Konzeptuelle Kompetenz in der Psychotherapie - Timo Storck - E-Book

Konzeptuelle Kompetenz in der Psychotherapie E-Book

Timo Storck

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Beschreibung

Welche Rolle spielen Konzepte für die psychotherapeutische Praxis? Die Betrachtungsweise einer "Theoretischen Psychotherapie" birgt die Gefahr in sich, dass eine Orientierung an Konzepten und Theorie den Zugang zur therapeutischen Beziehung verstellt. Daher prüft Timo Storck in seinem Buch, was unter konzeptueller Kompetenz zu verstehen ist. Diese kann mit Hilfe von Überlegungen zu therapeutischen Arbeitsmodellen konkretisiert und forscherisch operationalisiert werden. Auf diese Weise lassen sich Konzeptklärungen, Konzeptvergleiche und Wege des Konzeptgebrauchs erörtern und potenziell im Blick auf verschiedene psychotherapeutische Richtungen untersuchen.

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Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Timo Storck

Konzeptuelle Kompetenz in der Psychotherapie

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen,

ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei,

Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Paul Klee, Gartenhaus, 1929/akg-images

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2566-6401

ISBN 978-3-647-99389-8

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Einführung: Von der Konzeption der Profession

1.1Was ist ein Konzept?

1.1.1Der Erfahrungsbezug von Konzepten

1.1.2Konzeptkonstellationen

1.1.3Die dynamische Geschichtlichkeit von Konzepten

1.1.4Sparsamkeit und Prüfbarkeit von Konzepten

1.2Was ist Kompetenz?

1.2.1Konzeptuelle Kompetenz als Gelenkstück zwischen Fähigkeit und Fertigkeit

1.2.2Kritik der Kompetenz

1.2.3Negative Kompetenz

1.3Anknüpfungen, Positionierungen

2»Theoretische« Psychotherapie – ein Selbstwiderspruch?

2.1Elemente einer theoretischen Psychologie

2.2Aufgaben einer theoretischen Psychotherapie

2.2.1Geschichte der Psychotherapie

2.2.2Philosophie, Soziologie und Psychologie der Psychotherapie

2.2.3Schlüsselkontroversen der Psychotherapie

2.2.4Grundbegriffe der Psychotherapie

2.2.5Zur Frage der Metatheorie der Psychotherapie

2.3Allgemeine und spezielle theoretische Psychotherapie

3Was ist konzeptuelle Kompetenz?

3.1Fallformulierung/Fallkonzeption

3.2Der Platz der Konzepte in den therapeutischen Kompetenzen

3.2.1Psychoanalytische Beiträge I: Die Psychodynamik der Theorie

3.2.2Psychoanalytische Beiträge II: Versuche der Systematisierung

3.3Operationalisierung: Psychotherapeutische Arbeitsmodelle

4Konzeptforschung in der Psychotherapie

4.1Methodische Folgerungen für eine psychotherapeutische Konzeptforschung

4.2Beispiel für die Erforschung konzeptueller Kompetenz in verfahrensvergleichender Betrachtung

4.2.1Klinisches Beispiel

4.2.2Konzeptprüfung

4.2.3Konzeptvergleiche

4.2.4Klinische Konzeptverwendung

5Konzeptuelle Kompetenz als Element der Aus- und Weiterbildung: Ein Ausblick

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Im Rahmen unserer Reihe Psychodynamik kompakt ist es uns eine besondere Freude, Ihnen den Band von Timo Storck zur konzeptionellen Kompetenz präsentieren zu können. Er hat »konzeptuelle Kompetenz« als Gelenkstück zwischen Fähigkeit und Fertigkeit bezeichnet, also zwischen den Möglichkeiten und ihren Realisationen. Timo Storck greift ein klinisch bedeutsames Phänomen auf, um das wir uns viel zu wenig Gedanken machen: wenn wir Patienten zugewandt zuhören und uns ein Konzept in den Sinn kommt (wie in Freuds Bemerkung, »sie fallen einem ein wie ungebetene Gäste ins Haus«) und wir dann entsprechend diesem Einfall eine Intervention planen und auch durchführen. Für diesen Prozess gibt Timo Storck gleich zu Beginn eindrucksvolle Beispiele.

Es geht also um die Konzepte und Theorien, die letztlich unser therapeutisches Handeln leiten. Die Prozesse der Verwendung von Konzepten und Theorien laufen oftmals unbewusst oder vorbewusst ab, und je nach persönlicher Entwicklungsgeschichte sind die Konzepte und Theorien unterschiedlich libidinös besetzt; insofern ist der Vorschlag eines regelmäßigen Checkups der eigenen Konzepte, der von Joachim Küchenhoff stammt, sicher sehr sinnvoll.

Wir haben es seit einigen Jahren mit einem »competency movement« zu tun, das viele professionelle Bereiche und so auch die psychodynamische Psychotherapie betrifft. Psychodynamische Theorie, ist, wie Bohleber 2019 in dem Band »Von der Orthodoxie zur Pluralität – Kontroversen über Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse« der Reihe Psychodynamik kompakt darstellt, inzwischen pluralistisch geworden. Der Kompetenzbegriff wird durchaus kritisch gesehen, wie an Storcks Ausführungen zur negativen Kompetenz deutlich wird: Es geht darum, auf das zu hören, was nicht gesagt wird, aber durch das Umkreisen, das Reden in Assoziationen, Fantasien und anderem mehr markiert wird. Kompetenzen umfassen also auch die erforderliche psychoanalytische Haltung von Rezeptivität und Resonanz. Nicht-Handeln kann also dazu führen, einen Fall zu verstehen und zu konzeptualisieren.

Konzepte und Theorien spielen in der Psychotherapie eine wichtige und offenkundig zumindest in Teilen eine andere Rolle als in anderen Wissenschaften. So ist sogar von einer »holding function« der theoretischen Kompetenz die Rede, ihrer Hilfe bei der Fallkonzeption und der Behandlungsplanung. Daher ist die Beziehung von Analytiker*innen zur Theorie ein dynamisches und beständiges Abbild der persönlichen Geschichte der Aneignung von Psychoanalyse. Timo Storck greift die großen Schlüsselkontroversen auf (Menschenbild, Krankheits- und Veränderungsstheorien) und unterstreicht die große Bedeutung von Wörterbüchern der Psychoanalyse mit Begriffen wie »Übertragung«, »Abwehr«, »Deutung« etc.

Es geht darum, »die Theorie in uns arbeiten zu lassen«, das heißt, psychoanalytische Konzepte zum besseren Verständnis der Sitzung und des unbewussten Geschehens einzusetzen, die gewählte Behandlungstechnik zu reflektieren, unterschiedliche theoretische Perspektiven einzunehmen und schließlich geht es um die Selbstreflexion, also die Fähigkeit, unterschiedliche innere Arbeitsmodelle, die den Patienten bzw. die Patientin, den Behandlungsprozess, die Wirksamkeit der Interventionen betreffen, zu reflektieren.

In kenntnisreichen und historisch fundierten Kapiteln werden die grundlegenden Konzepte und ihre Einflüsse auf das Denken, Handeln, Nicht-Handeln und die Behandlungspraxis dargelegt. Es wird deutlich, dass es die Konzepte und Theorien sind, die letztlich dazu führen, das wir etwas verstehen, und die so unsere Wahrnehmung schulen und bereichern. Schließlich werden in weiteren Kapiteln dieses Bandes nicht nur die Bedeutung der psychodynamischen Konzepte in der Aus- und Weiterbildung erläutert, sondern auch Bereiche der psychodynamischen Konzeptforschung benannt.

Timo Storck hat ein theoretisch sehr anspruchsvolles Büchlein vorgelegt, das die Leser und Leserinnen von Psychodynamik kompakt sicher mit viel Gewinn für das Nachdenken über allgemeine und private Theorien und ihren Einfluss auf die Behandlungspraxis lesen werden.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1Einführung: Von der Konzeption der Profession

Situationen wie die beiden folgenden treten in einer Psychotherapie nicht selten auf:

1.Der 32-jährige Herr Sonderberg ist seit etwa fünf Monaten in psychotherapeutischer Behandlung. Er berichtet seit einigen Wochen davon, dass seine Partnerin, mit der er seit etwa zwei Jahren zusammen sei, sich wünsche, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Seiner Therapeutin schildert Herr Sonderberg, dass ihm das zu früh sei, er fühle sich von so viel Nähe eingeengt, gleichzeitig sei ihm die Partnerschaft sehr wichtig. In dieser Phase der Behandlung äußert er, aus Sicht der Therapeutin unvermittelt, den Wunsch, die Frequenz der Therapie auf eine Stunde alle 14 Tage zu reduzieren, da er derzeit im Beruf so viel zu tun habe und das Gefühl habe, es gebe zu wenig Platz für seine Hobbys. Die Therapeutin denkt: »Na, wenn das nicht ein Übertragungsphänomen ist!«, und sagt ihm: »Vielleicht haben Sie ja auch hier das Gefühl, es wird zwischen uns emotional sehr nah und Sie fühlen sich eingeengt.«

2.Die 43-jährige Frau Kappelstedt kommt in die Therapie, weil sie sich einsam fühle, oft unerklärlich weinen müsse und eine Schwere in sich spüre, die oft dazu führe, dass sie sich zu nichts aufraffen könne. Ihrem Therapeuten berichtet sie, dass sie sich jetzt schon mehrere Male dagegen entschieden habe, nach der Arbeit mit Kolleg*innen noch auf ein »After Work«-Getränk mitzugehen: »Ach, wissen Sie, dann sitzt man zusammen und quatscht – aber was habe ich denen schon groß zu erzählen!? Das interessiert doch niemanden. Langweilen will ich die nicht, und die Gaby zum Beispiel, wenn die was erzählt, dann lachen sich alle scheckig. Da bin ich fehl am Platz. Vermissen tut mich schon mal ganz sicher niemand dort. Dann gehe ich lieber gleich nach Hause.« Der Therapeut denkt an dysfunktionale Kognitionen der Patientin, die sich zeigen, und interveniert in die Richtung, dass sie ihre Annahmen nicht prüfe, sondern sich zurückziehe und es ihr dann nicht gut gehe.

Was geht in psychotherapeutischen Prozessen vor sich, wenn Behandelnde zugewandt zuhören, ihnen dann ein Konzept in den Sinn kommt und sie entsprechend diesem Einfall eine Intervention geben?

Zwei Aspekte erscheinen besonders bedeutsam: zum einen der Charakter der (klinischen) Theorie als einer Handlungstheorie (also einer Theorie, die das klinische Handeln leitet), zum anderen der Vorgang der Theoriebildung aus der klinischen Erfahrung heraus.

Die große Bedeutung der Theorie und der Konzepte für die Psychotherapie lässt sich auf unterschiedliche Weise begründen, darunter etwa die Argumentation hinsichtlich einer grundlegenden Prozessqualität: Psychotherapie bedeutet, etwas »zu tun«, das Patient*innen eine Entwicklung ermöglicht, in der Regel das Lindern von Leidenszuständen. Dazu sollte das, was sie in eine Behandlung »mitbringen«, was darin »getan« wird und sich in der Folge im Behandlungsprozess zeigt, zumindest der Möglichkeit nach so formulierbar sein, dass es Teil einer Handlungstheorie ist, die auf etabliertes Wissen und damit in Zusammenhang stehende fachliche Kompetenz zurückgreift. Eine wichtige Funktion von Theorie ist daher ihre pragmatische, utilitaristische Rolle.

Daneben lässt sich ein weiteres, eher theoriebildendes Argument anführen: Konzeptualisierung in einer Behandlung und Theoriebildung, die sich auf klinische Erfahrung gründet, ist ein vom Besonderen ausgehender Weg der Verallgemeinerung. Dabei ist der logische Weg nicht derselbe wie bei einem Experiment und der Bildung von Gesetzmäßigkeiten, sondern vielmehr wird aus der Erfahrung des klinischen Einzelfalls zu einer Konzeptualisierung gelangt, die zumindest den Anspruch hat, weitere Einzelfälle begreiflich zu ma