Via Fortuna II - Joe Valdez - E-Book

Via Fortuna II E-Book

Joe Valdez

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Beschreibung

Alana und Marcos verlassen ihre Heimat in der sarmatischen Steppe. Sie begeben sich auf eine Reise, um das Versprechen an ihre Großmütter zu erfüllen, die Wurzeln ihrer Ahnen in Germania und im römischen Imperium zu suchen. Die Lust auf Abenteuer und das Gefühl der Freiheit stärken ihren Zusammenhalt. Auf ihrer Reise kommt es zu schicksalshaften Begegnungen. Mit Freunden erreichen sie das Land der Cherusker. Am Ziel ihrer Reise erleben sie eine böse Überraschung

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Kapitel

I.

Iuli 77 bis September 80

II.

September 80 bis November 83

III.

December 83 bis April 84

IV.

April 84 bis August 84

V.

September 84 bis Mai 85

VI.

Iuni 85 bis August 86

VII.

September 86 bis December 87

I. Iuli 77 bis September 80

Es war heiß an diesem Tag an den Ufern des Flusses Tyras. Marcos, ein vierzehnjähriger junger Mann, saß im Schatten eines Baumes und döste vor sich hin. Sein Pferd stand angeleint daneben. Er träumte von Abenteuern in fernen Ländern, wollte Krieger werden und etwas erleben. Derzeit war es langweilig, den ganzen Tag Pferde hüten und putzen. Er war der Jüngste und der Umtriebigste der Familie, seine Pflichten lösten keine Begeisterung aus. Deshalb war er heute weggeritten, seine Geschwister passten auf die Pferdeherde auf. Dies war sicher nicht im Sinne seines Vaters Valerius, ein strenger Mann, der darauf achtete, dass jedes Familienmitglied die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft erfüllte. Marcos absolvierte diese widerwillig, deshalb wurde er vom Vater immer wieder bestraft, aber es machte ihm nichts aus. Er verstand ihn, aber er wollte mehr von der Welt sehen.

Es gab viele Geschichten aus der Welt, umherziehende Händler erzählten von anderen Völkern und Menschen. Im Süden lag die Grenze zum Römischen Imperium. Der Fluss Danuvius markierte diese, dahinter lag ein Gebiet, dass die Römer Mösia nannten. Der Einflussbereich der Römer erstreckte sich die Küste des Pontus Euxinus hinauf. Sie kontrollierten die Küsten und die Städte. Die Hauptstadt Rom sollte so groß sein, dass sie nur von einem hohen Berg einigermaßen zu überblicken war, alles sollte in Gold gehalten sein, gepflasterte Straßen überall. Marcos wollte diese Stadt sehen. Er mochte seine Steppe, aber es war nichts los, bis auf gelegentliche Überfälle. Derzeit herrschte Ruhe in den Gebieten der Roxolanen. Sie mussten trotzdem immer darauf achten, dass Krieger von anderen Sippen und Stämmen nicht ihre Pferde stahlen. Diese stellten den Reichtum der jeweiligen Familie und Sippe dar. Das Land war riesig und bot vielen Menschen Platz. Diesen benötigten sie, denn sie zogen wandernd mit ihrer Pferdeherde und ihren Zelten von einem Lager zum nächsten. Diese befanden sich jahreszeitgemäß oft an den gleichen Plätzen. Grundsätzlich wurden die Gebiete der jeweiligen Sippe respektiert, aber die Roxolanen waren wilde Steppenkrieger, die gelegentlich untereinander Krieg führten. Man schrieb das Jahr 77 nach Christus, die bekannte Welt wurde regiert vom römischen Imperium, das sich mit „S.P.Q.R“ bezeichnete, was hieß „Senatus Populesque Romanus“, der Senat und das Volk von Rom. Marcos hatte viel von den Römern gehört. Sie versuchten ständig, andere Völker zu unterwerfen. Bis jetzt hatten sie es nicht geschafft, die Roxolanen zu besiegen. Im Gegenteil, erst vor einigen Jahren überschritten neuntausend Krieger der Roxolanen und der mit ihnen verbündeten Bastarnen und Daker den Danuvius, vernichteten eine römische Legion und machten reiche Beute. Die älteren Brüder von Marcos waren dabei gewesen und erzählten, dass die römischen Soldaten umfielen wie Holzpuppen, als sie mit ihren langen Lanzen in die Formation der Römer einbrachen. Die Roxolanen waren ein Königsstamm der Sarmaten, wie die Jazygen und Urgoi.

Marcos kannte Angehörige der Jazygen, die weiter westlich lebten, gemeinsam mit den Dakern oder noch weiter entfernt. Er wusste es nicht genau. Viele Stämme der Sarmaten lebten östlich der Roxolanen, an den Ufern des Mare Caspium und an den Hängen des Caucasi domui latus, einem hohen Gebirge, dass die Grenze zum Reich der Parther darstellte. Daneben befand sich das Gebiet der Römer. An den Küsten des großen Meeres Pontus Euxinus lag die Heimat vieler Stämme, die eine ähnliche Sprache sprachen.

Diese wurden unter dem Begriff Sarmaten zusammengefasst, daneben gab es die Skoloten oder Skythen, es sollte noch Amazonen geben. Diese bestanden ausschließlich aus Frauen, die von Königinnen regiert wurden. Angeblich entstammten die sarmatischen Stämme aus diesen beiden uralten Kriegervölkern. Die Lebensweise hatte sich nicht geändert, sie sprachen ähnlich, nur die Dialekte unterschieden sich. Marcos hörte vor einiger Zeit einen Mann sprechen, der vom Stamme der Skythen von der Halbinsel Tauris stammte.

Der Mann war nicht zu verstehen, dieses Kauderwelsch war nichts für Marcos. Er interessierte sich nicht für den Osten.

Das Gebiet zwischen den Flüssen Tyras und Borytenes kannte er und war oft an den Gestaden des Pontus Euxinus gewesen, aber alles östlich des bekannten Meeres war fremd für ihn. Nach dem Mare Caspium sollte es weit entfernt im Osten ein mächtiges Königreich geben, dass der Serer. Diese stellten die begehrte Seide her, die auch von den Römern geschätzt wurde. Der Handel erfolgte über die Via Sericum.

Der Weg in das Königreich der Serer war weit und voller Gefahren, wilde Völker säumten den Weg in das mysteriöse Reich Sina des Volkes der Serer. Ein Onkel von Marcos wollte die Straße erkunden und war vor langer Zeit mit einigen Kriegern aufgebrochen. Nach einem Jahr war nur einer der Krieger zurückgekommen. Er erzählte von einem schrecklichen Kampf gegen einen Stamm, der von den Serer als Xiongnu bezeichnet wurde und bekannt war als die Hunnen. Der Krieger überlebte als Einziger, wurde längere Zeit als Sklave gehalten und konnte schließlich flüchten. Er erzählte, dass er ohne Pause durchgeritten war. Marcos lächelte und dachte, der Mann hatte stark übertrieben. Die Kundschafter waren nicht in das Reich der Serer gekommen, der Überlebende traf im Lager der Hunnen Sklaven, die aus Sina stammten. Es waren kleinere Menschen, die schmale Augen besaßen und über eine hellere Hautfarbe verfügten. Marcos wollte Richtung Westen aufbrechen, eher südwestlich an das Mare Nostrum, wie die Römer das riesige Meer nannten. Angeblich umspannte das Imperium das ganze Mare Nostrum.

Bei seinen Besuchen an den Ufern des Pontus Euxinus überkam ihn immer eine Sehnsucht, am liebsten wäre er auf ein Schiff gestiegen und durch den Hellespontus zum Mare Nostrum gesegelt. Dort lag die Welt der Römer und Griechen, zivilisierte Völker, die andere von oben herab behandelten. Er wollte wissen, wie sie wirklich waren und noch viel mehr. Außerdem gab es im Westen die germanischen Stämme, seine Familie entstammte von dort. Marcos mochte seine Heimat und er wollte unbedingt zurückkehren, aber zuerst wollte er die Welt sehen, bevor er eine Familie gründete, wie die meisten seiner Geschwister. Die Weite seiner heimatlichen Steppe war herrlich, das ewige Reiten, die Freiheit, die er dabei spürte. Er konnte sehr gut reiten, alle in seinem Stamm konnten dies. Die Roxolanen waren ein Reitervolk. Er liebte es zu kämpfen, mit dem Schwert, mit dem Dolch oder den Reflexbogen. In naher Zukunft durfte er mit der nächsten Horde mitreiten, um Kampferfahrung zu erhalten und im römischen Reich Beute zu machen. Dies hatte sein Vater versprochen, der ihn im Kampf ausgebildete.

Auch seine älteren Brüdern und Männer anderer Sippen unterrichteten Marcos in diversen Kampftechniken. Marcos lernte sehr schnell, war talentierter als die meisten Männer und Frauen. Teilweise gab es Kriegerinnen, vor allem in den früheren Jahren des Stammes, dies änderte sich langsam. Die schweren Lanzen für einen Angriff eigneten sich eher für Männer. Doch es gab Kriegerinnen, vor allem bei den Skythen. Marcos schlief ein. Die vielen Gedanken ermüdeten ihn und die angenehme Luft am Fluss tat ihr Übriges. Er sah sich als Krieger mit goldenem Schuppenpanzer und Skeletthelm, wie er schwertschwingend die Römer vor sich hertrieb, dann wurde es finster. Er wurde durch einen Schrei geweckt und schreckte aus seinem Schlaf hoch. Ein helles Lachen erschallte. Marcos griff sich an den Kopf. Alana, seine langjährige Freundin, war gekommen. Sie entstammte einer anderen Familie und lebte nicht weit entfernt vom Gebiet seiner Sippe. Seit Kindertagen waren sie befreundet, trafen sich auf Festen und in der Steppe. Alana war wilder als er, trug Hosen, war eine echte Rebellin und ließ sich nichts gefallen. Sie waren Freunde, stritten und diskutierten aber ständig, in den langen Jahren trugen sie viele Kämpfe aus. Alana war schneller und in Kindertagen überlegen gewesen. Dies änderte sich mit zunehmenden Alter, aber Alana beherrschte alle Waffen, sie war sehr geschickt. Da sie wie Marcos dachte, übten sie oft mit den Schwertern, Geschenke ihrer Väter. Ragin, der Vater von Alana, erlaubte seiner Tochter, das Kämpfen zu erlernen, da sie es unbedingt wollte. Alana war sein Liebling, denn sie war das einzige Kind mit seiner ersten Frau Haiba.

Diese war bei Alanas Geburt gestorben. Danach nahm sich Ragin Uma zur Frau, diese entstammte einer roxolanischen Sippe. Haiba war ein Nachkomme der drei ursprünglichen Familien, die aus dem Westen an den Pontus kamen, um hier zu siedeln. Alana war in direkter Linie Nachfahrin eines Markomannen und einer Gallierin. Marcos wiederum war der Nachkomme eines Markomannen und einer Sarmatin. Sein Vater hieß Valerius, seine Mutter Aska. Alana stand vor ihm, sie war ein halbes Jahr jünger als er. Die Kindheitstage schienen vorbei, beide befanden sich in einem Alter, in dem sie sich für das andere Geschlecht interessierten. Sie war rothaarig, ihr Körper wies bereits alle weiblichen Formen auf, die sie für einen Mann begehrenswert machte. Marcos stand auf, er war größer als sie. Alana überragte eine durchschnittliche Sarmatin und Römerin. Die germanischen Wurzeln schlugen bei beiden durch, sie waren bereits so groß wie die größten ihrer Geschwister. „Hast du von mir geträumt?“, fragte sie provokant und reckte ihr Kinn vor. Er schüttelte den Kopf.

„Wie kommst du auf so einen Unsinn?“ Alana lächelte „Du magst mich, ich weiß das, mein Junge.“ In letzter Zeit drückte sich Alana provokanter aus, es ging immer in die gleiche Richtung. Er wollte dies nicht. Sie gefiel ihm besser als alle anderen Mädchen, aber sie waren Freunde von Kindesbeinen an. Die Situation hatte sich verändert. Er mochte es mit ihr zu kämpfen und zu reiten, aber sie wollte anscheinend schon etwas anderes. Marcos wusste Bescheid, letzten Sommer hatte er ein Mädchen geküsst, aber mehr war nicht gewesen. Die Schuld lag bei Alana, die sich einmischte und das andere Mädchen schlug. Anscheinend war sie eifersüchtig. „Hast du wieder von deinen Heldentaten geträumt?“ Alanas Frage klang ruhig. Sie kannte seine Gedanken und Träume und hatte ähnliche, auch sie wollte die Welt sehen.

Er zuckte mit den Schultern. „Demnächst werde ich Teil einer großen Kriegerhorde sein, die in Mösia einfällt, um Beute zu machen. Vielleicht nehme ich Dir ein goldenes Armband mit.“ Sie sah ihn an, die Augen zeigten ihren Ärger. „Du brauchst mir nichts mitzunehmen. Ich besorge es mir selbst, ich brauche keinen Mann dazu. Bei unseren Stämmen gab es Kriegerinnen und ich bin eine.“ Marcos lächelte.

„Die Zahl der Kriegerinnen schrumpft. Vermutlich sind Frauen die Kriegslanzen zu schwer.“ Alana fuhr ihn an. „Die Amazonen haben bewiesen, dass Frauen Männern gleichwertig sind im Kampf. Penthesilea war die größte Kriegerin.“

Marcos entgegnete, dass diese schlussendlich von einem Mann besiegt wurde, nämlich den größten aller griechischen Helden neben Herakles, Achilles. Sie kannten die alten Heldengeschichten der Griechen, in ihren beiden Familien wurden die alten Geschichten erzählt. Beide sprachen Latein und ein wenig Griechisch, Latein konnten sie teilweise schreiben.

Diese Ansprüche wurden in ihren beiden Sippen hochgehalten, alle anderen verwandten Sippen hatten sich zu Nomaden entwickelt, die keine Schrift kannten. Dies war auf die Geschichte ihrer beiden Familien zurückzuführen, deren Ursprung auf germanische und keltische Wurzeln zurückführte.

Vor langer Zeit waren drei Familien an die Ufer des Pontus Euxinus gekommen, um hier zu siedeln. Der Anführer hieß Marcus Valerius, dessen Vater Römer gewesen war. Sie kannten die Geschichten aus der damaligen Zeit. Alana und Marcus zeigten großes Interesse, im Gegensatz zu den anderen Familienmitgliedern. Deshalb war ihnen auch das Erlernen des Schreibens sehr wichtig. Es gab zwei alte Frauen, die von den alten Zeiten erzählten. Sie waren hochangesehen und lebten in einem Zelt am Ufer des Pontus Euxinus.

Marcos und Alana besuchten diese oft. Sie mochten die Geschichten. Dies hatte ihr Interesse an der Welt der Römer, Griechen, Germanen und Kelten geweckt. Alana nahm einen Holzstab in die Hand und zeigte auf ihn. „Kämpfe, du großspuriger Mann. Du kennst die Geschichten der beiden alten Frauen, sie haben gekämpft wie Männer. Die Sarmaten blicken auf eine lange Geschichte großer Kriegerinnen zurück und sind Abkömmlinge der Amazonen!“ Marcos schüttelte den Kopf, in ihm war die Kampfeslust geweckt. „Die Amazonen wohnten, wenn es sie überhaupt gab, im Süden an der Küste des Pontus Euxinus. Es weiß keiner, ob es diese Penthesilea gegeben hat. Vielleicht ist sie nur eine Erfindung der Griechen.“ Sie sah ihn zornig an. „Du hast leider keine Ahnung, wie alle Männer. Penthesilea, ihre zwölf Gefährtinnen und das Heer der Amazonen hätten die Schlacht für Troja gewonnen, wenn die Götter nicht eingegriffen hätten!“ Sie standen sich gegenüber, beide besaßen einen kurzen Holzstab und benutzten diesen als Schwertersatz. Alana war schnell, immer wieder traf sie ihn. Sie lächelte. „Bist du schon müde, großer Krieger“, fragte sie verächtlich. Dies spornte Marcos an, beide schlugen wild aufeinander ein, die Gemüter waren erhitzt. Marcos fiel und Alana stand vor ihm. Sie zeigte mit dem Stab auf ihn und lächelte herablassend. Marcos zog an ihren Stab und fällte sie mit seinem linken Bein. Bevor sie reagieren konnte, war er über ihr, den Holzstab warf er zur Seite. Zornig schlug sie ihn ins Gesicht. Er hielt ihre Arme, aber sie war nicht zu bändigen. Beide waren erhitzt, Marcos spürte die weiblichen Formen von Alana. Er bemerkte die Härte zwischen seinen Beinen, Alana ebenfalls. Sie wurde ruhiger, sah ihn an. Es war erregend. Alana ergriff das Gesetz des Handelns und legte ihre Arme um seinen Kopf. Sie küssten sich das erste Mal, zuerst zaghaft, dann immer länger.

Marcos war hocherregt, Alana seufzte. „Ich will es mit Dir machen und will nicht, dass du mit anderen Mädchen rummachst.“ Bevor sie weitermachen konnten, hörten sie in der Ferne Hufschlag. Sie trennten sich schnell und versteckten sich mit ihren Pferden. In der Ferne war ein Reitertrupp zu sehen. Es handelte sich um ein paar junge Männer, vermutlich Angehörige einer anderen Sippe. Alana und Marcos waren misstrauisch und blieben in ihrem Versteck. Bald darauf verschwand der Trupp. Alana und Marcos sahen sich an.

„Wie geht es weiter, mein Freund.“ Sie lächelte, dann küssten sie sich. Es war natürlich, sie mochten sich und kannten einander lange. Eigentlich waren sie füreinander geschaffen.

Wieder wurden sie gestört, denn der Trupp junger Männer, es waren vier, hielt aus einer anderen Richtung auf sie zu.

Offensichtlich waren sie bemerkt worden und die Männer beabsichtigten etwas, was sie beide betraf, anscheinend nichts Gutes. Marcos dachte an Alana. Es konnte sein, dass sie diese mitnahmen, das war alles schon vorgekommen. Sie sahen sich an und wussten, was sie zu tun hatten. Beide saßen mit einem Sprung auf ihren Pferden, jetzt gab es ein Wettrennen. Sie verfügten über gute Pferde, ebenso wie ihre Verfolger. Marcos und Alana bewiesen, was sie für Fähigkeiten besaßen. Tief lagen sie über den Hälsen ihrer Pferde, die Beine an den Körper der Pferde gepresst, der Sattel besaß keine Steigbügel. Die beiden Familien waren bekannt für ihre Pferdezucht. Das Rennen ging über eine Stunde, danach verloren sie den Trupp aus den Augen. Die Verfolger fielen weit zurück. Sie ließen die Pferde langsamer laufen, anschließend kehrten sie zum Fluss zurück, um zu trinken und zu rasten.

Marcos wollte weitermachen, aber Alana schlug ihn auf die Hand. „Was ist los mit Dir? Wie kannst du in so einem Moment daran denken?“ Sie blickte ihn zornig an. Er kannte sich nicht mehr aus, vorher wollte sie, jetzt wollte sie nicht mehr. Marcos sah keinen Unterschied, sie waren ihren Verfolgern entkommen. Alana stand auf, setzte sich auf ihr Pferd. Marcos folgte ihrem Beispiel. Er fragte, ob er sie zu ihrer Sippe begleiten sollte. Alana schüttelte ärgerlich den Kopf. „Natürlich muss eine Frau nach Hause begleitet werden, weil sie sich nicht helfen kann. Wie könnten Männer anders denken!“ Marcos sah sie an, momentan wusste er nicht weiter, die Situation war neu für ihn. Sie wollte anreiten, aber sie überlegte es sich noch einmal und kam mit ihren Pferd nahe an seines heran. Dann zog sie seinen Kopf herüber und küsste ihn kurz. Als sie sich abwandte und weg ritt, rief sie noch:“ Sei froh, dass du der einzige halbwegs interessante Typ bist in dieser Steppe. Wenn ich einen Besseren finde, bist du weg.“ Auf seine Frage, wann sie sich wiedersehen würden, bekam er nur „irgendwann“ zu hören. Er sah sie hinter einem flachen Hügel verschwinden und überlegte, ob er ihr folgen sollte. Vielleicht waren die Fremden noch unterwegs. Er schüttelte den Kopf. Alana konnte sich helfen, das gefiel ihm, sie war eine Kämpferin. In den nächsten Wochen sah er sie nicht, das war nicht neu, aufgrund der Entfernungen in der Steppe durchaus üblich. Sein Vater Valerius gab Marcos den Auftrag, den beiden alten Frauen etwas zu bringen. Die Familien versorgten die beiden Frauen mit allen notwendigen Vorräten. Eigentlich sollten sie bei ihren Familien sein, aber sie entschlossen sich vor langer Zeit, gemeinsam zu altern und getrennt von ihren Familien zu leben. Seitens der betroffenen Familien wurde auf die beiden Frauen geachtet und bei Festen wurden sie geholt. In den letzten Jahren waren sie selten Gäste bei den Festen. Marcos war lange nicht mehr bei ihnen gewesen. Für den Dreitagesritt zur Küste benötigte er eigenen Proviant. Einer seiner älteren Brüder sollte mitreiten, aber dieser lehnte ab, ihn interessierten die Frauen nicht. Seines Erachtens redeten diese zu viel, zudem glaubte er ihren Geschichten nicht. Sein derzeitiges Interesse lag an einer jungen Sarmatin, er befand sich auf Brautschau. Valerius fragte Marcos, ob er allein reiten wolle und wusste bereits vorher die Antwort. Sein jüngster Sohn war ein Träumer und mochte die Geschichten der alten Frauen. Valerius war länger nicht bei ihnen gewesen, obwohl eine davon seine Mutter war. Valerius kannte die Geschichten und wusste, dass sie stimmten. Marcos hatte seinen Großvater Marcus Valerius nicht mehr gekannt, dieser starb ein paar Jahre vor dessen Geburt. Er wurde in einem strengen Winter von Wölfen angegriffen. Diese fügten ihm schwere Wunden zu. Als sie ihn fanden, lag er auf seinem toten Pferd. Sieben tote Wölfe zeugten von einem schrecklichen Kampf. Von den Wunden bekam er Fieber, das ihn schließlich tötete. Er erhielt ein großes Begräbnis, ein Kurganhügel erinnerte an ihn. Marcus Valerius besaß die Stellung eines Fürsten, der sämtliche Sippen in diesem Bereich anführte. Er wurde im ganzen Stamm respektiert. Alle weinten um ihren Anführer, aber am längsten seine Frau Inka, die Mutter von Valerius. Seitdem hatte sie sich zurückgezogen und lebte auf ihren Wunsch mit ihrer Vertrauten in einem Zelt an der Küste. Valerius dachte oft an seine Mutter, er war der Jüngste von vier Kindern. Seine Geschwister lebten mit ihren Familien im Umkreis, einmal im Jahr trafen sie sich zu einem Fest. Der ältere Bruder Gerwin war Oberhaupt und Fürst im Stamme der Roxolanen. Derzeit gab es keinen König, nur zu Kriegszeiten wurde jemand bestimmt, es gab viele Anwärter. Valerius selbst zählte mittlerweile fast fünfzig Jahre. Sein Leben verlief glücklich, auch die anderen Kinder schienen zufrieden. Sie lebten als wandernde Nomaden und verließen die Steppe nur, wenn sie auf Kriegszüge gingen. Er war Teil des Raubzugs des Stammes in das Römische Imperium vor einigen Jahren. Es war das letzte Mal gewesen. Valerius trug römisches Blut in seinen Adern, die Roxolanen hatten mit ihren gepanzerten Reitern wild gewütet unter den Legionären und normalen Bürgern. Marcos war sein Liebling. Er müsste strenger mit ihm sein, aber sein Sohn erinnerte ihn an seinen eigenen Vater. Das Aussehen und die Größe war ähnlich. Marcos erbte die Unruhe und das Leichtfertige, dass seinen Großvater auszeichnete, bevor er seine zukünftige Frau traf. Valerius vermisste seinen Vater. Er war eine starke Persönlichkeit mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gewesen, der ihm viel gelehrt hatte. Bis ins hohe Alter blieb er ein guter Kämpfer. Valerius lernte als Kind den legendären Kämpfer Awen kennen, seinen Großvater. Dessen Frau Ada war die Mutter von Inka, der Frau von Marcus Valerius. Valerius konnte sich gegen viele andere Krieger durchsetzen, aber die Fertigkeiten seines Vaters erlangte er nicht. Seine Mutter Inka sagte, dass in ihm der sesshafte Germane durchschlug. Diese führten zeitweise Krieg und verbrachten die meiste Zeit damit, ihren Familien das Überleben im Wald zu sichern. Sein Sohn Marcos erbte die Fähigkeiten seines Großvaters, er verfügte über mehr Talent im Kampf. Er wurde unterbrochen in seinen Gedanken. Marcos ritt mit seinen Packpferden an. „Pass auf dich auf, Sohn“, rief er und winkte zum Abschied. Dieser stellte sich auf den Rücken seines Pferdes und vollführte einen römischen Gruß, den er mit den Worten „Ave, Vater“ unterstrich. Valerius lächelte, dann drehte er sich um. Er musste auf die Pferdeweide, in letzter Zeit trieben sich fremde Reiter in der Gegend herum. Marcos ritt langsam, er nahm sich Zeit. Sein Vater hatte ihm eingeschärft, dass sich in letzter Zeit fremde Reiter in der Gegend befanden. Er ritt am Fluss Borystenes entlang, an der Mündung befand sich die Stadt Tyras. Die ursprüngliche griechische Siedlung wurde vor langer Zeit vom Reitervolk der Geten zerstört. Die Römer erbauten die Stadt neu, seitdem war eine Flotteneinheit der Classis Flavia Moesica im Hafen stationiert. Diese römische Flotte kontrollierte den unteren Bereich des Danuvius, den nordwestlichen Teil des Pontus Euxinus bis zur Halbinsel Tauris. In Tyras lag eine Teileinheit der Flotte, die von Kaiser Vespasian vor kurzem den Ehrentitel „Flavia“ erhielt, genauso wie die Classis Pannonica, die den oberen Teil des Danuvius kontrollierte. Es gab noch die Classis Germanica, die den Rhenus kontrollierte. Neben Tyras gab es einen Flottenstützpunkt auf der Halbinsel Tauris in der Stadt Chersonesos. Die Römer hatten keine eigene Provinz eingerichtet.

Es gab das Königreich Regnum Bospori, ein Vasallenstaat Roms. Die Könige trugen den Titel „Tiberios Ioulios“, der ihnen vom römischen Kaiser übertragen wurde. Die Bewohner besaßen das römische Bürgerrecht. Davor gab es ein anderes Königreich, dass sich bis an die West- und Südseite des Pontus Euxinus erstreckte. Dieses wurde von den Römern in drei blutigen Kriegen erobert, die das Römische Imperium an die Grenzen seiner Belastbarkeit brachte. Der Gegner war der letzte König Mithridates VI. Dieser soll in einen Brief an den Partherkönig Arsakes Nachstehendes über die Römer gesagt haben:“Die Römer kennen von alters her nur einen einzigen Grund, um auf der ganzen Welt mit Stämmen, Völkern und Königen Krieg zu führen: die tiefe Gier nach Herrschaft und Reichtum… Von Anfang ist alles, was sie besitzen, durch Raub zusammengebracht. Zusammengelaufenes Volk waren sie einst, ohne Vaterland…zum Fluch für die ganze Welt bestimmt. Sie richten ihre Waffen gegen jeden, am heftigsten aber gegen die, deren Überwindung ihnen die größte Beute verschafft…“ „…Oder weißt du nicht, dass die Römer, nachdem ihrem Marsch nach Westen der Ozean eine Grenze gesetzt hat, ihre Waffen hierher gerichtet haben…vor allem aber Monarchien für feindliches Gebiet zu halten.“ Schlussendlich musste er der Macht Roms weichen und verbrachte seine letzten Jahre auf der Halbinsel Tauris.

Sein eigener Sohn, der mit den Römern verhandelte, entmachtete ihn. Er wurde angeblich von Soldaten seines Sohnes ermordet. Seitdem wurde der Pontus von den Römern kontrolliert, die aber in diesem Bereich eine andere Politik betrieben als im Westen. Es gab Vasallenstaaten und keine Provinzen. Kolchis an der Südostküste des Pontus war ein weiterer, wichtiger Vasallenstaat Roms. Marcos wusste nicht viel davon, aber grundsätzlich interessierte ihn nicht, was vor seiner Zeit geschehen war. Die gesamte Region wurde vor langer Zeit von Griechen kolonisiert, die Städte und Königreiche gründeten. Diese gerieten unter römischen Einfluss, nur an der Ostküste lebten noch freie, wilde Reitervölker.

Die Römer verließen den Küstenbereich nicht, nur bei Strafexpeditionen drangen sie in das Innere der Steppe vor. Die Kontrolle der Küsten und der angrenzenden Königreiche genügte, wichtig waren die Handelsbeziehungen. Der Handel mit Gold und Sklaven und der Warenaustausch mit dem Königreich Sina, der über diese Häfen abgewickelt wurde, waren wichtig. Die wilden Reitervölker waren für die Römer schwer zu kontrollieren, diese hielten sich nicht immer an Abmachungen. Rom versuchte den Boden des Imperiums vor den wilden Sarmaten und Thrakern zu schützen. Diese wussten um die Gefährlichkeit des Imperiums, deshalb wurden ständig brüchige Friedensvereinbarungen getroffen.

Derzeit war es ruhiger, die einzige Gefahr für Marcos lag mehr an herumtreibenden Banden, die es auf Beute abgesehen hatten. Obwohl er ein wilder Bursche war, konnte er sehr konzentriert an eine Sache herangehen. Er wollte nicht auffallen in diesem weiten Land, hielt sich am Fluss entlang und machte immer wieder Pausen, um die Umgebung ringsum zu prüfen. Sein Ziel war das Zelt der beiden alten Frauen Inka und Iulia, die beiden letzten der drei ursprünglichen Familien, die aus dem fernen Germania kommend sich an der Küste und im Hinterland des Pontus Euxinus vor langer Zeit niedergelassen hatten. Das Zelt der beiden lag an der Küste des Meeres zwischen den Flüssen Borystenes und Hypanis. An der Mündung des Hypanis lag die Stadt Olbia, die von den Römern wiederaufgebaut worden war. Von dieser führte eine Karawanenstraße in das Innere Asias. Marcos kannte die beiden Städte. Er besuchte sie mit seinem Vater, meistens waren es Kurzbesuche. In den Hafenstädten trafen sie Menschen aus vielen Teilen der bekannten Welt. Es gab die unterschiedlichsten Lokale, um die Menschen zu unterhalten und zu verköstigen. Marcos gefielen die Besuche. Es war interessant, so viele unterschiedliche Menschen auf einem kleinen Platz zu sehen. Dieses Leben fehlte in der Steppe. Sein Vater warnte immer vor schlechten Einflüssen, die in solchen Städten auf Menschen wirkten, die zu viel Interesse zeigten. Marcos akzeptierte dessen Warnung, es herrschte großer Lärm in diesen Hafenstädten. An den Pferden seines Vaters zeigten viele Interesse. Er verkaufte sie für Münzen, die in der Region des Pontus Euxinus als Zahlungsmittel verwendet wurden. In einigen Jahren würde er sich das Leben in diesen Städten genauer ansehen. Sein Vater hatte ihn gewarnt, Tyras zu besuchen. Sein Auftrag war wichtiger.

Am dritten Tag verließ er den Fluss, bevor er Tyras erreichte und wendete sich mit seinen Pferden Richtung des Flusses Hypanis. Ein mehrstündiger Ritt stand noch bevor. Er freute sich auf die alten Frauen, sie kochten gut und erzählten gerne. Es war dunkel, als er endlich bei dem großen Zelt eintraf, das die beiden Frauen bewohnten. Derzeit befanden sich keine männlichen Bewacher vor Ort, manchmal gab es welche. Die Familien wechselten sich ab in der Betreuung der beiden verehrten Frauen. Diese wollten nicht ständig Leute um sich haben. Beide verfügten über ein großes Wissen, sprachen Latein und Griechisch, dies erlernten sie nach der Ankunft am Pontus Euxinus. Sie kannten die Natur und die Möglichkeiten, die sie bot. Ihr Wissen über den menschlichen Körper war bekannt unter den Sarmaten, vor allem Frauen suchten oft den Rat der beiden. Marcos wollte leise sein und seine Pferde versorgen, vermutlich schliefen die beiden Frauen. Plötzlich hörte er eine bekannte Stimme in seinem Rücken. „Wenn ich gewollt hätte, wärst du schon tot.“ Es war Alana, die ihn überraschte. Er hatte nicht mit ihr gerechnet, da er sie seit dem Vorfall am Fluss nicht mehr getroffen hatte. Marcos war unvorsichtig geworden, er hatte sie nicht bemerkt. Alana hatte recht. Die Umgebung sollte geprüft werden, bevor man sich Siedlungen oder Unterkünften näherte. Er war nicht geduldig genug gewesen, war hungrig und müde vom langen Ritt. Sie steckte das Messer ein, sagte nichts mehr und ging zum Zelt. Marcos war nichts eingefallen. Er folgte ihr, nachdem er die Pferde versorgt hatte.

Den Proviant und die Geschenke für die beiden Frauen nahm er mit zum Zelt. Die Sarmaten stellten nicht immer Zelte auf, manchmal wurde ein Karren einfach mit einem Zelttuch versehen, damit man von oben geschützt war, ansonsten schliefen die Menschen im Freien. In diesem Fall stand ein großes Zelt, das gut im Boden fixiert war und ständig von Angehörigen der Familien instandgesetzt wurde. Als er eintrat, folgte die nächste Überraschung, denn beide alten Frauen schliefen nicht. Er grüßte, hob seine Hand. Alana saß auf einem Holzsessel. „Sieh an, mein Enkel besucht mich wieder einmal!“ Inka besaß eine kräftige Stimme. Sie war schlank, ihr fast weißes Haar wurde durch einzelne blonde Strähnen ergänzt. Trotz ihres hohen Alters, sie war weit über achtzig, wirkte sie nicht zerbrechlich. Marcos ging zu ihr.

Inka umarmte ihn, küsste ihn auf die Wange. „Hallo, Großmutter Inka, schön dich zu sehen.“ Inka sah ihn an, dann lächelte sie. „Du erinnerst mich immer an Marcus, meinen Mann. Du wirst vielleicht noch größer. Nur der Name ist zu Griechisch geraten.“ Bevor sie fortfahren konnte, erklang eine weitere Stimme aus dem Halbdunkel des Zeltes. „Marcos, mein Junge, komm zu mir“, sprach Iulia, die andere alte Frau. Er ging zu ihr, sie lag auf ihrem Lager. Iulia war älter und körperlich schwächer als Inka, aber sie wirkte nicht zerbrechlich, benötigte mehr Ruhepausen. Marcos begrüßte sie mit einem Kuss. Dann erhielt er einen Holzsessel und einen Teller mit Essen. Man musste bei den alten Frauen gute Manieren haben, sie legten Wert darauf. Iulia hatte sich erhoben und in einem Sessel Platz genommen. Die drei Frauen sahen ihn an, es machte ihn nervös. „Du musst noch lernen, ruhiger zu essen, du schlingst das Essen hinein. Lerne Benehmen von den Römern oder Griechen, du frisst wie ein Steppenkrieger“, sagte Inka laut. „Er hat keine Geduld, Männer eben!“ Inka und Iulia sahen Alana an, danach Marcos, dann lächelten beide. Es waren keine Kinder mehr, das Interesse am anderen Geschlecht war offensichtlich vorhanden. „Ich habe Geduld, aber man kann immer was lernen, auch Frauen.“ Inka und Iulia lachten nach Marcos Antwort. „Hört auf, euch zu zanken, ihr passt gut zueinander.“ Iulia lächelte und fuhr fort. „Inka musste Benehmen auch erst lernen, nachdem sie im tiefsten Wald aufgewachsen ist, die alte Cheruskerin.“ Inka sah sie an. „Dir hat es im Wald gut gefallen, anscheinend waren die Männer dort besser.“ Iulia nickte, dann wirkte sie geistig abwesend. Die beiden Frauen diskutierten oft, waren meistens derselben Meinung, manchmal kam es zu Streitigkeiten. Dann wurde die unterschiedliche Herkunft offensichtlich. Sie waren nicht nur verschwägert, sondern die besten Freundinnen geworden. Iulia lächelte.

„Mein Markulf war der Beste, leider ist er lange von mir gegangen.“ Beide Männer waren lange tot. Der Fürst Marcus Valerius verstarb vor zwanzig Jahren durch einen Angriff eines Wolfsrudels. Markulf erlag ein Jahr später nach einem Angriff einer Kriegerhorde der Jazygen seinen Wunden. Seitdem hatten sich die Frauen zurückgezogen und siedelten sich gemeinsam hier an. Ihre gemeinsame Freundin Ebrina war die letzte aus den drei Familien, sie starb vor ungefähr zehn Jahren. „Mein Bruder Marcus war Römer. Nach deinem eigenen Urteil hattest du nicht den besten Geschmack. Ich wollte keine Römer. Mein Markomanne hat mich zur Frau gemacht, mich geliebt und das sehr oft, vor allem bevor die Kinder kamen.“ Iulia lächelte. „Marcus war ein Bastard, er war ein halber Germane, dazu kam keltisches Blut. Er war so groß wie die Männer in Firgunna, überall, meine ich“, sagte Inka. Die beiden Frauen lachten. Marcos kannte das, sie redeten gerne und oft von der Liebe und wie unterschiedlich Männer sein können. Alana gefiel das „Wann erkennt eine Frau, wer der Richtige ist?“ Inka blickte auf die junge Frau. „Das spürt die Frau.“ Inka erzählte wieder die Geschichte vom Kennenlernen ihres Mannes Marcus Valerius im tiefen Wald von Firgunna oder Hercynia, wie die Römer sagten. Sie lächelte, als sie endete. Die Erinnerung an Marcus machte sie jünger, ihr Gesicht strahlte. Alana gefiel das.

„Hast du ihn sehr geliebt, Großmutter Inka?“ Diese nickte.

„Er war die Liebe meines Lebens, er war großartig, hat mich viel gelehrt, über den Kampf, Sprachen und vieles mehr.

Marcus konnte nachts durch den Wald eilen, als ob er Lichter hätte. Nur Awen war darin besser. Sie waren wie Wölfe, diese sehen in der Finsternis. Ich vermisse ihn, wie Iulia ihren Markulf, ich vermisse auch den Wald, wo ich aufgewachsen bin. Marcus wollte nicht in den Wald, profitierte aber von den Vorteilen, die ihm der Wald bot.“ Iulia nickte. „Ich musste mich erst an den Wald gewöhnen. Markulf hat mir sehr geholfen, ich mochte den Wald danach, er bot Schutz.“

Sie erzählten gemeinsam die alten Geschichten. Diese kannten Marcos und Alana, aber sie hörten diese gerne. Die drei Familien waren vor fast sechzig Jahren über den Danuvius an die Küste des Pontus Euxinus gekommen. Es waren Inka mit ihrem Mann Marcus Valerius, Iulia mit Markulf, Ebrina mit Aart. Ergänzt wurden die damals jungen Paare von den etwas älteren Ada mit ihrem Gefährten Awen und Stilla mit ihrem Mann Linius Diaz, einem Hispanier. Sie zogen nach der Ankunft im Delta des Danuvius nordwärts die Küste des Pontus Euxinus hinauf. Gemeinsam mit den drei Kindern Iulias und Markulfs Manfred, Harro und Gunter. Zwischen den Flüssen Tyras und Hypanis fanden sie ihre neue Heimat.

Aus den drei Familien wurden im Laufe der Zeit große Sippen, da deren Kinder wieder viele Kinder hatten. Diese Sippen verstreuten sich über die weiten Steppen, teilweise lebten sie in der Nähe der Küste des Pontus Euxinus. Die entferntesten verwandten Sippen lebten am Ufer des Flusses Borystenes. Alle betrieben eine großartige Pferdezucht, dies war bekannt. Nicht nur weil sie in der Steppe zu Hause waren, sondern es lag darin, dass der legendäre Linius Diaz ein Pferdekenner war und seine Geheimnisse den nachfolgenden Generationen weitergab. Als die beiden Frauen in ihren Erzählungen innehielten, wollte Marcos etwas fragen, aber Alana unterbrach ihn schroff. Inka und Iulia lachten. „Du machst das schon sehr gut, Alana. Männer müssen erzogen werden. Wenn ich nur an meine Anfangszeit mit Markulf denke. Der glaubte tatsächlich, alle Frauen warten nur auf ihn.“ Inka lachte nach Iulias Worten. „Dein Bruder hielt sich für den besten aller Frauenkenner, bevor er mich traf. Er war arrogant, aber hat eingesehen, dass es besser war, zumindest zeitweise auf mich zu hören.“ Marcos schritt ein, seine Worte klangen trotzig. „Es muss mich keine Frau erziehen, das braucht sie nicht!“ Alanas Antwort folgt prompt und wild. „Du wirst nie eine bekommen, wer will dich schon. Leider ist in der Steppe die Auswahl an interessanten Männern nicht groß. Die können alle nur reiten und glauben, eine Frau wie ein Pferd behandeln zu müssen. Ich würde lieber in die Welt hinausgehen, dann könnte ich interessantere Männer treffen.“ Inka und Iulia lachten, sie mochten solche Unterhaltungen. „Ich will ebenfalls die Welt sehen. Rom, Achaea, vielleicht nach Germania. Dann wäre die Auswahl an Frauen größer und die würden sich vielleicht besser benehmen als wilde Sarmatinnen.“ Bevor die zornige Alana antworten konnte, ergriff Inka das Wort. „Keiner von euch beiden muss jemand ehelichen, den sie oder er nicht will. Ich glaube trotzdem, dass ihr gut zueinander passen würdet.“ Ihre Ruhe besänftigte die wilde Alana. „Außerhalb der Steppe leben viele interessante Menschen, in Städten und Dörfern, an den Meeren und im Wald. Ich war neugierig auf Rom und Gallia.

Marcus hat es mir gezeigt. Wichtig ist nicht, wo du bist, sondern mit wem du dort bist. Um das herauszufinden, solltet ihr überlegen, bevor ihr euch festlegt, zumindest die angrenzenden Reiche und römischen Provinzen zu bereisen. Nur immer die Steppe ist langweilig, mir geht das oft so, aber das Bekannte hat viele Vorteile. Hier kennt ihr euch aus, die Leute sprechen eure Sprache, ihr kennt euch beide sehr lange. Das Unbekannte ist reizvoll, aber gefährlich.“ Inka hielt kurz inne. Aufmerksam hörten Marcos und Alana zu.

Inka fuhr fort. „Wir leben in einer Welt, wo du heute ein freier Mensch und morgen ein Sklave bist. Die fremde Welt hat viele Tücken. Iulia hatte eine Familie und Markulf, der ihr lehrte, im Wald zu leben. Marcus zeigte mir die Schönheiten und die Gefahren des Römischen Reiches. Es ist eure Entscheidung, aber ihr seid von unruhigem Blut, dies habt ihr von uns geerbt.“ Sie wurde still. Iulia erhob das Wort.

„Inka und ich sind aus unserer Heimat weggezogen und haben hier gemeinsam mit unseren Männern und Freunden eine neue, gute Heimat gefunden. Trotzdem denken wir oft an unsere alte Heimat zurück, wo wir aufgewachsen sind und glückliche Jahre verbracht haben. Die Gegend am Danuvius bei Lauriakon ist wunderschön, aber auch der Wald ist schön, dem Inka entstammt. Das Schicksal greift ein und plötzlich weißt du die Richtung, die du gehen sollst. Es kann sein, dass es gut für euch ist, wegzugehen, aber es kann besser sein, hierzubleiben und vielleicht gemeinsam eine Familie zu gründen. Das ist auch etwas Schönes.“ Inka und Iulia sahen die beiden jungen Menschen an. Die beiden mochten sich, wussten aber mit ihren Gefühlen nicht umzugehen. Sie erhoben sich, wollten zu ihren Lagern. Alana wollte etwas wissen. „Weiß eine Frau vor der körperlichen Liebe oder danach, ob der Mann der Richtige ist?“ Inka und Iulia hoben die Schultern. „Das Gefühl für den richtigen Mann wird durch die körperliche Liebe intensiver, die körperliche Gemeinsamkeit verstärkt die Liebe. Ansonsten müsst ihr selbst herausfinden, ob ihr für den anderen der richtige Mensch für eine gemeinsame Zukunft seid. Grundsätzlich passt ihr gut zusammen, denn ihr beide ragt aus der Menge unserer Nachkommen heraus und verfolgt ähnliche Ziele. Vielleicht könnt ihr gemeinsam die Welt bereisen, ihr könnt euch zumindest aufeinander verlassen. Das haben wir gemacht.

Möglicherweise können wir helfen, aber das bereden wir nicht mehr heute. Legt euch hin.“ Das war die Aufforderung von Inka an alle, sich schlafen zu legen, der Tag und die Nacht war lang gewesen. Marcos und Alana lagen auf ihren Lagern. Sie konnten nicht gleich schlafen, dachten viel über das Gesagte nach. Irgendwann fielen die Augen zu. Die nächsten Tage waren angenehm, die Anwesenheit der jungen, neugierigen Leute tat den alten Frauen gut. Selbst Iulia, die oft kränkelte, strahlte wieder mehr Gesundheit aus, obwohl sie sich schwertat, lange zu gehen. Wenn sie es sich zu bequem machte, wurde sie von Inka angetrieben. Diese wiederholte ständig ihre Forderung nach mehr Bewegung. Das tat dem Körper gut. Iulia wusste dies, aber der Körper wurde immer schwächer. Sie spürte, dass sie vielleicht noch ein Jahr auf dieser Erde hatte, aber sie fürchtete sich nicht vor dem Tod. Markulf würde auf sie warten, wo auch immer.

Er hatte an Walhalla geglaubt und an Odin und Donar. Sie mochte die römische Göttin Felicitas, diese war für ein fortwährendes Glück und den Segen zuständig. Die Sarmaten, die sie aufnahmen, glaubten an andere Götter. Jedes Volk verfügte über seine eigenen Gottheiten, die Römer übernahmen von den Griechen einige der Götter. Es war sehr unübersichtlich. Iulia hatte vor langen Jahren von einer neuen Sekte gehört, diese nannten sich Christen. Sie benannten sich nach ihrem Gründer Christus, der von den Römern ans Kreuz geschlagen wurde. Vorbeiziehende griechische Händler erzählten vom neuen Glauben. Die Römer sahen anscheinend eine Gefahr in diesen Christen, denn es hatte Verfolgungen und Massaker an den Christen gegeben. Iulia kannte ihre Römer. Alles, was ihren Herrschaftsanspruch in Frage stellte, wurde gnadenlos bekämpft. Dieser neue Glaube hatte sie fasziniert. Nach den Christen gab es nur einen Gott, der aber nicht sichtbar und für etwas zuständig war. Das war neu, zudem predigten sie die Nächstenliebe und versprachen ein besseres Leben nach dem Tod. Die Religion erfreute sich unter den Sklaven großer Beliebtheit. Iulia ließ sich ein Kreuz bringen, dieses war der symbolische Ausdruck des Glaubens, denn an das Kreuz wurde der Gründer Christus geschlagen, den die Christen als Gottes Sohn auf Erden priesen. Er musste ein sehr charismatischer Mensch gewesen sein, seine Ideen waren wunderbar, in dieser Zeit jedoch nicht umsetzbar. Die ganze bekannte Welt baute auf die Arbeit von Sklaven, diese zählten nicht als Menschen, sondern als Sache. Christus hatte gesagt, dass alle Menschen vor Gott gleich wären, dies meinte auch die Sklaven. Das war vor allem für das Römische Reich gefährlich, eine Gleichstellung von Sklaven mit römischen Bürgern würde dazu führen, dass diese bezahlt werden müssten. Das wollte keiner in der bekannten Welt, aber Iulia empfand den Gedanken gut. Ihr Bruder Marcus und sie waren diesbezüglich von ihrer Mutter Stilla geprägt worden. Diese brachte ihren römischen Mann Occhius Valerius dazu, alle Bediensteten und Sklaven gut zu behandeln. Sie erinnerte sich an ihre Kindheit am Danuvius, als die Familie große Landgüter besaß und erst durch eine Intrige, der der Vater zum Opfer fiel, die Besitztümer verlassen musste. Danach war ihr Leben anders geworden, die Flucht nach Firgunna, wie die Germanen den dichten Waldgürtel nördlich des Danuvius und östlich des Rhenus nannten. Hercynia nannten die Römer diese Wälder, die ihnen teilweise Furcht einflößten. Ihre Mutter Stilla war in den Anfangsjahren am Pontus Euxinus bei ihnen gewesen, gemeinsam mit ihren Gefährten Linius Diaz, der den toten Vater ersetzte. Er war zu Vaters Lebzeiten sein Kamerad und bester Freund gewesen, sie dienten gemeinsam in der römischen Legion. Vieles war passiert, mit den Jahren verstarben alle Weggefährten. Ihre ersten drei Söhne, die noch in Bohemia geboren waren, waren bereits verstorben. Nur Inka und sie blieben übrig. Beide hatten sich bei Marbod kennengelernt, dem legendären König der Markomannen, der der Mutter und ihr Zuflucht gewährte. Linius Diaz war zu einem Vertrauten des Königs aufgestiegen und einer seiner militärischen Berater. Dieser König war bereits schwach gewesen nach einer langen Zeit des relativen Friedens, den er seiner gemischten Stammesgemeinschaft aus Markomannen und den keltischen Boiern beschert hatte.

Der Zwist mit dem anderen legendären germanischen Führer Sigfrid hatte beide nachhaltig geschwächt. Marbod wurde vertrieben und musste bei den Römern Zuflucht suchen.

Der damalige Kaiser Tiberius half ihm nicht bei der Rückeroberung seines Reiches, aber er gewährte ihm Zuflucht in Ravenna, wo er noch einige Jahre lebte, ohne seine Heimat wiederzusehen. Es erging ihm besser als den Helden Sigfrid, der einige Jahre, nachdem sie Germania verließen, angeblich von seinen eigenen Verwandten getötet wurde. Dies erfuhren die beiden Frauen über Händler, die in den Hafenstädten Geschäfte tätigten. Sie hatten alles aufgeschrieben, ihre Geschichte, ihr Wissen. Sigfrid wurde nach dessen Tod lange beweint, es gab viele Geschichten über ihn, von Germania bis Sarmatia. Die Geschichte seiner unglücklichen Liebe zu Thusnelda, die von ihrem eigenen Vater Segestes an die Römer verraten wurde. Thusnelda musste mit dem gemeinsamen Sohn Thumelicus, dieser besaß nur einen römischen Namen, in Ravenna leben. Zuvor waren sie von Nero Claudius Germanicus, dem Gegner von Sigfrid im Krieg, im Triumphzug durch Rom geführt worden. Dieser Triumphzug beendete die römischen Ambitionen auf Germania. Die Römer hatten zwar die Schlachten gewonnen, aber der Preis geriet zu hoch und sie konnten Arminius bzw. Sigfrid nie habhaft werden. Rom verlegte sich auf seine Fähigkeiten als Unruhestifter in Germania, Sigfrid war Opfer dieser Taktik. Iulia erinnerte sich an Inka, als diese erstmals von der Geschichte hörte. Diese weinte, Iulia kannte den Grund. Sigfrid schenkte ihren Bruder Marcus, Inka und ihren Freunden das Leben und die Freiheit. Inka hatte gemeint, dass ihre Cherusker lange um ihn weinen würden. Sein Tod wäre der Anfang vom Untergang des Cheruskerstammes. Sie verdächtigte Inguiomer, den Onkel von Sigfrid. Inka entstammte der Gefolgschaft von Inguiomer, aber sie konnte ihn nicht leiden. Jedenfalls war der Abgang der beiden legendären Führer ein Rückschlag für die germanischen Stämme und ein Freudentag für Rom. Gemeinsam wären sie vermutlich ein ernstzunehmender, langfristiger Gegner für das römische Imperium gewesen. Inka erzählte gerne von Sigfrid, den sie als junge Frau zuerst nicht leiden konnte, da er zu viel von Krieg sprach. Seinen Krieg gegen Rom verdankte sie das Zusammentreffen mit ihren Gefährten Marcus Valerius traf. Er war der letzte der von Sigfrid und seinen verbündeten, germanischen Stämmen niedergemachten römischen Legionen. Sigfrid war ein charismatischer Führer, der alle beeindruckte. Obwohl er um seine Thusnelda und seinen legitimen Sohn trauerte und es ihm nie gelang, diese wieder zurückzuholen, war er nach den Geschichten zu beurteilen kein Kind von Traurigkeit gewesen. Wenn es stimmte, hatte er bei den germanischen Frauen und bei Sklavinnen eine stattliche Anzahl illegitimer Nachkommen hinterlassen. Keiner wusste, wer die Frauen waren und ob es tatsächlich so viele waren. Solchen Anführern wurden oft Geschichten mit vielen Frauen und Kindern zugedacht, teilweise von ihnen selbst weitergetragen, um richtig männlich zu wirken. Zumindest blieb Sigfrid in den Geschichten der Germanen als Bezwinger Roms erhalten, er hatte es sich verdient. Er lebte ungefähr zur selben Zeit wie Christus, zwei große, aber sehr unterschiedliche Männer. Während der Traum des Sigfrid eines geeinten germanischen Volkes nur zu seinen Lebzeiten bestand, an ihnen selbst zerbrach und nichts mehr davon übrigblieb, waren die Ideen des Christus erst nach seinem Tode von seinen Anhängern weitergetragen und erfolgreich den Menschen vermittelt worden. Die Anzahl der Christen wuchs stetig, wenn man den Erzählungen glaubte. Es wurden ihnen seltsame Rituale nachgesagt, die sie an ihren geheimen Treffpunkten zelebrieren sollten. Iulia glaubte diesen Unsinn nicht, die Ideen waren klar und verständlich, es ging um das Einende und nicht das Trennende. Sie sah auf den blauen Himmel über der Steppe. Mittlerweile glaubte sie fest daran, dass es eine Macht geben musste, die alles lenkte. Den Himmel, die Lebewesen und alles einen Sinn besaß, obwohl man ihn manchmal nicht verstand. Zu klein erschienen ihr mittlerweile die meisten Götter, zu menschlich waren ihre Tugenden und Menschen waren fehlerhaft. Trotz ihres neuen Glaubens mochte sie ihre römische Göttin Felicitas.

Der germanische Glaube war stark auf den männlichen Krieger abgestimmt. Markulf hatte daran geglaubt, das war wichtig. Sie glaubte an ein Leben nach dem Tod, dort würden sie wieder zueinanderfinden, an diesem Ort, an dem sich die Seelen der Verstorbenen trafen. Inka kam vom Meer zurück, sie hatte ein paar Fische mit. Iulia saß im Sessel und sah ihre Freundin mit einem Lächeln näherkommen. Die große Kriegerin vom stolzen Stamm der Cherusker, von dem man nicht wusste, ob es ihn noch gab. Das blonde Haar war bis auf einige Strähnen weiß geworden, nur ihre blauen Augen strahlten noch. Sie war die Fürstin, obwohl Inka nie einen Unterschied machte zwischen ihnen, sie waren Freundinnen.

Beide trieb noch immer der Drang an, vieles zu wissen und das Wissen weiterzugeben. Dies hielt sie jung, obwohl die Zeichen der Zeit deutlich erkennbar waren. Inka hatte ihren leichtsinnigen Bruder gezähmt, sie war wilder gewesen als sie, aber auch Iulia war in ihren jungen Jahren rebellisch gewesen. Sie hatte kämpfen gelernt, dies verlangte ihre Mutter Stilla von ihrem Vater. Es war untypisch für eine junge Römerin, war nachher aber sehr hilfreich in Hercynia bei den Markomannen. Markulf war erstaunt gewesen, wie wehrhaft sie war, er hatte es öfter schmerzlich verspüren müssen. Sie hatte ihren Söhnen viel beigebracht, auch den Töchtern. In ihren Familien war es üblich, sich sprachlich weiterzuentwickeln. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte setzte sich immer mehr das Gefühl und die Wildheit der roxolanischen Vorfahren unter ihren Nachkommen durch. Viele interessierte es nicht mehr, Latein oder Griechisch zu lernen. Deshalb mochte sie Alana und Marcos mehr als andere aus ihren Familien, sie erinnerten sie an Marcus, Inka und an sie selbst.

Alana mit ihren rötlichen Haaren, sie besaß früher die gleiche Haarfarbe. Dazu kam der Stolz der Cherusker, den Inka in sich trug und den sie an Alana weitergegeben hatte. Alana war die Urenkelin von Marcus, Inka und ihr. Ihre Mutter Haiba war die Enkelin ihrer Freundin Ebrina gewesen, diese hatte Ragin geehelicht, einem Enkel von Inka. Alana war verwandt mit allen drei ursprünglichen Familien, während Marcos der Enkel von Marcus und Inka war, er war der Sohn von Valerius, dem jüngsten Sohn der beiden. Alanas Mutter war bei der Geburt verstorben, der Vater Ragin nahm sich eine andere Frau, diese entstammte dem Volk der Skythen.

Es war eine gute Mischung, die Steppenvölker waren wild, frei und unbeherrscht, zudem besaßen die Frauen als Kriegerinnen eine hohe Stellung. Zumindest in früheren Zeiten, aber es gab noch wilde Kriegerinnen. „Warum sitzt du den ganzen Tag nur, liebe Iulia?“ Inkas Frage klang provokant.

Ihre blauen Augen blitzten leicht, immer wieder hatte sie ihre Freundin erinnert, sich zu bewegen. „Ich habe an alte Zeiten gedacht, an Christus und an die Kinder“, antwortete Iulia ruhig. Inka sah sie an. Sie wusste, dass Iulia langsam, aber sicher ihrem Ende entgegenging, deshalb beruhigte sie sich schnell. Auch bei ihr nagten die Zeichen der Zeit, reiten konnte sie nicht mehr, aber sie war noch gut zu Fuß unterwegs. „Schicke ein Gebet zu deinem Christus, vielleicht kann er uns noch einmal jung machen!“ Inka streckte die Arme gegen den Himmel. Iulia lachte. Inka hielt grundsätzlich nicht viel von Göttern, zu viel Blut wurde für sie vergossen, auch ihr Bruder Marcus dachte ähnlich. Die Ideen des Christus hielt sie für gut, nur würden diese an den Menschen scheitern. Trotzdem hörte sie gerne ihrer Freundin zu , wenn sie betete. Iulia umschloss mit ihrer Hand das goldene Kreuz, das sie um den Hals trug. Vor einem Jahr brachte es ein Händler. Sie trug es gerne, irgendwie fühlte sie, dass es ihr Kraft gab. Inka verließ sich mehr auf die eigenen Stärken und Logik, aber auch Iulia war eine Realistin, die das Leben mit Kraft und Willen gemeistert hatte. „Er kann uns unsere schönen Körper nicht zurückgeben, aber er kann uns die Kraft geben, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren. Wir brauchen keine schönen Körper mehr, wir haben keine Männer mehr. Die sehen wir bald wieder, am Ort, wo sich alle treffen, nicht nur die Krieger, auch die Frauen und Kinder, die die Lebenden verlassen haben.“ An diesen Ort glaubte Inka, irgendwie ergab es Sinn und es machte vor allem das Sterben leichter. Nach dem Tode ihrer Männer hatten sie keine Gefährten mehr gesucht und sich keinem Manne mehr hingegeben. Obwohl Inka immer wieder den Vorschlag machte, sich einen stattlichen jungen Sklaven anzuschaffen, der ihnen körperlich Freude bereiten konnte.

Die Gespräche darüber waren sehr lustig gewesen, beide verfügten über eine große Vorstellungskraft in diesen Dingen.

Es bestand aber kein ernsthaftes Interesse daran. „Wir können es keinem jungen Mann zumuten, mit so alten Frauen das Lager zu teilen, das wäre eine Sünde.“ Inka hatte zu Iulias Worten genickt. „Eine wunderbare Sünde wäre das, aber ja, du hast Recht, das sollten wir auch keinen Sklaven zumuten.

Andererseits sollte dies auch umgekehrt gelten. Junge Frauen sollten von den alten Männern nicht berührt werden dürfen.

Gleiches Recht für alle.“ Darin waren sich beide einig, Frauen und Männer sollten die gleichen Rechte besitzen. Leider wurde diese Philosophie in der Welt der Menschen nicht umgesetzt. Es hatte zwar die Amazonen gegeben, aber dieser Stamm bestand aus Frauen, die nur Töchter aufzogen. Inka und Iulia waren der Meinung, dass es ein Miteinander geben sollte, Frauen und Männer mit gleichen Rechten. Es gab diese Gesellschaft nicht. Zumindest respektierten ihre beiden Männer Marcus und Markulf die Ansichten ihrer Frauen und holten immer wieder ihren Rat ein. Inka nahm die Fische aus, danach holte sie sich einen Sessel aus dem Zelt und setzte sich neben Iulia. „Ich denke oft an Marcus“, sagte Inka leise. „Er fehlt mir sehr. Leider kann keiner die Zeit zurückdrehen, es waren wunderschöne Jahre mit ihm. Der Junge Marcos erinnert mich an ihn, er hat auch das wilde Blut der Roxolanen geerbt. Er kann sehr besonnen sein und logisch überlegen, was hilfreich ist im Leben.“ Iulia nahm ihre Hand.

„Irgendwann im nächsten Jahr werde ich dich verlassen, liebe Inka. Ich spüre das. Mein Wunsch wäre, mein Wissen weiterzugeben an Alana. Sie hat viele gute Eigenschaften in sich, ich würde ihr die letzte Zeit meines Lebens noch mehr lernen. Das wäre mein größter Wunsch.“ Sie sah auf Inka, diese verfügte über eine höhere Stellung bei den Familien und im Stamm. Inka sah auf den Himmel, dachte länger nach. „Ich glaube, wir beide brauchen ständig Hilfe. Marcos und Alana sind neugierig und wollen die Welt sehen. Wir werden ihnen alles erzählen, alles beibringen, was wir wissen.

Sie sollen das Wissen weitertragen, auch unsere Schriften.

Ansonsten ist keiner mehr interessiert an diesen Dingen. Das Blut der Steppenvölker beinhaltet die Freiheit und die Unabhängigkeit eines Steppenlebens, nicht die Geschehnisse in Wort und Schrift zu fassen. Marcos und Alana sollen Zeugnis ablegen für zukünftige Generationen. Sie sind dazu befähigt. Ich werde einen Krieger aus Tyras kommen lassen, der ihre Kampftechniken verbessert. Beide sollen vorbereitet sein, wenn sie tatsächlich in die Welt hinausgehen. Vielleicht kehren sie in unsere Heimat zurück und legen Zeugnis ab, dass unsere Geschichte gut ausgegangen ist. Ich wollte selbst einmal zurückkehren und wissen, was aus dem stolzen Stamm der Cherusker geworden ist. Für mich geht es sich nicht mehr aus, aber Alana und Marcos könnten dies für mich tun.“ Iulia nickte. „Sie sollten auch Lauriakon besuchen und die Markomannen, das würde mich freuen. Zurück zu den Wurzeln ihrer Ahnen.“ Sie verstummte. Bevor Inka etwas sagen konnte, sprach sie weiter. „Was ist, wenn sie das nicht wollen. Sie könnten eine Familie gründen, Kinder zeugen und hier leben. Das haben wir ihnen gesagt. Wir sollten sie zu nichts zwingen. Es ist ausreichend für mich, wenn wir das Wissen weitergeben, sie sollen selbst entscheiden.“ Inka nickte. „Ob sie ein Paar werden, müssen sie selbst herausfinden. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das richtig wollen. Sie kennen zu wenige andere Menschen, um einen Vergleich zu haben. Wir geben ihnen die Möglichkeit, mehr zu lernen und ich glaube, sie werden diese nutzen. Beide sind für die Monotonie eines ewigen, gleichen Lebensrhythmus nicht geschaffen, wollen mehr von dieser Welt in ihren Leben. Sie würden ein gutes Paar abgeben und wenn sie nicht in die Welt hinausgehen, vielleicht eines ihrer Kinder. Wichtig ist, dass wir sie lehren, unser Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben und dieses durch ihre Lebenserfahrungen zu ergänzen.“ Beide waren sich einig. Die beiden jungen Menschen sollten in ihrer Obhut bleiben, Inka würde dies den Vätern mitteilen lassen. Diese würden sicher zustimmen, der Wunsch der Fürstin würde gehört werden. Davor wollten sie mit Alana und Marcos sprechen. Sie sollten selbst entscheiden. Diese waren am Meer unterwegs und absolvierten mit den Pferden ein Wettrennen. Die letzten Tage waren sie sich wieder nähergekommen, aber sie stritten ständig. Beide waren schwimmen gewesen. Dabei hatte Marcos Alana zum ersten Mal nackt gesehen, denn sie zogen sich die Kleidung aus, um nicht nass zu werden. Sie war wunderschön. Er bemerkte, dass sie überall rötliche Haare besaß, ihre Brüste waren schön und fest. „Hast du alles gesehen? Wie gefalle ich dir, wäre es schön mit mir Liebe zu machen?“, fragte sie provokant und stand breitbeinig einige Fuß von ihm entfernt. Marcos eigene Gedanken hatten ihn erregt, das Ergebnis sah Alana an seinem nackten Körper. Er war muskulös und größer als die anderen, auch alles andere schien größer zu sein. Beide waren erregt. Marcos wollte die Gelegenheit nutzen. Leicht berührten sie sich, die Erregung stieg.

Wieder störte ein Trupp Reiter das Geschehen. Dieser kam aus der Richtung der Stadt Olbia. Sie sahen sie nicht, aber sie hörten sie gut. Alana zuckte mit den Schultern und gab Marcos einen Faustschlag gegen die Brust, dass er in den Sand flog. „Träume weiter, schöner Mann. Es soll nicht sein. Vielleicht gebe ich dir noch eine Möglichkeit, aber das entscheide ich allein.“ Sie zog sich rasch an, der Hufschlag kam näher.

Marcos war verdutzt, wieder wurden sie gestört, dabei waren sie kurz davor gewesen. Er ärgerte sich, zog sich rasch an und sprang auf sein Pferd. Sie versteckten sich, sahen den Trupp in einiger Entfernung vorbeireiten. Es waren griechische Krieger, anscheinend erfahrene Kämpfer, die auf der Durchreise waren. Vielleicht auch nicht, Alana und Marcos blieben vorsichtig. Sie waren kräftigen Kriegern nicht gewachsen, obwohl sie schnell waren. Als der Trupp endlich in der Ferne Richtung Tyras verschwand, bestiegen beide ihre Pferde. Sie mussten zu den alten Frauen zurück. Diese ließen ihnen viele Freiheiten, die sie zu Hause nicht besaßen. Das genossen beide, sie wollten länger bleiben. Die Pflichten zu Hause waren eintönig, hier gab es das Meer, zwei Städte in der Nähe, es war viel interessanter. Auf dem Ritt zum Zelt sagte Marcos:“ Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst, Alana. Vielleicht wäre ein anderer Mann besser.“ Sie sah ihn an, zuerst war sie zornig, dann beruhigte sie sich. „Ich mag dich, Marcos, ich will keinen anderen Mann aus der Steppe.

Vielleicht gibt es in einer anderen Welt einen besseren Mann, ich weiß aber nicht, ob ich diese Welt kennenlernen werde.

Wir sollten es einfach versuchen, denn wir haben nichts zu verlieren. Alle sagen, wir passen gut zueinander, warum nicht.“ Sie wurde still und sah ihn an. Marcos war überrascht, normalerweise reagierte sie zornig, aber diesmal sprach sie offen und ruhig wie eine erwachsene Frau. Er lächelte plötzlich. „Du bist für mich die tollste Frau der Welt. Lass es uns einfach versuchen. Wenn wir nicht zusammen in die Welt hinausgehen, dann finden wir am Pontus Euxinus sicher keinen besseren Gefährten. Ich mag dich auch.“ Danach lächelte Alana. Kurz beugte sie sich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss. Marcos wurde wieder heiß, aber Alana war schon wieder weg. Sie ritt an, lachte laut und schrie:“ Lass uns zu den Großmüttern reiten, Marcos.“ Dann trieb sie ihr Pferd an. Marcos verweilte kurz, dachte daran, dass Frauen kompliziert seien, aber kurze Zeit später trieb er sein Pferd an. Mit lauten Schreien eilte er hinterher, beide lachten. Sie hatten offen gesprochen, fühlten sich gut. Beim Quartier der alten Frauen angekommen, waren sie vom wilden Reiten erhitzt, aber es hatte Spaß gemacht. Inka kam aus dem Zelt, lächelte, als sie die erhitzten Gesichter sah. Junge Leute konnten wild sein und hielten das aus, für sie war diese Zeit lange vorbei. Sie wusste selbst nicht, warum die Zeit so schnell vergangen war, aber nun war sie in den letzten Jahren ihres Lebens angelangt. Das Leben ging weiter. Das Alte musste sterben, damit das Neue Platz fand. Die Weitergabe von Wissen und Ideen überlebte alles, dies musste veranlasst werden. Sie hielt es für ein Privileg, in einem guten Leben alt zu werden, um den Jungen von früher zu berichten. Neben einigen anderen Konstanten gab es das römische Imperium, dieses schien unverwundbar zu sein. Der derzeitige Princeps war Titus Flavius Vespasianus, ein harter Mann, der für Ordnung im Reich gesorgt hatte. Er entschied den Bürgerkrieg für sich und hatte danach die Finanzen und das Reich gesichert. Vespasianus galt als bescheidener Mann, der mit harter Hand gegen angrenzende Völker vorging. Rom hatte alles im Griff, neunundzwanzig stehende Legionen beherrschten die Welt, in der Inka lebte. Nur Sigfrid hatte die Legionen des Princeps Augustus vor langer Zeit auf ihren Vormarsch gestoppt, seitdem verzichteten die Römer auf eine Eroberung Germanias. Strafexpeditionen und kleinere Feldzüge zeigten den angrenzenden Völkern, wer in dieser Welt das Sagen hatte. Marcos und Alana betraten das Zelt, Iulia lag bereits auf ihrem Lager. Beide begrüßten respektvoll die alte Frau, die den Gruß lächelnd erwiderte. Es gab gebratenen Fisch.

Alana und Marcos waren hungrig und aßen, was die Teller hergaben. Inka beobachtete sie, die Neugier erwachte. „Was habt ihr heute getrieben, dass ihr so hungrig seid?“ Dabei blitzten ihre Augen vergnügt. Alana wurde es heiß unter dem Blick von Inka, ihre Wangen röteten sich. „Wir sind viel geritten, im Meer geschwommen“, antwortete Marcos. Inka machte die Unterhaltung sichtlich Spaß, denn sie stellte die nächste Frage. „Im Meer schwimmen ist großartig, vor allem nackt, das Salz im Wasser ist gut für die Haut. Die Frage ist, was habt ihr danach gemacht?“ Marcos hob die Schultern.

„Nichts, was interessant wäre.“ Alana hob die Faust, aber Inka lachte und winkte ab. „Lass ihn in Ruhe, es ist in Ordnung. Du musst auch einen Spaß vertragen, stolze Alana.“

Nach dem Essen erhob sich Iulia vom Lager und setzte sich neben Inka. Diese erhob ihre Stimme und forderte die beiden jungen Menschen auf, gut zuzuhören. Alans Neugier erwachte. Marcos war müde und wollte sich zum Lager entfernen. Inka deutete ihm, sitzen zu bleiben. Sie erzählte vom Gespräch mit Iulia und ihren Entschluss, dass sie beide bei ihnen bleiben und nur ab und zu ihre Familien besuchen sollten. Inka führte alles aus, was sie planten. Danach wurde es still. Iulia griff ein. „Wir halten euch zwei für etwas Besonderes, denn sonst würden wir euch nicht auswählen.“ Inka meinte, sie übertreibe etwas, das Besondere müsse noch bewiesen werden. In Marcos Kopf gingen die Gedanken durch.

Er sollte von seiner Familie weg und bei den beiden alten, geschwätzigen Frauen leben, gemeinsam mit Alana. Irgendwie kam ihm der Gedanke fremd vor. Das musste sein Vater entscheiden. Seine Mutter Aska würde das nicht wollen, er war der Jüngste und mochte seine Mutter sehr. Andererseits wäre er frei von den alltäglichen Pflichten in der Familie und bei den alten Frauen konnten sie freier leben. Am meisten reizte der Vorschlag, dass sie Kampftraining erhalten sollten.