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Der Band stellt den dritten der Reihe Grundelemente psychodynamischen Denkens dar. Nun steht der Gegenstand der Psychoanalyse, das dynamisch Unbewusste, im Mittelpunkt. Dabei geht es zunächst um Freuds Anknüpfungspunkte in der Philosophie, bevor eine Prüfung der Konzeption in den verschiedenen Modellen des Seelischen in der Freud'schen Psychoanalyse erfolgt. Die Auffassungen nachfolgender Psychoanalytiker werden diskutiert, ebenso wie die Frage nach einem gesellschaftlichen oder kulturellen Unbewussten und die erkenntnistheoretischen Herausforderungen. Schließlich wird es um die Frage des Umgangs mit Unbewusstem in Behandlungen gehen sowie um einen interdisziplinären und psychotherapeutisch-schulenübergreifenden Blick auf unbewusste Prozesse.
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Seitenzahl: 265
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Der Autor
Timo Storck, Prof. Dr. phil., Jahrgang 1980, ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin, psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker. Studium der Psychologie, Religionswissenschaften und Philosophie an der Universität Bremen, Diplom 2005. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bremen (2006–2007), Kassel (2009–2015) sowie an der Medizinischen Universität Wien (2014–2016). Promotion an der Universität Bremen 2010 mit einer Arbeit zu künstlerischen Arbeitsprozessen, Habilitation an der Universität Kassel 2015 zum psychoanalytischen Verstehen in der teilstationären Behandlung psychosomatisch Erkrankter. Mitherausgeber der Zeitschriften Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung und Forum der Psychoanalyse sowie der Buchreihe Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie, Mitglied des Herausgeberbeirats der Buchreihe Internationale Psychoanalyse. Forschungsschwerpunkte: psychoanalytische Theorie und Methodologie, psychosomatische Erkrankungen, Fallbesprechungen in der stationären Psychotherapie, Kulturpsychoanalyse, konzeptvergleichende Psychotherapieforschung.
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1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-036000-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-036001-3
epub: ISBN 978-3-17-036002-0
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Vorwort
1 Einleitung
2 Freuds Ausgangspunkte auf dem Weg zum psychoanalytischen Unbewussten
2.1 Philosophische Spuren vor Freud
2.2 Freuds Anknüpfungen an Psychophysik und klinische Erfahrung
2.2.1 Der
Entwurf einer Psychologie
2.3 Freuds
Traumdeutung
als Beispiel für die Rolle des Unbewussten
2.4 Fallbeispiel
3 Das Unbewusste in Freuds Modellen der Seele
3.1 Zum Konzept der Verdrängung
3.2 Das Affekt-Trauma-Modell
3.3 Die erste Topik (topisches Modell)
3.3.1 Verdrängung und Abwehr von Triebrepräsentanzen
3.3.2 Die psychischen Zensuren und Probleme der Übertritte zwischen den Systemen
3.3.3 Das System
Ubw
und seine Eigenschaften
3.3.4 Offene Probleme
3.4 Die zweite Topik (Instanzen- oder Struktur-Modell)
3.4.1 Ich, Es und Über-Ich
3.4.2 Offene Probleme
3.5 Kritische Zusammenfassung
3.6 Fallbeispiel Herr W.
4 Entwicklungspsychologie und Variationen des dynamisch Unbewussten
4.1 Freuds Bemerkungen zur Entstehung des Unbewussten
4.2 Ausgewählte entwicklungspsychologische Konzeptionen zur Bildung des Unbewussten
4.2.1 Der Ansatz Jean Laplanches
4.2.2 Der Ansatz Melanie Kleins
4.3 Variationen des psychoanalytischen Unbewussten
4.3.1 Unbewusstes und Sprache bei Freud, Lorenzer und Lacan
4.3.2 Das Unbewusste in der relationalen Psychoanalyse und in der psychoanalytischen Feldtheorie
4.3.3 Formen des Unbewussten
4.4 Fallbeispiel C.
5 Das Unbewusste in psychoanalytischen Behandlungen und in der Gesellschaft
5.1 Das Unbewusste in psychoanalytischen Behandlungen
5.1.1 Erkenntnistheorie I: Konzeptuelle Schlüssigkeit
5.1.2 Erkenntnistheorie II: Validität der Deutung
5.2 Das psychoanalytische Unbewusste in Gesellschaft und Kunst
5.2.1 Grundlegungen bei Freud: Massenpsychologie und kulturstiftender Triebverzicht
5.2.2 Das gesellschaftlich Unbewusste
5.3 Methodentransfer am Beispiel der psychoanalytischen Kunstforschung
5.3.1 Drei methodische Probleme
5.3.2 Skizze einer psychoanalytischen Methodik in der Kunstforschung
5.3.3 Zusammenfassung: Individuum, Gesellschaft, Unbewusstes
5.4 Kultur-Fallbeispiel
6 Das Unbewusste interdisziplinär
6.1 Das Unbewusste in anderen Wissenschaften
6.1.1 Unbewusstes und Neurobiologie
6.2 Das Unbewusste in anderen psychotherapeutischen Verfahren
6.2.1 Gesprächspsychotherapie
6.2.2 Systemische Therapie
6.2.3 Kognitive Verhaltenstherapie
6.3 Fallbeispiel Sophia
7 Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
Verzeichnis der zitierten Medien
Stichwortverzeichnis
Beim vorliegenden Band handelt es sich um eine bearbeitete Mitschrift von fünf öffentlichen Vorlesungen, die ich im Wintersemester 2017/18 an der Psychologischen Hochschule Berlin gehalten habe. Die Vorlesungsreihe ist Teil eines langfristig angelegten Projekts zu den Grundelementen psychodynamischen Denkens, in dem es unter der dreifachen Perspektive »Konzeptuelle Kritik, klinische Praxis, wissenschaftlicher Transfer« darum geht, sich mit psychoanalytischen Konzepten auseinanderzusetzen: Trieb (Band I), Sexualität und Konflikt (Band II), dynamisch Unbewusstes (Band III), Objekte (Band IV), Übertragung (Band V), Abwehr und Widerstand (Band VI) und einige weitere. Ziel ist dabei, sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch im vorliegenden Format einer Reihe von Buchpublikationen eine Art kritisches Kompendium psychoanalytischer Konzepte zu entwickeln, ohne dabei den Anschluss an das Behandlungssetting oder den wissenschaftlichen Austausch zu vernachlässigen. Wenn es um Grundelemente psychodynamischen Denkens gehen soll, dann soll damit auch der Hinweis darauf gegeben werden, dass aus Sicht der Psychoanalyse jedes, also auch das wissenschaftliche, Denken selbstreflexiv ist: Das Denken über Psychodynamik ist unweigerlich selbst psychodynamisch, d. h. es erkundet die Struktur der Konzeptzusammenhänge auch auf der Ebene der Bedeutung von Konzeptbildung selbst.
Für ein solches Vorgehen ist das Werk Freuds der Ausgangs- und ein kontinuierlicher Bezugspunkt. Mir geht es um eine genaue Prüfung dessen, was Freud mit seinen Konzepten »vorhat«, d. h. welche Funktion diese haben und welches ihr argumentativer Status ist. Dabei soll nicht eine bloße Freud-Exegese geschehen, sondern eher ein Lesen Freuds »mit Freud gegen Freud«. Es wird deutlich werden, dass der grundlegende konzeptuelle Rahmen, den Freud seiner Psychoanalyse gibt, es auch erlaubt aufzuzeigen, wo er hinter den Möglichkeiten seiner Konzeptbildung zurück bleibt.
Über den Ausgangspunkt der Vorlesungen erklärt sich die Form des vorliegenden Textes, der nah an der gesprochenen Darstellung verbleibt. Auch sind, wie in jeder Vorlesung, eine Reihe von inhaltlichen Bezugnahmen auf Arbeiten anderer Autoren eingeflossen, die mein Denken grundlegend beeinflussen, ohne dass dazu durchgängig im Detail eine Referenz erfolgen kann. Für das Unbewusste sind das im Besonderen die Arbeiten Günter Göddes und Michael Buchholz’.
Bedanken möchte ich mich bei den Teilnehmenden an der öffentlichen Vorlesungen für ihr Interesse, sowie beim W. Kohlhammer Verlag, namentlich Ruprecht Poensgen, Elisabeth Selch und Annika Grupp, für die Unterstützung bei der Vorlesung und der Veröffentlichung. Außerdem danke ich Caroline Huss für die Anfertigung von Transkripten zur Audio-Aufzeichnung und Katharina Sindlinger für Unterstützung in der Literaturrecherche. Katharina Schmatolla gebührt Dank für die planerische, emotionale und technische Unterstützung bei der Durchführung der Vorlesungen. Der Psychologischen Hochschule Berlin danke ich schließlich für die Möglichkeit, eine solche Vorlesungsreihe durchzuführen.
Heidelberg, Februar 2019Timo Storck
»In der ganzen Welt redet man nicht vom Unbewussten, weil es seinem Wesen nach ungewusst ist; nur in Berlin redet und weiss man etwas davon und erzählt uns, worauf es eigentlich abgesehn ist.«
(Nietzsche 1869-74, S. 654; zit.n. Gödde 2005b, S. 203)
In der Freudschen Psychoanalyse nimmt das Unbewusste einen besonderen konzeptuellen Platz ein. Es wird von ihm und seit ihm als der Erkenntnisgegenstand der Psychoanalyse ausgewiesen, meist dezidiert als dynamisch Unbewusstes, eine Bestimmung, durch die es als Gegenstand spezifisch für die Psychoanalyse wird. Bei Freud taucht, wie zu zeigen sein wird, in diesem Zusammenhang die Kennzeichnung der Psychoanalyse als Metapsychologie auf, als eine »Psychologie plus Unbewusstes«, was zu seiner Zeit eine entscheidende Ergänzung und Akzentsetzung gewesen ist.
Sich damit an dieser Stelle der Prüfung der Grundelemente psychodynamischen Denkens zu beschäftigen, ergibt sich zudem durch die Ergebnisse der bisherigen Auseinandersetzung. Dies ist gerahmt gewesen durch ein bestimmtes allgemeines Konzept-Verständnis. Auch in der Psychoanalyse sollen Konzepte die Phänomene der Erfahrung begreiflich machen, auf den (konzeptuellen) Begriff bringen. Auf einer ganz allgemeinen Ebene bedeutet das eine Gemeinsamkeit zwischen psychoanalytischen Konzepten und Konzepten anderer Wissenschaft, beispielsweise in der Physik. Das Schwerkraftgesetz soll ja auch etwas von dem, was ich beobachten oder erfahren kann, auf einen Begriff bringen, in dem Fall eine Gesetzesaussage. Zwar werden mittels psychoanalytischer Konzepte keine Gesetze formuliert, aber auch sie sollen etwas davon begreifbar machen, was wir erfahren (in einem etwas weiter gefassten Sinn von »Beobachtung«). Freud hat die psychoanalytischen Konzepte aus der Basis klinischer Behandlungserfahrungen entwickelt. Dort sind ihm Dinge begegnet, die er dann konzeptualisiert hat – als Übertragung, Widerstand oder Deutung u. v. m. Wenn man dem Gedanken folgt, dass Konzepte in keiner Wissenschaft schlicht Dinge in der Welt sind, die dort »zu finden« sind, sondern etwas, das Phänomene begreifbar machen soll, dann kann man nicht sagen, Freud habe das Über-Ich oder andere Konzepte »entdeckt«. Vielmehr ist er in den Behandlungen auf bestimmte Phänomene gestoßen, z. B. Patienten, die von Schuldgefühlen berichten oder von selbstabwertenden Gedanken und hat angesichts dessen das Konzept Über-Ich entwickelt, um verständlich zu machen, was dort geschieht, wie die Gedanken und Gefühle entstehen und was sich in ihnen ausdrückt.
In einem wissenschaftlichen Konzept gibt es also einen gewissen Abstraktionsgrad und es soll die Empirie und die Phänomene darin begreiflich machen. Das tun die Konzepte in Wechselwirkung zu einem methodischen Zugang. In der Physik ist dieser wesentlich das Experiment und in der Psychoanalyse ist es ebenso die Anwendung einer Methode, hier der klinischen Zugangsweise, die sich letztlich beziehungspraktisch begründet. Man kann dann zusammenfassend sagen: Psychoanalytische Konzepte werden gebildet als eine begriffliche Verallgemeinerung aus einem Verstehen und Begreifen von klinischen Einzelfällen.
Zum Konzept des Unbewussten im Besonderen sind einige terminologische Überlegungen voran zu schicken. Auch das Unbewusste verstehe ich als Konzept und nicht als konkretes Ding, das ich in der Erfahrung als solches finden, auf das ich zeigen oder im Gehirn nachweisen kann, sondern es ist ein wissenschaftliches Konzept, wenngleich es erfahrungsnäher ist als »Trieb« oder »Über-Ich«. Wenn im Weiteren vom Unbewussten die Rede ist, dann meine ich damit, dass etwas an Elementen des psychischen Erlebens unbewusst ist. Das Unbewusste ist nirgendwo anders als das Bewusste. Es ist in meinem Verständnis kein Konzept, das sich auf Örtlichkeiten bezieht, sondern auf Verhältnisse in derVorstellungswelt. Unbewusst ist – so absurd das klingt – ein Merkmal bewusster psychischer Vorgänge und zwar eines von Auslassungen, Verzerrungen oder Irritationen, aber es ist immer »am« Bewusstsein. Es geht um Verhältnisse in der Vorstellungswelt und Verhältnisse zwischen Vorstellungen und Affekten. Was damit gemeint ist, wird sich im Verlauf zeigen.
Im ersten Teil der Reihe zu den Grundelementen psychodynamischen Denkens ist es um das Triebkonzept gegangen (Storck, 2018a) und ich habe die Perspektive entwickelt, dass in einem zeitgenössischen Verständnis das Psychosomatische des Triebes das Entscheidende ist. Psychosomatisch meint, dass mittels des psychoanalytischen Triebkonzepts versucht wird, eine Antwort darauf zu geben, wie vegetative, Physiologie-nahe Erregungszustände sich dem psychischen Erleben vermitteln. Es versucht sich an einer Antwort auf das Leib-Seele-Problem und es bezieht sich auf etwas, das man als die psychosomatische Grundstruktur des Menschen bezeichnen kann. »Trieb« meint etwas anderes als »Instinkt«. Es ist keine bloße erlebnisferne Reiz-Reaktions-Verschaltung, sondern bezieht sich auf die Vermittlung in psychisches Erleben. Freud (1915c, S. 214) spricht deshalb vom Trieb als einem »Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem«. Das Triebkonzept ist psychosomatisch zu verstehen, darüber hinaus aber auch sozialisatorisch, d. h. dass das triebhafte Drängen des Menschen aus sozialen Interaktionen erwächst. Es ist, das wird auch hier deutlich, kein bloßes biologisches Ablaufprogramm, sondern dadurch, dass wir in unserer frühen Entwicklung körperlich mit Anderen zu tun haben, die ihrerseits auch körperlich an uns herantreten, und es Berührungen und andere sinnliche Erfahrungen (Geruch, Stimme u. a.) gibt, entwickeln sich Antriebe der Entwicklung des Psychischen.
Bei Freud ist die Triebtheorie meist dualistisch konzipiert, es stehen einander Gegenspieler im Triebgeschehen gegenüber, Sexual- und Selbsterhaltungstrieb oder später im Werk Eros und Todestrieb. In einer zeitgenössischen Auffassung spricht aus meiner Sicht hingegen vieles für eine monistische Triebtheorie. Versteht man konzeptuell unter »Trieb« die eben skizzierte Vermittlungsfunktion von vegetativen in Erlebniszustände, dann ist mit dem »Grenzbegriff« Trieb noch keine Qualität beschrieben, sondern nur eine drängende Erregung, für die auf der Ebene des psychischen Erlebens eine qualitativ differenzierte Ausgestaltung gefunden wird.
Ferner ging es um das Verhältnis von Trieb und Affekt. In der psychoanalytischen Literatur gibt es viele verschiedene Bestimmungen dieses Verhältnisses und auch verschiedene Bestimmungen dessen, welches der beiden als primär angenommen wird. Entwickeln sich die Gefühle aus unserer Triebstruktur oder entwickeln sich unsere Antriebe aus Basisemotionen? Auf diese Weise ließ sich das Verhältnis von Trieb und Motivation genauer betrachten, was den Bereich der Interdisziplinären am Triebkonzept eröffnet hat, z. B. im Hinblick auf Grundbedürfnisse und die Konsequenz dieser Konzeptualisierung für andere psychotherapeutische Verfahren. Im ersten Teil der Grundelemente habe ich für die Annahme argumentiert: Die wesentliche Motivationsstruktur in der Psychoanalyse wird in der Auffassung der unbewussten Konflikte gefasst. Während »Trieb« eine allgemeine Motivationsstruktur beschreibt (etwa dahingehend, wie Psychisches als solches motiviert ist), ist die Antwort auf die Frage nach spezifischen Motivationen im Konflikt zu suchen.
Das hat die Voraussetzung für den zweiten Teil der Grundelemente zu Konflikt und Sexualität geschaffen (Storck, 2018b), der den Ausgang vom erweiterten Sexualitätsbegriff der Psychoanalyse genommen hat. Wenn Freud von sexuellen Wünschen von Kindern spricht, dann meint er nicht damit, dass diese genitalen Geschlechtsverkehr haben wollen; der erweiterte Sexualitätsbegriff der Psychoanalyse bezieht sich vielmehr darauf, Lust und Unlust als erste Strukturierungsprinzipien der psychischen Entwicklung anzunehmen. In diesem erweiterten Sexualitätsverständnis sind es sexuelle Gefühle, die wir in frühen Berührungen durch die ersten Bezugspersonen erleben. Das ist im Begriff der infantilen Psychosexualität gefasst, den Freud und Psychoanalytiker nach ihm in den psychosexuellen Entwicklungsphasen beschreiben, also die anale, orale und phallische Phase, für die sich jeweils eine konkretistische Auffassung von einer thematischen unterscheiden lässt. Ich kann mit »Analität« als Teil der Psychosexualität meinen, dass es ganz konkret um Sauberkeitserziehung und Ausscheidungsfunktion geht, das wäre die konkretistische, körpernahe Lesart. Ich kann aber auch eine thematische Lesart verfolgen, in der anale Konflikte mit Fragen von Trotz, Abgrenzung/Autonomie oder Stolz zu tun haben. Auch für die anderen Entwicklungsphasen konnte ähnliches formuliert werden.
Für die Psychoanalyse stellen Konflikte die Grundlage der menschlichen Entwicklung dar und zwar auch deshalb, weil es in der frühen Entwicklung Erlebnisse gibt, die für uns zugleich beruhigend und stimulierend sind. Von den frühen Bezugspersonen berührt zu werden, hat einerseits eine beruhigende Funktion, ist aber gleichzeitig eine sinnliche körperliche Erfahrung, die auch stimulierend ist. Aus diesem Ineinander lässt sich die psychoanalytische Konflikttheorie begründen. Einen großen Teil der Auseinandersetzung hat ferner der Ödipus-Konflikt eingenommen, der als leitendes Entwicklungs- und Strukturprinzip des Psychischen begriffen werden kann und sich für eine Erörterung der Konflikthaftigkeit des Menschen besonders angeboten hat. Außerdem ging es um post-freudianische Modelle von Sexualität, insbesondere um weibliche Sexualität, Homosexualität oder einen interdisziplinären Blick auf »Sexualitäten« in zeitgenössischer Auffassung.
Offengeblieben ist die Frage, was am Konflikt eigentlich unbewusst ist. Warum wird etwas unbewusst, wie wird es das, sowohl in der Entwicklung und auch im psychischen Funktionieren überhaupt? Das Verhältnis von Trieb und Unbewusstem bleibt dabei zu klären, ebenso die Frage, was Unbewusstes mit psychischen Störungen zu tun hat, und welche Differenzierungen des Begriffs vorgenommen worden sind.
Freud hat das Unbewusste nicht erfunden, darüber haben viele andere vor ihm auch nachgedacht. Im Weiteren geht es zunächst darum, welche Überlegungen zum Unbewussten vor Freud bestanden haben, um dann Freuds direkte Bezugnahmen auf einige Ansätze vorzustellen, insbesondere zur Psychophysik. Auch die Wurzeln in der klinischen Arbeit mit Patienten werden zum Thema, ebenso wie Freuds Überlegungen zum Traum im Hinblick auf unbewusste Prozesse und die Arbeit damit.
Die TV-Serie Westworld greift das Thema zweier Spielfilme aus den 1970er-Jahren auf und zeichnet das Szenario eines Wild-West-Vergnügungsparks mit menschenähnlichen Robotern (hosts), in denen die »echten« Menschen (guests) ihren Fantasien und den Handlungen, die daraus folgen, freien Lauf lassen können. Es geht also viel um Gewalt, insbesondere sexuelle. Das ist der Ausgangspunkt. In einer Szene der Pilotfolge (»The Original«, 2016) sehen wir Dolores und ihren Vater Peter (beide hosts). Dolores kommt abends nach Hause in eine Art Farmhaus, auf dessen Veranda ihr Vater sitzt und eine Fotografie betrachtet (die einer der Gäste im Park verloren hat). Er wundert sich und fragt Dolores, ob sie je so etwas gesehen habe. Sie antwortet »Doesn’t look like anything to me«, insgesamt zwei Mal. In der Serie ist das eine Art Programm-Code, eine vorgesehene Reaktion und Antwort, wenn den Robotern etwas begegnet, das das Eingefügtsein in eine Welt stört, die sich für sie wirklich anfühlt, tatsächlich aber Teil eines Designs ist, das als Dienstleistung angeboten wird und in dem sie künstlich sind.
Im weiteren Fortgang der Serie taucht dieser Code-Satz ein weiteres Mal auf (»Trompe L’Œil«, 2016). Zwei Mitarbeitende des Westworld-Parks, Theresa und Bernard, sind auf der Suche nach der Ursache für eine Fehlermeldung, die das Sicherheitssystem des Parks angezeigt hat. Sie stoßen dabei auf ein beiden unbekanntes Entwicklungslabor und sehen darin Konstruktionszeichnungen für Roboter im Park, einschließlich der Namen. Eine Zeichnung betrifft Dolores, eine weitere Bernard, dessen Identität als Roboter auf diese Weise sowohl für Theresa als auch für die Zuschauer aufgedeckt wird – nicht allerdings für ihn, denn im Blick auf die Zeichnung äußert er: »Doesn’t look like anything to me«…
In der Serie gibt es diese programmierte Funktion, etwas aus dem Erleben auszuschließen (die Tatsache, als designter Roboter in einem Vergnügungspark zu leben). Anders als die Roboter sind wir nicht programmiert, aber auch in uns gibt es psychische Mechanismen, deren Funktion es ist, etwas von unserem (bewussten) Erleben fern zu halten, weil es unser Selbstkonzept erschüttert, unangenehme Gefühle produziert u. a.
Wie konzipiert Freud, dass wir zu etwas in unserer Erlebniswelt sagen: »Das will ich nicht wissen« oder »Das will ich nicht erleben«? Das Unbewusste ist ein zentraler Teil von Freuds Theorie, er hat recht früh in einem Brief an Wilhelm Fließ davon gesprochen, er wolle »Metapsychologie« betreiben, also eine Psychologie, in der das Unbewusste in psychischer Hinsicht thematisiert wird. Er nennt die Psychoanalyse seine »hinter das Bewußtsein führende Psychologie« (Freud, 1985, S. 329). Das ist zum Ende des 19. Jahrhunderts ungleich origineller gewesen als es uns aus heutiger Sicht vorkommen mag. Der aufkommenden Psychologie seiner Zeit erschien es als Widerspruch, von einem »psychischen Unbewussten« auszugehen, einem Unbewussten, das psychisch sein soll, aber nicht (als solches) erlebt wird. Dieser Akzent bringt Freuds dazu, von der Psychoanalyse als »Lehre vom seelisch Unbewußten« (Freud, 1926e, S. 283) zu sprechen, als eine »Wissenschaft« »vom Unbewußt-Seelischen« (Freud, 1925d, S. 96). Dabei ist für ihn das Unbewusste »das eigentlich Psychische« (Freud, 1940a, S. 147).
Zwei Hinweise sind dabei zentral. Zum einen geht es Freud terminologisch um das Unbewusste, der Ausdruck »das Unterbewusste« o. ä. findet sich in seinen Arbeiten so gut wie nie. Das ist zum anderen deshalb wichtig, weil dann das gelegentlich in der Darstellung der Psychoanalyse verwendete Eisberg-Bild als irreführend erkannt werden kann. Es geht auf eine Formulierung von Theodor Lipps (1897) zurück, der im Übrigen für Freuds professionelle Entwicklung nicht ganz unwichtig gewesen ist. Bei Lipps heißt es: »Das psychische Leben eines Momentes […] ist wie ein im Meer versunkenes weites Gebilde, von dem nur wenige höchste Gipfel über die Wasseroberfläche emporragen.« Der Vergleich mit einem Eisberg soll deutlich machen, dass im Verhältnis zum Bewussten (oberhalb der Wasseroberfläche) das Unbewusste den weitaus größeren Teil der menschlichen Psyche ausmacht. Das ist zwar hilfreich, bringt aber die Gefahr mit sich, anzunehmen, dass das Unbewusste woanders, womöglich ganz tief unten, zu finden wäre. Der Gang der Prüfung wird zeigen, dass spätestens in einer zeitgenössischen Auffassung das Unbewusste nicht in dieser Weise verräumlicht werden sollte, sondern sich gerade als ein Oberflächenphänomen begreifen lässt, es zeigt sich am Bewussten.
Aber zunächst zurück zu Freud. Dieser meint: »Das Unbewußte ist das eigentlich real Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane.« (Freud 1900a, S. 771) Damit meint er, dass das Unbewusste uns nur eingeschränkt zugänglich ist und dass, das muss man hier dazu denken, es das aus funktionalen Gründen ist, es wird, zumindest als dynamisch Unbewusstes, aktiv aus dem Bewusstsein ferngehalten. Wir können ohne Weiteres nichts davon wissen. Aber für Freud hat das Unbewusste auch »einen natürlichen ›Auftrieb‹, es verlangt nichts so sehr, als über die ihm gesetzten Grenzen ins Ich und bis zum Bewusstsein vorzudringen.« (Freud 1940a, S. 104f.) Diese Doppelfigur ist für sein Denken zum Unbewussten entscheidend: Einerseits ist das Unbewusste dem Bewusstsein unzugänglich und andererseits drängt es hinein. So wird das Konzept des Unbewussten in der Psychoanalyse zu einem, das sich auf »Dynamisches« bezieht. Es gibt einen Grund dafür, dass etwas vom Bewusstsein ferngehalten wird, aber gleichzeitig auch ein Drängen ins Bewusstsein hinein. Dabei spielen Konflikt und Abwehr eine Rolle, deren Zusammenwirken in Kapitel 3 noch genauer betrachtet werden wird.
Freud unterscheidet zwischen dem deskriptiv Unbewussten und dem dynamisch Unbewussten. Deskriptiv unbewusst schließt auch das ein, das prinzipiell bewusstseinsfähig ist und nur gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht (von Freud als vorbewusst bezeichnet). Aller Voraussicht nach ist uns im Verlauf eines Tages deskriptiv unbewusst, was wir am Morgen zum Frühstück gegessen haben. Wenn wir aber daran denken, wird es uns vermutlich wieder einfallen (es sei denn, das Frühstück ist besonders ängstigend oder beschämend gewesen…) – es ist uns bis dahin vorbewusst gewesen. Dynamisch unbewusst ist hingegen etwas, das nicht durch bloße gedankliche Anstrengung wieder ins Bewusstsein gehoben werden kann, weil es davon ferngehalten wird. Es hat auch den Status »unbewusst«, aber in einem spezielleren Sinn (aufgrund der Hindernisse gegenüber einem »Hervorholen« ins Bewusste).
Damit ist, wie ich erwähnt habe, nun jedoch nicht gemeint, dass etwas in Gänze aus dem Erleben schlicht exkommuniziert wäre. Vielmehr zeigt sich das Unbewusste im Erleben, jedoch in Form von Entstellungen, Verzerrung, Auslassung o. ä. Bei Freud (1915e, S. 264) heißt es: »Wir kennen es natürlich nur als Bewußtes, nachdem es eine Umsetzung oder Übersetzung in Bewußtes erfahren hat«. Für ihn haben deshalb die unbewussten Seelenvorgänge einen »negative[n] Charakter«, so dass man sie »sich nur durch Vergleichung mit den bewussten seelischen Prozessen deutlich machen kann« (Freud 1920g, S. 27f.). Dabei meint »negativ« hier augenscheinlich nichts Wertendes, sondern, ähnlich wie bei einem Fotonegativ, so etwas wie die untrennbare »Kehrseite« von etwas.
Freuds Überlegungen stehen in einer geistesgeschichtlichen Tradition, worüber er sich im Klaren war. Etwa 40-jährig schreibt er: »Ich habe als junger Mensch keine andere Sehnsucht gekannt als die nach philosophischer Erkenntnis, und ich bin jetzt im Begriffe, sie zu erfüllen, indem ich von der Medizin zur Psychologie hinüberlenke.« (Freud, 1985, S. 190; Brief an W. Fließ vom 2.4.1896) Das schreibt er zu seiner Zeit, in der er beginnt, die Psychoanalyse als Theorie und Behandlungsverfahren zu entwickeln und nicht bei der Anatomie und Neuropathologie stehen zu bleiben.
Die Bezugnahme auf philosophische Spuren (und einige psychologische) kann an dieser Stelle nur ausschnittartig geschehen, sehr viel ausführlicher finden sie sich dargestellt z. B. in Lütkehaus (1989), Buchholz & Gödde (2005), Gödde (2009) oder Schöpf (2014).
Eine wichtige Richtung der Philosophie, auf die Freud nicht direkt Bezug nimmt, aber in der unbewusste Aspekte eine große Rolle spielen, ist der Deutsche Idealismus bzw. die Philosophie der Romantik (etwa die Phase zwischen 1781 und 1831). Darin geht es um Idealismus im Sinne einer Ideenlehre, es werden Bereiche wie Ich, Selbstbewusstsein und -reflexion zum Thema, in der Regel eingebettet in eine Naturphilosophie, der es um die Frage danach geht, was in uns naturhaft drängend ist und unser Erleben in dieser Weise trägt. Bei vielen Autoren gibt es die Annahme einer bewusstlosen Tätigkeit in uns.
Das ist im Deutschen Idealismus noch nicht explizit mit dem Terminus des Unbewussten verbunden, der 1846 von Carl Gustav Carus eingeführt wird, der eine erste Linie zwischen bewusstseinsfähigen und bewusstseinsunfähigen Elementen des Psychischen zeichnet. Das ist bei ihm verbunden mit Vorstellungen zur Lebenskraft, einer nicht unbedingt biologischen, aber gleichsam biologie-nahen Antriebskraft in uns. Für Carus (1846, S. 1) liegt »[d]er Schlüssel zur Erkenntniß vom Wesen des bewußten Seelenlebens […] in der Region des Unbewußtseins.«
In rascher Abfolge gibt es dann weitere Konzeptualisierungen, z. B. bei Eduard von Hartmann (1869), der das erste systematische philosophische Werk zum Unbewussten vorlegt. Auch er beschäftigt sich einerseits mit einem naturphilosophisch-kosmologischen Begriff des Unbewussten – das nennt er das »absolute Unbewusste« – und mit einem psychischen Unbewussten. Schließlich ist noch der bereits erwähnte Theodor Lipps (1883), der sich stärker der psychologischen Perspektive widmet, zu nennen, für den, wie für Freud, das Unbewusste das eigentlich real Psychische ist und der eine Dynamik unbewusster Prozesse annimmt. In dieser Linie von Carus (1846) bis Lipps (1883) ist gewissermaßen das Umfeld abgesteckt, in dem Freud 1873 sein Studium der Medizin in Wien aufnimmt, in dem Überlegungen in der Philosophie und auch sich langsam als eigenständiges wissenschaftliches Fach entwickelnden Psychologie eine Rolle spielen. Eduard von Hartmann veröffentlicht 1869 die Philosophie des Unbewußten und leitet darin einen Beitrag zu einem psychischen Unbewussten, das in einer Reihe steht mit dem körperlichen und dem metaphysischen oder absoluten Unbewussten. Freud (1900a, S. 533f.) nimmt explizit auf von Hartmann Bezug, wenn auch eher allgemein, indem er in der Traumdeutung auf dessen Auffassungen im Hinblick auf Assoziationen eingeht.
Die Einflussfaktoren, mit denen Freud sich konfrontiert sah, lassen sich im Anschluss an einen Vorschlag Göddes (2009, S. 26ff.) unterteilen in die Linie eines kognitiven (Leibniz Mitte des 18., Herbart im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts), eines vitalen/romantischen Unbewussten (Herder, Goethe, Schelling, gegen Ende des 18. Jahrhunderts) und eines triebhaft-irrationalen Unbewussten (Schopenhauer, von Hartmann, Nietzsche, Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts). Dies sind in dieser Perspektive zumeist Einflussfaktoren, auf die Freud selten explizit Bezug nimmt, aber in dessen Tradition seine Überlegungen betrachtet werden können.
Überlegungen zu einem kognitiven Unbewussten finden sich bei Autoren, die diese zum Teil deutlich vor Freuds Zeit entwickelten. Zu nennen ist hier beispielsweise Gottfried Wilhelm Leibniz, der Perzeptionen beschreibt, die von uns nicht apperzipiert werden, weil sie zu schwach, zu zahlreich oder zu gleichförmig sind. Auch Überlegungen Johann Friedrich Herbarts haben Berührungspunkte, insofern in ihnen thematisch wird, dass Vorstellungen unter die »Bewusstseinsschwelle« verdrängt werden und ins Bewusstsein zurückstreben. Herbart beschreibt also bereits eine Art von Dynamismus von Vorstellungen im Verhältnis zu einer Schwelle zwischen Unbewusstem und Bewusstsein, die zueinander in einen »Widerstand«, in ein Verhältnis von Druck und Gegendruck geraten können. Gustav Theodor Fechner schließlich vertritt die Auffassung unbewusster, aber wirksamer Empfindungen, greift dabei ebenfalls auf den Gedanken einer »psychophysischen Schwelle« zurück und begründet so die Richtung einer »Psychophysik«, die für Freud von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Es geht in diesen Zugängen also um ein kognitives Unbewusste, darum, welche Vorstellungen bewusst sind und welche nicht, welche miteinander in Widerstreit treten.
Die zweite Linie der Unterteilung ist die eines vitalen oder romantischen Unbewussten. Dies steht der eingangs erwähnten Romantik des Deutschen Idealismus näher – Johann Gottfried Herder und andere Autoren sprechen von Lebens- oder Naturkräften, einem »dunklen« Grund der Seele. Schelling akzentuiert explizit die Naturbestimmtheit des Unbewussten und erörtert eine »Weltseele« als ein Prinzip von Materie, lebendiger Natur und Bewusstsein des Menschen. Für ihn tragen wir etwas Naturhaftes und etwas Geistiges in uns. Eine strikte Trennung zwischen Natur und Geist wird abgelehnt und es wird die Auffassung des Geistigen als etwas vertreten, dass »statt« unmittelbarer Befriedigung ein- bzw. auftritt (das wird auch bei Freud wichtig werden: Denken bedeutet, etwas Triebhaftes umzuarbeiten oder zu überformen). Carus schließlich verbindet die Lebenskraft mit dem Unbewussten und meint, »Psyche« könne in zwei Formen in Erscheinung treten, als Bewusstsein/Geist und als Unbewusstes/Leib/Natur. Dem Unbewussten werden dabei die Merkmale Unermüdlichkeit, Unmittelbarkeit, Verallgemeinerung, Gesundheit und Notwendigkeit zugewiesen (vgl. Gödde, 2009, S. 49ff.).
Diese ersten beiden Ebenen, das kognitive und das vitale Unbewusste, lassen sich in Auseinandersetzung mit den oben erwähnten Sequenzen aus Westworld besser verstehen. Dort muss in kognitiver Hinsicht etwas unbewusst bleiben, das ist Teil des Designs der Roboter, nämlich dass eine Vorstellung als solche abgewiesen wird, es sieht »nicht wie irgendetwas« aus, sie werden nicht Teil des bewussten Erlebens und Denkens bzw. mit anderen Vorstellungen nicht verbunden. Nicht so sehr im erwähnten Ausschnitt, aber in der Serie insgesamt lässt sich auch ein vitaler Aspekt des Unbewussten erkennen. Die Erzählung der Serie verläuft, wenig überraschend, in Richtung einer Rebellion der Roboter, als diese eine Art von Zugang zu vitalen Aspekten des Nicht-Bewussten erlangen (sowohl im Hinblick auf Emotionalität als auch auf Gedächtnis). Während der Satz »Doesn’t look like anything to me« eine Art Code für die Abweisung vom Bewussten ist, wird der Satz »These violent delights have violent ends« zu einem Code für den Zugang zur Vitalität der Maschinen.
Die dritte Ebene ist die des triebhaft-irrational Unbewussten. Zwar ließe sich auch hier an Schelling anschließen, allerdings bieten sich drei weitere Autoren noch deutlicher an: Nietzsche, von Hartmann und Schopenhauer.
In seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) thematisiert Arthur Schopenhauer einige wichtige Aspekte, die später Freud auch beschäftigen. Bei Schopenhauer spielt die Irrationalität am Grunde des Menschlichen eine Rolle, ebenso wie ein Konzept des Willens als etwas, das uns antreibt und in unseren Vorstellungen eine Objektivierung erfährt. Der Wille gilt also als eine Antriebskraft, die wir durch Erlebnisse und bewusste Wahrnehmungen ausgestalten (das ist wiederum auch ein wichtiger Bezugspunkt der Konzeption des Unbewussten bei C.G. Jung, Kapitel 5.2). Dass sich die menschliche Triebnatur letztlich allerdings nicht befriedigen lässt, führt in Schopenhauers Denken zur zentralen Stellung der Leidenserfahrung. Es gibt bei Freud einige Bemerkungen zu Schopenhauer, der als der »Philosoph des Irrationalen« (Koßler, 2005, S. 181) gelten kann. Ganz unmittelbar verbindet Freud etwa seine Trieblehre mit der Konzeption des Willens: »Es sind namhafte Philosophen als Vorgänger anzuführen, vor allen der große Denker Schopenhauer, dessen unbewußter ›Wille‹ den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichzusetzen ist.« (Freud, 1917a, S. 12) In ähnlicher Weise erwähnt Freud die Verbindung des Schopenhauerschen Denkens mit dem Verdrängungskonzept der Psychoanalyse: »Was dort [in Die Welt als Wille und Vorstellung; TS] über das Sträuben gegen die Annahme eines peinlichen Stückes der Wirklichkeit gesagt ist, deckt sich so vollkommen mit dem Inhalt meines Verdrängungsbegriffs, daß ich wieder einmal meiner Unbelesenheit für die Ermöglichung einer Entdeckung verpflichtet sein durfte.« (Freud, 1914d, S. 53) Etwas ähnliches wiederholt er an anderer Stelle, wenn er schreibt: »Die weitgehenden Übereinstimmungen der Psychoanalyse mit der Philosophie Schopenhauers […] lassen sich nicht auf meine Bekanntschaft mit seiner Lehre zurückführen.« (Freud, 1924d, S. 86) Freud sieht sich also in einer Tradition, setzt sich dazu allerdings in durchaus ambivalenter Weise in Beziehung. Er äußert keine allzu hohe Meinung von der Philosophie, in erster Linie wohl, um sich von dem abzugrenzen, was er als (im unguten Sinn) »spekulativ« betrachtet und dem gegenüber er die Psychoanalyse als (natur-)wissenschaftlich positionieren will (genauer zu Freuds Verhältnis zur Philosophie in Storck, 2018c, S. 18ff.). Am Ende steht die Bemerkung (bezogen auf die eigene Konzeption eines Todestriebs): »Was wir sagen, ist nicht einmal richtiger Schopenhauer.« (Freud, 1933a, S. 115) Im Anschluss an Gödde (2009; vgl. Gödde & Zirfas, 2016, S. 140ff.) lassen sich einige konzeptuelle Linien der Begegnung zwischen Freud und Schopenhauer benennen:
• das Unbewusste als das eigentlich real Psychische (einschließlich einer Idee der Verdrängung);
• der Wille als drängendes Prinzip, aus dem psychisches Erleben gebildet wird (darin besonders das Sexualbegehren oder auch die Rolle der Leiblichkeit; vgl. Koßler, 2005);
• ein Antagonismus der »Interessen« zwischen Ich und Gattung;
• Leidenserfahrungen und Unlustvermeidung als Motivation des Menschen;
• der Tod als »eigentlicher« Zweck des Lebens.
Bei einer Übersicht über die Thematisierung des triebhaft-irrationalen Unbewussten in der Philosophie darf Friedrich Nietzsche nicht fehlen, von dem man sagen kann, dass seine Philosophie die unmittelbarste Nähe zu Freud hat, z. B. im Eingehen auf die Selbsttäuschungen des Menschen oder die Konzeption des Willens, die bei ihm stärker psychologisch gefasst ist. Nietzsche geht es um irrationale Antriebe, die man mit dem Willen (bzw. eher im Plural: den Willen) zur Macht in