Die Saisonpause - Kh Beyer - E-Book

Die Saisonpause E-Book

Kh Beyer

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Beschreibung

Was macht der Saisonarbeiter in seinem unbezahlten Urlaub? Strand, Baden? Familie besuchen? Freunde treffen? Ein Haus bauen? Die Wohnung renovieren? Arztbesuche? Oder? Eine neue Stelle suchen

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Hinweis

Alle verwendeten Namen, Hotelnamen,

Handlungen,

Namen von Beteiligten,

sind frei erfunden oder

diversen öffentlichen Namensregistern

entnommen.

Ich verwende ausschließlich

Vornamen.

Bei Ähnlichkeiten

oder Übereinstimmungen,

liegt das einfach an

der sehr begrenzten Auswahl

an landestypischen

Namen.

Inhaltsverzeichnis

Der letzte Arbeitstag

Der Urlaub beginnt

Die Zwischenarbeit

Der letzte Arbeitstag

Nach dem Frühstücksservice ruft Rudolf, unser Chef, alle Mitarbeiter einzeln zu sich ins Büro. Ich soll hinter mir die Tür schließen.

"Wie hat es dir gefallen bei uns hier?"

"Es geht. Ich komme zurecht. Wenn der Herd ein Induktionsherd wäre, könnten wir schneller die Kundenwünsche erfüllen. Zwei mobile Bain - Maries zusätzlich, würden uns die Rennerei ersparen. " "Wie kommst du mit den Kollegen zurecht?"

"Ich denke, gut."

"Ich habe etwas Anderes gehört."

"Ich nicht."

Rudolf greift einen Umschlag, der vor ihm liegt und übergibt ihn mir. Ich stecke ihn ein und warte, was noch passiert.

"Willst du nicht zählen?"

"Eigentlich nicht. Wenn sie zufrieden waren, ist mehr drinnen. Wenn nicht, werde ich es sehen."

"Du mußt das noch unterschreiben."

Er hält mir ein leeres Blatt Papier hin und schreibt darauf eine Summe. Ich lese; rechne.

'Gut. Mein Monatslohn mit Dreizehntem', kein Trinkgeld, keine Abfindung, nichts.

Stille. Es fällt kein Wort. Natürlich will ich jetzt wissen, ob es eine Sommersaison gibt und ob ich der Auserwählte bin.

"Wann beginnt die Sommersaison hier auf der Seiser Alm?"

"Voraussichtlich die erste Juniwoche mit dem Spatzenfest."

"Wer kocht da?"

"In der Sommersaison kocht nur ein Koch bei uns. Da ist weniger Betrieb als im Winter."

Eigentlich ist das keine Antwort auf meine Frage. Ich lasse das bei dieser Feststellung.

"Machen wir noch eine Großreinigung zum Saisonende?"

"Das putzen unsere Zimmermädchen mit."

Der Chefkoch ist zu teuer für zwei zusätzliche Tage, Grundreinigung.

"Bin ich dann fertig nach dem Putzen?"

"Ja. Schönen Urlaub."

"Gleichfalls."

Kaum bin ich zurück in der Küche, empfangen mich meine Mitarbeiter. Wir sind nur drei Personen, ein Abspüler und ein Zweiter Koch.

"Kommst du wieder?"

"Ich weiß es nicht."

Wir drücken uns. Joseph, mein Zweiter Koch, ein Slowake, küsst mich.

"Mach mir ja keinen Knutschfleck! Joana wird eifersüchtig."

"Ruf mich an, wenn Du eine Stelle hast. Ich komme dann nach."

"Mach ich." Wir tauschen unsere Telefonnummern.

Ich gebe Joseph noch meine Emailadresse.

Mori, der Hausmann und Abspüler, gibt mir die Hand und wünscht sich, mich in der kommenden Saison hier sehen zu dürfen.

Zu Packen ist nicht viel. Ich bin fast täglich nach Hause gefahren.

Jetzt gilt es, Joana abzuholen. Joana hat in Reischach gearbeitet. Ein Mal pro Woche habe ich sie dort besucht. Natürlich zusätzlich zu dem einen freien Tag, den wir fast immer zusammen genommen haben.

In diesem Winter haben wir wieder keine Stelle zusammen bekommen. Der wöchentliche Besuch meiner Frau hat uns reichlich Ärger bereitet.

Einmal bin ich auf einen Eisblock aufgefahren, der sich von den Felswänden in der Völs gelöst hat. Die Reparatur kostete fünftausend Euro. Joana hat geweint am Telefon, als ich nach dem Unfall anrief.

Ihre erste Sorge betraf nicht den Zustand des Autos.

Sie dachte, ich hätte mich dabei verletzt.

Ein anderes Mal stand ich fast zehn Stunden im Stau.

Trotzdem ich eine bequemere Route benutzte. Die über Klausen. Ich konnte nach dem gemeinsamen Frühstückskaffee, gleich wieder zur Arbeit fahren.

Generell war jede Fahrt mit der Sorge verbunden, wegen Umständen, Joana nicht besuchen zu können oder zu spät auf Arbeit zu kommen. Das Wetter in den Bergen ist zu tückisch, um feste Zusagen einhalten zu können.

Auf der Fahrt gehen mir oft Dinge durch den Kopf, die ich fast schon in Selbstgesprächen zu lösen versuche.

'Was treibt mich, abends, nach einer Fünfzehn stündigen Arbeit an, unbedingt meine Frau in über hundert Kilometer Entfernung, regelmäßig besuchen zu wollen. Eifersucht?'

"Hat sie endlich einen neuen Freund, deine Frau?",

fragte mich Joseph oft.

"Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß", antworte ich meist und Joseph lacht dazu. Joseph kennt meine Joana.

Ist es Liebe, was mich regelmäßig zu meiner Frau treibt? Oder ist es die Sucht nach Abwechslung?

Endlich einmal das schwarze Loch von Küche zu verlassen. Die teilweise herrisch wirkenden Familienmitglieder des Chefs. Wer ist eigentlich der Chef? Alle Familienmitglieder oder nur einer von ihnen? Manchmal hat man den Eindruck, selbst die Kinder der Chefs sind selbst der Chef. Man bekommt ein Familienleben vorgeführt, bei dem es keine Einschränkungen zu geben scheint. Jeder Wunsch der Kinder wird irgendwie erfüllt. Wir erarbeiten das. Der Dank dafür, fällt oft bescheiden aus.

Ich komme nicht selten zu dem Ergebnis, mich zieht es förmlich weg von dem Ort. Ich möchte nicht auf einem Zimmer sitzen und sinnlos in einen Fernseher glotzen, in dem nur vier Programme laufen. Ich möchte nicht mit Kollegen saufen und oberflächliche Gespräche führen. Meine Zeit ist mir dafür zu schade.

Tageslicht sehe ich nie. Ich komme bei Nacht und fahre in der Nacht. Tageslicht sehe ich höchstens während einer Zigarettenpause.

Dort, wo das Personal die Zigarettenpause machen darf, scheint nie die Sonne. Nicht selten ist es im Keller oder neben den Mülltonnen. Mehr Freiheit wird uns selten zugestanden. Und selbst diese Freiheit wollen uns diverse Kreaturen verbieten. In den Zimmern darf nicht geraucht werden. Rauchpausen werden vom Lohn abgezogen. In den meisten Fällen, bekommen wir diese Befehle von den Erbinnen der Leistung der Eltern. Wie soll man diese Kreaturen betiteln? Chef wäre dafür eher ein Lob. Komisch.

Deren Kleiderschrankinhalt haben wir erarbeitet.

Auch den dreiwöchigen Tauchurlaub in Hurghada.

Die Straßen sind relativ leer für das Saisonende. Auf den Hauptstraßen ist Stau im Rückreiseverkehr gen Norden. Gelegentlich sehe ich ein paar Landsleute auf einem Motorrad. Sie nutzen die kommende Ruhe in den Bergen für ihre Touren. Noch sind einige Gasthäuser geöffnet. In ein zwei Tagen sind auch die geschlossen. Saisonarbeiter brauchen keine Gaststätten, scheint die Einstellung zu sein.

Auf meiner Straßenseite im Pustertal, die ich fahre, ist kaum Verkehr. Der Gegenverkehr staut an bestimmten Stellen. Vor allem, an den Mautstationen, an Kreuzungen und Auffahrten. Die Einheimischen scheinen diesen Verkehr für Ausflüge zu meiden. Es gibt zu viele Unfälle.

Ich fahre über Sankt Lorenzen nach Reischach. In Brunneck ist mir zu viel Verkehr. In der Ruhe an weltberühmten Sehenswürdigkeiten entlang zu fahren, gibt mir kein besonderes Gefühl. Wohl in der Kenntnis, zu Hause, unendlich viele dieser Sehenswürdigkeiten in der Not verlassen zu haben.

Joana soll noch vier Tage arbeiten. Ich darf mit ihr im Personalzimmer meine ersten vier freien Tage verbringen. Das Personalzimmer ist kein Hotelzimmer. So ein Sterne - Zimmer könnten wir uns eh nicht leisten. Die Zimmer kleinerer Pensionen finden wir persönlicher eingerichtet und nicht selten, bedeutend sauberer. Eigentlich ist das Zimmer ein Zweibettzimmer. Die Kollegin ist aber schon abgereist. Den Grundputz müssen also nicht alle Mitarbeiter leisten. Es scheint bessere zu geben. Die Zimmerkollegin war einheimisch. Sie muss schon wieder auf ihrer Sommerstelle sein, sagt sie. Ich nicht.

Joana schon. Aber das ist wahrscheinlich nicht so wichtig.

Von der Familie, welche das Hotel führt, treffe ich Keinen. Dafür aber zwei Kolleginnen von Joana. Eine Slowakische und eine Kroatische. Die Kroatische Kollegin ist schon weit über zehn Jahre im Betrieb und kennt sich sehr gut aus. Sie kocht das Personalessen, welches die Köche schon fertig eingefroren haben. Sie müssen mit mir schwesterlich teilen. Ich war nicht im Versorgungsplan berücksichtigt worden. Joana schickt mich in die örtliche Kaufhalle, uns etwas Kuchen, Geflügel und Brot zu versorgen. Sozusagen, als Kostgeld für Joanas Kolleginnen.

Die Frauen beeilen sich. Sie sind in zwei Tagen fertig.

Das erste mal sehe ich Familienangehörige der Chefs.

"Die Familie ist schon im Urlaub", sagt mir eine Mutter der Familie. Sie ist die Urlaubsvertretung.

"Da ist ja gut, dass wenigstens die Familie in den Urlaub kommt", antworte ich der Mama. Sie kontert mit einer Reaktion, die ich eher als abweisend einstufen würde. Ich kann bis heute nicht unterscheiden, welche Reaktion als mitfühlend und welche als kritisch zu betrachten sind. Kleine Völker, wie wir sie auf Inseln oder im Gebirge treffen, neigen eher zu einer Verschlagenheit. Ehrliche Reaktionen brauchen wir hier nicht erwarten. Gerade die Verschlagenheit hat diese Völker vor dem Untergang, vor Ausrottung oder vor Plünderungen bewahrt. Die liebenswerte Eigenart sehe ich nicht unbedingt kritisch. Joana und ich können damit sehr gut umgehen. Die Erziehung in der DDR hat uns eher zu recht friedfertigen Menschen werden lassen. Not war uns praktisch ein Fremdwort. Auch eine besondere Angst blieb uns erspart. Es gab sehr wenig Kriminalität und Betrug war uns ein Fremdwort.

Joana bekommt wie ich, ihren Lohn in einem Umschlag. Jetzt ist der günstigste Zeitpunkt, Kasse zu machen. Wir öffnen unsere Umschläge und zählen den Inhalt. Trotz des relativ hohen Betrages, zieht bei uns Ernüchterung ein. Urlaubsgeld und Zuschläge sind auf Basis des Tariflohnes bezahlt worden. Die vorher ausgemachten Löhne, verschwanden bei dieser Abrechnung. Zusammengerechnet, fehlen damit ein paar tausend Euro. Als Saisonarbeiter fehlen uns jetzt die Kenntnisse, welchen Ansprechpartner wir in dieser Situation zu wählen hätten. Ich möchte das am folgenden Tag telefonisch klären. Das nehmen wir uns vor. Die Mutter der Familie fühlt sich nicht zuständig. Wir sollen mit dem Chef reden. Aber der ist schon von Dannen. Eine Klärung ist hier leider erst in einem Monat möglich.

Bei mir auf der Seiser Alm könnte das noch gelingen.

Die Familie ist noch da. Das vermute ich. Genaueres weiß ich nicht.

Unsere Heimfahrt treten wir erst in der Nacht an. Zum Glück. Tagsüber wären wir sicher in den Werksverkehr geraten. Und der ist auf der Pustertaler Straße ähnlich schlimm, wie auf der Vinschger.

Es gibt aktuell zwar weniger Touristen. Aber eine gewisse Hektik in Vorbereitung der Feiertage ist spürbar. Der Grüne Donnerstag als auch Ostern, sind in unmittelbarer Nähe. Wir feiern diese Tage nicht. Für uns bedeutet das Arbeit. Und das, nicht zu wenig.

Auf der Seiser Alm versuche ich es mit einem Anruf kurz nach unserer Ankunft zu Hause. Keine Antwort.

Vielleicht geht eine Email? Auch Nichts. Ich gehe davon aus, die Chefitäten sind ausgeflogen.

Eigentlich hätte ich gern eine Stelle, bevor ich an Urlaub denke. Schon auf Arbeit habe ich mir diverse Angebote angeschaut. Für mich interessante Angebote, habe ich markiert und in mein Adressbuch aufgenommen. Bevor wir das Haus verlassen, muss ich daran denken, sämtliche Bewerbungen abzuschicken.

Nachdem wir unser Geld zusammen gelegt haben, geht es an die Haushaltkasse. Wir haben zu ermitteln, wie viel Geld wir für unsere Kosten aufzubringen haben. Nach dem Abzug der Kosten, die wir großzügig bis Juni kalkulieren, ergibt sich unsere Urlaubskasse. Wir kalkulieren bis Juni, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich rechtzeitig eine Stelle bekomme. Zu berücksichtigen gilt auch, die um einen Monat verzögerte Lohnzahlung im Falle einer Einstellung.

Unsere Urlaubskasse lässt nach der Inventur keine großen Sprünge zu. Kredite für Urlaub, Fahrzeuge und Überziehungen sind nicht unser Ding. Wieso sollen wir Dinge doppelt bezahlen, wenn uns schon der normale Erwerb zu sehr belastet? Schließlich belastet uns schon ein Menschenrecht zu sehr. Das Recht auf Wohnen.

Jetzt, nachdem unsere Pflichtaufgaben erledigt sind, feiern wir unseren Urlaub mit einem Bier.

Bei dem Besuch der Heimat vor der Wintersaison, haben wir uns etwas Bier unserer Lieblingsbrauerei mitgebracht. Ein dunkles Bockbier. Eigentlich verschenke ich davon eine Kostprobe an die Monteure in unseren Werkstätten. Die sorgen schließlich dafür, dass wir rechtzeitig auf Arbeit fahren können. Für unseren Durst lege ich uns vier bis fünf Flaschen zurück, die wir im Laufe eines Jahres genießen. Neben einem gelegentlichen telefonischen Kontakt mit Familienangehörigen, ist das mit der einzige Weg, seiner Heimat zu gedenken.

Am kommenden Morgen dürfen wir dann auf das Arbeitsamt in Meran fahren. Das Parken in dieser Umgebung ist gebührenpflichtig. Wenn der Parkplatz nicht geöffnet ist, gibt es kilometerlange Fußwege durch die Stadt. Fahren wir mit dem Motorrad, droht uns ein Busgeldbescheid, der sich gewaschen hat.

Neuerdings steht auf der Brücke in Richtung Sandplatz ein Verbotsschild. Vielleicht ist es besser, das Amt gar nicht zu besuchen. Das wiederum, wird ganz sicher auf dem Rentenbescheid zu sehen sein.

Also, wie kommen wir jetzt zu diesem Amt? Joana überlegt.

"Wir fahren mit dem Motorrad. Nur so kommen wir zeitnah und preiswert dort hin."

Es steht immerhin die Befürchtung im Raum, alle Parkplätze der näheren Umgebung sind belegt von Arbeitern, die sich arbeitslos melden müssen. Mit dem Motorrad kommen wir etwas näher ran.

Gesagt, getan. Wir schnappen uns die Unterlagen.

Joana überfliegt noch einmal genau sämtliche Dokumente.

"Hoffentlich haben wir Nichts vergessen."

Wir fahren los und finden gegenüber des Sandplatzes einen Platz für unser Motorrad. Der Weg zum Sandplatz ist fast einen Kilometer lang. In Schutzkleidung für das Motorrad, kann das ziemlich anstrengend werden. Mit Helmen und Taschen, ist auch für reichlich Handgepäck gesorgt. Trotzdem haben wir gewaltig gespart. Für die Fahrt zu Zweit, von zu Hause aus, hätten wir zehn Euro bezahlt. Ein Taxi wäre vielleicht preiswerter.

Vor dem Haus angekommen, werden wir von einer Schlange erwartet, die ich bestenfalls bei den ersten Grünen Gurken in der HO der DDR angetroffen hätte.

Die Grünen Gurken kamen immer pünktlich vor der Jugendweihe frisch aus Rumänien. Das Kilogramm kostete damals sechs Mark achtzig. Für das Geld, würde sich heute kein Kunde in eine Reihe stellen, um Grüne Gurken zu kaufen. Dafür stehen wir aber in einer Menschenmenge, um uns arbeitslos zu melden.

Es ist schon erstaunlich, aus welchem Grund heutzutage, Menschen in Schlange stehen. Heute stehen wir für einen Stempel, etwas Misshandlung oder für eine Schüssel warme Suppe.

Der Urlaub beginnt

Unser Urlaub beginnt damit auf dem Arbeitsamt. Der erste Urlaubstag ist schon mal gelaufen. Wir teilen uns auf. Joana geht zum Patronat und ich stelle mich in die Schlange, die nicht zu enden scheint. Joana kommt, lange bevor ich die erste Treppe im Gebäude des Arbeitsamtes sehe. Wir müssen uns abwechseln beim Stehen. Ich hole inzwischen ein paar Getränke.

Wir bereiten uns auf sechs bis acht Stunden Wartezeit vor.

Von Wem lassen wir uns die jetzt verlorene Freizeit bezahlen? Wollen wir ehrlich sein. Ich stand lieber in einer Warteschlange für die ersten Tomaten als auf einem Amt. Wir kennen das nicht aus der DDR. Für die ersten Tomaten oder Gurken stand ich auch keinen halben Tag. Rechnen wir jetzt die zwei Wartezeiten zusammen auf eine Person, hätte die genau zehn Stunden allein dafür benötigt, zu sagen, 'ich bin arbeitslos.' Und diese Leute lästern über die angebliche kommunistische Bürokratie. Sagen wir es ihnen? Gut. Wenn wir in der DDR, Urlaub hatten, begann der genau am Feierabend des letzten Arbeitstages. Kein Amt, keine lästigen Fragen, keine falsch ausgefüllten Formulare und keine Gängelei von fünf verschiedenen Bürobesatzungen. Wir hatten Urlaub. Voll versichert, keine offenen Lohnabrechnungen, keine Überraschungen, einfach unbekümmerte Freizeit. Gut. Dafür fuhren unsere Autos und Motorräder etwas langsamer.

Die Unterlagen auf dem Arbeitsamt waren nicht ordnungsgemäß. Mein Chef hat die Formulare falsch ausgefüllt. Das bedeutet, ich bekomme in diesem Monat kein Geld. Ganz sicher auch nicht in den kommenden zwei Monaten. Wir gehen noch Mal zusammen zur Gewerkschaft. Dort will man sich kümmern. Nach zwei Stunden Wartezeit bekomme gleich eine Standpauke von Erich, einem Gewerkschafter. Er kontrolliert unsere Abrechnung.

"Du musst das nächste Mal darauf achten, diese zwei Formulare, ausgefüllt, mit zu bekommen."

Er zeigt sie mir die Formulare.

"Im kommenden Jahr können die Formulare schon wieder etwas anders aussehen. Du musst die Nummer verlangen."

"Und was fehlt sonst noch?"

"In dem Formular muss stehen, das Arbeitsverhältnis wurde wegen Saisonende beendet."

"Das Formular füllt aber nicht der Arbeitgeber aus."

"Den ihr Verband ist nicht viel besser. Die tun so, als müssten sie das bezahlen."

"Du hast Recht. Wir haben das bezahlt."

"Es ist Dein Geld und das Deiner Kollegen."

"Kann ich das noch ändern?"

"Du musst Deinen Chef erwischen und das neu schreiben lassen."

"Der liegt sicher schon im Urlaub."

"Dann bekommst Du so lange keine Geld."

Die Auskunft hebt unsere Urlaubsstimmung ungemein. Auf der Meldung ist zu dem lesbar, die Zeit, die wir vor dem Arbeitsamt standen, hat man uns gleich noch als Urlaub abgezogen. Eine Woche.

Das wäre ein Teil unseres Jahresurlaubes, den wir sicher nicht genommen haben. Wir lernen nie aus.

"Wir werden also beschissen nach Strich und Faden."

"Mit Neuen probieren die das immer", sagt Erich.

"Haben wir es nur mit Verbrechern zu tun?"

"Es gibt Ausnahmen."

"Leider habe ich bis jetzt noch keine Ausnahme getroffen. Kannst Du mir sagen, welche Firmen ehrlich sind?"

"Das könnte ich schon. Nur, nützen wird es Dir wenig."

"Warum?"

"Weil unsere Einheimischen die Firmen kennen."

"Das heißt, wenn ich eine Stelle bekomme, ist das ein Betrieb, der von Einheimischen gemieden wird."

"Besser kann ich es nicht sagen, Karl. Ihr müsst morgen noch einmal kommen. Dann sind die Unterlagen fertig."

"Eine Woche Urlaub ist schon mal weg. Wegen der Meldung zur Arbeitslosigkeit. Mach Dir einen schönen Tag, Erich."

"Du musst noch abrechnen bei mir."

Ich gebe Erich unseren Jahresbeitrag und die Bearbeitungsgebühr. Die Urlaubskasse wird schmaler.

Kaum sind wir zu Hause, klingelt es an unserer Haustür. Der Postbote steht unten und will mir ein Einschreiben übergeben. Ich soll unterschreiben.

"Du bist wohl zu schnell gefahren?", fragt mich Toni, unser Postbote.

"Ich könnte mich nicht erinnern."

Den Umschlag öffnen wir in der Wohnung. Darin ist ein Bündel vorgedrucktes Papier. Gelegentlich erkenne ich eine Handschrift. Ehrlich gesagt, ich kann das Kauderwelsch nicht lesen, geschweige verstehen.

Joana sieht sich das Papier an; blättert und blättert, liest und liest das zweite Mal.

"Du bist gestoppt worden", ist ihre Feststellung nach der Literatur. "Du bist elf Stundenkilometer zu schnell gefahren. Uns kostet das einhundert und siebzig Euro."

"Das ist ja das Essen für einen Monat!"

"Ab jetzt bekommst du nur noch Pasta bianco."

Joana lacht dabei. Genau so, sehe ich das.

Joanas Unterlagen sind richtig ausgefüllt. Ihr Arbeitslosengeld dürfen wir pünktlich erwarten. Und dabei heißt es bei uns, Frauen würden unterdrückt.

Persönlich kenne ich keinen Betrieb, in dem nicht die Frauen das Zepter schwingen. Mich würde auch nicht wundern, wenn Frauen meine Unterlagen ausfüllen und bearbeiten. Sie schreiben also hin, 'Arbeitsende in beiderseitigem Einverständnis'.

'Schöne Wirtschaft', denke ich mir. 'Wenn ich ihr Mann wäre und für das Familieneinkommen mit zu sorgen hätte, sähe das Formular wahrscheinlich anders aus.

Zum Glück ist Ostern in diesem Jahr recht zeitig.

Unsere Nachbarn geben uns mit Gesten zu verstehen, zeitige Ostern wären für uns nicht besonders günstig.

Irgendwie haben sie Recht. Joana soll schon recht zeitig mit arbeiten. Ihr geben sie keine Woche Erholung. Wir möchten also versuchen, wenigstens diese Woche für ihre Erholung zu nutzen. Ohne nennenswerte Einnahmen, bleibt uns eigentlich nur eine Wahl des Urlaubsortes. Die eigene Familie.

Unsere Reserven für den Urlaub zu nutzen, trauen wir uns nicht.

Joana ruft ihre Geschwister an und ich meine Mutter.

Feste Termine vereinbaren wir nicht. Täglich kann irgend Etwas dazwischen kommen. In meinem Postfach sind die ersten Reaktionen eingetroffen. Ich versuche, Termine zu vereinbaren, die nach unserer Urlaubswoche stattfinden sollen. Mitunter muss ich telefonieren. Rückrufe sind selten möglich. Alle Rufnummern der Anrufer sind unterdrückt. Selbst die Anzeigen in regionalen Zeitungen sind halb anonym.

Selten erfahre ich einen Namen. Nach mehreren Rückfragen, bekomme ich den Namen des Betriebes heraus. Oft muss ich recherchieren, welche Nummer zu Wem gehört. Das Alles, in meiner Freizeit. Ich frage mich, wer so nach Arbeitskräften sucht. Entweder ich suche und habe das Interesse, von Arbeitern gefunden zu werden oder ich suche nicht.

Wir entschließen uns kurzerhand, unsere Familien zu besuchen. Joana geht schnell in mehrere Bauernläden, um unseren Angehörigen, Südtiroler Spezialitäten mitzunehmen. Natürlich dürfen auch italienische Spezialitäten nicht fehlen. Wir möchten immerhin auch etwas Wertschätzung verschenken.

Nicht irgendeinen Massengeschmack.

Wir wollen in der Nacht fahren. Tagsüber ist es uns zu gefährlich. In der Nacht fahren wir recht gemütlich.

Wir rechnen mit acht Stunden Fahrzeit. Bei früheren Besuchen haben wir die Fahrzeit regelmäßig unterschritten. Wir kamen oft wesentlich früher an als wir es vor hatten. Im Gegensatz dazu, standen wir nicht selten in Staus, die zehn Stunden und länger anhielten. Daher ist unser erster Anlaufpunkt, meine Mutter. Gastwirte sind es irgendwie gewohnt, zu unwirklichen Zeiten geweckt zu werden.

Schon bei der Überquerung des Brenner, werden wir von einer Straßensperre überrascht. In keiner Meldung war davon die Rede. Nicht mal im Verkehrsfunk. Ein Lastwagen hat die Leitplanken zerrissen. Wir verlieren die erste Stunde. Eigentlich könnten wir uns dort gleich ein paar Mitbringsel sichern. Die lagen gut verstreut auf der gesamten Autobahn. Im Lichtkegel sehen wir Kartons mit Fleischbeschriftungen.

"Gutes Roastbeef", sage ich zu Joana. "Mach die Tür auf und schnappt uns so einen Karton."

Ich fahre extra langsam an die Stelle. Das Auto setze ich so, um Joana zu ermöglichen, einen Karton durch die Beifahrertür zu greifen. Wir werden überrascht dabei. Ein freundlicher Polizist war schneller an der Beifahrertür.

"Neugierig?", fragt er.

"Ich bin Koch. Ich weiß, was da drinnen ist."

"Und sie wollten das jetzt mitnehmen?"

"Wenn sie mich lassen. Wir möchten unsere Familie besuchen. Das wäre ein passendes Geschenk."

Der Gendarm schaut weg, geht ein paar Schritte vor und winkt mit seiner Kelle, wir sollen fahren. Joana ist sich nicht ganz sicher und ich auch nicht, ob wir uns nicht doch einen Karton greifen.

"Schade", sage ich zu ihr. "Eigentlich hat er weg geschaut."

Wir trauen uns nicht. Die Familie muss sich mit unseren Südtiroler Gaben begnügen.

Kurz danach dürfen wir schon die gesegnete Reisefreiheit genießen. An den Brücken über der Autobahn steht wieder der IGL. Zuerst fällt diesen Leuten ein, jegliches Lager in ein Einkaufszentrum zu verwandeln. Und danach, verschieben sie die Lager, umweltschonend, auf die Straße. Dann erklären sie den Autofahrer zum Feind der Umwelt. Wohl wissend, dass sie die Feinde der Umwelt sind.

Wir passieren zwei Streifen. In der Nacht. Die Gendarmen unserer Österreichischen Nachbarn sind recht fleißig. Die Geschwindigkeit des Verkehrs bewegt sich an der äußersten Grenze des Erlaubten.

Einhundert und Zehn Stundenkilometer. Wir schauen dem Tod direkt in die Augen. Ein Kilometer schneller und es blitzt an allen Ecken. Bei der Geschwindigkeit wird der Fahrer eher vom Schlaf überrascht als vom Verkehr.

Kaum sind wir an Kufstein vorbei, verwandelt sich die Autobahn in eine Rennstrecke. Jeder Fahrer möchte dem anderen beweisen, was er sich für ein PS-Monster zugelegt hat. Türgriff an Türgriff geht es im Doppel an die Grenze des Machbaren. Normal Fahrende werden zur Gefahr erklärt und Vorsichtige, zu Idioten. Kurz nach der Wende haben wir uns von diesem Theater anstecken lassen. Aber nur kurz.

Dann hat das Gehirn gewonnen. Oder soll ich sagen, die leere Brieftasche? Selbst in der Nacht ist um München die Hölle los. Dort herrscht ein Lastverkehr, der jeglichen Umweltgedanken in einen Witz verwandelt. Auf der dreispurigen Autobahn sind zwei Spuren komplett mit Lastwagen gefüllt. Wir befinden uns nicht selten zwischen diesen Geschossen. Deren Fahrstil überzeugt mich von ihrer Übermüdung. Joana verkrampft sich teilweise. Neben ihr drehen sich Riesenräder, die unentwegt Streugut an unser Auto schleudern. Ab Nürnberg wird es etwas ruhiger. Wir wollten um diese Zeit nicht über Regensburg fahren.

Diese Autobahn wirkt auf uns etwas dunkel. Mit einer Panne möchten wir auf dieser Strecke nicht festsitzen.

Im Frankenwald glauben wir fast, uns noch im festen Winter zu befinden. Alles ist weiß; die Straßen sind glatt und gefährlich. Streudienst scheint es hier keinen zu geben. Bei einer Bremsprobe schnattert das ABS. Unser Auto fängt an zu tanzen und Joana quiekt schon neben mir. Wir nehmen uns vor, kurz zu halten und einen Kaffee zu trinken. Die Parkplätze sind dunkel. Mit Aufblendlicht stellen wir fest, die Plätze sind auch überfüllt. Für uns gibt es keinen Platz. Wo legen wir eine Pause ein? Ich fahre bis zur Ausfahrt des Parkplatzes und dort rasten wir kurz am Seitenrand. Joana sucht einen Sender im Radio. Der Kaffee tut gut. Ich möchte fünf oder zehn Minuten ruhen. Mir zieht es unweigerlich die Augen zu.

Nach rund zwanzig Minuten wecke ich vom Motorengeräusch der Fahrzeuge auf, die uns auf der Autobahn passieren. Joana ist auch mit eingeschlafen.

Sie weckt beim Start des Motors auf. Von hier weg, haben wir nur noch eine Stunde Weg vor uns.

In der Zwischenzeit, seit unserem letzten Besuch, hat sich Einiges geändert. Die Autobahnabfahrt wurde wieder verlegt. Bei jedem Besuch mussten wir eine andere Abfahrt nutzen. Die Ruinen sind immer noch die gleichen und jährlich kommen dutzende dazu. Der Verfall beschleunigt sich rasant. Joana ruft meine Mutter an. Die Mutter klingt noch etwas verschlafen.

Im Hintergrund hört Joana den Fernseher. Unsere Mutter ist am Fernseher eingeschlafen. Meine Mutter findet das deutsche Fernsehen noch interessant.

Deshalb schläft sie davor ein. Mutter tut etwas überrascht. Trotzdem hat sie als guter Gastwirt, ständig ausreichend zu Essen und zu Trinken vorrätig.

Das ist der große Vorteil bei unseren Besuchen. Wir sind zu arm, um uns an der Autobahn, einen Kaffee für fünf Euro und ein Wiener Würstel für zehn Euro kaufen zu können. Wir wollen nur etwas Essen und nicht den Rasthof kaufen.

Zu Hause angekommen, müssen wir nicht einmal hupen. Mutter steht schon vor der Tür. In Tränen gehüllt. Der Kaffee läuft schon und die Brötchen sind belegt.

"Wir wollen mal nach dem Rechten schauen", sage ich zu ihr.

Die Gespräche drehen sich um das Übliche. Nachbarn.

Todesanzeigen. Unfälle. Familie kommt als Thema zu Letzt. Joana und ich, möchten natürlich auch die anderen Familienmitglieder besuchen. Und schon beginnt das Kalkulieren. Wie viel Zeit benötigen wir?

Wir stellen schnell fest, uns bleibt zu wenig Zeit für Jeden. Es werden Kurzbesuche, die eher nach Pflichtbesuchen aussehen. Die Oberflächlichkeit gewinnt. Dort etwas Lächeln. Dort etwas Beileid und da vielleicht etwas Schadenfreude. Natürlich werden wichtige Einkäufe geplant. Man könnt fast glauben, unsere Wohnung samt Keller und Garage wären leer.

Jeder unserer Gastgeber möchte gern die anderen Familienmitglieder vergessen. Alle möchten die ausschließlichen Gastgeber für uns sein.

Unsere Urlaubspläne werden fast schon von den Familienmitgliedern geschmiedet. Dabei hatten wir vor, die Moritzburg, Radebeul, Bad Schandau, die Bastei und zumindest, Dresden zu besuchen.

Natürlich wollten wir eine Rundreise durch das Erzgebirge unternehmen wie auch den Besuch des Harzes. Es konnte ja Keiner ahnen, mit der Besatzung der DDR, um die Reisefreiheit gebracht worden zu sein. Unsere Arbeitsdienste lassen kaum größere Reisen zu. Erwartet hatten wir das eigentlich anders.