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Ab auf die Couch!
Wollten Sie schon immer mal wissen, was es eigentlich mit der berühmten psychoanalytischen Couch auf sich hat? Ob sich bei Freud alles nur um Sex dreht? Und was hinter Verdrängung, Traumdeutung und der vielzitierten Freud’schen Fehlleistung steckt? Dieses Buch erklärt, wie aus der Psychoanalyse zwei der bis heute am häufigsten eingesetzten Therapieverfahren entstanden sind. Sie erfahren, wie eine psychodynamisch Therapie abläuft, wie sie wirkt und für wen sie überhaupt in Frage kommt. Was sich in den verborgenen Winkeln des Unbewussten befindet, kann höchst spannend sein!
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Seitenzahl: 492
Tiefenpsychologie für Dummies
In der psychotherapeutischen Versorgung ist der Begriff »analytisch begründete Psychotherapie-Verfahren« gebräuchlich, in der Forschung eher der Begriff »psychodynamische Psychotherapie«. Darunter werden jeweils Verfahren, Methoden und Techniken zusammengefasst.
Tiefenpsychologie für Dummies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Wiley, the Wiley logo, Für Dummies, the Dummies Man logo, and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.
Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Print ISBN: 978-3-527-72035-4ePub ISBN: 978-3-527-84095-3
Coverillustration © Jorm Sangsorn / stock.adobe.comKorrektur Johanna Rupp, Walldorf
Zwischen 1996 und 1999 arbeitete Timo Storck als Filmvorführer bei »Reinfelder Lichtspiele und Milchbar«. Im Jahr 2024 veröffentliche er dann das Buch Tiefenpsychologie für Dummies.
Ach so, noch was über die Zeit dazwischen? Sie sind aber neugierig.
Er ist außerdem Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin, der besten psychologischen Hochschule Berlins! Es ist eine private Universität, an der man Psychologie studieren und/oder eine Aus- oder Weiterbildung zum Psychotherapeuten machen kann (und noch viel mehr). Timo Storck selbst ist auch psychologischer Psychotherapeut, mit den Vertiefungsrichtungen analytische Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Er führt eine Privatpraxis in Heidelberg und ist Mitglied mehrerer Fachgesellschaften und Institute, zum Beispiel in der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung oder der International Psychoanalytical Association. Er gibt auch Zeitschriften heraus und macht so anderes Wissenschaftlerzeugs.
Wie kam es dazu? Er studierte Psychologie an der Universität Bremen von 2000 bis 2005. Im Jahr 2010 wurde er dort auch zum Doktor der Philosophie promoviert, mit einer Arbeit über künstlerische Arbeitsprozesse. Von 2009 bis 2015 arbeitete an der Universität Kassel, wo er 2016 seine Habilitation erlangte. Von 2014 bis 2016 war er außerdem wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin ist er seit 2015. Er lebt in Berlin und Heidelberg.
Erwähnenswert ist vielleicht außerdem sein Stipendium am Käte Hamburger Centre for Apocalyptic and Postapocalyptic Studies der Universität Heidelberg in 2023/2024. Das gibt es wirklich.
Er ist Autor zahlreicher Fachbücher im Bereich Psychoanalyse und Psychotherapie, aber er beschäftigt sich beruflich wie privat auch gern mit Filmen und Streaming-Serien. Denn, Sie wissen ja, er war 1996 mal Filmvorführer und kann deshalb übrigens auch weite Dialogteile aus den Filmen »Titanic« oder »Independence Day« mitsprechen.
Vielen Dank an die Mitarbeitenden bei Wiley, insbesondere Alexa Strittmatter, Vanessa Schöner und Esther Neuendorf, für eine angenehme Art der Zusammenarbeit. Es ist bestimmt oft nicht einfach, mit Autoren umzugehen – und mit Autoren, die versuchen, witzig zu sein, vermutlich erst recht nicht.
Vielen Dank an Cécile Loetz und Jakob Müller für die Durchführung des Fachkorrektorats. Außerdem danke ich Lea Schneider für die umsichtige Durchsicht des Manuskripts und die Unterstützung beim Anlegen des Stichwortverzeichnisses.
Vielen Dank außerdem an Joshua, ohne den es alles sehr viel weniger lustig wäre!
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Über dieses Buch
Konventionen
Törichte Annahmen über den Leser
Der Aufbau dieses Buchs
Verwendete Symbole
Wie es weitergeht
Teil I: Am Anfang war die Psychoanalyse
Kapitel 1: Alltagsphänomene und was die Psychoanalyse dazu sagt
Freud’sche Verbrecher
Die Überschrift zu diesem Abschnitt lautet … Äh … na, sag schon … Mist, vergessen
Eltern haben: Segen oder Fluch?
The artist formerly known as … oder: Das Symbol in der Psychoanalyse
… und das Unbewusste so: »Dreams are my reality …«
Kastriert? Und wenn schon!
Kapitel 2: Freud, schöner Götterfunken: Kurze Geschichte der Psychoanalyse
Sigmund und wie er die Welt sah
Die Ringe der Macht
Die Psychoanalyse unterwegs
Wo stehen wir heute mit der Psychoanalyse?
Kapitel 3: Sex, Lies und Stubenarrest: Warum das Ich nicht Herr im eigenen Hause ist
Lass uns (nicht) von Sex reden
Warum es den Säugling gibt
»Du, Schatz, komm mal schnell her, der Kleine symbolisiert!«
Immer diese Konflikte
Dynamisch bleiben
Infantile Sexualität
Konflikte ordnen
Wie man alles auf sich bezieht: Psychologie der verinnerlichten Beziehungserfahrungen
Lass doch mal deine Gefühle zu!
Dancing with myself: Der Narzissmus
Reise ins Ich
Teil II: Auf der Couch: Psychodynamische Psychotherapie und der Umgang mit psychischer Erkrankung
Kapitel 4: Couch potatoes und die anderen: Wie läuft eine Behandlung ab?
Psychodynamische Psychotherapie – mit und ohne Couch
Übertragungsfehler: Bitte Verbindung prüfen
Der Verstand wurde erst dann ein Verstand, als ihn jemand verstand: Szenisches Verstehen
Die psychoanalytischen Grundregeln
Früher war alles damals: Die Frage nach der Regressionsförderung
Kein klares Bild ohne Rahmen
»Hör nur, es spricht …!«: Die Interventionen
Wir arbeiten durch bis morgen früh und singen: … ach, Sie wissen schon …
Kapitel 5: Wie psychodynamische Therapeuten (sich) verfahren
Verfahren in der Richtlinien-Psychotherapie
Behandlungssettings: Stationär, in Gruppen oder als Paar
Psychodynamische Psychotherapie über die Lebensspanne
Weitere psychodynamische Methoden
Kapitel 6: Gesundheit und Krankheit: Was ist was?
Gesundheit und Krankheit
Allgemeine psychodynamische Störungsmodelle
Hab ich das auch? – Zur Diagnostik psychischer Störungen
Kapitel 7: Voll gestört: psychische Störungen im Überblick
Sollte man jemanden als »gestört« bezeichnen?
Born to Pill
Depression: Probleme mit dem Trauern
Angststörungen: Probleme mit den Bewältigungsmöglichkeiten
Zwangsstörungen: Probleme mit der Kontrolle
Essstörungen: Probleme mit der Ablösung oder mit dem Selbstwert
Psychotische Störungen: Probleme mit Innen und Außen
Psychosomatische Störungen: Probleme mit der Differenz
Persönlichkeitsstörungen: Probleme mit Gefühlen in Beziehungen
Sucht: Probleme mit dem Genug-Kriegen
Störungen im Kindes- und Jugendalter: Probleme beim Aufwachsen
Störungen im höheren Alter: Probleme mit Veränderungen
Der Rest (Auszug)
Kapitel 8: Gut, dass wir darüber gesprochen haben: Veränderung durch Psychotherapie?
Veränderungstheorie I: Einsicht in unbewusste Bedeutungen
Veränderungstheorie II: Korrigierende emotionale Erfahrung
Veränderungstheorie III: Finden psychischer Formen
Forschung in der psychodynamischen Psychotherapie
Teil III: Ein Blick über den Couchrand: Psychoanalyse in Kunst und Gesellschaft
Kapitel 9: Angewandte Psychoanalyse in der Kunst
Was ist das, angewandte Psychoanalyse …?
Psychoanalyse von Kunst und Kultur
Kapitel 10: Einmischen possible: Psychoanalyse und Gesellschaft
Die Psychoanalyse kultureller Phänomene
Psychoanalytische Sozialpsychologie
Teil IV: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 11: Zehn häufige Vorurteile über Psychoanalyse und was von ihnen zu halten ist
»In der Psychoanalyse geht es immer um Sex«
»Psychoanalytiker reden nicht«
»Die Stimmung in einer Psychoanalyse ist kühl und distanziert«
»Die Psychoanalyse hat ein negatives Menschenbild«
»Die Psychoanalyse behauptet, wir wollen alle mit unseren Eltern schlafen oder sie umbringen oder beides«
»Die Psychoanalyse ist veraltet«
»Die Psychoanalyse ist unwissenschaftlich«
»Die Psychoanalyse bezieht sich nur auf Freud«
»Die Psychoanalyse ist frauenfeindlich«
»Die Psychoanalyse tut so, als gäbe es nur reiche, weiße, Hetero-, Cis-Personen, die eigentlich nicht besonders krank sind«
Kapitel 12: Zehn psychoanalytische Tipps für den Alltag
Über Träume nachdenken
Feiern, dass man nicht Herr im eigenen Haus ist
Ambivalenzen anerkennen
Kunst auf sich wirken lassen
Gesellschaftliche Prozesse auf sich wirken lassen
Eigene Muster in Beziehungen wiedererkennen
BFF mit dem eigenen Körper sein und bleiben
Auch mal was integrieren
Kreativ bleiben
Locker bleiben
Kapitel 13: Zehn kurze psychoanalytische Filminterpretationen, um auf Partys cool zu wirken
Hiroshima, mon amour
(1959): Traumatische (Ein-) Schnitte
Funny Games
(1997/2007): The killer in me is the killer in you
Der Rausch
(2020): Die nächste Runde geht auf uns
Her
(2013): Was bleibt, wenn jemand geht?
Frantz
(2016): Über das Färben des Grauens
Titanic
(1997): Danke, Eisberg!
Die Vögel
(1963): Sexualität als Attacke
Star Wars
(ab 1977): Möge die Mama mit dir sein!
Lost Highway
(1997): Ich bin dann mal weg
Top Gun
(1986): Männer im siebten Himmel
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Fangen Sie an zu lesen
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Freud!
Oh, Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber da sehen Sie es schon: Jedes Buch über Psychoanalyse oder Tiefenpsychologie fängt mit diesem Namen an. Die Psychoanalyse hat mittlerweile rund 130 Jahre auf dem Buckel (das sind bald 1000 Hundejahre) und man kann sagen, dass ihre Begriffe und Denkfiguren in die Alltagssprache Einzug erhalten haben. Wenn wir über Verdrängung, Freud'sche Versprecher, die Bedeutung unserer Träume oder manches anderes sprechen, dann nehmen wir Bezug auf die Psychoanalyse.
Und natürlich sollte man auch nicht vergessen, dass aus der Psychoanalyse abgeleitete Verfahren bis heute in Deutschland Teil der Richtlinien-Psychotherapie sind. Wenn Sie an einer psychischen Störung leiden, dann können Sie sich an einen niedergelassenen Therapeuten wenden, der in diesen Verfahren arbeitet. Die Kostenträger (Krankenkassen, Beihilfe) übernehmen in der Regel die Kosten für die psychotherapeutische Behandlung.
Bevor es so richtig losgeht, sollte ich ein paar Begriffe klären:
»Psychoanalyse« meint im Sinne Freuds dreierlei:
eine
Theorie des Psychischen
, also darüber, wie wir psychisch so »funktionieren« (Sie wissen schon: Bewusstes und Unbewusstes, Motivation und Emotion, Persönlichkeit, Kognitionen, Verarbeitungsprozesse, Beziehungen zu sich selbst und zu anderen)
eine
Methode zur Untersuchung psychischer Prozesse
ein
Verfahren zur Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen
(beziehungsweise ein Verfahren, das Menschen dabei hilft, sich besser zu verstehen)
Psychoanalyse ist also mehr als nur ein Therapieverfahren. Das macht es möglich, auch psychoanalytisch auf andere Bereiche des menschlichen Lebens zu blicken, zum Beispiel auf Kunst, Kultur und Gesellschaft. Und das bringt es mit sich, dass man eine ganze Menge Begriffe erklären muss, die mit der Psychoanalyse als Theorie des Psychischen zu tun haben.
Aber: Die Psychoanalyse hat eben auch mit Therapie zu tun. Eine psychoanalytische Behandlung findet – ja, es ist wahr und heute immer noch so – häufig auf der Couch statt. Also, der Patient liegt auf der Couch. Der Psychoanalytiker hat ein eigenes Möbel, einen Sessel, der hinter dem Kopfende der Couch steht. Eine Psychoanalyse kann lange dauern, es ist nicht festgelegt, wie lange; meistens kommen Patienten drei oder sogar vier Mal in der Woche in die Praxis. Die Couch ist aber kein Muss, sondern ein Hilfsmittel, das für einige Behandlungen sehr nützlich ist. Warum das so ist, werde ich Ihnen noch genauer erklären.
In der Gesundheitsversorgung in Deutschland gibt es die Psychoanalyse eigentlich sogar zwei Mal. Wie kommt das? Im Lauf der Zeit (genau genommen: ab 1967) fand man es sinnvoll, zwischen kürzeren Therapien (zum Beispiel zur Behandlung von Schwierigkeiten, die jemand hat, der gerade mit einer akuten Lebenskrise fertigwerden muss) und längeren Therapien (zum Beispiel wenn es darum geht, dass jemand umfassende psychische Veränderungen anstrebt) zu unterscheiden. Diese beiden Formen, die sich aus der Psychoanalyse Freuds ableiten, nennt man
analytische Psychotherapie
(im Gegenübersitzen oder im Couch-Setting, 2–4 Stunden pro Woche, insgesamt bis zu 300 Stunden)
tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
(im Gegenübersitzen, eine Stunde pro Woche, insgesamt bis zu 100 Stunden)
Diese beiden Verfahren gehören zu den insgesamt vier Psychotherapie-Verfahren, die in Deutschland wissenschaftlich und sozialrechtlich anerkannt sind; die anderen beiden sind die Systemische Therapie und die Verhaltenstherapie.
Die beiden aus der Psychoanalyse abgeleiteten Verfahren werden auch als »analytisch begründete Psychotherapie-Verfahren« bezeichnet, weil die psychoanalytische Theorie für sie den Hintergrund bildet. Gleichzeitig spricht man international von »psychodynamic psychotherapy«, wenn man die Verfahren meint, die sich auf die Psychoanalyse stützen. Und das wird auch manchmal übersetzt als »psychodynamische Psychotherapie«.
Das ist verwirrend. Da müssen Sie jetzt aber durch. Zur Orientierung: In Deutschland spricht man meist von analytischer Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie zusammengenommen
in der Forschung als »psychodynamische Psychotherapie«,
in der psychotherapeutischen Versorgung als »analytisch begründete Psychotherapie-Verfahren«.
Jetzt heißt dieses Buch zu allem Unglück auch noch »Tiefenpsychologie für Dummies«. Was soll das denn jetzt?
Vielleicht ist das hier eine Hilfe:
Psychoanalyse
bedeutet: Theorie des Psychischen, Untersuchungsmethode, Behandlungsmethode (wie oben beschrieben).
Psychodynamik/psychodynamisch
bedeutet: eine Vorstellung des Psychischen, in dem unterschiedliche mentale »Kräfte« wirken, also zum Beispiel widerstreitende Wünsche oder Motive (dazu komme ich noch genauer).
Tiefenpsychologie
bedeutet: eine Vorstellung des Psychischen, in dem es mehr zu entdecken gibt als das, was an der Oberfläche ist (also eher eine Metapher).
In diesem Buch möchte ich Ihnen ein Bild der Tiefenpsychologie/Psychoanalyse vermitteln, in unterschiedlichen Bereichen. Es wird viel um Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker gehen, um Konzepte und Theorien, aber natürlich auch darum, was jetzt in einem Behandlungszimmer passiert und welche Modelle psychischer Erkrankungen es gibt. Es wird aber auch um das gehen, wozu die Psychoanalyse außerhalb des Behandlungszimmers etwas zu sagen hat: Kunst, Kultur und Gesellschaft. Aber auch, warum Sie sich partout nicht den Namen Ihres Kollegen merken können oder immer den Bus verpassen, der Sie zum längst vereinbarten Treffen mit Ihren (heißgeliebten) Schwiegereltern bringt.
Mein besonderes Anliegen dabei ist es, Ihnen dieses Bild auf eine Weise zu präsentieren, die mit bestimmten Vorurteilen (die nicht ohne Grund entstanden sind) über die Tiefenpsychologie/Psychoanalyse aufräumt. Psychoanalyse ist eine ernst zu nehmende Angelegenheit – und nicht das, was in manchen Spielfilmen und leider auch manchmal im wissenschaftlichen Kontext als Karikatur daraus gemacht wird. In Kapitel 11 werde ich mich einigen der Vorurteile genauer widmen. Aber auch schon davor werde ich versuchen, mein Anliegen umzusetzen: nämlich zu zeigen, dass Psychoanalyse ernst genommen werden kann, aber dass sie dabei auch zugänglich ist und es selbstironisch und unterhaltsam sein kann, sich mit ihr zu beschäftigen.
Ein unterhaltsames Buch zu schreiben, in dem es auch um psychische Störungen und deren Behandlung geht, ist eine Herausforderung. Ich habe mich bemüht, respektvoll und wertschätzend zu schreiben und keine Witze zu machen, von denen jemand sich verletzt fühlen könnte. Ich hoffe, das ist mir gelungen.
Was mir hoffentlich auch gelungen ist, Ihnen Antworten auf folgende Fragen zu vermitteln, mit denen Sie möglicherweise an dieses Buch herangehen:
Was hat es mit diesen Begriffen auf sich, die Sie schon mal gehört haben: Haben alle Versprecher eine unbewusste Bedeutung? Zeigt sich in Ihren Träumen, wie Sie wirklich sind? Ist alles, was Sie sich nicht merken konnten, verdrängt?
Wer war jetzt dieser Freud? Angeblich war er kokainsüchtig – stimmt das? Warum hat er sich das alles ausgedacht? Gab es denn danach überhaupt noch andere Psychoanalytiker? Nee, oder?
Die psychoanalytische Theorie ist irgendwie komisch. Geht es wirklich immer nur um Sex? Und hat Freud (und wer danach noch so kam) nicht ein sehr, sehr pessimistisches Bild vom Menschen? Was müssen Sie wissen, um die Psychoanalyse zu verstehen? Welche Weiterentwicklungen gibt es, wie denken und arbeiten Psychoanalytiker heute?
Was soll das mit der Couch? Wer muss sich da drauflegen und wer darf sitzen bleiben? Sprechen Psychoanalytiker wirklich nicht? Warum zum Teufel nicht!? Wie läuft so eine Behandlung ab und warum?
Wie versteht die Psychoanalyse unterschiedliche psychische Störungen? Kommt alles aus der Kindheit? Ist immer die Mutter schuld? Und wie kann man die Vergangenheit hinter sich lassen?
Wirkt das jetzt dann alles wirklich? Wie stellt die Psychoanalyse es sich vor, dass durch eine Behandlung eine Veränderung eintritt? Das müsste man doch auch messen können, oder nicht?
Sie haben mal gehört, dass Psychoanalytiker auch Filme interpretieren. Warum machen die das und wie? Können sie auch Bücher interpretieren? Oder meinen Lieblings-Rap-Song, zum Beispiel »My type« von Saweetie?
Hat die Psychoanalyse auch etwas zu gesellschaftlichen Prozessen zu sagen? Ja, oder? Aber man kann doch eine Gesellschaft nicht auf die Couch legen. Wie geht es denn dann?
Über all das finden Sie in diesem Buch etwas heraus. Ich bin gespannt, ob die Fragezeichen in Ihrem Kopf mehr oder weniger werden.
Wenn im Text etwas fett gedruckt ist, dann heißt das, dass es besonders wichtig ist. Wenn ich Sie mal im realen Leben treffen sollte, dann werde ich die fett gedruckten Passagen abfragen.
Sie finden an manchen Stellen Kästen. Darin schweife ich etwas ab. Ha, als ob ich das ansonsten im Text nicht auch tun würde! Wissen Sie, wo ich mal besonders stark abgeschweift bin? Also, das war so: Ich saß mal in einem Café und auf einmal dachte ich daran, dass man in südlichen Ländern oft Tee angeboten bekommt, und zwar gerade, wenn es besonders heiß ist. Einmal war es sogar so, dass …. Sehen Sie: abgeschweift.
Manchmal mache ich das aber auch in Gestalt so eines Kastens. Da erkläre ich etwas genauer oder berichte Anekdoten zu etwas, die so ein bisschen ein kleiner Umweg sind.
Sie finden in diesem Buch außerdem einige Fallbeispiele. Sie sind allesamt meiner Fantasie entsprungen. Ich finde es sehr wichtig, meine Patientinnen und Patienten zu schützen, außerdem wäre es ja auch überhaupt nicht möglich, ohne deren Wissen oder Einwilligung etwas aus der Behandlung »weiterzuerzählen« – noch nicht einmal Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Deshalb habe ich mir Fallbeispiele ausgedacht; aber diese Fiktionen entspringen natürlich auch meiner Erfahrung als Psychoanalytiker und Psychotherapeut. Die beschriebenen Personen gibt es so nicht, aber meine praktische Erfahrung hat es mir natürlich leichter gemacht, geeignete Fallbeispiele zu erfinden.
Was Sie im Folgenden nicht finden, sind wissenschaftliche Quellenangaben. Deshalb ist es umso wichtiger zu betonen, dass dieses Buch selbstverständlich auf unzähligen Vorarbeiten und auch persönlichen Vorbildern aufbaut. Außer dem einen oder anderen Gag und vielleicht der Zusammenstellung der Inhalte habe ich mir das alles nicht selbst ausgedacht. Wenn Sie etwas zitieren oder jemandem einen Preis für das verleihen wollen, was Sie hier lesen, dann halten Sie am besten mit mir Rücksprache. Ich kann Ihnen dann im Einzelnen sagen, von wem ich das habe …
Wie stelle ich mir Sie vor, liebe Leserinnen und Leser? Sie sind klug, hübsch, gebildet und humorvoll. Das sieht ja wohl jeder! Und gerade SIE da, Sie haben ja wirklich außergewöhnlich schöne Augen. Perfekt zum Lesen.
Ich stelle mir außerdem vor, dass viele von Ihnen
sich für Psychologie interessieren
dieses Interesse am Erleben und Handeln von Menschen sich insbesondere auf »verborgene« Teile richtet und Sie deshalb mal etwas über Tiefenpsychologie/Psychoanalyse lesen wollen
es spannend finden, mal etwas genauer zu erfahren, was sich hinter Freud und seinen komischen Begriffen verbirgt
wissen wollen, wie man sich psychoanalytisch erklären kann, wie Menschen krank werden und wie sie wieder gesund werden können
mit der Psychoanalyse auch ein kulturelles Interesse verbinden
Sie sind vermutlich
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (vielleicht ausgebildet in anderen psychotherapeutischen Verfahren als den analytisch begründeten)
Psychologinnen und Psychologen aus nichttherapeutischen Bereichen
Studierende der Psychologie, Medizin, Literatur- oder Kulturwissenschaften oder aus ganz anderen Bereichen
Schülerinnen und Schüler, die ihren Horizont erweitern möchten (weiter so!)
andere Menschen
Ach so: Und ich stelle mir vor, dass Sie, alle wie Sie da so sitzen, eine hoffentlich diverse Gruppe von Menschen sind. In der Reihe »…für Dummies« wird das generische Maskulinum verwendet. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass die ersten Dummies in der Geschichte der Menschheit Männer waren. Oder die größten Dummies. Ich weiß nicht genau. Bitte seien Sie versichert, dass mit einer Formulierung wie »Durch eine Psychoanalyse kann es dem Patienten besser gehen« alle Geschlechter angesprochen sein sollen.
Das Buch ist in vier Teile unterteilt.
Zunächst erzähle ich Ihnen etwas darüber, was Sie schon wissen. Na, toll. Es geht am Anfang darum, wie man psychoanalytisch einen Zugang zu Alltagsphänomenen gewinnen kann. Sie haben sich sicher schon mal versprochen, einen merkwürdigen Traum gehabt und so weiter. Oder Sie kennen Worte wie: Verdrängung, Fehlleistung, Über-Ich oder purifiziertes Lust-Ich. Na, gut, das letzte vielleicht nicht. Aber Sie verstehen, was ich sagen will: Manche psychoanalytischen Begriffe haben Einzug in die Alltagssprache gehalten. Es erwartet Sie also als Erstes ein kurzer Blick darauf, was die Psychoanalyse nun zu Ihrem Alltagsleben zu sagen hat.
Danach lernen Sie Freud kennen. Mal sehen, wie freudvoll das dann wird. Sie erhalten einen Überblick über die Geschichte der Psychoanalyse und die unterschiedlichen Verzweigungen, denn, manche wissen das schon, die Welt drehte sich nach Freuds Tod weiter und man kann noch sehr viel mehr über die Psychoanalyse sagen als dass es Freud gab.
Außerdem geht es am Ende von Teil I dann noch um die wichtigsten psychoanalytischen Begriffe. Es ist mir wichtig, Sie mit »der Idee« dahinter vertraut zu machen. Abgefahrene Theorie sollte nicht bloß Jargon sein, sondern die Begriffe beziehen sich ja auf etwas, das eine Rolle bei psychischer Entwicklung, Erkrankungen oder Behandlungen spielt. Manchmal kann es Spaß machen herauszufinden, warum alles so heißt, wie es heißt.
Danach geht es dann endlich ab auf die Couch! Sie lernen etwas darüber, wie eine Behandlung abläuft und warum. Es gibt unterschiedliche psychotherapeutische Verfahren, die sich aus der psychoanalytischen Theorie ableiten – Sie werden staunen. Vielleicht. Hier kommen dann auch noch ein paar Begriffe mehr ins Spiel, es geht aber natürlich auch darum, ob das alles, was so kompliziert klingt, dann Menschen auch helfen kann. Menschen sind ja außerdem unterschiedlich und die Psychoanalyse kann einen Zugang finden, sich auf jeden Einzelnen von ihnen einzulassen. Behaupte ich mal. Lesen Sie selbst.
Als Nächstes können Sie dann etwas darüber lesen, warum jemand gesund ist. Das ist das Überraschungskapitel, denn, ja, die Psychoanalyse interessiert sich auch dafür, wenn etwas in Ordnung ist. Was ist Gesundheit überhaupt? Müssen wir uns anstrengen, um gesund zu bleiben? Das sind Fragen, zu denen ich Ihnen ein paar Anregungen gebe.
Bevor es danach wiederum um psychische Störung geht. Kein schönes Wort, keine schöne Angelegenheit. Aber Sie erfahren etwas darüber, wie man es sich vorstellen kann, wenn jemand psychisch an etwas leidet, was eben nicht so einfach wieder weggeht. Psychische Störungen können ganz unterschiedliche Formen haben und ich gebe Ihnen einen Überblick über die wichtigsten davon.
Natürlich bleibt es nicht dabei. Im Anschluss daran geht es darum, warum und wie sich durch eine psychoanalytische Behandlung etwas daran ändert, dass jemand psychisch an etwas leidet. Auch das ist ja eine wichtige Frage: Couch hin oder her – wie wird es denn nun anders? Wie sicher kann man sich sein, dass es jemandem nach einer Therapie besser geht? Was braucht es dazu und was macht eine gute Therapie eigentlich aus? Sicherlich nicht die Länge des Bartes des Therapeuten oder dass er möglichst wenig Worte pro Therapiesitzung spricht. Oder …?
Sind Sie schon mal Ihr ganzes Leben lang auf der Couch liegen geblieben? Nein? Eben. Auch die Psychoanalyse macht sich (manchmal) auf und verlässt die Couch beziehungsweise das Behandlungszimmer. Und das tut sie nicht einfach so, sondern es wird etwas von der psychoanalytischen Erkenntnismethode (unbewusste Prozesse, wiederkehrende Muster, Konflikte und anderes) in andere Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens getragen. Sie lesen daher in diesem Teil etwas darüber, wie man psychoanalytisch auf Kunstwerke (zum Beispiel Filme, Romane …) blicken kann. Außerdem lernen Sie kennen, wie die Psychoanalyse auf gesellschaftliche Prozesse blickt.
Hier beschäftige ich mich zuerst mit zehn beliebten Vorurteilen über die Psychoanalyse und versuche mich an einer Prüfung, was dran ist. Ich werde auch Vorschläge dazu machen, welche Annahmen man über Psychoanalyse stattdessen haben und weitererzählen kann.
Danach gebe ich Ihnen zehn praktische Tipps mit auf den Weg, wie Sie im Alltag etwas von dem anwenden können, worüber Sie in diesem Buch gelesen haben.
Schließlich präsentiere ich zehn psychoanalytische Interpretationen zu Spielfilmen, die Sie nutzen können, um auf Partys Stimmung zu machen. Für welche Stimmung das dann im Einzelnen sorgen wird, dafür übernehme ich keine Haftung.
Die folgenden Symbole kommen zum Einsatz, wenn ich etwas besonders hervorheben oder Sie zu etwas anregen möchte:
Wenn Sie dieses Symbol sehen, dann gibt es etwas zu lesen, dass Sie sich vielleicht merken möchten. Für das weitere Lesen oder für das weitere Leben.
Hier geht es darum, etwas zu beherzigen. Ein Tipp für etwas, das Sie mal ausprobieren könnten.
Mit diesem Symbol weise ich auf etwas hin, das mit Vorsicht zu genießen ist. Also etwas, was Sie beachten sollten, zum Beispiel, bevor Sie es selbst ausprobieren. Gemeint sein kann auch, dass etwas nicht zu einseitig betrachtet werden sollt.
Naja. Wenn Sie dieses Symbol sehen, dann gebe ich Ihnen ein Beispiel.
Manchmal gebe ich Ihnen auch so etwas wie eine Übungsaufgabe. Das erkennen Sie dann an diesem Symbol.
Wenn Sie die Lupe sehen, dann geht es um eine Definition. Wenn wir uns mal persönlich treffen, dann frage ich Sie ab.
Es geht weiter. Auch wenn Sie die Lektüre dieses Buches beendet haben werden.
Vielleicht ist in Ihnen aber auch der Entschluss gereift, sich Unterstützung darin zu suchen, sich selbst noch besser zu verstehen und/oder mit etwas, das Sie schon seit Langem plagt, nicht länger alleine zurechtkommen zu müssen. Falls Sie also eine Psychotherapie aufnehmen möchten: Sie finden auf der Schummelseite einen kurzen Überblick, wie es so abläuft, wenn Sie einen Therapieplatz suchen und was dazu zu unternehmen ist.
Vielleicht ist in Ihnen ja aber auch der Entschluss gereift, selbst Psychotherapeut zu werden, womöglich ein analytischer. Dazu ist Folgendes zu tun:
Sie brauchen eine (Allgemeine) Hochschulzugangsberechtigung. Das ist meistens das Abitur.
Sie studieren dann Medizin oder Psychologie.
Im Anschluss ans Studium (Staatsexamen beziehungsweise Master) legen Sie die Approbationsprüfung ab, entweder als Arzt oder als Psychotherapeut.
Sie absolvieren eine
Weiterbildung
als Facharzt oder Fachpsychotherapeut. Da können Sie als Arzt wählen, ob Sie Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie werden wollen. Als Psychologe können Sie zwischen den Gebieten Erwachsenenpsychotherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie oder neuropsychologischer Therapie wählen. In den ersten beiden können Sie Fachpsychotherapeut für analytische Psychotherapie oder für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder beides werden.
Achtung: Wenn Sie vor dem 1.9.2020 mit Ihrem Psychologiestudium begonnen haben, dann steht Ihnen noch bis zum Jahr 2032 der Weg offen, nach dem Studium eine Psychotherapie-
Ausbildung
zu absolvieren, die mit der Approbation und dem Erwerb einer spezifischen Psychotherapie-Fachkunde endet.
Wenn Sie Ihr Medizinstudium im Sommer 1873 in Wien begonnen haben, dann könnte es sein, dass Sie Sigmund Freud sind. Können wir uns mal auf einen Kaffee treffen?
Wie dem auch sei: Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und hoffe, Sie fühlen sich bereichert und unterhalten!
Teil I
IN DIESEM TEIL …
erfahren Sie etwas über die Bedeutung mancher Phänomene, mit denen Sie im Alltag zu tun haben, wie zum Beispiel Verbrecher, äh Versprecher, Träume und einiges mehr
können Sie etwas darüber lesen, wie Freud auf die Idee kam, die Psychoanalyse zu erfinden – und wie es danach weiterging, mit anderen Personen und in unterschiedlichen Regionen der Welt
lernen Sie etwas über die wichtigsten psychoanalytischen Begriffe und merken, dass nicht alles davon immer so kompliziert ist wie es zuerst klingt
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Ein Versprechen haltenVerdrängen wie die ProfisWissen, wer der (ödipale) Babo istEs mit den Symbolen nicht übertreibenTräume deutenMit Angst und Neid »untenrum« klarkommenJetzt kann es losgehen mit unserer Reise durch die Tiefenpsychologie. Aber Moment mal, ist es nicht schon längst losgegangen? Auch bei Ihnen? Noch bevor Sie dieses Buch aufgeschlagen haben?
Sie werden in diesem Kapitel sehen, dass Ihnen einiges aus der Psychoanalyse vermutlich schon sehr vertraut ist. Die Psychoanalyse hat bereits Einzug in den Alltag gehalten und das nicht nur deshalb, weil Sie ein Mensch sind und somit genau das, womit sich die Psychoanalyse beschäftigen will. Die Psychoanalyse ist darüber hinaus mindestens dann präsent, wenn Sie sich darüber wundern, warum Sie gerade DAS jetzt vergessen haben. Oder warum Sie diesen oder jenen Traum geträumt haben. Oder warum Ihre neue Freundin schon wieder dieselbe Halskette trägt wie Ihre Mutter.
Sie werden also merken, dass Ihnen die Psychoanalyse schon mal begegnet ist. Vielleicht haben Sie es nur nicht gemerkt …
Wenn man, wie ich hier gerade, ein Buch schreibt, dann hofft man natürlich, dass Sie es beim Lesen unheimlich finden. – Oh. Was war das denn jetzt? Ich wollte doch »unheimlich gut« schreiben. Wie konnte das denn passieren!? Ich wollte Ihnen doch Angst machen. – Ah, Mist. Schon wieder. Gemeint war doch »keine Angst machen«! Oder?
Es gibt einige Bereiche in unserem Alltag, in denen Annahmen der Psychoanalyse sich einen festen Platz erarbeitet haben. Dazu gehören die sogenannten Fehlleistungen – zum Beispiel der berühmt-berüchtigte Freud’sche Versprecher. Oder, wie gerade eben, der Freud’sche Verschreiber. Er steht in einer Liste möglicher Fehlleistungen:
vergessen
verlaufen
versprechen/verhaspeln
verlegen/verlieren
Na? Fällt Ihnen etwas auf? Genau: die Vorsilbe. Deshalb gibt es Stimmen, die behaupten, »verlieben« sollte in der Reihe der Fehlleistungen nicht fehlen! Und vom »Ehe-Versprechen« wollen wir gar nicht erst anfangen …
Aber genug veralbert. Die Psychoanalyse betrachtet Fehlleistungen als bedeutungsvoll. Man nimmt seit Freud (ihn treffen Sie in Kapitel 2, ziehen Sie sich schon mal was Ordentliches an) an, dass sich hier andere Gedanken und Absichten hineinmogeln als diejenigen, über die sich jemand beim Sprechen oder Handeln bewusst im Klaren ist. Freud hat einmal geschrieben, dass in Fehlleistungen die Wahrheit »zum Vorschwein« kommt – und damit vorgeführt, wie etwas Unbewusstes – hier Schweinisches – sich Gehör verschafft.
Man geht davon aus, dass unbewusste Motive dabei eine Rolle spielen (was es mit dem Unbewussten in der Psychoanalyse genau auf sich hat, lesen Sie in Kapitel 3). Ein Redner, das ist ein weiteres Beispiel Freuds, der seinen Vortrag mit den Worten »Hiermit verabschiede ich Sie ganz herzlich aus meinem Vortrag« beginnt, sehnt sich vielleicht bereits das Ende seiner Rede herbei. Manchmal wollen wir etwas (eine Rede halten), aber zugleich auch etwas anderes (es bereits hinter uns haben und zum Buffet gehen) und dann kommt etwas heraus, dass beides zeigt. Die Psychoanalyse nennt das eine Kompromissbildung aus verschiedenen Wünschen oder aus einem Wunsch und einem (innerpsychischen) Verbot.
Fehlleistungen (zum Beispiel »Freud’sche« Versprecher) kommen aus Sicht der Psychoanalyse dann zustande, wenn sich zu einer Absicht, die bewusst ist, noch eine weitere, unbewusste einmischt. Wir wollen dann zwei Dinge auf einmal sagen und etwas gerät durcheinander.
Eine Kollegin von mir hat einmal ein Anschreiben an einen internationalen Kreis von Kollegen mit den Worten »Dead friends and colleagues …« begonnen. Hat ihr Unbewusstes uns allen den Tod an den Hals gewünscht? Ist sie eine Freud’sche Verbrecherin? Wohl kaum. Man muss aufpassen, dass man den Freud’schen Gedanken, dass sich manchmal unerkannte Motive in unser Sprechen und Handeln einmischen, nicht trivialisiert und so tut, als würde jede Fehlleistung unabhängig von der Person und vom Kontext immer dasselbe bedeuten. Aber es lohnt sich manchmal, in sich hineinzuhorchen, wenn einem so etwas passiert.
Seien Sie sich darüber im Klaren, dass die wenigsten Menschen in Ihrem Umfeld dauerhaft dankbar dafür sein werden, wenn Sie sie darauf hinweisen, dass in den kleinen Alltagsirrtümern mächtige unbewusste Motive stecken können! Sollte also morgen der Kellner im Bistro Ihnen den Kaffee mit den Worten »Möchten Sie mich, äh, Milch dazu haben?« reichen, seien Sie gnädig und verzichten Sie auf die Erwiderung »Das ist unbewusste Belästigung!«
So, und das war auch schon der Abschnitt zu den Fehlleistungen. Ich wünsche Ihnen noch viel Freud mit dem weiteren Kaputtel!
Ein weiteres Beispiel dafür, wie Annahmen der Psychoanalyse in unseren Alltag eingeflossen sind, zeigt sich, wenn wir so etwas sagen wie »Ach – das hab ich ja total verdrängt!« Damit meinen wir, dass wir an etwas gar nicht mehr gedacht haben, obwohl es eigentlich wichtig ist. Es ist kein absichtliches Vergessen, also kein Vergessen-Wollen im Sinn eines Entschlusses, den Sie fassen. Außerdem würde auch niemand sagen: »Oh, was ich am 13. Oktober 2003 gefrühstückt habe, das habe ich komplett verdrängt«, nur weil er sich daran nicht mehr erinnern kann. Es sei denn natürlich, Sie haben an diesem Tag etwas Besonderes erlebt, zum Beispiel ein Frühstück mit Ihrem liebsten Filmstar, bei dem Sie sich vollkommen blamiert haben. Oder Sie haben später am Tag das erste Mal ein Buch über Psychoanalyse gelesen (das kann ja durchaus ein traumatisches Ereignis sein). Was wir verdrängen, hat eine wichtige emotionale Bedeutung für uns, in der Regel ist es uns unangenehm und psychisch unerwünscht. Deshalb ist es auffällig, wenn wir uns daran nicht erinnern können.
Was wir verdrängen, also: an was wir uns merkwürdigerweise nicht mehr erinnern können, hat in der Regel eine besondere emotionale Bedeutung, aber eben eine unangenehme oder zumindest zwiespältige. Dazu gehört dann eben nicht das beliebige Frühstück – aber vielleicht die Abfahrtszeit unseres Zuges zum unliebsamen Familienbesuch: »Ich kann mir einfach nicht merken, wann ich am Bahnhof sein muss, um zum 75. Geburtstag von Onkel Rüdiger zu fahren, bei dem sich alle immer sechs Stunden lang anschweigen und es nichts zu trinken gibt …!«
Durch Verdrängung wird etwas Unangenehmes unbewusst. Zumindest in unserem bewussten Erleben plagt es uns dann nicht länger. Der Anlass für eine Verdrängung (sie zählt zu den psychischen Abwehrmechanismen, über die Sie in Kapitel 3 Genaueres lesen können) sind drohende unangenehme Gefühle. Es ist also kein Spaß, wenn wir etwas verdrängen, sondern der Vorgang dient aus Sicht der Psychoanalyse der Unlustvermeidung. Durch die Verdrängung werden wir vor Angst, Schuldgefühlen oder Scham geschützt, die wir erleben würden, wenn wir im Handeln oder Denken mit bestimmten Vorstellungen konfrontiert werden.
Das heißt auch, dass Verdrängung nicht nur dazu führt, dass wir den Zug zu Onkel Rüdigers Geburtstag verpassen, sondern noch viel stärker dafür verantwortlich ist, dass wir bestimmte Dinge psychisch nicht erleben. So verdrängen wir zum Beispiel, wie groß unsere Angst ist, dass unsere Partnerin uns verlässt, und fühlen uns stattdessen betont unabhängig und tun ständig so, als würden wir eigentlich am liebsten als »lonesome cowboy« allein in den Sonnenuntergang reiten wollen. In dem Moment, wo die Beziehung kriselt, fühlen wir aber plötzlich, wie groß unsere Angst in Wahrheit ist und es uns nicht mehr so gut gelingt, unsere Verlustangst zu verdrängen. Oder wir verdrängen, wie enttäuscht wir von unserer Lieblingsschwester sind, die uns nicht zum Geburtstag gratuliert hat, und merken nicht länger, dass das der Grund ist, weshalb wir nicht zu Onkel Rüdigers Geburtstagsfeier fahren wollen (und nicht die Langeweile dort).
Natürlich können Verdrängung und andere Abwehrmechanismen auch eine Rolle bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen. Wie, das beschreibe ich in Kapitel 7.
Direkt hinter Jesus und Luke Skywalker dürfte Ödipus der berühmteste Sohn der menschlichen Kulturgeschichte sein. Das bringt uns direkt zu einem nächsten Beispiel dafür, wie psychoanalytisches Gedankengut Einzug in die Alltagssprache gefunden hat.
Vermutlich kennen die meisten von Ihnen den Spielfilm »Loriots Ödipussi« aus dem Jahr 1988. Vielleicht auch nicht. Aber auch bei jemandem, der den Titel liest, ohne den Film gesehen oder von der Handlung darin gelesen zu haben, wird sofort eine Idee dazu entstehen, worum es geht. Aber statt zu denken »Ach ja, hier wird auf das bekannte antike Drama angespielt, das mein Lieblingsdichter Sophokles damals verfasst hat«, wird Ihre Reaktion vermutlich sein: »Ach ja, der gute alte Freud …«. Eine beachtliche Leistung, Sigmund! Du bist mit deinen Kommentaren zu einem antiken Drama bekannter geworden als dessen Autor …
Wie konnte es dazu kommen?
Filmische und andere Darstellungen helfen uns dabei, uns klarzumachen, wie tief Freuds Gedanke ödipaler Verwicklungen zwischen Kind, Mutter und Vater sich in unseren Alltag drängen (Freuen Sie sich schon mal auf Kapitel 9 und die Top-Ten-Filminterpretationen in Kapitel 13!):
Im Spielfilm »Reine Nervensache«
spielt Robert de Niro den Mafiaboss-Patient Paul Vitti. Er spricht mit seinem Therapeuten Ben Sobel, gespielt von Billy Chrystal, über die Verarbeitung des Verlusts seines Vaters. Als der Therapeut mögliche ambivalente Gefühle Vittis seinem Vater gegenüber erwähnt und dies anhand von Freuds Ödipustheorie erläutert, antwortet Vitti, nicht ohne Berechtigung: »Then Freud’s a sick fuck.«
In seinem Drama Ödipus Rex erzählt Sophokles die Geschichte von Ödipus. Der Name bedeutet »Schwellfuß«, was damit zu tun hat, dass ihn seine Eltern – da sieht man schon, welche Probleme die mit sich bringen! – mit durchstochenen und zusammengebundenen Füßen im Wald ausgesetzt haben. Noch nicht einmal seine Schwester Ödigretel durfte ihn begleiten! Dazu kam es, weil Ödipus Vater, Laios, der König von Theben, eine Prophezeiung erhalten hatte, dass er später einmal von seinem eigenen Sohn getötet werden würde. Aufgrund einer unklaren Dynamik in Sachen Empfängnisverhütung wurden Laios und seine Frau Iokaste schließlich doch Eltern eines Sohnes – und die Sache mit dem Im-Wald-Aussetzen wurde ihrer Auffassung nach erforderlich (das Jugendamt Theben stand damals noch nicht auf dem Niveau, auf dem es heute steht, und schritt daher nicht ein). Ödipus wurde jedoch gefunden und gerettet und wuchs bei Pflegeeltern in Korinth auf.
Wer damals etwas auf sich hielt, holte sich einen Orakelspruch, so auch Ödipus. Ihm wurde prophezeit, dass er seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten würde. Ödipus bekam kalte Füße und floh – in der Annahme, seine Pflegeeltern seien seine im Orakelspruch gemeinten Eltern – aus der Heimat, damit sich die Prophezeiung nicht erfüllen konnte. Unterwegs geriet er in Streit mit Reisenden, wobei er einen Mann erschlug – der, Sie ahnen es, zufällig sein ihm unbekannter Vater Laios war.
Auf seinem weiteren Weg begegnete er noch der Sphinx, einem riesigen Monster, das eine Wegpassage in Richtung der Stadt Theben bewachte und Vorbeiziehenden eine Rätselfrage stellte. Wer diese nicht beantworten konnte, wurde von der Sphinx verschlungen. Da es damals noch keinen Telefonjoker gab und auch nicht das Publikum befragt werden konnte, war es noch nie jemandem gelungen, den Gewinn (freies Wegerecht) einzustreichen. Die Frage der Sphinx lautete: »Was geht morgens auf vier Beinen, mittags auf zwei Beinen und abends auf drei Beinen?« Ödipus dachte sich »think outside the box!« und erriet die korrekte Lösung: »Der Mensch« (krabbeln, laufen, am Stock gehen – Sie wissen schon …). Daraufhin stürzte sich die Sphinx in den Abgrund (etwas übertrieben, mal ganz im Ernst, vielleicht selbst ein Fall für die Psychotherapie …?).
Ödipus hingegen wurde von den erleichterten Bewohnerinnen und Bewohnern von Theben, die kürzlich ihren König verloren hatten (nämlich, wait for it …: Laios!), freudig empfangen – und sowohl zum neuen König gekrönt als auch mit der Witwe vermählt: seiner eigenen Mutter Iokaste. Auf diese Weise erfüllten sich die Orakelsprüche. Erst einige Kindeszeugungen später traf der Mann ein, der den jungen Ödipus damals aus dem Wald gerettet hatte und erzählte ihm die Wahrheit über seine Abstammung. Um sich selbst zu bestrafen, blendete Ödipus sich und lebte so gut wie blind, bis er, beschrieben in einem weiteren Drama Sophokles‘, in hohem Alter auf der Insel Kolonnos starb. Was für eine durchgeknallte Geschichte!
Die Star-Wars-Filme
sind eine einzige große Familienzusammenführung. Und dabei geht es nicht nur darum, dass Luke Skywalker erkennen muss, dass er sich gerade (Achtung Spoiler!) mit seinem eigenen Vater, Darth Vader (also known as Anakin Skywalker), auf Leben und Tod duelliert. Auch Han Solo wird von seinem eigenen Sohn, Ben Solo, getötet. Spannend ist auch, dass es der Verlust der Mutter oder lebensbedrohliche Situationen für diese sind, die wichtige Wendepunkte für die Hauptfiguren-Söhne darstellen: Anakin erlebt einen Gewaltausbruch, nachdem seine Mutter entführt worden ist, und dies stellt einen wichtigen Wendepunkt in seiner Orientierung zur dunklen Seite der Macht dar. Luke muss ebenfalls erkennen, dass seine Mutter gestorben ist, sodass er sich auf den Weg macht, ein Jedi zu werden.
Im Film »Die Reifeprüfung«
(besonders bekannt durch Simon & Garfunkels Titelsong »Mrs. Robinson«) geht es um die Verführung eines jungen Mannes, gespielt von Dustin Hoffman, durch eine deutlich ältere Frau, gespielt von Anne Bancroft. In der Logik ödipaler Konflikte ist außerdem interessant, dass neben der hypothetischen verschobenen Mutterliebe des jungen Manns noch die Konkurrenz der Tochter der älteren Frau mit ihrer Mutter zum Thema wird.
In den Romanen John Irvings
wimmelt es von Verführungen junger Männer durch ältere Frauen.
Die US-Musiker-Comedians der Gruppe »The Lonely Island« haben eine Reihe von Songs geschrieben und dazu Musikvideos (unter anderem mit Justin Timberlake und Susan Sarandon als Gastdarsteller) gedreht. Eins davon heißt »Motherlover« und setzt sich damit auseinander, dass zwei Freunde entscheiden, eine sexuelle Beziehung zur Mutter des jeweils anderen aufzunehmen, weil sie vergessen haben, ein Geschenk zum Muttertag zu besorgen.
Natürlich muss man hier auch beachten, dass tatsächliche inzestuöse Beziehungen zwischen den Generationen, erst recht, wenn einer der Beteiligten minderjährig ist, nicht einfach nur ein skurriler Spaß und eine Vorlage für dramatische oder komödiantische Darstellungen sind, sondern schädigend sind.
Sigmund Freud, bezeichnenderweise selbst Sohn eines Vaters und einer Mutter, aber ohne überlieferte Orakelsprüche, schrieb nicht nur einen Teil seiner Maturaprüfung über das Sophoklitische Drama, sondern räumte diesem auch einen zentralen Platz in seiner psychoanalytischen Theoriebildung ein. Zu Freuds Biografie lesen Sie mehr Kapitel 2 und ein Einblick in die Theorie erfolgt in Kapitel 3. Hier ist wichtig, dass Freuds verallgemeinerte Annahme von kindlichen Wünschen nach zärtlicher Nähe zur Mutter und Impulsen zur Rivalität mit dem Vater Einzug in unseren Alltag gehalten hat. Egal, ob jemand es nachvollziehbar findet oder nicht, vom Ödipuskomplex hat vermutlich jeder schon mal gehört.
Wenn man früher die »Stimme des Volkes« hören wollte, ging man zum Marktplatz oder in die Bäckerei. Heute kann man sie googeln. Eine Suchanfrage zu »daddy issues« liefert mehr als 9,5 Millionen Treffer (zu »mommy issues« nur 1,6 Millionen – was hat das bloß zu bedeuten?). Das ist gelebter Ödipuskomplex!
Ach so, und an einer Kapitelüberschrift wie »Ist da was dran?« hat natürlich jeder Psychoanalytiker seine wahre Freud-e (Insider-Joke über Kastrationsängste, Sie wissen schon …).
Der Ödipuskonflikt ist bis heute in der psychoanalytischen Theorie wichtig. Das ist aber nicht deshalb der Fall, weil sich bloß niemand traut, Sophokles oder Freud zu sagen, dass sie es vielleicht ein bisschen übertrieben haben. Schauen Sie doch mal: Ein Kind läuft so durch die Welt. Oft spielt zunächst auch Krabbeln eine wichtige Rolle. Und da begegnet es so der einen oder anderen Person, zum Beispiel Mama, zum Beispiel Papa. Und zu denen hat es dann auch noch Gefühle. Und braucht sie. Und die haben auch Gefühle zum Kind. Mal spürt es angenehme Gefühle, mal unangenehme. Und, beobachten Sie es mal, von Moment zu Moment wird das Leben komplizierter. »Ödipus Today« kann heißen: Ein Kind wünscht sich zärtliche körperliche Nähe zu jemandem (nennen wir diese Person mal: Iokaste), aber es ist nicht alleine auf der Welt, da gibt es noch andere, die derselben Person auch nahestehen. Außerdem wünscht es sich zwar Nähe, hat aber auch zunehmend seinen eigenen Kopf. Ein Kind drückt auch manchmal Ärger aus oder stößt jemanden weg (nennen wir diese Person mal: Laios), aber es möchte dieses Gegenüber aber auch nicht dauerhaft verlieren. Was im Ödipusmythos beschrieben ist, liefert der Psychoanalyse eine Blaupause für das Zusammenspiel von Nähewünschen, aggressiven Impulsen, Rivalität, Abgrenzung und viel mehr. Das ist in der Entwicklungstheorie der Psychoanalyse bis heute wichtig, weil so beschreibbar wird, wie all dies psychisch zusammengebracht wird. Der Ödipuskonflikt und seine Bewältigung werden als ein wichtiges Element in der Entwicklung der psychischen Innenwelt aufgefasst.
Wichtig ist, dass es Freud nicht (allein) darum ging, sexuelle Handlungen und Übergriffe zwischen Erwachsenen und Kindern und deren Wirkungen aufzuzeigen. Er wollte Wünsche nach zärtlicher Nähe und Wünsche nach aggressivem Rivalisieren aufseiten des kleinen Kindes gegenüber den Eltern als etwas darstellen, das eine universelle Bedeutung für psychische Entwicklung hat. Der Umgang mit zärtlichen und aggressiven Wünschen in einer intergenerationellen und geschlechtlichen Konstellation spielt eine entscheidende Rolle dafür, wie wir mit unseren Gefühlen umgehen und welchen Blick wir auf uns selbst und auf andere werfen.
Ist das nicht alles ziemlich »westlich« und vor allem heteronormativ gedacht? Was, wenn eine solche Mama-Papa-Kind-Logik die gesellschaftliche Realität komplett verfehlt? Haben Sophokles und Freud auch etwas darüber geschrieben, welche Orakelsprüche für alleinerziehende Elternteile oder gleichgeschlechtliche Elternpaare in anderen Teilen der Welt als dem antiken Griechenland oder dem großbürgerlichen Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts leitend sind? Haben da nicht wieder mal zwei alte weiße Männer (gut, der eine davon bereits zur Zeit seiner Matura ….) eine Welle gemacht, auf der zum Beispiel Hollywood bis heute reitet und so Stereotypen nur wieder reproduziert?
Heute blickt die Psychoanalyse in unterschiedlicher Weise auf die Theorie ödipaler Konflikte. Oder anders gesagt: Aus der Freud’schen Theorie werden andere Akzente aufgegriffen. Bereits bei ihm ist angelegt, dass es auch zärtliche Wünsche dem gleichgeschlechtlichen Elternteil gegenüber gibt, ebenso wie Rivalität mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil. Der kleine Junge möchte auch die Liebe des Vaters gewinnen und konkurriert darum mit der Mutter.
Außerdem wird heute herausgestellt, dass es in der psychischen Entwicklung vor allem um eine »Dreiecksgeschichte« geht (das ist auch Thema in Kapitel 3). Es geht darum, die Nähe in einer Beziehung im Verhältnis zur Nähe in einer anderen Beziehung zu sehen (Wenn ich mich von der einen wichtigen Person entferne, bin ich nicht allein, sondern nähere mich vielleicht einer anderen wichtigen Person an), und ferner darum zu erleben, dass Personen, zu denen ich in Beziehung stehe, auch zueinander in Beziehung stehen können. Klassisch gesprochen: erstens darum, dass sowohl Mama als auch Papa mir ein Beziehungsangebot machen, sodass ich, wenn ich mal kurz vom einen wegkrabbele, nicht allein dastehe, sondern noch wen anderes Interessantes in der Welt finde; und zweitens darum, dass Mama und Papa auch etwas miteinander zu schaffen haben, eine eigenständige Beziehung zueinander haben, die auch stattfindet, wenn ich schon ins Bett geschickt worden bin.
Aber zurück zur Kritik an der Heteronormativität. Was ich eben beschrieben habe, gilt auch für Kinder gleichgeschlechtlicher Paare. Und noch mehr: auch für alleinerziehende Elternteile, denn sowohl das weitere Beziehungsangebot als auch die Erfahrung, dass Mama oder Papa noch auf irgendjemand anderes bezogen sind (das kann ja auch ein Geschwisterkind sein, der Nachbar oder jemand Befreundetes), wird sich hier ebenso einstellen.
Ein langer Weg für den armen Ödipus. Aber er hat sich gelohnt. Heute stellt die Psychoanalyse heraus, dass wichtige Entwicklungsaufgaben darin bestehen, sich mit den eigenen Gefühlen in der Welt intimer Beziehungen zurechtzufinden.
Weiter geht‘s mit dem Gang durch die berühmt-berüchtigten Ideen der Freud’schen Psychoanalyse und ihre Bedeutung im alltäglichen Sprachgebrauch. Hier geht es um das Symbol. Sie haben letzte Nacht schon wieder geträumt, dass jemand eine Zigarre in eine Röhre steckt? Oh je.
Der Hamburger Musiker Bernd Begemann geht in der Ansage eines Songs bei einem Konzertmitschnitt in folgender Weise darauf ein: Der Ball, der im Film »Der Marathonmann« durch einen Torbogen kullert, könne kein Penissymbol sein, weil er nicht länger sei als breit. Alles was länger sei als breit, sei ein Penissymbol.
Ohne Freuds »Vorarbeiten« würde das niemand als Witz verstehen. In der Anfangszeit der Psychoanalyse ging es den Autoren (ja, meistens waren es Männer) um die Auseinandersetzung damit, welche Ausdrucksformen sich für das finden lässt, was aus dem bewussten Erleben verdrängt wird, weil es anstößig ist. So weit, so gut: Es soll also für das bewusste Denken akzeptable Stellvertreter geben, die einen für das Individuum unerkannten, weil unbewussten Bezug zu bestimmten Vorstellungen aufweisen. Also etwas, an das wir »lieber« denken möchten. Um »bewusstseinsfähig« zu sein, darf etwas nicht zu große Angst, Scham oder Schuldgefühle mit sich bringen. So ein Stellvertreter kann deshalb Symbol genannt werden, weil es eine Art von Zeichen- oder Verweisfunktion hat.
Andere Beispiele (auch jenseits der Psychoanalyse) sind:
die weiße Taube, die Frieden »symbolisiert«
der emporgestreckte Zeige- und Mittelfinger, um auf Frieden hinzuweisen
jedoch auch der ausgestreckte Mittelfinger, um, na, sagen wir, persönlichen emotionalen Unfrieden zum Ausdruck zu bringen
Strichfiguren, die darauf hinweisen, wo das nächste WC ist
Vereinswappen
im Grunde jedes Verkehrszeichen
Für die Psychoanalyse ist entscheidend, dass es zwar eine symbolische Verweisfunktion gibt (A steht für B), aber dass es um einen Verweis »von bewusst auf unbewusst« geht, der nicht erkannt wird (Platt gesprochen: Was bedeutet denn die Zigarre in Ihrem Traum?). Oder noch genauer: der erfolgt, ohne dass seine Verweisfunktion oder das, worauf verwiesen wird, erkannt wird. Die zu Karneval abgeschnittene Krawatte kann auf das männliche Geschlechtsteil verweisen. Na ja.
Das ist der Psychoanalyse in der Anfangszeit nun, wenn man ehrlich ist, manchmal etwas entgleist. Zwar äußert der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan (nebenbei: Er wurde mal als »the shrink from hell« bezeichnet, als der Seelenklempner aus der Hölle), ein Penis könne genauso gut einen Regenschirm vertreten wie ein Regenschirm einen Penis vertreten könne. Im öffentlichen Bewusstsein ist allerdings hängen geblieben, dass – fast wie beim Bleigießen – vermeintlich klare Zuordnungen herrschen und alles Mögliche an bewussten Bildern eigentlich auf Sexuelles verweist. Der oben erwähnte Witz aus dem Auftritt Bernd Begemanns zeigt es.
Plausibel ist das so nicht. Schluss mit den Penissymbolen! Aber es lohnt sich, den individuellen Bedeutungen der erlebten Bilder nachzugehen (ich werde das gleich am Beispiel des Umgangs mit Traumbildern aufgreifen). Außerdem ist zu sagen, dass sich die Psychoanalyse schon bald nach Freud mehr dafür zu interessieren begann, welche Prozesse der Symbolbildung (statt bloße inhaltliche Symbolübersetzungen) am Werk sind, wenn es um psychische Entwicklung und das Zustandekommen psychischer Erkrankungen geht. Das soll heißen: Es ist spannender, sich damit zu beschäftigen, wie jemand denkt als warum er gerade an einen ovalen statt an einen runden Ball denkt.
Oft sind Beispiele für die unbewusste Bedeutung von etwas eher platt. Jeder Mensch träumt und in Träumen kommen allerlei andere Personen oder Dinge vor. Nicht nur Zigarren. Freuds Hinweis ist eigentlich ja: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, was in Träumen auftaucht, denn in aller Regel gibt es eine »tiefere Ebene«. Die Dinge im Traum sind nicht einfach nur das, als was sie auftauchen, sondern sie verweisen auf etwas. Was das allerdings ist, ist nicht vorgefertigt. Die Bedeutung von Symbolen (im Traum), um die es der Psychoanalyse geht, ist individuell. Alles kann für alles stehen – man muss mit dem Träumer sprechen, um zu erfahren, was der Traum bedeutet.
Stellen Sie sich nur mal vor, jemand träumt davon, eine Zigarre zu rauchen und in eine Vase zu aschen! Man müsste ihn im Grunde sofort zur Rede stellen. Was für ein Perversling!
Nein, so kann es natürlich nicht laufen. Ein großer Verdienst Freuds besteht darin, eine psychologische Zugangsweise zur Bedeutung von Träumen geschaffen zu haben. Damit ist gemeint, dass es gerade keine feststehenden Bedeutungen gibt, die für jeden Träumer dieselben sind (zum Beispiel: grüne Kleidung heißt, dass jemand hoffnungsfroh ist). Vielmehr beschreibt Freud die Traumdeutung deshalb als Königsweg zum Unbewussten, weil sich Mechanismen dessen zeigen, was er »Traumarbeit« nennt. Unter Traumarbeit
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