Via Fortuna III - Joe Valdez - E-Book

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Joe Valdez

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Beschreibung

Die Geschwister Eila und Falk wachsen im Land der Chatten auf. Neid und Missgunst zwingen sie, ihre Heimat zu verlassen. Sie begeben sich auf eine Reise ins Ungewisse. Verfolgt von einem rachsüchtigen Cherusker gelangen sie nach Vindobona. In der Stadt am Danuvius kommt es zu schicksalhaften Ereignissen, die zur Trennung der Geschwister führen

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Kapitel

I.

September 86 bis März 102

II.

April 102 bis Mai 111

III.

Iuni 111 bis September 112

IV.

October 112 bis März 113

V.

April 113 bis Iuni 117

VI.

Iuli 117 bis September 117

VII.

October 117 bis Iuli 119

I. September 86 bis März 102

Es wurde kälter im Gebirge des Melibocus Mons. Die Bewohner sprachen ehrfurchtsvoll von den heiligen Bergen.

Der Ausdruck „Berge“ passte nur in diese Gegend. Heimkehrende Krieger, die sich als Söldner im römischen Reich verdingten, erzählten von riesigen, schneebedeckten, felsigen Gipfeln weit im Süden nach dem großen Fluss Danuvius. Dieses Gebirge, die Alpes, stellte die natürliche Barriere zum Kernland des römischen Imperiums dar. Der Herbst entfaltete teilweise seine Farbenpracht in den Wäldern, die Höhenlage führte aber zu kälteren Temperaturen. Der Rückgang der Wärme war noch nicht spürbar, doch die Menschen kannten die Zeichen der Jahreszeit. Die spätsommerlichen Temperaturen neigten sich dem Ende zu. Der nächste Monat konnte bereits die ersten Kältewellen bringen. Es herrschte eine angespannte und düstere Stimmung in den Siedlungen in den Bergen. Der große Fürst Reinfried verstarb vor einem Monat, getötet durch Hexen und deren Gehilfen. Ein großer Teil der Menschen war abergläubisch, mit Sorgenfalten blickten sie nachts in die dunklen Wälder. Es gab ein großes Wehklagen unter den Familien, als Reinfrieds Leichnam gebracht wurde. Sein Sohn und legitimer Nachfolger Irvin, dessen jüngster Bruder Sigwin und drei gute Krieger wurden ebenfalls Opfer des heimtückischen Angriffs.

Die Sippen mussten einen hohen Blutzoll leisten. Fürst Reinfried war ein strenger Anführer, der mitunter mit seinen Leuten hart umging, aber seine Herrschaft wurde geprägt durch eine gute Versorgung und ausreichende Sicherheit der Untertanen. Die Sippen fristeten ein gutes Leben als Cherusker im Grenzgebiet zu den wilden Chatten. Diese zeigten großen Respekt vor den furchtlosen Kriegern der Berge. Nur der Zorn der Götter und dämonische Wesen verursachten Furcht unter den Bewohnern. Diese trauerten am meisten um Irvin. Der älteste Sohn von Reinfried wurde von vielen sehr geschätzt. Er ähnelte seinem Vater im Machtbewusstsein, aber er zeigte oft mehr Verständnis für die Menschen als der Fürst. Reinfried und sein jüngster Sohn Sigwin neigten zu Wutausbrüchen, einige Sklaven mussten mit ihrem Leben dafür büßen, aber es wurden auch Cherusker bestraft.

Die Bestattung der Toten hatte bereits stattgefunden. Der Fürst wurde gemeinsam mit seinen Söhnen in ein Grab gelegt. Sie töteten sein Lieblingspferd. Gemeinsam mit seinem Schwert folgte es seinem Herrn in das Grab. Reinfried wurde prächtig ausgestattet, wie es sich für einen Fürsten geziemte.

Das Fürstengrab wurde umringt von den Untertanen. Die Menschen umkreisten das Grab und stimmten lange Totengesänge an, um den großen Fürsten zu ehren. Die Feierlichkeiten berührten die Menschen innerlich, teilweise verspürten sie Wut und Hass auf die Mörder. Die anderen Verstorbenen wurden ebenfalls feierlich beigesetzt. Sie begleiteten den großen Fürsten nach Walhalla, wo tapfere Krieger ihre letzte Zuflucht fanden. Seitdem herrschte Trauer unter den Sippen. Die Menschen warteten darauf, wie es nach dem Tod des Fürsten weitergehen sollte. Die Unsicherheit der Menschen war spürbar. Die Überlebenden des Gemetzels erzählten von zwei Hexen, einer dunkelhäutigen mit schwarzen Haaren und einer rothaarigen aus dem Land der wilden Sarmaten. Keiner wollte es aussprechen, doch es wurde leise gemunkelt, dass Irvin und Sigwin von den beiden Frauen verhext wurden. Sie entführten die Hexen und unterschätzten deren Kräfte. Die Hexen erhielten Hilfe von zwei Kriegern, einem Sarmaten und einem cheruskischen Verräter.

Der sarmatische Bogenschütze versendete seine Pfeile im finstersten Wald mit tödlicher Präzision. Die Überlebenden empfanden diese Treffsicherheit unheimlich, sie führten diese Fähigkeit auf die Hilfe der Hexen zurück. Eine Hexe redete in einer unbekannten Sprache, die vermutlich nur von Dämonen und Hexen gesprochen wurde. Ihre markerschütternden Schreie ließen selbst Bären und Wölfe flüchten.

Nach der Flucht in dieser dunklen Nacht kehrten die Überlebenden am nächsten Tag an dem Schauplatz des Gemetzels zurück. Vier Pferde fehlten, die Hexen und ihre Gehilfen waren verschwunden. Die Krieger verzichteten aus Furcht vor der Macht der Hexen auf eine Verfolgung. Sie brachten die Toten nach Hause. Vor zwei Tagen fand ein großes Festmahl zu Ehren der Toten statt. Im Zuge dieses großen Gelages wurde Adelward zum neuen Fürsten der Sippen am Melibocus Mons erhoben. Als zweitältester Sohn von Reinfried trat er an die Stelle des toten Irvins als legitimer Nachfolger des Fürsten. Mit glänzendem Blick und großem Stolz nahm er die Ernennung an. Adelward stand zeitlebens im Schatten seines großen Bruders, obwohl er über viele Talente verfügte. Er verhielt sich ruhiger und besonnener als seine Brüder. Reinfried mochte seinen Jüngsten Sigwin am liebsten. Er zeigte große Ähnlichkeiten mit seinem wilden Vater. Vor allem gegenüber Frauen benahm er sich rücksichtlos und wollte jede haben, die ihm gefiel. Dieses Verhalten war schlussendlich die Ursache für seinen Tod.

Adelward fühlte sich befreit von dem Zwang, seinem Vater ständig beweisen zu müssen, seinen Brüdern gleichwertig zu sein. Seine Besonnenheit stand im krassen Gegensatz zum oft unbeherrschten und wilden Verhalten der drei Verstorbenen. Er bestach durch Intelligenz, Ruhe, verfügte aber über ein ähnliches Machtbewusstsein wie seine Brüder. Adelward empfand kein Mitleid mit seinen toten Brüdern. Ihre Wildheit und Gier wurde schlussendlich ihr Verhängnis. Gemeinsam mit seiner Ehegattin und Vertrauten Diethild sprach er darüber, dass seine Brüder aufgrund ihrer Unbeherrschtheit die Sippen nicht gut führen würden. Er kritisierte insgeheim seinen selbstherrlichen Vater. Dieser ließ ihn immer spüren, dass er Untergebener seines Bruders Irvin sein würde. Adelwards Besonnenheit empfand Reinfried bisweilen als Mutlosigkeit. Er zog Irvin und Sigwin vor. Das Schicksal zeigte sich gnädig mit dem Missverstandenen. Er ließ sich alles detailliert erzählen, die Vorgeschichte war ihm bekannt. Vor einiger Zeit tauchten in der Sippe des Cheruskers Sigfrid die berühmten und lange verschollenen Krieger Oswin und dessen Sohn Mark auf. Diese befanden sich auf einem Rachefeldzug nach den Mördern ihrer Familie, nach glaubwürdigen Erzählungen vollzogen sie die Rache an den Sueben. Gemeinsam mit Oswin und Mark erschienen zwei Frauen und ein sarmatischer Krieger. Die rothaarige Kriegerin und der Sarmate suchten ihre cheruskischen Wurzeln. Sie wollten die Herkunft ihrer Vorfahren finden, aber sie fanden keine gute Aufnahme, zu misstrauisch verhielten sich die Cherusker. Kriegerinnen waren nicht üblich bei den Germanen. Das größte Misstrauen erweckte aber die schwarzhaarige, dunkelhäutige Kriegerin aus dem fernen Süden. Die Menschen in den Wäldern kannten solche Frauen nicht.

Weitgereiste Krieger erzählten von dunkelhäutigen Menschen, die oft als Sklaven im Süden des Imperiums lebten.

Im Norden waren diese Menschen nicht bekannt, vor allem eine freie Kriegerin erweckte das Misstrauen der Cherusker.

Sie wurde als böses Omen gesehen. Die Ahnungen und verschwörerischen Vermutungen vieler Menschen bewahrheiteten sich. Die Frau brachte Unheil über die Cherusker.

Adelward erfuhr von dieser seltsamen Gruppe von seinen Brüdern, die diese vor dem Eintreffen bei den Cheruskern im Gebiet der Hermunduren trafen. Er fand diese Menschen interessant. Es musste sich um sehr mutige Menschen handeln, die auf der Suche nach ihren Wurzeln große Gefahren eingingen. Adelward hielt sich damals mit seinen Äußerungen zurück, als seine Brüder seinen Vater überredeten, die beiden Frauen als Geschenk von König Chariomer zu fordern. Dafür wollten sie den König im Kampf gegen seine Widersacher unterstützen. Der schwache und rücksichtslose Chariomer stimmte dem Vorschlag umgehend zu. Anschließend nahm das Schicksal seinen Lauf. Sigwin wirkte besessen von der dunkelhäutigen Frau, Irvins Wunsch nach der Sarmatin war ebenfalls groß. Die Menschen sprachen von Hexen, aber Adelward hielt nichts von diesem Aberglauben.

Seine Brüder legten sich mit ausgezeichneten Kriegerinnen und ihren Gefährten an, ihre Besessenheit und Unvernunft war ihr Todesurteil. Sie zogen ihren eigenen Vater in die Sache hinein, aber dieser traf die Entscheidung für den Überfall auf die Frauen. Er glaubte an seine Unverwundbarkeit, seine Selbstherrlichkeit war sein Untergang. Adelwards Mutter klagte laut und forderte Blutrache, aber keiner der Krieger wollte den Hexen folgen. Es wurde ein Kopfgeld ausgesetzt, angeblich befanden sich gefürchtete, langobardische Kopfgeldjäger auf der Verfolgung der Frauen. Adelward interessierte das Schicksal dieser Leute nicht. Er wollte die Situation zu seinem Vorteil nutzen, seine Herrschaft einsetzen und lange behalten. Das Bündnis mit den Chatten musste verlängert werden, diese verfügten über viel mehr Macht als die Cherusker. Zudem wollte er einer Einladung von König Chariomer folgen und Bündnistreue schwören. Die Cherusker bildeten seit langem keine Einheit mehr, der Stamm zerfiel in einzelne, große Sippen und Gemeinschaften, deren Fürsten eigenständig handelten und sich teilweise bereits anderen Stämmen anschlossen. Chariomer war vermutlich der letzte König, dem Treue geschworen wurde. Adelward sah die Zukunft bei den Chatten, aber er wollte sich mit offenen Bekundungen zurückhalten und die Lage sondieren. Er hielt sich für besser als sein Vater und sah sich als großer Fürst, der seine Untertanen in eine glorreiche Zukunft führte. Sein Vater und er pflegten zu dessen Lebzeiten ein distanziertes, unterkühltes Verhältnis. Während seiner Jugendzeit sprach er gerne mit seiner Mutter und hörte auf ihre Ratschläge. Die Rolle seiner Mutter änderte sich, als Diethild in sein Leben trat. Seine Gemahlin und er pflegten ein vertrauensvolles und inniges Verhältnis. Vor dem Gemetzel sprachen sie bisweilen darüber, wie sie sich seiner Brüder entledigen könnten, aber das Schicksal kam eigenen Plänen zuvor. Er blickte einer rosigen Zukunft entgegen, davor musste er die Geschichte mit der Ermordung seiner Familie regeln. Die Frauen und deren Gefährten wurden von Kopfgeldjägern verfolgt. Möglicherweise hatten sie Erfolg, er musste keine eigenen Krieger einsetzen. Die Furcht vor der Macht der Hexen war spürbar unter den Überlebenden. Es herrschte eine große Unsicherheit unter seinen Untertanen, für die Umsetzung seiner Pläne brauchte er mutige und gehorsame Menschen. Die Vergangenheit musste abgeschlossen werden, die Menschen sollten nach vorne sehen. Er wollte einen Schuldigen präsentieren und hatte sich alles gut überlegt. Die Menschen brauchten Schuldige, um die Furcht und den Zorn im Inneren loszuwerden. Bevor er dem König einen Besuch abstattete, wollte er ein Thing abhalten, eine Versammlung der freien Männer des Stammes, wo Recht gesprochen wurde. Zwei Tage später fand dieses Thing statt.

Alle waren gekommen, es ging um eine wichtige Weichenstellung. Die Sippen würden den Blutzoll leicht verkraften, die Familien waren kinderreich. Adelward hob die Hand, die Anwesenden verstummten. Langsam schilderte er die Geschichte und wiederholte die schrecklichen Ereignisse mit ruhigen Worten. Immer wieder blickte er in die Runde und beobachtete die Wirkung. Am Ende seiner Ansprache verstärkte er den Tonfall seiner Stimme. „Alle Krieger haben den Fürsten Treue bis in den Tod geschworen. Doch mein Vater und meine Brüder wurden verlassen von Männern, die vor Frauen davonliefen. Auch wenn es Hexen waren, kein Cherusker darf seinen Fürsten verlassen.“ Er hielt inne. Die Krieger blickten gespannt auf ihren Fürsten. Adelward erhob neuerlich seine Stimme, seine Augen funkelten vor Zorn.

„Ich will nicht alle dafür bestrafen. Sie sind demjenigen gefolgt, der als Erster das Schlachtfeld verlassen hat. Dieser brachte große Schande über unsere Gemeinschaft. Er soll bestraft werden.“ Die letzten Worte schrie er in die Dunkelheit des Waldes. Einige der Männer duckten sich, der zornige Fürst verursachte Unbehagen. Adelward sah sich um und zeigte auf einen jungen Krieger. Nach langem Überlegen schien diese Vorgangsweise am besten. Adelward wollte einen Krieger für alle büßen lassen. Damit wurde ein Zeichen gesetzt, ohne verdiente und wertvolle Krieger bestrafen zu müssen Der junge Krieger hieß Waldo, knapp über zwanzig Jahre alt. Dieser zuckte zusammen, alle Augen richteten sich auf ihn. Er wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort hervor, die Schockwirkung hielt an. Waldo lief als Erster weg, dies war in den Sippen bekannt. Bis jetzt klagte ihn keiner für sein Verhalten an, viele schämten sich. Er löste eine Flucht aus, aber erfahrene Krieger folgten ihm sofort. Waldo wurde in seinen Träumen von den Schreien der dunklen Hexe verfolgt. Er wachte oft auf und schämte sich für sein feiges Verhalten, aber die Situation überforderte ihn. Die Anklage des neuen Fürsten änderte alles, alle Augen richteten sich auf ihn. Waldo sah sich um. Der Schock war abgeklungen, er fasste sich und sah den anderen Überlebenden in die Augen. Die meisten drehten ihre Köpfe weg, einer zuckte mit den Schultern, keiner trat für ihn ein. Er nahm allen Mut zusammen. „Seit Jahren war ich stets ein loyaler Gefolgsmann von Irvin und Sigwin. Die Dunkelheit verstärkte die Macht der bösen Hexen. Es wären noch mehr von uns gestorben, wir konnten gegen diese Macht nichts ausrichten.

Wir mussten fliehen.“ In seinen letzten Worten klang Verzweiflung mit. Mehr fiel ihm nicht ein, er war kein großer Redner. Er blickte auf Hitto, dem Vater seiner zukünftigen Frau Hilma. Waldo dachte an Hilma, die Schönste unter den Cheruskerinnen. Hilma war achtzehn Jahre alt, sie wollten heiraten. Sie entschied sich trotz mehrerer Angebote für ihn.

Er wusste nicht, was jetzt passieren würde. Hilma stand unter der Vormundschaft ihres Vaters Hitto, einen der erfahrensten und besten Krieger, dessen Wort Gewicht unter den Anwesenden besaß. Doch dieser griff nicht ein, sah Waldo mitleidig an. Adelward übernahm wieder das Reden, er beherrschte die Kunst der Rede. „Er gibt zu, dass er geflohen ist und seinen Fürsten in Stich gelassen hat. Waldo hat mit seiner Furcht alle angesteckt und Unheil über die anderen Krieger gebracht.“ Wieder unterbrach Adelward seine Rede, die Reaktionen der anderen Überleben fielen positiv auf seine Rede aus. Sie wurden entlastet. Waldo erkannte mit Erschrecken, dass die Stimmung sich gegen ihn wandte. Niemand trat für ihn ein. Er war zu jung, um den listigen Adelward Widerstand zu leisten. Die Anwesenden erteilten lautstark ihre Zustimmung. Waldo war am Boden zerstört, fassungslos beobachtete er seine ehemaligen Freunde. Adelward hatte richtig kalkuliert. „Waldo muss bestraft werden für seine feige Tat. Angesichts seiner jahrelangen, loyalen Gesinnung werde ich auf eine harte Strafe verzichten. Ich verbanne ihn aus der Gemeinschaft der heiligen Berge. Er muss sein Dorf binnen zwei Tagen verlassen und darf nie mehr in unsere Gemeinschaft zurückkehren.“ Kurz vor dem Wintereinbruch war diese Strafe hart, alle wussten das.

Trotzdem gaben sie mit Lauten und Schlägen gegen den Schild ihre Zustimmung zur Entscheidung des Fürsten.

Waldo blickte sich erschrocken um. Er liebte seine Heimat, die Wälder am Melibocus Mons. Mit der Entscheidung verlor er seine Familie und Freunde, durfte nicht zurückkehren in die Gemeinschaft. Hilfesuchend sah er seinen Schwiegervater Hitto an, aber dieser schüttelte den Kopf und wollte nicht Partei ergreifen. Waldos Vater konnte nicht Partei ergreifen, er starb vor langer Zeit in einem Kampf. Er stand da und zitterte leicht, der Schock wirkte, viele Gedanken drangen durch seinen Kopf. Hilma fiel ihm ein, er würde sie verlieren. Kurz vor dem Winter musste er das sichere Dorf verlassen und in den Wald ziehen, ohne wärmende Unterkunft würde es schwer werden, zu überleben. Das Problem lag in der Größe des Gebietes, das Fürst Adelward unterstand. Er musste weit gehen, konnte auf keine Verschiebung bis zum Frühjahr hoffen. Entscheidungen des Things wurden rigoros umgesetzt. Seine Freunde verrieten ihn, mancher konnte ihm nicht in die Augen sehen. Er fragte sich, ob sie überhaupt jemals Freunde waren. Waldo verlor in einem Moment alles, an das er bisher glaubte. An die Gemeinschaft und die Loyalität untereinander. Zorn überkam ihn. „Das ist falsch!“ Sein Schrei erreichte die Männer des Things. Er konnte sie nicht mehr sehen, seine ehemaligen Freunde und Waffengefährten. Sie machten es sich zu leicht. Waldo drehte sich um, stieß einige Männer auf die Seite und verschwand im Wald.

Die Männer blickten hinterher, einige schämten sich. Adelward erhob seine Stimme. „Er hat Glück, dass er nicht härter bestraft wird.“ Adelwards fester Blick richtete sich auf Hitto.

Er befahl ihm, den Beschluss des Thing umzusetzen. Nach der harten Entscheidung wurden weitere Angelegenheiten besprochen. Der vierjährige Gillo und der einjährige Armin, die Söhne von Irvin, wurden gemeinsam mit dessen Frau Burga in die Hausgemeinschaft von Adelward aufgenommen. Er verfügte über die Vormundschaft. Bald darauf verließen die Männer den mystischen Thingplatz, der von Steinen umrundet war. Waldo lief durch den Wald, er wusste nicht wie lange. Er ließ seinen Gefühlen freien Lauf, die Männer hörten seine Schreie. Irgendwann beruhigte er sich und begann zu überlegen. Die Entscheidung des Thing war gefallen und unumstößlich. Er musste sich dieser beugen, wenn er nicht den ganzen Respekt seiner Leute verlieren wollte. Die Enttäuschung wandelte sich in Zorn. Sein Stolz erwachte und ließ ihn klar denken. Er wollte überleben und sich vorbereiten auf die Verbannung. Waldo wollte in das Gebiet der angrenzenden Chatten ziehen. In den meisten Fällen erschienen diese freundlich gesinnt, doch er traute keinem mehr. Waldo war trotz seiner Jugend ein besonnener, ruhiger Mensch, der seinen Anführern stets loyal diente. Dieser eine Moment, in dem die Furcht vor der Macht der Hexen zu groß wurde, veränderte sein Leben nachhaltig. Er verbrachte die Nacht allein im Wald. Gedankenverloren blickte er in das wärmende Feuer. Sein weiteres Leben würde aus vielen einsamen Lagerfeuern bestehen, wenn er nichts unternahm. Es gab andere Gemeinschaften. Er wollte bei den Chatten vorsprechen, vielleicht nahmen sie ihn auf. Hilma fiel ihm ein, am nächsten Tag wollte er mit ihr sprechen. Ihr Vater Hitto verweigerte die Unterstützung. Waldo war klar, dass er Hilma verlieren würde. Am nächsten Tag brach er früh auf, er hatte wenig geschlafen. Im Dorf angekommen, erkannte er das distanzierte Verhalten der Menschen. Er war in diesem Ort aufgewachsen und jetzt behandelten sie ihn wie einen Aussätzigen. Sein Stolz erwachte, hoch reckte er den Kopf. Er wurde als Feigling angesehen, manchmal schämte er sich selbst für sein Verhalten in der betreffenden Nacht. Ansonsten war er keinem Kampf ausgewichen und konnte sich als guter Kämpfer bezeichnen. Er betrat das Haus seines Onkels. Waldo lebte in diesem Haus seit dem Tod seines Vaters. Dieser nahm am Thing teil, griff aber nicht zu Gunsten von Waldo ein. Die vertrauten Familienmitglieder verhielten sich distanziert und feindselig. Sie schämten sich für sein Verhalten vor der Dorfgemeinschaft.

In ihren Augen brachte er Schande über die Familie. Er verstand ihr Verhalten, aber sie ließen ihn im Stich. Sein Onkel befahl mit barschen Worten, dass er alles zusammenpacken und das Haus verlassen solle. Er wolle keinen Feigling im Haus. Stumm packte Waldo seine Habseligkeiten zusammen. Er besaß nicht viel. In einem Sack packte er Decken, Kleidungsstücke und Proviant, dazu kam ein kleiner Beutel mit Goldmünzen. Diese würden helfen. Er sah sich nicht mehr um, als er das Haus seiner Familie verließ, sie hatten ihn verstoßen. Aufgewühlt stand er vor dem Haus und fühlte sich verraten, doch der schwierigere Abschied stand noch bevor. Er ging zum Haus von Hitto, seinem Schwiegervater.

Dieser erwartete ihn bereits. Waldo sah ihn an, dieser erwiderte seinen Blick mitleidig. Der junge Mann tat ihm leid. Er wurde als alleiniger Schuldiger gebrandmarkt, dabei trugen alle Überlebenden Schuld am Ausgang des Gemetzels. Hitto war auch einer davon. „Dürfte ich mit Hilma sprechen?“ Hitto ließ sich mit der Antwort Zeit. „Die Hochzeit wird nicht stattfinden. Ich habe ihr die Entscheidung mitgeteilt, dass du verbannt wirst. Sie wird einen anderen Mann finden, du hast keine Zukunft in der Gemeinschaft.“ Die beiden Männer blickten sich an, sie hatten sich immer gut verstanden. Hitto lehrte ihn viel über das Kämpfen. Waldo hielt viel von der Meinung seines Schwiegervaters. Im Haus hörte er Hilma schreien, sie wollte zu ihm. Waldo lächelte, er kannte ihr hitziges Temperament. Es war sicher nicht leicht gewesen für ihren Vater, ihr das beizubringen. Hilma liebte und wollte Waldo und sie konnte sehr stur sein. Doch er respektierte Hittos Entscheidung, er konnte nichts anbieten. Hilma war hier besser aufgehoben, im Wald war es zu gefährlich. Sie würde einen anderen Mann finden. Waldo verzichtete auf seine ursprüngliche Absicht, mit Hilma persönlich zu sprechen. Sie sprachen und diskutierten oft miteinander, er mochte die Gespräche mit der intelligenten, jungen Frau.

Aber in der Gemeinschaft der Germanen traf der Vater oder der Mann die Entscheidung, was mit der Frau passierte. Sie besaßen die Vormundschaft. Waldo nickte Hitto zu, dieser wirkte erleichtert. Er wünschte ihm alles Gute, drehte sich um und betrat sein Haus. Waldo sah sich um, einige Menschen beobachteten neugierig die Szene. Alle kannten die störrische Hilma, viele Männern empfanden sie als zu aufmüpfig, aber sie war eine der schönsten, jungen Frauen in den Sippen von Adelward. Als nichts weiter passierte, verfolgten sie mit ihren Blicken den jungen Mann, der das heimatliche Dorf verließ und aus der Gemeinschaft ausgestoßen worden war. Adelwards Siedlung lag weiter nördlich, er war nicht anwesend. Bald entschwand er den Blicken der Dorfbewohner. Das Thema würde die Bewohner eine Zeitlang beschäftigen, aber danach wurden Verstoßene totgeschwiegen. Wehmütig blickte Waldo zurück, aber seine Zukunft lag im Südwesten. Er kannte den Weg zur Visurgis in das Gebiet der Chatten und wollte so schnell als möglich dorthin gelangen, um Aufnahme zu finden vor dem Wintereinbruch. Kurz dachte er daran, den Rhenus zu überqueren um in das Imperium zu gelangen. Angeblich wurden dort Krieger gesucht, die gegen Bezahlung den Schutz der Aufraggeber gewährleisteten. Er kannte dies aus Erzählungen, war nie auf der anderen Seite des großen Flusses gewesen.

Es sollte breite, feste Straßen geben und die Römer sollten große Kampfspiele in Arenen veranstalten. Die Städte sollten riesig sein, sämtliche Häuser wurden aus Stein errichtet.

Waldo kannte diese Welt nicht, vielleicht würde er sie im nächsten Jahr aufsuchen. Zuerst wollte er zu den Chatten.

Das große Gepäck erschwerte den Marsch im Wald, aber er benötigte alles. Die Pfade durch den Wald kannte er. Auf schmalen Wegen gestaltete sich der Marsch leichter, aber viel Unterholz versperrte ständig den Weg. Er rastete gegen Mittag, danach machte er sich wieder auf den Weg. Gegen Abend bereitete er ein Lager, ein Feuer wärmte ihn, abends wurde es bereits kalt. Waldo spürte die Kälte kaum. In den letzten Jahren begleitete er Irvin und Sigwin auf ihren Raubzügen in andere Stammesgebiete. Er verschwendete keine Gedanken an das Unrecht, das sie anderen Menschen zufügten, stand immer loyal zu seinem Fürsten. Jetzt sah er die Sache aus einer anderen Perspektive. Viele Gedanken kreisten in seinem Kopf. Er fühlte sich allein und einsam, die Geräusche des Waldes drangen an seine Ohren. Waldo kannte sie, er fürchtete sie nicht. Er war mutig, nur die fremden Hexen hatten ihn verwirrt. Das Vergangene holte ihn wieder ein. Es sollte Hexen geben, obwohl er nie eine traf. Die beiden fremden Frauen wirkten mysteriös, sie trugen Waffen und gaben sich sehr selbstbewusst. Mittlerweile sah er die ganze Angelegenheit differenzierter. Die Brüder wollten die Frauen besitzen, wie viele davor. Irvin und Sigwin trugen die Schuld, das war ihm klar geworden. Sein Blick hing am Feuer. Dieses schreckte größere Raubtiere ab, trotzdem wollte er vorsichtig bleiben. Ausgehungerte Wölfe konnten im Winter ein Problem werden. Kinder waren ihnen zum Opfer gefallen. Wölfe machten ihm keine Angst. Er kannte den Wald, dieser bot Schutz. Nur damals wurde die Angst zu groß, als er die Schreie und die Stimme dieser dunkelhäutigen Hexe hörte. Plötzlich war er aufgesprungen und davongelaufen, er wurde mit der Anspannung nicht mehr fertig. Bis heute schämte er sich dafür, aber er konnte es nicht mehr ändern. Irgendwann schlief er ein. Er erwachte durch ungewohnte Geräusche. Sein Instinkt schlug an. Das Feuer war ausgegangen. Ringsum herrschte derzeit Stille, aber es befand sich jemand in der Nähe. Plötzlich ertönte ein Schrei.

„Waldo, wo bist du? Du musst hier irgendwo sein!“ Waldo riss die Augen auf. Er kannte die Stimme Hilmas, wenn sie zornig war. Sie benötigte Hilfe. Waldo sprang auf und eilte in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Nach einigen Minuten hörte er die ständig schimpfende Hilma. Er gab sich zu erkennen. Seine Hilma war ihm gefolgt. Vermutlich brach sie nicht lange nach ihm auf. Sie trug kein Gepäck, offensichtlich handelte es sich um einen eiligen Aufbruch. Die jungen Menschen sahen sich an, fielen sich in die Arme und küssten einander. Waldo erkannte Hilmas Müdigkeit. Er nahm sie an der Hand und führte sie zu seinem Lager, dort entfachte er das Feuer neu und gab ihr zu essen. Gierig kaute sie am Trockenfleisch. Waldo sah auf die schöne Frau mit den blonden Haaren und blauen Augen. „Was siehst du mich so an, kennst du mich nicht mehr?“, fragte sie zornig. Er lächelte. „Was machst du hier, Hilma? Dein Vater hat entschieden, dass wir uns trennen müssen.“ Ihr Zorn war verflogen. Sie freute sich, ihn zu sehen. Für Hilma war immer klar gewesen, dass sie nur Waldo wollte. Er benahm sich nicht so grobschlächtig und rüpelhaft wie die anderen jungen Männer und hörte zu, sie führten viele Gespräche. Sie erzählte vom eiligen Aufbruch, nachdem die Familie ein Gespräch mit Waldo verhinderte. Hilma wollte Waldo begleiten, aber Hitto verbot es und löste die Verlobung. Waldo war klar, dass Hitto sie verfolgen würde. Er konnte dies nicht durchgehen lassen. Vermutlich verfolgte er bereits ihre Spur.

„Du solltest zurückkehren, Hilma. Ich habe keine Zukunft.“

Sie sah ihn zornig an. „Halt den Mund. Männer glauben immer, für Frauen entscheiden zu müssen, aber das muss nicht sein. Ich werde bei Dir bleiben.“ Waldo sah den trotzigen Blick und wusste, dass er sie nicht umstimmen konnte. Er freute sich darüber, aber Hitto würde sie verfolgen. Eine Flucht machte keinen Sinn, dieser würde sie finden. Waldo entschied, auf ihn zu warten. Hilma zeigte sich unschlüssig, aber sie war sich bewusst, dass ihr Vater sie finden würde.

Gemeinsam lagen sie auf der Decke. Hilma umarmte ihn.

„Nimm mich zur Frau, ich will dir gehören“, sagte sie leise.

Sie liebten sich das erste Mal. Waldo besaß Erfahrung, eine Sklavin führte ihn in die Liebe ein. Junge Männer besaßen diesbezüglichen einen erheblichen Vorteil. Doch diesmal war es etwas Besonderes. Er liebte Hilma. Sie lagen eng beisammen und fürchteten die Reaktion Hittos. Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie sich lieben konnten. Dieser erschien am nächsten Tag. Er kam allein, seine Söhne blieben zu Hause. Ruhig setzte er sich an das Lager und blickte beide durchdringend an, seine Augen verrieten Zorn. „Du hast meine Entscheidung nicht befolgt und mich lächerlich gemacht, Tochter“, sagte er wütend. Hilma zucke zusammen angesichts der Worte ihres Vaters, dann erwachte der Zorn.

„Der Fürst traf eine falsche Entscheidung. Waldo war nicht allein schuld, Adelward hat ihn als Schuldigen auserkoren.

Selbst du bist weggelaufen!“ Hittos Zorn explodierte. „Du hast die Entscheidung des Fürsten und deines Vaters nicht zu hinterfragen, Weib“, schrie er. Er kannte seine Tochter.

Sie besaß Ähnlichkeiten mit ihm und war sein Liebling, aber sie verhielt sich oft sehr schwierig. Die Ehe mit Waldo wäre eine gute Idee gewesen. Er wirkte beruhigend auf die wilde Hilma, aber das Schicksal wollte nicht, dass sie zusammengehörten. Hitto stand loyal zu seinem Fürsten, obwohl er wusste, dass Waldo die Schuld für alle übernehmen musste.

„Ich kann dir meine Tochter nicht mitgeben. Du kannst sie nicht versorgen und allein nicht beschützen. Sie wird als Sklavin im Zelt eines Chatten oder im Haus eines Römers enden.“ Er sah Waldo durchdringend an. Dieser überlegte, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich an Hilma.

„Dein Vater hat Recht. Ich habe eine ungewisse Zukunft vor mir, im Dorf bist du sicher.“ Beide sahen Hilma an, diese lächelte plötzlich und stand auf. „Männer wollen immer besser wissen, was für Frauen gut ist.“ Sie wandte sich ihrem Vater zu. „Waldo hat mich diese Nacht zur Frau genommen.

Du weißt, was das heißt“, sprach sie mit ruhiger Stimme.

Hitto sprang auf und schlug Hilma hart mit der flachen Hand in das Gesicht. Er nannte sie eine Hure, dann wandte er sich an Waldo, der ebenfalls aufgesprungen war. „Ich werde den Leuten erzählen, dass der Verstoßene meine Tochter missbraucht und geschändet hat. Du bist ein guter Junge, aber das Wohl meiner Familie ist wichtiger als dein Schicksal. Ich werde dich töten, dann ist es für alle am besten, wahrscheinlich auch für dich. Ohne Heimat ist ein Mann nichts wert.“

Hitto zog sein Schwert. Waldo verstand ihn, aber er wollte sich nicht töten lassen. Hilma rieb sich das leicht geschwollene Gesicht und wollte sich zwischen die beiden Männer stellen, aber Waldo schob sie zur Seite. Resignierend ging sie zur Seite, der Kampf würde über ihr Schicksal entscheiden.

Einer der beiden Männer, die sie liebte, würde sterben. Dies würde sich auf ihr weiteres Leben auswirken, sie war sich dessen bewusst. Die beiden Kämpfer umkreisten sich. Hitto war vierzig Jahre alt, größer und schwerer als Waldo, einer der besten Kämpfer unter den Cheruskern. Waldo war jung und ein guter Kämpfer, aber gegen Hitto fehlte es ihm an Kraft und Erfahrung. Sein Stolz und Kampfeswille erwachte.

Er versuchte sich zu konzentrieren und nicht an andere Dinge zu denken. „Zeige, was du gelernt hast, Junge“, schrie Hitto und griff an. Die Schwerter schlugen zusammen, Funken sprühten. Wild schlug Hitto auf Waldo ein, der sich in der Rückwärtsbewegung befand, aber noch konnte er den Ansturm aufhalten. Schwer atmend blieben die beiden Männer stehen und umkreisten sich wieder. „Du hast dich gut gehalten. Leider wird es nicht reichen, Junge“, sagte Hitto anerkennend, aber seine Augen blickten hart. Waldo wusste, er würde ihn mitleidlos töten, um die Ehre seiner Familie herzustellen. Nach einer kurzen Pause ging es weiter. Hilma konnte nicht schreien, der harte Kampf der beiden Männer faszinierte sie. Sie wusste nicht, zu wem sie halten sollte, und ergab sich in ihr Schicksal. Die Göttin Freya würde über ihr weiteres Leben entscheiden. Hitto überraschte die starke Gegenwehr des jungen Waldo. Je länger der Kampf dauerte, desto mehr wurde die Ausdauer und Beweglichkeit des jungen Mannes erkennbar. Hitto wollte die Dauer abkürzen und führte einen wilden Angriff mit kraftvollen Schlägen aus.

Waldo musste zurückweichen. Sein Widerstand erlahmte.

Die Schwerthand war nach unten gerichtet, Hitto holte zu einem letzten Schlag aus. Waldo stolperte über einen Ast nach hinten. Er spürte, wie das Schwert von Hitto vor seiner Nase vorbeischwang. Der Schlag wurde so kraftvoll ausgeführt, dass das Schwert im Baum kurz steckenblieb und Hitto es nicht sofort herausbekam. Waldo erkannte die Gelegenheit und handelte blitzschnell. Als Hitto das Schwert aus dem Holz herausriss und es durch den Kraftakt nach hinten schwang, war Hittos Körper nicht geschützt. Waldo traf seinen Unterarm, Blut quoll aus der tiefen Wunde. Hitto schrie auf, wollte sein Schwert halten, aber er besaß nichtmehr die Kraft dazu. Als es ihm aus der Hand fiel, versetzte Waldo ihm einen Tritt gegen die Brust, dass er nach hinten fiel. Er ging zu Hitto, der am Waldboden lag und richtete sein Schwert auf ihn. „Töte mich. Du hattest viel Glück, aber du hast gewonnen!“, rief Hitto. Er setzte sich auf und hielt seinen Unterarm. Plötzlich stand Hilma vor Waldo und schrie, dass er aufhören solle. Waldo trat zurück Hilma kniete bei ihrem Vater. Dieser wollte sie wegstoßen, aber sie hörte nicht auf ihn und forderte ihn auf, ruhig zu sein. Anschließend versorgte sie seine Wunde, Waldo beobachtete die Szene. Hitto erhob sich, nachdem seine Tochter die Wunde fachgerecht versorgte. Hilma und Waldo standen in sicherer Entfernung gegenüber. Sie wandte sich an ihren Vater. „Ich bleibe bei Waldo und werde ihm eine treue Gefährtin sein, Vater.“ Sie sprach mit ruhiger und fester Stimme.

Hittos Blick traf die beiden. Nach kurzer Zeit nickte er. „In der Nähe der Mündung der Adrana in die Visurgis gibt es einige Hütten. Findet sie, dort überlebt ihr den Winter. Die Gemeinschaft hat euch verstoßen, aber wenn ihr zusammenhaltet, werdet ihr es schaffen. Ich werde im Frühjahr nach euch sehen.“ Der Gesinnungswandel überraschte das junge Paar, aber der verlorene Kampf leitete bei Hitto ein Umdenken ein. Hitto übergab Hilma seinen Proviantbeutel, spontan umarmte sie ihren Vater. Dieser reichte Waldo die Hand.

Der Wille der Götter wollte diese beiden jungen Menschen schicksalshaft miteinander verbinden. Danach drehte er sich um und verließ die beiden. Bald deutete kein Geräusch mehr daraufhin, dass sich außer den beiden Verlassenen andere Menschen in der Nähe befanden. Hilma trocknete ihre Tränen, der Abschied vom Vater war ihr nahegegangen. „Lass uns gehen, Waldo. Wir werden beweisen, dass wir es ohne Gemeinschaft schaffen, in diesem Wald zu leben.“ Waldo nickte. Sie küssten sich kurz, anschließend packten sie alles sorgfältig zusammen und machten sich auf den Weg. Ihre gemeinsame Reise würde beschwerlich und hart werden, aber sie fühlten sich stark und gewappnet. Sie fanden glücklicherweise ein kleines Floss, mit dem sie die Visurgis überquerten. Eine verlassene Hütte bildete den erfolgreichen Abschluss ihres Weges. Hilma jubelte und fiel Waldo um den Hals. Sie genossen ihre Liebe und die gewonnene Freiheit.

Das neue, selbstbestimmte Leben gefiel ihnen, sie mussten sich nicht mehr rechtfertigen. Die Unsicherheit wegen des Verlassens der sicheren Gemeinschaft verflog. Sie waren nur einander verpflichtet. Waldo verfügte über Werkzeug, deshalb konnten sie die Hütte notdürftig winterfest gestalten.

Der Lage der Hütte war gut gewählt. Gut verborgen hinter einem großen Dickicht konnte sie von Vorbeifahrenden von den Flüssen nicht wahrgenommen werden. Die Göttin Freya wachte über sie und hielt ihre schützende Hand über das junge Paar. Hilma fand die Hütte, ein kaum erkennbarer Pfad führte dorthin. Der Fluss lag in der Nähe, Fische gab es im Überfluss. In den nächsten Monaten mussten sie sich an das gemeinsame Leben gewöhnen. Es gab öfter Streit, da Hilma sehr temperamentvoll reagieren konnte, aber sie fanden immer Lösungen. Ihre Liebe wuchs mit den Herausforderungen und dem Gefühl der Verbundenheit. Waldo fand seine Hilma wunderschön. Sie glaubte, bald ein Kind zu gebären aufgrund der Intensität ihrer Liebe. Es wurde vereinbart, gemeinsam zu jagen und zu fischen, um zusammenzubleiben.

Waldo wollte Hilma nicht allein in der Hütte belassen. Sie verfügten über gute Kenntnisse, um im Wald zu überleben.

Die gemeinsame Herausforderung stärkte ihren Zusammenhalt. Die Hauptmahlzeit bestand aus Fischen. Sie freuten sich sehr, als Hitto im Frühjahr auftauchte und sein Versprechen hielt. Er fand sie, weil sie sich zu erkennen gaben. Hitto umarmte beide. Am Verhalten der beiden erkannte er die Richtigkeit seiner Entscheidung, sie in das gemeinsame Leben zu entlassen. Er blieb zwei Wochen und half mit mitgebrachten Werkzeugen, die Hütte zu verbessern. Hitto fand nach dem Kampf mit Waldo seinen Frieden. Nach seiner Rückkehr in das Dorf erzählte er den Bewohnern, dass Hilma bei Waldo blieb. Das Gerede der Menschen interessierte ihn nicht mehr. Ein Stolz erfüllte ihn, wenn er an seine mutige Tochter dachte, die für den geliebten Mann ein sicheres Leben aufgab. Nach diesem Besuch kannte er ihren Aufenthalt und wollte in den nächsten Jahren helfen. Er erteilte wertvolle Ratschläge betreffend des Umgangs mit den Chatten, es gab wilde Krieger unter ihnen. Vor zwei Jahren verloren die Chatten einen Krieg gegen das Imperium und wurden aus dem Gebiet diesseits des Rhenus vertrieben. Die Römer besetzten einen Teil des Gebietes der Chatten rechts vom Rhenus und gliederten ihn in das Imperium ein. Kastelle sicherten die neue Grenze. Waldo und Hilma wollten sich von den Römern fernhalten, zu viele schlimme Dinge wurden über das Verhalten der römischen Soldaten erzählt.

Der Armee des Imperiums war keiner gewachsen, auch nicht die Chatten. Nur der legendäre Fürst Sigfrid schlug die Römer vor langer Zeit in einer legendenumwobenen Schlacht.

Alle Stämme kannten diese Geschichte. Der Sieg verhinderte die vollständige Eroberung Germanias durch das Imperium.

Die Cherusker konnten den legendären Sieg nicht zu ihrem Vorteil nutzen. Seit dem großen Sieg gab es ständig Streit und innere Konflikte. Der derzeitige König Chariomer war schwach, aber keiner wusste, was nach ihm kam. Hitto erzählte von Adelwards Überlegung, sich den Chatten anzuschließen. Er riet den beiden, sich ebenfalls diesem Stamm anzuschließen. Waldo und Hilma blieben skeptisch, sie genossen ihre Freiheit ohne Regeln einer Gemeinschaft. Sie wollten sich dies überlegen und zuerst die Menschen kennenlernen. Nach Hittos Abschied genossen die beiden ihre Zweisamkeit. Sie trafen wiederholt auf Menschen, große Menschen mit sehnigen Körpern. Anfänglich misstrauisch beäugt, wandelte sich das Verhältnis mit der Zeit in ein freundschaftliches um. Es gab kleinere und größere Siedlungen zwischen den beiden Flüssen. Waldo und Hilma besuchten eine kleine Siedlung, dort wurden sie freundlich empfangen. Die Chatten erwiesen sich als sehr gastfreundlich und luden das Paar ein. Der Sippenanführer hatte nichts dagegen, dass sie am Fluss lebten, das Gebiet gehörte zu seinem Territorium. Ein guter Kontakt zu den ansässigen Menschen war wichtig. Sie konnten endlich wichtige, fehlende Werkzeuge und Materialien besorgen. Waldo bezahlte mit den begehrten Münzen. In Friedenszeiten gaben sich die Chatten sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Die Kriege wurden mit einer Wildheit geführt, die den Gegnern Respekt und Furcht einflößte. Ihre Heere verhielten sich im Gegensatz zu anderen germanischen Stämmen sehr diszipliniert.

Sie zogen in eine Schlacht mit Marschgepäck und verschanzten sich über Nacht. Trotzdem gelang es ihnen in den Kriegen nicht, den römischen Legionen Einhalt zu bieten, zu gut organisiert präsentierten sich die Römer. Diese schlugen riesige Schneisen in den Wald, um der großen Armee ein passendes Aufmarschgebiet zu bereiten. Der Anführer der Chattensiedlung, Herwald, erzählte vom letzten Krieg, in dem viele gute Krieger ihr Leben ließen. Die Römer machten einen Teil der Gegner zu Sklaven und Sklavinnen. Es wurde erzählt von vielen Selbstmorden von chattischen Frauen, die den Tod der römischen Sklaverei vorzogen. Die Römer hielten derzeit Frieden und mischten sich nicht in innergermanische Konflikte ein. Waldo und Hilma waren zufrieden. Die Menschen akzeptierten sie als Nachbarn, diese Akzeptanz war ein wichtiger Schritt für die erfolgreiche Zukunft des Paares. Sie hatten eine neue Heimat gefunden. Ab diesem Zeitpunkt besuchten sie die Siedlung öfter. Waldo begann das Leben im Wald zu schätzen, er verbesserte seine Jagdmethoden. Hilma und er unterstützten sich gegenseitig, sie wollten und mussten viel lernen, um ein gutes Leben in der harten Umgebung führen zu können. Kurz vor dem nächsten Winter hatten sie ein Erlebnis besonderer Art. Als sie vom Fluss zurückkamen, beladen mit Fischen, stand ein riesiger Mann vor der Hütte. Er versteckte sich nicht. Waldo zog sein Schwert und trat dem Fremden entgegen. Dieser sah ihn abschätzig an. Es handelte sich um einen wahren Riesen, noch einen Kopf größer als Waldo, breite Schultern, das Haar feuerrot gefärbt. Der Mann musste mindestens zehn Jahre älter als Waldo sein. Die beiden kannten die Geschichten, dass sich manche Chatten die Haare feuerrot färbten.

Für das Färben verwendeten diese Krieger einen eigenen Schaum, mit dem sie mit den Römern einen guten Handel trieben. Das Haar war lang und wild, der Mann trug einen Bart. Er ignorierte das Schwert von Waldo. „Was macht ihr hier? Das ist meine Hütte.“ Die Frage klang ruhig und stand im Widerspruch zu seinem Aussehen. Hilma wirkte fasziniert von diesem Mann, der wie ein Gott wirkte, der von Walhalla herabgestiegen war. Er übte eine starke, männliche Ausstrahlung aus. Waldo erfing sich schneller. „Die Hütte stand leer, als wir vor einem Jahr hier ankamen. Herwald, der Anführer der Siedlung, hat uns versichert, dass wir hier leben dürfen. Wir wussten nicht, wem sie gehört.“ Er behielt das Schwert in der Hand, obwohl ihm klar war, dass dieser Mann ihn töten würde, wenn er wollte. Dieser nickte. Hilma ergriff das Wort. „Es tut uns leid, wir wussten nicht, dass sie Dir gehört.“ Hilma verfügte über eine angenehme Stimme. Der Hüne starrte auf die junge Frau. Die blonden, langen Haare waren hinten zu einem Zopf gebunden, die blauen Augen strahlten aus einem schönen Gesicht. Schon lange war er keiner so schönen Frau begegnet. Der Mann schien sympathisch zu sein. Ein junges Paar, sie stammten nicht von hier.

Er erkannte die Cherusker an ihrer Aussprache. Der Mann blickte auf die Hütte, diese zeigte sich gut gerüstet für den Winter, die Vorratskammern schienen gefüllt. Fleißige Menschen lebten in seiner Hütte. „Wer bist du?“ Die Stimme des jungen Mannes klang schärfer als zuvor. Die blonde Frau wandte sich energisch an ihren Partner. „Steck endlich das Schwert ein, der Mann tut uns nichts. Du bist unhöflich.“

Waldo blickte auf Hilma, dann auf den Hünen und steckte sein Schwert tatsächlich weg. Plötzlich lachte der Hüne laut.

„Die hat dich schön im Griff, Cherusker“, sagte der Rothaarige mit lauter Stimme. Waldo kniff den Mund zusammen.

Hilma legte die Hand auf seinen Arm. „Ich respektiere ihr Eigentumsrecht, aber wir können derzeit nirgendwo hin“, sagte Waldo ruhig. Der Hüne sah ihn an. Anständige Menschen setzten seine heruntergekommene Hütte instand, er war lange fortgeblieben und trieb sich im Imperium herum.

Er dachte an seine Zeit im Imperium als Leibwächter in den Diensten römischer Händler und Kaufleute. Einige unvorsichtige Römer mussten mit ihrem Leben für ihre Selbstüberschätzung bezahlen. Als Angehöriger des chattischen Heeres im vorletzten Krieg tötete er viele römische Legionäre, aber es reichte nicht. Die Römer waren in der Masse zu gut organisiert. Nach dem Ende des Krieges und der Erkenntnis, dass Rom nicht zu besiegen war, traf er die Entscheidung, das System zu nutzen und mit seinen Fähigkeiten Geld zu verdienen. Am letzten Krieg nahm er nicht teil, nach langen Jahren in der Fremde entschloss er sich, nach Hause zurückzukehren. Es wartete niemand auf ihn. Er besaß nie eine eigene Familie, gehörte zu den Einzelgängern, die nie heirateten. Der Hüne wollte die Hütte nicht mehr, in der Umgebung gab es weitere, er würde einen Unterschlupf finden. „Die Hütte gehört euch“, sagte er mit seiner tiefen Stimme und wollte gehen. Hilma schüttelte den Kopf. „Du bist sicher hungrig. Bleibe bitte zum Essen, damit wir uns bedanken können für deine Großzügigkeit.“ Der Hüne blieb stehen. Er war tatsächlich sehr hungrig. Sein Blick fiel auf Waldo. Dieser schien nicht besonders glücklich über die Einladung zu sein, aber er kannte die Gebote der Gastfreundschaft und nickte zum Vorschlag seiner Frau. Später saßen sie in der Hütte am Tisch. Die Einrichtung der Hütte war praktisch angelegt, das Paar wirkte gut organisiert. Es gab einen Eintopf aus getrockneten Schwämmen, Kräutern und Rehfleisch. Waldo merkte an, dass er dieses Gericht nicht oft serviert bekäme. Er blickte misstrauisch auf Hilma, diese schien erhitzt vom Feuer. „Wir haben einen Gast.“ Waldo bemerkte, dass der Gast Eindruck auf seine Frau machte.

Der Hüne stellte sich als Rambod vor. Er lebte normalerweise als Einzelgänger und redete das Notwendigste mit den Menschen. Rambod gab nur kurze Antworten und erzählte nicht viel. Waldo gab sich verschlossener als sonst, dies glich Hilma aus. Sie redete fast ununterbrochen und erzählte von ihrem Weggang von den Cheruskern bis zur Ankunft im Land der Chatten. Waldo gefiel es nicht, dass sie alles erzählte, aber sie wollte dem Mann imponieren. Er verspürte Eifersucht, musste aber zugeben, dass Rambod trotz seines wilden Aussehens ein beeindruckender Mann war. Dieser hörte den Erzählungen Hilmas interessiert zu. Als sie einmal pausierte, wandte er sich an Waldo. „Sie redet gerne und kocht hervorragend. Dazu besitzt sie einen starken Willen.

Ich schätze, du hast es bisweilen schwer.“ Waldo lachte und stimmte ihm zu. Hilma sah den Hünen an und wollte etwas erwidern. Sie überlegte es sich, stand auf und schüttelte den Kopf. „Männer.“ Der Hüne lächelte, auch Waldo lachte. Das Eis war gebrochen, die Menschen fanden einen Kontakt zueinander. Waldo bot Rambod an, ihm bei der Einrichtung einer Unterkunft zu helfen, aber dieser winkte ab. Er wollte ursprünglich in seine Siedlung zurückkehren, wo er aufgewachsen war, und seine Geschwister lebten. Diese lag südlicher. Er wollte davor nur prüfen, ob seine Hütte noch stand.

Deswegen war er an diesen Ort gekommen. Jetzt wollte er eine neue errichten, aber erst im Frühjahr. Rambod verbrachte die Nacht in der Hütte, am nächsten Tag verschwand er nach dem Frühstück. Bevor er verschwand, fragte Hilma, ob er wiederkommen werde. Rambod zuckte mit den Schultern. „Das wird sich weisen, Hilma“, sagte er kurz angebunden, bevor er im Wald verschwand. Hilma blickte ihm hinterher. Waldos Augen verengten sich „Rambod gefällt dir wohl, liebe Hilma“, sagte er laut. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf und wandte sich an Waldo. „Bist du eifersüchtig?“, fragte sie. „Sollte ich es sein?“ Sie ging zu Waldo, umarmte und küsste ihn. „Ich gebe zu, er ist ein beeindruckender Mann, aber ich liebe dich und werde nie jemand anderen gehören“, sagte sie leise. „Beweise es“, sagte Waldo lächelnd. Hilma nahm ihn an der Hand und führte ihn in die Hütte. Auf dem Lager bewies sie sehr intensiv ihre Liebe zu Waldo. Sie verbrachten den Winter allein, manchmal besuchten sie die Siedlung, um sich Vorräte zu holen.

Waldo stellte Fallen auf und verkaufte Pelze. Das Leben blieb friedlich an der Visurgis. Sie wollten eine Familie gründen, aber es stellte sich kein Erfolg ein. Hilma war traurig, aber Waldo richtete sie auf. „Die Götter haben uns hierher geführt. Wenn sie nicht wollen, dass wir Kinder haben, dann soll es so sein. Ich liebe dich auch ohne Kinder“, sagte Waldo, obwohl er gerne Vater geworden wäre. Im Frühjahr erschien Hitto. Sie führten ein gutes Leben, nur die Kinder fehlten. Beide überlegten, ob sie in die Siedlung ziehen sollten. Herwald würde sie aufnehmen, aber Hilma entschied sich dagegen. Waldo wollte ebenfalls frei bleiben. Die Erlebnisse bei den Cheruskern wirkten nach. Anfang Sommer stand Rambod vor der Hütte. Hilma begrüßte ihn freundlich und freute sich sehr. Heimlich dachte sie manchmal an diesen faszinierenden Mann und fragte sich, wie es wäre, mit ihm zu schlafen. Waldo gab ihm die Hand und half Rambod, eine neue Hütte einzurichten. Diese stand nicht weit von ihnen entfernt. Waldo gefiel die Nähe nicht, als er die Reaktion seiner Frau sah. Er wollte dieses Problem klären und sprach Rambod offen auf die Sache an. „Du gefällst meiner Frau, Rambod. Aber es ist meine Frau“, sagte er kurz und blickte den Hünen in die Augen. Dieser nickte. „Hilma ist eine starke Frau, die Dir trotz Verbannung gefolgt ist. Du hast Glück. Sie gefällt mir, aber ich werde sie nicht anrühren.

Solche Dinge mache ich nicht.“ Waldo sah ihn an, der Hüne meinte es ehrlich. Rambod verheimlichte, dass er wegen Hilma zurückkehrte. Die blonde, blauäugige Cheruskerin ging ihm nicht aus dem Sinn. Er wollte in ihrer Nähe bleiben, um sie zu schützen. Auf den Flüssen trieben sich Banden herum, die einzelne Häuser überfielen. In den nächsten Jahren wurde die Hütte ständig erweitert, auch Rambod baute seine Unterkunft aus. Zeitweise blieb er über Monate verschwunden. Er gab nach seiner Rückkehr keine Informationen über seinen Aufenthaltsort preis. Herwald erzählte, dass Rambod germanische Händler begleitete, die in das Imperium fuhren, um zu tauschen und zu kaufen. Diese kamen auch in die Siedlung. Waldo verkaufte seine Pelze. Er war ein geschickter Fallensteller. Doch über dem glücklichen Leben lag ein Schatten, es wollten sich keine Kinder einstellen, keiner kannte die Gründe. Hilma besuchte eine Frau, die sich auf Kräuter verstand und über Zauberkräfte verfügte. Vorerst halfen die Rezepturen der Heilerin nicht, aber im Herbst des Jahres 90 kündigte ein leichtes Bäuchlein von Hilma an, dass die jahrelangen Bemühungen von Erfolg gekrönt wurden. Mitte März des nächsten Jahres kam das erste Kind von Hilma und Waldo zur Welt. Eine kundige Frau erschien und half bei der Geburt. Hilma gebar ein gesundes Mädchen. Es besaß dieselben blonden Haare wie die Mutter. Hilma war erschöpft und überglücklich. Waldo strahlte, seine Freude war ihm anzusehen. Ein unglaublicher Stolz über seine Tochter und seine Frau erfüllte ihn. Der Bann schien gebrochen. Sie nannten ihre Tochter Eila. Die Leute aus der Siedlung erschienen, um das Kind zu begutachten. In diesen Zeiten tauchte Rambod auf und beglückwünschte beide zur Geburt ihrer Tochter. Hitto erschien mit Geschenken, seine Frau und seine Söhne begleiteten ihn diesmal. Hilmas Mutter wirkte distanziert. Im folgenden Jahr genoss die Familie ihr Glück. Die kleine Tochter war eine Quelle der Freude, der Stolz und die Freude des Vaters wuchs mit jedem Tag. Hilma lächelte manchmal ob des Verhaltens von Waldo, aber er war vernarrt in seine kleine Tochter. Im Frühjahr des nächsten Jahres streifte er durch den Wald und prüfte seine Fallen. Die Hütte lag weiter entfernt. Hilma begleitete ihn nicht mehr und blieb zu Hause bei der Kleinen. Waldo schützte die Hütte mit einem Zaun aus Dornendickicht und Ästen, um das Kind vor Tieren zu schützen. Es herrschte ein schöner Frühlingstag, es gab Schneereste, aber das Frühjahr war zu spüren. Waldo genoss die wärmenden Sonnenstrahlen. Er blieb aber vorsichtig, denn ein Wald barg Gefahren, die vor allem von Menschen ausgingen. Er erinnerte sich an eine kleine Gruppe von heruntergekommenen Cheruskern, die sich dem Haus in räuberischer Absicht näherten. Rambod bemerkte sie rechtzeitig, gemeinsam machten sie den Angreifern den Garaus. Keiner der vier Cherusker überlebte, wobei Rambod drei erledigte. Sie entledigten sich der Toten im Fluss, nachdem sie diesen Waffen und Schmuck abnahmen.

An diesem schönen Frühlingstag ging die Gefahr aber nicht von Menschen aus. Er traf auf einen riesigen Braunbären, der sich zornig vor ihm aufrichtete. Waldo richtete den Wurfspieß auf den Bären, in der Umgebung befanden sich keine anderen Menschen. Ruhig sprach er auf das Tier ein, obwohl er sehr angespannt war. Der Bär hatte Hunger. Anscheinend machte er sich über ein Reh her, dass in Waldos Falle gefangen war. Der Bär fühlte sich in seiner Mahlzeit gestört. Waldo wich langsam zurück, um aus der Gefahrenzone zu kommen, aber plötzlich griff der Bär an. Obwohl er vom Wurfspieß getroffen wurde, fegte er Waldo mit einem mächtigen Prankenhieb von der Stelle. Dieser fiel zur Seite, seine Schulter wurde komplett aufgerissen. Ein großer Schwerz durchzuckte seinen Körper. Trotzdem sprang er auf. Er dachte an seine kleine Tochter, als er sein Schwert zog. Plötzlich standen Tränen in seinen Augen. Der Bär griff wieder an, das Schwert bohrte sich in dessen Körper, aber ein Hieb mit der mächtigen Pranke traf Waldos Kopf. Dunkelheit umfing ihn. Der Bär wurde schwer verwundet. Er beachtete den bewusstlosen Waldo nicht mehr und schleppte sich weiter. Das Gebrüll des verwundeten Bären hörte Rambod, der sich in einiger Entfernung im Wald bewegte. Er wollte der Sache auf den Grund gehen, dachte nicht an Waldo. Als er ankam, hörte er den Bären schnaufen, das Schwert traf diesen tödlich, er lag in seinen letzten Zügen.

Rambod erkannte das Schwert im Körper des Bären und beendete dessen Leben mit einem Stich in das Herz. Er suchte nach Waldo. Der Ort des Kampfes lag ein Stück entfernt. Er fand Waldo, sein Gesicht war unkenntlich, seine linke Schulter wurde durch den Angriff des Bären zerstört. Rambod dachte, er wäre tot. Als er ihn berührte, schreckte Waldo auf, als wenn er auf ihn gewartet hätte. Der Hüne verstand ihn fast nicht, aber irgendwie brachte Waldo trotz des Blutverlustes die Kraft auf, ihm etwas mitzuteilen. „Du musst auf Hilma und Eila achten“, sagte Waldo kaum verständlich, seine Hände packten den Arm des Hünen. Rambod nickte.

Plötzlich glaubte er ein Lächeln in Waldos Gesicht zu erkennen, dann erloschen die Lichter in den Augen. Er legte den Toten behutsam auf den Waldboden. Waldos Tod ging ihm nahe. Ein großer Kämpfer war gestorben, nicht jeder hätte einen Bären getötet. Rambod dachte an Hilma und die kleine, einjährige Eila. Er würde sich an das Versprechen halten, aber Hilma musste entscheiden. Er wickelte den Toten in eine Decke und lud ihn sich über die Schulter. Waldo war ein guter Freund geworden, obwohl Rambod selten Menschen an sich heranließ. Er trug eine schwere Last auf den Schultern und musste rasten, aber er wollte den Toten nach Hause bringen. Wenn er ihn zurückließ und Hilfe holte, würden wilde Tiere sich daran zu schaffen machen. Er erwies einen guten Menschen den letzten Respekt. Als er am Haus anlangte, legte er den Toten behutsam auf den Boden. Er wollte es Hilma sagen, die sich innen befand. Als er aufblickte, stand sie in der Tür. Sie grüßte, aber dann sah sie den Toten und erkannte ihn sofort. Die Hand ging zum Mund, dann lief sie zu Waldo und nahm seinen Kopf in die Hände.

Sie weinte, der Körper wurde durch ein heftiges Zucken erschüttert. Rambod wollte sie trösten, aber er verstand sich nicht auf solche Dinge. Lange saß Hilma bei Waldo, das Weinen hörte auf. Rambod sah sich um, die Kleine war nicht zu sehen. Plötzlich hörte er Hilmas Stimme. „Eila schläft. Sie soll ihren Vater nicht so sehen.“ Eine Bitte lag in ihrem Blick.

Rambod nickte. Er legte den Toten in einen Anbau, den Hilma verschloss. „Ich werde die Leute von der Siedlung holen. Kommst du allein klar?“, fragte er Hilma. Sie nickte und Rambod verschwand. Bald darauf erwachte Eila, die nach ihrem Vater fragte, was Hilma die Tränen in die Augen trieb.

Sie würde es ihr später erklären, dass Waldo nicht mehr kam.

Später erschienen die Leute aus der Siedlung, eine Frau kümmerte sich um Hilma. Die kleine Eila verstand die Aufregung nicht, aber die Anwesenheit vieler Menschen gefiel ihr. Die Männer nahmen den Toten und brachten ihn weg. Am nächsten Tag wurde Waldos Leichnam verbrannt. Eila verbrachte diese Zeit in der Obhut einer Frau aus der Siedlung.

Hilma stand am Feuer, Rambod hinter ihr. Als das Feuer niederbrannte, wurden die Asche und die Überreste gesammelt und im Wald an einer markanten Stelle vergraben, sein Schwert wurde beigelegt. Schweigend entfernten sich die Menschen aus Respekt vor dem Toten und den Göttern. In den nächsten Wochen passierte nicht viel. Hilma erklärte ihrer Tochter, dass ihr Vater nicht wiederkomme, da er zu den funkelnden Lichtern am Himmel geflogen sei, um auf sie beide ewig aufzupassen. Die Kleine begann zu weinen, als sie davon hörte, aber Hilma zeigte ihr ein Gestirn, das den Vater symbolisieren sollte. Gebannt schaute Eila hoch und zeigte mit ihren kleinen Armen nach oben. Hilma konnte die Tränen nicht unterdrücken, der innere Schmerz über den Verlust Waldos beherrschte ihr Innenleben. Rambod befand sich ständig in ihrer Nähe und half bei allen Tätigkeiten. Sie empfand Dankbarkeit für die Hilfe. In diesen Tagen tauchte Hitto auf. Er drängte Hilma, entweder in die Siedlung oder in ihr Heimatdorf zu ziehen, aber sie wollte ihr Haus nicht aufgeben. Hitto hielt sich vorerst zurück, aber er wollte seine Tochter und seine Enkelin in Sicherheit wissen. Rambod hörte den Gesprächen zu. Er erhob seine Stimme und erzählte vom Auffinden Waldos und seinem Versprechen.

„Wenn Hilma will, soll sie in ihrem Haus bleiben. Ich werde mein Versprechen halten, das ich meinem Freund gegeben habe und werde auf beide aufpassen, ohne ihr nahezutreten.

Sie soll entscheiden“, sprach er mit seiner tiefen Stimme.

Rambods Meinung zählte bei den Chatten. Hitto blickte den Hünen an. Der Grund für Rambods Angebot lag vermutlich tiefer. Dieser Chatte war ein bemerkenswerter Mann, er konnte seine Tochter schützen. Möglicherweise kehrte sie zu den Cheruskern zurück. Hitto erteilte seine Zustimmung, Herwald gefiel der Vorschlag. Hilma sagte nichts. Alle sahen sie an, aber sie nahm ihre Tochter und ging in Richtung ihres Hauses. Rambod nickte den Leuten zu und folgte den beiden. Interessierte Blicke folgten Rambod. Hitto schloss zu der Gruppe auf. Im Haus schlug er noch einmal vor, gemeinsam zu den Cherusker zurückzukehren. „Rambod wird auf uns aufpassen, wie er es versprochen hat. Wenn es nicht funktioniert, werde ich in die Siedlung gehen. Ich bin Teil der Chatten geworden, Vater, eine Rückkehr zu den Cheruskern wird nicht stattfinden.“ Hitto nahm dies zur Kenntnis und beschäftigte sich anschließend mit seiner Enkelin. Als er zwei Tage später nach Hause aufbrach, saßen Rambod, Hilma und Eila am Tisch. Eila spielte mit den Haaren des Hünen. Er ließ es sich gefallen, sie mochte den großen Mann.

Hilma sah ihn offen an. „Ich habe Waldo geliebt, obwohl ich manchmal an dich denken musste. Es ist gut, dass du auf uns aufpasst, wir brauchen einen männlichen Schutz. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder einen Mann gehören will. Du musst das erfahren, Rambod.“ Dieser nickte, es war alles besprochen. Rambod baute in den nächsten Wochen den Anbau an das Haus zu einem eigenen Raum um. Er wollte in der Nähe der beiden sein. Eila gewöhnte sich an den rothaarigen Hünen, sie spielte gerne mit seinen Haaren. Einmal wurden ihre kleinen Hände davon rot. Sie lachte und zeigte die Hände ihrer Mutter. Plötzlich lachte Hilma und sagte zu Rambod:“ Du verlierst deine Haarfarbe. Welche Farbe hast du tatsächlich?“ Er antwortete, dass seine Haarfarbe braun sei. In den nächsten Monaten trauerte Hilma um ihren verstorbenen Mann. Waldos Geschichte vom Kampf mit Bären wurde unter den Chatten weitererzählt. Viele empfanden großen Respekt vor dem Bärentöter. Das Fell des Bären lag im Haus von Hilma, das Fleisch war aufgeteilt worden. Nur der Kopf des Bären lag zusammen mit den Überresten Waldos und dem Schwert in dessen Grab. Eila fragte manchmal nach ihrem Vater, dann zeigte Hilma zum Nachthimmel.

Das Leben gestaltete sich anders nach Waldos Tod, aber Hilma und Eila gewöhnten sich an Rambod. Er versorgte sie und nahm die Rolle von Waldo ein. Eines Abends standen Rambod und Hilma vor der Tür, die Kleine schlief bereits. „Ich habe Waldo geliebt und er wird immer ein Teil von mir sein, aber das Leben geht weiter. Mein Dank gilt Dir, Rambod, du hast dein Versprechen gehalten.“ Sie hielt inne, sah ihn an und nahm seine riesige Hand. „Ich will nicht mehr trauern, sondern leben und ich will Dir gehören, Rambod.“

Dieser nickte lächelnd. Gemeinsam betraten sie das Haus.

Wie selbstverständlich kam Hilma in seine Arme, dieser umarmte und küsste sie zärtlich, der Bart störte nicht. Rambod bewies Hilma, wie sehr er sie seit langem liebte. Diese gab sich nach anfänglicher Unsicherheit ihrer Leidenschaft hin, dieser Mann war eine Urgewalt. Am Ende dieser Nacht waren sie ein Paar geworden. Dies merkte die kleine Eila am nächsten Tag. Hilma erklärte ihr, dass Rambod ihr neuer Vater sei. Diese hielt diese Idee für gut, sie mochte Rambod.

Die Leute in der Siedlung wurden informiert und fanden die Neuigkeit gut, eine Frau brauchte einen Mann. Die nächsten Wochen gestalteten sich sehr liebesintensiv für das neue Paar. Zwei Monate später verspürte Hilma in ihrem Körper den Beweis ihrer Leidenschaft. Sie freute sich über das Kind und blickte zum Himmel. Waldo würde es gutheißen. Hitto erschien und freute sich über die gute Nachricht. Rambod und Hilma schlossen den Bund der Ehe und wurden in die Gemeinschaft der Chattensiedlung aufgenommen. Mitte October 93 gebar Hilma einen Sohn, der den Namen Falk erhielt. Mit andächtigem Blick hielt Rambod seinen kleinen, schreienden Sohn in seinen Händen. Er blickte mit Stolz auf seine schweißgebadete, junge Frau nieder, die ihn glücklich anlächelte. Eila stand mit ihren zwei Jahren neben dem Lager ihrer Mutter und betrachtete ihren kleinen Bruder aufmerksam. Sie stellte einige Fragen, was die Eltern schmunzeln ließ. Der darauffolgende Winter wurde härter als sonst. Es herrschten eisige Temperaturen, aber die kleine Familie war gut versorgt. Sie wollten in ihrem Haus bleiben, ein Umzug in die Siedlung wurde verworfen. Rambod gefiel sich immer mehr in der Vaterrolle, aus dem Einzelgänger wurde ein Familienmensch. Dies war Hilma zu verdanken, sie zähmte den wilden Krieger. Am Todestag von Waldo wurde zu den Göttern gesprochen. Eila konnte sich nicht an ihren leiblichen Vater erinnern, Rambod war nun ihr Vater. Nur die Geschichte mit den funkelnden Lichter am Nachthimmel vergaß sie nicht. Rambod nahm sie ständig in den Wald mit. Er lehrte den Kindern alles, was sie für das Überleben im Wald und in der Natur brauchten. Hilma liebte den wilden Krieger.

Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Schon damals beeindruckte er sie. Hilma würde Waldo nie vergessen. Sie war dankbar, dass sie mit zwei besonderen Männern ihr Leben verbringen durfte. Sowohl Waldo als auch Rambod respektierten ihre Meinung als gleichwertig. Das Glück der Familie wurde größer, als Hilma Ende des nächsten Jahres wieder schwanger wurde. Zwei Monate vor der Geburt des Kindes stürzte sie im Wald und verletzte sich schwer am Bauch. Es ging ihr sehr schlecht, sie bekam Fieber und Schüttelkrämpfe. Rambod saß Tag und Nacht am Bett seiner Frau.