Spannung & Suspense - Die Spannungsformel für jedes Genre - Stephan Waldscheidt - E-Book

Spannung & Suspense - Die Spannungsformel für jedes Genre E-Book

Stephan Waldscheidt

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

"Referenzbuch in Sachen lit. Spannung" (FraMik1) ***** "Meisterwerk" (Alexandra Sobottka) --- Spannung verstehen, Suspense begreifen und in jedem Genre effektiv einsetzen – mit der Spannungsformel: So fesseln Sie Ihre Leser von der ersten bis zur letzten Seite Ihres Romans --- "Das Buch ist brillant und hat mir bei meinem aktuellen Manuskript wieder weitergeholfen." (Isabell Schmitt-Egner) --- Spannung ist nichts Ungreifbares, das beim Schreiben nebenher und zufällig entsteht. Sondern ein komplexes Instrument mit vielen Einstellknöpfen. Als AutorIn können Sie Spannung gezielt steuern – und das sollten Sie tun. Wie Sie das anstellen und wie Ihr Roman mit jedem Knopfdruck besser wird, lesen Sie in diesem Buch. --- "Durch dieses Buch wurden mir plötzlich Zusammenhänge bewusst, die mir bisher nicht klar waren. Ich kann nun vieles wesentlich besser verstehen und weiß jetzt, wo ich bei meinen Texten ansetzen muss, um diese besser zu machen! Das Buch ist ein echter Schatz und gehört für mich zu den besten Schreibratgebern in meinem Regal." (Romana Pirelli) --- Wenn Konflikt der Treibstoff für einen Roman ist, so ist Spannung der Treibstoff für den Leser. Nervennahrung. Ohne gespannte Leser kein Roman. Und zwar in jedem Genre, Untergenre, Genremix, auch in literarischen Romanen. Wie Sie den Leser ohne Pause in Atem halten, lesen Sie in diesem Buch. --- Die Spannungsformel für jedes Genre --- Damit Spannung entstehen kann, braucht es eine Reihe von Faktoren. Die daraus resultierende Spannungsformel gibt Ihnen konkrete Instrumente an die Hand, mit denen Sie die Spannung in Ihrem Roman gezielt und auf vielfältige Weise beeinflussen können.

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Stephan Waldscheidt

Spannung & Suspense

Die Spannungsformel für jedes Genre

(Meisterkurs Romane schreiben)

Und das steht Spannendes drin

Und das steht Spannendes drin

Intro

Teil 1: WAS IST SPANNUNG?

Leser unter Strom – Wie auch Nicht-Elektriker spannende Romane schreiben

Plötzlich greift eine Möwe an – Wie Schock in die Spannungsformel passt

Es geht mal wieder um alles – »Ihre Einsätze, bitte« oder »Was auf dem Spiel steht«

Was droht? Tod! – Sagen Sie klar, was auf dem Spiel steht

Rabiat zerrte der Drache mich fort – Dynamik als Spannungsfaktor und wie sie sich zusammensetzt

Ich würde nicht auf uns wetten – Risiko als Spannungsfaktor

Wird Katniss die Spiele überleben? – Spannung ist eine Frage im Kopf des Lesers

Unversöhnlich am Telefon – Spannung als Anhäufung ungelöster Konflikte

Warum Rogue One langweilt – Was, wenn die wichtigste Zutat von Spannung fehlt?

So krass endet Game of Thrones – Spannung ist vor allem eine Sache des Lesers

Teil 2: WIE ERZEUGEN SIE SPANNUNG?

Spannung direkt vom Erzeuger – Wie Sie mit den richtigen Komponenten die Spannungsfaktoren vergrößern

Nicht klug, doch er kennt die Liebe – Nichts ist spannender für lesende Menschen als ... Menschen

Unter der Treppe grüßt das Monster – Mit Urängsten für Spannung sorgen

Angst und Gewalt, sie leben hoch! – Wie Evolution und Psychologie für spannende Romane sorgen

Ein Geheimnis. Und dann noch eins. – Das Zauberwort bei der Erzeugung von Spannung im Roman

Chauffeur, Hiob, Leichenfinder – Mit unterschiedlichen Konflikten Ihren Roman spannender machen

Panther vs. Stäbe, Wanderer vs. Tod – Konflikte ausreizen! Bis aufs Blut!

Kämpfen? Fliehen? Heiraten? Morden? – Wie Sie mit Entscheidungen Spannung erzeugen

Der Kleine mit der Schleuder da? Ha! – Kontrast als Mittel zur Spannungserzeugung

And the winner is: die Emotion – Spannung erzeugen mit widerstreitenden Emotionen

Ich will keinen Anzug kaufen – Spannung erzeugen mittels Status

Kein Sex mit dem deutschen Spion – Wie Sie mit Verboten Spannung erzeugen

Spannung? Liegt in der Luft! – Wie Sie mit Atmosphäre Spannung erzeugen

Die weise Stimme aus dem Off – Wie der auktoriale Erzähler Spannung erzeugt

Die Kerze erlischt – Spannung erzeugen, indem Sie etwas nicht schreiben

Diese Enge, Mann, sie bringt mich um! – Spannung und Thema

Teil 3: WAS IST SUSPENSE? WIE ERZEUGEN SIE SUSPENSE?

Hitchcocked – Was Suspense ist und kann

Wann schnappt sie das nächste Opfer? – Mit unterschwelliger Suspense konfliktarme Szenen aufwerten

Die Schwerter des Damokles – Bedrohungen als Mittel der Suspense

Meister der Suspense: Ihr Zahnarzt – Was Sie von einem Zahnarztbesuch für Ihren Roman lernen können

Ein Rassist mit abgesägter Hand – Wie Sie Suspense mit maximaler Wirkung auflösen

Nein, ich bin nicht George Kaplan – Die »Warum glaubt mir denn keiner«-Methode für mehr Spannung und Suspense

Vulkanausbruch beim Smoothie – Eskalation: Suspense in Stufen. Ein Fallbeispiel.

Die berühmteste Pistole der Welt – Suspense mittels Requisiten

Prinzip Hoffnung – Suspense zwischen Hoffen und Bangen

Suspense mit dem Dampfhammer – Suspense mal weniger subtil

Teil 4: SPANNUNG & SUSPENSE IN JEDEM GENRE

Spannende Liebe, langweiliger Thrill – Spannung und Suspense sind genrespezifisch

Die Leidenschaft der Kommissarin – Was Sie tun können, wenn Ihr Roman ins falsche Genre geraten ist

Die Liebe ist wie ein Turnier – Spannung im Liebesroman/Romance

Verführt – Verbotenes Verlangen – Spannung im Erotik-Roman

Rätsel um einen unmöglichen Mord – Spannung im Krimi

Eine Bombe im Bus – Spannung im Thriller

Die Hebamme auf dem Scheiterhaufen – Spannung im Historischen Roman

Wenn der Elb gegen Zwerge kämpft – Spannung im Fantasy-Roman

Was lauert da im Schwarzen Loch? – Spannung im SF-Roman

Geh bloß nicht in den Keller, Kind! – Spannung im Horror-Roman

Ungewöhnliche Töne im Wahnsinn – Spannung in der literarischen Belletristik und dem Mainstream-Roman

Aufregende Jagd und glückliche Welt – Spannung im Kinderbuch

Außenseiter im Chaos der Gefühle – Spannung im Jugendbuch / Young Adult / New Adult

Story auf Steroiden – »All Age« – Ein Roman für jedes Alter. Mythos oder Realität?

Avatar des Lesers auf der Titanic – Gibt es Spannungarten, die universell funktionieren?

ANHANG

Dank, gebührend

Über Waldscheidt

Impressum

Intro

Es gibt keine spannenden Romane.

Nicht per se. Denn Spannung steht nicht auf der Seite Ihres Buchs, sie ist vielmehr eine komplexe Emotion im Leser. Dieses Emotionsgeflecht können Sie ansprechen, beeinflussen, sogar kontrollieren. Mit dem, was Sie schreiben und wie Sie das tun.

Spannung ist nichts Nebulöses, Ungreifbares, das irgendwie entsteht. Sondern ein hochkomplexes Instrument mit vielen Einstellknöpfen. Als Autor können Sie Spannung gezielt steuern – und das sollten Sie auch tun, Ihre Leser erwarten es von Ihnen. Wie Sie das anstellen und wie Ihr Roman mit jedem Knopfdruck besser wird, lesen Sie in diesem Ratgeber.

Spannung ist mehr als eine Zutat für Ihren Roman, sie ist ein essenzieller Teil davon – ohne Spannung kein Roman. Tatsächlich braucht jeder Roman, der diesen Namen verdient, Spannung. Selbst ein hochliterarisches Werk.

Wenn Konflikt der Treibstoff für einen Roman ist, so ist Spannung der Treibstoff für den Leser. Nervennahrung. (Und manchmal sind Sie der Doktor oder die Ärztin, die über dem Leser steht. Mit den Paddeln des Defibrillators in Ihren Händen. Aber bitte nur anwenden, wenn’s sein muss.)

In diesem Buch werden Sie mehr über Spannung lernen als in jedem anderen Ratgeber. Das ist ein Versprechen. Ein zweites: Ihre Romane werden merklich spannender werden und Ihre Leser spürbar zufriedener – und zu Stammlesern.

Womit wir beim Thema wären: Versprechen sind eine von unzähligen Möglichkeiten, Spannung in Ihren Roman zu bringen. Denn ein Versprechen enthält immer auch eine dramatische Frage: »Wird das Versprechen eingehalten werden?«

Das, was Sie über Spannung wissen, werden Sie nicht aufgeben müssen. Im Gegenteil. Sie werden Ihre Erfahrungen zur Spannungsgestaltung endlich in einen Zusammenhang stellen und wesentlich effektiver und effizienter damit arbeiten und Ihre Geschichten designen können.

In Teil 1 sehen wir uns an, was Spannung ist, und entwickeln eine für alle Genres gültige Formel für hochspannende Romane. Diese zeigt Ihnen die notwendigen Bedingungen für Spannung und gibt Ihnen ein mächtiges Instrumentarium an die Hand, um Spannung hervorzurufen und gezielt zu beeinflussen.

In Teil 2 erkunden wir anhand von Beispielen aus Romanen und Filmen wichtige Methoden, wie Sie Spannung erzeugen, und steigen tiefer ein in die Spannungsfaktoren und deren Komponenten.

In Teil 3 widmen wir uns der mächtigsten Spannungsart: Suspense. Was ist Suspense? Was unterscheidet sie von anderer Spannung? Wie setzen Sie sie in Ihren Romanen am wirkungsvollsten ein? Sie werden Hitchcocks Genie mit neuen Augen sehen (und auch selbst ein wenig hitchcockiger werden).

In Teil 4 erkunden wir, was Spannung mit dem Genre zu tun hat. Wir betrachten die wichtigsten Genres und Genre-Mischungen und entdecken die zentralen Spannungsarten der einzelnen Genres. Ihr Roman, egal ob Romance, Historischer Krimi, Fantasy oder sogar Literatur, wird endlich sein volles Spannungspotenzial entfalten dürfen. Ihre Subgenres und Genre-Mischungen sind ebenfalls willkommen.

In jedem Kapitel werden Sie auf anschauliche Weise neue Methoden entdecken und dazu inspiriert, das Spannungspotenzial Ihres Romans und die Spannung im Leser zu erhöhen. Konkrete, sofort umsetzbare und immer wieder einsatzfähige Ideen.

Es gibt keine spannenden Romane? Die gibt es doch. Spannend sind Romane, die ein hohes Spannungspotenzial bieten und den Leser so stark engagieren, dass er aus dem Potenzial Hochspannung macht.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und eine anregende Lektüre. Auf Ihre spannenden und noch spannenderen Romane bin ich schon jetzt ... sehr gespannt.

Stephan Waldscheidt

schriftzeit.de

Teil 1: WAS IST SPANNUNG?

Leser unter Strom – Wie auch Nicht-Elektriker spannende Romane schreiben

Was ist Spannung? Es gibt viele Definitionen. Und viele Metaphern dafür. Jede gut gewählte Metapher macht nicht nur klarer, was Spannung ist – sondern wie Sie Ihren Roman noch spannender machen können.

Spannung ist ein Gefühl im Leser, ein Zustand gesteigerter Aufmerksamkeit und besonderer Wachheit. Spannung sorgt für eine höhere Aufnahmebereitschaft Ihrer Leser für das, was Sie schreiben und erzählen. Wenn Sie die Spannung erhöhen, kommt das jedem Aspekt Ihres Romans zugute.

Wir könnten Spannung auch das Nervensystem eines Romans nennen. Wie Nervenfasern ist die Spannung überall präsent – und notwendig. Überall gibt sie Impulse und muss zugleich in jeder Faser spürbar sein. Vor allem aber: Auch Nerven funktionieren mit Strom, in jedem Nerv gibt es Spannung.

Sehen wir uns an, was diese Faktoren für Sie und Ihren Roman konkret bedeuten. In diesem Kapitel betrachten wir die Faktoren nur gerade so genau, um daraus unsere Spannungsformel zu entwickeln. Danach gehen wir alles einzeln und detailliert durch und belegen es mit konkreten Beispielen aus Büchern und Filmen. Seien Sie unbesorgt: Sie haben keine Chance, es nicht zu verstehen.

Vom Widerstand zum Konflikt

Welche Widerstände muss die Protagonistin überwinden, um ihrem Ziel näherzukommen?

Der Widerstand ist der Punkt, an dem sich Konflikte entzünden. Je mehr Widerstände Sie Ihrer Heldin in den Weg stellen und je größer diese sind, desto mehr Spannungspotenzial weist die Situation auf. Ohne Widerstand gibt es keinen Konflikt und keine Spannung.

Denken Sie bei den Hindernissen sowohl an solche, die außerhalb des Protagonisten liegen (ein eiskalter See, der durchschwommen werden will), als auch an solche, die der Protagonist in sich trägt (seine seit der Kindheit in ihm verwurzelte panische Angst vor dem Ertrinken).

Entscheidend für Ihren Roman ist hier nicht der Widerstand an sich – der Widerstand muss einer sein, der dem Protagonisten den Weg zum Ziel erschwert. Nehmen wir an, in Ihrem Thriller wolle Heldin Anita verhindern, dass Bösewichtin Schurkowskaja in Frankfurt eine Bombe zündet. Da lauert ihr bei Aldi in Wiesbaden eine alte Schulfeindin auf, um zu verhindern, dass Anita dort Orangen kauft. Damit trifft Anita zwar auf einen Widerstand. Aber weil dieser nichts mit ihrem eigentlichen Ziel zu tun hat, wird er beim Leser nicht für mehr Spannung sorgen.

Eine beinahe selbstverständliche Bedingung für spannungswirksame Widerstände wollen wir nicht unterschlagen: Die Widerstände müssen groß sein. Wenn sie allzu leicht überwunden werden können, kann keine Spannung aufkommen. Das ist wie in der Elektrizitätslehre: Fließt Strom durch einen widerstandsarmen Supraleiter unterhalb seiner kritischen Temperatur, fällt so gut wie keine Spannung ab.

Statt von Widerständen sollten wir daher eher von Konflikten sprechen. Formulieren wir die Frage am Anfang dieses Abschnitts um:

Welche (schwierigen) Konflikte muss die Protagonistin meistern, um ihrem Ziel näherzukommen?

Wichtig für unsere Spannungsformel ist: Ein Konflikt ist nur so lange spannend, wie er ungelöst bleibt. Sobald der Konflikt gelöst wird, endet die Spannung schlagartig. Weshalb es notwendig ist, dass Sie immer mehrere Konflikte am Laufen haben.

Das beste Beispiel für die Bedeutung des Ungelöstseins sind Geheimnisse. Sie sind spannend, solange sie nicht aufgelöst sind. Jeder weitere Konflikt addiert sich zu den anderen und macht so den Roman spannender.

Zunächst banal erscheint die folgende Voraussetzung: Ein Konflikt kann nur dann spannend sein, solange sein Ausgang ungewiss ist.

Wenn Hase und Igel um die Wette rennen, steht der Hase als sicherer Sieger fest. Weil er schlicht schneller laufen kann.

Bei näherer Betrachtung jedoch können sich gerade aus der vermeintlichen Gewissheit spannende Ideen ergeben. Denn von dieser Voraussetzung gibt es Ausnahmen.

• Wenn etwas passiert, das den Ausgang wieder offen hält.

Der Hase kann zwar schneller rennen und müsste gewinnen. Dann aber stolpert er und bricht sich ein Bein – und der Igel zieht gemächlich an ihm vorbei und als Erster ins Ziel.

• Wenn es eine Wendung gibt, die den Leser überrascht.

Beim Wettrennen zwischen Hase und Igel siegt der Igel mit Hilfe eines Tricks: Er engagiert seine Frau und hetzt mit ihrer Hilfe den arglosen Hasen zu Tode.

Stromstärke (Intensität)

Die Stromstärke ist die Ursache der Schmerzen, wenn Sie eine gewischt bekommen. Eine hohe Spannung können Sie überleben, wie Ihnen ein Kontakt mit einem Elektroschocker von einer Million Volt bestätigen wird (Ausprobieren auf eigene Gefahr!). Eine hohe Stromstärke hingegen grillt Sie. Der elektrische Stuhl richtet seine Opfer bei fünf bis sieben Ampere hin. Je höher die Stromstärke, desto höher das Risiko für den Betroffenen, sein Leben zu verlieren.

Falls Sie sich die Formel nicht merken möchten, denken Sie an etwas Konkreteres: Die Stromstärke Ihres Romans ist die Intensität, mit der die Charaktere durch Ihre Szenen jagen und die Leser Ihrer Geschichte folgen.

Damit Sie besser damit arbeiten können, splitten wir das noch weiter auf: in Dynamik, Einsatz, Risiko und Leser-Engagement.

Dynamik als Spannungsfaktor

Zur Intensität gehört die Veränderung, die Zeitgebundenheit oder Dynamik. Elektrische Spannung entsteht nur dann, wenn Strom fließt – Spannung im Roman kann nur dann entstehen, wenn sich etwas in Ihrem Roman bewegt und ändert: Charaktere, Konflikte, Emotionen, Entscheidungen, Handlungen.

Je mehr sich bewegt und im Fluss bleibt, desto größer das Potenzial für Hochspannung.

Beispiel: Der Protagonist steht vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er die Frau retten, die er über alles liebt, oder sie ihrem Schicksal überlassen und stattdessen den Lastwagen aufhalten, der mit einer Bombe auf eine Kita zusteuert? Die Entscheidung wird neu definieren, was für ein Mensch er ist. Auf dem Weg dahin macht er ein Auf und Ab von Gefühlen durch, innerlich zerreißt ihn der Konflikt. Während all das in ihm abläuft, versucht er, den Lkw so rechtzeitig abzufangen, dass ihm vielleicht doch noch Zeit bleibt, zu seiner Geliebten zu eilen. Ein äußerer Konflikt, der sich zuspitzt ...

Hier sehen Sie, wie Spannung durch die hohe Dynamik (= schnell verstreichende Zeit) an verschiedenen Punkten entsteht.

Doch Dynamik meint noch viel, viel mehr. Dazu unten Genaueres.

Ohne Dynamik keine Spannung!

Beispiel: Hätte der Protagonist von oben endlos lange Zeit für seine Entscheidung, käme keine Spannung auf. Auch wenn der Lkw auf einem Parkplatz stünde, statt auf die Kita zuzurasen, gäbe es keine Spannung. Der Protagonist könnte, wenn er gerade die Zeit findet, rüberschlendern und den (schlafenden) Fahrer erledigen. Oder es genauso gut sein lassen. Werden Sie auch gerade so müde?

Einsatz als Spannungsfaktor

Was passiert, wenn der Protagonist sein Ziel nicht erreicht?

Ist der Einsatz ein nasses Streichholz, gähnt der Leser. Setzt der Protagonist hingegen das Leben einer ganzen Stadt aufs Spiel, ist eine Voraussetzung für Spannung gegeben.

Denken Sie dabei sowohl an Einsätze, die außerhalb des Protagonisten liegen (Menschen können sterben, wenn er versagt), als auch an solche, die er in sich trägt (er wird sich den Rest seines Lebens sein Versagen vorwerfen und depressiv werden, falls er scheitert).

Ohne hohe Einsätze keine Spannung!

Risiko als Spannungsfaktor

Mit welcher Wahrscheinlichkeit scheitert der Protagonist bei der Verfolgung seines Ziels?

Wenn die Protagonistin den auf den Schienen Gefesselten einfach in aller Ruhe losmachen kann, weil er auf einem toten Gleis liegt, kommt keine Spannung auf. Ist die Gefahr hingegen groß, dass in den nächsten Sekunden eine U-Bahn um die Ecke rattert, so blättert der Leser gespannt um.

Um auf mehr Ideen zu kommen, gehen Sie die Frage von zwei Seiten an: Wie können Sie die Wahrscheinlichkeit für den Protagonisten erhöhen, dass er scheitert? Wie können Sie die Chancen senken, dass er triumphiert? Dazu unten Genaueres.

Ohne Risiko des Scheiterns keine Spannung!

Engagement des Lesers als Spannungsfaktor

Wie sehr ist der Leser an der Lösung der dramatischen Frage interessiert und mit den Charakteren emotional verbunden?

Ein Leser, dem die Charaktere und ihre Probleme egal sind, wird nicht gespannt auf die Auflösung der dramatischen Fragen warten. Fühlt und leidet er hingegen mit den Charakteren, so ist er bei den Spannungsfragen hoch engagiert. Für die Spannung essenziell ist es also, den Leser mit den Charakteren emotional zu verbinden, die Sie in spannenden Situationen zeigen.

Beispiel: Sie haben als Leser Frodo über Hunderte von Seiten durch Tolkiens »Herr der Ringe« begleitet, sind emotional ganz nah bei ihm und seinem positiven Alter Ego Sam. Ob Frodo es schaffen wird, den Schicksalsberg zu erreichen, ist für Sie zu etwas Persönlichem geworden. Als wären Sie selbst ein Mitglied der Gemeinschaft des Rings. Die Spannung, die Sie empfinden, ist gigantisch.

Ohne Leser-Engagement keine Spannung!

Beispiel: Im selben Roman steht das Leben eines alten Königs auf dem Spiel, der eine Nebenrolle spielt. Sie interessieren sich nicht für den König, bringen ihm weder Emotionen entgegen, noch haben Sie sich mit ihm identifiziert. Die Szene, wo es darum geht, ob er geköpft wird oder nicht, überblättern Sie. Sie wollen zurück dahin, wo Sie Ihre Gefühle investiert haben: zu Frodo und Sam.

Mit hinein in das Engagement des Lesers spielt sein intellektuelles, also das von seinem Verstand bestimmte Interesse an der Beantwortung der dramatischen Fragen. Darunter kann etwa professionelle Neugier fallen, wenn ein Leser, von Beruf Anwalt, die im Roman in einer Gerichtsverhandlung aufgebaute Spannung genießt. Oder, genrespezifisch, etwa die Rätselspannung in einem Krimi bei der Suche nach dem Mörder.

Da Emotionen fast immer der wesentlich stärkere Faktor sind, werden wir uns im Folgenden hauptsächlich mit ihnen befassen. Die Rätselspannung als zentrale Spannungsart im Krimi sehen wir uns unten bei den Genre-Spannungen genauer an.

In das Engagement des Lesers können eine Reihe von Aspekten eingehen. Anders als die Spannungsfaktoren addieren sich die Komponenten eines Faktors auf. Also beispielsweise so:

emotionale Verbindung zu den Charakteren

+ intellektuelle Verbindung

+ (über-)erfüllte Erwartungen

+ Spannungsvorschuss

Was das im Einzelnen konkret bedeutet, sehen wir uns unten an mehreren Stellen noch genauer an, auch anhand von Beispielen.

Die Spannungsformel

Nur wenn alle oben genannten Spannungsfaktoren vorhanden sind, ist die Situation in Ihrem Roman aufgeladen – und nur dann kann Spannung aufkommen.

Das gießen wir in eine Formel:

Das sieht kompliziert aus, macht Ihre Arbeit jedoch einfacher. Denn jeder der Faktoren ist eine Stellschraube, an der Sie die Spannung hochdrehen können. Mehr noch: Mit der Spannungsformel haben Sie endlich ein Instrument zur Hand, mit dem Sie die Spannung in Ihrem Roman sehr präzise steuern können.

Diese Formel ist nicht endgültig. He, wir schreiben hier einen Roman, keine Physik-Klausur! Sie können Ihre persönliche Spannungsgleichung aufstellen, indem Sie weitere für Ihren Roman an der Stelle relevanten Faktoren hinzufügen. Wir werden das im letzten Teil des Buchs bei den Genres so machen.

Betrachten Sie diese Formel als Mindestvoraussetzung für die Erzeugung von Spannung. In den meisten Fällen wird sie Ihnen beste Dienste beim spannenderen Schreiben leisten.

Ein Ergebnis von null ist umso bitterer, wenn Sie viel Arbeit und Grips investieren, um die anderen Faktoren gewaltig aufzudrehen.

Was die Spannungsformel für Sie und Ihren Roman leistet

• Die Spannungsformel gibt Ihnen eine Reihe von Faktoren an die Hand, mit denen Sie die Spannung in Ihrem Roman gezielt und auf vielfältige Weise beeinflussen können. Betrachten Sie jeden dieser Faktoren nicht als Last, sondern als Geschenk: einfache Ansatzpunkte für mehr Spannung in Ihrem Roman.

Schon einen der Faktoren zu erhöhen, erhöht die Spannung. Erhöhen Sie alle, fesseln Sie den Leser. Erhöhen Sie alle gewaltig, halten Sie den Leser die ganze Nacht wach.

Damit rücken Sie die Spannung von einer mehr oder weniger zufälligen Nebenwirkung von Plot und Handlung dorthin, wo sie hingehört: ins Zentrum Ihrer Aufmerksamkeit, Kreativität und Schreibarbeit.

• Durch die verschiedenen Faktoren können Sie die Spannung insgesamt abwechslungsreicher gestalten und halten.

Damit vermeiden Sie es, immer nur an derselben Spannungsschraube zu drehen und so den Leser auf Dauer zu langweilen. Manche Autoren versuchen beispielsweise, die Spannung nur dadurch zu erhöhen, dass sie dem Leser noch krassere Konflikte vor den Latz knallen, anstatt auch mal die Einsätze zu erhöhen oder die Dynamik zu variieren.

• Im zweiten Akt Ihres Romans (sofern er drei Akte hat) geht es grundlegend um Eskalation. Logisch, dass auch die Spannung eskalieren sollte. Die Formel unterstützt Sie dabei, die Spannung zu einem Zeitpunkt mit der Spannung zu einem späteren Zeitpunkt zu vergleichen und zu sehen, ob die Geschichte tatsächlich spannender geworden ist.

Statt zwei komplexe »Spannungen« miteinander zu vergleichen, was ziemlich schwierig ist, können Sie beispielsweise die Einsätze vergleichen. Ging es eben für Ihre Heldin noch darum, den Job zu behalten, geht es zum Vergleichszeitpunkt für sie darum, am Leben zu bleiben. Eine klare Eskalation des Einsatzes und damit (wenn die übrigen Faktoren unverändert geblieben sind) eine Eskalation der Spannung.

• Jeder der Faktoren beflügelt Ihre Kreativität, indem er Ihnen nicht ein allzu vages »Erhöhe die Spannung, Schreibender!« zuruft, sondern zum Beispiel ein präziseres »Erhöhe die Einsätze des Protagonisten!«. Damit wissen Sie besser, was Sie zu tun haben und wo Sie Ihre Ideen sprießen lassen sollten.

• Sie werden neben den Methoden zur Spannungserzeugung, die Sie bereits effektiv anwenden, neue entwickeln können, die sowohl sehr persönlich als auch präzise auf die Anforderungen Ihres Romans zugeschnitten sind.

• Auch sorgt die Auffächerung der Spannung in Faktoren dafür, dass die Arbeit für Sie überschaubarer wird. Während es wie eine kaum zu bewältigende Aufgabe erscheinen mag, die »Spannung« zu erhöhen, ist es leichter und schneller zu meistern, etwa die Spannungswirkung eines bestimmten Konflikts zu steigern.

• Die Spannungsformel ist ein hervorragender Ansatzpunkt für die Suche nach den Ursachen schwächelnder Spannung. Und, nach der Entdeckung, für deren Behebung.

Sagen Ihnen Ihre Testleser, dass in Kapitel 17 die Spannung total absackt, suchen Sie womöglich lange und vergeblich nach den Gründen. Diese finden Sie wesentlich eher und schneller, wenn Sie statt der wolkigen »Spannung« deren unverzichtbare Faktoren einzeln durchgehen.

• Jeder Faktor enthält selbst wieder Komponenten, an denen Sie drehen und so für mehr Spannung sorgen können. Im Verlauf des Buchs werden wir eine Vielzahl solcher Komponenten ausführlich kennenlernen und an Beispielen herausfinden, wie sie funktionieren.

In aller Regel addieren sich diese Komponenten auf.

• Viele Maßnahmen, Spannung zu erzeugen, betreffen mehrere Faktoren zugleich. So können Sie beispielsweise mit einer Veränderung der Atmosphäre die Dynamik und das Engagement des Lesers beeinflussen. Auch dazu unten mehr.

• Die Faktoren können, müssen aber nicht unabhängig voneinander sein. So kann etwa ein interessanter Konflikt beim Leser für ein höheres intellektuelles Engagement sorgen als ein langweiliger Konflikt, der ihm so schon hundert Mal in einem Buch begegnet ist. Auch ein Zusammenhang zwischen Risiko und Konflikt ist naheliegend.

Das heißt für Sie, dass Sie durch die richtigen Ideen gleichzeitig an mehreren Faktoren drehen und die Spannung umso stärker steigen lassen können.

Falls Sie es nicht auf Anhieb schaffen, sich sämtliche Faktoren und Komponenten zu merken – bleiben Sie locker. Viele Bestandteile der Formel wird Ihr Roman bereits aufweisen, weil Sie manches instinktiv oder aus Erfahrung richtig machen und sich anderes beispielsweise aus dem Plotten heraus ergibt.

Außerdem greifen wir im Verlauf des Buchs immer wieder auf die Formel und ihre Faktoren zurück und sehen sie uns, praktisch angewandt, in vielen Beispielen aus Büchern, Filmen und TV-Serien an. Am Ende wenden Sie die Formel ganz selbstverständlich an. Versprochen.

Bei all diesem Formelkram sollten Sie im Hinterkopf behalten, dass wir hier keine Mathematik oder Physik betreiben, auch will ich Sie nicht zum Elektriker umerziehen. Die Formel dient neben der Veranschaulichung vor allem einem: dass Sie bequemer, übersichtlicher, variantenreicher und insgesamt besser mit Spannung arbeiten und Spannung steuern können.

Wie Sie die einzelnen Faktoren ausgestalten, dazu finden Sie detaillierte Tipps, Tricks und Beispiele im Laufe dieses Buches.

Egal, welche Definition von Spannung die für Sie praktikabelste ist, vergessen Sie eins nie: Spannung muss nicht nur in der Geschichte entstehen, sondern vor allem im Leser. Wenn Sie Ihre Charaktere von einer Schlacht in die nächste zwingen, haben Sie zunächst lediglich Konflikte innerhalb der Geschichte. Der Leser kann davon vollkommen ungerührt bleiben und wird sich langweilen. Erst, wenn der Leser der Auflösung des Konflikts entgegenfiebert, empfindet er Spannung.

Wie Sie es schaffen, dass der Leser hochgespannt allen Ereignissen Ihres Romans folgt, finden wir im Rest dieses Ratgebers gemeinsam heraus. Und wir werden die Gleichung so aufschlüsseln, dass sie Ihnen weitere Stellschrauben zum Hochdrehen der Spannung gibt.

Die Sache wird noch richtig spannend. Schnallen Sie sich an.

Plötzlich greift eine Möwe an – Wie Schock in die Spannungsformel passt

Melanie tuckert in ihrem kleinen Boot übers Meer. Am Ufer wartet schon ihr neuer Freund Mitch. Melanie sieht gut aus, sie freut sich auf das Wiedersehen. Eine leichte Brise weht, die Frisur sitzt. Manche von Ihnen werden sich an die Werbung für 3-Wetter-Taft erinnert fühlen.

Die Kamera schwenkt kurz in den Himmel, zeigt eine Möwe. In der nächsten Einstellung stürzt sie sich auf Melanie. Es ist nur ein kurzer Kontakt, zunächst scheint nur die Frisur zerzaust zu sein und Taft als nicht möwenfest entlarvt.

Für die Zuschauer von Hitchcocks Thriller »Die Vögel« (USA 1963; Regie: Alfred Hitchcock; Drehbuch: Evan Hunter nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier) ist der Angriff der Möwe ein Schock aus, tatsächlich, heiterem Himmel.

Ein Schock. Und mit ihm die Frage: Ist ein Schock überhaupt spannend? Ich finde, ja. Ein Schock in einer Geschichte sorgt für ein jähes Emporschnellen der Spannungskurve – die danach ebenso schnell wieder abfällt. In manchen Genres sind Schockmomente unverzichtbarer Bestandteil des Spannungsmenüs. Das Medium Film hat hier dem Buch gegenüber einen Vorteil, weil es das Plötzliche und Krasse sinnlicher transportieren kann. Bilder funktionieren schneller als Wörter.

Aber auch Wörter oder Sätze können schockieren. Insofern ist der Schock für Sie als Romanautor ein probates Mittel zur Spannungserzeugung. Und das nicht nur in Horror-Romanen.

Sondern auch in einem Liebesroman oder Ehedrama:

Sofia kam nach Hause und steckte das Handy weg. Die Nachricht ihrer Schwester Nike würde sie später lesen. Warte, was war das? Aus dem Schlafzimmer Geräusche. Lag Arndt im Bett und hatte den Fernseher laufen? Um diese Zeit? Sollte er nicht im Laden sein? Besorgt ging Sofia nach oben.

Noch bevor sie durch die angelehnte Schlafzimmertür spähte, wusste sie, was für Geräusche sie da hörte. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Bitte, Gott, lass es nicht wahr sein. Bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass Arndt mich nicht mehr liebt.

Sie schob die Tür einen Spalt weiter auf. Im selben Moment wandte die nackte Frau in ihrem und Arndts Ehebett sich um.

Nike.

In dieser kleinen Szene haben wir Spannung, die dann am Ende – durch den Schock, dass Sofias Mann sie mit ihrer eigenen Schwester betrügt – nochmals jäh nach oben schnellt.

Wie passt der Schock in unsere Spannungsformel?

Ein Schock bringt insbesondere zwei Faktoren mit: Dynamik und Konflikt.

Wo bleiben die Emotionen? Als Sofia ihre Schwester mit Arndt ertappt, sind da doch stärkste Emotionen im Spiel – bei Sofia ebenso wie bei dem mit Sofia emotional verbundenen Leser – und sie kommen schlagartig hoch. Das stimmt. Doch wegen seiner Plötzlichkeit ist der Schock vor-emotional. Die starken Emotionen bei Sofia und beim Leser kommen erst im Anschluss, als Reaktion auf den Schock. Damit aber befinden wir uns schon wieder in der Post-Schockphase, also in einer neuen Spannungssequenz. Und für die gelten wieder die Regeln der normalen Spannung, die eine längere Zeitspanne der Handlungsgegenwart betrifft.

Die Dynamik liegt im Wesen des Schocks. Das Unerwartete und Plötzliche eines Schockmoments sorgt für höchste Dynamik und damit als starker Faktor für einen sehr positiven Einfluss auf die Spannung.

Sei es der für Melanie unerwartete Angriff einer Möwe oder Sofias Entdeckung, dass ihre Schwester und ihr Ehemann eine Affäre haben, beides ist potentester Konfliktstoff.

Hier zeigt sich jedoch zugleich, was Sie als Autor beim Einbau eines Schockmoments falschmachen können.

Wandeln wir dazu mal die oben beschriebene Schockszene aus Hitchcocks Thriller um, dann wird es deutlich.

Melanie schippert in ihrem Boot zu Mitch, bester Dinge, die Frisur perfekt. Da rammt aus heiterem, äh, Brackwasser ein Hai ihr Boot.

Ein Schock, kein Zweifel, sowohl für Melanie als auch für den Zuschauer.

Wieso ist es der falsche Schock? Weil er nichts mit dem Thema der Geschichte zu tun hat, die ja nicht »Die Fische« heißt.

Ein spannungstechnisch guter Schock tut nämlich mehr als nur zu schockieren. Er bereitet künftige Ereignisse vor und erhöht so die gespannte Erwartung des Lesers, die Suspense. Die Möwe in »Die Vögel« leistet das ganz offensichtlich und bravourös.

Ebenso tut das die Entdeckung Nikes im Bett mit dem Ehemann – sofern es bei dem Roman beispielsweise um eine Liebesgeschichte oder ein Familiendrama geht. Stammte die Szene jedoch, sagen wir, aus einem Science-Fiction-Roman über eine Alieninvasion, der demnächst sowohl Nike als auch der untreue Gatte zum Opfer fallen, wäre der Schock für die Protagonistin Sofia zwar immer noch einer. Dem Roman jedoch wäre er nicht dienlich.

Und genau diese Frage sollten Sie stellen, wann immer Sie einen Schock einbauen (was grundsätzlich eine gute Idee ist, sofern Sie es damit nicht übertreiben):

Dient der Schock meinem Roman, bereitet er wichtige Ereignisse vor und sorgt er für mehr Suspense?

Falls Sie alle drei Teile dieser Frage mit »Ja!« beantworten, wird der Schock seine maximale Spannungswirkung entfalten.

Es geht mal wieder um alles – »Ihre Einsätze, bitte« oder »Was auf dem Spiel steht«

Was passiert, wenn der Hobbit Frodo den Ring nicht zum Schicksalsberg bringt? Was geschieht, wenn Luke Skywalker es nicht schafft, den Todesstern zu zerstören? Was wird aus Clarice Starling und dem entführten Mädchen, wenn die FBI-Agentin den Serienkiller Buffalo Bill nicht erschießen kann?

Hohe Einsätze sind das, was Spannung erst spannend macht. Was steht auf dem Spiel? Viel. Was kann schlimmstenfalls passieren? Eine Menge.

Unsere Spannungsgleichung hat gezeigt, dass ganz ohne Einsatz keine Spannung aufkommen kann.

Worum geht es in Ihrem Roman? Nein, ich meine nicht, was das Thema Ihrer Story ist. Sondern worum es Ihren Charakteren geht. Nehmen Sie Ihren Protagonisten. Er hat ein Ziel. Gut. Er will es unbedingt erreichen. Sehr gut. Er hat ein starkes Motiv dafür. Ausgezeichnet. Und er stirbt, wenn er es nicht schafft. Nein? Gar nicht gut. Er sollte es aber tun.

Zu Ihrer Beruhigung: Mit »Tod« können hier auch metaphorische Arten des Ablebens gemeint sein. (Die folgende Dreiteilung der Einsätze findet sich beispielsweise bei dem amerikanischen Thriller-Autor und Autorencoach James Scott Bell.)

1. Der tatsächliche, physikalische Tod als Ende des Lebens.

Exitus. Flatline. Radieschen von unten. Krematorium von oben.

2. Der psychologische Tod.

Beispiel: Das Ziel Ihrer Heldin ist es, in einem Hollywood-Film mitzuspielen, eine Sprechrolle. Das ist ihr großer Traum, auf den sie seit ihrer Jugend hinarbeitet. Nach vielen Versuchen scheitert sie, gibt auf. Ihre Hoffnung, ihr Traum ist gestorben.

Das klassische Beispiel: Der Held hat einen Roman lang versucht, das Herz seiner Geliebten zu erobern. Am Ende scheitert er. Sein Herz stirbt. Auch das eine Art von psychologischem Tod.

Wann immer es Ihrem Roman dient, können Sie die Einteilung auch weiter spezifizieren, indem Sie beispielsweise den psychologischen Tod in den emotionalen und den intellektuellen Tod aufspalten.

3. Der professionelle Tod.

Beispiel: Wenn Unfallchirurg Dr. Brinkmann jr. bei dieser entscheidenden OP versagt, weil man seine Franzbranntweinsucht bemerkt, wird seine Karriere zu Ende sein. Kein Krankenhaus wird ihn mehr einstellen. Dabei liebt er seinen Beruf mehr als seine Kinder. Na ja, so einem Typen wünschen wir vermutlich den professionellen Tod. Wird ihm hoffentlich eine Lehre sein, diesem herzlosen Halbgott in Weiß.

Noch ein Beispiel ist das erste Beispiel aus Punkt 2. Nicht in Hollywood anzukommen, würde für die ehrgeizige Schauspielerin auch den professionellen Tod bedeuten.

Daraus sehen Sie auch, dass hohe Einsätze in jedem Genre bedeutsam sind.

Anders können Sie sich der Frage über die Maslowsche Bedürfnishierarchie nähern. Maslow verteilt in seiner bekannten Pyramide die menschlichen Bedürfnisse auf verschiedene, hierarchische Ebenen, von den grundlegendsten Bedürfnissen wie Nahrung oder Schlaf bis hin zu Transzendenz und Selbstverwirklichung.

Unsere Spannungsthese hierzu: Je grundlegender ein solches Bedürfnis ist, desto größer der Einsatz, wenn der Protagonist es aufs Spiel setzt.

Für den Leser ist das nachvollziehbar. Das Leben aufs Spiel zu setzen ist ein höherer Einsatz, als beispielsweise die Wertschätzung der Kollegen zu riskieren.

Sowohl Bell als auch Maslow beziehen sich auf objektive Einsätze. Sie sind für den Leser auch dann verständlich und nachvollziehbar, wenn er den Charakteren nicht sehr nahe ist. Folglich eignen sich objektive Einsätze besonders gut gerade für Romane mit einer Erzählperspektive, die den Protagonisten nicht sehr nahe ist.

Beispiel: Wenn in Ihrem Roman der Innenminister über Maßnahmen bei der Geiselnahme in einer Schule entscheiden muss, wird er sich womöglich an den Zahlen orientieren. Er sucht objektive Vergleichsgrößen, da er persönlich nicht involviert ist. Schreiben Sie den Roman aus Sicht des Ministers, spielt die Zahl der Menschen, deren Leben gefährdet ist, eine entscheidende Rolle für die Höhe des Einsatzes.

Schreiben Sie den Roman jedoch aus Sicht der Mutter einer der Schülerinnen, sieht die Sache anders aus. Das Leben ihrer Tochter ist dieser Mutter mehr wert als alles andere, egal, ob es da um drei Fremde geht oder um zwanzig ihr bestenfalls namentlich bekannte Mitschüler. Wenn es um das Leben ihrer Tochter geht, steht für diese Mutter subjektiv mehr auf dem Spiel, als wenn es um das Leben von zwanzig ihr nur flüchtig Bekannten ginge. Entscheidend ist in dieser nahen Erzählperspektive und insbesondere bei Romanen in der Ich-Form die subjektive Bedeutung des Einsatzes für die betroffene Romanfigur.

Das ergibt noch aus einem anderen Grund Sinn. In Romanen, in denen der Leser sehr nahe bei den Protagonisten ist, identifiziert er sich eher mit ihnen – und damit gewinnt die Subjektivität der Erfahrungen der Protagonisten an Bedeutung.

Andersherum: Ganz wichtig für das Entwickeln möglichst hoher Einsätze ist also die Frage, wie nahe Sie dem Leser Ihre Protagonisten bringen und bringen wollen.

Schreiben Sie einen Roman aus einer eher entfernten Erzählperspektive, ist es meist besser, den Leser mit (mehr oder weniger) objektiven Einsätzen unter Spannung zu setzen.

Schreiben Sie hingegen aus einer sehr nahen personalen Perspektive (mit dem Extrem der Ich-Form), steigt die persönliche und subjektive Bedeutung der Einsätze für die Protagonisten. Zugleich verstärken Sie durch dieses Persönlichmachen der Einsätze auch die Nähe und Intimität der Perspektive.

Selbst wenn die Einsätze objektiv groß erscheinen, können sie dennoch als Spannungsfaktor versagen. Das zeigt beispielsweise der Roman »The Colour of Law« von Mark Gimenez. Darin verliert Protagonist Scott Fenney so ziemlich alles, was sein Leben ausmacht: seinen Ferrari, seine Villa, sein Jahreseinkommen von einer Dreiviertelmillion Dollar und auch seine Vorzeigeehefrau. Diese Verluste aber kommen beim Leser nicht an – weil er sich mit dem Protagonisten Scott Fenney zu wenig identifiziert und weil er Fenney nicht abnimmt, dass ihm diese Dinge so wichtig sind.

Eine Million Euros bedeuten nichts, wenn sie dem Charakter nichts bedeuten. Andersherum kann ein Glas Wasser alles bedeuten, wenn der Charakter danach giert, weil er kurz vor dem Verdursten steht – und nicht verdursten will.

Doch wenn dieser Verdurstende dem Leser egal ist, nutzt auch diese hohe Bedeutung nicht genug. Der Einsatz wird vom Leser lediglich intellektuell als hoch erkannt, bleibt ihm emotional jedoch gleichgültig.

Sprich: Damit hohe Einsätze ihre Wirkung als Spannungsfaktor erfüllen, sollten Sie dafür sorgen, dass die Einsätze vom Leser als essenziell erkannt und, über die Verbindung zum Charakter, nachempfunden werden.

Dass mangelnde Einsätze selbst einen ansonsten hervorragenden Roman sehr viel an Spannung kosten, zeigt der Thriller von Robert Crais, »Chasing Darkness« (Simon & Schuster 2008 / keine deutsche Ausgabe). Schon die Leserbewertung weist darauf hin, dass etwas mit dem Roman nicht stimmt. Als eines der wenigen Bücher aus der Reihe um den Privatermittler Elvis Cole hat das Buch eine Leserbewertung von durchschnittlich weniger als vier Sternen bei Amazon.

Wie finden Sie die Einsätze, die einen Roman spannend machen? Nähern Sie sich der Frage von zwei Seiten. Einmal von der allgemeinen Seite, also etwa den drei möglichen »Toden«, die James Scott Bell nennt, oder unserer umgedrehten Bedürfnispyramide. Dann von der speziellen, individuellen Seite, indem Sie fragen: Was ist dem Charakter besonders wichtig?

Bei Elvis Cole sind das, neben den allgemeinen Dingen wie Leben (Gefahr: physischer Tod) und Gesundheit, sein Job als Privatdetektiv (Gefahr: professioneller Tod), seine Katze (Gefahr: Tod von Beziehungen), seine Freundschaften (Gefahr: Tod von Beziehungen oder psychologischer Tod) und auch sein Haus in den Hügeln über Los Angeles (Gefahr: Tod der Sicherheit).

Tatsächlich ist in »Chasing Darkness« nicht einer der genannten Aspekte bedroht. Einige Bedrohungen gegen Elvis Cole werden zwar angedeutet, etwa die, seinen Job zu verlieren, oder die, seine Gesundheit zu riskieren, als er zusammengeschlagen werden soll. Dabei aber bleibt es. Zwar hangelt sich Protagonist Cole durch einen interessanten, gut geschriebenen Roman mit einer raffinierten Geschichte und überraschenden Wendungen – und doch fühlt sich das Buch die ganze Zeit über unvollständig an, unbefriedigend.

Unsere Spannungsformel hätte ihm dabei helfen können, die Knackpunkte aufzudecken.

Eine weitere Möglichkeit, die passenden Einsätze zu finden, sind die Ängste Ihrer Charaktere. Fragen wie »Wovor fürchtet sich der Charakter in dieser Situation am meisten?« oder »Welche schlimmen Dinge malt sich der Protagonist für den Fall aus, dass er sein Ziel nicht erreicht?« weisen Ihnen die Richtung.

Oder Sie nähern sich Einsätzen über ihren Wirkkreis:

• Betrifft der Einsatz nur den Charakter?

Beispiel: Wenn Lana zu spät ins Krankenhaus kommt, wird sie sterben.

• Betrifft der Einsatz die Beziehung zwischen Charakteren?

Beispiel: Wenn Robby nicht vor Bella zu Hause ist, wird dieses böse Miststück seiner Frau vorlügen, er hätte Bella beklaut.

• Betrifft der Einsatz das direkte Umfeld des Charakters?

Beispiel: Wenn Elli mit ihren Freundinnen nicht schnell genug aus dem verlassenen Kaufhaus kommt, werden die Zombies sie alle erwischen.

• Betrifft der Einsatz mehr als den privaten Bereich des Charakters, also die Öffentlichkeit oder Umwelt?

Beispiel: Wenn Constantin den Killersatelliten nicht rechtzeitig zum Absturz bringt, werden die todbringenden Sporen über der halben Welt verteilt, wo sie niederregnen und alles Leben auslöschen werden.

Selbst die höchsten Einsätze sind bedeutungslos, wenn der Leser nichts von ihnen weiß. Das ihren Leser mitzuteilen, versäumen regelmäßig auch erfahrene und sogar erfolgreiche Autoren. Es gibt kaum einen für die Spannung folgenreicheren Irrtum beim Schreiben als diesen: ganz selbstverständlich anzunehmen, der Leser wisse schon, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn der Protagonist sein Ziel nicht erreicht.

Doch auch wenn Sie auf die lange Distanz des Romans die Einsätze klarmachen, auf Szenen-Ebene vergessen Sie das schnell einmal. Auf dieser kurzen Distanz ist für den Leser die Kenntnis dessen, was auf dem Spiel steht, kaum weniger wichtig. Neben dem Erwähnen, Klarstellen oder Betonen der Einsätze ist auch die Stelle in der Szene, wo Sie die Einsätze vorstellen, von Bedeutung.

Als Faustregel dürfen Sie sich merken: Je wichtiger die genaue Kenntnis der Einsätze für den Leser ist und je unwahrscheinlicher es erscheint, dass er von selbst darauf kommt und sie detailliert kennt, desto früher in der Szene sollten Sie klarstellen, was bei der Nichterreichung des Szene-Ziels für den oder die Protagonisten auf dem Spiel steht.

Kurz: Je wichtiger und unklarer die Einsätze, desto früher bringen und klären.

Scheuen Sie sich nicht davor, die Einsätze offen anzusprechen oder sie Ihre Charaktere im Klartext sagen zu lassen: Wenn wir das Alien-Raumschiff nicht stoppen, bevor es in die Erdatmosphäre eintritt, ist unser blauer Planet Toast.

Einsätze müssen dabei keineswegs so gigantisch sein wie in einigen der Beispiele hier, zumal wenn es nur um einzelne Szenen-Ziele geht. Schon objektiv oder subjektiv kleinere Einsätze können den Leser gespannt(er) auf den Ausgang der Szene machen.

Beispiel: Ein Ehedrama. Marlene will nicht mit Peer streiten, nicht schon wieder. Seine kürzlich entdeckte und inzwischen beendete Affäre belastet die Beziehung genug.

Am Anfang der Szene denkt Marlene:

Sie mussten das Wochenende bei ihrer Tochter arrangieren, schließlich ging es um Sandras Verlobung. Peer und sie würden dort auftauchen und das glückliche Ehepaar geben, dazu war sie fest entschlossen. Jetzt musste sie ihm das nur noch klarmachen. Und bitte ohne Streit!

»Wegen Sandras Verlobung«, begann sie, und Peer blickte von seinem Smartphone auf.

Marlene hat ein Ziel: das Wochenende zu planen. Sie hofft, es gibt keinen Streit. Die Szene verheißt Konflikte zwischen den Ehepartnern.

Stellen wir dem die Variante mit Einsätzen gegenüber:

Sie mussten das Wochenende bei ihrer Tochter arrangieren, schließlich ging es um Sandras Verlobung. Peer und sie würden dort auftauchen und das glückliche Ehepaar geben, dazu war sie fest entschlossen. Jetzt musste sie ihm das nur noch klarmachen. Und bitte ohne Streit! Noch ein Streit würde die empfindliche Waffenruhe, auf die sich in den letzten Wochen eingependelt hatte, erneut belasten, wenn nicht hinfällig machen. Eine harmonische Verlobung, das wenigstens waren sie Sandra schuldig.

»Wegen Sandras Verlobung«, begann sie, und Peer blickte von seinem Smartphone auf.

Das Ziel wird ergänzt um Einsätze – und sofort ist der Leser gespannter auf den Ausgang.

Extratipp: Mit hohen Einsätzen überzeugen Sie Leser bereits in Ihrem Marketing. Ob es um den Klappentext Ihres selbstveröffentlichten Romans geht, ums Anschreiben an den Agenten oder um die Synopsis in Ihrem Verlagsexposé – packen Sie die Einsätze dort mit hinein, erhöht das die Verkaufschancen.

Im nächsten Kapitel betrachten wir die Einsätze aus einem anderen Blickwinkel. Aber vorher sollten Sie sich noch notieren, an welchen Stellen in Ihrem Roman Sie die Einsätze klarer machen und wo Sie sie erhöhen.

Was droht? Tod! – Sagen Sie klar, was auf dem Spiel steht

Mich erschreckt, wie viele Romane so vor sich hinplätschern, ohne dass man als Leser den Eindruck gewinnt, hier stünde für die Heldin mehr auf dem Spiel als das trockene Nachhausekommen bei einem Wolkenbruch. Oftmals liegt es an den Einsätzen. Diese sind entweder zu gering oder der Leser kennt sie nicht oder nicht genau genug.

Dabei sind klare Einsätze als Spannungsfaktor für einen gelungenen Roman weit kritischer, als viele Autoren denken. Denn sie oder ihr Fehlen wirken sich auf so ziemlich alles andere in der Story aus.

Schon im Prolog von »Der Herr der Ringe« wird die Macht des Gegenspielers Sauron gezeigt mitsamt ihrer verheerenden Auswirkungen für Mittelerde. Noch bevor die Hauptfigur Frodo überhaupt auftaucht, weiß der Leser schon, was für die Welt des Romans auf dem Spiel steht. Später, als Frodo den Ringgeistern begegnet, wird ihm durch diese monströsen Gestalten vor Augen geführt, was der riskiert, der sich dem Einen Ring unterwirft und damit zum Sklaven Saurons wird. Am eindrucksvollsten erinnert im weiteren Verlauf ein anderer Charakter sowohl den Leser als auch Frodo an seinen Einsatz: Der Hobbit Smeagol bezahlte seine langjährige Nähe zum Einen Ring mit seiner Degeneration in den grotesken Olm Gollum. Als ein fleischgewordener Beweis von Frodos hohem Einsatz weicht Gollum bis zum Ende nicht mehr von Frodos Seite.

Und jetzt stellen Sie sich »Der Herr der Ringe« ohne die schrecklichen Taten Saurons vor, ohne die Ringgeister und ohne Gollum. Spannungsmäßig fehlt da eine Menge, oder?

Deshalb reite ich so darauf herum. Aber wir betrachten nicht nur die Gefahren beim Umgang mit Einsätzen. Sie werden in diesem Kapitel auch eine Menge darüber erfahren, wie Sie Einsätze gezielt zur Spannungserzeugung verwenden.

Was passiert, wenn zu wenig auf dem Spiel steht?

Steht zu wenig auf dem Spiel oder hat der Charakter nicht genug zu verlieren oder sind seine Einsätze zu gering …

• ist unklar, warum der Protagonist überhaupt aus dem Bett kommt.

• ist unglaubhaft, dass die Protagonistin sich anstrengt.

• wirkt der Protagonist schwach.

• kann aus einer Protagonistin nie eine Heldin werden.

• findet entweder keine Veränderung im Helden statt (weil der Veränderungsdruck fehlt), oder

• wirkt die Veränderung unglaubhaft oder zufällig, da ohne Druck zustande gekommen.

• fehlt es im Lauf des Romans an Zuspitzung.

• interessiert sich der Leser nicht für die Geschichte.

• entstehen keine starken Emotionen im Leser.

• kommt keine Spannung auf.

Die Liste ist nicht vollständig. Sie dürfen gern weitere Punkte ergänzen. Vermutlich finden Sie auch welche in Ihrem Roman.

Manchmal steht eine Menge auf dem Spiel, und trotzdem funktioniert der Roman nicht. Wie kann das sein?

Ein möglicher Grund dafür: Der Autor macht nicht klar genug, was die Protagonistin aufs Spiel setzt. Manchmal liegt das daran, dass der Autor denkt, die genauen Einsätze ergäben sich aus dem Kontext. Ist doch offensichtlich, glaubt die Autorin, was Melanie riskiert, wenn sie nachts um halb eins das Hotelzimmer mit der Nummer 313 betritt.

Ist es das tatsächlich? Riskiert Melanie eine Tracht Prügel ihres eifersüchtigen, frauenverachtenden Liebhabers Donald? Oder könnte sie das in der Geisterstunde spukende Gespenst George mit seiner Kette erwürgen? Oder schläft sie nur nicht, weil sie zu viel Koks geschnieft hat?

Häufig ist dieser Irrtum für eine komplette Szene fatal. So wie das Ziel Ihres Protagonisten kristallklar sein sollte, so sollten es auch seine Einsätze sein. Denn nur so stellen Sie sicher, dass Spannung aufkommen kann.

Im Grunde ist es simpel, und vielleicht ist genau das der Grund dafür, warum viele Roman-Neulinge in diesem Punkt ebenso regelmäßig wie unnötig Spannungspotenzial verschenken.

Die Spannung noch erhöhen können Sie, wenn Sie die Einsätze nicht nur ein einziges Mal darstellen und klarmachen, sondern das an passender Stelle wiederholen. Selbst wenn der Leser bis dahin nicht vergessen hat, was die Hauptfigur verlieren könnte, wirkt die richtige Wiederholung wie ein Verstärker.

Stellen Sie sich einen Dialog wie diesen vor:

»Leute, ihr wisst, was ihr riskiert, wenn ihr da reingeht.« Boss Benson fasste jeden seiner elf Elitesoldaten fest ins Auge.

»Klar, Boss«, sagte der vorlaute Jonas, »Tod und so.«

»Als wir das gestern bei der Einsatzplanung durchgesprochen haben, lag die Gefahr noch in weiter Ferne. Heute«, der Boss deutete auf die schwarze Stahltür, »steht ihr direkt davor. Wir gehen in dreißig Sekunden da rein. Das heiß, ihr habt vielleicht nur noch vierzig Sekunden zu leben. Klar?«

»Der Boss meint, wir sollen unsere Gebete kurz halten.«

Bei solchen Wiederholungen brauchen Sie Fingerspitzengefühl, denn Sie wollen Ihre Leser ja nicht nerven. An der richtigen Stelle eingesetzt und in Handlung unterhaltsam verpackt wie in dem Beispiel, wird Ihnen das gelingen.

Falls es Sie tröstet: Auch die erfahrensten Erzähler scheitern bisweilen am Thema »Einsätze«. So etwa der fast immer herausragende Regisseur Jeff Nichols mit seinem Phantastik-Film »Midnight Special« (USA 2016; Drehbuch & Regie: Jeff Nichols).

Darin geht es um Alton, einen mit einer Art von Superkräften ausgestatteten Jungen. Sein Vater Roy befreit Alton aus der Gefangenschaft einer Sekte, die den Jungen als Propheten verehrt, und versucht, ihn zu einem bestimmten Datum zu einem bestimmten Ort zu bringen.

Der Film ist gut gemacht und er ist spannend – und doch könnte er so viel spannender sein. Denn während nach und nach Altons Kräfte enthüllt werden und ebenso das, was Roy mit dem Jungen vorhat, fehlt dem Zuschauer etwas Entscheidendes: An keiner Stelle erfährt er, was passiert, falls Alton nicht zu der Zeit an seinem Zielort ist.

Die Spannung bleibt diffus, die emotionale Beteiligung des Zuschauers bleibt kleiner, als sie sein sollte. Denn zwar fürchtet er durchaus um die Verfolgten, eine schon instinktive Reaktion, diese Furcht aber bleibt oberflächlich.

So wird auch die Dringlichkeit nicht spürbar. Wieso sollte sie es werden? Der Zuschauer hat ja keine Ahnung, was geschieht, wenn Alton einen Tag zu spät am Ziel ankommt.

Gerade bei solchen, in vielen Dingen sehr guten Geschichten wie »Midnight Special« ist es besonders schade, wenn sie ihr Potenzial nicht entfalten dürfen. Und das nur, weil die Einsätze unklar bleiben!

Es mag nichts, wenig oder viel mit den unklaren Einsätzen zu tun haben, dass »Midnight Special« auf der Meta-Kritikseite Rotten Tomatoes unter den fünf allesamt hervorragend bewerteten Filmen des Regisseurs die am wenigsten gute Bewertung einfährt.

Sorgen Sie sicherheitshalber dafür, dass Sie auch bei den Einsätzen das Potenzial Ihres Romans besser ausnutzen.

Eine gute Nachricht: Kaum ein vergleichbar gravierendes Problem beim Romaneschreiben lässt sich so einfach lösen wie das der Klarstellung dessen, was auf dem Spiel steht. Meist genügt schon ein einfacher Dialogsatz. So hätte Roy seinem Freund und Helfer Lucas nur diesen einen Satz sagen müssen: »Falls Alton nicht bis Mitternacht dort ist, ja, selbst wenn er nur eine Minute zu spät ankommt, wird er sterben – und alle in einem Umkreis von einer Meile um ihn herum auch.«

Kein Zuschauer hätte sich daran gestört. Im Gegenteil. Spüren Sie, wie die Spannung steigt, selbst wenn Sie den Film nicht mal kennen?

Wie Sie zeigen, was in einer Szene auf dem Spiel steht

Methode 1: Sagen Sie es einfach. Schreiben Sie es Ihren Lesern hin. Lassen Sie es Ihre Charaktere möglichst unzweideutig erklären.

Diese Methode ist zwar unelegant, aber sie erfüllt ihren Zweck. Sie hat außerdem den Vorteil, dass sie klar und prägnant ist und auch noch den letzten Leser, der schwer von Begriff ist (ja, auch die soll es geben), die Lage begreiflich macht. Kein Wunder, dass diese Methode in den auf ein Massenpublikum abzielenden Hollywood-Filmen häufig die Methode der Wahl ist: »Wenn wir den Bus nicht stoppen, sterben vierzig Menschen!«

Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern Sie die Erklärung organisch in Ihren Roman einbauen. In jedem Fall ist dieses Vorgehen tausendmal besser, als den Leser darüber im Unklaren zu lassen, worum es geht.

Noch mal zum Mitschreiben oder ins Hirn kopieren und einfügen: Wenn der Leser nicht weiß, was auf dem Spiel steht, wird er die Situation nicht spannend finden. Da können Sie noch so viele Bomben und Killer und meuchelnde Mördermarder auffahren.

Gut, es gibt da ein kleines Aber. Wie unsere nächste Methode erklärt.

Methode 2: Beschreiben Sie, was auf dem Spiel steht, indem Sie es indirekt, aber eindringlich und unmissverständlich durch die Handlungen der Charaktere zeigen.

Sehen wir uns dazu einen Ausschnitt aus dem wunderbaren Roman von Jesús Carrasco an, »Die Flucht« (Klett-Cotta 2013). Darin flieht ein kleiner Junge aus seinem Dorf durch die karge Landschaft der südspanischen Provinz. Warum er das tut, erfahren wir im Lauf des Romans.

Der Junge hat die erste Nacht in einem Olivenhain außerhalb des Dorfs verbracht. Dann kommen seine Verfolger und er versteckt sich in einer Senke und breitet Zweige über sich.

Er erkannte den Lehrer, als dieser sich schon fast über ihm die Nase schneuzte. Ein schleimhäutiges Getöse, das das trockene Taschentuch erzittern ließ, bei dem die Kinder in der Schule jedes Mal Blut und Wasser schwitzten, um nicht loslachen zu müssen. Der Schatten des hageren Körpers huschte über sein Blätterdach. Er schloss die Augen und presste die Lippen zusammen, während der Mann auf den Haufen aufgeschichteter Zweige pinkelte.

Der Junge ließ noch viel Zeit verstreichen, nachdem er die letzte Stimme fern von seinem Fleckchen Erde hatte verklingen hören. Er wollte sichergehen, dass er niemanden mehr antreffen würde, wenn er die Äste entfernte. Er war bereit, so lange auszuharren wie nötig. Weder die Stunden unter der Erde noch der Urin seines Lehrers, der ihm das Haar verklebte, oder der Hunger, der ihn hinaustrieb, waren ihm Grund genug, sein Vorhaben aufzugeben. Denn noch nagte in seinem Magen der schwarze Schatten der Familie. Er nickte ein.

Der Autor erklärt mit keinem Wort, was für den Jungen auf dem Spiel steht, falls man ihn erwischt. Er beschreibt es indirekt, indem er zeigt, was der Junge Schlimmes über sich ergehen lässt, um nur ja nicht entdeckt zu werden. Der Leser erkennt: Wenn ein kleiner Junge viele Stunden reglos und verkrümmt in einem engen Erdloch zubringt, sich einnässt und sogar noch urinverklebt weiter über Stunden ausharrt, nur um sicherzugehen, dass die Verfolger weg sind, dann steht für ihn verdammt viel auf dem Spiel.

Diese Methode hat gegenüber der direkten einen Nachteil, aber mehrere Vorteile.

Der Nachteil: Der Leser muss seine Gedanken eben doch ein wenig mit eigenem Hirnschmalz schmieren, damit er die Lage begreift. Genauer betrachtet ist selbst das von Vorteil. Denn die meisten Leser lesen ja, weil sie eben nicht alles bis ins Kleinste vorgekaut bekommen möchten wie im Film, sondern Raum für eigene Gedanken, Bilder, Gefühle beanspruchen.

Ein weiterer Vorteil ist die unaufdringliche Eleganz dieses Vorgehens (klingt wie aus einem Modekatalog, sorry). Wichtiger: Dieses indirekte Vorführen der Einsätze kann ein Geheimnis beinhalten. In unserem Beispiel fragt sich der Leser, worum es geht – das Geheimnis wird durch den erkennbar hohen Einsatz noch geheimnisvoller und damit interessanter, es macht den Leser noch neugieriger.

Das Indirekte der zweiten Methode hat den weiteren Vorteil, dass es leichter steigerungsfähig ist. Der Leser weiß eben noch nicht konkret, was auf dem Spiel steht. Seine Vermutungen können daher jederzeit übertroffen werden.

In unserem Beispiel könnte das heißen, der Leser vermutet, das Leben des Jungen stünde auf dem Spiel. Eine mögliche Steigerung hiervon wäre, wenn sogar das Leben aller Dorfbewohner auf dem Spiel stünde. Sprich: Die Methode erlaubt Überraschungen und das Übererfüllen von Erwartungen – ohne an der Situation etwas ändern zu müssen.

Wenn ein Bus mit vierzig Personen und einem Irren am Steuer und einer Bombe unterm Fahrersitz über Land rast, dann ist das Leben dieser Menschen im Bus in Gefahr. Das steht von Anfang an fest. Steigern können Sie das nur, wenn Sie neue Aspekte ins Spiel bringen und die Lage ändern: Der Fahrer hält auf eine ungesicherte Raffinerie zu. Oder unter einem der Sitze kriecht ein kleines Mädchen heraus, ausgerechnet die Tochter des Polizisten, der den Bus stoppen soll.

An diesem Beispiel sehen Sie, worauf es bei Einsätzen noch ankommt und warum es so wichtig ist, dass der Leser sie kennt: Nur wenn genau klar ist, was auf dem Spiel steht, können Sie die Einsätze (für den Leser erkennbar) erhöhen!

Wenn zuvor nicht klar war, dass unterm Sitz eine Bombe lag, der Fahrer irre ist und vierzig Menschen in Gefahr sind, dann wird das überraschende Auftauchen des kleinen Mädchens die Situation nicht nennenswert dramatischer machen. Es ist bloß ein weiterer Fahrgast, einer, der um diese Zeit dringend ins Bett müsste.

Methode 3: Zeigen Sie direkt und bildhaft, was passiert, wenn die Einsätze verlorengehen.

Eine Szene sagt oft mehr als tausend Worte. Nehmen wir eine Gruppe von Kletterern, die von einem Gipfel über Eis absteigt. Im Schneesturm. Sie zeigen dem Leser zunächst ein abgehendes Schneebrett, das nur fünfzig Meter weiter einen Baum wegreißt. Protagonist Happy schluckt und fängt trotz der Kälte an zu schwitzen. Ein zwar unmissverständliches, aber recht indirektes Bild.

Kurz darauf werden Sie direkter: Ernest, der Mann direkt neben Happy, rutscht in eine Eisspalte. Er war nicht korrekt gesichert und stürzt in die Tiefe. Die anderen können Happy gerade noch retten, damit er nicht Ernests Schicksal teilt.

In dieser Szene zeigen Sie dem Leser, was für Happy auf dem Spiel steht: sein Leben. Sie zeigen noch mehr, nämlich eine Möglichkeit, den Einsatz, also das Leben, zu verlieren. Keiner der Charaktere sagt oder denkt etwas über die Einsätze, und das müssen sie nicht. Ihnen ist, ebenso wie dem Leser, völlig klar, was schlimmstenfalls passieren kann.

Diese Methode ist für Sie als Autor aufwendiger als Methode 1, für den Leser jedoch eindringlicher. Das Direkte macht sie zugleich für den Leser leichter und schneller verständlich als das Indirekte von Methode 2, wenngleich sie weniger elegant und literarisch ist. Die indirekte Methode 2 kann am eindringlichsten von allen sein, erfordert jedoch auch die beste Idee und lässt sich am schwierigsten umsetzen.

Schließlich spricht nichts dagegen, zwei oder sogar drei Methoden miteinander zu kombinieren. Das macht viel Arbeit und braucht viel Platz im Roman, kann aber dann sinnvoll sein, wenn die Gefahr für den Roman zentral ist oder wenn sie erst nach einiger Zeit akut wird. Was wir uns in Teil 3 über Suspense am Beispiel eines drohenden Vulkanausbruchs näher ansehen werden. Spüren Sie schon das Grollen unter Ihren Füßen?

Ein weiteres gelungenes Beispiel für die Klarstellung des Einsatzes

Nehmen wir »The Way of Kings« von Brandon Sanderson (Tor 2010 / dt. in zwei Bänden: »Der Weg der Könige« und »Der Pfad der Winde« / eigene Übersetzung). Dort reist die junge Adlige Shallan der bedeutendsten Wissenschaftlerin ihrer Welt nach. Ihr Ziel: Sie will Jasnahs Lehrling in den Wissenschaften werden. Dieses Ziel scheint klar, als wir Shallan auf ihrem Weg begleiten.

Der tatsächliche Einsatz ist es nicht. Noch nicht. Eine Weile funktioniert das, und zwar, weil Shallan ihr Ziel mit Entschiedenheit verfolgt, ihre Heimat verlässt und eine lange Reise auf sich nimmt. Und weil wir sie gerade erst kennenlernen.

Wir implizieren ihren Einsatz: den Weg umsonst gemacht, Zeit verschwendet zu haben und unverrichteter Dinge zu ihrer Familie zurückkehren zu müssen. Nach einer Weile aber würde das als Einsatz nicht mehr ausreichen. Bevor die Weile um ist, steht die Begegnung mit Jasnah bevor. Und erst dann offenbart uns der Autor, worum es geht. Er tut das gerade rechtzeitig und er tut das klar und deutlich:

Wenn herauskäme, dass ihr Vater tot war und ihre Familie bankrott, würde das das Ende für Haus Davar bedeuten. Sie würden von einem anderen Haus verschlungen und ihm untergeordnet werden.

Man würde sie es bis zu den Knochen abarbeiten lassen – vielleicht würde ihnen sogar die Ermordung durch zornige Gläubiger drohen. Das zu verhindern, lag an Shallan, und der erste Schritt kam mit Jasnah Kholin.

Shallans hoher Einsatz ist geklärt. Damit bereitet der Autor die Bühne für die folgende Szene zwischen Shallan und Jasnah Kholin vor. Wenn Shallan versagt, droht nicht nur ihr, sondern ihrer ganzen Familie im schlimmsten Fall der Tod, in jedem Fall aber eine Art Versklavung, der Verlust von Freiheit und Ehre – ein psychologischer Tod.