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KONFLIKTSCHMIEDE – Ins flammende Herz Ihres Romans Konflikte sind der Herzschlag jeder guten Geschichte, das Feuer für Ihre Romane, Drehbücher, Games. Wie aber machen Sie sie so spannend, dass Leser das Buch nicht mehr aus der Hand legen? KONFLIKTSCHMIEDE liefert Ihnen Werkzeuge, um packende Geschichten zu entwerfen, die unter die Haut gehen. Dazu Schreibtipps, die Sie nirgendwo sonst finden, seitenweise Inspiration und eine unterhaltsame Schreibe – damit das Hinzulernen Ihnen auch Spaß macht. Im Fokus stehen Konfliktstoffe – insbesondere deren Faktoren: Motive, Ziele, Widerstände – und Konfliktkonstellationen – die Art, wie Figuren aneinandergeraten, sich bekämpfen oder gemeinsam untergehen. Von »Figur gegen sich selbst« über »Figur gegen das System« bis hin zu »Konflikt gegen Konflikt«: Dieses Buch zeigt Ihnen, welche Möglichkeiten Ihnen jede der Konstellationen gibt – und wie Sie sie meisterhaft nutzen, kombinieren, unterlaufen. KONFLIKTSCHMIEDE ist auch ein Nachschlagewerk über mehr als ein Dutzend der gängigen Konstellationen und einigen, die Sie noch nicht auf dem Schirm haben. Bei jedem neuen Projekt können Sie es wieder zur Hand nehmen. Mit vielen, vielen Beispielen aus erfolgreichen Romanen, Filmen und Serien zeigt KONFLIKTSCHMIEDE Ihnen anschaulich, wie Sie Konflikte aufbauen und eskalieren. Praxisnah, unterhaltsam und direkt anwendbar – von einem Autor für Autoren, neue Ideen wollen statt alten Theorien. Gerade Profis werden eine Menge Neues erfahren und Anregungen erhalten, um noch bessere Romane zu schreiben. Egal, ob Sie Ihre Figuren durch die Hölle schicken oder ihre Beziehungen bis zum Zerreißen spannen – in KONFLIKTSCHMIEDE finden Sie das Handwerkszeug für dramatische, unvergessliche Geschichten. Schreiben Sie sie. Ich wünsche gutes Gelingen. Stephan Waldscheidt
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 488
Veröffentlichungsjahr: 2025
Stephan Waldscheidt
KONFLIKTSCHMIEDE
Konfliktstoffe und dramatische Konstellationen:
Von inneren Abgründen bis zur Zerstörung des Systems
(Meisterkurs Romane schreiben)
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Willkommen: Das steht drin
Inhaltsverzeichnis
Willkommen: Das steht drin
Das flammende Herz Ihres Romans
Konfliktstoff
Entflammbarkeit, Konfliktpotenzial und Sujet
Sujet
Entflammbarkeit
Konfliktpotenzial
Motiv und Ziel
Widerstand
Hindernisse
Aktionen des Antagonisten
Konfliktkonstellationen
Konfliktkonstellationen und Figurenentwicklung
Leser-Engagement durch Konfliktkonstellationen
Konfliktkonstellationen und Erzählperspektive
Konfliktkonstellationen und Genre
Figur gegen sich selbst: Innere Konflikte
Entwicklung, Eskalation und Auflösung innerer Konflikte
Innere Konflikte in den populärsten Genres
Innere Konflikte und Erzählperspektive
Schreibtechniken zur Darstellung innerer Konflikte
Figur gegen Figur
Die wichtigste Verbindung
Protagonist gegen Antagonist (zentraler Konflikt)
Figur gegen Beziehungsfigur (Beziehungskonflikt)
Figur gegen widrige Umstände
Figur gegen die Welt
Figur gegen das Schicksal oder Gott
Figur gegen das Übernatürliche
Figur gegen die Natur
Figur gegen die Technik
Figur gegen den Schauplatz (die Welt selbst)
Figur gegen das System (Gruppe, Organisation, Gesellschaft)
Weltsicht gegen Weltsicht (Wertekonflikte)
Gruppenkonflikte
Gruppe gegen Gruppe
Innere Konflikte in Gruppen
Komplexe Konflikte mit mehr als zwei Parteien
Story gegen Backstory
Text gegen Subtext
Leser gegen Story
Konflikt gegen Konflikt
Autor gegen alle
Fazit und Ausblick
Dank, gebührend
Der Waldscheidt
Impressum
Autorenberatung und Schreibratgeber
Das flammende Herz Ihres Romans
Bilbo gibt Gandalf bereitwillig den Ring und dieser spaziert nach Mordor und schmeißt ihn in den Vulkan, unbehelligt von Sauron, der beschlossen hat, Optiker für Einäugige zu werden. Frodo bleibt im Auenland, heiratet und betreibt eine erfolgreiche Gärtnerei in Hobbingen. Das Epos endet mit einem ausgelassenen Mittsommerfest, bei dem Sam beinahe einen über den Durst trinkt. (»Der Schwippschwager der Ringe«).
Walter Whites Krankenversicherung deckt die Kosten seiner Behandlung und er besiegt seine Krankheit. Er bleibt Chemielehrer, bringt seine Schüler zu regionalen Wissenschaftswettbewerben, geht mit 65 friedlich in Rente und entspannt beim Golf. Ehefrau Skyler eröffnet ein Café, und die Familie lebt glücklich bis ans Ende ihrer Tage. (»Breaking in Bed«)
Rose und Jack lernen sich auf der »Titanic« kennen und werden von Roses Familie herzlich begrüßt. Cal ist völlig einverstanden mit der Beziehung, da er selbst jemand anderen liebt. Die »Titanic« erreicht sicher und pünktlich New York. Jack und Rose ziehen in ein gemütliches Apartment in Brooklyn, wo Jack als Maler und Rose als Tänzerin arbeitet. Sie besuchen sonntags regelmäßig ihre Freunde von der »Titanic« und feiern jedes Jahr ein großes Schiffswiedersehen. Der verpasste Eisberg trotzt dem Klimawandel und setzt sich irgendwo in der Beringstraße zur Ruhe. (»Titanichtspassiert«)
Drei der eindringlichsten, besten und erfolgreichsten Romane, Serien, Filme aller Zeiten? Nö.
Ein Roman, ein Drehbuch, ein Film, eine Serie – sie bestehen aus Konflikten. Auch Ihr aktuelles Werk. Und nein, fehlende Konflikte können nicht durch meisterhaftes Schreiben anderer Aspekte der Story ausgeglichen werden.
Nein, echt nicht.
Das gilt insbesondere dann, wenn Sie eine dramatische Geschichte erzählen möchten, ob als Roman, Drehbuch oder Game. Konflikte – und der verkörperte Konflikt: der Antagonist – sind es, die Ihren Protagonisten zu seiner notwendigen Veränderung zwingen, damit er am Ende sein wahres Bedürfnis erfüllt.
Zu wenig Konflikt heißt auch: Falls Sie den Helden dann doch ändern, ihn etwas lernen, sie etwas begreifen lassen, wird diese Veränderung von Ihren Lesern als unverdient oder unglaubhaft empfunden.
In den folgenden, komplett unbekannten Werken hat sich der Protagonist kein bisschen verändert – weil ihn keine Konflikte dazu gezwungen haben. Darum kennen Sie auch diese Werke nicht ...
Gregor Samsa wacht wie gewohnt auf, isst ein schnelles Frühstück und geht zur Arbeit. Er bleibt der pflichtbewusste Ernährer der Familie, ohne je an seiner Rolle oder seinem Wert zu zweifeln. Am Ende freut er sich über eine Gehaltserhöhung, die er seinem Chef abgerungen hat, und setzt den kleinen Käfer auf seinem Schreibtisch behutsam raus auf die Fensterbank, froh, kein Käfer zu sein.
Schindler bleibt ein wohlhabender Unternehmer, der das Grauen des Holocausts ebenso ignoriert, wie das viele seiner kriegsgewinnlerischen Kollegen tun. Er führt ein erfolgreiches Unternehmen, macht eine Menge Geld und lebt in der neuen BRD ein Leben im opportunistischen Luxus.
Scrooge, kaltherzig wie immer, ignoriert Bob Cratchits Probleme, feiert kein Weihnachten und stirbt alt und allein. Die drei Geister der Weihnacht spielen wie immer am Festtage Skat, jeder lässt den anderen gewinnen. Als einer anregt, Scrooge zu besuchen, sagt ein anderer: »Lass mal, Alter, diesen Knacker änderst du nicht mehr.«
Wie Konflikte funktionieren und aufgebaut sind und aus welchen unverzichtbaren Faktoren sie bestehen, haben wir uns in »Feuer und Flamme« detailliert angesehen. In dem Buch, das Sie gerade in Händen halten, gehen wir den nächsten Schritt, um in Ihrem Roman oder Drehbuch Konflikte zu spannendem Drama zu schmieden und Ihr Werk zu einem für Ihre Leser unvergesslichen Lesevergnügen zu machen.
Dazu betrachten wir das Herz jedes Konflikts: den Konfliktstoff. Das ist eine Art Konflikt in Ruhe und unter anderem die Grundlage für Suspense. Klingt ziemlich cool und verdammt wichtig.
Spoiler: Das ist er auch.
Ein Beweis dafür ist die lange Eröffnungsszene von Tarantinos »Inglourious Basterds« (USA 2009), ein Meisterwerk der Suspense. Hans Landa, ein SS-Offizier, besucht einen Bauernhof und plaudert scheinbar freundlich mit dem Bauern. Der Zuschauer weiß jedoch, dass Landa nach versteckten Juden sucht – und die Kamera enthüllt, dass die Familie tatsächlich unter den Dielen des Hauses versteckt ist.
Ein Konflikt bricht zunächst nicht aus. Landa und der Bauer unterhalten sich bloß. Doch das, was da schwelt und eben jederzeit entflammen könnte, ist der Konfliktstoff. Das heißt: Es ist fast alles da für einen Konflikt. Es fehlt nur noch der Funke ...
Im ersten Teil dieses Buchs geht es um die notwendigen Komponenten des Konfliktstoffs. Im zweiten und umfangreichsten Teil des Buchs widmen wir uns einer dieser Komponenten: den Konfliktkonstellationen.
Wenn Tom Cruise gegen die Machenschaften der »Firma« angeht, haben wir die Konstellation Figur gegen System. Wenn Nora Seed in »Die Mitternachtsbibliothek« von Matt Haig von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln geplagt wird, weil sie glaubt, in ihrem Leben alles falsch gemacht zu haben – dann haben wir einen inneren Konflikt (die Konstellation Figur gegen sich selbst). Wenn Iron Man gegen Thanos kämpft, um das Universum zu retten, so haben wir die Konstellation Figur gegen Figur und Protagonist gegen Antagonist.
Diese und alle weiteren relevanten Konstellationen sehen wir uns in großer Breite und Tiefe an und veranschaulichen sie an Beispielen aus Romanen, Filmen, Serien – und Sie erfahren im Detail, welche dieser Konstellationen zu Ihrem Werk passen und wie Sie sie möglichst wirkungsvoll, dramatisch und emotional intensiv ein- und umsetzen.
Damit Sie schon beim Schreiben so viel Vergnügen an den Konflikten haben wie Ihre Leser.
Konflikte sind der beste Freund des Autors – weil sie der beste Freund der Leser sind. Dieses Buch könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.[Fußnote 1]
Los geht’s!
Konfliktstoff
Das Herz jedes Konflikts ist der Konfliktstoff. Konfliktstoff ist das entzündliche Material, der Brennstoff, mit dem Sie für Konflikte in Ihrem Roman sorgen.
In »Harry Potter und der Stein der Weisen« von J.K. Rowling lässt sich das Konzept des Konfliktstoffs besonders gut an der Konfrontation zwischen Harry Potter und Professor Quirrell/Voldemort im letzten Akt des Romans veranschaulichen.
Der Konfliktstoff insgesamt schwelt bereits im Hintergrund des gesamten Romans, da Harrys bloße Existenz eine Bedrohung für Voldemort darstellt und Voldemort umgekehrt die größte Gefahr für Harry ist. Harrys Ziel ist es zunächst, die neue Welt der Zauberer kennenzulernen und sich selbst zu beweisen. Später will er dann vor allem seinen Gegner bezwingen und überleben. Angetrieben wird er anfangs von dem Bedürfnis nach Selbstfindung, wobei unterschwellig der Schmerz um den Tod der Eltern durch Voldemort mitschwingt. Später dann ist es unter anderem sein Überlebenswille, der ihn antreibt. Doch Harry trifft auf Widerstände, vor allem auf Anhänger von Lord Voldemort, hier Voldemorts Handlanger Quirrell.
Damit der Konflikt ausbrechen kann, muss er entflammbar sein: Für diese Entflammbarkeit sorgen Harrys persönliche Geschichte – der Mord an seinen Eltern durch Voldemort – sowie die wachsenden Hinweise darauf, dass Voldemort noch nicht völlig besiegt ist. Auch Vorzeichen, die auf Voldemort hindeuten und damit auf ein Ausbrechen des Konflikts – etwa Snape als vermeintlichen Verdächtigen, die Hinweise im Verbotenen Wald und Hagrids ungewollte Informationen – erhöhen die Entflammbarkeit, sodass ein Ausbrechen des eigentlichen Konflikts am Ende zunehmend unvermeidlich erscheint. Mit der Entflammbarkeit steigt auch die Suspense.
Das Konfliktpotenzial beschreibt die Energie, die in einem Konfliktstoff steckt – seinen Brennwert oder seine Sprengkraft. Das Potenzial im Konflikt zwischen Harry und Voldemort ist sehr hoch. Objektiv ist es das von Anfang an. Doch die Leser und auch Harry haben eingangs noch nicht alle Informationen. So steigt das Potenzial zum einen in der Wahrnehmung der Leser und für Harry weiter, je mehr sie über den dahinterstehenden Streit zwischen gut und böse erfahren. Zum anderen steigt es objektiv, indem mehr Menschen in den Konflikt mit einbezogen werden, insbesondere Harrys neue Freunde. Denn auch wenn Harry am Ende alleine kämpft, hängt sehr viel mehr als sein Leben am Ausgang dieses Kampfes.
Sehen wir uns mal den Unterschied zwischen Konfliktstoff und Konflikt genau an und wie sie für Spannung und Suspense sorgen.[Fußnote 2]
Der Konflikt ist ein Aspekt der Story. Er ist der schon ausgebrochene Kampf in der Erzählgegenwart. Als einer der Spannungsfaktoren heizt er die akute Spannung in den Lesern an.
Auch der Konfliktstoff ist ein Aspekt der Story. Doch ist dieser Stoff einer der Faktoren von Suspense – und damit ein zentraler Bestandteil der Erwartung der Leser auf den Kampf in der Erzählzukunft.
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Konfliktstoff in der Story → Suspense in den Lesern
Konflikt in der Story → Spannung in den Lesern
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Damit nun aus einem Konfliktstoff ein Konflikt entbrennen kann, braucht es die richtigen Umgebungsbedingungen und es braucht einen Auslöser.
Eine fürs Ausbrechen günstige Umgebung ist bei Harry Potter die unterirdische Kammer, in der der Stein der Weisen verborgen liegt. Bis zum Eingreifen Dumbledores ist sie abgeschottet von jeglicher Hilfe, was Harry zwingt, sich seiner größten Bedrohung zunächst allein zu stellen.
Der Funke, der den Konfliktstoff schließlich entzündet – der Konfliktauslöser –, ist Harrys Erkenntnis, dass nicht Snape, sondern Quirrell der Verräter ist. Diese Enthüllung macht den Konflikt unausweichlich, da Harry nun direkt dem Feind gegenübersteht. Die Lage eskaliert, als Voldemorts Stimme aus Quirrells Körper dringt – ein endgültiger Beweis, dass er noch lebt – und ihn dazu zwingt, den Stein an sich zu bringen. Der finale Konflikt entfacht, als Harry den Stein in seiner eigenen Tasche findet – eine direkte Konfrontation zwischen ihm und Voldemort ist damit unvermeidbar.
Im Höhepunkt des Romans entbrennt der zentrale Konflikt in all seiner flammenden Pracht.
Bringen wir den Konfliktstoff auf eine einfache Formel:
Konfliktstoff
Jeder dieser Faktoren muss gegeben sein, damit aus dem Konfliktstoff ein Konflikt entbrennen kann – und damit der Konfliktstoff als Suspense in den Lesern wirkt. Nur dann fiebern sie dem Ausbrechen des eigentlichen Konflikts entgegen.
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In »Der Schatz der Sierra Madre« könnte das so aussehen: Der Konfliktstoff dort ist das Sujet (also das, worum es geht) »Goldschatz« mal Motiv »Gier« mal Ziel »reich werden« mal Widerstand »andere Schatzsucher« mal Entflammbarkeit »sehr hoch« mal Potenzial »hoch«.
Das Elegante und Nützliche der Formel sehen Sie etwa darin, dass Sie sofort erkennen, welche Faktoren Sie erhöhen können, um einen geringer ausgeprägten Faktor auszugleichen.
Der Konfliktstoff ist das Wesentliche in Ihren Konflikten und für Ihre Konflikte. Wenn wir die Faktoren genauer betrachten, wird deutlich, was ihn im Einzelnen ausmacht.
Da Plot nichts anderes ist als eine Abfolge von Konflikten und den Versuchen, sie zu lösen, ist es nur konsequent, dass Sujet, Motiv (Antrieb), Ziel und Widerstand zugleich die zentralen Faktoren des Plots sind: Jemand will etwas Bestimmtes haben (Ziel und Sujet) und etwas in ihm treibt ihn dazu an (Motiv) – also wird er aktiv, stößt dabei jedoch auf einen Widerstand.
In »Feuer und Flamme« haben wir die Faktoren Motiv und Ziel über die Vorgeschichte des Protagonisten hergeleitet und den unverbrüchlichen Zusammenhang zwischen Plot und Konflikt, mehr noch: deren Einheit.
Antrieb und Ziel geben genaueren Aufschluss, wer in den Konflikt verwickelt ist und auf welche Weise. Dazu betrachten wir vor allem zwei Dinge: Wer oder was da eigentlich aufeinanderprallt – die Konfliktkonstellation (in diesem Buch). Und in welchem Umfeld dies geschieht, insbesondere die Konfliktsituation (in einem anderen Buch).
Nicht jeder Konfliktstoff ist gleichermaßen entflammbar, auch brennt etwa Papier dramatischer als Eisen[Fußnote 3]. Daher sehen wir uns das Konfliktpotenzial und die Entflammbarkeit des Sujets, des Stoffes näher an.
In »Der Schatten des Windes« Carlos Ruiz Zafón ist der Konfliktstoff die Suche nach Wahrheit und Identität in einer von Geheimnissen umgebenen Welt. Held Daniels Ziel ist es, das Geheimnis um den Autor Julián Carax zu lüften. Angetrieben wird er von seiner Neugierde und dem Wunsch, ein literarisches Rätsel zu lösen. Dabei muss er sich gegen die finsteren Kräfte durchsetzen, die die Wahrheit verbergen wollen.
Hier wird gezeigt, wie ein geheimnisvolles Umfeld und ein klar formuliertes Ziel (die Suche nach Wahrheit) den Konfliktstoff bereichern und die Handlung vorantreiben.
In »Gone Girl« von Gillian Flynn ist der Konfliktstoff nicht das, wonach es in der ersten Hälfte des Romans aussieht. Denn der vermeintliche Mord, um den sich alles dreht, ist keiner. Der eigentliche Konfliktstoff ist die Beziehung der beiden Hauptfiguren Amy und Nick. Während Nick seine Unschuld am Verschwinden seiner Frau beweisen will, versucht Amy, ihn mit Hilfe eines ausgeklügelten Plans als Mörder erscheinen zu lassen.
Nicks Motiv ist vor allem die Selbsterhaltung – ihm droht die Todesstrafe – und das führt ihn zu seinem Ziel: die Wahrheit aufzudecken, denn er weiß ja, dass er Amy nicht ermordet hat.
Amys Plan aber ist so raffiniert, dass Nick sein Ziel nur schwer erreichen kann. Es ist insofern interessant, dass zunächst Amys Plan und ihr falsches Tagebuch als Manifestationen dieses Plans die eigentliche antagonistische Kraft sind, schließlich ist Amy ja vermeintlich Tod, wie die Leser glauben, und kann daher keine präsente und aktive Antagonistin sein.
Dieses Beispiel zeigt, wie falsche Fährten und Wendungen den Konfliktstoff verkomplizieren und Leser fesseln können, indem sie Erwartungen unterlaufen. Vor allem zeigt es das dramatisch Wunderbare an der Suspense wie am Konfliktstoff: Auch der falsche Konfliktstoff (Amy als Mordopfer) löst Suspense aus und hält die Leser gespannt in der Story!
In Andy Weirs »Der Marsianer« ist der Konfliktstoff der Kampf ums Überleben in der lebensfeindlichen Umgebung des Mars. Mark Watneys Ziel: Er will überleben und zur Erde zurückkehren. Sein Motiv ist das grundlegendste überhaupt, und auch, wenn die Umstände ganz anders sind als Nicks in »Gone Girl«, so ist es derselbe Überlebenstrieb, der Watney durch den Roman bringt. Der Widerstand selbst ist die maximal unpersönliche lebensfeindliche Umgebung des Mars und Watneys begrenzte Ressourcen.
Die Konfliktkonstellation (wer aufeinanderprallt) und die Konfliktsituation (das Umfeld) tragen das ihre zur Intensität des Konfliktstoffs bei. In »Der Marsianer« ist die Konfliktkonstellation Mensch gegen Natur besonders packend, weil sie in der extremen Situation des lebensfeindlichen Mars stattfindet.
Watneys Kampf illustriert, wie extreme äußere Umstände als Widerstand genutzt werden können, um Spannung und Identifikation zu erzeugen, selbst ohne klassischen Antagonisten.
In »Die Tribute von Panem« von Suzanne Collins ist der zentrale Konfliktstoff Katniss‹ Kampf ums Überleben in der Arena der Hungerspiele. Doch das Überleben ist nicht ihr wichtigstes Ziel. Vor allem will Katniss ihre Familie, insbesondere ihre jüngere Schwester Primrose schützen. Angetrieben wird Katniss von ihrer Liebe zu Primrose und dann, in der Arena, von ihrem Überlebenswillen. Doch die Widerstände sind enorm: so ziemlich jeder der Tribute der Hungerspiele.
Die Entflammbarkeit des Konflikts in den Spielen ist maximal: Konflikt mit den anderen Tributen erscheint unausweichlich. Doch es ist letztlich auch die Menschlichkeit von Katniss, von Rue, von Peeta, die die Entflammbarkeit verringern.
Das Potenzial dieser Konflikte in den Kämpfen ist groß. Doch da diese zwischenmenschlichen Konflikte eingebettet sind in ein unmenschliches System, können Sie das Potenzial leicht erhöhen: Aus den Kämpfen zwischen Jugendlichen erwächst eine Revolution, die die gesamte Gesellschaft erfasst.
Hier sehen wir, wie individuelle Konflikte (etwa die zwischen den Tributen) mit systemischen Konflikten (der Rebellion gegen das Kapitol) verknüpft werden können, um einen vielschichtigen Konfliktstoff zu schaffen.
Konfliktstoff könnte man auch Konflikt in Ruhe nennen – und wie wir oben gesehen haben, brauchen Sie keinen entflammten Konflikt, um in Ihren Lesern Suspense zu erzeugen. Dafür genügt es, wenn ein Konfliktstoff da ist und die Leser um ihn wissen.
In einer Schlüsselszene des Films »Parasite« (Südkorea 2019) verstecken sich die Protagonisten der verarmten Familie Kim unter einem Tisch der reichen Familie Park, in der man nichts von ihrer Anwesenheit ahnt. Die Zuschauer kennen die Gefahr, die Suspense hält an, bis die Gefahr vorüber ist. Sobald die Parks die Kims entdecken würden, würde sich die Suspense schlagartig in akute Spannung wandeln, aus dem Konfliktstoff wäre ein Konflikt entbrannt.
Noch mal, weil es so essenziell ist:
Konflikt ist ein Faktor von (akuter) Spannung.
Konfliktstoff ist ein Faktor von Suspense.
Da der Konfliktstoff wiederum ein Faktor von Konflikten ist, heißt das:
Ohne Konfliktstoff kann weder Spannung aufkommen noch Suspense.
Spannung im weitesten Sinne ist der Drang der Leser zum Umblättern. Ohne Konfliktstoff also kann Ihr Roman nicht funktionieren – und ohne starken Konfliktstoff wird er das nicht besonders gut.
Dann wollen wir uns mal ans Konfliktstoffeln machen ...
Konfliktstoffe (und damit auch entflammte Konflikte, da ja der Konfliktstoff ein Faktor des Konflikts ist) unterscheiden sich unter anderem in ihrer Entflammbarkeit (wie leicht sie ausbrechen) und ihrem Potenzial für dramatische Konflikte (wie stark sie eskalieren und wie anhaltend sie brennen können).
Beide Faktoren sollten Sie miteinander kombinieren, um die Spannung über die gesamte Geschichte hinweg aufrechtzuerhalten. Ein Konflikt, der sich leicht entzündet und ein hohes Potenzial zur Eskalation hat, kann eine Handlung intensivieren und die Leser oder Zuschauer emotional tief berühren.
Und das Sujet, um das sich der Konflikt dreht? Natürlich ist es wichtig – doch auf andere Weise, als Sie denken. Gleich mehr dazu.
Beispiel: Das Sujet ist das Wettrennen zu einem Asteroiden, der voller seltener, auf der Erde sehr begehrter Elemente steckt. Wer zuerst kommt, beutet die kostbaren Materialien aus.
Das Ziel für die Heldin ist, ihre relativ kleine Raketenfirma zu einem der Top-Player auf dem Weltmarkt zu machen. Angetrieben wird sie von ihrem Erfolgswillen. Jeder der drei anderen Wettbewerber ist ein Widerstand, Hindernisse sind die Kosten für das Projekt und die kurze Zeit, die für die Ausstattung der Rakete und für den Flug zum Asteroiden bleibt.
Mit Hilfe der Formel für den Konfliktstoff drehen Sie in jeder Szene an einer anderen Entflammbarkeitsschraube und justieren andere Regler fürs Konfliktpotenzial. Auf diese Weise eskalieren Sie beide Konfliktfaktoren nachhaltig – und die Leser erkennen das, sie spüren die Eskalation.
In Szene 3 machen Sie das Motiv leichter entzündlich, indem Sie es mit mehr Emotionen aufladen. Dazu zeigen Sie in einer Rückblende, wie der Vater der Heldin am Sterbebett zu ihr gesagt hat, sie solle ihn stolz machen.
In Szene 4 erhöhen Sie das Konfliktpotenzial des Sujets, indem Sie den Wettbewerbern neue Informationen über den Wert des Asteroiden geben. Nicht mehr nur zehn Milliarden Euro können mit einem einzigen Flug ausgebeutet werden, sondern hundert Milliarden.
In Szene 5 erhöhen Sie das Konfliktpotenzial des Widerstands, indem Sie wegen des wertvolleren Schatzes einen übermächtigen Wettbewerber in das Rennen einführen.
In Szene 6 erhöhen Sie die Entflammbarkeit des Konfliktstoffes, indem Sie in der Firma der Heldin die Polizei auftauchen lassen, weil sie der Steuerhinterziehung beschuldigt wird.
Und immer so weiter, in beliebigen Kombinationen ... Für die Leser ist diese Eskalation der Konfliktfaktoren und damit des Konflikts selbst deutlich spürbar. Umso gespannter lesen sie weiter.
In den nächsten Kapiteln sehen wir uns Sujet, Entflammbarkeit und Konfliktpotenzial im Einzelnen an, um Ihnen mehr konkretes Futter für die Arbeit an Ihrem Roman zu geben. Und weil Sie es sind, packe ich einfach noch ein paar Schippen Inspiration mit drauf.
Jeder Konflikt dreht sich um ein Sujet, es bildet den Kern des Konfliktstoffs. Doch für die Stärke des Konflikts ist es, streng genommen, irrelevant. Sie kennen das aus eigener Erfahrung. Menschen können jede Konfliktmücke zu einem Konfliktelefanten aufblasen. Entscheidend ist, dass die übrigen Faktoren des Konfliktstoffes hoch genug sind.
Welche Sujets Sie nun zu Ihren Konfliktsujets machen, bleibt Ihnen überlassen. Verstehen Sie das richtig: Das Sujet ist essenziell. Gerade mit den Sujets machen Sie Ihren Roman zu einem individuellen Werk, zu etwas Besonderem. Sujets sind das thematische Material, der alles erst greifbar macht für die Leser. Die Auswahl des Sujets beim zentralen Konflikt und der Sujets bei jedem der kleineren Konflikte gehört zu Ihren wichtigsten Aufgaben als Autor eines Romans oder Drehbuchs.[Fußnote 4]
Sehen Sie diese Freiheit mit den Sujets als gute Nachricht: Egal, welche Sujets Sie ins Zentrum Ihrer Konflikte stellen, Sie können aus jedem eine Menge Drama generieren. Umgekehrt ist ein auf den ersten Blick unergiebiges Sujet keine Entschuldigung für einen langweiligen Roman. Die – auch darum so nützliche – Konfliktformel stellt Ihnen zahlreiche Ansatzpunkte zur Verfügung, mit denen Sie das unscheinbar erscheinende Sujet dennoch in den Kern aufregender Konflikte stellen können.
Beispiel: Sam sammelt Schmetterlinge. Keine Sorge, den Konflikten mit den Tierschützern geht er aus dem Weg. Denn er sammelt nicht die Tiere selbst, sondern nur ihre Fotos. Ein Schmetterlingsfotosammler. Wow. Sind Sie noch wach?
Sam schlägt sich jedoch mit einem starken Bedürfnis herum: Ohne dass er sich dessen bewusst ist, möchte er die herrlichen Sommer bei den Großeltern im Périgord wieder aufleben lassen, in denen der Großvater ihn mit auf seine Fotosafaris durch die Schmetterlingswiesen genommen hat. Aus dieser Vorgeschichte wächst eine starke Motivation, seine Sammlung zu vervollständigen. Sein Ziel ist es, den angeblich ausgestorbenen Mohnschwalbenschwanz in Südfrankreich aufzuspüren und den Fund per Foto zu dokumentieren. Doch die Hindernisse sind mannigfaltig, neben der ungewissen Existenz des Tierchens regnet es dauernd, dann wird Sam die Kamera gestohlen und die Ersatzkamera fällt in den Doubs. Ein ernsterer Widerstand aber ist seine Gegenspielerin, Lou, die angesehenste Schmetterlingsexpertin des Planeten. Vor ihrem Denkmal vor der Sorbonne steht nur noch der Fund besagten Tierchens.
Beide Figuren sind leidenschaftlich zugange, beide sehen den Fund als die Vollendung ihres Lebenstraumes, ihres Lebenswerks. Die Entflammbarkeit ist entsprechend hoch, zumal das schlechte Wetter und dann eine mögliche Sichtung die Nerven blank liegen lassen. Das Potenzial steigt noch, als Sam ein Tagebuch des lange verstorbenen Großvaters findet, in dem er seinen letzten Wunsch niedergeschrieben hat: Sam möge diesen Schwalbenschwanz unbedingt finden. Das Potenzial steigt weiter, als Lou ein riesiges Budget für ihr marodes Uni-Institut winkt, falls sie den Kleinen findet.
Das Konfliktumfeld begünstigt den Konflikt, als sich die beiden Jäger alleine auf einer sommerlichen Wiese finden, weitab vom nächsten Ort. Sam braucht Lous Kamera, da er keine mehr hat. Als dann der Mohnschwalbenschwanz vorbeigaukelt, ein perfekter Auslöser, kommt es zum Gerangel um die Kamera, jemand zieht ein Messer ...
Das klingt platt, aber es veranschaulicht den Punkt: Jedes Sujet, das Sie für erzählenswert halten, ist es auch. Es kommt nur darauf an, welche Konflikte Sie daraus entwickeln.
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Übrigens: Das Sujet ist einer der wichtigsten Aspekte, mit dem Sie für Ihren Roman eine Agentur oder einen Verlag gewinnen – was zugleich erklärt, wieso so viele grottige Romane publiziert werden: Sie setzen schlicht auf ein gesuchtes Sujet. Und was eben auch erklärt, wieso Ihr brillanter Roman nicht aus der Schublade herauskommt: Da haben Sie eben auf ein Sujet gesetzt, das die Verlage für unsexy halten.
Angesichts der Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz, die bei Erscheinen dieses Buches bereits in der Lage ist, Sachtexte oder Prosa hoher Qualität zu produzieren, wird die Auswahl des zentralen Konfliktsujets ein sogar noch wichtigerer Faktor werden. Selbst wenn KI bald besser geplottete Romane schreibt als Sie, können Sie dennoch mit der Wahl des richtigen Sujets bei Agenten, Verlagen und Lesern punkten. Es ist anzunehmen, dass die mit und von KI geschriebenen Romane und Drehbücher sich vor allem um, schon auf den ersten Blick, aufregende Sujets drehen werden. Blockbuster eben. Schließlich geht es hier nur ums Geldverdienen, nicht um den individuellen Ausdruck. Das ist Ihre Chance, aufzufallen, eigene Duftmarken zu setzen, relevant zu bleiben – und weiterhin Spaß bei der Sache zu haben.
Vor allem die persönliche Relevanz für die Figuren und die universelle Verknüpfbarkeit definieren jedes Sujet. Auch bringen manche Sujets eine höhere Entflammbarkeit mit sich und mehr Potenzial. Das Sujet selbst kann wiederum Entflammbarkeit und Konflikt-Potenzial enthalten, da es als thematische Grundlage des Konflikts schon inhärent bestimmte Reaktionen, Spannungen und mögliche Eskalationen mit sich bringt.
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Die persönliche Relevanz des Sujets für die Figuren
Ein Sujet wird erst dann zum Konflikttreiber, wenn es für die Figuren persönlich bedeutsam ist. Es muss etwas für sie Essenzielles auf dem Spiel stehen – etwa ihre Ehre, ihr Glück, ihre Beziehung oder ihr Leben.
Denken Sie dabei auch an die Bedürfnisebenen. Ein besonders konfliktträchtiges Sujet ist eines, das auf mehreren oder sämtlichen Bedürfnisebenen wirkt.
Ein konfliktreiches Sujet, das auf allen genannten Bedürfnisebenen wirkt, findet sich in der ersten Staffel der Serie »The Last of Us« (USA 2023). Das zentrale Sujet – Ellies Schutz und die potenzielle Heilung der verheerten Welt – berührt alle vier Ebenen.
Verlangen (= Handlungsebene)
Joel, der Protagonist, hat das Verlangen, Ellie sicher zu einer Gruppe von Wissenschaftlern zu bringen, die einen Heilstoff für die apokalyptische Pandemie entwickeln wollen. Dieser Wunsch ist konkret und handlungsgetrieben: Joel muss Gefahren überwinden, Gegner besiegen und Ellie vor Infizierten schützen, um sein Ziel zu erreichen. Auf dieser Ebene gibt es direkte physische und taktische Konflikte, die Spannung erzeugen.
Konflikt: Die äußere Welt steht ständig gegen ihn – Infizierte, feindliche Gruppierungen und die raue Umwelt gefährden oder erschweren das Erreichen seines Ziels. Sein Verlangen wird auf jeder Etappe infrage gestellt.
Beziehungen (= Emotionen)
Die Beziehung zwischen Joel und Ellie entwickelt sich von einer rein pragmatischen Partnerschaft zu einer tiefen emotionalen Verbindung, die fast einer Vater-Tochter-Dynamik entspricht. Diese Beziehungsebene ist konfliktgeladen, da Joel Schwierigkeiten hat, seine eigenen Verluste zu überwinden und sich emotional an Ellie zu binden. Gleichzeitig sorgt Ellie mit ihrer jugendlichen Eigenwilligkeit für Konflikte in der Beziehung.
Konflikt: Joel möchte Ellie beschützen, aber Ellie will nicht nur als Fracht behandelt werden. Die emotionale Distanz zwischen den beiden führt zu Spannungen, die sie erst langsam überwinden.
Werteebene
Joel steht im Laufe der Geschichte vor moralischen Dilemmata, die seine Werte prüfen oder infrage stellen. Besonders das Finale der ersten Staffel zeigt dies eindrücklich: Er muss entscheiden, ob er Ellie opfert, um die Menschheit zu retten, oder ob er sie rettet und damit jede Hoffnung auf eine Heilung der Welt zerstört. Dies ist ein direkter Konflikt zwischen altruistischen und egoistischen Werten.
Konflikt: Soll Joel seine väterliche Liebe über die Verantwortung für das Überleben der Menschheit stellen? Die Werteebene sorgt hier für moralische Spannung, die den Zuschauer selbst herausfordert, Position zu beziehen.
Identitätsebene
Joel wird durch seinen Konflikt mit Ellie und der apokalyptischen Welt gezwungen, seine eigene Identität zu hinterfragen. Einst war er ein liebevoller Vater, dann ein gebrochener Mann, der Gewalt anwendete, um zu überleben. Die Reise mit Ellie bringt ihn dazu, seine Identität als Beschützer und Mensch zu hinterfragen.
Konflikt: Wer ist Joel wirklich? Ein Überlebender, der alles tut, um zu gewinnen, oder ein Mensch, der bereit ist, für seine moralischen Werte einzustehen? Seine Entscheidung im Finale hat massive Konsequenzen für sein Selbstbild und seine Identität.
Die universelle Verknüpfbarkeit
Ein gutes Sujet spricht universelle Themen oder Emotionen an, die jeder Leser nachvollziehen kann, wie Verlust, Liebe, Macht oder Verrat. Dadurch wird der Konflikt auch für den Leser oder Zuschauer sowohl nachvollziehbar, glaubhaft und relevant. Die universelle Verknüpfbarkeit entsteht durch die Kombination universeller Themen wie Liebe, Verlust oder Verrat, die das Publikum auf einer persönlichen Ebene ansprechen. Die Stärke dieser Themen liegt darin, dass sie unabhängig vom Kontext wirken – ob in einer postapokalyptischen Welt oder in realen Alltagskonflikten.
In »The Last of Us« wird die universelle Verknüpfbarkeit durch Themen wie Verlust, Liebe, Überleben und moralische Dilemmata erreicht wie zum Beispiel ...
Verlust
Der Tod von Joels Tochter am Anfang der Geschichte schafft eine emotionale Basis, die viele nachvollziehen können. Dieses Trauma prägt Joels Handlungen und Einstellungen während der gesamten Serie.
Liebe und Verantwortung
Die Beziehung zwischen Joel und Ellie zeigt, wie sich aus einer Zweckgemeinschaft eine tiefere Bindung entwickelt. Der Wunsch, jemanden zu beschützen, spricht ein universelles menschliches Bedürfnis an.
Moralische Fragen
Die Zuschauer werden mit Dilemmata konfrontiert, die keine klaren Antworten bieten. Sollte ein Leben geopfert werden, um die Menschheit zu retten? Solche Fragen provozieren Reflexion und Diskussion, was für emotionale Involvierung der Zuschauer oder Leser sorgt oder vertieft.
Die Entflammbarkeit des Sujets
Entflammbarkeit bezieht sich darauf, wie leicht das Sujet Reaktionen auslöst, die Konflikte anheizen können. Sujets mit hoher Entflammbarkeit sind zum Beispiel Inhalte folgender Art:
Emotionale Relevanz
Sujets, die tiefgehende emotionale Themen ansprechen – wie Verrat, Tod, Liebe oder Schuld – sind häufig leicht entflammbar, da sie universelle und intensive Gefühle ansprechen.
In »The Walking Dead« (USA 2010–2022) erzeugt das Sujet »das Überleben in einer zerstörten Welt voller Zombies und zu allem entschlossener Menschen« automatisch Entflammbarkeit, da die Figuren ständig existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind. Schon die kleinste Entscheidung, der winzigste Fehler kann über Leben und Tod entscheiden.
Harte moralische Fragen
Sujets, die moralische Grauzonen oder kontroverse Themen berühren, schaffen Entflammbarkeit, da sie Figuren (und im Idealfall auch Ihre Leser) in einen inneren oder äußeren Konflikt zwingen.
In »Breaking Bad« (USA 2008–2013) dreht sich der Konflikt um das Sujet »verbrecherische Machenschaften zur Sicherung der Familie«. Dieses Sujet entfacht ständig Spannungen zwischen moralischen Werten und pragmatischen Entscheidungen, gute Absichten treiben schlechte Taten.
Hohe gesellschaftliche Relevanz
Themen, die mit großen gesellschaftlichen Spannungen verbunden sind – wie Macht, Ungleichheit oder Rassismus – sind oft von Natur aus entflammbar.
In »The Hate U Give« von Angie Thomas wird das Sujet »Polizeigewalt gegen Schwarze« zu einem Katalysator für die Konflikte in der Geschichte.
Das Potenzial zur Eskalation
Manche Sujets bieten mehr Entfaltungsspielraum für Dramatik, weil sie auf natürliche Weise Konflikte hervorrufen, etwa ein Verrat, ein Machtkampf oder eine unüberbrückbare Differenz.
Vielfalt der möglichen Konflikte
Ein dramatisch ergiebiges Sujet eröffnet unterschiedliche Konfliktkonstellationen und berührt mehrere Bedürfnisebenen. Je mehr Konflikte (auf einfache, organische, nachvollziehbare Weise) aus einem Sujet hervorgehen können, desto höher ist sein Konflikt-Potenzial.
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Ja, aus dem kleinsten Wimpernschlag eines Nesseltierchens mag sich ein Konflikt ergeben, der das Multiversum in den Untergang treibt. So gesehen hat jeder Konflikt unbegrenztes Potenzial.
Mit hohem Konfliktpotenzial meinen wir hier Konfliktstoffe oder auch Sujets, aus denen sich innerhalb weniger Eskalationsstufen und für die Leser sofort glaubhaft ein großer Konflikt ergeben kann – und das ohne Verrenkungen und umständliche Konstruktionen.
So ist es für Leser oder Zuschauer sehr viel leichter nachvollziehbar, dass wegen eines Milliardenerbes ein Mord in Auftrag gegeben wird als wegen der durchgesessenen Couchgarnitur von Oma Elvira. Kein Wunder, dass viele Bestseller oder Blockbuster eher in den Palästen und auf den Hochseejachten der Reichen spielen als in den überbelegten Wohnungen von Sozialhilfeempfängern. Selbst wenn sich die Emotionen und die Verbrechen und im Kern auch die Menschen hier wie dort nicht unterscheiden mögen, für die Leser sind die vermeintlich höheren Einsätze augenfälliger – insbesondere dann, wenn der Autor nicht sonderlich tief in die Figuren hineinleuchten möchte.
Doch selbst Konflikte mit geringerem Potenzial haben Vorteile: Sie bieten Ihnen mehr Raum für massive Veränderungen und damit auch für Überraschungen. Allerdings sind die Wege dahin länger – und solche Konflikte mit weniger Potenzial sind anspruchsvoller zu schreiben.
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Das zentrale Sujet in der Serie »Succession« (USA 2018–2023) ist das Familienerbe und mit ihm die Kontrolle über das Familienimperium Waystar Royco, eine weltweite Medien- und Unterhaltungsfirma. Der Konfliktstoff dreht sich um Macht, Loyalität und Verrat innerhalb der Familie Roy.
Das Sujet entfaltet rasch, nachvollziehbar und organisch Konflikte auf allen Ebenen: persönliche (Selbstzweifel), zwischenmenschliche (Machtkämpfe in der Familie) und gesellschaftliche (Kampf um öffentliche Wahrnehmung). Auch dass es um besonders viel Geld und Einfluss geht, verleiht dem Sujet enormes Potenzial zu großen Konflikten.
Spannungsbogen
Ein Sujet mit hohem Konflikt-Potenzial kann über die gesamte Geschichte hinweg Spannung erzeugen und eskalieren, da es mehrere Konflikte antreiben und längerfristig am Laufen halten kann.
In »Game of Thrones« (USA 2011–2019) bringt das zentrale Sujet »Machtkampf um den Eisernen Thron« unzählige Konflikte hervor, die in verschiedenen Subplots münden und immer wieder neue Eskalationsstufen erreichen.
Unvereinbarkeit der Ziele
Sujets mit hohem Konflikt-Potenzial setzen oft Figuren mit unvereinbaren Wünschen und Werten einander entgegen (Highlander: »Es kann nur einen geben«). Das führt zu intensiven Konflikten, die schwer oder gar nicht lösbar sind.
In »The Last of Us« prallen Joels Wunsch, Ellie zu retten, und die Mission der Wissenschaftler, sie für eine Heilung zu opfern, unversöhnlich aufeinander.
Hier einige Ideen aus »Succession«, wie Sie das Sujet Ihrer wichtigsten Konfliktstoffe weiter stärken können:
Symbolik des Sujets
Geben Sie Ihrem Sujet eine tiefere Bedeutung, die über das Offensichtliche hinausgeht. Die Firma Waystar Royco ist nicht nur ein wirtschaftliches Vermächtnis, sondern auch ein Symbol für Macht und Kontrolle. Für Logan Roy steht sie für seinen Lebenswillen, für die Kinder ist sie ein Symbol für den Schatten, den ihr Vater auf ihr Leben wirft.
Mehrfachkodierung des Sujets
Lassen Sie Ihr Sujet auf mehreren Ebenen wirken. Die Machtkämpfe um die Firma sind nicht nur beruflicher Natur, sondern auch Ausdruck tiefer persönlicher Unsicherheiten und schwelender Familienkonflikte.
Perspektive
Zeigen Sie, wie unterschiedliche Figuren das gleiche Sujet völlig unterschiedlich bewerten und daran festhalten. Für Kendall Roy ist Waystar Royco die Chance, aus dem Schatten seines Vaters zu treten. Für Shiv Roy bedeutet es, endlich als ebenbürtig anerkannt zu werden. Roman Roy sieht es als Möglichkeit, seine Leichtfertigkeit zu überwinden und Verantwortung zu übernehmen.
Verzerrung durch Subtext
Ein Sujet kann auf der Oberfläche harmlos erscheinen, während es im Subtext gefährlich oder provozierend ist. Viele der Konflikte in der Serie drehen sich nicht um die Firma selbst, sondern um unausgesprochene Themen wie Eifersucht, unausgesprochener Kindheitstraumata und den obsessiven Wunsch nach Anerkennung. Diese Subtexte machen die Konflikte noch spannender und komplexer.
Wie finden Sie nun geeignete Sujets, aus denen Sie eine dramatische Story entwickeln? Hierzu einige Ideen ...
Überlegen Sie, welche universellen Themen Ihr Publikum ansprechen.
Identifizieren Sie Themen, die für viele Menschen emotional nachvollziehbar sind, z. B. Liebe, Verlust, Rache, Identität.
In »A Man Called Ove« von Fredrik Backman spricht das zentrale Sujet »Leben nach Verlust und Einsamkeit« universelle Gefühle an wie Trauer, Isolation und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Oves mürrische Art und seine Entwicklung machen das Sujet emotional greifbar und fesselnd.
Verknüpfen Sie das Sujet mit einer emotional bedeutsamen Vorgeschichte.
Entwickeln Sie eine persönliche Verbindung zwischen der Figur und dem Sujet, das deren Handlungen antreibt.
In »The Queen’s Gambit« (USA 2020) ist Beth Harmons Besessenheit von Schach durch ihre traumatische Kindheit und ihren Verlust geprägt. Die emotionale Bindung zum Sujet »Schach« macht die Konflikte intensiver.
Fragen Sie sich, warum das Sujet für die Figur existenziell ist.
Klären Sie, was auf dem Spiel steht. Es muss mehr als ein rein materielles Ziel sein – es sollte mit Ehre, Liebe oder Identität verknüpft sein.
In Denis Villeneuves »Dune« (USA 2021) dreht sich Paul Atreides’ Konflikt um das Sujet »Macht und Verantwortung«. Sein persönliches Überleben ist verknüpft mit dem Schicksal seines Volkes und seiner Identität als potenzieller Messias.
Bauen Sie auf Gegensätze und Unvereinbarkeiten auf.
Setzen Sie Figuren mit völlig gegensätzlichen Zielen oder Werten ein, um das Sujet konfliktreich zu gestalten.
In »Succession« eskaliert das zentrale Sujet »Kontrolle über das Familienimperium«, da Werte und Ziele der Geschwister unvereinbar sind: Machtgier gegen Loyalität, persönliche Ambitionen gegen familiäre Verpflichtungen.
Stellen Sie die moralische Dimension des Sujets in den Fokus.
Fragen Sie sich, ob Ihr Sujet moralische Fragen oder Dilemmata hervorruft – in den Figuren, idealerweise auch in den Lesern –, die Spannung erzeugen.
In »The Last of Us« schafft das Sujet »Ellie opfern, um die Menschheit zu retten« einen moralischen Konflikt, der sowohl die Figuren als auch die Zuschauer herausfordert, über Verantwortung und Egoismus nachzudenken.
Kombinieren Sie mehrere Konfliktebenen in einem Sujet.
Sorgen Sie dafür, dass Ihr Sujet nicht nur einen äußeren Konflikt, sondern auch emotionale, moralische und existenzielle Spannungen enthält.
In »Everything Everywhere All At Once« (USA 2022) kombiniert das Sujet »Rettung des Multiversums« die äußere Bedrohung mit inneren Konflikten über Identität, Familie und Liebe.
Nutzen Sie das Sujet, um unvorhersehbare Wendungen einzubauen.
Wählen Sie ein Sujet, das viele Möglichkeiten für Überraschungen und Twists bietet, die die Leser mitreißen.
In »Knives Out« (USA 2019) wird das Sujet »Ermittlung eines Mordfalls« durch unerwartete Wendungen – wie das falsche Testament und die wahre Motivation der Figuren – immer wieder neu emotional aufgeladen.
Verknüpfen Sie das Sujet mit der Welt und dem Setting.
Entwickeln Sie ein Sujet, das eng mit der Welt und dem Schauplatz Ihrer Geschichte verknüpft ist, um die Konflikte glaubwürdig und unverwechselbar zu machen.
In »The Hunger Games« von Suzanne Collins ist das Sujet »Überleben in einer tödlichen Arena« untrennbar mit der dystopischen Welt von Panem und den Machtstrukturen des Kapitols verknüpft.
Denken Sie über die langfristige Spannung nach.
Ihr Sujet sollte Konflikte über die gesamte Geschichte hinweg tragen und als unerschöpflicher Quell von Konflikten dienen.
In »Breaking Bad« entwickelt sich das Sujet »Walter Whites Abstieg in die Welt des Drogenhandels« von einem scheinbar pragmatischen Ziel (Familie absichern) zu einer eskalierenden Spirale aus Macht und moralischem Verfall – und das ohne Unterlass über fünf Staffeln hinweg.
Prüfen Sie, ob das Sujet universelle Verknüpfbarkeit bietet.
Stellen Sie sicher, dass Leser und Zuschauer das Sujet emotional und intellektuell nachvollziehen können.
In »Parasite« (Südkorea 2019) wird das Sujet »Klassenkampf« durch universelle Themen wie Ungleichheit, Neid und die Sehnsucht nach einem besseren Leben für jeden Zuschauer greifbar.
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Auch wenn das konkrete Sujet für die Stärke des Konflikts zunächst unerheblich ist – jedes Sujet kann krasse Konflikte entfachen –, so erleichtert Ihnen die Wahl des passenden Sujets das Ausbrechen, das dramatische Lodern und die verheerenden Konsequenzen intensiver Konflikte.
Die Entflammbarkeit gibt an, wie leicht sich ein Konfliktstoff entzündet und daraus ein Konflikt entflammt. (Dagegen gibt das Konfliktpotenzial an, wie groß der Konflikt werden kann. Unten mehr dazu.)
Die Entflammbarkeit wird von vielen Aspekten beeinflusst. So kann ein besonders heikles Sujet eine Figur leicht in Rage versetzen. Eine andere Figur ist von ihrer Persönlichkeit her konfliktfreudiger[Fußnote 5]. Nach einem üppigen Essen ist man einem Konflikt eher abgeneigt, die Entflammbarkeit ist – von der Situation bestimmt – niedriger.[Fußnote 6] Eine besänftigende Umgebung wie Muzak im Fahrstuhl kann die Entflammbarkeit herabsetzen, ein martialisches Äußeres setzt sie womöglich herauf, wenn etwa jemand zu Friedensverhandlungen mit einem Säbel und einer Pistole im Gürtel erscheint.
Hier spielt, wie so oft, die Psychologie mit herein. So suchen manche Figuren eher den Konflikt und manche Konstellationen erweisen sich als besonders konfliktträchtig.
In Shakespeares »Romeo und Julia« ist der Konflikt zwischen den Familien Montague und Capulet von Anfang an hochexplosiv. Bereits kleine Begegnungen zwischen den beiden verfeindeten Häusern führen zu direkten Auseinandersetzungen, etwa der Streit zwischen Tybalt und Mercutio. Die Entflammbarkeit liegt in der jahrzehntelangen Fehde und dem tief verwurzelten Hass, sodass der Konfliktstoff sich über die Jahre immer mehr erhitzt hat.
Auch Konflikte, die durch Missverständnisse, falsche Annahmen oder fehlende Kommunikation entstehen, können schnell entflammbar sein. Ein anderes Beispiel aus Shakespeares Oeuvre ist die Eifersucht in »Othello«, die durch Iagos Manipulation entsteht.
Allgemeingültige Aussagen dazu lassen sich nicht treffen, die Entflammbarkeit hängt von zu vielen Faktoren ab. Gut für Sie und Ihren Roman: Sie finden in jeder Szene sehr leicht Mittel, die Entflammbarkeit zu erhöhen, und Sie finden genug, um in jeder Szene andere Mittel zu verwenden.
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Übrigens: In unserer Definition sollten sich andere Konfliktfaktoren nicht direkt auf die Entflammbarkeit auswirken. So mag eine Figur besonders stark getrieben werden und so ein Konflikt leichter ausbrechen. Auf die eigentliche Entflammbarkeit des Konfliktstoffes wirkt sich das nicht aus.
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In »Zurück in die Zukunft« (USA 1985) gerät Protagonist Marty McFly in einer Szene mit seiner Nemesis Biff aneinander. Der Konflikt scheint abgewendet, da Marty sich nicht provozieren lässt. Doch dann klopft Biff ihm auf den Kopf und sagt »Jemand zu Hause, McFly?« – genau den Satz, der Marty garantiert auf die Palme bringt.
Der Satz ist ein Auslöser, ein Trigger für Marty. Die Entflammbarkeit liegt jedoch in Martys Persönlichkeit, einer besonderen Schwachstelle – er ist vom Typ her jemand, der sich leicht provozieren lässt.
Die hohe Entflammbarkeit einer Situation oder Figur spürt das Publikum – sofern Sie als Autor Ihre Arbeit richtig gemacht haben. Sie ist das Kennzeichen extremer Suspense. Jeden Moment kann der Konflikt ausbrechen.
Logisch also, dass Sie Ihre Leser eher in Suspense versetzen können, je besser sie die Figuren kennen – und je eindringlicher Sie ihnen diese Figuren vorgestellt haben. Sobald die Zuschauer Marty kennen und auch seinen Trigger, steigt die Suspense, wann immer Biff sich Marty nähert: Wird Biff den Satz sagen, der Marty sofort auf die Palme bringt? Sogar Fragen über den weiteren Verlauf erzeugen Sie damit: Wird Marty am Ende eine angemessene Entgegnung einfallen? Oder kann er den Satz gar gegen Biff wenden?
In »Americanah« von Chimamanda Ngozi Adichie erlebt Protagonistin Ifemelu als nigerianische Einwanderin in den USA immer wieder Situationen, in denen ihre Herkunft und Hautfarbe zu Spannungen führen. Ihre Erfahrungen machen sie sensibler für bestimmte Themen und erhöhen ihre Konfliktbereitschaft in Diskussionen über Rassismus.
Oder nehmen wir die Bluthochzeit in »Game of Thrones«. Der König im Norden Rob Stark, seine Frau und seine Mutter sind mit ihrem Gefolge zur Hochzeit eines Verbündeten geladen. Die Hochzeit läuft ab wie eine gewöhnliche Hochzeit in der Welt von Westeros. Doch die Festlichkeiten sind aufgeladen, die Zuschauer spüren, wie volatil die Situation ist. Der geringste Anlass, so ihr Eindruck, könnte den Konflikt ausbrechen lassen.
Dann bricht er aus – doch der Anlass ist alles andere als gering. Auf ein Signal (es wird das Lied der Erzfeinde der Starks gespielt) gehen die Feinde auf die Starks los und ermorden Rob, seine Frau und seine Mutter.
Indem Sie mit der Entflammbarkeit spielen, erhöhen Sie die Suspense, noch bevor der eigentliche Konflikt ausbricht. Sie können sie nutzen, um über Hunderte von Seiten oder Dutzende von Serien-Folgen das Ausbrechen des Konflikts immer wahrscheinlicher zu machen, ohne ihn tatsächlich zu entfachen.
In »Breaking Bad« schwelt über lange Zeit, mehrere Staffeln, ein Konfliktstoff zwischen Walter White und Gus Fring, dem mächtigsten Drogenboss von Albuquerque. Daneben laufen permanent einige kleinere Konflikte. Wieder und wieder geraten die beiden in Situationen, in denen der große Konflikt auszubrechen droht. Doch beide haben ein Interesse daran, diesen Konfliktausbruch zu verhindern.
Dieses gemeinsame Interesse ist in vielen Fällen der glaubhafteste Grund, wieso ein Konflikt nicht ausbricht. Und so einen glaubhaften Grund brauchen Sie gerade dann, wenn Sie wieder und wieder bis kurz vor den Flammpunkt gehen. Je extremer die Situation und je enger die Annäherung, desto überzeugender sollten Sie machen, dass der Ausbruch des Konflikts vermieden wird.
Gerade mit Zufällen sollten Sie Ihren Lesern hier nicht oder nur sehr, sehr selten kommen. Andererseits verzeihen Ihnen die Leser so einiges, wenn Sie nur die Suspense halten.
Vergleichen Sie das mit dem Kalten Krieg zwischen den USA und der UdSSR, der über Jahrzehnte die Welt in einem instabilen Gleichgewicht hielt. In der Kuba-Krise Anfang der 1960er wurde die Entflammbarkeit so groß, dass ein Ausbruch des Konflikts unvermeidlich erschien.
Dass es nicht dazu kam, können Sie auch als Vorbild für Ihren Roman nehmen: Sie können wieder und wieder die Entflammbarkeit regulieren und halten die Leser mit diesem Auf und Ab in einem herrlichen Zustand permanenter Suspense – mal mehr, mal weniger, doch immer wieder nur um Haaresbreite vom Ausbruch entfernt.
Vergleichbares praktizieren unzählige Liebesgeschichten gerade in TV-Serien, indem sie die Liebenden immer wieder in Situationen schicken, in denen ein Kuss unvermeidlich erscheint. Kurz davor aber geschieht etwas, das die Entflammbarkeit vermindert – der Kuss wurde gerade noch mal abgewendet.
Die Macht dieses Spiels mit der Entflammbarkeit von Konflikten sehen Sie daran, dass solche Serien dann ihren Zenit überschritten haben, wenn es zwischen den verliebten Protagonisten endlich zum Kuss oder zum Sex gekommen ist. Die Entflammbarkeit ist das, was die Zuschauer der Story treu bleiben lässt, weil die lang andauernde Suspense sie besser bei der Stange hält als ein vorübergehender Konflikt, sei er auch noch so stark.
Am intensivsten und effektivsten nutzen Sie die Entflammbarkeit, indem Sie sie möglichst nahe an den Rand des Flammpunkts bringen. Wenn Ihr Konflikt bei 1500 °C ausbrechen würde, gehen Sie bis auf 1499 °C heran – und das am besten wieder und wieder.[Fußnote 7]
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Wählen Sie aus den folgenden Schreibtipps diejenigen aus, die am besten zu Ihrem Roman passen. Sie können dabei beliebig ausführlich werden. Aber behalten Sie im Hinterkopf, dass dies nur Anregungen und Hilfsmittel sind. Das eigentliche Schreiben an Ihrer Story sollten Sie darüber nicht vernachlässigen.
Konflikt-Barometer
Definieren Sie, was Ihre Figuren provoziert oder beruhigt. Veranschaulichen Sie dies in einer Szene, in der diese Faktoren gezielt aktiviert werden. Wie etwa Marty McFlys Trigger durch Biffs Worte in »Zurück in die Zukunft«.
Nutzen Sie dies, um Spannungen gezielt zu steuern.
Im Film »Oppenheimer« (USA/GB 2023) zeigt das Konflikt-Barometer des Protagonisten Robert Oppenheimer seine Ambivalenz gegenüber moralischen Fragen. Während wissenschaftliche Herausforderungen ihn antreiben, bringt jede Diskussion über die ethischen Konsequenzen seiner Arbeit ihn emotional an seine Grenzen. Seine Reaktionen sind scharf und dienen als Katalysator für Konflikte innerhalb seines Teams.
Umgebungs-Choreographie
Nutzen Sie den Schauplatz, um Spannung zu erhöhen oder zu senken.
Der chaotische Bahnhof von Mumbai kann Spannungen erhöhen, während ein Zen-Garten in Kyoto besänftigend wirken kann. Spielen Sie mit diesen Kontrasten.
In »The Last of Us« verstärken die düsteren, verfallenen Schauplätze wie die Ruinen einer Schule oder ein überwuchertes Einkaufszentrum die angespannte Stimmung und die wahrgenommene Gefahr für die Figuren. Diese Umgebungen schaffen eine Kulisse, in der Konflikte nicht nur wahrscheinlicher, sondern zum Teil unausweichlich werden.
Physiologische Faktoren
Berücksichtigen Sie den körperlichen Zustand Ihrer Figuren. Hunger, Müdigkeit, Schmerzen oder akute Krankheit können die Konfliktbereitschaft erhöhen.[Fußnote 8] Nutzen Sie dies, um einen Konflikt entflammen zu lassen, gerade auch zur Erzeugung unerwarteter Wendungen.
Im Film »Killers of the Flower Moon« (USA 2023) wird die körperliche Schwäche von Mollie Burkhart durch ihre Vergiftung zum Auslöser für Konflikte. Ihr Zustand zwingt die Figuren zu schwierigen Entscheidungen – und die Spannung steigt. Wunderbar verbinden können Sie das mit Zeitbegrenzungen: Der angeschossene Held hat nur noch wenige Stunden zu leben, wenn er nicht in die Klinik kommt. Klar, dass er in dieser Situation reizbarer ist und eher zu Konflikten neigt.
Konflikt-Katalysatoren
Führen Sie Auslöser ein, die Figuren in Konflikte treiben: Objekte, Personen oder Informationen, die aufgrund ihrer Bedeutung für die Figuren sofort Spannungen erzeugen. Denken Sie an das rote Tuch, das der Torero vor der Nase des Stierkampfstiers schwingt.
Im Film »Barbie« (USA 2023) fungiert Kens Erkenntnis über das Patriarchat als Konflikt-Katalysator. Das Konzept entzündet Spannungen zwischen Barbie und Ken und führt zu einer Auseinandersetzung über Geschlechterrollen.
Graduelle Eskalation
Lassen Sie Konflikte nicht plötzlich ausbrechen, sondern erhöhen Sie die Spannung Schritt für Schritt. Beginnen Sie mit unterschwelligen Spannungen und steigern Sie diese systematisch durch eine Reihe von Auslösern.
Für Musik-Freunde: Ravels Bolero.
In der Serie »The White Lotus« (Staffel 2, USA 2022) eskalieren die Spannungen zwischen den Gästen eines Luxushotels schrittweise. Beginnend mit Sticheleien steigern sich die Konflikte durch Missverständnisse, Neid und Verrat – bis hin zu dramatischen Konsequenzen.
Konflikt-Synergien
Lassen Sie verschiedene Konfliktquellen zusammenwirken. Wenn eine Figur bereits durch ein Thema gereizt ist, kann eine zusätzliche Provokation zu einer – für die anderen Figuren und für die Leser – überraschend heftigen Reaktion führen. Und je heftiger diese Reaktion, desto eher löst sie weitere Konflikte aus.
Im Film »Beau is Afraid« (Kanada/USA 2023) werden Beaus innere Ängste und Schuldgefühle durch äußere Ereignisse wie die Begegnung mit seiner dominanten Mutter verstärkt. Die Kombination aus seinen psychologischen Konflikten und äußeren Provokationen erzeugt ein intensives, absurdes Drama.
Entflammbarkeit durch räumliche Verdichtung
Je näher Figuren in einem physischen Raum zusammengebracht werden (der viel zitierte Schmelztiegel), desto leichter entflammt ein Konflikt, besonders wenn es keine Ausweichmöglichkeiten gibt. Der begrenzte Raum und der psychologische Druck der Erkenntnis, dem Konflikt nicht ausweichen zu können, macht das Entflammen wahrscheinlicher.
In Film »The Menu« (USA 2022) erhöhen die isolierte Inselkulisse und der begrenzte Raum des Restaurants die Entflammbarkeit enorm. Denken Sie an die Floskeln: »Die Nerven liegen blank.« Die Gäste sind physisch gefangen und müssen sich mit der Eskalation der Situation sowie ihren eigenen moralischen Verstrickungen auseinandersetzen.
Deeskalations-Techniken[Fußnote 9]
Entwickeln Sie für Ihre Figuren individuelle Methoden zur Deeskalation. Diese können in kritischen Momenten eingesetzt werden, um Spannung aufzubauen oder unerwartete Wendungen zu erzeugen. Und zwar in beiden Richtungen: Der Versuch der Deeskalation funktioniert – oder er geht granatenmäßig schief und erreicht das Gegenteil.
Im Film »Past Lives – In einem anderen Leben« (USA 2023) versuchen die Hauptfiguren Nora und Hae Sung, ihre emotionalen Spannungen durch ruhige, reflektierte Gespräche zu entschärfen. Doch die Gespräche spülen oft tiefere, unausgesprochene Gefühle an die Oberfläche und führen so zu noch intensiveren Konflikten.
Das Konfliktpotenzial sagt, wie viel Energie in einem Konfliktstoff oder in einem Konflikt steckt – in einem Kilo Plutonium steckt mehr Energie als in einem Kilo Kohle. Stehen sich zwei feindliche Armeen mit Atomwaffen gegenüber, ist das Konfliktpotenzial höher, als wenn sich zwei gut gelaunte Fremde im Fahrstuhl eines Hotels treffen. Oder zwei Schmetterlingsfotojäger in Südfrankreich.
Wir könnten es den Brennwert des Konfliktstoffes nennen.
Das Potenzial beschreibt sowohl die Energie eines Konfliktstoffs vor dem Ausbruch als auch die Intensität eines Konflikts, nachdem er entfacht wurde. Darum verwenden wir hier mal den einen, mal den anderen Begriff: Potenzial des Konflikts und Potenzial des Konfliktstoffes.
Das Potenzial eines Konfliktstoffs oder Konflikts beschreibt die Intensität und Dauer des Konflikts, der daraus erwachsen kann – wie tief er in die Handlung und Figuren eingreift und wie viel Zerstörung oder Veränderung er hinterlässt. Ein Konflikt mit hohem Brennwert kann die gesamte Handlung bestimmen und sich über viele Seiten oder Episoden hinweg entfalten.
Das Potenzial wird auch von den umgebenden Konflikten beeinflusst. Ist ein Konflikt in ein Geflecht anderer Konflikte eingebettet, so ist die Chance größer, dass er weite Auswirkungen hat. Das kann wie ein simples Domino aussehen, mit Auswirkungen nur in eine Richtung: wird ein Konflikt angestoßen, stößt seine Entwicklung weitere an.
In komplexen Storys wie »Game of Thrones« haben Konflikte oft einen hohen Brennwert, weil ihre Ergebnisse viele andere Konflikte beeinflussen – oft in verschiedene Richtungen innerhalb eines komplexen Netzwerks.[Fußnote 10]
Denken Sie an die Ermordung King Joffreys oder an die Bluthochzeit – beide in sich abgeschlossene Ereignisse, deren Auswirkungen jedoch in jedem der Herrscherhäuser und bei jedem der Anwärter auf den Eisernen Thron zu spüren sind. Und so auch bei dessen Verbündeten.
Hierbei spielt der Weltenbau eine zentrale Rolle. Je konfliktreicher Sie die Welt Ihres Romans gestalten, in all ihren Aspekten, und je mehr Sie die Konflikte vernetzen, desto mehr Potenzial bringt jeder einzelne, kleinere Konflikt mit.
Nehmen wir die Welt von »Die Tribute von Panem«. Konflikte sind überall, eben nicht nur in der Arena, wo Katniss und Peta und die anderen Tribute die Hungerspiele austragen. Auch die einzelnen Distrikte sind konfliktreiche Umgebungen, in der Not, die dort herrscht, und in ihrem Verhältnis zum unterdrückenden Kapitol. Das macht deutlich, wie wichtig ein entsprechender Bau Ihrer Romanwelt eben auch für die Konflikte und ihren Brennwert ist.
Je größer das Potenzial, desto mehr Aspekte des Romans oder desto mehr der Bedürfnisebenen der Figuren kann es betreffen, desto stärker also wirkt sich der Konflikt auf verschiedene Bereiche des Lebens der Figuren aus. Ein großer Konflikt kann über mehrere Bedürfnisebenen eskalieren und die Identität der Figur, ihre Werte, ihre Beziehungen zu anderen, ihre Emotionen und sogar ihre grundlegenden Wünsche und Träume beeinflussen.
Je mehr Bedürfnisebenen ein Konflikt betrifft, desto komplexer und faszinierender wird die Geschichte. Konflikte, die die Identität, Werte, Beziehungen, Emotionen und Sehnsüchte einer Figur gleichzeitig berühren, bieten Ihnen die Möglichkeit, tief in die Psyche der Figur einzutauchen und eine reichhaltige, vielschichtige Erzählung zu schaffen. Mit solchen Konflikten erzeugen Sie ein hohes Maß an Dramatik, da die Figur gezwungen ist, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu kämpfen – gegen äußere Umstände, gegen andere Figuren und gegen sich selbst.
Der von der Demütigung zu Beginn ausgelöste Konflikt im Film »Joker« (USA 2019) breitet sich nach und nach über sämtliche Bedürfnisebenen des Protagonisten Arthur Fleck aus. So wird seine Identität vollständig infrage gestellt, da er zwischen seiner Wahrnehmung als missverstandener Außenseiter und seiner Transformation zum Joker schwankt. Zudem werden seine Werte herausgefordert, da er von einem moralisch geplagten Individuum zu einer gewalttätigen Figur wird, die den Antrieb der Gesellschaft hinterfragt. Auch die Beziehungen zu anderen Menschen, insbesondere zu seiner Mutter, zu der eingebildeten Freundin und anderen Figuren zerbrechen, was seine Isolation und seine wachsende Desillusionierung verstärkt. Begleitet wird das von starken Emotionen wie Wut, Schmerz, Angst, neben dem Gefühl der Befreiung am Ende. Sein Verlangen nach Anerkennung und einem Platz in der Gesellschaft wird zunehmend durch den Drang zur Anarchie und Rebellion ersetzt.
Dank Konfliktstoffen mit einem hohen Brennwert, der den Konflikt über mehrere Bedürfnisebenen eskalieren lässt, ziehen Sie Leser oder Zuschauer besonders in den Bann Ihrer Storys.
Einsatz und Potenzial ähneln sich in vielem, sie sind jedoch nicht dasselbe und bedingen einander auch nicht. Der Einsatz ist das, was im Konflikt auf dem Spiel steht – das Ziel oder die Konsequenzen für die Figuren. Das Potenzial beschreibt, wie viel Spannung und Dramatik aus diesem Einsatz entstehen können und wie stark der Konflikt eskaliert.
Einsatz ist also ein Spannungsfaktor: Was kann gewonnen oder verloren werden?
Potenzial ist ein Konfliktfaktor: Wie weit kann sich der Konflikt entwickeln, wie intensiv und komplex wird er?
Geringer Einsatz, hohes Konfliktpotenzial
Zwei Nachbarn streiten über die Hecke zwischen ihren Grundstücken.
Einsatz: Minimal – die Höhe der Hecke oder der Wunsch nach Privatsphäre.
Konfliktpotenzial: Hoch – durch die Persönlichkeiten der Figuren, ihre Vorgeschichte oder zusätzliche Provokationen (z. B. einer reißt die Hecke heraus, der andere pflanzt neue, höhere Büsche). Der Streit könnte eskalieren, in einen Rechtsstreit münden oder sogar physisch werden.
Hoher Einsatz, geringes Konfliktpotenzial
Ein Astronaut kämpft auf einer einsamen Weltraummission um das Überleben der Menschheit.
Einsatz: Extrem hoch – das Überleben der gesamten Menschheit.
Konfliktpotenzial: Gering – wenn die Handlung zu linear ist oder es keinen emotionalen oder moralischen Gegenspieler gibt. Ohne weitere Konflikte (innere Zweifel, Sabotage durch einen anderen Astronauten, moralische Dilemmata) bleibt die Spannung auf den bloßen Überlebenskampf beschränkt.
Hoher Einsatz und hohes Konfliktpotenzial
Eine Journalistin deckt einen politischen Skandal auf, der ihre Familie und die nationale Sicherheit betrifft.
Einsatz: Hoch – ihre Karriere, ihre Familie, die Stabilität des Landes.
Konfliktpotenzial: Hoch – durch den moralischen Zwiespalt (Familie oder Wahrheit), externe Bedrohungen (etwa Drohungen durch die Regierung oder einen Whistleblower) und die Eskalation in mehreren Bereichen (politisch, persönlich, emotional). Der Konflikt könnte sich von Enthüllungen über den Skandal bis hin zu einem gefährlichen Machtkampf entwickeln.
Ein hoher Einsatz garantiert nicht automatisch hohes Konfliktpotenzial. Umgekehrt kann auch ein alltäglicher Einsatz dramatische Konflikte entfalten, wenn die Umstände und die Figuren die richtige Dynamik bieten. Die Kunst liegt darin, beides – Einsatz und Potenzial – gezielt aufeinander abzustimmen, um eine spannende Geschichte zu entwickeln.
Logisch, dass die Einsätze in komplexen Konflikten oder Konfliktnetzen vergleichsweise hoch sind, schon allein deshalb, weil mehr Konflikte und mehr Konfliktparteien beteiligt sind.
In »Die Tribute von Panem« hat der zentrale Konflikt – die Protagonistin gegen ihre Gegner bei den Hungerspielen – ein enormes Potenzial. Denn die Hungerspiele sind nur ein Instrument einer höheren Macht: die Diktatur des Kapitols. Aus dem persönlichen Kampf ums Überleben einer Figur entwickelt sich der Konflikt über drei Bücher hinweg, wird zunehmend komplexer und betrifft das gesamte Gesellschaftssystem der Welt und damit jeden Menschen darin. War der Einsatz zu Beginn das Leben einer Person, ist es am Ende das Leben jedes Menschen.
Sie können das Potenzial eines Konfliktstoffes also erhöhen, indem Sie die potenziellen Einsätze erhöhen.
Einsätze sind jedoch an die Figuren im Konflikt gebunden. So mag zwar ein Kalter Krieg zweier Supermächte ein gigantisches Konfliktpotenzial haben – doch wenn eine der Figuren ein Soziopath oder Psychopath ist, mag ihr das Schicksal dieser vielen Menschenleben egal sein: hohes Konfliktpotenzial, aber niedriger Einsatz für die Figur. Ähnlich sähe es aus, wenn die Figur von der Konstellation nichts weiß, weil sie abgeschieden von Nachrichten lebt.[Fußnote 11]
Auch auf die Suspense wirkt sich das Konfliktpotenzial aus – sofern die Leser es erkennen können. Der simpelste Weg: Sagen Sie es ihnen. Muss ja nicht plump geschehen. Sobald die Leser sehen, was – Großes, Schreckliches, Dramatisches – passieren könnte, sehen sie den weiteren Entwicklungen mit noch mehr gespannter Erwartung entgegen.
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Schreibtipp: Malen Sie den Lesern die möglichen Konsequenzen gerne bunt und detailliert aus. Und übertreiben Sie hemmungslos. Selbst wenn das gespannt Erwartete nicht oder nicht so eintrifft, etwa weil die Heldin es verhindert, hatten die Leser ja ihren Spaß, in Form von Suspense.
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Ein hohes Konfliktpotenzial ist reizvoll – für die Leser und für Sie als Autor. Für Sie macht es das Erschaffen dramatisch ergiebiger Konflikte sehr viel einfacher. Ihren Lesern machen Sie es damit einfacher, sich eine sexy Eskalation der Konflikte vorzustellen. Das ist nicht nur die Vorstufe oder Voraussetzung von Suspense – sondern auch ein wichtiges Verkaufsargument. Viele Leser können sich einfach nicht vorstellen, dass der Konflikt der Schmetterlingsfotografen sie für einen Roman lang fesseln wird. Und greifen zu einem anderen Buch.
Kein Wunder also, dass – neben dem Weltenbau als erstem Schritt – mit der wichtigste Aspekt für Ihre Arbeit mit Konflikten das Erkennen, Bewerten und Erhöhen des Konfliktpotenzials ist.
Sehen wir uns das mal praktisch an:
Variante 1: Zwei junge Leute lernen sich auf einem Kreuzfahrtschiff kennen und lieben. Die Frau aber ist verheiratet.
Konfliktpotenzial: gering bis mäßig.
Natürlich lässt sich aus dieser – wie aus jeder! – Konstellation ein spannender Roman schreiben. Doch ein geringes Konfliktpotenzial müssen Sie mit anderen Faktoren ausgleichen, etwa indem Sie die Motivation des Protagonisten verstärken oder die Situation so gestalten, dass sie den Konflikt eher begünstigt. Oder indem Sie ihm mehr Zeit für eine organische, glaubhafte Entwicklung lassen. Insofern sind Stoffe mit geringem Konfliktpotenzial eher etwas für Serien, wo genug Raum für eine vielstufige Eskalation bleibt.
Variante 2: Zwei junge Leute lernen sich auf einem Kreuzfahrtschiff kennen und lieben. Die Frau aber ist verlobt. Und der Mann ist mit an Bord.
Konfliktpotenzial: mäßig bis gut.
Das Potenzial eines Konflikts erkennen Sie insbesondere daran, wie schnell es Szenen in Ihrem Kopf entstehen lässt. Hier natürlich Szenen zwischen dem verliebten jungen Mann und dem Gatten. Oder zwischen den drei Figuren.
Variante 3: Zwei junge Leute, Rose DeWitt Bukater und Jack Dawson, lernen sich auf einem Kreuzfahrtschiff kennen und lieben. Die Frau aber ist verlobt. Der Mann, Caledon »Cal« Hockey, ist mit an Bord. Und das Schiff ist die Titanic.
Konfliktpotenzial: gewaltig.
Selbst wenn Sie den Film nicht kennen, so werden ihnen sofort Szenen in den Kopf springen, die das Chaos der Havarie zeigen und dramatisch nutzen. Die Szenen, die Sie sich in den beiden anderen Varianten ausgedacht haben, können während des Untergangs spielen und damit sehr viel mehr emotionale Wucht entfesseln.
Dem gegenüber erfordert das Konzept mit Sam, dem Schmetterlingsfotografen, mehr Arbeit und Kreativität. Dort ergeben sich die Szenen eben nicht so bereitwillig. Das hat durchaus Vorteile: Wenn Sie den Untergang eines Schiffes zeigen, greifen Sie automatisch eher zu Klischees als beim Konflikt der Schmetterlingsfotografen, der Sie eher zu originellen Ideen zwingt.