR Bürger und plündert deren Privatkassen mit provoziertem Streit. Faschisten in Nadelstreifen. Und die nehmen das Wort: Recht in den Mund. Mir kraust bei der Vorstellung. Und schon sehen wir es abwandern, das schwer verdiente Geld.

Frauen im Westen können gar keine Alimente bekommen, weil deren geschiedene Männer von Anwälten und Richtern geplündert werden. Und Frauen, die das zu verantworten haben, verspielen damit ihr Recht, gleichberechtigt behandelt zu werden.

„Wir schwören uns Treue in guten und in schlechten Zeiten“, heuchelt die normale Westbraut in einem geliehenen oder auf Kredit gekauften Brautkleid.

Britta musste einsehen, dass die drei Jahre Arbeit in der Sowjetunion unser sehr wackliges, junges Familienleben zerstört hatten. Wir waren nicht die Einzigen. Ein hoher Preis für Gas und Öl, das uns der Westen geklaut hat.

Joana verliebt sich praktisch in einen Mann, der bis auf einen alten sowjetischen Koffer, kein Eigentum besitzt.

An diesem Mann sind schon zehn Jahre mehr vorbei gegangen. Vorbei. Ohne Gewinn. Ein Start bei Null. Was soll das jetzt werden?

Zur Wendezeit sind unsere schönsten Frauen von kriminellen Westbesatzern gekauft worden. Wenn sie sich haben kaufen lassen. Die Bordsteine waren sehr lang. In sehr kurzer Zeit durften wir den Unterschied zwischen Frau und Nutte kennen lernen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, die Nutten hätten gewonnen. Haben sie nicht. Sie sind jetzt Mitinhaber von Westschuldscheinen. Der Bordstein hat sich damit nur verlängert. Joana war eine Ausnahme. Sie wollte bleiben.

Das Zusammensein mit Joana war sehr schön. Wir wechselten uns ab beim Eier braten in den Pausen. In der Kaufhalle mussten schnell noch ein paar Eier gekauft werden. Dazu haben wir hausschlachtene Blutwurst, etwas Schinken und Jagdwurst gekauft. Für große Küche fanden wir keine Zeit. Ein paar frische Brötchen vom Bäcker und fertig war das Mahl.

Joanas Eltern kamen nach dem Wochenende wieder.

Trotz der peinlichen Putzaktionen Joanas, wussten sie sofort Bescheid. Ich denke heute manchmal, das war so geplant.

Das gemeinsame Kaffeetrinken war damit angesagt.

Kuchen hatten wir vom Bäcker mitgebracht.

Eierschecke, Kirmeskuchen und Zupfkuchen. In Sachsen war es fast eine Tradition, seine zukünftigen Schwiegereltern bei einem Kaffeetrinken kennen zu lernen.

Die zukünftigen Schwiegereltern stellten sich vor. Bei den Gesprächen ging es sofort darum, womit ich mein Brot verdiene. Gastwirt war damals noch ein ehrenvoller Beruf. Herbert war davon begeistert.

Brigitte auch. Schon bei dem ersten Zusammentreffen wurde mir klar, ich soll Schwiegersohn werden.

Herbert kannte meine Eltern. Mich auch. Davon wusste ich aber nichts. Herbert arbeitete beim Straßenbau.

Und die Arbeiter kannten praktisch jede Gastwirtschaft im Kreisgebiet. Vor allem die Gastwirtschaften mit einem Speiseangebot. Bei schlechtem Wetter waren die Arbeiter ziemlich lange in der Gastwirtschaft. Das nannte sich Regenschicht. Arbeiten mit Bitumen waren damals, bei dem Wetter, schlecht möglich. Ebenso Markierungsarbeiten und Arbeiten an Straßengräben.

Herbert erzählt nebenbei, er hätte von meinen Eltern ein Doppelstockbett gekauft. In dem habe ich oben geschlafen. Ich hatte das längst vergessen. In diesem Bett schlief auch Joana und ihr Zwillingsbruder. Joana schlief auch oben. Damals noch ohne mich. Dieser Zufall wurde in unserer Ehe fast schon ein heiliger Spruch. Wir lachen heute noch oft darüber.

„In diesem Bett hatte ich meinen ersten Sex“, sage ich oft scherzend zu Joana. Ich möchte sie dazu bringen, etwas über ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe zu erzählen. Der erste Sex als Kind war selbstverständlich die manuelle Variante.

„Hast Du das etwa gespürt?“

Joana hat bis heute, nichts dazu gesagt. Ich respektiere das. Notlügen will ich keine hören. Das passt nicht zu uns. Wir haben ein ganzes Leben Zeit, Dieses oder Jenes zu beichten. Je länger Etwas her ist, desto größer wird der Spaß damit.

Brigitte arbeitete auch. Fünf Kinder wollten ernährt sein. Auch in der DDR. Brigitte und Herbert haben das prächtig hinbekommen. Ich jedenfalls, kann mich nicht beklagen.

Brigitte arbeitete als klassische Sekretärin. Trotzdem sie eine wirklich schöne Frau war, hatte sie es nicht nötig, ohne Unterwäsche auf Arbeit zu gehen. Brigitte war klug, gerecht, lieb und trotzdem ziemlich dominant.

Sie übte ihre Dominanz in einer Art ruhiger Überlegenheit aus.

Montag und Dienstag hatte ich Ruhetag. Herbert war natürlich interessiert, wie ich meine Gaststätte betreibe. Wir fuhren zusammen mit dem Bus. Joana war ziemlich aufgeregt.

Trotzdem ich Ruhetag hatte, stand genug Arbeit an. Die Brauerei hatte geliefert. Es standen vier Fässer Bier vorm Haus. Die Flaschenlieferung war dienstags. Das war mein zweiter Ruhetag. Herbert wollte sofort die Fässer in den Keller rollen. Als ich ihm die Kellertreppe zeigte, ließ sein Interesse sofort nach. Das war ihm eindeutig zu gefährlich. Mein Bierkeller war ein ehemaliger Luftschutzraum. Fünfzehn Stufen hatte die Treppe. Ein Fass, das dort ins Rollen kam, ging sofort kaputt. Selbst die leeren Fässer hoch zu transportieren, war schon eine Kraftanstrengung. Die Brauerei hatte mir dafür eine wirklich feine Sackkarre gegeben. Das Fass konnte ich darauf anketten. Die Karre zeigte ich Herbert. „Das ist zu schwer für mich.“

Für den Transport in den Keller, bei dem ich extra noch den Kopf extrem einziehen muss, braucht es schon einige Routine. An Tagen, an denen ich da bin, fährt mir der Bierkutscher die Fässer in den Keller. Der kennt die Gegebenheiten genau. Und er ist bedeutend kürzer als ich. Ich gab ihm dafür auch etwas Trinkgeld.

Wir gehen in die Gaststätte. Ich bin dort Pächter. Der Besitzer ist ein Bauer. Er arbeitet in der LPG als Traktorist, Techniker und Elektriker. Wenn ich komme, steht der schon hinter den Gardinen und beobachtet mich. Heute auch.

Er könnte uns sicher genau erzählen, wie viele junge Mädchen bei mir hier mit übernachteten. Heute sieht er einen Unterschied. Meine halbe Familie will das Restaurant sehen.

Vor seinem Haus steht auch ein Krankenwagen. Die Jungbäuerin lief aufgeregt auf dem Hof umher. Frank, der mit mir befreundete Krankenwagenfahrer, sah mich und kam sofort zu uns.

„Die Altbäuerin ist gestorben.“

„Oh. Das ist schade. Sie war die Einzige, mit der ich mich besonders gut verstanden habe.“ Sie war in dieser Gaststätte die Gastwirtin.

Der Jungbauer wollte sein Restaurant eigentlich selbst bewirtschaften oder für mehr Geld verpachten. Er war deshalb ein ziemlich unfreundlicher Zeitgenosse. Seine Frau, die Bäuerin, hätte er bei mir auch gern als Hilfe gesehen. Sie hat das Restaurant früher schon mit ihrer Mutter betrieben und wegen der Geburt einer Tochter, dem zweiten Kind, aufgegeben. Die beiden Jungbauern hatten sich ein neues Haus gebaut. Im Haus des Restaurants wohnte die Altbäuerin. Ihre Wohnung wird jetzt frei.

Trotz des tragischen Ablebens, bietet sich damit die Chance, ihre Wohnung zu mieten. Das würde die Nächte im Gastraum auf Stühlen und Luftmatratzen überflüssig machen. In der Trauer ist doch ziemlich oft auch etwas Freude versteckt.

Der Jungbauer kommt und stellt sich mit Jürgen vor.

Das erste Mal seit Monaten. Die Jungbäuerin ist dabei.

Sie hat entzündete Augen. Schluchzend stellt sie sich mit Andrea vor. Ihren Namen kannte ich aber schon von meinen Stammgästen her. Die fragten mich oft, warum ich sie nicht bei mir arbeiten lasse. Ganz einfach. Sie wollte zu viel Geld. Wenn sie meine Gäste bedient, bekommt sie auch das Trinkgeld. Das hätte ich ihr nicht zahlen können. Ich sparte auf ein Auto. Meinen Kleineinkauf musste ich immer noch mit einem Rucksack und dem öffentlichen Verkehr erledigen. Das war nicht einfach und ziemlich zeitaufwendig.

Die Familie geht mit mir und Joana zusammen in das Restaurant. Herbert gefiel das sofort. Ich hatte die Gaststätte neu tapeziert und gestrichen. Die Küche hatte ich mit Haushaltgeräten ausgestattet. Im Hinterzimmer habe ich ein Billard aufgebaut. Das war ein Geschenk meines Vaters. Er hatte es in seinem Gasthof abgebaut. Meine Eltern brauchten den Platz für ihre Gäste. Sie wollten auch den damit verbundenen Krach los werden.

Am Billardtisch wurde ziemlich oft gestritten. Unsere Bauern spielten nicht selten um Teile ihres Viehbestandes oder um diverse Liegenschaften.

„Und Du machst das ganz allein?“, fragt mich Herbert.

„Ja. Das ist eine ziemliche Rennerei. Der Stammtisch will natürlich bedient werden. Die Anderen, vor allem jüngeren Gäste, setzen auf eine Art Selbstbedienung.

Das funktioniert.“

„Und wenn hier voll ist?“

„Hin und Wieder habe ich eine Abrechnung vergessen. Das kann zu bestimmten Zeiten ziemlich hektisch werden.“

Brigitte staunt bei der Schilderung. Sie kann sich schlecht vorstellen, wie das ein Mann allein erledigen kann. Ich konnte mir schlecht vorstellen, wie eine Frau, fünf Kinder groß ziehen kann und das bei einer Vollzeitarbeit im Büro. In der DDR ging das eben.

Im Westen ist so etwas unvorstellbar. Außer vielleicht bei unseren Gastarbeitern heute. Die müssen das bringen. Sie bekommen auch grundsätzlich den halben Lohn und die doppelte Miete. Das nennt sich westdeutsche Gastfreundschaft.

Andrea bot mir im Beisein Joanas, umgehend an, die Wohnung der Mama zu räumen, damit wir einziehen können. Ich soll mir die Wohnung selbst etwas frisch machen. Und schon war die Mietverhandlung beendet.

Gesagt getan. Wir waren uns sofort einig. Jürgen, der Jungbauer, wurde langsam etwas gelöster. Damit ist ja schon mal der Hausstand gegründet.

Herbert wollte gleich ein Bier probieren. Ein Fassbier.

Brigitte wollte einen Kaffee. Den hat Joana für sie gekocht. Unweit der Gaststätte gab es eine Bäckerei.

Der Bäcker war ein Mal mein Gast. Seine zwei Kinder waren bei mir fast Stammgäste. Sie gehörten der gut organisierten Jugendgruppe des Ortes an. Ich renne schnell hin, um uns ein paar frische Windbeutel zu holen. Windbeutel waren in der DDR äußerst beliebt.

Die Bäckerin bietet mir noch ein paar Liebesknochen an, die sie heute auch frisch gemacht hatten.

Liebesknochen war die Bezeichnung für einen mit Sahne gefüllten Eclair. Die Liebesknochen wurden mit reichlich Schokoladenüberzug versehen und waren vergleichbar mit einer Portion Stracciatella. In dem Fall, durften wir die Verpackung aber mit essen.

Unser Kaffeetrinken ist damit schon mal gerettet und ich habe meinen zukünftigen Schwiegereltern sicher ein gutes Bild abgeliefert.

Nach dem Kaffeetrinken macht Herbert einen Rundgang durch meine Gaststätte. Er bewunderte das Billard.

„Spielen mer ne Runde?“, hab ich ihn gefragt.

„Das kann ich nicht“, antwortet mir Herbert. Herbert war ein leidenschaftlicher Skatspieler. Das hat sicher mit seinem Beruf zu tun. Herbert ist Brigadier in der Straßenbaufirma. Bei schlecht Wetter haben die eher geknobelt oder Skat gespielt. Billards gab es nur in wenigen Gaststätten.

Gebäck wollte er keins. Herbert ist zuckerkrank. Schon in den kommenden Minuten durfte ich miterleben, wie er sich spritzte.

„Wie oft musst Du Dich spritzen am Tag?“

„Ein bis zwei Mal. Kommt darauf an, was ich esse und trinke.“

Andrea die Bäuerin kommt herein.

„Oh. Das sieht recht gut aus hier. Hast du frisch tapeziert?“

„Ja. Gefällt‘ s Dir?“

„Das ist schön! Willst Du oben die Wohnung sehen?“

„Gerne.“

Wir gehen im Haus zur ersten Etage hinauf und sie schließt uns die Wohnung auf.

„Ich räume aus, was Du nicht brauchst.“

„Ich brauche eigentlich nur ein Zimmer und ein Badezimmer.“

Sie zeigt uns das Badezimmer. Der Badeofen ist elektrisch. Der geht auch als Durchlauferhitzer.

„Im Grunde reicht das. Den Rest haben wir Unten.“

„Übermorgen ist das fertig ausgeräumt.“

„Danke. Wollt Ihr die Miete offiziell oder schwarz?“

„Am liebsten offiziell. Das Andere gibt Probleme. Die wollen wir nicht. Gib uns das mit der Gaststättenmiete.“

"Gut! Das kann ich dann absetzen."

Schön, dass wir uns so schnell einig sind. Das wäre sozusagen, unser erstes gemeinsames Nest. Joana freut sich darüber.

Eigentlich wäre es jetzt die Zeit, mein Motorrad mit hier her zu nehmen. Das erleichtert mir den Einkauf. Joana ist begeistert. Gelegentlich können wir so auch auf den Automarkt fahren und schauen, ob für uns ein Auto da steht. Ein gebrauchtes. Am besten, ein Kombi.

Nach der Besichtigung fahren wir wieder nach Hause zu Joana. Ich bekomme einen Platz mit ihr zusammen im Kinderzimmer. Der wurde frei, als ihre Schwestern in die BRD umsiedelten. Sie sind mit ihren Männern ausgewandert.

In der DDR war das scheinbar nicht einfach.

Funktioniert hat es aber trotzdem, wie wir sehen durften. Und sie haben das sogar lebend geschafft. Und das, ohne arbeitslos zu werden oder gar in Not leben zu müssen. Ausreisewillige wurden in der DDR von ihren Kollegen eher etwas heimlich belächelt. Von ihren Freunden hingegen, wurden sie bewundert.

Witzigerweise sind jene, von denen wir dachten, sie würden sicher gehen wollen, geblieben.

Unseren ersten Arbeitstag verbringen wir zusammen.

Joana will sich bei mir als Gaststättenhilfe anmelden und bei sich auf Arbeit, kündigen. In der DDR gab es dafür keine Fristen. Auf der neuen Arbeitsstelle, konnte der Betreffende, sofort neu anfangen. Ich weiß jetzt nicht mehr wie das hieß. Ich schätze, wir haben einen Aufhebungsvertrag gemacht. In aller Regel wurden beliebte Mitglieder eines Kollektives, mit einem kleinen Fest verabschiedet. Das wurde von den Kollegen organisiert. Wir feiern das nachträglich bei uns in der Gaststätte, die wir auf die Art auch gleich den Kollegen vorstellen.

Als Gastwirt war ich natürlich selbstständig. Uns blieb also nicht erspart, die Anmeldung selbst durchzuführen. Und schon da zeigte Joana ihre besondere Fähigkeit, mit Beamten umgehen zu können.

Schon in der DDR war mir das ein Graus. Obwohl mir dort Beamte, jede erdenkliche Hilfe gewährten.

Irgendwie bin ich zu einer Art Eigenbrötler erzogen worden von meinen Eltern. Vielleicht komme ich auch zu sehr nach meinem Vater. Der hatte grundsätzlich Probleme damit, Beamte zu mögen.

Abends reden wir gern über unsere Pläne, träumen zusammen von einer Zukunft und versprechen uns, keine Kinder zu wollen. In der DDR ging das leicht zu realisieren. Wobei ich eigentlich einen großen Fehler gemacht habe. Ich hätte mich sollen sterilisieren lassen.

Zwei Kinder aus der ersten Ehe sind eigentlich schon Belastung genug für einen Vater. Für die Mutter natürlich auch. Aber in der DDR fiel das nicht so gravierend auf, wie heutzutage im Kapitalismus. Die Belastung des Vaters trägt natürlich auch seine neue Frau mit. Und das ist eigentlich das Böse an diesem System. Zuerst müsste also die Frage gestellt werden:

Wer wollte die Kinder? Und genau das sollte auch ein Vertragsgegenstand einer Ehe sein.

Wir Zwei wollen keine Kinder und Joana steht dazu.

Und das ist ein Liebesbeweis, den ich selten von einer Frau erwarten kann. Frauen bevorzugen Kinder als Erpressungsmittel. Ob ausgesprochen oder nicht.

Deren Ehe steht sozusagen, auf einer kriminellen Basis.

Erpressung. Auf Grundlage dieser Basis, kann sich unmöglich eine feste Liebe entwickeln. Auf dieser Basis entwickelt sich eine Zweckgemeinschaft. Das kennen wir aus den Rechtsformulierungen. Dort wird das Zugewinngemeinschaft genannt. Die Ehe wird damit ein Sachgegenstand. Liebe ist in so einer Ehe, Zufall.

Joana als Gastwirtin

Weil Joana Verkäuferin gelernt hat, lag es uns natürlich am Herzen, dass sie die Bedienung und den Service übernimmt. Die Entscheidung ist gar nicht so übel.

Joana bekommt einfach mehr Trinkgeld als ich. Zu aller Erst musste meine Joana lernen, Bier zu zapfen. Das Anschreiben und Abrechnen ist ihr eine Leichtigkeit.

Joana verliert auch nicht den Überblick. Zusehens spüren wir, der Beruf macht Joana extrem glücklich. Sie findet es einfach besser als im Laden zu stehen. Meine Gäste finden das auch besser. Von einem Tag zum Anderen, bin ich nicht mehr ihr Ansprechpartner. Sie verlangen immer Joana als Bedienung von mir.

Dadurch kann ich mich endlich mehr um die Küche bemühen. Im Nu sind wir Gesprächsthema Nummer zwei im Ort. Also, kurz nach den aktuellen Neuigkeiten.

Unsere Staatsführung gibt das alte Preisniveau teilweise auf. Wir Gastwirte bekommen plötzlich das Angebot, eine neue Preisstufe beantragen zu können.

Wir sollen das neue Delikatsortiment in unsere Kalkulationen einfließen lassen. Das ist natürlich auch abhängig von der Preisklasse. Ich kann also nicht über Nacht, Champignons auf alle Gerichte schmeißen. Auf die Art, versuchen viele Kollegen, ihr Angebot etwas zu verteuern. Es lockt eine etwas größere Handelsspanne.

Plötzlich gibt es wieder endlos beliebte Likörsorten.

Leider gibt es wenig Nachfrage; bei den Preisen. Dafür gibt es aber harte Diskussionen am Stammtisch. Joana kann diese Diskussionen gut abmildern. Im Grunde bleibt Alles beim Alten. Der Einkauf wird für mich etwas komplizierter.

Neuerdings kommen zu uns unsere vietnamesischen Freunde. Sie haben oft Dinge im Gepäck, die bei uns am Stammtisch ziemlich gefragt sind. Es entwickelt sich ein kleiner Zusatzmarkt. Sozusagen, Straßenverkauf mit Prämien als Zusatzangebot. Darunter sind auch Körpersprays aus dem Westen oder zumindest mit einem Westmarkenname. Unsere vietnamesischen Freunde haben praktisch die Überschüsse der DDR Lizenzproduktion an den Mann gebracht. Die Produkte sind nicht billig. Zudem sind sie wirklich schwer absetzbar. In der DDR gibt es Besseres zu günstigeren Preisen. Aber damit wird am Stammtisch eine Welle erzeugt, die ernstere Folgen provozierte. Ich bekomme jetzt häufiger Besuch von unserer Volkspolizei auf der Suche nach Schwarzhändlern. Ich wurde auch erwischt beim Verkauf. Sämtliche Waren wurden konfisziert und ich durfte mir einige Tage lang, schwere Vorwürfe, Schulungen und Belehrungen anhören.

Die Volkspolizei ist sehr engagiert, uns Sündenböcke nachhaltig aufzuklären.

Montags, zu unserem Ruhetag, finden jetzt komische Versammlungen auf unseren großen Plätzen der Kreisstadt statt. Teile unserer Stammgäste luden uns zu so einem Treffen ein. Wir gingen einmal mit. Als Sprecher und Sprecherin stehen ausgerechnet Ärzte auf dem Podium. Und die schwätzten etwas von Demokratie. In einer Demokratie, von der die da schwärmen, wären sie nie Arzt geworden. Das verschweigen die uns. Die Leute machten sich damit lächerlich. Die knapp zweihundert Zuhörer gehen kopfschüttelnd vom Platz. Wahrscheinlich werden solche Treffen, wöchentlich abgehalten. Ehrlich gesagt, Gastwirte haben für so einen Stuss, einfach keine Zeit.

Mittwochs ist das natürlich Thema bei uns im Lokal. Es gibt auch ein paar Antragsteller auf Ausreise in den Westen. Zwei meiner Stammgäste waren da und geben sich alle Mühe, die Leute von der Realität im Westen zu überzeugen. Joana kann etwas mitreden bei dem Thema. Sie hat Westverwandtschaft und auch eigene Geschwister da.

Bei uns treffen sich immer mehr junge Paare und junge Leute. Wir diskutieren über Partys, Konzerte, gemeinsame Abende und anstehende Feiern. Es entwickeln sich gute Freundschaften. Wir glauben das zumindest. Zwei der Paare wollen schließlich in den Westen und hatten einen Antrag zu laufen. Es kann also jeden Tag die Nachricht eintreffen, dass deren Ausreise genehmigt wird.

Die Schwester eines befreundeten Ehepaares hatte sich bereits verhurt im Westen und galt als deren Vorbild.

Sie hat sich einem windigen Geschäftsmann geangelt und haut gewaltig auf die Welle. Eine alte Kollegin von Joana, auch eine Verkäuferin, war dadurch in den Verwandtschaftskreis dieser Dame geraten. Sie kommt mit ihrem Mann häufig zu uns. Er ist Hilfsarbeiter und Heizer. Ein gut bezahlter Beruf in der DDR. Man feiert praktisch, ein halbes Jahr lang, den endgültigen Abschied von der DDR. Von diesen Feiern lassen sich natürlich auch ein paar vereinzelte, trinkfeste Stammgäste anstecken. Die wollen plötzlich auch ausreisen. Die alten Bergmänner und Genossen an meinem Stammtisch winken ab: „Um die ist es nicht schade.“ Ein alter Lehrer sagt: „Das Ventil hätten wir eher öffnen sollen.“

In unserem Vereinszimmer, in dem mit dem Billard, treffen sich neuerdings zwei Züchtervereine. Der eine züchtet Rassekaninchen und die anderen sind eine Gartengemeinschaft. Viele oder gar alle Mitglieder dieser Vereine sind Mitglieder der Staatssicherheit. Sie haben zu mir entweder Vertrauen oder sie überwachen Teile meiner Kunden. Das erfahre ich leider erst zum Ende unserer Gaststätte. Die Mitarbeiter haben mir das erst gestanden, als es bereits zu spät war für die DDR.

Der wirklich rege Betrieb bescherte uns die Möglichkeit, ein gebrauchtes Auto kaufen zu können. Es war ein Trabant mit vergrößertem Tank, extra Geräuschdämmung zum Motorraum und einem Faltdach. Den bekam ich für runde zehntausend Mark.

Ab jetzt war der Einkauf einfacher und zudem ein mancher Ausflug möglich. Endlich können wir mit Herbert und Brigitte zusammen, Ausflüge unternehmen. Die Zwei haben sich das wirklich verdient. Herbert wird Zusehens stolzer auf Joana und mich.

Es gibt einen Nachteil, den wir schnell abstellen wollen.

Joana hatte noch keinen Führerschein. Sie kam nach ihrer Mutter. Die wollte keinen. Herbert hatte auch keinen. Es hat einige Zeit gedauert, Joana davon zu überzeugen, einen Führerschein zu erwerben.

Doch plötzlich stehen wir am Stammtisch, hören mit unseren Gästen Radio und hören von einem Zug aus Dresden in Richtung Prag. In Prag würden DDR Bürger begehren, in den Westen zu kommen. Kaum kommt die Nachricht im Radio, springen ein paar Stammgäste auf und wollen mit diesem Zug fahren oder zumindest, den Insassen zuwinken. Ich dachte, jetzt wäre ich endlich die problematischsten Trinker für immer los. Wenn die in den Westen gehen, müsste bei mir kein Volkspolizist mehr stehen und die Polizeistunde durchsetzen.

Die Freude war etwas zu früh. Am Tag darauf sind wieder Alle da. Ab dem Tag besteheich darauf, nicht mehr anzuschreiben. Die Anschreiber müssen sofort zahlen. Das wirke besser als die Revolution von 1917.

Ab da, muss ich nie wieder einen Gast rausschmeißen.

Disziplin zog ein.

Nach der Öffnung der Grenzen sterben mir viele Genossen weg. „Dafür haben wir jeden Samstag Subotniks gemacht?“ „Für diese Verräter?“ Das sind die Aussagen der Enttäuschten. Binnen drei Wochen sterben mir vier echte Genossen; Bergmänner der ersten Stunde. Beste Freunde. Ich kann zusehen, wie sie von ihren zwei Bier auf ein Bier und eine Limo und später, nur auf eine Limonade um bestellen. Kein Bier mehr, kein Schnäpschen. Schon am folgenden Tag kommen die Meldungen über deren Ableben. Der Schock ist überwältigend.

Plötzlich kommt die Meldung, die Grenze wäre offen.