Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis - Stephan Waldscheidt - E-Book

Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis E-Book

Stephan Waldscheidt

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

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Stephan Waldscheidt

Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis

Bessere! Romane! Schreiben! 2

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Für wen ist dieses Buch und was erwartet Sie darin?

Zur Grobplanung eines komplizierten Romanplots

Mehr Dramatik durch Wechsel der Erzählperspektive

Informationsvorsprung von Leser oder Romanfigur

Die Vorteile von Froschperspektive und Understatement

Risiken ungewöhnlicher Erzählperspektiven

Informationsüberflutung des Lesers

Auslagern von Persönlichkeitsmerkmalen auf Nebenfiguren

Wie Sie Ihre Charaktere den Lesern näher bringen

Leser lesen gerne über Menschen bei der Arbeit

Zeigen Sie Ihren Lesern Menschen – und vor allem sich selbst

So steigen Sie richtig in Szenen ein – Teil 1 bis 3

Harte Schnitte

Überleitungen, Überbrückungen

Spannung auf jeder Seite   durch Mikro-Erwartungen

Zeit als Spannungsfaktor

So stehen Sie sich beim Erzeugen von Spannung nicht selbst im Weg

So verwenden Sie Metaphern richtig ? mit Hilfe von Wortwelten

So schützen Sie Ihre Bildwelten vor Unstimmigkeiten

Ein paar schnelle Gedanken über das perfekte Sprachbild

Warum Sie Romanfiguren nicht zu Tode beschreiben sollten

Worauf es bei der Beschreibung von Romanfiguren ankommt

Und noch ein paar Gedanken zu Beschreibungen von Romanfiguren

Vorsicht vor zu viel detaillierter Anatomie

Die beiden Säulen mitreißenden Erzählens

So holen Sie noch viel mehr aus der Geschichte heraus

Schreibmüde? So bringen Sie das Feuer zurück in Ihren Roman

Einmischen oder hinter dem Text Verschwinden – Teil 1 und 2

Was Sie vom Film »The King’s Speech« und der Figur Lionel Logue lernen können

So machen Sie aus Ihrem Roman eine unendliche Geschichte

Humor im Roman – Teil 1 bis 5

Zur emotionalen Tiefe und Höhe von Hindernissen

Warum Hindernisse aufeinander aufbauen sollten

Dialoge stärker machen – allein durch Streichen

So beenden Sie Ihre Szenen subtiler

Nur bestimmte Zufälle werden von Ihren Lesern akzeptiert

Wie Sie aus dem Klischee ausbrechen und Ihre Leser verändern

Wie zwei perfekte Popsongs Ihren Roman besser machen

So verbessern Sie mit der passenden Liste Ihren Roman

Weshalb ich an einem Abend drei Romane anfing – und beiseitelegte

Wie der Film »127 Hours« Ihren Roman verbessert

Wie der Film »Der Plan« Ihren Roman verbessert

Wie Sie sich Vorurteile Ihrer Leser zunutze machen

Haben Sie das Zeug zum Bestseller-Autor?

Wir lesen uns ...

Dank

Über Stephan Waldscheidt

Impressum neobooks

Für wen ist dieses Buch und was erwartet Sie darin?

Intro

*** Das Buch ist eine identische Neuausgabe von »Erzählkunstwerk Roman -- Bessere! Romane! Schreiben! 2« ***

Liebe Autorin, lieber Autor,

mit der Liebe ist es so eine Sache. Wir verlieben uns in die Falschen oder unsere Liebe wird nicht erwidert. Oftmals verlieben wir uns zuerst in das Äußere, in ein schönes Cover, in weiches Papier oder duftende Seiten. Letztlich aber kommt es auf die inneren Werte an. Was beim Romane Schreiben besser ist als in der Liebe: Zwar haben Sie kaum einen Einfluss auf das Äußere Ihres Buchs. Dafür aber können Sie seine inneren Werte gestalten. Indem Sie einen besseren Roman schreiben. Dabei hilft Ihnen dieses Buch.

Was suchen die Leser in dieser Beziehung? Den Lese-Quickie am Strand? Serielle Monogamie oder Vielbücherei? Eine langjährige Partnerschaft? Werden die Leser Ihren Büchern treu bleiben? Sie haben es mit in der Hand. Dabei hilft Ihnen dieses Buch.

»Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis --Bessere! Romane! Schreiben! 2« ist ein Beziehungsratgeber und wird Ihnen helfen, eine bessere Beziehung zu Ihren Lesern aufzubauen – und zu Ihren Trauzeugen und Hebammen, die in der Branche auch Agenten und Lektorinnen genannt werden. Garantien für das Gelingen der Partnerschaft gibt es nicht. Was Sie tun können: die Chancen für ein Scheitern verringern. Indem Sie das Richtige tun oder zumindest das Falsche vermeiden. Dabei hilft Ihnen dieses Buch.

»Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis --Bessere! Romane! Schreiben! 2« vereint Artikel aus meinem Blog schriftzeit.de. Alle wurden überarbeitet und, auch dank vieler Leserkommentare, zum Teil deutlich erweitert. Ich verrate Ihnen die Tricks erfolgreicher Autorinnen und Autoren und erkläre, wie Sie diese auch in Ihrem aktuellen Werk einsetzen – Inspiration inklusive.

Das Buch ist keine A-Z-Anleitung zum Schreiben von Romanen. Vielmehr erläutere und vertiefe ich anhand von Beispielen aus erfolgreichen Büchern Aufgaben und Schwierigkeiten, die jedem Romanautor früher oder später begegnen. Ich zeige Ihnen Techniken, wie Sie diese Herausforderungen lösen und Ihre Romane lesenswerter machen.

Dieser Ratgeber wurde von einem Praktiker für Praktiker geschrieben. Das Meiste, was Sie hier lesen, finden Sie (so) in keinem anderen Buch. Es sind Tipps für Feinschmecker.

Ich freue mich, wenn ich mit meinen Artikeln Ihrer Liebesbeziehung zum Leser auf die Sprünge helfen kann. Ich freue mich noch mehr, wenn ich mich eines Tages selbst zu diesen verliebten Lesern zählen darf.

Schreiben und lieben Sie los!

Stephan Waldscheidt, im März 2015

[email protected]

PS: Neue Artikel lesen Sie unter schriftzeit.de.

Zur Grobplanung eines komplizierten Romanplots

Was muss passiert sein, damit Frodo das Schiff besteigen kann?

Irgendwie schien alles miteinander verbunden – was sie getan hatte, was mit den Männern geschehen war, die sie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hatte, was mit diesen Typen in Princeton geschehen war. Löse eins davon auf und der Rest erledigt sich von allein. Ob es ihr gefiel oder nicht, ihr Leben war mit diesem Schlamassel verwoben. Sie konnte nicht einfach weggehen.

In seinem Thriller »Caught« (Signet 2010 / eigene Übersetzung / dt. »In seinen Händen«, Page und Turner*) beschreibt Harlan Coben in einem inneren Monolog seiner Heldin indirekt auch, worauf es im Bauplan eines gut konstruierten, spannenden Plots ankommt.

In den letzten beiden Sätzen des Zitats wird gesagt, dass die Heldin selbst in diesen Schlamassel involviert sein sollte. Ihr Einsatz hat sich im Laufe der Handlung immer weiter erhöht. Zunächst war sie nur eine Kommentatorin des Geschehens, dann eine, die versucht hat, es aufzuklären. Schließlich wird sie selbst darin verwickelt. Und zwar auf eine Weise, dass es für sie keinen Weg hinaus gibt – es sei denn, sie klärt alles auf.

Für Ihren Roman bedeutet das Zitat: Gegen Ende (nicht erst am Ende, sondern noch vor dem Höhepunkt) soll der Leser erkennen, dass alles in Ihrem Roman miteinander verbunden ist. Die Puzzleteile ergeben plötzlich ein zusammenhängendes Bild. (Die Auflösung während des Höhepunkts wird zu oft so dargestellt, dass der Schurke dem Helden den Plot erklärt. Aber eigentlich erklärt er es dem Leser. Höchste Klischeegefahr!)

Coben schreibt auch, wie Ihre Heldin zum Erfolg kommen kann: Indem sie eins der Rätsel, einen Subplot vollständig löst, ergeben sich die Lösungen für die anderen ungeklärten Subplots.

Um das zu schaffen, brauchen Sie, gerade wenn Sie mit mehreren Subplots und einer komplexeren Struktur arbeiten, einen Plan.

Vieles löst sich eben nicht von allein. Auch nicht bei Autoren, die behaupten, sie planen nicht, sondern schrieben einfach drauf los. Diese Autoren überarbeiten lediglich mehr und häufiger, bis sie diese Puzzleteile so angeordnet haben, dass sie dann doch ein Bild ergeben.

Oder sie sind Genies. Erfahrene Genies, die schon ein Dutzend Romane geschrieben haben und instinktiv wissen, was sie tun müssen, um eine solche komplexe Struktur zu konstruieren.

Eine einfache Möglichkeit, einen komplizierteren Plot zunächst grob zu planen und Ideen zu sammeln, ist die Was-muss-passiert-sein-Methode. Das Ende sollten Sie dazu, zumindest grob, im Kopf haben. Doch je genauer sie es kennen, umso präziser können Ihre Fragen sein und entsprechend präziser fallen auch die Antworten aus.

Beispiel.

Gandalf, Frodo und Bilbo Beutlin und eine illustre Schar Gesellen aus Mittelerde besteigen das Schiff an den Grauen Anfurten. In Mittelerde herrscht Frieden.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Der Eine Ring muss in den Rachen des Schicksalsbergs geworfen werden. Sonst lebte die illustre Schar nicht mehr und es gäbe auch keinen Frieden in Mittelerde.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Jemand muss ihn hineingeworfen haben.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Jemand muss ihn dorthin gebracht haben.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Dieser Jemand muss an den Ring gekommen sein.

Und so weiter …

Hilfreich ergänzen lässt sich dieses Vorgehen mit Hilfe der Plot-Meilensteine: die großen Wendepunkte am Ende von Akt 1 und Akt 2, der Höhepunkt und die Auflösung, Pinch Points, Krisen, auslösendes Ereignis.

Jeder dieser Meilensteine ist mit einer Frage verbunden. Der erste Wendepunkt (Plot Point) etwa mit der Frage, was geschehen muss, damit der Held seine Romanaufgabe annimmt, damit er sich so weit verpflichtet, dass er keinen Rückzieher mehr machen kann.

Auf diese Weise finden Sie übrigens auch eher den richtigen Einstieg und wollen nicht schon, wie das gerade Anfänger oft tun, hundert Meter vor der Haltestelle in den Plot-Bus steigen.

__

*) An dieser Stelle möchte ich den Marketing-Menschen hochleben lassen, der sich den Namen für das Random-House-Imprint Page und Turner hat einfallen lassen. Cheerio!

Mehr Dramatik durch Wechsel der Erzählperspektive

Hilfe, der Tiger ist los!

Die Erzählperspektive wird, wenn man so manchem Ratgeber glauben darf, vom Autor zu Anfang seiner Geschichte in Stein gemeißelt. Einmal gewählt, sollte sie tunlichst nicht mehr verändert werden, um den armen und, ach, so schreckhaften Leser nicht zu verwirren und ihn um Himmels Willen nicht aus seinem fiktionalen Traum zu reißen (den ich lieber Erzähltraum nennen will, weil »fiktionaler Traum« ja bloß eine armselige, wortwörtliche Übersetzung aus dem Englischen ist).

An anderer Stelle habe ich das mit der Erzählperspektive bereits dargestellt. Hier will ich es präzisieren:

1a. wenn es nicht der einzige Wechsel bleibt (»head hopping«) oder

1b. der Leser ihn nicht rechtzeitig mitbekommt

und wenn

2. die Erzählstimme eine personale ist und keine auktoriale.

Dennoch scheint der Wechsel viele Leser eben nicht zu stören. Belegt wird das von manchen Bestsellern, die sich lesen, als hätte der Autor einer Kröte eine Kamera auf die Stirn getackert und ließe sie wahllos von einem Kopf zum nächsten hüpfen.

Warum das die vielen Leser nicht stört, ist mir rätselhaft. Mich macht es wahnsinnig (Merke: Wahnsinn ist nicht Suspense*.), wenn ich nicht mal mehr weiß, welcher der sieben Leute in dem Raum denkt, dass Heribert heute hübsch aussieht und in wessen Hose die Magnum sich langsam, aber unweigerlich durch das große Loch in der Tasche Richtung Loafers frisst.

Der Grund für dieses Herumgehüpfe ist fast immer ein ganz banaler: Der Autor hat sich keine Gedanken über die Erzählperspektive gemacht. Er schreibt aus der Perspektive, die ihm, sorry, gerade in den Kopf kommt.

Es gibt Genies, die tun das, und am Ende steht da ein fantastischer Roman. Es sind deren wenige. Die meisten scheitern. (Nicht unbedingt bei den Verkaufszahlen, aber daran, einen guten Roman geschrieben zu haben. Nein, ich möchte jetzt nicht darüber diskutieren, ob der Erfolg ihnen Recht gibt.)

Wir Nicht-Genies und (noch) nicht von der Bestseller-Glücksfee Begünstigte lernen daraus, dass es eine gute Idee ist, zu wissen, was man tut. Auch beim Schreiben.

Gerade beim Schreiben.

Gertrud Fussenegger wusste das. Etwa, als sie den historischen Roman »Zeit der Raben, Zeit der Taube« (Deutsche Verlagsanstalt 1960, dtv 2005) schrieb. An einer Stelle entscheidet sie sich bewusst für einen Wechsel der Perspektive und erzielt dadurch eine enorme dramatische Wirkung.

Der kleine Léon will in den Zirkus und ein kleines Mädchen mitnehmen. Sein Problem: Er braucht Geld. Vielleicht von Maman?

Also versuchte Léon sein Glück bei der Mutter. Sie aber zeigte sich ängstlich: »Allein zum Zirkus – ihr Kinder – niemals, niemals. Denk, wenn ein Tiger freikommt oder wenn eine Schlange aus dem Gefängnis flieht, das ist schon oft geschehen, und dann fallen sie an, was ihnen in den Weg kommt, sie sind wild von der langen Gefangenschaft, wilder noch als in der freien Natur; es ist ja wohl überhaupt eine Sünde, die Tiere in Käfige zu sperren, nur, damit man sie herzeigen und anschauen kann.«

Léon bekommt sein Geld nicht, und er muss die kleine Véronique, der er den Besuch doch versprochen hat, vertrösten und anlügen. Dann bleibt ihm nur eins:

Am Abend dieses Tages stahl Léon seinem Vater zwei Sous aus der Rocktasche.

Am nächsten Tag zeigt Léon Véronique das Geld.

Véronique beugte sich vor, als wollte sie ihren Augen nicht trauen. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf die beiden Sous, dann stellte sie das Körbchen nieder mit dem irdenen Krug und dem Brot des Vaters, sie stellte es einfach an den Wegrand hin und sagte: »Gut, dann gehen wir.« Und sie folgte Léon, als habe er sie mit dem Geld gekauft.

Niemand wusste nachher zu sagen, wie es geschehen war und woran es eigentlich gelegen hatte, denn die Leute, die zu der Zeit im Zelt gewesen und der letzten Fütterung beigewohnt hatten, zerstreuten sich rasch, vielleicht, weil sie sich schämten, dass sie sich durch ein Nichts so sehr hatten erschrecken lassen, vielleicht auch, weil sie sich fürchteten, zur Verantwortung gezogen zu werden. Denn, obgleich man das Kind erst später fand, musste sich vermutlich doch in den meisten die Empfindung festgehakt haben, dass während der plötzlichen Panik in dem rasenden Gedränge irgendein Unglück geschehen sei. […] Das kleine Mädchen fand man erst später unter einer umgestürzten Bank, platt am Boden liegend, regungslos.

Es ist Nacht geworden in Périgeux, und die Straßen sind fremd und die Häuser sind fremd, alles ist fremd für das Kind, das herumirrt und nicht weiß, wohin.

Irgendwo ist Fenestrau, sind Vater, Mutter und die gute Tante Eugenie, irgendwo ist das weiße und weiche Bett im Winkel, die kleinen Brüder, Wärme, Sattheit und Schlaf.

Hier ist Nichts, schreckliches Nichts, leere, grausig leere finstere Gassen. Die Häuser stehen hinter den verriegelten Läden stumm und feindlich wie versiegelt.

Die bisherige Erzählperspektive, eine personale in der dritten Person bei Léon, wird aufgebrochen. Das eigentliche Ereignis im Zirkus wird dann in einem unpersonalen, nüchternen Ton berichtet, der an eine Reportage erinnert. Statt aber nüchtern zu wirken, sorgen die im Vorfeld aufgebaute Erwartung und die Neugier des Lesers dafür, dass die Reportage noch eindringlicher, ja, brutaler wirkt, als es eine personale Erzählung aus Sicht von Léon geschafft hätte – und: Die in solchen Szenen stets lauernde Melodramatik wird von vornherein umgangen.

Spannend ist die Reportage obendrein. Erstens durch die im Vorfeld gezeigten Ängste der Mutter. Und zweitens dadurch, dass die Autorin auf diese Weise vermeiden kann, sofort zu berichten, was geschehen ist. Wäre sie in der Erzählperspektive des kleinen Léon geblieben, hätte ein solches Aufschieben und Verschweigen unnatürlich, gezwungen, gewollt gewirkt statt überzeugend kindlich.

Auch der Wechsel zurück in die personale Erzählperspektive entfaltet seine Wirkung um ein Vielfaches verstärkt: Die eindringlichen Emotionen, die dort gezeigt werden, auch Léons Schuld, kontrastieren mit der Nüchternheit des vorangegangenen Berichts.

Suchen Sie in Ihrem Roman nach einer Szene, deren dramatische Wirkung Sie durch Perspektivwechsel verstärken können. Wenn Sie das so geschickt anstellen wie Gertrud Fussenegger hier, wird der Leser sich nicht aus seinem Erzähltraum gerissen fühlen, sondern im Gegenteil noch tiefer in Ihre Geschichte versinken.

__

*) Es gibt viele Möglichkeiten, Spannung und Suspense zu definieren. Folgende erscheinen mir zweckdienlich.

Informationsvorsprung von Leser oder Romanfigur

Ich weiß etwas, was du nicht weißt

Als er wieder draußen ist, pfeift er vergnügt: Jetzt liegt der Fall klar. Er fährt im Geist mit dem Finger darüber, und es gibt einen klaren Ton, wie ein gut gefülltes Glas Wein.

Dieser Ausschnitt aus dem extrem abgefahrenen SF-Roman »Quantum« von Hannu Rajaniemi (Piper Fantasy 2011) zeigt einen Charakter, Isidore, der gerade von einem Treffen mit einer Verdächtigen kommt und offenbar mehr weiß als der Leser. Wer hat den Chocolatier ermordet, wie und warum? Genauer: Isidore weiß mehr, als der Autor den Leser wissen lassen möchte. Das ist ein klassisches Mittel, um Spannung zu erzeugen.

Diese Methode bietet mehrere Vorteile: Zunächst muss der Leser anerkennen, dass der POV-Charakter, meist Heldin oder Held, ziemlich clever ist – cleverer als er. Ein Grund für den Leser, den Helden zu mögen oder ihn zumindest zu bewundern.

Und: Der Leser rätselt. Zu rätseln gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen von Lesern. Im weiteren Verlauf der Geschichte kann der Autor den POV-Charakter Dinge tun lassen, die, wenn der Leser sie nicht gleich versteht, er mutmaßlich diesem noch nicht gelösten Rätsel zuschreibt. Sprich: Er wird das Buch nicht gleich frustriert in die Ecke schmeißen.

Diesen Wissensvorsprung seines Charakters können Sie nahezu beliebig in die Länge und durch den Roman ziehen. Was zugleich die Schwierigkeit und die Gefahr ist: nicht zu erkennen, wann der späteste (und damit optimale) Moment gekommen ist, das Rätsel zu lösen.

Es bleibt nicht die einzige Gefahr. Stellen Sie als Autorin das falsch an, fühlt der Leser sich hingehalten. Vor allem dann, wenn das Geheimhalten künstlich wirkt. Ob es das tut, steht und fällt damit, wie konsistent Sie in der gewählten Perspektive erzählen.

Beispiel.

Gerade in der Ich-Perspektive wirkt es unglaubwürdig, wenn die Erzählerin ein wichtiges Geheimnis, das ihr bekannt ist, anspricht, es aber nicht verrät.

So habe ich den Roman »Sister« von Rosamund Lupton (Piatkus 2010 / eigene Übersetzung / dt. »Liebste Tess«) auch wegen einer solchen, für mich sehr gewollt und künstlich wirkenden Konstruktion beiseitegelegt.

Die Erzählerin schreibt an ihre tote Schwester und über den Mord, dem sie zum Opfer gefallen ist. Den Mörder und die Umstände kennt sie, aber sie verrät sie dem Leser nicht – mit einer an den Haaren herbeigezogenen Begründung:

Und es geht darum, dir zu sagen, warum du ermordet wurdest. Ich könnte am Ende beginnen, dir die Antwort geben, die letzte Seite, aber du würdest eine Frage stellen, die ein paar Seiten weiter zurück führt, dann noch eine, den ganzen Weg dahin zurück, wo wir jetzt sind. Also werde ich dich einen Schritt nach dem anderen führen, so, wie ich selbst dahinterkam, ohne mit meinem Wissen vorzugreifen.

Allein dass die Autorin hier den Bedarf hat, das Geheimhalten zu begründen, zeigt schon, wie fadenscheinig diese Konstruktion ist.

Das können Sie auch auf alle anderen Erzähltechniken anwenden: Immer, wenn Sie etwas ausführlich begründen oder erklären, liegt etwas im Argen. Erklärungen des Autors lösen keine Probleme, sie machen lediglich darauf aufmerksam.

Suchen Sie den Fehler und beheben Sie ihn – erzählerisch.

Ich jedenfalls werde das Rätsel, wer den Chocolatier ermordet hat, hier nicht aufdecken, so künstlich Ihnen diese Geheimniskrämerei auch vorkommen mag.

In der Regel erlauben die Leser dem POV-Charakter einen Wissensvorsprung und sind gerne bereit, sich dafür sehr weit an der Nase herumführen zu lassen. Wie weit, das ist leider von Leser zu Leser verschieden.

Anders stellt sich die Sache bei auktorialer Erzählperspektive dar. Der Erzähler dort ist kein Charakter des Romans. Stattdessen wird er als externer Erzähler wahrgenommen und akzeptiert. Der Leser verzeiht ihm jedwede Finte und Finesse, mehr noch: Der Leser erwartet, von ihm möglichst wirkungsvoll genasführt zu werden.

Wenn im auktorialen POV eine Romanfigur mehr weiß als der Leser, wird dies als erzählerisches Mittel erkannt und nicht als etwas, was den Charakter seine Glaubwürdigkeit kostet.

Der andere Fall eines Wissensvorsprungs: Der Leser weiß mehr als der POV-Charakter. Das klassische Beispiel: Im Keller sitzt das mit einem Samowar bewaffnete Monster Edeltrud, bereit, jedem Teenager, der zufällig die knarrenden Stufen hinabsteigt, gnadenlos eine Tasse selbst zubereiteten Kamillentees einzuflößen. Wir Leser schreien den Teenagern mental zu: »Tu’s nicht! Da unten sitzt Edeltrud!« Und wollen natürlich, dass die Teenager dennoch hinunter gehen, obwohl sie den Kamillentee ja schon auf der Treppe riechen können.

Die Spannung hier resultiert daraus, dass der Leser Gefahren früher erkennt als der Held und hilflos mit ansehen muss, wie der von uns geliebte Charakter in die Gefahr hineinläuft. Diese Hilflosigkeit ist ein gewaltiger Reiz, den wir im Leben außerhalb eines Buchs tunlichst vermeiden. Beim Lesen aber setzen wir uns ihm gerne aus, weil er dort nur simuliert wird.

Die Technik bietet unendlich viele Ausgestaltungsmöglichkeiten, etwa bei Geschichten, die nicht chronologisch erzählt werden oder wo der Leser das Ende schon am Anfang erfährt.

Die Gefahr: Der POV-Charakter – man denke an den Teenager, der nicht weiß, dass Kamillentee Gefahr bedeutet – erscheint dem Leser wenn nicht als dumm, so doch als nicht an den Grenzen seiner Möglichkeiten agierend. Das sollten Sie ausgleichen.

Beispiel. Sie legen vorher an, dass besagter Teenager Heuschnupfen und eine verstopfte Nase hat und so den Tee nicht riechen kann.

Bestseller-Autorin Patricia Cornwell gönnt den Lesern in »Bastard« (Hoffmann und Campe 2011) einen Wissensvorsprung gegenüber ihrer Ich-Erzählerin Ray Scarpetta. Cornwell sagt dazu: »Es ging mir darum, den Fall eines jungen Mannes, der mit einer sehr ungewöhnlichen Waffe ermordet wird, aus Kays Sicht zu schildern. Der Leser mag dabei oft in seinen eigenen Erkenntnissen ein Stückchen weiter sein als Kay. Ich habe diesen dramatischen Trick ja schon mehrmals in meinen Büchern angewandt und benutze ihn immer gerne, wenn Kay privat stark involviert ist.« (aus: Bücher 1, 2012, S. 51).

In der Variante des allwissenden Erzählers fühlt der Leser sich vom Erzähler ins Vertrauen gezogen, ja, als sein Verbündeter: Der Leser und der Erzähler wissen gemeinsam etwas, was der Charakter im Roman nicht weiß, das gemeinsame (Mehr-)Wissen schweißt sie zusammen.

Spätestens bei der Überarbeitung sollten Sie solche Wissensvorsprünge auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersuchen. Und wissen, ob Sie den Leser an der Nase herumführen oder ihn zu ihrem Verbündeten machen möchten.

Die Vorteile von Froschperspektive und Understatement

Vom Zehnmeterturm! Für Lore – und nicht für den Führer!

Die Helden Ihres Romans leben in ihrer eigenen, begrenzten Welt. Vergessen Sie das nicht – insbesondere auch dann nicht, wenn Sie über große und bedeutende und welterschütternde Ereignisse schreiben. Mit einer wunderbaren Lakonie zeigt Oliver Storz diese Sicht in seinem Roman »Die Freibadclique« (SchirmerGraf 2008) über eine Jugend in Schwaben 1944 bis 1946:

Die Westalliierten kamen schnell voran. Die Russen zielten auf Warschau. Bubu und ich sprangen vom Zehnmeterturm. Für Lore. Die war schon neunzehn und schaute uns trotzdem zu.

Zwar wissen die Jungen um das Weltgeschehen, aber ihr Leben leben sie in ihrer kleinen Welt. Die großen Ereignisse sehen sie, wie wir alle sie sehen, eben auch als Leser: aus der Froschperspektive.

Wenn Sie sich in einem Abschnitt für eine Erzählperspektive entschieden haben, verlassen Sie sie nicht automatisch wieder, sobald es um Politik oder Gesellschaft geht. Gerade in historischen Romanen oder solchen mit politischem Hintergrund oder gar einer Botschaft erhebt sich der Autor allzu leicht vom engen Leben seiner Figuren – und auch in Fantasy- und Science-Fiction-Romanen passiert das leicht, wenn eine fremde Welt beschrieben und erklärt wird.

Das Ausbrechen mag gewollt und sinnvoll sein und manches lässt sich kaum aus der persönlichen Perspektive eines Einzelnen erzählen. Wollen Sie jedoch, dass Ihre Leser in jedem Moment Ihres Romans so nah wie möglich bei Ihren Charakteren bleiben, ist das Beharren in der engen, personalen Erzählperspektive die bessere Wahl.

Vorsicht geboten ist bei der Perspektive des allwissenden oder auktorialen Erzählers. Sie verführt dazu, Propaganda, Belehrung und eigene Kommentare in die Geschichte eindringen zu lassen. Falls Sie das nicht möchten, bewegen Sie sich auf einem schmalen Grad. Achten Sie auf jeden Ihrer Schritte.

Ein anderes Problem kann sich offenbaren, wenn der allwissende Erzähler ganz auf Agitation verzichtet und, im Gegenteil, sehr objektiv berichtet: In längeren Abschnitten mit dieser Erzählstimme besteht dann die Gefahr, dass nur über das berichtet wird, was passiert – Handlung pur –, Reaktion und Reflexion aber fehlen – und dadurch auch Emotion.

Gravierender: Von der Einstellung der Charaktere zu den geschilderten (Groß-)Ereignissen erfährt der Leser nichts und verpasst damit ausgerechnet das, was ihn am meisten interessiert und an die Geschichte fesselt.

Beispiel – Objektive Sicht eines allwissenden Erzählers:

Der Imperator beherrschte Wquofig schon seit siebenunddreißig Dekaden.

Beispiel – Subjektive Sicht eines personalen Erzählers:

Wann krepiert der Kaiser endlich? Schon mein Großvater musste sich vor ihm beugen und wurde trotz harter Arbeit als Fischer arm bei dem Versuch, seine blutsaugerischen Steuern zu zahlen. Und wofür? Für noch einen Palast, für eine noch größere Armee, für Nachttöpfe aus Gold, in die der Imperator nur ein einziges Mal seine goldenen Eier legt.

Neben dem lakonischen Ton wirkt der eingangs zitierte Abschnitt aus Storz’ Roman auch wegen des Kontrasts so gut: Der furchtbaren Endphase eines furchtbaren Krieges wird das pubertäre Protzgehabe von Vierzehnjährigen gegenübergestellt. Kontrast ist eins der mächtigsten Stilmittel überhaupt.

Ein anderes ist Understatement.

Statt für die scheußlichen Geschehnisse nach adäquat scheußlichen Wörtern zu suchen, erzielen Sie mit Untertreibung oft die besseren Ergebnisse. Sie umgehen die Gefahr von Melodramatik und rufen im Leser dennoch starke Emotionen hervor.

Besonders deutlich erkennen lässt sich das im Film. Ein filmisches Pendant zum Understatement ist die getragene Chormusik plus Zeitlupe bei blutigen Schlachtenszenen. Heruntergespielt werden das Tempo und die Wucht der Klänge von Schwertern, von Kanonen, von Todesschreien. Herausgestellt werden die Gefühle: das Elend, das Leid, die Trauer. Mit anderen Worten: Durch das Understatement treten die Gefühle eindringlicher zutage – das Wichtigste beim Schreiben.

An diesem filmischen Instrument sehen Sie, was Understatement noch zu einer solch starken erzählerischen Waffe macht. Es geht darum, das weniger Wichtige herunterzuspielen, damit das Eigentliche deutlicher erkennbar wird.

Die Kehrseite: Mittlerweile ist das Mittel der Chöre, die statt des Kampflärms über blutigen Schlachten liegen, leider zum Klischee geworden. Statt echter Gefühle liefert es bloß klebrige Melodramatik.

Understatement bietet, bei gezieltem und das Klischee meidenden Einsatz, einen weiteren Vorteil: Es nutzt sich langsamer ab als Übersteigerung und Übertreibung. Wenn Sie es dazu mit Lakonie oder einer Art gelassenem, jüdischen Humor paaren, besteht kaum die Gefahr der Abnutzung.

Ähnlich arbeitet Imre Kertész in seinem Holocaust-Drama »Roman eines Schicksallosen«, wo ein KZ-Insasse Verständnis mit den Tätern und ihren unmenschlichen Taten aufbringt. Das Grauen über Hunderte von Seiten auf eine angemessen grausige Weise darzustellen, wäre als Roman unerträglich und unlesbar.

Wenn man dem Leser die fette Butter nur dünn aufs Brot schmiert, wird sie ihm nicht so schnell über.

Risiken ungewöhnlicher Erzählperspektiven

Brief an meine ermordete Schwester

Die heute am weitesten verbreitete Erzählperspektive in Romanen, die nahe dritte Person, ist auch deshalb so beliebt, weil sie die geringsten Risiken für den Autor birgt. Gerade Anfänger unterschätzen die Herausforderungen der ersten Person, der Ich-Perspektive. Rasch wirken manche Konstruktionen gestellt und nicht mehr glaubwürdig. So wie in dem Debüt-Roman der Engländerin Rosamund Lupton, »Sister« (Piatkus 2010 / eigene Übersetzung / dt. »Liebste Tess«), über den ich in einem der vorigen Kapitel bereits geschrieben habe und den ich hier aus einem anderen Blickwinkel betrachte.

Der Roman, eine Art Krimi mit literarischem Anspruch, wird als Brief einer Frau an ihre jüngere Schwester erzählt, in der ersten Person. Schon nach wenigen Seiten stört die allzu auffällige Exposition, die sich in Sätzen wie »Aber wie du weißt …« zu erkennen gibt und darin gipfelt, dass die Erzählerin ihrer jüngeren Schwester ihren Namen sagt, nachdem sie hört, wie er von vor dem Haus wartenden Journalisten ausgesprochen wird: »… mein eigener Name springt mich an: ‚Arabella Beatrice Hemming‘« und, nur wenige Zeilen später, wiederholt sie ihren Namen: »… es dauert einen Moment, bevor mir klar wird, dass ich, Arabella Beatrice Hemming, der Grund dafür bin.«

Kein Mensch würde solche Dinge in den Brief an die eigene Schwester schreiben. Gehen Sie daher in Ihrem Roman bedacht mit der Exposition um und klopfen Sie sie auf unauthentische Inhalte ab.