(K)ein Taxi bitte - Manuela Mair - E-Book

(K)ein Taxi bitte E-Book

Manuela Mair

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Enzo liebt es unkompliziert. Job, Familie und seine Männerbekanntschaften. Deshalb ist klar, dass der arrogante Doktor Demir keine Chance bei ihm hat. Die zufälligen Begegnungen häufen sich und plötzlich ist gar nichts mehr klar und unkompliziert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Manuela Mair

(K)ein Taxi bitte

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kapitel 1 - Enzo

 

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“, will meine Schwester von mir wissen.

„Klar, der abscheuliche Mann ruft dich immer wieder an“, fasse ich mich kurz. Den Sarkasmus hört Laura nicht heraus, tut sie nie. Sie scheint fürs erste zufrieden und brabbelt weiter. Ich liebe diese Frau, aber manchmal frage ich mich, ob sie jemals tiefgründig – oder zumindest weniger oberflächlich sein wird. Oder ob sie ihr Hirn auch mal für etwas anderes als Klatsch, Schminke und Klamotten benutzt.

„Kasper! Ich meine, wer heißt denn schon Kasper?“, lacht sie viel zu laut und ich zwinge mich zu einem Schulterzucken, während ich den Wagen über die winterlichen Straßen lenke und wünschte, wir wären bereits am Flughafen. Laura hat ihre guten Seiten, aber die kriegt man höchst selten zu sehen, deshalb ist es für mich nicht besonders schlimm, wenn sie nach einem Wochenende wieder nach Mailand verschwindet.

Ich blende Lauras Stimme aus, nicke, zucke mit den Schultern und meine Schwester scheint zufrieden damit, so wie alle anderen redseligen Fahrgäste auch. Ich bin glücklich mit meinem Job, meistens. Aber auch ich habe mal miese Tage und habe gelernt, die Leute trotzdem glauben zu machen, dass ich jedes Wort interessiert aufsauge. Jetzt aber hat ein anderes Objekt meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein Mann – vermutlich in meinem Alter – steht an der Bushaltestelle. Bekleidet mit Flip-Flops, Shorts und T-Shirt. Ein Tourist, spekuliere ich weiter, aber dann hätte er bestimmt mehr Gepäck, als bloß diese Umhängetasche, deren Gurt die definierte Brust darunter erahnen lässt. Seine gebräunten Arme sind fest um den Oberkörper gelegt, während die Hände eifrig über die Oberarme streicheln.

„Laurenz! Hör auf den Mann mit Blicken auszuziehen und sieh auf die Straße!“, herrscht mich Laura an und ich knurre eine Gemeinheit. Bis auf meine Eltern nennt mich niemand mehr Laurenz und das ist auch besser so. „Läuft wohl gar nicht bei dir an der Liebesfront?“, frotzelt Laura mich weiter.

„Ähnlich gut wie bei dir.“

„Ha! Ich habe Dates. Ich versuche wenigstens einen anständigen Mann kennen zu lernen.“

„Und verliebst dich ausschließlich in die selbstverliebten, arroganten Sexisten und schickst die guten Kerle in die Wüste“, schone ich sie nicht.

„Welche guten Kerle denn? Es gab nicht einen einzigen!“

„Kasper“, seufze ich und bereue jetzt schon, überhaupt damit angefangen zu haben. Wenn ich so weiter mache, steigt Laura heute bestimmt nicht mehr in ihr Flugzeug.

„Du hast nicht zugehört! Kasper nervt, er ruft an, schreibt SMS, will wissen wie es mir geht. Ich meine – hallo? – geht’s noch? Ich habe ein eigenes Leben, er offenbar nicht.“

„Offenbar. Da habe ich wohl wirklich nicht richtig aufgepasst“, seufze ich und erspare uns die erneute Diskussion über Annäherungsversuche, Prioritäten und die sich anbahnende Liebe. Laura hört zwar zu, will aber nicht mal über meine Ansichten nachdenken. Muss sie auch nicht, ist ja ihr Leben. Glücklicherweise lässt sie es mir durchgehen und sehnt sich mehr nach gebräunten Machos, als nach einem weiteren Tag mit mir. Zwar belehrt sie mich bis zum Einchecken über die Liebe im Allgemeinen und die von Kasper im Speziellen, aber sie verabschiedet sich herzlich mit dem Versprechen bald anzurufen und spätestens an Weihnachten wieder hier zu sein.

„Holst du mich wieder ab?“, sieht sie mich mit diesem Kleinmädchenblick an und ich nicke grinsend. Schließlich bin ich Taxifahrer, da kann ich wohl meine Schwester vom Flughafen abholen.

„Ich liebe dich, Enzo.“

„Und ich dich, Lalu.“

„Nenn mich nicht so“, schimpft Laura halbherzig und ich drücke sie noch einmal. Das kleine, glückliche und empathische Mädchen fehlt mir, aber ich habe es aufgegeben, nach ihm zu suchen. Keine Ahnung was Laura so verändert hat, aber sie ist und bleibt meine Schwester. Ob sie nun nervt oder nicht.

 

Meine Rückfahrt gestaltet sich wesentlich leichter. Zwar scheinen mal wieder alle gleichzeitig den Flughafen zu verlassen, aber wenigstens kann ich jetzt das Radio aufdrehen, lauthals mitsingen und den restlichen Abend friedlich verbringen.

Es geht nur schleppend vorwärts und ich habe jede Menge Zeit meine Umgebung zu beobachten. Hinter mir streitet sich ein Pärchen. Vielleicht über die plärrenden Kinder am Rücksitz? Vielleicht macht sie aber auch ihren Liebsten für den Stau verantwortlich? Jetzt schweigen sie und jeder starrt in die jeweils andere Richtung. Langweilig. Im Auto vor mir, passiert auch nicht viel, dafür mache ich ein paar Wagen weiter die Bushaltestelle aus und bin ehrlich überrascht, den Touristen noch immer dort zu sehen. Bibbernd und sicher mit klappernden Zähnen. Ich war bestimmt eine gute halbe Stunde unterwegs und die Busse fahren hier doch ständig. Ob die ihn nicht mitnehmen, weil er wie ein Irrer wirkt? Wer trägt denn schon Sommerkleidung, während die Temperaturen knapp unter null Grad liegen? Ich könnte den heißen Feger einfach ein Stück mitnehmen und ihn an einem Taxistand absetzen. Oder er ist ein wirklich Irrer, hofft mit diesem Aufzug ein williges Opfer zu finden und meuchelt mich im Anschluss.

„Spinner“, bescheinige ich mir selbst, setze den Blinker, fahre langsam in die Haltestelle und lasse das Seitenfenster hinunter. „Falsches Land erwischt?“, grinse ich freundlich.

„Verpiss dich“, zischt der junge Mann, fixiert mich einen Moment mit dunklen Augen und wendet den Blick dann ab.

„Ich fahre in die Stadt. Könnte dich mitnehmen“, bin ich versöhnlich. Wer weiß wie lange der Arme da schon steht, keine Wunder, dass er auf blöde Witze verzichten kann.

„Ich habe kein Geld und ich verkaufe mich nicht.“ Lachend schüttle ich den Kopf, öffne die Tür und fordere ihn auf einzusteigen. „Oder willst du dir den Tod holen? Liegt sowieso auf meinem Weg und ich verspreche, dass ich mich nicht uneingeladen über dich her mache.“ Misstrauisch mustert er erst mich, dann den Wagen, aber die Kälte treibt ihn dann doch ins Innere. „Gute Wahl, wohin darfs gehen?“

„Einfach weg von hier und lass dir Zeit.“ Die Hände hält er vor das Heizungsgebläse und ich komme nicht umhin, die langen Finger zu bewundern. Ich mag schöne, gepflegte Hände und beides kann der Hübsche vorweisen. Der Rest ist auch nicht wirklich zu verachten, aber wahrscheinlich hat er gerade anderes im Kopf, als sich mit meiner Anmache rumschlagen zu wollen. Ich sage nichts, grinse zufrieden vor mich hin und inhaliere heimlich diesen fremden Geruch, der sich viel zu schnell in meinem Wagen ausbreitet. Es ist nicht so, dass ich viel zu lange keinen Sex hatte, aber ich mag Bettsport viel zu sehr, um darauf zu verzichten. Wobei der Eiszapfen neben mir vielleicht gar nicht auf Männer steht und ich bin sicher, Sex steht im Moment ganz unten auf seiner Liste.

„Enzo“, sage ich freundlich und halte ihm meine Hand hin. Wieder blicken die dunklen Augen mich skeptisch an, bis er doch einschlägt. „Siehst gar nicht aus, wie ein Italiener“, murmelt er.

„Bin ich auch nicht“, gebe ich lachend zu. „Laurenz, aber Enzo ist mir lieber.“ Der Fremde nickt nur, macht keine Anstalten sich auch vorzustellen. Doch ein Meuchelmörder? Oder nur damit beschäftigt warm zu werden, in die Stadt zu gelangen und mich los zu werden. Ich seufze innerlich. Wer nicht will, der hat schon. Außerdem spielt es keine Rolle, der Mann hat zwar etwas, aber ich muss nicht immer bekommen, was ich gerne haben möchte.

„Ich bin Akay“, rückt er nach einer Weile doch raus.

„Schön dich kennen zu lernen.“ Während ich ihn anlächle, bleibt Akays Mine verschlossen. Schade eigentlich, ich glaube ein Lächeln könnte ihn noch heißer machen. Am Ende wohl besser, wenn ich ihn nicht zu scharf finde.

„Nimmst du öfter Fremde im Auto mit?“, will er wissen, als er die ärgste Kälte vertrieben hat.

„Ständig“, grinse ich.

„Du lügst doch.“

„Nein. Ist mein Beruf, aber normalerweise wollen die Leute in meinen Wagen steigen und bezahlen im Anschluss.“

„Und wo versteckst du dein Taxischild?“, murrt Akay.

„Ist mein Privatauto, kein Schild. Aber morgen früh um sieben beginnt meine Schicht.“ Ich krame in meiner Hosentasche, ziehe eins der Feuerzeuge heraus, die uns der Chef für den Fall der Fälle mitgegeben hat und halte es Akay hin. Fragend sieht er mich an, dann das Feuerzeug, nimmt es schließlich und versenkt es in der Umhängetasche.

„Ich laufe nicht immer so rum. War in der Türkei und wollte mich am Flughafen wetterfest anziehen.“

„Aber?“, hake ich nach, weil ich mehr wissen möchte und ich seine Stimme viel zu angenehm finde.

„Die haben meine Koffer verbummelt und meine Geldtasche steckt in der dicken Daunenjacke.“

„Die in deinem Koffer ist.“

„Richtig. Bescheuert oder?“, fragt er und lächelt das erste Mal. Steht ihm ausgesprochen gut und ich muss schon höllisch aufpassen, nicht mein Aufreißer-Lächeln aufzusetzen. Ich bin mir sicher, dass dieser Kerl auf Frauen steht. Die reinste Verschwendung, aber nicht zu ändern.

„Scheiße passiert, wie schon Forrest Gump sagte. Und du hattest Glück, heute Abend ist ein Retter unterwegs.“

„Ich brauche keinen Retter“, schnaubt er und sieht mich abschätzig an. Ich könnte es auf einen Streit ankommen lassen, aber dafür fehlt mir der Nerv.

„Natürlich nicht“, lüge ich schamlos. Sicher hätte es Akay selbst nach Hause geschafft. Irgendwann, von einem Rettungswagen aufgesammelt und nach einer langen Nacht im Krankenhaus. Wenn er Glück gehabt hätte.

„Ich meine das Ernst. Ich wäre schon nach Hause gekommen.“

„Klar. Weiß ich“, erwidere ich und vermeide es ihn anzusehen. Dieser störrische, aufmüpfige Blick ist zu viel für meine untere Körperregion. Der Kerl gehört übers Knie gelegt, um ihn zur Vernunft zu bringen. Aber nicht von mir, unter keinen Umständen. Der bevorzugt Frauen, Enzo, keinen kräftigen Kerl, der ihm zeigt, wo es langgeht. Außerdem wäre ich für den Job der Falsche, ich kann, will aber nicht ständig dominant sein und Akay wirkt so, als bräuchte er öfter mal eine gehörige Tracht Prügel.

„Deine Worte triefen vor Sarkasmus“, kommt er einfach nicht runter. Nannte ich Laura jemals schwierig? Ich nehme alles zurück.

„Keinen Bock auf Streit, klar? Ich bringe dich nach Hause, bewahre dich vor dem Erfrierungstod und alles ist gut. Ich erwarte nicht mal einen Dank.“

„Wie großzügig! Ein echter Held und ein Ritter in glänzender Rüstung“, stichelt Akay weiter, aber er weiß nicht, dass ich an Wochenenden schon mit viel schlimmeren Leuten zu tun hatte. Ich grinse gestellt, drehe das Radio wieder lauter und trommle mit meinen Fingern den Takt auf das Lenkrad. Akay verhält sich ruhig, wirft mir nur ab und an ein paar böse Blicke zu. Gut so, er ist zwar heiß, hat aber definitiv viel zu viele Probleme.

„Wohin genau?“, frage ich, als der Stau sich in Innenstadtnähe aufzulösen beginnt.

„Moosweg 5a. Das ist…“

„Weiß ich“, unterbreche ich ihn. Ist schließlich mein Job und die Villengegend kennt auch sonst jeder Idiot aus der Umgebung. Dieser Akay sieht nicht nach reichem Schnösel aus, sein Verhalten allerdings deckt sich mit seinem Wohnort. Klar, oft sind Klischees einfach nur das, aber auch in ihnen steckt meist ein Körnchen Wahrheit. Ich drehe die Lautstärke des Radios nicht mehr hoch, bin aber auch nicht scharf auf eine Unterhaltung. Ich will den Kerl bloß schnell loswerden, nach Hause und mich vor den Fernseher setzen. Ein bisschen seichte Unterhaltung, einschlafen und das vergangene Wochenende hinter mir lassen. Zuviel Trubel und anstrengende Menschen, morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder besser aus.

„Danke“, fühlt sich mein Fahrgast doch bemüßigt zu sagen, als er aussteigt.

„Schon gut“, murre ich, setze den Blinker, aber Akay zögert, bevor er die Türe zuwirft. Glücklicherweise sagt er nichts mehr und entlässt mich wieder in mein normales, friedliches Leben. Was für ein Glück.

 

„Morgen Enzo! Ich hab da was für dich“, ruft Janine aus dem Büro, als ich die Garage betrete.

„Ein Küsschen, Kaffee und ganz viel Zuckerzeug?“, frage ich hoffnungsvoll.

„Besser.“

„Dein Bruder ist doch zu haben?“

„Ich habe keinen Bruder“, tut sie genervt, lächelt dann aber.

„Du hättest einen finden können.“

„Heute Morgen war ein Arzt hier und hat mich gebeten, dir das zukommen zu lassen“, ruckelt sie anzüglich mit den Augenbrauen. „Ein sehr charmanter Hingucker.“

„So jemanden kenne ich nicht“, zwinkere ich, reiße das Kuvert auf und staune nicht schlecht, als ich ein paar Scheine rausziehe. Dahinter eine schlichte weiße Karte, auf dem das Wort Danke steht.

„Sag schon, wer bezahlt dich da heimlich?“

„Keine Ahnung“, zucke ich die Schulter, aber natürlich ahne ich bereits, wer sich auf diese Weise ein reines Gewissen erkaufen will. Ich ziehe die Karte heraus, drehe sie um und mein Verdacht bestätigt sich. Dr. med. Akay Demir. Ein Arzt also, wunderbar, erklärt auch die gute Wohngegend.

„Wo hast du dir einen Arzt aufgerissen?“, hakt Janine nach und ich erzähle ihr knapp vom gestrigen Abend. „Vielleicht hast du Glück und du triffst ihn nochmal, bei dem Gehalt kannst du bei ihm als Chauffeur anheuern.“

„Da bleibe ich doch lieber bei dir und deinem Vater. Danke fürs Überbringen“, halte ich den Umschlag hoch und mache mich an die Arbeit. Warum mich das Trinkgeld so wurmt, ist mir klar, was ich dagegen zu tun gedenke noch nicht. Behalten will ich es auf keinen Fall, also bleibt nur Zurückbringen oder spenden und die nächsten Stunden habe ich genug Zeit, darüber nachzudenken.

 

Kapitel 2 - Akay

„Gut, dass du wieder da bist“, freut sich mein Kollege und klopft mir im Umkleideraum auf die Schulter. „Wie war der Urlaub?“

„Ging so“, sage ich knapp, dabei war es schön meine Eltern zu sehen, die Wärme der Sonne zu genießen, nur das Nachhausekommen hat sich als äußerst unangenehm herausgestellt. Wäre der Taxifahrer nicht gewesen, hätte mich bald der nächste Rettungswagen einsammeln können. Ich wäre dem Gespött der Kollegen ausgesetzt gewesen und die Schwestern und Pfleger hätten mich bestimmt nicht mehr ernst genommen.

„Klingt nicht nach dir, normalerweise bist du entspannt, erholt und voller Energie, wenn du vom Heimaturlaub kommst“, bemerkt Stefan scharfsinnig wie immer und hängt seinen Kittel in seinen Spind. „Die Reise war anstrengend, habe heute Nacht kaum ein Auge zu bekommen“, murmle ich und denke unweigerlich wieder an den Mann von gestern Nacht. Enzo. Ein heißblütiger Name, der Kerl dahinter scheint mir aber eher ein beherrschter, friedliebender Mensch zu sein. Nicht, dass es mich auch nur im Ansatz interessieren würde. Ich habe ihn heute Morgen für seine Dienste bezahlt und jeder kann wieder seines Weges gehen.

„Anna macht heute die Visite mit uns“, grinst Stefan und ich erwidere es. Besser sich mit hübschen Krankenschwestern die Gedanken zu füllen, als mit sexy Taxifahrern.

„Absacker“, frage ich Stefan, nach Schichtende. Hat sich bei uns irgendwann eingebürgert. Abschalten bei einem Bier, über Frauen und Fußball reden und eine Stunde später mit leerem Kopf ins Bett und ausschlafen.

„Hab eine neue Kneipe aufgetan, als du weg warst.“

„Mit wem hast du mich betrogen? Reinhard?“

„Gott!“, ruft er aus und schüttelt sich. „Ein Genie im Job, aber mit einer ausgeprägten sozialen Störung.“

„So wie der Baumgartler aus der Neuro. Die würden ein schönes Paar abgeben“, lache ich.

„Sagt der schwule Türke.“

„Ich bin nicht schwul, klar? Man kann andere Männer attraktiv finden und trotzdem hetero sein.“

„Klar, kann man. Du nicht.“

„Hast du darüber im Treppenhaus nachgedacht, weil du keinen Aufzug benutzen kannst?“, hacke ich auf seiner Angst herum, weil mich seine Unterstellung ankotzt.

„Ich benutze den Aufzug!“

„Wenn es unvermeidbar ist.“

„Aber ich leugne es wenigstens nicht.“

„Ach und was war das gerade vorhin, oder habe ich mich verhört?“

„Sicher, dass es nur eine Laus war, oder hat ein ganzer Elefant auf deinen Eingeweiden getanzt?“

„Natürlich bin jetzt ich wieder schuld. Wer musste denn mit den Gehässigkeiten anfangen?“

„Wir brauchen dringend ein Bier gegen den Stress, lass uns gehen.“ Ich nicke, aber ich weiß, dass mir ein Bier nicht weiterhelfen wird und auch wenn ich es während der Arbeit nicht an mich rangelassen habe, geht mir der Nichtitaliener nicht mehr aus dem Kopf. Sogar auf dem Weg zur Kneipe, versuche ich ihn in jedem Taxi zu sehen. Völlig verrückt, vielleicht sollte ich mich mal in der Psychiatrie durchchecken lassen. Nur für alle Fälle.

Die neue Kneipe ist klein, wirkt gepflegt und ist trotz der frühen Stunde gut besucht. Die Musik läuft nur leise im Hintergrund und ich folge Stefan an einen der wenigen freien Tische. Kaum am Tresen vorbei, bleibt mein Blick wie von selbst an einem kurzgeschorenen Hinterkopf hängen. Kein Zweifel, wen ich sehen würde, wenn er sich umdreht. Mein Mund wird staubtrocken und Stefan lacht sich schlapp, weil ich mitten im Lokal stehe und einen anderen Kerl anstarre, aber wenigstens holt er mich auf die Erde zurück.

„Halt die Klappe“, blaffe ich ihn an, rücke den Stuhl zurecht und lasse mich wie ein nasser Sack darauf fallen. Nur nicht hinsehen, dann wird das schon. Was ist schon dabei? Er ist ein Kerl, so wie Stefan, nur, dass ich diesen Enzo weniger leiden kann. Warum mein Körper so absurd reagiert verstehe ich nicht und will es nicht hinterfragen. Ja, ich hatte mal was mit Männern. Ich war jung, wollte mich ausprobieren, aber ich bin definitiv hetero. Ich mag wohlgeformte Frauen, mag Kurven, ihre Verletzlichkeit, ihr Bedürfnis sich anzulehnen und zu mir aufzuschauen.

„Ein Verflossener?“, stichelt Stefan und mürrisch schüttle ich den Kopf. „Ah, ein Aktueller? Betrügt er dich etwa mit dem Typen da?“

„Klappe. Er ist der Taxifahrer.“

„Dein Held in einer kalten Winternacht.“

„Halt deine Klappe!“ Stefan lacht nur. Arschloch, aber wehe man hackt so auf ihm rum.

„Ein bisschen Spaß muss schon sein. Dafür geht die Runde auf mich.“ Stefan klopft mir auf die Schulter und steht auf, um uns was zu trinken zu besorgen. Inzwischen könnte ich ja einen weiteren Blick…scheiße! Er sieht mich direkt an. Seine außergewöhnlich roten Lippen zu einem feinen Strich verzogen und die Augen verengt. Dann steht er auf und kommt direkt auf mich zu. Hilfesuchend sehe ich mich nach Stefan um, aber der ist mit der Bardame beschäftigt. Typisch!

Aber wovor fürchte ich mich? Ich habe nichts falsch gemacht, schließlich habe ich Enzo ein ordentliches Trinkgeld gegeben für seine Mühen. Gut, ich hätte freundlicher sein können, aber es war eine Ausnahmesituation.

„Herr Doktor“, begrüßt er mich abschätzig und lässt einen Umschlag auf den Tisch fallen. Nein, es ist der Umschlag. Die Dankeskarte und das Geld.

„Ähm…Enzo…richtig?“, versuche ich es nicht mal mit Freundlichkeit. Welches Problem der Typ mit mir auch haben mag, mit Nettigkeiten werde ich es bestimmt nicht aus der Welt räumen. Seine Lippen verziehen sich zu einem abfälligen Lächeln.

„Ich hatte vor die Kohle zu spenden, aber wie es der Zufall will, kann ich es dir zurückgeben.“

„Es war als Dankeschön gedacht.“

„Du denkst, du könntest dir ein reines Gewissen kaufen? Nicht mit mir Freundchen. Ein Arschloch bleibt ein Arschloch.“

„Der Meinung bin ich auch“, pflichtet Stefan ihm bei, drückt mir ein Glas in die Hand und stellt sich bei Enzo vor. „Ich bin Arschlochs Arbeitskollege, aber zu seiner Verteidigung ist zu sagen, dass er die meiste Zeit ein feiner Kerl ist.“ Enzo schnaubt und es ist klar, dass er Stefan kein Wort glaubt. „Setz dich zu uns, dann kann ich den Beweis antreten und du lässt mich gefälligst nicht hängen“, wendet er sich schmunzelnd an mich.

„Vielen Dank, aber ich bin mit Freunden hier.“ Enzo deutet hinter sich, unweigerlich folgt mein Blick der Handbewegung. Seine Freunde beobachten uns ungeniert. „Mehr Leute, mehr Spaß.“

„Du kannst dich gern zu uns gesellen, wenn du seiner überdrüssig bist“, lächelt Enzo Stefan an und es wurmt mich. Dabei will ich gar nichts von Männern! Kein Lächeln, keine Aufmerksamkeit, keine Zärtlichkeit. Ich bin straight!

„Kein Wunder, dass er dir gefällt. Von dem würde ich mich auch abschleppen lassen.“

„Klappe“, seufze ich. In Zukunft gehen wir einfach wieder woanders hin.

„Hast du den Ohrring gesehen? Sehr verwegen“, raunt mein Gegenüber. Natürlich ist mir der scheiß Ohrring aufgefallen, der Dreitagebart, die roten Lippen, die graublauen Augen und das neckische Blitzen in ihnen. Dinge, die mir nicht auffallen sollten.

„Er hält sich für zu gut für diese Welt.“

„Etwas, das ihr vielleicht gemeinsam habt?“

„Können wir über Anna reden?“

„Was interessieren dich ein paar Titten mit Silikonimplantaten?“

„Bitte!“

„Schon gut, aber ich denke, du musst über einiges nachdenken.“

„Was hältst du von dem neuen Notarzt?“

„Ich hab’s kapiert okay?“, lacht Stefan und lenkt mich mit dem üblichen Tratsch ab. Trotzdem erwische ich mich immer wieder, wie ich zu dem vermeintlichen Helden schiele. Er ist nicht besonders muskulös, aber seine aufrechte und zugleich lockere Körperhaltung verrät, dass er völlig mit sich im Reinen ist. Er strahlt Stärke, Kraft und Lebensfreude aus. Egal. Wir werden uns nicht wiedersehen.

Kapitel 3 – Enzo

„Ich kann doch gehen“, wehre ich mich heftig gegen den Rollstuhl in dem der Sani mich ins Krankenhaus befördern will. Ist doch nur meine Hand, verdammt!

„Hörst du jetzt wohl auf und lässt die Männer ihre Arbeit tun“, schimpft Janine mit schriller Stimme. Ihr schweres Atmen und der hochrote Kopf bringen mich dazu aufzugeben. Vorerst, sie kann ja nicht ewig bei mir bleiben. Während mich die Sanis den Gang zur Notaufnahme runterbringen, weisen sie Janni an, mich anzumelden. Als hätten die das nicht schon während der Fahrt getan, clevere Jungs.

„Wenn sie mir nur so aufs Wort gehorchen würde“, lache ich leise.

„Macht die Uniform.“

„Ah, der Job wär mir zu stressig.“

„Sagt der Taxifahrer, der mit einem Messer attackiert wurde.“

„Auch wieder wahr.“ Die große Tür in den Behandlungsraum geht wie von Geisterhand auf und als ich den Doktor erblicke, würde ich am liebsten aufspringen und wieder verschwinden. Allerdings stellen die Sanis und Janine derzeit ein unüberwindbares Hindernis dar.

So eine Kacke auch, an den hatte ich schon gar nicht mehr gedacht, aber wenigstens sieht er ebenso wenig erfreut aus. Dann haben wir es sicher beide schnell hinter uns. Die Schwester nimmt auf seine Aufforderung hin den provisorischen Verband ab, spült die Wunde aus und Dr. Arschloch besieht sich die Schererei.

„Das muss genäht werden, können Sie Ihre Finger bewegen, Herr Grünwald?“

„Wusste nicht, dass wir uns siezen“, trieze ich den Doc, während ich meine Finger und dann die Hand bewege. Ich kann förmlich spüren, wie sich dabei die Schweißperlen auf meiner Stirn bilden.

„Wir werden Sie örtlich betäuben, dann nähe ich die Wunde. Haben Sie sonst noch Schmerzen von dem Kampf?“

Natürlich! Ich meine, wer hätte die nicht? „Nein, alles gut.“ Was ist bloß los mit mir? Warum muss ich mich vor dem Kerl so zum Affen machen?

„Kopfschmerzen? Schwindel? Übelkeit?“

„Nein, sagte ich doch.“ Doc Arsch leuchtet mir mit seiner fiesen kleinen Taschenlampe in die Augen. „Lügen Sie mich an, Herr Grünwald?“

„Ja.“ Ich schließe die Augen, besinne mich. Hier geht es nicht um zwischenmenschliche Befindlichkeiten, sondern um meine Gesundheit und der Arsch ist nun mal Arzt und kann mir helfen. Hoffentlich, sonst…

„Gut. Was tut ihnen weh?“

„Der Kopf, von dem Schlag. Ein bisschen schwindlig und die Rippen, hier“, sage ich widerwillig und deute auf meine linke Seite. Kaum, dass die Worte über meine Lippen kommen, legen sich seine Hände auf meinen Oberkörper und ein scharfes Zischen kann ich mir nicht verkneifen. Docs Lippen umspielt für einen Moment ein feines Lächeln, oder bildet sich das mein schmerzendes Hirn bloß ein? Er hebt mein Shirt hoch, legt seine Finger auf meine Haut und trotz der Handschuhe, kann ich die Hitze spüren. Das ist doch nicht normal!

„Ich glaube, mein Hirn hat ziemlichen Schaden genommen“, erkläre ich im Brustton der Überzeugung. Wieder leuchtet er mir in die Augen und lächelt nun wirklich.

„Ihrem Hirn geht es soweit gut, wir nähen jetzt Ihre Wunde, danach röntgen wir Ihre Rippen und sehen uns das genauer an.“

„Bist du sicher?“

„Womit?“ Akays Lippen verziehen sich zu einem spöttischen Lächeln.

„Dem Kopf.“