Körbe in Kampen - Ursula Guthörl - E-Book

Körbe in Kampen E-Book

Ursula Guthörl

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Beschreibung

Gelangweilt von ihrer Arbeit als Sekretärin und unzufrieden mit ihrem Liebesleben beschließt Erna, ihren nächsten Urlaub auf Sylt zu verbringen. Dass die Insel ihr Leben nachhaltig prägen soll, ahnt Erna nicht, als sie sich zum ersten Mal im Ort Kampen in einen Strandkorb setzt. Die Sylt-Besuche gehören fortan für viele Jahre zu Ernas Leben und sind doch viel mehr als reine Erholungsurlaube. Mit Sylt beginnt ein Abenteuer aus Beobachtungen, Begegnungen und Erlebnissen - eine spirituelle Reise, die sie allmählich zurück zu ihrer ursprünglichen Unbeschwertheit und Selbstliebe führen soll. Nur in punkto Liebe scheint jede Hoffnung vergebens. Aber dann steht sie plötzlich da ... die Liebe.

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Weitere Publikationen der Autorin:

„Die Erde hängt an einem Faden“

(August von Goethe Literaturverlag, 2023)

„Tanz um den Göttelborn“

(novum Verlag, 2022)

„Zeichen und Gnade“

(edition sawitri, 2021)

„Wasser-Morgen oder Intuition und Liebe“

(Edition Göttelborn, 2005)

Inhalt

Kapitel I: Verliebt in und auf Sylt

Die Sekretärin

Der Popsänger

Auf nach Sylt

Dämpfer

Überwindung einer Hürde

Im Rettungsschwimmerwagen

Das süße Leben von Kampen

Der launische Rettungsschwimmer

Strandleben

Der Zahnklempner

Frei und glücklich

Unerwartetes Interesse

Ein lästiger Zeitgenosse

Barbesuche und ein Fauxpas

Streiche der Freunde

Zuversicht und ein Wunder

Eine Entscheidung

Kapitel II: Die Wende

Wieder in Kampen

Ein mystisches Erlebnis

Ein überraschender Kuss

Ein Besuch in Hamburg

Winter auf Sylt

Kampen im März

Mathis’ neue Freundin

Der kranke Manager

Mutters Tod und ihre Erscheinung

Die Intuition wächst

Kapitel III: Eine neue Liebe

Gedichte

Altlasten und Schmerzen

Briefe von Kampen

Göttliche Liebe

Enttäuschung

Bewegungslos

Kapitel IV: Ein neuer Lebensabschnitt

Ein kurzes Wiedersehen

Zeichen

Aufbruch

Ankunft

KAPITEL I

Verliebt in und auf Sylt

Die Sekretärin

Mit fünfunddreißig konnte Erna die Errungenschaften ihres Lebens nicht mehr so richtig schätzen. Allerdings wäre ihr nie eingefallen, einfach alles hinzuschmeißen. Sie wusste, dass sie für ihre Verhältnisse mit Mittlerer Reife und dem Abschluss der zweijährigen Höheren Handelsschule das mögliche Maximum an beruflichem Erfolg erreicht hatte. Sie arbeitete als Sekretärin eines Referatsleiters bei einer internationalen europäischen Institution und verdiente mehr als viele Akademiker ihres Herkunftslandes. Der französische Chef schätzte sie, da sie ihre Aufgaben zuverlässig in Deutsch, Französisch und Englisch erledigte. Außerdem schien er auch an ihrer äußeren Erscheinung Gefallen zu finden. Einmal deutete er an, dass er nicht nein sagen würde. Doch er war viel zu brav und solide verheiratet, um von sich aus einen Vorstoß zu wagen. Das war Erna sehr angenehm, denn mit aufdringlichen Vorgesetzten hatte sie bereits Erfahrungen gemacht. Außerdem war er nicht ihr Typ, und seine Hände waren immer schweißnass. Manchmal sagte er, dass er deutsche Sekretärinnen bevorzuge, weil sie fleißiger und weniger frech als die Französinnen seien. Erna verhielt sich ihm gegenüber reserviert. Wenn die Kollegen über ihn herzogen, war sie immer auf deren Seite. Sie schmeichelte sich nie beim Chef ein und sagte frei heraus, wenn ihr irgendetwas nicht passte. Das schien ihm zu imponieren. Jedenfalls behandelte er sie stets mit Respekt und setzte sich auch für sie ein, damit sie befördert wurde und mehr verdiente. Mitarbeiter, die ihm gegenüber Unsicherheit erkennen ließen, behandelte er schlecht.

Ernas Schwäche war, dass sie morgens nicht gut aus dem Bett kam. Im Büro erschien sie meist erst nach neun, anstatt halb neun. Das tolerierte der Chef, da sie abends länger blieb als die meisten.

Erna hatte also keinen direkten Grund, sich über ihre Arbeit im Statistischen Amt zu beklagen. Nur, sie fühlte sich maßlos angeödet, weil Statistik nicht ihrem Wesen entsprach. Trotzdem war sie Expertin im Erstellen großer Tabellen mit vielen Zahlenkolonnen auf einer schweren Schreibmaschine. Ihre Striche trafen immer genau aufeinander. Jede Tabelle war ein kleines Kunstwerk. Das gefiel dem Chef besonders. Er war scheinbar ein Augenmensch. Die äußere Form der Tabellen war ihm wichtiger als der Inhalt. Er versteht von Statistik wahrscheinlich nicht viel mehr als ich, dachte Erna. Die Zahlenreihen musste er ja nicht selbst ausrechnen. Das taten die Mitarbeiter. Wenn Erna hinsichtlich ihrer Arbeit über etwas im Zweifel war und ihren Vorgesetzten konsultierte, sagte er nur: „Débrouillez-vous!“ (Sie müssen sich selbst zu helfen wissen). Das tat sie also.

Erna legte auch Wert darauf, im Privatleben nicht als Sekretärin bezeichnet zu werden. Sie bestritt lediglich ihren Unterhalt als Sekretärin und identifizierte sich nicht mit einer solchen. Eine sogenannte Freundin, die selbst kaum das Nötigste zum Leben verdiente, kam ihr einmal mit den Worten entgegen: „Ach, die Sekretärin!“ Erna fühlte sich gekränkt, weil sie einen gewissen geringschätzigen Unterton zu hören glaubte. Noch schlimmer war es natürlich, Stenotypistin, Schreibkraft oder gar Tippse genannt zu werden. Gleichzeitig war sie sich der Schwierigkeit ihres Berufes bewusst. Jeder Spötter hätte einmal ein viele Seiten langes Stenogramm in rücksichtsloser Geschwindigkeit in einer Fremdsprache aufnehmen und anschließend fehlerfrei in ausgewogener Form auf einer schweren, mechanischen Schreibmaschine wiedergeben sollen. Er oder sie hätte wohl kläglich versagt. Dazu gehören größte Konzentrationsfähigkeit, Kombinationsgabe, sehr gute Sprachkenntnisse und flinke Finger, die so gut wie nie die falsche Taste treffen. Schon in der Schule hatten die jungen Männer schlechte Noten in den Fächern Maschineschreiben und Stenografie gehabt. Sie hatte bereits gewusst, dass diese undankbaren Arbeiten ohne Prestige im Berufsleben von Frauen ausgeführt wurden. Außerdem war Maschineschreiben Schwerstarbeit, bevor elektrische Maschinen und später Computer eingeführt wurden. Tipp-Ex gab es zu jenen Zeiten noch nicht. Jeder Fehler musste mühsam ausradiert werden. Auch mit Rasierklingen wurde gearbeitet. Natürlich sah man die Spuren, und eine gute Sekretärin schämte sich. Schlimm waren auch die vielen, manchmal acht, Kopien mit Kohlepapier dazwischen. Die mussten ebenfalls verbessert werden. Erna hatte eigentlich fast immer Entzündungen und Schmerzen in den Armen, Handgelenken und Schultern. Doch die ignorierte sie. Was sollte sie machen? Etwas anderes hatte sie nicht gelernt. Die Knubbel in den Oberarmen sind nie mehr ganz verschwunden. Es gab Chefs, die ein fehlendes Komma mit dickem Rotstift einsetzten, so dass der ganze Text neu geschrieben werden musste. Erna schaffte es irgendwann, in einer Art aufmerksamer Trance viele Seiten ohne Tippfehler zu schreiben. Das war ein besonderer, sehr anstrengender Willensakt. Leider werden solche Fähigkeiten nicht anerkannt von denen, die niemals dazu in der Lage wären und es nicht nötig haben, derartig untergeordnete Tätigkeiten auszuführen.

Dieses tägliche unbefriedigende Einerlei wurde nur durch den Urlaub einmal im Jahr unterbrochen. In ihrer ersten Arbeitsstelle bei einer Bank hatte Erna zwölf Tage Urlaub im Jahr. Auch an Samstagen musste noch gearbeitet werden. Sie liebte das Schwimmen im Meer und das Sonnenbaden auf einem Sandstrand, seit sie mit einundzwanzig Jahren zum ersten Mal das Meer in Rimini gesehen hatte. Die Hotels, in denen sie abstieg, entsprachen der unteren bis mittleren Preisklasse. Luxus hätte ihre Mittel überstiegen. Sie probierte mehrere südliche Länder aus. Doch wirklich zufrieden war sie nie. Entweder waren die Strände steinig oder schmutzig, zu weit vom Hotel entfernt, das Zimmer zu laut, das Essen schlecht oder die Leute uninteressant usw. Sie hatte keine passenden Freunde in ihrem kleinen Dorf, mit denen sie gern zusammen in Urlaub gefahren wäre. Deshalb war sie darauf angewiesen, an Ort und Stelle Gesellschaft zu finden. Schließlich wollte sie nicht zwei oder später drei Wochen stumm sein. Ab und zu traf sie alleinreisende Frauen und Männer. Frauen waren ihr lieber, weil die Männer nicht nur reden wollten. Sie hatte an sich nichts gegen amouröse Abenteuer. Vielleicht hätte ja etwas Dauerhaftes daraus werden können, und Aids gab es noch nicht. Doch die Männer, die ihr über den Weg liefen, entsprachen nicht ihren Vorstellungen. Wenn sie nach einigen Tagen immer noch allein war, ließ sie sich auf die Annäherungsversuche der männlichen Hotelangestellten ein. Sie waren herzlicher und amüsanter als die Touristen.

Der Popsänger

In der Stadt, wo Erna ab ihrem neunundzwanzigsten Lebensjahr wohnte und arbeitete, hatte sie fünf Jahre lang einen Freund, Chris Baldo. Mit ihm fuhr sie nur einmal im Winter in die Alpen. Im Sommer hatte er nie Zeit, sie ans Meer zu begleiten. Er war nämlich Popsänger und Sprecher bei Radio Luxemburg. Jeder dachte, dass er erfolgreich und wohlhabend wäre. Während der ersten zwei Jahre lief ihre Beziehung so einigermaßen. Erna träumte ebenfalls vom Singen und hatte manchmal Gelegenheit, zusammen mit der Band ihres Freundes aufzutreten, wenn sie ihn zu seinen Galas begleitete. Manchmal bekam sie mehr Applaus als er. Das schien ihm nicht zu gefallen. Jedenfalls hatte die Band bald keine Zeit mehr, mit ihr zu proben. Ihre Liebe zum Chanson ließ sie über mangelnde Zärtlichkeit, fehlendes sexuelles Feingefühl und Potenzschwierigkeiten ihres Freundes hinwegsehen. Obwohl sie so gerne sang, gelang es ihr nicht, Musiker zu finden, die mit ihr zusammen eine Band gründen wollten. Irgendwann begann der Stern ihres Freundes zu sinken. Die Plattenfirmen wollten kein Geld mehr in diesen unzuverlässigen Schlagersänger investieren. Er schaffte es nicht, Ordnung in seinen Terminkalender zu bringen, und kam ständig überall zu spät, war unausgeschlafen und versuchte sich mit Alkohol aufzuputschen. Er war ein Chaot. Der französische Plattenproduzent spekulierte darauf, dass Ernas Freund seine Titel im Radio auflegte. Wohl hauptsächlich deshalb bekam er einen Vertrag für einige Schallplatten. Er konnte auch nicht mit Geld umgehen und hatte schließlich nur noch Schulden. Sein Vater, ein wohlangesehener Direktor, unterstützte ihn nicht mehr. Obwohl er nicht die Mittel dafür hatte, kaufte er sich einen neuen MG-Sportwagen. An sich war er genügsam und lebte noch im Elternhaus. Doch der Sportwagen war das äußere Zeichen für seinen Erfolg, auf den er nicht verzichten wollte. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass die Leute ihn in einem bescheidenen Auto sähen. In seinem kleinen Land kannte ihn nämlich jeder. Wenn er wieder einmal einen Wechsel unterschrieben und kein Geld auf dem Konto hatte, kam er zu Erna und bat sehr lieb um ein Darlehen. Er würde es auch bald zurückzahlen, versprach er. Als Sicherheit gab er ihr jedes Mal einen Scheck. Die Schecksammlung ruht noch heute, nach über dreißig Jahren, in einem Kästchen irgendwo in der hintersten Ecke ihres Schrankes. Der Unterzeichner weilt schon seit mindestens fünf Jahren nicht mehr unter den Lebenden.

Erna wurde immer unzufriedener und frustrierter. Eigentlich empfand sie nur noch Mitleid für ihren Freund. Ihr Sparkonto war leer, da sie ihn immer wieder vor dem Abgrund einer Anklage wegen Wechsel- oder Scheckbetrug erretten musste. Sollte sie ihn jetzt verlassen, wo er gerade auch alles andere verlor? Einen Plattenvertrag bekam er nicht mehr, und der Sprecherjob beim Radio wurde ihm ebenfalls gekündigt. Er stand also arbeitslos und verschuldet auf der Straße. Gut, dass er wenigstens noch im Elternhaus wohnen konnte. Allerdings war Erna um ihre Gesundheit besorgt. Sie schlief nur noch schlecht, weil sie fast jede Nacht von Alpträumen heimgesucht wurde. Ein gefährliches Ungeheuer kam in einem Traum immer wieder auf sie zu, bis es ganz nah vor ihrem Gesicht stand. Dann war ihre Angst so groß, dass sie aufwachte und zitternd im Bett lag. Sie fürchtete sich vor dem Einschlafen, weil sie dann womöglich wieder bedroht würde. Instinktiv ahnte sie, dass ihr Freund die Ursache dafür war. Trotzdem war sie für eine Entscheidung noch nicht reif oder bereit.

Auf nach Sylt

Erna beschloss, erst einmal in Urlaub ans Meer zu fahren, um dort in Ruhe ihre Gedanken zu ordnen und herauszufinden, ob sie sich weiter mit ihrem Freund herumquälen oder ihn dorthin schicken sollte, wo der Pfeffer wächst. Doch welches Meer kam dafür infrage? Die überlaufenen Strände, die sie bis jetzt kennengelernt hatte, wären für eine solch wichtige Entscheidungsfindung kaum geeignet. Sie hatte öfter gelesen, dass die Insel Sylt sehr angenehm und erholsam war. Also besorgte sie sich Prospekte und buchte ein Zimmer mit Halbpension im Hotel Stadt Hamburg in Westerland. Auf dem Foto sah es am einladendsten aus. Einen gewissen Komfort wollte sie sich diesmal gönnen. Sie hatte ja überhaupt keine Ahnung von den Gegebenheiten dieser Insel und wo man als alleinstehende Frau am besten wohnte und badete.

Erna kaufte sich einen neuen Bikini, einen Hosenanzug zum Darübertragen auf dem Weg zum Strand und eine Straßenkarte. Danach war sie pleite. Ihre Ersparnisse steckten ja im neuen MG mit Hardtop des achtundzwanzigjährigen, arbeitslosen Ex-Popstars. Da sie ein gesichertes monatliches Einkommen hatte, gewährte ihr die Bank problemlos einen Überziehungskredit. Nun stand ihrer Abreise in das Urlaubsparadies der nördlichsten Region Deutschlands nichts mehr im Wege. Sie belud ihren kleinen Renault bis unters Dach und los gings. 1971 waren die Autobahnen noch nicht so verstopft. Sie kam zügig voran. Kurz vor Hamburg machte sie halt, um in einem Autobahnmotel zu übernachten. Die große Stadt wollte sie erst am nächsten Morgen ausgeschlafen durchqueren. Seltsamerweise hatte sie keine Angst davor, obwohl sie bis dahin noch nie eine so komplizierte Stadt mit dem Auto erobert hatte. Den Autobahntunnel gab es zu jenen fernen Zeiten noch nicht. Ganz einfach war es für sie nicht, den Weg Richtung Schleswig-Holstein zu finden. Doch trotz ihrer geringen Erfahrung mit Großstädten schaffte sie es ohne besondere Schwierigkeiten. Nur das rechtzeitige Einordnen erschien ihr etwas kompliziert. Wenn sie Zweifel hatte, blieb sie einfach auf der mittleren Spur, was sich als richtig erwies.

In Niebüll angekommen, hielt Erna Ausschau nach dem Autozug über den Hindenburgdamm nach Sylt. Als sie eine lange Autoschlange sichtete, dachte sie: Hier muss ich mich wohl anstellen. Irgendwann gab es Zuggeräusche, und die Schlange setzte sich ruckhaft in Bewegung. Erna fuhr immer hinterher, kam an einem Häuschen vorbei, wo sie bezahlen musste, und fuhr schließlich vorsichtig die Rampe zum Autozug hinauf. Sie rollte über viele Waggons, bis es nicht mehr weiterging, und zog am Ende sorgfältig die Handbremse. Männer liefen vorbei und forderten die Autofahrer auf, etwas dichter aufzurücken, und kontrollierten die Karten. Erna war in erwartungsvoller Stimmung. Sie beobachtete die Insassen der Autos vor und hinter ihr. Irgendwie wirkten sie recht angenehm entspannt. Schließlich fuhr der Zug los. Nach einer Weile näherte er sich der Küste und war bald mitten im seichten Wattenmeer. Erna stand auf der oberen Plattform und blickte verzaubert um sich. Es kam ihr fast so vor, als schwebe ihr Auto ohne Untersatz durch den leichten Dunst über dem Wasser. Das eigene Gehäuse gab ihr heimische Geborgenheit. Gleichzeitig fühlte sie sich wie von der Erde abgehoben in einer anderen, mystischen Welt. Viel zu schnell näherten sich die ersten Häuser der Insel. Erna hätte gern noch länger in dieser entrückten Atmosphäre verweilt. Jedes Mal, wenn sie in späteren Jahren erneut nach Sylt fuhr, hatte sie ähnliche Empfindungen. Es war immer wie eine Rückkehr in ihre eigentliche Heimat.

In Westerland fand Erna schnell ihr Hotel mit hauseigenem Parkplatz. Das Zimmer lag zum Innenhof, ohne Aussicht. Doch es war hübsch und komfortabel. Sie hatte ja sowieso nicht die Absicht, sich tagsüber darin aufzuhalten. Das erste Abendessen war ein Genuss. Erna hatte wahrscheinlich noch nie so gut gespeist. Sie wurde sehr aufmerksam bedient und hatte nicht das Gefühl, als Frau allein weniger wichtig zu sein. Sie hatte immer einen schönen Tisch, fühlte sich wohl und aß mit Wohlbehagen.

Dämpfer

Am Morgen darauf zahlte sie die Kurtaxe für Westerland und stieg zum Strand hinunter, doch der gefiel ihr nicht. Die Leute lagen ihr zu dicht nebeneinander, fast so wie im Süden am Mittelmeer. Nein, das konnte sie nicht akzeptieren. Diesmal sollte der Urlaub optimal werden. Also setzte sie sich ins Auto und erkundete Sylt, ob sich nicht etwas Besseres fände. Sie fuhr durch Kampen und fand bald einen Parkplatz an der Straße vor den Dünen. Dort stellte sie ihr Auto ab und wanderte über einen Holzsteg Richtung Meer. Hier hatte sie nichts auszusetzen. Sie dachte, an diesem Strand werde ich meinen Urlaub verbringen. Doch zunächst bekam sie einmal einen Dämpfer. Ein junger Mann blickte ihr vertrauenerweckend aus einem Strandkorb am Steg entgegen und bat um die Kurkarte. Natürlich hatte sie eine Eintrittskarte und zeigte sie stolz vor. „Damit können Sie hier nicht an den Strand. Die ist nur für Westerland“, sagte der nette Kontrolleur. „Was?!“, rief Erna erschrocken. „Was mach ich denn jetzt?“ – „Sie können sich eine Tageskarte nehmen.“ – „Gut, dann geben Sie mir bitte eine.“ Immerhin schickte er sie nicht zurück. Am nächsten Tag würde sie schon eine Lösung finden. Dieser Strandabschnitt entsprach ihren Ansprüchen schon eher. Allerdings war es ein FKK-Strand. Hüllenlos hatte sie bis dahin noch nie gebadet. Doch daran würde sie sich schon gewöhnen. Gut, dass sie ihre Brust gepflegt und immer kalt gewaschen hatte, wie es ihre Mutter ihr stets geraten hatte. Sie war mit fünfunddreißig Jahren körperlich gut erhalten und brauchte sich nicht wegen eines Hängebusens zu ge