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Hans Schillinger aus Württemberg wird zur Wehrmacht eingezogen. Er zieht als Soldat Richtung Westen. An seiner Seite sein Freund Lüders. In einem besetzten Dorf treffen sie auf die Französinnen Sophie und Anquelique. Von Feindschaft und Hass umgeben, kommen sich die vier jungen Menschen näher. Durch die Kriegswirren werden alle getrennt. Lüders desertiert nach dem Feldzug gegen die Sowjetunion und versteckt sich in Frankreich, während Hans Schillinger vom einfachen Soldaten zum Offizier aufsteigt. Anquelique flüchtet mit der schwangeren Sophie vor dem Misstrauen der Dorfbewohner und einem SS-Offizier nach Paris. In dieser Stadt kommt es zu einer Verkettung von Ereignissen, die das weitere Schicksal der Beteiligten nachhaltig beeinflussen.
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Seitenzahl: 782
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1. Oktober 1929 bis März 1940 Deutschland/Westfeldzug
2. April 1940 bis Juni 1941 Frankreich
3. Juni 1941 – Dezember 1941 Sowjetunion
4. Jänner 1942 bis Dezember 1942 Frankreich
5. Jänner 1942 bis April 1943 Ostpreußen/Österreich/Afrika
6. Februar 1943 bis Juni 1944 Frankreich
7. Mai 1943 bis April 1945 Italien
8. August 1944 bis Dezember 1945 Frankreich
9. Mai 1945 bis Mai 1949 Italien, USA, Europa
10. Juni 1949 bis Dezember 1949 Frankreich, USA
Es herrschte ein schöner Tag in Oberberg, einer deutschen Kleinstadt in Württemberg. An diesem 24. Oktober 1929 streifte der elfjährige Hans Schillinger mit seinem gleichaltrigen Freund Otto Baumeister durch die Stadt. Sie verspürten Langeweile, dies wollten sie ändern. Aufgrund von Vorkommnissen anderer Art würde dieser Tag als einer der folgenschwersten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts eingehen. Hans und Otto kannten sich seit Kindestagen und wuchsen als Nachbarn auf. Während Hans eine schlaksige Figur besaß, wirkte Otto bullig. Der Vater von Hans hieß Franz und arbeitete als Kanzleileiter in der Rechtsanwaltskanzlei von Dr. Weinmann im Stadtzentrum. Seine Mutter Edeltraud besaß einen Buchladen in der Stadt. Lesen wurde in der Familie Schillinger ständig praktiziert, auch Hans las gerne. Franz Schillinger stammte ursprünglich aus Stuttgart, auch dort arbeitete er in einer Rechtsanwaltskanzlei. In dieser Stadt traf er die junge Edeltraud Hafner, die als Verkäuferin in einem Buchladen in der Altstadt von Stuttgart arbeitete. Franz investierte das meiste Geld in Bücher. Der Buchladen weckte sein Interesse, aber noch mehr die junge Verkäuferin. Die beiden kamen sich rasch näher. Es entwickelte sich eine große Liebe und Leidenschaft, deren Ergebnis der erste Sohn Heinz war. Edeltraud lebte gegen den Willen ihrer Eltern in der großen Stadt, ihre Sturheit ließ sie Oberberg verlassen. Gemeinsam mit der schwangeren Edeltraud stattete Franz ihren Eltern einen Besuch ab, wo er förmlich um ihre Hand anhielt. Die Eltern beruhigten sich rasch wieder, als das Paar beschloss, aufgrund von Platzproblemen für die werdende Familie Stuttgart zu verlassen und nach Oberberg in das Haus ihrer Eltern zu ziehen. Die Eltern von Franz lebten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. In der ortsansässigen Rechtsanwaltskanzlei Weinmann erhielt Franz eine Anstellung, die er bis heute ausübte. Die kleine Familie besaß ein geregeltes finanzielles Auskommen. Edeltraud arbeitete zu Hause und verbesserte das familiäre Einkommen als geschickte Näherin. Die Familie vergrößerte sich jährlich. Um die finanzielle Sicherheit für die steigende Anzahl der Familienmitglieder zu sichern, arbeitete Franz am Wochenende als Lagerarbeiter am Bahnhof. Im Jahr 1914 wurden Edeltrauds Vater und Franz als Soldaten einberufen und zogen in den ersten großen Krieg dieses Jahrhunderts. Die Schlacht von Verdun kostete den Vater von Edeltraud das Leben. Sie erbte 1915 eine kleine Barschaft, die sie für den Aufbau eines kleinen Buchladens verwendete. Ein Fronturlaub von Franz im Jahr 1917 bescherte der Familie neuerlichen Zuwachs. Bis zum Kriegsende 1918 versorgte sie ihre vier Kinder und die Mutter allein, dazu kam die Geburt von Hans im Mai 1918 als fünftes Kind der Familie. Franz verbrachte das letzte Kriegsjahr an der französischen Front. Edeltraud erwies sich als starke und sture Persönlichkeit. Sie setzte sich in der kleinstädtischen Gesellschaft durch. Die Kinder mussten der Mutter bei der täglichen Arbeit helfen, es gab im Haus oder im Buchladen genug zu tun. Die Versorgungslage gestaltete sich bisweilen schwierig, aber die Familie kam durch. Nach der Kapitulation Deutschlands im November 1918 und der Ausrufung der Republik kehrte Franz heim. Das Trauma der Kriegserlebnisse wirkte nach. Er benötigte einige Zeit, um sich wieder zurechtzufinden. Die Unterstützung durch seine Frau und die Verantwortung gegenüber seiner Familie verhalfen Franz zu einem normalen Leben. Er arbeitete wieder in der Rechtsanwaltskanzlei und widmete sich seiner Familie. Sein Jüngster wurde sein Liebling. Franz Rückkehr in die Normalität stand im krassen Gegensatz zu vielen deutschen Kriegsheimkehrern, die vom Krieg verroht und seelisch schwer geschädigt keinen Anschluss an die Zivilgesellschaft in der Heimat fanden. Viele sammelten sich in Kameradschaftsverbänden, um den Anschein von Normalität zu erwecken. Die wirtschaftliche Lage verursachte große Not in der deutschen Bevölkerung. Der Diktatfriedensvertrag von Versailles, in dem der französische Premier Clemenceau Deutschland demütigte, wurde von der Bevölkerung sehr negativ aufgenommen. Die Friedensbedingungen erwiesen sich als sehr hart, die Menschen litten unter den Versorgungsmängeln. Die beginnenden zwanziger Jahre wurden geprägt von Kämpfen diverser politischer Gruppierungen. In diesen ersten Jahren der jungen, deutschen Republik entstand die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Der zugewanderte Österreicher Adolf Hitler präsentierte sich als Anführer der neuen Partei. Die Gruppierung beschränkte sich auf Bayern und blieb politisch vorerst bedeutungslos. Franz Schillinger hielt sich aus diesen politischen Querelen heraus, sofern dies möglich war. Er hielt nichts von den politischen Führern, welcher Strömung sie auch angehörten. Deren Interesse lag allein in der Befriedigung des eigenen Machtstrebens. Die Bedürfnisse der normalen Menschen wurden nur als Vorwand genutzt. In populistischen Reden versuchten sie, sich als Lösung für die Zukunft zu präsentieren. Die Verbesserung der Lebensumstände erklärten sie als Ziel, doch vorerst duellierten sie sich in ewigen Rededuellen. Im Hause Schillinger herrschte Ruhe, trotz der hektischen und harten Zeit. Franz und Edeltraud achteten auf ein gutes Benehmen ihrer Kinder und ermahnten sie, sich von politischen Kundgebungen fern zu halten. Hans und Otto trieben sich noch immer in der Stadt herum. Als Seelenverwandte verbrachten sie viel Zeit damit, Streiche auszuhecken. Hans las gerne Bücher, mehr als seine Geschwister, aber er genoss die Abwechslungen und Situationen des Alltaglebens. Sie verließen die Kleinstadt und betraten ein angrenzendes Waldstück. Hans fünfzehnjährige Schwester Waltraud wollte sich im Wald mit einem Jungen aus ihrer Schule treffen. Hans belauschte sie am Schulhof. Grinsend schlichen die beiden durch das Waldstück, das als Geheimplatz für Liebespaare galt. Sie verhielten sich leise, um nicht aufzufallen. Die Wälder um Oberberg wurden bisweilen als Liebesnest von Jugendlichen und Erwachsenen genutzt. In der Stadt herrschten konservative Zeiten, der Wald bot Zuflucht und Freiheit. Ein Monat zuvor belauschten und bestaunten sie ein Paar, wobei beide Liebende andere Ehepartner besaßen. Sie entdeckten Waltraud mit ihrem jugendlichen Galan. Tobias war der Sohn eines Schneiders, etwas älter als Waltraud und kein schöner Anblick. Mädchen erschienen bisweilen rätselhaft in ihrer Auswahl. Sie beobachteten das junge Paar längere Zeit, Waltraud kicherte ständig. Es wurde langweilig, die Jungen entfernten sich wieder. Hans und Otto sahen Mädchen nicht mehr mit Kinderaugen an. Sie zeigten bereits Interesse. Nach dem Verlassen des Waldes streunten sie durch die Kleinstadt, es tat sich nicht viel. Als ihnen nichts mehr einfiel, trennten sie sich und Hans begab sich auf dem Heimweg. Er wollte sein neuestes Buch weiterlesen, Mark Twains „Huckleberry Finn und Tom Sawyer“. Die beiden Buchhelden verglich er mit Otto und ihm. Die Sehnsucht nach Abenteuer erfasste ihn beim Lesen des Buches, die Kleinstadt erschien auf Dauer zu langweilig. Hans glich darin vielen Jungen, die ständig Abenteuer erleben wollten. Die Abenddämmerung brach an, als er nach Hause kam. Bald darauf gab es Abendessen mit der gesamten Familie. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Hans kannte den Grund nicht, er fragte auch nicht. Nach dem Abendessen ging er in sein Zimmer, dass er sich mit seinen beiden Schwestern teilte und vertiefte sich in die Lektüre. Bald darauf schlief er ein. Am nächsten Tag traf er Otto in der Schule, ihre gesamte Klasse bestand aus dreißig Schüler und Schülerinnen. Die Lehrerin hieß Frau Hofherr, eine Dame mit knapp vierzig Jahren. Sie gestaltete den Unterricht humorlos und verfügte über sehr konservative Ansichten in Bezug auf Benehmen und Aufmerksamkeit während der Schulstunden. Manchmal gab es einen Schlag mit dem Rohrstock über die Finger, wenn ein ungehöriges Verhalten vorlag. Körperliche Züchtigungen blieben aber selten bei Frau Hofherr. Andere Lehrer besaßen dagegen einen gefährlichen Ruf. Otto geriet im letzten Jahr an den berüchtigten Herrn Roth. Dieser versah an diesem Tag die Pausenaufsicht im Schulhof. Otto ärgerte im Schulhof die Mädchen, Herr Roth wirkte missgelaunt. Der Junge kassierte zwei Ohrfeigen, die ihn umwarfen und beide Wangen stark zum Schwellen brachten. Herr Roth war ein korpulenter Mann mit großen Händen. Nach Meinung aller Schüler hielt sich Otto ausgezeichnet, er weinte nicht einmal.
Die Schüler versuchten, diesen Mann auszuweichen, nur seine eigene Klasse entkam seinen Strafen nicht. Dort wurden regelmäßig Ohrfeigen verteilt. Die Eltern der betroffenen Schüler regten sich nicht auf, denn es herrschten schwere Zeiten und über solche Belanglosigkeiten wurde nicht lange geredet. Es gab Gerüchte, dass Herr Roth Mitglied der NSDAP sein sollte. Das war jene Partei, deren Führer Adolf Hitler immer mehr in den Mittelpunkt des allgemeinen öffentlichen Interesses rückte. Dessen Putsch im Jahre 1923, den er gemeinsam mit dem ehemaligen Weltkriegsgeneral Ludendorff anführte, blieb erfolglos. Das anschließende Urteil gegen Hitler fiel milde aus und leicht zu ertragen. Hitler nutzte die Haft in Landsberg für das Verfassen seines Buches „Mein Kampf“. Nach der Haft übernahm er die NSDAP neuerlich als Führer, organisierte sie nach seinem Willen und baute mit der Sturmabteilung eine schlagkräftige, paramilitärische Einheit auf. Diese gefürchtete Schlägertruppe, bekannt unter ihrem Kürzel SA, ging gegen ihre politischen Gegner rücksichtslos vor. Der große politische Durchbruch der Nationalsozialisten fehlte noch, doch der 24. Oktober 1929 sollte der Beginn einer Entwicklung sein, an deren Ende Hitler als Reichskanzler eingesetzt wurde. Hans interessierte sich nicht für das politische Geschehen. Seine Eltern mieden politische Tätigkeiten. Sie legten ihr Augenmerk auf das finanzielle Auskommen der Familie und die Bildung ihrer Kinder. Vater Franz bezeichnete die Nazis als die größten Hetzer unter allen rechten und linken Nachkriegsparteien, ansonsten wurde ausschließlich über Wirtschaft und Finanzen gesprochen. Die Familie Schillinger verfügte über ein gutes finanzielles Auskommen. Dies war angesichts der herrschenden Verhältnisse nicht üblich. Vielen deutschen Familien ging es nicht gut. Franz verdiente gut als Kanzleileiter in der Rechtsanwaltskanzlei. Die Kanzlei lief hervorragend und sein Chef Dr. Weinmann äußerte sich ständig positiv über Franz. Edeltrauds Buchhandlung lief gut, die Leute in der Stadt lasen viel, vor allem Abenteuer- und Liebesromane interessierten die Leserschaft. Der Verkauf von Bücher über Politik steigerte sich ebenfalls. Edeltraud betrieb zusätzlich mit ihrer ältesten Tochter Jutta eine kleine Näherei, die aufgrund der Qualität der Arbeiten über einen guten Ruf in der Stadt und Umgebung verfügte. Juttas Heirat stand bevor, im nächsten Frühjahr sollte die Hochzeit stattfinden. Der zukünftige Ehegatte arbeitete als Mechaniker in den Benz-Werken in Stuttgart. Sie lernte ihn während seines Urlaubs in Oberberg kennen. Vater Franz konnte den Heiratsantrag nicht abschlagen, obwohl seine geliebte Tochter nach Stuttgart zog. Bis zum Auszug blieb noch etwas Zeit, Waltraud arbeitete unterstützend in der Näherei. Die Geschwister halfen auch im Buchladen. Der zukünftige Schwiegersohn bereitete indessen die gemeinsame Wohnung in Stuttgart vor, um seiner zukünftigen Frau eine anständige Heimstatt zu bieten. Der Eindruck ergab ein harmonisches Familienbild im Jahre 1929, ein Ausdruck der sogenannten goldenen Zwanziger Jahre. Damit sind die Jahre 1923 bis 1929 gemeint. In diesen Jahren erholte sich Deutschland langsam vom Krieg, den nachfolgenden Putschen, Aufständen und Einmarsch fremder Mächte. Die Franzosen besetzten 1923 das Ruhrgebiet, um mit dem Kohleabbau ausständige Reparationszahlungen zu tilgen. Als Folge erhielten die Parteien des rechten Randes Zulauf. Sie nutzten die Stimmungslage der Bevölkerung und prangerten ständig die Schwäche der Republik an. Nationalismus wurde zu einer immer stärker werdenden Tendenz, aber der leicht ansteigende Lebensstandard verhinderte bis zum Jahre 1929 einen durchschlagenden politischen Erfolg der politischen Extreme. Der Erfolg dieser Jahre basierte auf Einführung der Rentenmark und Anpassungen des Versailler Vertrages durch den Dawes-Plan und Young-Plan. Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung und das Vertrauen in die deutsche Republik wurde im Jahre 1929 gestoppt, da es am 24. Oktober 1929 zu einem Börsencrash kam, dessen Auswirkungen weltweit zu spüren waren. Es führte zu Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen. Dies begünstigte den Aufstieg der rechten, demokratiefeindlichen Parteien. Noch schien im Hause Schillinger alles in Ordnung zu sein, die heraufziehenden Wolken drohenden Unheils waren noch nicht am Horizont zu sehen, es wäre ein beschauliches Leben gewesen in Oberberg in Württemberg.
Dienstag, der 31. Jänner 1933 erwies sich als ein kalter Tag. Der vierzehnjährige Hans Schillinger saß im Buchladen und stöberte in den Büchern. Otto interessierten Bücher wenig. Er hielt sich an das reale Leben. Doch er hörte gerne zu, wenn Hans aus den Büchern erzählte. Otto konnte dieser Variante mehr abgewinnen, eigenes Lesen erschien ihm zu anstrengend. In der Schule tat er das Notwendigste, um nicht zu viele Strafen von den Lehrern auszufassen. Nach dem Weggang von Frau Hofherr übernahm zum Entsetzen aller der strenge Herr Roth die Klasse. Als Anhänger von Zucht und Ordnung praktizierte er seine Philosophie fast täglich. Die Betonung lag mehr auf Zucht, denn einige der Kinder kamen manchmal mit einem „blauen“ Hintern nach Hause.
Die Schüler vermuteten hinter Herrn Roths Einstellung seine Partei, die NSDAP. Er war langjähriges Mitglied und ein fanatischer Anhänger. Die Partei erhielt in den vergangenen Jahren seit dem weltweiten Börsencrash ständig Zulauf. Seit dem gestrigen Tag stellte sie mit Adolf Hitler den deutschen Reichskanzler. Herr Roth verwendete die Unterrichtsstunden bisweilen für Vorträge über die Vorteile der nationalsozialistischen Gesinnung. Die Kinder ertrugen dies mit Gleichmut und gespieltem Interesse, zumindest erhielt keiner eine Prügelstrafe, wenn der Lehrer seine Reden hielt. Dieses Verhalten stellte sich als erfolgreich heraus. Herr Roth wirkte so besessen von seiner Philosophie, dass die Prügelstrafen sukzessive abnahmen. Neben seiner politischen Gesinnung achtete Herr Roth auf Pünktlichkeit, Aufmerksamkeit, Mitarbeit im Unterricht und die Erstellung der Hausaufgaben. Otto hielt Hausaufgaben grundsätzlich für sinnlos, deswegen musste er bisweilen die Strafen des Lehrers erdulden. Er ertrug dies mit Trotz und Härte, denn er wollte die Schule auf dem schnellsten Wege beenden und einen Beruf erlernen. Sein verstorbener Vater arbeitete als Maurer und Zimmermann, Otto zeigte großes Interesse an diesen Tätigkeiten. Er sah seine Zukunft im Baugewerbe und bewies große Fertigkeiten beim Planen und Bauen. Hans Talente für handwerkliches Arbeiten entsprachen nicht denen seines Freundes, aber er bewies Fähigkeiten in vielen Bereichen. An diesem Dienstag trafen sich die Freunde nicht mehr nach der Schule, dies passierte immer häufiger. Hans las in letzter Zeit Romane über den Wilden Westen der Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Er mochte Heldengeschichten. Momentan beschäftigte er sich mit „Winnetou“, die berühmte Bücherreihe des deutschen Schriftstellers Karl May. Sein Vater hielt den Inhalt dieser Bücher für sehr oberflächlich. May war selbst nie in diesen Gebieten gewesen. Hans begeisterten die Geschichten über den edlen Indianer und dessen Freund Old Shatterhand. Er saß länger und las das Buch „Der Schatz im Silbersee“ fertig. Danach stöberte er im Buchladen wegen eines neuen Buches. Sein Blick fiel auf das Buch „Mein Kampf“, dass Adolf Hitler während seiner Inhaftierung in Landsberg 1923 verfasste. Ursprünglich sollte dieses Buch nicht im Angebot des Buchladens enthalten sein, da sein Vater dies strikt ablehnte. Es sollte niemand, wie er im Familienkreis meinte, „solchen Unsinn“ weiterverbreiten. Doch die Mutter verwies auf die steigende Nachfrage und erinnerte ihren Mann an die wirtschaftliche Seite eines Buchladens. Seitdem wurde das Buch im Laden verkauft. Hans blätterte mehrmals darin. Er verstand die Sichtweise von Hitler nicht. Dieser beschrieb einen Lebensraum im Osten und weitere skurrile Dinge. Hans hielt Deutschland für groß genug. Sein Vater lag mit dem „Unsinn“ vermutlich richtig, aber die Nachfrage stieg ständig. Es sah so aus, als ob jede Familie dieses Buch zu Hause haben wollte. Die Ideen von Hitler zeigten große Wirkung auf viele Menschen in Deutschland. Am Vortag wurde er durch den Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Die NSDAP erhielt bei der letzten Reichstagswahl im November 1932 zwar die meisten Stimmen, aber sie mussten Stimmenverluste zum zweiten Mal hintereinander hinnehmen. Hitler beanspruchte seit der Reichstagswahl im Juli 1932 die Kanzlerschaft, doch bis zum gestrigen Tag widersetzte sich Hindenburg einer Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Durch die Auflösung des Reichstags musste eine Neuwahl angesetzt werde. Hitlers Forderung nach der Kanzlerschaft wurde in diesen Monaten vor allem durch nationalkonservative Unternehmer massiv unterstützt. Die SA marschierte unaufhörlich in den Städten und Gemeinden, um den Druck stetig zu erhöhen. Kurt von Schleicher, der am 3. Dezember 1932 vom Reichspräsident zum Reichskanzler ernannt wurde, versuchte die NSDAP zu spalten. Gregor Strasser, ein führendes Mitglied der NSDAP, schien bereit zu sein, die Regierungsbeteiligung seiner Partei als Vizekanzler im Kabinett Schleicher abzusichern. Hitler beharrte auf seinen Führungsanspruch und setzte sich innerhalb der Partei im Dezember 1932 durch. Er unterbreitete Franz von Papen ein Angebot, dass dieser annahm. Van Papen schien überzeugt zu sein, Hitler als Reichskanzler maßgeblich beeinflussen zu können. Am 30. Jänner 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und erlaubte ihm gleichzeitig die verlangte Auflösung des Reichstages für Neuwahlen. Gespannt warteten die deutschen Bürger und Bürgerinnen auf die weitere Entwicklung. Hitler musste seinen großen Worten Taten folgen lassen. Hans verließ den Buchladen und verabschiedete sich von seiner Schwester Waltraud, die den Buchladen leitete. Sie war verheiratet, mit einem korrekten Bankbeamten namens Fritz Hauser. Das erste Kind kündigte sich an. Hans sollte den Buchladen übernehmen, da seine beiden älteren Brüder Heinz und Günter andere Berufe wählten. Heinz verblieb mit Frau und Kind in Oberberg. Bodenständigkeit und Fleiß zeichneten diese Menschen aus.
Seine älteste Schwester Jutta lebte mit ihrem Mann in Stuttgart, diese besaßen bereits zwei Kinder. Hans zeigte kein Interesse für seine Neffen und Nichten, sein Augenmerk lag auf Büchern und Mädchen. Dieser Familienteil erschien ihm zu bieder, obwohl sein Vater ständig den Fleiß seines ältesten Bruders und seiner Schwester lobte. Heinz präsentierte sich gerne als Moralist und Realist. Diese Vorträge mochte Hans nicht. Ein Besserwisser der alten Schule, Hans empfand keine große Sympathie für Heinz. Er interessierte sich viel mehr für die Philosophie und Lebensweise seines anderen Bruders Günter. Trotz Vorbehalte der Eltern verließ dieser vor einem Jahr die Kleinstadt und heuerte in Hamburg auf einem Schiff als Matrose an. Günter arbeitete auf einem Frachtschiff, das zwischen Hamburg und Oslo verkehrte. Die Entscheidung ihres Sohnes schmerzte die Eltern, aber sie respektierten schlussendlich dessen Wunsch, in die Welt hinauszugehen. Sein Vater verwendete für Momente des Abschieds ständig den gleichen Spruch. „Vergiss deine Heimat nicht, wo deine Wiege stand, du findest in der Ferne kein zweites Heimatland“, sagte er damals zu seinem Sohn. Hans kannte jeden Buchstaben auswendig, sein Vater konnte anstrengend sein. Günters Fernweh wurde ebenfalls aus Büchern gespeist. Hans wollte die enge Kleinstadt ebenfalls verlassen. Er las gerne Bücher, aber er konnte und wollte sich nicht vorstellen, sein ganzes Leben in einem Buchladen zu verbringen. Diese Erkenntnis musste er seinen Eltern noch behutsam beibringen. Aufgrund seines Alters verbrachte er noch einige Jahre in Oberberg. Es bestand derzeit keine Notwendigkeit, sie zu verärgern. Er wollte nach der Grundschule arbeiten, um sich sein eigenes Leben zu finanzieren. Diese Überlegung wurde von seinen Eltern geteilt, da die Kosten für den Besuch eines Gymnasium sehr hoch waren. Hans erinnerte sich gerne an seinen zweitältesten Bruder. Günter konnte gute Geschichten erzählen. Manche davon trieben seiner Schwägerin und anderen Zuhörern die Schamröte ins Gesicht. Hans Vorstellungen von Leben und Freiheit ähnelten denen seines Bruders in Hamburg. Die Welt zu bereisen und auf Heirat und Familie zu verzichten. Nach einer Hochzeit kehrte der ständig gleiche Alltag in das Leben der Menschen ein, Hans empfand dies als langweilig und monoton. Er fühlte sich für ein anderes Leben geboren. Als er nach Hause kam, hörten seine Eltern Radio. Es erklang Marschmusik. Seine Eltern wirkten bedrückt. Hans kannte den Grund nicht, Marschmusik konnte man aushalten. An Festtagen marschierten Otto und er mit der örtlichen Blasmusikkapelle die Straße entlang. Sie versuchten ständig, Teile der Kapelle aus dem Gleichschritt zu bringen, indem sie Grimassen schnitten und nebenherliefen. An diesem Tag wirkte die gespielte Marschmusik auf seine Eltern bedrückend. Hans Neugier erwachte und er fragte nach dem Grund für die Traurigkeit. Sein Vater blickte ihn an. „Gestern ist etwas Schlimmes passiert. Sie haben diesen Scharlatan zum Reichskanzler ernannt.“ Es ging um Hitler. Hans erkannte die Tragik hinter dieser Entscheidung nicht.
Es gab einige redenschwingende Menschen in der Politik, zudem hielt sein Vater sehr wenig von Politikern. Er wollte der Sache auf den Grund gehen. „Warum nennst du den Mann einen Scharlatan?“ Sein Vater hob den Kopf. „Ich habe diesen Mann im Krieg getroffen. Er faselte ständig von der Auslöschung des Judentums, da diese angeblich an allem schuld wären. Damals interessierte dies keinen, aber das hat sich mittlerweile geändert.“ Hans zuckte mit den Schultern. Er kannte die Einstellung einiger Bewohner zu jüdischen Menschen. „Viele Leute sagen, dass die reichen Juden schuld sind an der derzeitigen Lage.“ Die Betroffenen erläuterten ihre Meinungen nie genau, was sie damit meinten, aber sie schimpften gerne auf jüdische Menschen. Der Blick seines Vaters erfasste ihn. „Es ist ein Unterschied, ob ich jemanden kritisiere, oder ob ich ihm den Tod wünsche.“ Die wüsten Beschimpfungen von Hitler und seinen Parteifreunden gegen jüdische Mitbewohner waren in der Bevölkerung bekannt. „Glaubst du, dass er die Juden angreifen wird?“
Sein Vater fuhr fort. „Damals dachte ich, er ist ein Vollidiot, in den Jahren seines politischen Werdegangs dachte ich, die ihm folgen, sind Vollidioten und jetzt stellen sie die stärkste Partei Deutschlands.“ Hans beharrte auf eine Antwort zu seiner Frage. Sein Vater nickte. „Es sind seine stechenden Augen und die Art und Weise, wie er über seine Überzeugungen spricht. Dieser Mann sagt, was er meint und wird tun, was er sagt. Er wird die Umsetzung seiner Ideen konsequent verfolgen, seine Gegner ausschalten und uns in einen Krieg treiben. Ein Krieg ist das Schrecklichste, was passieren kann. Im Krieg gibt es keine Helden, jeder ist Täter und Opfer zugleich. Ich hoffe inständig, dass ich Unrecht habe, was diesen Mann betrifft.“ Sein Vater formulierte die letzten Worte fast beschwörend, so kannte ihn Hans nicht. Die Mutter legte die Hand auf die Schulter ihres Mannes. Hans empfand ein mulmiges Gefühl nach den Worten seines Vaters. Er verabschiedete sich und ging auf sein Zimmer. Er dachte lange über die Worte seines Vaters nach, irgendwann schlief er ein.
In den nächsten Jahren wurde aus Deutschland ein anderes Land. Hitler schaltete binnen kurzer Zeit sämtliche Gegner aus, auch in den eigenen Reihen der SA. 1935 wurde nach dem Tode Hindenburgs das Amt des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler in der Person Hitlers vereinigt. Im gleichen Jahr wurde die deutsche Wehrmacht neu aufgestellt. Die aktive Dienstzeit betrug nun zwei Jahre. Die Nazis versuchten, die Gesellschaft in ihren Organisationen einzuordnen. Hans arbeitete mittlerweile im Buchladen als kaufmännischer Lehrling. Er fand keinen geeigneten Beruf und entschloss sich, im Buchladen zu arbeiten. Das Geld blieb in der Familie, aber Hans erhielt monatlichen Lohn ausbezahlt. Mit seinen siebzehn Jahren, seiner Größe und sportlichen Figur wirkte er wie ein erwachsener Mann. Schwere Arbeit versuchte er zu vermeiden, er mochte die Tätigkeit im Buchladen. Mädchen besuchten gerne den Buchladen, diese lasen viel mehr als die Burschen. Hans nutzte die Gelegenheiten, um die Mädchen zu unterhalten. Seine Erzählungen brachten die Mädchen oft zum Lachen und einige zeigten offenes Interesse. Vor einem Jahr bot sich eine junge Frau willig an. Seitdem stieg sein Interesse an weiteren Abenteuern mit dem weiblichen Geschlecht ins Unermessliche. Hans verbrachte die meiste Zeit allein. Sein Freund Otto absolvierte eine Maurerlehre in Stuttgart und kam nur gelegentlich zu Besuch. Ansonsten verfügte Hans über keine Freunde, mit denen er sich traf. Er erkannte dies als Vorteil, da er sich seinen beiden Lieblingsthemen widmen konnte, den Frauen und den Büchern. Die Erfolge bei den Frauen erhöhten sich, er vermied aber eine feste Freundin und wollte auf nichts verzichten. Dies führte vor nicht allzu langer Zeit zu Handgreiflichkeiten, er kassierte eine kräftige Ohrfeige einer enttäuschten, jungen Frau. Hans wurde nicht lange von einem schlechten Gewissen geplagt. Seine Mutter leitete offiziell den Buchladen, meistens befand sich aber Hans allein im Geschäft, da die Mutter mit ihrer Schwiegertochter die Näherei betrieb. Sein Bruder Günter heuerte bei der Kriegsmarine an und blieb Oberberg fern. Seine beiden Schwestern lebten mit ihren Familien zufrieden in Stuttgart. Außer seinen Eltern lebte nur Heinz mit seiner Familie in der Kleinstadt. Der Familie ging es finanziell gut, auch der Buchladen entwickelte sich zu einem guten Geschäft, vor allem seit das Buch „Mein Kampf“ von den Leuten gekauft wurde. Hans glaubte aber nicht, dass es viele lasen. Sie wollten es nur herzeigen, um als stolzes Mitglied der Volksgemeinschaft zu gelten. Die Beweggründe erschienen unwichtig, die Hauptsache steckte im Verdienst. Hitler musste sich mit dem Verkauf eine goldene Nase verdienen. Hans hielt sich wie der Rest der Familie an Vaters Rat, sich politisch nicht zu betätigen. Keiner sollte sich kritisch über den Führer äußern. Gerüchten zufolge gab es ein Lager für Schutzhaftbefohlene in Dachau, was diese Schutzhaft auch immer bedeuten sollte. Niemand in der Bevölkerung zeigte starkes Interesse an den Vorgängen im Lager. Es herrschte eine positive Stimmung unter den Menschen, der Stolz kehrte zurück nach Deutschland. Die neue Führung schuf Arbeitsplätze, die Leute sahen keinen Fehler im System.
Hitler entwickelte sich zu einer Lichtgestalt. Nur sein Vater hielt nicht viel von diesen erkauften Erfolgen. Das ganze System wurde auf Schulden aufgebaut. Diese Beträge mussten beglichen werden. Die andere Möglichkeit bestand im Krieg und Beute machen in einem anderen Land. Die Gespräche darüber wurden leise und innerhalb der Familie geführt. Die Mutter erinnerte Hans, sich über die Politik nicht zu viele Gedanken zu machen. Dies beherzigte Hans, er wendete sich seinen Lieblingsthemen zu. Im Jahr 1937 strotzte er vor Manneskraft. Das Frühjahr bildete seine Lieblingsjahreszeit, die jungen Frauen kleideten sich offener, es gab viel zu sehen. Seit kurzem erschien eine hübsche junge Frau mit dem Namen Gerlinde im Laden. Sie war jünger, wirkte schüchtern, zeigte aber offensichtlich Interesse an Hans. An diesem Tag tauchte sie kurz vor dem Zusperren auf. Sie interessierte sich für Liebesromane. Da niemand sonst im Laden war, gesellte sich Hans zu ihr. Es entwickelte sich ein Gespräch über die Qualität dieser Romane. Er merkte rasch, dass das Interesse ihm galt. Hans sah in ihre Augen und fasste sie an den Schultern. Sie wehrte sich nicht. Er verlor in diesen Dingen keine Zeit und obwohl sie sich anfangs zierte, ließ sie sich kurze Zeit später überall am Körper anfassen. Hans schloss den Laden. Im Hinterzimmer stand ein Sofa, das einigen Mädchen bekannt war. Das anfangs schüchterne Mädchen ließ bereitwillig alles zu. Hans Begeisterung stieg und sie vergnügten sich miteinander auf dem Sofa. Nach dem ersten Mal blickte ihn Gerlinde an. „Ich bin noch nicht lange hier, bis jetzt fand ich keinen Anschluss in der Stadt.“ Hans grinste. „Du bist gut angekommen, das ist meine Meinung.“ Gerlinde kicherte. Sie sagte, dass es bei ihr das erste Mal gewesen sei. Hans zuckte mit den Schultern. Jedenfalls schien es Gerlinde gut gefallen zu haben, denn es gab eine Wiederholung. Hans fühlte sich wie im Himmel, dort musste es ähnlich sein. Es war bereits dunkel, als sich Gerlinde und Hans trennten. Er eilte nach Hause. Seine Mutter fragte, was er denn schon wieder getrieben habe. Hans lächelte. „Ich habe großes Glück genossen, Mutter.“ Seine Mutter schüttelte wissend den Kopf. „Auch du wirst an die richtige Frau geraten, diese wird dich leiten, mein Sohn.“ Hans hob entschuldigend die Schultern. Die Mutter kannte seine beständige Lust am Leben. Sie konnte ihm nicht böse sein und gab auch den betroffenen Frauen eine Mitschuld, wenn sie auf ihn reinfielen. Hans betrieb neben dem Buchladen viel Sport. Vor einigen Jahren fiel ihm ein Buch über asiatische Kampfkünste in die Hände. Er konnte sich nicht erklären, wie es nach Oberberg kam, aber es stand im hinteren Lagerraum des Ladens. Im Buch wurden Übungen zur Abwehr und zum Angriff beschrieben. Hans Interesse stieg mit jeder Seite. Er begann die Übungen zu trainieren, dazu gab es körperliche Ertüchtigung. Diese Übungen verhalfen ihm zu einer athletischen Gestalt und schnellen Bewegungen. Er musste auf sich achten, denn es gab eifersüchtige Neider, die ihm die Erfolge bei den Frauen nicht gönnten. Hans konnte diese Art Männer nicht leiden. Er fühlte sich nicht schuld daran, wenn sie mit Frauen keine tiefergehenden Gespräche führen konnten. Meistens handelte es sich um grundsolide Handwerker, die schwer arbeiteten. Hans lehnte diese Art Leben ab, er bevorzugte ein freies und genussvolles Leben. Er dachte an den Führer. Hitler gab den ehemaligen Gewerkschaften den Organisationsnamen „Freude durch Arbeit“. Die Begeisterung vieler Menschen kannten keine Grenzen. Hans verstand dies nicht. Er fragte sich, wie ein Mensch bei einer schweren Arbeit echte Freude erleben sollte. Aber Menschen dachten unterschiedlich und sahen ihr Glück in verschiedenen Dingen. Jeder sollte nach seinen Wünschen leben können, aber die anderen in Ruhe lassen, wenn diese nicht dem gängigen Bild entsprachen. Hans fragte sich, welche Tätigkeiten der Führer in seinem bisherigen Leben ausübte, aber diesbezüglich gab es keine schlüssigen Informationen. Er kümmerte sich nicht weiter darum und hielt sich die anderen Männer vom Leib. Die Beziehung mit Gerlinde entwickelte sich großartig. Sie stellte keine Ansprüche und ließ ihm alle Freiheiten. Die Hauptsache stellte die Erfüllung ihrer intimsten Wünsche dar, diesbezüglich gab es bei Hans keine Probleme. Das war eine Frau nach seinem Geschmack, sie trafen sich oft. Gerlinde passte auf, dass sie nicht schwanger wurde. Sie bereitete sich gut auf ihre Sexualität vor, ihr Wissen bezog sie aus Büchern.
Gerlinde wollte die Kleinstadt verlassen und nach Berlin gehen, die Hauptstadt schien der geeignete Ort für ein interessantes Leben zu sein. Hans teilte ihre Ansicht. Gerlinde stellte einen lebendigen Ausdruck von Lebenslust dar. Bis zum Sommer 1938 genossen sie ihre Leidenschaft, dann erfuhr Hans vom baldigen Abschied Gerlindes. Sie wollte als Kellnerin in einem Kaffeehaus in Berlin arbeiten und ihren Traum als Schauspielerin verwirklichen. Gerlinde verriet nicht, wie sie von dieser Tätigkeit erfuhr. Hans mochte Gerlinde, der bevorstehende Abschied machte ihn nachdenklich. Jeder Mensch musste seinen Weg gehen, es würde neue Menschen geben. Gerlinde und er erlebten eine stürmische und intensive Zeit miteinander, es gab keine gemeinsame Zukunft. Beide wussten das. Das Leben eines Menschen gliederte sich in Episoden, die von verschiedenen Menschen geprägt wurden. Nach dem Abschied von Gerlinde erschien das Leben langweilig. Dazu kam der ständige Streit mit seinem Bruder Heinz. Dieser kritisierte ihn ständig und forderte mehr Verantwortungsbewusstsein.
„Ich will nicht heiraten und Familienvater werden, Heinz. Du solltest das endlich einsehen.“ Die Brüder gerieten ständig aneinander. Es kam zu kleinen Handgreiflichkeiten, aber die Eltern griffen beruhigend ein. In der Stadt gab es dauernd Aufmärsche, die Hitlerjugend (HJ) präsentierte sich ständig mit Fahnen und Uniformen. Hans verzichtete seit Jahren auf einen Beitritt. Er wollte diesem Pfadfinderverein nicht beitreten, obwohl die politische Führung alle Jugendlichen in der HJ versammelt haben wollte. Zeitweise wurde von den Verantwortlichen sehr viel Druck ausgeübt, auch gemeinsame Zeltlager mit dem „Bund deutscher Mädchen“ (BDM) überzeugten Hans nicht. Er war der Meinung seines Vaters, sich diesbezüglich aus allem rauszuhalten und sein eigenes Leben zu leben. Die nächste große Gefahr stellte der Dienst in der Wehrmacht dar. Dieser dauerte zwei Jahre.
Hans wollte keiner Institution beitreten, die sich mit Paraden, Ritualen und vielen Fahnen selbst beweihräucherte. Leider konnte er sich den Dienst in der Armee nicht ersparen. Sein Bruder Günter arbeitete als Matrose in der Kriegsmarine. Heinz wurde vor kurzem eingezogen, obwohl er zu „den weißen Jahrgängen“ zählte. Die Führung formierte ab dem Jahr 1935 die Wehrmacht neu. Beginnend mit dem Jahrgang 1914 wurden sämtliche Jahrgänge zum aktiven Wehrdienst einberufen. Der Jahrgang 1900 war der letzte, der vom ehemaligen Kaiserreich einberufen wurde. Die Jahrgänge 1901 bis 1913 stellten die weißen Jahrgänge dar. Nach seiner Rechnung würde Hans im Jahr 1939 einberufen werden, aber derzeit blieb er noch zu Hause. Durch die Einberufung der Männer gab es einige verheiratete Frauen, die lange allein blieben. Der Buchladen stellte den Treffpunkt für die Damenwelt dar und Hans konnte Erfolge verbuchen. Er entdeckte das Kartenspielen als zusätzliche Einnahmequelle. Manche seiner Gegner am Kartentisch besaßen nicht die Nerven für höhere Einsätze. Hans nutzte dies zu seinem Vorteil. Alkohol trank er selten, manchmal ein Bier. Dieser beeinträchtigte den Kopf und verführte zu Dummheiten.
Hans benötigte einen gesunden Kopf, die Anzahl seiner Neider stieg. Hitler sollte ein Antialkoholiker sein, er verzichtete aber auch auf Frauen. Nach eigenen Aussagen war Hitler mit Deutschland verheiratet. Die seltsamen Aussagen Hitlers brachten Hans immer wieder zum Lachen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein gesunder Mann auf Frauen verzichten wollte, aber der Führer lebte in seiner eigenen Welt. Hans dachte nicht lange darüber nach. In der Weihnachtszeit des Jahres 1938 musste Hans einige Bücher an Frau Agathe Herrmann liefern. Sie arbeitete als Lehrerin am örtlichen Gymnasium. Frau Hermann war Mitte Vierzig und alleinstehend. Sie ehelichte als sehr junge Frau einen weit älteren Professor, diesem gebar sie zwei Kinder. Der Mann verstarb vor einigen Jahren, die Kinder waren bereits davor ausgezogen. Sie lebte allein in ihrem schönen großen Haus am Rande von Oberberg. Hans lieferte seit langen Jahren Bücher an diese Familie, ihm gefiel das schöne Haus und die prunkvolle Einrichtung. Frau Hermanns mollige Figur und der große Busen wirkten attraktiv, aber Frauen dieses Alters interessierten Hans nicht. Er betrat das Haus nach Aufforderung von Frau Hermann. Normalerweise öffnete eine junge Haushälterin, aber diese war an diesem Tag abwesend. Frau Hermann bat ihn Platz zu nehmen. Sie fragte, ob er etwas trinken wolle. Hans entschied sich für ein Wasser, was Frau Hermann ein Lächeln kostete. Sie trug freizügige Kleidung. Er sah ihren kurzen Rock und die nackten Unterschenkel. Ihre Brust quoll fast aus der Bluse hervor. Hans wurde es plötzlich heiß. Er wollte sich schnell verabschieden, aber Frau Hermann Absichten waren unmissverständlich. Sie öffnete ihre Bluse, drängte sich an ihn und fasste in seinen Schritt. Anscheinend goutierte sie, was sie vorfand, denn sie nahm die Hand nicht weg. „Du bist beliebt unter den Frauen der Stadt, junger Mann. Ich will die Gründe wissen.“ Ihre Stimme klang erregt. Hans wurde von der Situation mitgerissen. Binnen kurzem entledigte sich Frau Hermann ihrer Kleidung. Nackt stand sie vor ihm mit ihren großen, wallenden Brüsten. Hans bemerkte die körperlichen Vorzüge der älteren Frau, die das Gesetz des Handels besaß.
Sie entkleidete und bestieg ihn. Ihr Körper bewegte sich heftig, ihre Leidenschaft erwies sich als enorm. Die Wildheit überraschte Hans vollkommen. Die lüsterne Wucht dieser Frau verschlug ihm den Atem. Er versuchte dagegenzuhalten, gab sein Bestes. Ein lauter Seufzer der Erlösung bestätigte ihn in seinen Bemühungen und beendete die jahrelange Enthaltsamkeit von Frau Hermann. Sie genoss es, die Freude darüber war ihr anzusehen. Hans durfte noch nicht gehen. Sie gingen gemeinsam ins Obergeschoss, wo ein riesiges Bett stand. „Das ist jetzt dein Schlachtfeld, Soldat, also strammstehen“, sagte Frau Hermann und lachte kokett. An die die nächsten Stunden würde sich Hans sein ganzes Leben erinnern. Diese Frau lebte seit dem Tod ihres Mannes enthaltsam und wollte Vieles nachholen. Irgendwann ließen sie erschöpft voneinander ab. Hans verließ das Haus mit weichen Knien, nachdem sie eingeschlafen war. Davor forderte sie ihn auf, in den nächsten Tagen vorbeizukommen, um die bisherigen Erfahrungen zu erweitern. Bei seiner Ankunft zu Hause schliefen bereits alle. Seine Familie war gewohnt, dass er manchmal später kam. Die nächsten Monate stellten die triebhaftesten seines bisherigen Lebens dar. Agathe beanspruchte ihn dermaßen, dass er keine Zeit für andere Frauen fand. Sie lehrte ihn nicht nur Dinge in sexuellen Belangen, auch sonst wirkte die Frau aufgrund ihrer hohen Intelligenz sehr inspirierend. „Du bist sehr intelligent und besitzt große Fähigkeiten, Hans. Das Leben steht Dir offen, wenn du dich auf deine Wünsche und Ziele konzentrierst und die anderen bei Seite lässt.“ Sie lagen in dem riesigen Bett, Hans griff nach ihrer Brust. Agathe zog ihn über sich. „Du hast mir neues Leben eingehaucht, Hans Schillinger. Ich verspüre wieder Lebensfreude nach den langen Jahren der Einsamkeit und des biederen Lebens.“
Ihre Stimme klang erregt, sie umschlang ihn mit Armen und Beinen und genoss die Bemühungen des jungen Mannes mit Hingabe. Agathe lehrte ihm vieles, was für sein weiteres Leben hilfreich war. Sie führten lange Gespräche. Mittlerweile gab es Gerüchte in der Kleinstadt, aber sie scherten sich nicht darum. Sein Vater sprach ihn darauf an, dass er ein Lustknabe für eine alternde Frau war. Hans blickte ihn an und grinste. „Ich bin lieber Lustknabe, als solide und bieder zu leben. Agathe ist hochintelligent und lehrt mich vieles. Es ist interessant, Vater.“ Sein Vater unterließ es, seinem Sohn mit dem Thema zu nerven. Er kannte Hans, dieser würde nicht auf ihn hören. Unter allen seinen Söhnen verfügte Hans über die größten Fähigkeiten, er strotzte vor Selbstbewusstsein. Die leidenschaftliche Affäre endete, als im Sommer 1939 der Einberufungsbefehl für die Wehrmacht einlangte. Hans konnte es nicht glauben, der Weg zur Armee schmerzte innerlich. Sein Vater sah dies vollkommen anders. „Es wird Dir guttun, du hast dich nicht unter Kontrolle und keinen guten Ruf in der Stadt. Für manche Leute stellst du das Sinnbild für Sodom und Gomorrha dar.“ Hans verließ Oberberg im Sommer 1939 kurz vor Kriegsbeginn, vorher verabschiedete er sich von Agathe. Die Mutter übergab die Näherei an die Schwiegertochter und übernahm den Buchladen. Tränen standen in ihren Augen, sie umarmte Hans lange. Die Nachrichten aus der Politik klangen nicht gut. Sein Vater sprach bereits seit längerem von Vorzeichen eines Krieges. Er blickte Hans in die Augen. „Ich hoffe, es gibt keinen Krieg. Sollte es dazu kommen, dann halte dich fern von Kriegsfanatikern und Helden, diese sterben schnell.
Wenn du überleben willst, versuche nie den Helden zu spielen und mache immer nur das Notwendigste, was deine Vorgesetzten auch immer befehlen. Unternimm alles, um von der Front wegzukommen, denn diese ist die Hölle auf Erden. Ich wünsche Dir alles Glück dieser Erde, mein Sohn.“ Hans nickte, er musste schlucken. Sein Vater schien überzeugt zu sein von einem bevorstehenden Kriegsausbruch. Vermutlich wäre es ihm jetzt lieber, wenn er bliebe. Es fühlte sich für alle wie ein endgültiger Abschied an. Hans würde sein beschauliches, angenehmes Leben in seiner Heimat vermissen, andererseits bot die Fremde neue Möglichkeiten. Hans begann Anfang September 1939 seine Ausbildung in einer Kaserne in der Stadt Ulm an der bayrischen Grenze. Am gleichen Tag eröffnete Hitler den größten Krieg aller Zeiten mit einem zu diesem Zeitpunkt unvorstellbaren Ausmaß an Brutalität, Morden und Zerstörung. Er besetzte zuvor im Jahr 1936 das entmilitarisierte Saarland und marschierte im März 1938 im Nachbarland Österreich ein. Auch die Schenkung der sudetendeutschen Gebiete stellten Hitler nicht zufrieden. Deutschland sollte die Welt beherrschen. Nach seiner Ansicht konnte er dies mit einem erfolgreichen Krieg verwirklichen. Hans konnte sich einen Sieg nicht vorstellen, wenn er an die militärische und wirtschaftliche Stärke der Gegner Großbritannien und Frankreich dachte. Beide besaßen riesige Kolonialreiche mit großen Ressourcen. Er dachte an das Ziel von Hitler im Osten, dort lag die riesige Sowjetunion mit ihren Rohstoffen. Er wollte nicht mehr daran denken und sich nicht äußern über diesen Wahnsinn. Es gab viele angenehme Dinge, die ein Mensch im Leben machen konnte, deshalb wollte er diesen Krieg mit allen Mitteln überleben.
Schillinger absolvierte die Ausbildung im Feldersatzbataillon der 5. Infanteriedivision in Ulm. Er musste sich erst an den Ton gewöhnen, aber er lernte rasch, um nicht unnötig aufzufallen. Als Gruppenkommandant in der Ausbildung fungierte Feldwebel Prüller, der seinen Namen alle Ehre machte. Die achtwöchige Grundausbildung war mit hohen körperlichen Strapazen für die Männer verbunden, die Waffenausbildung gestaltete sich einfacher. Schillinger interessierten grundsätzlich keine Waffen, aber als Werkzeug eines Soldaten mussten sie beherrscht werden. Er schoss sehr gut, aber hielt sich mit seiner Genauigkeit zurück. Auf keinen Fall wollte er zu den Scharfschützen. Menschen ins Visier nehmen und einzeln abschießen, das klang nach Mord. Die Kameraden in der Ausbildungsgruppe stammten fast alle aus Württemberg, nur einer kam aus Hamburg. Er hieß Lüders Schmidt. Anfangs musste sich Lüders Hänseleien anhören, aber er entpuppte sich als jähzorniger Mann. Die Männer nahmen Abstand davon. Hans und Lüders gerieten aneinander, da der Hamburger im Bett unterhalb schlief. Er präsentierte sich als Wichtigtuer. Bald entwickelte sich ein gegenseitiges Verständnis. Lüders und Hans fanden schnell einen Draht zueinander, alle Männer der Gruppe schienen in Ordnung zu sein. Lüders erzählte aus seiner Vergangenheit. In Hamburg aufgewachsen, zog Lüders mit fünfzehn Jahren nach Stuttgart. Sein Vater erhielt einen guten Job bei Benz. Er schwärmte von St. Pauli, einem Stadtteil Hamburgs. Dort existierte ein Vergnügungsviertel mit Hafenkneipen und Nachtclubs. Sein Onkel betrieb ein Etablissement mit jungen Frauen. Dieser wirkte auf Lüders wie ein Vorbild, deshalb gerieten sein Vater und der Onkel in Streit. Die Familie verließ Hamburg, um Lüders dessen Einfluss zu entziehen. Nach Kriegsende wollte er nach St. Pauli zurückkehren. Er träumte von einer Hafenkneipe mit ein paar Damen und wollte reich werden. Lüders präsentierte seine Vorstellungen als sehr konkret, er kannte sein Ziel. Hans besaß nebulose Vorstellungen über seine Zukunft, aber es sollte ein angenehmes Leben sein. Lüders war kleiner als Hans, dafür bulliger und er strotzte vor Kraft. Er konnte einen Mann mit einem wuchtigen Hieb bewusstlos schlagen, dies sprach sich schnell herum. Zwischen den Ausbildungsgruppen fanden ständig kleine Scharmützel statt. Ihre Ausbildungsgruppe gab dank Lüders den Ton an. Einmal schlug er in der Kantine einen anderen Soldaten zusammen. Dafür musste er ins Loch, wie die Einzelzelle unter den Soldaten genannt wurde und musste anschließend stundenlang unter der strengen Aufsicht von Feldwebel Prüller robben, bis die Ellbogen schmerzten. Schillinger und Lüders hielten zueinander, es entwickelte sich eine Freundschaft. Sie verband die Vorstellung eines guten Lebens mit vielen Frauen. Nach dem Ende der Grundausbildung wurden sie zur Fachausbildung als Melder und Gefechtsschreiber eingeteilt. Die Soldaten erhielten vor Beginn erstmalig Ausgang. Lüders besaß einen großartigen Instinkt für das Vergnügen. Obwohl fremd in der Stadt Ulm, fand er binnen kurzem ein geeignetes Lokal. Sein Instinkt erwies sich als seltsam, aber grandios. Hans dachte an normale Frauen, aber Lüders schüttelte missbilligend den Kopf. „Du bist Soldat und hast keine Zeit zum Bezirzen, sie ist zu kurzlebig.“ Derzeit gab es keinen Krieg für sie, also das Argument schien für Hans nicht schlüssig zu sein, aber er gab dem Drängen Lüders nach. Hans betrat erstmalig ein Etablissement für leichte Mädchen. Jeder besaß gespartes Geld, zudem besserte Hans seine Barschaft mit Kartenspielen auf. Feldwebel Prüller blieb dies nicht verborgen und er beobachtete Schillinger genau, aber schlussendlich blieb er von Strafen verschont. Im Lokal ging es hoch her, viele Soldaten waren auf Besuch. Zwei hübsche, leicht geschminkte, junge Frauen gesellten sich zu ihnen. Lüders erwies sich als Mann schneller Entschlüsse und verschwand mit der molligen Schwarzhaarigen auf das Zimmer. Hans und die andere junge Frau folgten bald dem Beispiel. Nach der Enthaltsamkeit der letzten Wochen genoss er die Liebe in vollen Zügen. Die junge Frau übte ihre Tätigkeit mit vollem Eifer aus. Er verlängerte um eine weitere Stunde und glaubte sich im Himmel zu wissen. Lüders wartete mit einem breiten Grinsen und trank gierig ein Bier. „Offensichtlich hat unser Moralapostel seine Gegenwehr aufgegeben“, sagte er süffisant. Beide Frauen lächelten zufrieden, Hans und Lüders erwiesen sich als besondere Männer. Sie verabschiedeten sich mit dem Hinweis auf ein nächstes Mal. Lüders wandte sich an Hans. „Unter uns gesagt, sie hat um Gnade gefleht angesichts meiner Dimensionen. Wenn du weißt, was ich meine.“ Hans grinste, mittlerweile kannte er das Selbstbewusstsein des Hamburgers. Auf dem Weg in die Kaserne rissen Hans und Lüders einige derbe Witze. „Diese Mädels werden uns nicht vergessen, das ist Fakt.“ Hans nickte zu Lüders Worten. Am Tag danach begann die Fachausbildung für Melder und Gefechtsschreiber, das hieß Kanzleiordnung, Waffendienst, Funken, das ganze Programm eines Soldaten, da Melder sich in Kriegszeiten oft durch stark umkämpfte Gebiete durchschlagen mussten. Hitler sollte als Melder im ersten Weltkrieg eingesetzt worden sein. Lüders konnte ebenso wie Hans mit diesem Mann nichts anfangen, aber diverse Gespräche behielten sie für sich, man konnte niemanden trauen. Jegliche Zweifel am Führer oder seinen Fähigkeiten wurde als Wehrkraftzersetzung streng bestraft. Den Rest des Jahres 1939 verbrachten sie mit Ausbildung, Kartenspielen, Sport und Besuchen bei den Damen im Lokal.
Der Krieg vergrößerte in der Zwischenzeit ständig seine bösartige Dimension. Nach dem Überfall auf Polen erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Mit der Sowjetunion gab es einen Pakt, aber Hans glaubte nicht an dessen Beständigkeit. Er erinnerte sich an Hitlers Angaben in seinem Buch. Die Wehrmacht eilte von Sieg zu Sieg. Nach dem Blitzkrieg gegen Polen fielen Dänemark und Norwegen als nächste Opfer der deutschen Expansionspolitik. Hitlers Ziel lag in Norwegen, die Ölfelder von Narvik. Die Schnelligkeit der Eroberungen brachte einige Probleme mit sich, Besatzungssoldaten wurden in immer größerer Anzahl notwendig. Hans sah dies als ein zukünftiges, großes Problem. Aber in den besetzten Ländern gab es viele Freiwillige, die sich in eigenen Divisionen der deutschen Wehrmacht anschlossen. Die Sturmstaffel, kurz SS, nahm Norweger und Dänen auf, da sie nach ihrer Philosophie er gleichen Rasse entstammten. Die SS wurde gefürchtet. Diese Freiwilligen erwiesen sich als Fanatiker, die mehr Geld verdienten als normale Soldaten der Wehrmacht. Als Waffen-SS kamen sie als normale Fronttruppen zum Einsatz, aber es gab Sondereinheiten wie die Leibstandarten „Adolf Hitler“ und das „Reich“. Den Mitgliedern wurde ein Totenkopf eintätowiert. Die deutsche Bevölkerung verfiel nach den schnellen Siegen in Euphorie. Hitler wurde gefeiert als der größte deutsche Führer aller Zeiten. Die Schattenseiten wurden in Ulm offensichtlich. Hans registrierte die Verschleppungen und Abholungen jüdischer und kritischer Menschen. Nach offizieller Verlautbarung kamen sie in Konzentrationslager zur Umerziehung. Im Zuge seines letzten Heimatbesuches nach Weihnachten 1939 erzählte sein Vater, das im gesamten Land Württemberg viele Leute verschwanden. Die allmächtige Geheime Staatspolizei, kurz Gestapo, agierte mit ihren Spitzeln und Denunzianten sehr aktiv, um selbst die kleinsten Zweifel am Endsieg zu beseitigen. Sein Vater meinte bedrückt, dass seine düsteren Voraussagen eingetreten wären. Kein Bürger durfte ein schlechtes Wort über die Führung sagen. Die Bürger misstrauten sich gegenseitig, die vielen Spitzel und Denunzianten waren nicht bekannt. Die jüdischen Mitbürger wurden seit Jahren verfolgt und verfügten über keine Rechte mehr. In Polen sollten große Internierungslager entstanden sein, wo die deutschen Juden hingebracht wurden. Keiner kannte den Alltag in diesen Lagern und es wollte auch keiner wissen. Fragen diesbezüglich erwiesen sich als gefährlich. Hans verließ seine Eltern am Neujahrstag 1940, beim Abschied winkte er noch einmal. Sie wirkten sehr bedrückt und traurig. Seine Mutter weinte und wünschte ihm alles Gute. Hans sagte, er würde wiederkommen. Sie nickte zu seinen Worten. Er sah seine Eltern lebend nicht mehr wieder, zu diesem Zeitpunkt ahnte er dies nicht. Ein Jahr später wurden sie aufgrund einer Anzeige von der Gestapo geholt, der Buchladen ging in den Besitz des Denunzianten über. Der Familie seines Bruders Heinz blieb die Näherei, das Elternhaus blieb im Besitz der Familie. Die Anklage gegen die Eltern lautete auf konspirative Verschwörung. Der Anzeiger erwies sich als der Vater eines gleichaltrigen, örtlichen Kommandanten der Hitlerjugend. Dr. Weinmann, der Chef seines Vaters, erreichte, dass die Strafe auf fünf Jahre Gefängnis beschränkt wurde. Der Vater erkrankte bereits vor Haftantritt und lebte nicht lange in der Haft, die Mutter folgte bald darauf. Sie besaßen nicht mehr die Stärke, um diesen Schicksalsschlag zu ertragen. Hans erfuhr davon zu spät. Er konnte ihnen nicht helfen.
Adolf Hitler liebte es zu reden und hielt einen Vortrag, dem die anwesenden Generäle aufmerksam folgten. Es ging um den anstehenden Westfeldzug. Nach der Eroberung Norwegens und Dänemarks (Unternehmen Weserübung), sollte Frankreich für dessen Kriegserklärung und die Schmach des Versailler Vertrages büßen. Die Schande sollte ausgelöscht werden. Er redete und gestikulierte über seine Entscheidung den anvisierten Krieg zuerst im Osten mit dem Angriff auf Polen zu eröffnen. Danach wollte er sich nach Westen gegen Frankreich wenden, um den Rücken freizuhaben für seinen eigentlichen Krieg im Osten gegen die Sowjetunion. Im Frühjahr 1940 schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, um seine Pläne umzusetzen. Er verwarf den ersten Angriffsplan, der dem Schlieffenplan im ersten Weltkrieg ähnelte und einen Einfall über Belgien vorsah. Die Streitkräfte Frankreichs erwarteten eine Wiederholung des deutschen Vorgehens und stellten ihre Truppen dahingehend auf . Im Norden Frankreichs wurden die stärksten und besten Truppenteile aufgestellt, um einen möglichen Einfall deutscher Kräfte abzuwehren, die Maginot-Linie sicherte die Grenze zu Deutschland. Dazwischen lagen die Ardennen, ein unzugängliches Waldgebiet an der Grenze Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs. Die Durchquerung dieses Gebietes erwies sich als entscheidender Schlüssel des neuen Angriffsplanes, der auf den Plänen von General Erich von Manstein der Heeresgruppe A basierte. Panzereinheiten sollten die Wälder möglichst unbemerkt und schnell durchqueren, um die französischen und britischen Streitkräfte einzukesseln. Die französische Generalität, deren Pläne auf den Erfahrungen des Stellungskrieges im ersten Weltkrieg beruhten, hielt die Ardennen für die Durchfahrt mit Panzern ungeeignet. Dieser Irrtum sollte sich bitter rächen, denn die deutsche Wehrmacht trat am 10. Mai 1940 einen nicht vorstellbaren Siegeszug an, der am 22. Juni zur Kapitulation Frankreichs führte. Die deutschen Panzerkommandanten führten ihre Truppen über mobile Gefechtsstände, damit konnten sie ihre Einheiten rascher und besser koordinieren und auf Lageänderungen unmittelbar reagieren. Die Niederlande kapitulierte am 14. Mai, Belgien am 28. Mai 1940. Bis zu diesem Zeitpunkt trieben die schnell operierenden deutschen Panzerverbände die französischen und britischen Streitkräfte bis zur Kanalküste vor sich her. Sie versäumten es aber, diese Einheiten vollständig zu besiegen. Bei Dünkirchen konnten aufgrund des Zögerns von Hitler 338.000 britische und französische Soldaten rechtzeitig entsetzt werden. Als einer der Hauptgründe für das Zögern von Hitler und des Kommandanten der Heeresgruppe A, General Gerd von Rundstedt, erwies sich das Zuwarten auf die zurückhängende Infanterie, die den teilweise ohne Rücksicherung vorauseilenden Panzereinheiten nicht folgen konnten. Die Entsetzung der Soldaten erwies sich als die einzige gelungene Aktion der westlichen Alliierten. Die ansonsten schlechte Koordination der alliierten Streitkräfte erwies sich für den sehr risikoreichen Angriffsplan Deutschlands als Glücksfall.
Hans wurde im April 1940 gemeinsam mit Lüders zu einer Kompanie der 5. Infanteriedivision beordert und Teil der ersten Angriffswelle. Als Teil der 2. Armee bewegten sie sich im Verbund der Heeresgruppe A. Grundsätzlich waren sie Angehörige des Feldersatzbataillons, doch wurden Melder bei den Kampfeinheiten benötigt. Als sie den Einsatzbefehl für die neue Tätigkeit in einer Infanterieschützenkompanie erhielten, reagierten sie zuerst schockiert. Sie mussten mehrmals schlucken. Ihr ursprünglicher Grundgedanke lag darin, als Reserve im Hinterland zu verbleiben. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Krieg im Westen, aber die vielen Truppenbewegungen Richtung Grenze verstärkten das unangenehme Gefühl, dass es nicht mehr lange dauerte, da sich Deutschland mit Frankreich und Großbritannien im Krieg befand. Der einzige Vorteil lag darin, dass sie zusammenblieben. Vor der Abfahrt zu ihrer neuen Einheit feierten sie mit den Frauen im Etablissement. Schillinger schrieb noch eine Postkarte an seine Eltern, in der er auf den möglichen Krieg im Westen hinwies. Der bevorstehende Einsatz verursachte bei den Männern Unbehagen, keiner wollte einen Krieg. Diese Gedanken behielt Hans für sich, auf der Postkarte führte er dies nicht an. Die Post wurde wie das gesamte Leben der Bürger im NS-Regime von den zuständigen Behörden kontrolliert. Es herrschte die Blütezeit des Denunziantentums, die Gestapo und die Polizei kamen der Behandlung der vielen Anzeigen nicht nach. Hans und Lüders blieben sehr vorsichtig in ihren Äußerungen, nur mit Intelligenz war diesem System beizukommen. Hans und Lüders wurden als Melder und Schreiber beim Kompanietrupp unter Führung von Feldwebel Anton Meller eingeteilt. Der Mann war an die vierzig Jahre alt, verfügte über einen Schnauzbart und stammte aus Bayern. Er reagierte aufbrausend und informierte beide unmissverständlich, was er von ihnen erwartete. „Ich werde euch persönlich in den Hintern treten, wenn ihr Dummheiten anstellt. Feldwebel Prüller hat mir von euren Talenten berichtet!“ Der strenge, bayrische Dialekt des Feldwebels klang lustig, zumindest fand dies Lüders im Anschluss. „Ich habe nicht viel verstanden, aber er scheint in Ordnung zu sein“, sagte Lüders grinsend. Nachdenklich blickte Hans auf seinen Freund. „Prüller haben wir diesen Einsatz zu verdanken. Dieser nachtragende Arsch.“ Seine Augen verengten sich, Zorn ergriff ihn. Lüders zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Prüller ist ein Spießbürger, der uns den Erfolg bei Frauen nicht vergönnt.“ Ihr alter Feldwebel bescherte ihnen einen Einsatz in einer Kampfeinheit, aber sie konnten nichts dagegen unternehmen. Sie folgten dem Befehl Mellers, beim Kompaniekommandanten vorstellig zu werden. Helmut Haber erwies sich als ein knapp dreißigjähriger Mann mit ruhigem Wesen. Auch er kannte ihre Vorgeschichte mit Lokalbesuchen, Frauengeschichten und Kartenspielen. Er verwies auf Disziplin, Kameradschaft und Moral, Verstöße würde er ahnden. „Jeder Soldat kann mit seinem Verhalten und seiner Arbeitserfüllung dazu beitragen, dass die Einheit als Ganzes gut funktioniert. Dies kann das Überleben sichern. Befehle sind rasch und genau umzusetzen!“ Er sah beide fest mit seinen rauchgrauen Augen an. Hans und Lüders standen in Ruhendstellung vor dem Hauptmann. Dieser fuhr fort. „Bei Disziplinlosigkeit gibt es die Alternative als Infanteriesoldat an vorderster Front.“ Noch einmal erfasste sie sein scharfer Blick. Dann wurden sie entlassen. „Er wirkt nicht wie ein Angeber, sehr selbstbewusst. Ich glaube, er versteht seine Sache und ist kein Fanatiker.“ Hans schloss sich der Meinung von Lüders grundsätzlich an, aber dieser Pathos in den Reden und Ansprachen von Vorgesetzten erwies sich bisweilen als nervig. Er wollte diesen Krieg überleben und hielt nichts von einer Kameradschaft bis zum Tod. Überleben würde eine Kunst werden, da sie neben den Arbeiten im Gefechtsstand zwischen den einzelnen Zügen als Melder eingesetzt wurden. Trotzdem fühlten sie sich in einer besseren Rolle als ein gemeiner Infanterieschütze, der täglich Stellungen erstürmen musste. Hans wollte Befehle ausführen, aber die Gefahr dabei minimieren. Lüders nickte. „Mich stört das Frauenverbot. Ich falle vermutlich einer feindlichen Frau zum Opfer, aber vorher werde ich ihr noch die schönsten Erlebnisse ihres Lebens bescheren.“ Anschließend ahmte er Haber mit pathostriefender Stimme nach. Die Männer lachten. Sie arbeiteten sich schnell ein und verstanden sich gut mit dem bayrischen Feldwebel, auch der Hauptmann schien zufrieden zu sein. Die Vorbereitungen für den Angriff auf Frankreich befanden sich im Endstadium. Der genaue Zeitpunkt fehlte noch, es wurde eine Ausgangssperre verhängt. Als Mitglied des Kompanietrupps übten sie ständig den Auf- und Abbau des Kompaniegefechtsstandes. Die Soldaten verstanden ihr Handwerk, es herrschte eine gute Stimmung. Hans und Lüders betätigten sich als Unterhalter. Beide versorgten die Männer mit Geschichten. Vor allem Lüders Erzählungen über seine Hamburger Erlebnisse erheiterten alle. Der Feldwebel schien manchmal missgelaunt, aber Lüders und Schillinger lernten, darauf richtig zu reagieren. Dann kam der Einsatzbefehl, die deutschen Truppen standen bereit für den Sturm Richtung Westen.
Am 10.Mai 1940 eröffnete die deutsche Wehrmacht ihren Feldzug Richtung Westen, an der Spitze die Panzereinheiten, dahinter die Infanteriedivisionen. Die Schützenkompanie von Helmut Haber bewegte sich als Teil der Heeresgruppe A im südlichen Teil der Ardennen. Der Vormarsch wurde südlich begrenzt durch die Täler von Chiers, Maas, Sormonne und Gland. Hans kannte die geographischen Bezeichnungen aus einem Buch über Frankreich. Kenntnisse der französischen Sprache brachte er sich in den vergangenen Jahren autodidaktisch bei. Kurz vor dem Marsch nach Westen frischte er diese auf. Lüders besaß keine Sprachkenntnisse. „Der Begriff „Französisch“ ist mir bisher anderweitig bekannt.“ Diese Erkenntnis teilte er seinen Kameraden in einigen zottigen Geschichten mit. Die Männer mochten seine Geschichten, denn Lüders veranschaulichte seine Erzählungen treffend mit Gestik und Mimik. Hans wandte sich an ihn. „Mit Sprachkenntnissen kannst du besser mit unseren Feindinnen kommunizieren. Denke daran.“ Lüders Augen verengten sich, dann grinste er plötzlich. Der Vormarsch gestaltete sich mühsam. Die Ardennen erwiesen sich als Gebirgsplateau mit schluchtenartigen Tälern, nach Westen hin sollte es flacher werden. Zeitweise kam es zu einem regelrechten Stau. Die belgische Armee sprengte einige Brücken und Straßen, das Gerücht einer Flankenbedrohung hielt sich hartnäckig. Das Tempo reduzierte sich. Die Infanterietruppen holten die Panzer ein.
Dies führte bisweilen zu einer Kolonne von 250 Kilometer Länge. Trotzdem erreichten Guderians Panzerspitzen bereits am 12. Mai die Maas, siebenundfünfzig Stunden nach dem Beginn des Angriffs. Der normale deutsche Infanteriesoldat besaß keinen Überblick über das Kriegsgeschehen. Hans und Lüders verfügten als Teil des Kompanietrupps über mehr Einblick, aber der großräumige Überblick fehlte. Die Gegenwehr der Belgier und ihrer französischen Verbündeten ließ auf sich warten. Trotz der gesprengten Straßen und Brücken gestaltete sich der Vormarsch zu leicht. Es wirkte, als ob die Franzosen keine Flugzeuge besaßen, die diese lange Kolonne angriffen. Die französische Generalität maß diesem Frontabschnitt geringe Bedeutung bei, sie hielt die Ardennen für Panzer für unpassierbar. Der Oberbefehlshaber der 2. französischen Armee, General Huntziger, vertrat die Ansicht, genügend Zeit für einen Rückschlag zu haben. Eine Serie von falschen Lageeinschätzungen der verantwortlichen Kommandanten führte zu einer Panik unter den französischen Einheiten. Es gelang ihnen nicht, den deutschen Brückenkopf bei Sedan trotz zehnfacher Überlegenheit an Panzern zu zerstören. Die Kompanie von Helmut Haber blieb im Hintergrund, an der Spitze der Infanterie befanden sich das Regiment „Großdeutschland“ und motorisierte SS-Waffendivisionen im Einsatz. Nach Gerüchten sollte es in der Nähe des Dorfes Stonne zu erbitterten Kämpfen gekommen sein. Hans empfand die Einberufung in diese Kompanie als Glücksfall, es hätte auch das besagte Regiment sein können. Die Elitetruppen bestanden oft aus verblendeten Menschen. Diese verherrlichten den Krieg und den Heldenstatus. Hans verzichtete gerne darauf, die Lage sollte so ruhig wie möglich bleiben. „Wenn alle Gegner ähnlich zurückhaltend reagieren, wird Deutschland die Welt erobern“, sagte Lüders grinsend. Aber die Hoffnung auf einen ruhigen Fortgang des Krieges konnte sich als Teil einer Schützenkompanie schnell als trügerisch erweisen. Am 14. Mai kapitulierte Holland, die deutschen Truppen zogen in großer Eile ihren Sichelschnittplan durch. Ohne große Rückendeckung durch die Infanterie und Sicherung der eroberten Gebiete nutzten die Panzereinheiten und motorisierten Infanteriedivisionen das Chaos beim Gegner und trieben die alliierten Streitkräfte Richtung Kanalküste. Aufgrund der Siegeszuversicht im Oberkommando der deutschen Wehrmacht durften die Panzerspitzen machen, was sie wollten. Adolf Hitler, der sich vor Flankenangriffen fürchtete, tobte ob ungehorsamer Panzerführer und wirkte hochgradig nervös. Generaloberst von Brauchitsch und sein Generalstabschef Halder konnten ihn nicht überzeugen, General Guderian nicht als Kommandant abzusetzen. Diese Maßnahme erwies sich als kurzfristig und er beließ seinen besten Panzerkommandanten auf dessen Posten. Gerd von Rundstedt, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A, erwies sich als kein Freund des ungesicherten Vorgehens der deutschen Truppen. Am 23. Mai erließ er einen Befehl, der den Panzereinheiten eine Ruhe von vierundzwanzig Stunden verordnete. Daraufhin entzog ihm von Brauchitsch Einheiten, die dieser der Heeresgruppe B unterstellte. Diese sollte allein den Angriff auf die eingeschlossenen, alliierten Streitkräfte bei Dünkirchen eröffnen. Die Heeresgruppe A erhielt den Befehl, die südliche Front gegen die verbliebenen französischen Streitkräfte aufzubauen. Hitler wollte am 24. Mai von Rundstedt aufsuchen, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Als er vom Befehl von Brauchitschs erfuhr, tobte und brüllte er, denn er fühlte sich übergangen. Er hob aus Verärgerung den Befehl des Oberkommandos auf und veranlasste, dass die Heeresgruppe A entscheiden sollte, wann der Angriff auf Dünkirchen fortgesetzt werde. Militärisch gesehen eine der merkwürdigsten und unsinnigsten Entscheidungen von Hitler. Gerd von Rundstedt erließ am 24. Mai um 1245 Uhr den Haltebefehl. Die anderen Offiziere konnten Hitler und von Rundstedt nicht überzeugen, diesen Befehl aufzuheben. Erst drei Tage und acht Stunden später wurde dieser Befehl aufgehoben, aber es erwies sich als zu spät, die eingeschlossenen Briten und Franzosen zu vernichten oder zur Aufgabe zu zwingen. In diesen Tagen errichteten die alliierten Truppen einen Verteidigungsring um die Stadt, der ihnen ermöglichte, 338.000 alliierte Soldaten im Rahmen der Operation Dynamo beginnend mit 28. Mai bis 4. Juni zu evakuieren. Der Verlust dieser ausgebildeten Berufssoldaten wäre für die Briten ein erheblicher, personeller Verlust gewesen. Das Momentum lag aber klar auf der Seite der Deutschen. Belgien kapitulierte am 28. Mai. Anfang Juni bezogen 104 Divisionen der deutschen Wehrmacht die Bereitstellungsräume für den Fall Rot, diesen gegenüber stand an der Weygand-Linie die neu geschaffene Heeresgruppe 3 mit drei französischen Armeen. Die Masse der französischen Truppen befand sich im Raum hinter der Maginotlinie. Am 5. Juni begann die Offensive der Deutschen, am 8. Juni wurde ein deutscher Brückenkopf über der Aisne gegenüber von Soissons errichtet. Die Heeresgruppe A startete ihre Offensive aus dem Raum zwischen Reims und Sedan Richtung Schweizer Grenze und rollte dabei die Truppen auf, die hinter der Maginotlinie standen. Am 14. Juni marschierte die deutsche 18. Armee in das nichtverteidigte Paris ein, die Heeresgruppe A erreichte am 17. Juni bei Pontarlier die Schweizer Grenze. Großbritannien weigerte sich, wegen der Befürchtungen eines deutschen Gegenschlages mit der Royal Air Force in Frankreich einzugreifen. Dafür wurden irrtümlicherweise drei Schweizer Orte bombardiert. Am 18. Juni ersuchte die neue französische Regierung unter Marshall Petain, dem Helden des ersten Weltkriegs, um einen Waffenstillstand. Das starre Defensivkonzept auf Basis der Maginot-Linie erwies sich als der militärische Untergang Frankreichs, das französische Oberkommando konnte den beweglichen deutschen Panzertruppen keine adäquate Strategie entgegenstellen. Deutsche Panzerkommandanten wie Guderian und Rommel erwiesen sich als die kriegsentscheidenden Faktoren, auch weil sie gegen bestehende Befehle handelten.