Kurtai der Amazonen - Thorsten Hoß - E-Book

Kurtai der Amazonen E-Book

Thorsten Hoß

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Beschreibung

Der Clan der Astronauten steckt fest. Krieg liegt in der Luft. Alle Anzeichen deuten auf Sturm. An einer Steilküste inmitten der Amazonenterritorien versucht der ehemalige Kommandant der abgestürzten Sirius7, Boris Koschkin, den zusammengewürfelten Haufen aus Menschen, Goblins und Orks zusammenzuhalten, während seine restliche Crew unterwegs oder gar verschollen ist. Die Situation scheint aussichtslos, als auch noch Ashley Bender von einem Drachen zur großen Versammlung der Amazonenclans eingeladen wird. Und dann sind da ja auch noch die zahlreichen anderen Probleme, mit denen die Astronauten fertig werden müssen, derweil ihr Clan unaufhörlich weiter wächst...

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

Prolog

1. Boris

2. Hiriko

Zwischenspiel

3. Boris

4. Hiriko

Zwischenspiel

5. Sven

6. Hiriko

Zwischenspiel

7. Ashley

8. Boris

Zwischenspiel

9. Ashley

10. Hiriko

Zwischenspiel

11. Hiriko

12. Ashley

Zwischenspiel

13. Boris

14. Ashley

Zwischenspiel

15. Boris

16. Hiriko

Zwischenspiel

17. Ashley

18. Tilseg

Zwischenspiel

19. Ashley

20. Tilseg

Zwischenspiel

21. Boris

22. Ashley

Zwischenspiel

23. Tilseg

24. Boris

25. Ashley

Zwischenspiel

26. Tilseg

27. Sven

28. Boris

29. Ashley

30. Tilseg

Zwischenspiel

31. Boris

32. Hiriko

33. Ashley

34. Tiseg

35. Ashley

Zwischenspiel

36. Ronja

37. Faqech

38. Tilseg

39. Ashley

40. Boris

Zwischenspiel

41. Ashley

42. Tilseg

43. Ashley

44. Tilseg

45. Hiriko

Zwischenspiel

46. Ashley

47. Ronja

48. Boris

49. Hiriko

Zwischenspiel

50. Ashley

51. Tilseg

52. Boris

53. Ronja

Zwischenspiel

54. Hiriko

55. Boris

56. Hiriko

57. Tilseg

Zwischenspiel

58. Tilseg

59. Hiriko

60. Faqech

61. Hiriko

Zwischenspiel

62. Faqech

63. Tilseg

64. Boris

65. Ronja

Zwischenspiel

66. Boris

67. Ashley

68. Hiriko

69. Sven

Zwischenspiel

70. Faqech

71. Ashley

72. Sven

73. Hiriko

Zwischenspiel

74. Hiriko

75. Boris

76. Tilseg

77. Ashley

Zwischenspiel

78. Hiriko

79. Boris

80. Ashley

81. Hiriko

Zwischenspiel

82. Ingbold

83. Ashley

84. Hiriko

85. Ronja

Zwischenspiel

86. Tilseg

87. Hiriko

88. Boris

89. Ashley

Zwischenspiel

90. Ingbold

91. Boris

92. Hiriko

93. Tilseg

Zwischenspiel

Nachspiel

94. Hiriko

95. Boris

96. Tilseg

97. Ashley

Zwischenspiel

98. Tilseg

99. Ashley

100. Boris

101. Hiriko

Zwischenspiel

102. Tilseg

103. Ronja

104. Ashley

Zwischenspiel

105. Ronja

106. Boris

Epilog

Lieber Leser

Bisher erschienene Romane aus Lunaria:

Über den Autor und dieses Buch:

Danksagungen:

Impressum

Kurtai der Amazonen

(Die Crew der Sirius7, Band 4)

Zweite deutsche Ausgabe

©2017 Thorsten Hoß

[email protected]

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: Polina Hoß

Lektorat: Polina Hoß, André Reichel

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für alle,

die am 23. Januar

geboren wurden.

Prolog

Der riesige Schwarm gewaltiger Körper verdunkelte die Wasseroberfläche unter ihnen wie eine glitzernde, Blitzebälle schleudernde Gewitterwolke. Hunderte und aberhunderte ledrige Schwingenpaare schlugen kraftvoll und in ruhigem Rhythmus.

Die von ihnen getragenen muskulösen Leiber reflektierten mit ihren silbrigen Schuppen die Sonnenstrahlen, während sie durch die Luft pflügten. Noch lagen die Weiten des Meeres unter den majestätischen Geschöpfen, die beharrlich dem schmalen Streifen entgegenstrebten, der Land bedeutete.

Zielpunkt ihrer Reise würde ein ausgedehnter Meeresarm mit hoch aufragenden, steilen Klippen sein, die von vielen gut geeigneten Höhlen durchdrungen waren, in denen sie ihre Jungen ausbrüten und ernähren konnten, bis sie alt genug waren, die lange Reise zurück zu ihren Jagdgebieten anzutreten.

Ihre Herzen waren aufgewühlt und wild, ihr Blut kochte.

Diejenigen unter ihnen, die noch sehr jung oder gar zum ersten Mal auf dem Weg zu ihrer früheren Kinderstube waren, lieferten sich wüste Wettflüge, einschließlich allerlei gewagter Luftmanöver und Verfolgungsjagden.

Einige spien auch aus reinem Übermut knisternde Energiebälle, die funkenstobend auf der Wasseroberfläche aufschlugen, in der sich die von Lichtreflexen funkelnden Umrisse der Silberdrachen spiegelten.

All diese Drachen hatten das gleiche Ziel vor Augen.

Ihr Brutgebiet.

Nichts würde sie davon fernhalten.

1. Boris

Wind zerzauste sein langes, dunkelbraunes Haar, als Kommandant Boris Iwanowitsch Koschkin an die Steilküstenkante trat. Müßig betrachtete er das Treiben auf den beiden Schiffen, die auf dem schmalen Sandstreifen weit unten am Fuß der Steinwand festsaßen.

Etliche Menschen, Orks und Goblins arbeiteten daran, die Galeere und die Piroge wieder seetüchtig zu machen. Den Einbaum mit so enormen Aufbauten, dass er sogar einen passablen Laderaum besaß, hatten sie auf dem Weg zur Küste erbeutet, neben einer Vielzahl anderer Wasserfahrzeuge. Einen Moment lang dachte Boris an die lange Reise, die schon hinter ihnen lag.

Sie waren mit einer Gruppe aus befreiten Sklaven hierhergekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren er und seine Crew die einzigen Menschen ihrer Gruppe gewesen, der Rest hatte aus den kleinen Goblins und den breit gebauten Orks bestanden, die sie immer noch begleiteten. Außer denjenigen, die in der Zwischenzeit gefallen waren. Seit sie in das Herrschaftsgebiet der Amazonen eingedrungen waren, hatte es immer wieder Kämpfe gegeben. Und Tote. Und trotzdem war ihre Gruppe stetig angewachsen, denn die Männer, die hier lebten, hatten sich gleich dörferweise ihrer Gemeinschaft angeschlossen.

Als er daran dachte, dass sie über die Berge gekommen waren, um nach anderen Menschen zu suchen, wie sie selbst, nur um festzustellen, dass die Menschen hier sie entweder gar nicht haben wollten oder sie als eine Art Gottheit verehrten, musste er fluchen. Sie hatten nichts Göttliches an sich, sondern waren nur Gestrandete auf der Suche nach einem neuen Zuhause auf einer fremden Welt. Als sie durch einen Geist namens Ingbold erfahren hatten, dass es auf diesem Planeten Menschen gab, konnte er es gar nicht mehr abwarten, hierher zu kommen. Jetzt wollte er nur noch weg von hier.

Doch das war gar nicht so einfach. Seit ihrem Absturz war eine Menge passiert. Er und seine Crew waren nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern hatten durch die Gründung des Clans der Astronauten - aber eigentlich auch schon, als sie die Sklaven befreiten - Verantwortung für diese Leute übernommen, die sie begleiteten und so viel Hoffnung in sie setzten.

Ja, der Clan der Astronauten war auch so eine Sache.

Aus einer Laune heraus von seiner Bordingenieurin Ashley Bender ins Leben gerufen, begannen die Leute tatsächlich eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Ein Gruppengefühl, bei dem es egal war, ob man klein oder groß, männlich oder weiblich, Ork oder Mensch war.

Eine zierliche Hand berührte sanft seinen Arm und lenkte seine Aufmerksamkeit weg von seinen Gedanken. Eine kleine, lächelnde Goblinin hatte sich zu ihm gesellt. Faqech war seine Kampfgefährtin, Freundin und Ratgeberin. Ihr Lächeln erwiderte er freudig.

„Hallo Fang.“

„Hallo Boris“, Faqech begrüßte ihn in fließendem Commen, seiner Heimatsprache. „Es geht offenbar gut voran mit den Reparaturen.“

„Ja“, bestätigte der Russe etwas abwesend. „Die Piroge dürfte bis heute Abend soweit sein. Die Galeere wird noch einige Tage länger benötigen. Wir werden weitere der kleineren Einbäume brauchen, um sie als Rohstoffquelle zu verarbeiten.“

„Wir verbrauchen zu viele dieser Boote zur Reparatur für die Feuerstellen und Schutzfeuer. Es sind nur noch etwas mehr als fünfzig von ihnen übrig.“

„Stimmt. Aber ich denke, wir können die Feuerschneise aufgeben und an der Küste einzelne Höhlen mit Wachfeuern versehen. Die Versuche gestern sind gut verlaufen. Karl denkt, dass wir die Spinnen so lenken können. Außerdem sind es beileibe nicht mehr so viele wie früher.“

Koschkin dachte daran zurück, wie Ashley mit ihrem völlig irrwitzig überdimensionierten Hammer einen Küstenabschnitt zum Einsturz brachte, um den Wasserfall zu zerstören, der sie vom Meer trennte, und so eine Abfahrt für ihre Boote hinunter zu ermöglichen.

Doch das in das darunterliegende Höhlensystem eindringende Wasser hatte die Spinnenplage ausgelöst, die ihrer Gemeinschaft nun einige Probleme bereitete. Gleichzeitig war ihr Plan gescheitert, da auch die zerstörte Klippe weiterhin kaum schiffbar war. Ihr Versuch, die Piroge hinabfahren zu lassen, hatte das bewiesen. Zwar war das Schiff tatsächlich mit einiger Anstrengung ins Meer gelangt, doch dabei auch durch die Schäden, die bei seinem Transfer entstanden waren, fast gesunken.

Die Amazonenkriegerin, von der sie die Waffe erbeutet hatte, die sie dabei einsetzte, nannte sich Barbara und war zurzeit eine Patientin von Faqech. Die Kriegerin schien eine Art Nervenzusammenbruch gehabt zu haben, als Ashley sie bezwang und sie daraufhin aus ihrem Clan verstoßen wurde. Fang würde ihr schon helfen, da die Kleine auch eine erstaunliche Schamanin war.

Es gab hier so viel, was ihn an seinen Heimatplaneten, die Erde erinnerte. Angefangen von der identischen Schwerkraft, über die vielen Pflanzen, die ihrem Gegenstück auf seinem Planeten verblüffend ähnlich sahen, bis hin zu den Menschen. Doch gab es auch gravierende Unterschiede, die diese Welt von seiner Heimat abhoben. Die krasseste Abweichung stellte die hier anscheinend überall präsente Zauberei dar.

So etwas hatte er vorher nur aus Geschichten und Märchen gekannt. Aber hier? Auf dieser Welt war das etwas anderes. Es war offensichtlich, dass Magie hier tatsächlich funktionierte. Ein Fakt, der jeglichem Wissen und Erfahrungswerten widersprach, die sein vorheriges Leben bestimmten, und doch unbestreitbar existierte.

Wie viele Male hatte Fang ihm jetzt schon mit dieser Macht das Leben gerettet? Er wusste es nicht. Es war einfach zu oft gewesen. Es gab niemanden auf diesem Planeten, dem er mehr schuldete, als diesem kleinen Goblinmädchen, das er lange Zeit für einen Jungen gehalten hatte.

Aber nicht nur Fang nutzte diese seltsame Macht für ihre Rituale. Auch Sven hatte ein Talent dafür entwickelt und es immer wieder eindrucksvoll zur Schau gestellt.

Dankbar und in Gedanken versunken nahm er ihre Hand und drückte sie. Sie wechselte das Thema und gab damit seinen Überlegungen eine neue Richtung.

„Hast du Hiriko gesehen?“

„Leider nicht. Sie schwimmt da draußen immer noch herum und sucht Tilseg.“

Hiriko Tanaka war seine Kopilotin gewesen, bevor sie während einer Erkundungstour mit ihm zu Tode stürzte und als Geist wiedergeboren wurde. So wurde es ihm erklärt. Verstehen konnte er auch das immer noch nicht wirklich. Gespenster waren für ihn immer ein Hirngespinst gewesen. Aber das mit den Spukgestalten war hier auch so eine Sache. Geister gab es überall auf dieser Welt.

Hiriko beispielsweise war laut Fang ein Naturgeist. Also nichts, was nachts im Bettlaken umherstreift, sondern eine wirklich hübsche, fast zwei Meter messende, dunkelhäutige Schönheit mit grünem Haar, die ihren wohlgeformten Körper nicht verdecken wollte. Nur ihre Gesichtszüge erinnerten noch daran, dass sie früher einmal eine zierliche Asiatin gewesen war, die zu Tode stürzte, als sie von einigen dieser Riesenschweinen verfolgt wurden. Das war jetzt schon so lange her …

Nun war sie eine Dryade, an einen alten Weinstock gebunden, mit dem sie sich versehentlich vereinte, während sie gemeinsam auf Reisen waren. Zwischenzeitlich wies die Pflanze eine stattliche Größe auf und besaß nun annähernd die Form einer viel zu groß geratenen Schubkarre mit Klohäuschen.

Mit Zeltplanen ausgestattet, diente sie der Crew auch als transportables Krankenlager, das von Hirikos Oger geschoben und überwiegend von seinem Astrogator, Sven Erikson, genutzt wurde, der durch die Anwendung seiner neuen Zauberfähigkeiten immer wieder am Rand eines Körperkollaps gestanden hatte.

Sven war zurzeit wieder nicht ansprechbar, jedoch dieses Mal nicht, weil er sich verausgabt hatte, sondern wegen Hiriko. Sie hatte ihn - wie drückte sie es doch gleich aus?- in ihr Heim eingeladen und die daraus resultierenden Folgen nicht bedacht. Koschkin hätte es schlicht als Folge weiterer Zauberei bezeichnet, doch wie man es auch nannte, nun bestand sein Astrogator nur noch aus einem Gesicht, einem Arm und einem Bein aus Holz, die aus Tanakas Pflanze ragten, während sein Verstand im Inneren des Dryadenheims feststeckte.

Nachdem Hiriko schockiert von der Auswirkung ihrer Tat mit ihrem Klokarren überhastet in See gestochen war, um andere Dryaden um Rat zu fragen, kehrte sie schließlich mit einem arg zerrupften Weinstockstrunk zurück, den ihr Oger wie einen Tragekorb auf dem Rücken trug, aus dem Svens Extremitäten wie durch ein Wunder weiterhin unversehrt hinausragten. Gekrönt wurde dieser skurrile Pflanzenrucksack von einigen großen Farnwedeln, die zu einem weiteren Dryadenheim gehörten.

Der darin lebende andere Naturgeist hieß Nirilis und teilte die nudistische Einstellung aller Nymphen. Sie war die erste Dryade, die sich den Astronauten anschloss. Die Vorstellung, dass diese Entscheidung über den Gedanken der Völkerverständigung hinausging und einen sehr esoterischen Touch hatte, versuchte Koschkin geflissentlich zu verdrängen.

Da Sven innerhalb dieses Gebildes zwar für ihn und alle anderen unerreichbar, aber nach Hirikos Beteuerung sicher war, hatte sich die Dryade zunächst aufgemacht, ihren ehemaligen Bordarzt wiederzufinden. Oder das, was von ihm noch existierte.

Das mit Tilseg war eine weitere Sache, die sich Borisʼ Begreifen entzog. Doch war es unbestreitbar, dass die Persönlichkeit von Till Segschneider, des deutschen Mediziners seiner Schiffscrew, der noch vor der Bruchlandung seines Raumschiffes auf dieser Welt bei einem Unfall auf der Krankenstation verstorben war, wider jeder Vernunft in dem grünen Biogelmenschhybriden weiter lebte, welcher aus dem Menschen und der biologischen Komponente des Schiffssystems entstanden war.

Auf der Erde hätten vermutlich Generationen von Wissenschaftlern versucht herauszufinden, was genau mit dem Doktor geschehen war, aber diese Möglichkeiten hatten sie auf dieser primitiven Welt nicht. Anfangs war ihm das grüne Hybridwesen unheimlich gewesen. Nachdem es aber seine Loyalität zur Crew mehr als einmal unter Beweis gestellt hatte, war es zu einem guten Freund und Kamerad geworden.

Tilseg war es auch, der ihnen die Galeone gebracht hatte. Dabei war der Doktor jedoch selbst irgendwie degeneriert und trieb nun als überdimensionale, vielzellige Amöbe sein Unwesen vor der Küste. Boris wusste, dass Hiriko sich auch am Zustand des Bordarztes die Schuld gab, da sie ihn an Deck einer anderen Galeone zurückgelassen hatte, die von Meerfeen umzingelt war.

Koschkin teilte die Einschätzung seiner Kopilotin in diesem Punkt nicht. Was immer mit dem Doktor passierte, als er auf dem Schiff zurückblieb; die Veränderungen, die zu seiner jetzigen Form führten, waren vermutlich von ihm selbst ausgegangen.

Wie Tilseg sich das Unterwasservolk vom Hals gehalten hatte, das ihrer Gruppe auflauerte, sobald sie sich aufs Wasser trauten, um sie in die Tiefe zu reißen, war nach Borisʼ Einschätzung die wichtigste Information, die der grüne Arzt besaß. Bisher mussten sie die Entführten gegen Vieh wieder aus ihrem kalten Gefängnis auslösen oder riskieren, dass ihre Kameraden von den Meerfeen an irgendein Meeresungeheuer geopfert wurden.

Vielleicht könnte Tilsegs Methode ihnen dabei helfen, das vermaledeite Territorium der Amazonen endlich hinter sich zu lassen, um in das Land zu reisen, aus dem die Vorfahren der hiesigen Menschen kamen. Koschkin fluchte bei diesen Gedanken, worauf Fang ihr Gespräch wieder aufnahm.

„Ich mache mir auch Sorgen um Hiriko, Sven und Tilseg.“

Der Kommandant nickte nur. Sorgen machte er sich auch um seine Kameraden, doch gerade Tilsegs Zustand war bedenklich und erinnerte ihn zu stark an die Geschehnisse an Bord seines alten Raumschiffs, der Sirius7, als sie mithilfe des Hyperraumantriebs hierherkamen und das Biogel - eigentlich Teil des organischen Supercomputers an Bord - den Schiffarzt angegriffen und übernommen hatte. Er wusste nicht allzu viel von Biotechnik, doch war das Biogel ursprünglich eine genmanipulierte Algenart gewesen, die zu einem komplexem Computersystem hochgezüchtet worden war und die Fähigkeit besaß, synapsenähnliche Verbindungen zwischen den einzelnen autonomen Zellen des Gels zu generieren, um so gewaltige Rechenoperationen durchzuführen. Diese Verbindungsfähigkeit war auf der Krankenstation nach dem Bruch des Biogeltanks außer Rand und Band geraten und hatte den Bordarzt überwältigt und infiziert. Boris hatte gelegentlich immer noch Albträume, in denen er immer und immer wieder die Entscheidung treffen musste, einen Freund verloren zu geben und ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Aber selbst die von ihm schweren Herzens eingeleitete Notdesinfizierung der Krankenstation hatte es nicht aufhalten können. Und das hieß etwas, da die Notsysteme alles, was sich auf der Station befand, durch ein extremes Hitzeinferno vernichtet hatten. Die Flammenwalze hatte wirklich alles in der beschädigten medizinischen Abteilung und dem angrenzenden Laboratorium zuverlässig in Asche verwandelt, inklusive des Biogelsystems der Sirius7 und des Körpers von Segschneider.

Alles, außer der Keimzelle, aus der sich Tilseg neu entwickelt hatte, wie er nun wusste.

Sollte das Biogel wieder angefangen haben, auf die erste Art und Weise andere Lebewesen zu befallen, wie den Doktor damals, würde nichts auf dieser Welt dem etwas entgegensetzen können. Was würde dann aus diesem Planeten werden? Wäre dann alles und jeder Tilseg, oder was würde dabei geschehen?

Der Russe schauderte bei diesem Gedanken. Faqech schien das Unwohlsein ihres Gefährten zu spüren.

„Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass Ashley zurück ist.“

„Wirklich? Das ging ja schnell.“

„Ja, sehr schnell.“

„Hatte sie Erfolg?“

„Sie hat nicht viel gesagt, schien mir aber nicht in bester Stimmung.“

„Das ist sie doch nie.“

„Stimmt. Aber sie hat auch die gefangenen Kriegerinnen wieder mitgebracht. Der Clan der Klippenläufer wollte sie nicht, da sie zu anderen Clans gehören.“

Koschkin nickte. Einige Amazonen hatten sich den Astronauten angeschlossen, andere sich ihnen in den Weg gestellt. Die verletzten Überlebenden dieser Konflikte hatten sie kurzerhand mitgenommen, um sie wieder gesund zu pflegen. Schon alleine aus humanitären Gründen fühlten sie sich dazu verpflichtet. Ihr Verhalten hatte aber zunächst regelrechten Unglauben bei ihren Gefolgsleuten ausgelöst, die nicht verstanden, warum man jemand, der einem feindlich gegenübertrat, anschließend half. Gnade gegenüber dem Feind war für die Menschen hier fremd.

Da etliche der Orks und Goblins jedoch in ihrem Sklavendasein auch als Arenakämpfer missbraucht worden waren, verstanden sie gut, dass nicht jeder, der kämpft, es freiwillig tut, und waren den Anweisungen seiner Crew gefolgt. Die Menschen akzeptierten schließlich, dass dies eine grundsätzliche Einstellung, ein elementarer Aspekt der Astronauten war und taten es ihnen gleich. Jedenfalls viele von ihnen. Koschkin schätzte, dass sich ihnen in der Zwischenzeit mehr als zweitausend Personen angeschlossen hatten. Die befreiten Sklaven hingegen stellten nur noch etwa zehn Prozent dieser Masse dar.

Der schnelle Zuwachs ihrer Gruppe sorgte für interne Spannungen. Gerade jetzt, wo ihre Reise stockte, zeigte sich, dass Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und individuelle Besonderheiten unter ihren Leuten immer wieder zu Streitigkeiten führten. Noch hielt es sich in Grenzen, doch mussten sie der Entwicklung entgegensteuern, sollten dem Clan der Astronauten daraus auf Dauer keine größeren Probleme erwachsen.

Das war einer der Gründe, warum sie dafür sorgten, dass Menschen, Orks und Goblins wenn möglich gemeinsam arbeiteten und nicht untereinander blieben. Doch die Sprachbarriere war ein gravierendes Hindernis bei der Völkerverständigung. Fang hatte Commen hervorragend erlernt, seit sie sich kennengelernt hatten. Und er selbst konnte sich auch auf Goblinisch ausdrücken, aber bei weitem nicht so gut. Westländisch, wie die Menschen ihre Sprache hier nannten, verstand er hingegen kaum.

Viele andere, ja sogar die überwältigende Mehrheit der Leute, sprach nur ihre eigene Muttersprache. Aber daran arbeiteten sie, indem sie Sprachkurse gaben. Commen sollte die Hauptsprache der Astronauten werden. Doch das war noch ein weiter Weg.

Koschkin seufzte. Sie hatten so viele Probleme und kaum Lösungen. Faqech ließ ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Egal, er musste einfach eins nach dem anderen angehen und darauf vertrauen, dass seine Crew das Richtige tat. Noch einmal seufzte er, dann wandte er sich der zierlichen Goblinin zu.

„Na gut, lass uns gehen und hören, was Ashley erreichen konnte.“

2. Hiriko

Zwei schlanke Körper glitten mühelos und schnell durch die Wassermassen, die sie umgaben. Der ausgedehnte Meeresarm war groß und zerklüftet, sodass ihr Ziel viele Möglichkeiten hatte sich zu verbergen und sich genau da aufzuhalten, wo sie gerade nicht waren. Während die beiden Dryaden gelegentlich verlangsamten, um sich suchend umzublicken, umrahmten grüne Haare ihre besorgten Gesichtszüge, die im Wasser ein seltsames Eigenleben zu führen schienen, so sanft, wie sie sich bewegten. Beschleunigten die beiden Naturgeister wieder, lösten sich einige kleine Gasbläschen von ihren Mähnen und strebten der gut zwanzig Meter höher liegenden Wasseroberfläche entgegen.

„Hiriko!“ Nirilisʼ Stimme schallte durch das zwielichtige Nass, als wäre es Luft, und ließ die schnell schwimmende Dryade in die Richtung ihrer Freundin blicken. Diese fuchtelte mit ihren Armen und deutete dabei in eine spezielle Richtung, während sie weiter rief: „Da unten, ist das Ding da das, was wir suchen?“

Tanakas Blick folgte dem Fingerzeig und entdeckte nun auch einen großen, grünen, wabernden Klumpen, der träge durchs Wasser trieb und sich mit einigen gemächlich schlagenden Tentakelauswüchsen vorwärts bewegte.

„Ja, ich glaube schon“, entgegnete sie unsicher.

Irgendwie hatte sie gehofft, dass die Beschreibung von Tilsegs Zustand übertrieben gewesen wäre und schauderte nun innerlich, als sie auf das unförmige Wesen unter sich zusteuerte. Zwei Armeslängen von dem Etwas, das vielleicht Tilseg war, beendete die Dryade ihre Annährung und starrte das unförmige Ding an, das zu ihrem Entsetzen zurückstarrte.

Der Leib der Kreatur war unförmig und massiv. Viel voluminöser, als es sich Hiriko vorgestellt hatte. Inmitten der grünen Masse, die ebenfalls anhielt, als sie die Dryade erblickte, saß ein menschliches Auge. Tilsegs Auge!

Sie hatte ihn tatsächlich gefunden. Schuldgefühle und Freude rangen in ihrem Inneren miteinander, bis sie sich zu einem vorsichtigen ‚Hi, durchringen konnte.

Der Klumpen reagierte nicht, glotzte sie aber weiter an.

„Hallo Tilseg, erkennst du mich?“

Das Ding näherte sich langsam, Hiriko wich zurück.

„Es wäre mir lieber, wenn wir erstmal nicht kuscheln. Ja?“

Das Wesen verformte sich unablässig, hielt aber schließlich an, ohne eine wirkliche Form auszuprägen. Sie stoppte ebenso.

„So ist besser.“

„Sei vorsichtig“, mahnte Nirilis.

„Bin ich doch.“

„Ich finde, das Ding sieht gefährlich aus.“

„Ich halte doch Abstand. Das ist ein Freund von mir, der Hilfe braucht. Du musst keine Angst haben, er wird mir bestimmt nichts tun!“

Wie um ihre Worte Hohn zu strafen, schoss plötzlich ein Tentakel aus dem Leib des Grünen, als Hiriko ihren Blick von ihm abwandte, um ihrer Freundin aufmunternd zuzulächeln.

„Nein!“ Nirilisʼ Schrei schallte durch das Wasser, doch es war zu spät. Unter den ungläubigen Blicken der Nymphe drang die Spitze der Tentakel in den Bauch ihrer Freundin ein.

Zwischenspiel

Angestoßen durch den sanften Wind klapperte das mannshohe Messergras leise. Einige unvorsichtige und zu tief sirrende Fliegen verloren einzelne Extremitäten oder gar das Leben in den scheinbar sanften Wogen, wenn die rasiermesserscharfen Pflanzen ihre Körperteile mühelos durchtrennten. Doch hier gab es genug von ihnen, selbst wenn sie zu Hunderten starben, denn das Nahrungsangebot inmitten der scharfen Pflanzen erwies sich als ausgesprochen reichhaltig. In einem weitläufigen Kreis von rot bemalten Totems in Form überdimensionierter Orkköpfe befand sich eine Fläche, die frei von schneidenden Gewächsen war. Ein Dorf, in dem einmal fast zweihundert Orks lebten, befand sich dort.

Nun waren alle tot. Jeder.

Weder Männer noch Frauen noch ihre Kinder hatten der dunklen Zauberei etwas entgegenzusetzen gehabt. Selbst das Vieh lag tot in den Pferchen. Nur Legionen von Fliegen, die sich über die hier allerorts herumliegenden Kadaver hermachten, schienen dort zu existieren und feierten eine gewaltige Party. Doch ein Ork lebte noch zwischen den gedrungenen Behausungen. Die einsame Gestalt beachtete die Toten nicht, denen sie das Leben geraubt hatte, und ignorierte auch die Fliegen, die mit ihr im Schutzkreis eingeschlossen wurden, als der Zauber begann.

Konzentriert rezitierte der Ork fremdartige Worte, die ihm ein unsichtbarer Dritter flüsterte. Der Geist in der Lampe, der ihm mit lautloser Stimme zusäuselte, wie die magischen Worte lauteten, die nötig waren, um einen Dämonen zu beschwören, erfüllte keine Wünsche, sondern war eine gefangene und versklavte Seele. Eine dunkle Seele, die einst ein Magier gewesen war.

Der Geist nannte sich Magister Ingbold und leitete den Orkschamanen durch den für ihn ungewohnten Zauber, bedacht, keine Fehler zu begehen. Beschwörungsfehler waren tödlich und hatten darüber hinaus unkalkulierbare Risiken. Doch das war nicht der Grund, weshalb der Zauberer sich solche Mühe gab. Noch brauchte er den Ork. Aber Freunde waren er und der Schamane bestimmt nicht.

Nicht nur, dass der Magister die Spezies seines Knechtmeisters für minderwertig und Schamanismus für überflüssiges Beiwerk der Zauberei hielt. Auch die Tatsache, dass dieser spezielle Orkschamane der Lehrling des Lehrlings seines eigenen Schülers war, verbreiterte den unversöhnlichen Abgrund zwischen ihnen. Dieser Schüler hatte ihn verraten, für sein vorzeitiges Ableben gesorgt und ihn so kurz vor Beendigung seines Lebenswerks dazu verdammt, eine Existenz als Spuk zu führen.

Dass Gregar, wie sein Peiniger sich selbst nannte, ihn außerdem schon mehrfach gefoltert hatte, seit seine dreckigen Halbmenschenfinger die Lampe des Magisters betatschten, sorgte ebenfalls nicht gerade dafür, dass er dem Ork in irgendeiner Weise wohlgesinnt war. Dass das Wissen, welches der Schamane dabei anwandte, von ihm selbst stammte, empfand der Magister zu allem Überfluss als unerträgliche Schmach und schändliche Ironie des Schicksals, die baldigst korrigiert werden musste. Der gefangene Magier hätte nur zu gerne den ein oder anderen kleinen Fehler in die Zauberformel eingewoben, um dem Ork zu schaden. Doch noch brauchte er ihn für seine eigenen Ziele. Noch hatte er Hoffnung, den Halbmenschen davon zu überzeugen, ihn aus der unscheinbaren Öllampe zu befreien, die sein Seelengefäß und Gefängnis war.

Doch damit sein verhasster Herr ihm dabei half, seinem Gefängnis zu entkommen, musste er sich als nützlich erweisen, um weiter das Vertrauen des Schamanen zu erlangen.

3. Boris

Gemeinsam gingen Fang und Boris zu ihrem ausgedehnten Lagerplatz am Ufer des Flusses, dessen Wasserfall ins Meer von Ashley eingeebnet wurde, und suchten die Amerikanerin. Die Blondine saß mit einigen anderen Frauen an einem Lagerfeuer, aß etwas und unterhielt sich dabei in der Sprache der einheimischen Menschen.

Nicht weit davon entfernt wimmelte ein Rudel Säbelfanten im Schatten einiger vereinzelt stehender Bäume. Die Tiere sahen in Koschkins Augen aus wie Säbelzahntiger, die in einem Schuppenkleid aus kleinen Panzerplatten steckten und einen kurzen Elefantenrüssel besaßen.

Die meisten dieser großen Raubtiere gingen Boris bis zur Hüfte oder sogar bis zur Brust, doch zwei Exemplare waren deutlich größer. Diese besaßen die Dimension eines Ochsen und waren furchteinflößende Gegner. Das wusste er aus eigener Erfahrung.

Eine der Frauen in Ashleys Begleitung bemerkte ihn und Fang als Erste. Der Rotschopf hob grüßend den Arm und machte so auf ihn aufmerksam. Diese Kriegerin gehörte, wie alle Frauen, die dort am Feuer saßen, zu den Amazonen, die sich ihnen während des Durchzugs der Astronauten durch die Territorien der Clans angeschlossen hatten, und war gleichzeitig die erste Amazone, auf die Ashley gestoßen war.

Dass seine Kameradin die Clanfrau bei dieser Gelegenheit fast totgeschlagen hatte und sie nun zu ihnen gehörte, machte ihm ein wenig Hoffnung, wenigstens noch so lange mit den Amazonenclans Frieden zu halten, bis sie hier weg waren, da die Rothaarige nicht nur eine einfache Kriegerin des Clans darstellte, sondern auch die Thronfolgerin der Wogenden Wipfel war.

Andererseits fanden die Clanfrauen es bestimmt nicht lustig, dass ihre Prinzessin sich von ihnen abgewandt hatte. Ein ernüchternder Gedanke.

„Wenn das mal nicht der blöder Kater ist!“

Ashleys Stimme war laut und klar zu verstehen, als sie ihn auf diese Art begrüßte. Doch Koschkin hätte selbst dann gewusst, dass diese Worte von ihr stammten, wenn sie von jemand anders niedergeschrieben worden wären, da nur sie ihn so nannte. Leise fluchte der Russe. Er hätte ihr nie verraten sollen, was sein Nachname wirklich bedeutete.

„Hallo Ashley“, erwiderte er, ohne weiter darauf einzugehen. „Wie waren die Verhandlungen?“

Als Antwort fluchte nun die Blondine, bevor sie erwiderte: „Die Königin der Klippenläufer ist noch starrköpfiger als du. Man hat uns noch nicht einmal hineingelassen.“

„Also hast du nichts erreichen können?“

„Das habe ich nicht gesagt!“

Ihre scharfe Zurechtweisung ließ ihn verstummen und von weiteren vorschnellen Fragen Abstand nehmen. Ashley fuhr fort: „Was unseren Aufenthalt hier anbelangt, so ist der geritzt. Aber unsere Gefangenen wollten sie immer noch nicht haben. Genauso wenig wie sie uns Patrouillen erlauben wollen. Darüber reden wir gerade. Ronja meint, dass an der Burg der Klippenläufer irgendetwas nicht stimmt. Sie haben zwar großspurig getan, doch das Gemäuer wirkte irgendwie heruntergekommen.“

„Gemäuer?“ Koschkin war so erstaunt über die Wortwahl seiner Ingenieurin, dass er seinen guten Vorsatz kurzzeitig vergaß.

„Ja, Gemäuer. Bist du blöd? Die Festung wirkte ziemlich hinüber. Jetzt kapiert?“

Da ihr selbst wohl nicht bewusst war, dass sie ungewohnte Worte nutzte, hielt es Boris für besser, nicht weiter darauf einzugehen und den Mund zu halten.

„Wir diskutierten gerade, ob wir das Verbot ernst nehmen können und ob es besser ist, Patrouillen auszusenden oder nicht. Die Klippenläufer scheinen sich in ihrer Steinfestung eingeigelt zu haben. Unterwegs sind wir niemandem begegnet. Selbst die beiden Dörfer, die wir passierten, waren leer, ähnlich wie die am Fluss.“

„Meinst du, sie haben auch diese vorsorglich ausgesiedelt, damit die Männer nicht zu uns überlaufen können, oder gibt es einen anderen Grund, den wir nur noch nicht kennen?“ Fangs Miene zeigte deutlich ihre Beunruhigung.

„Beides möglich“, antwortete Ashley ihr. „Aber ich weiß nicht. Irgendwas ist hier faul!“

Während die Blondine nun fluchte, ergriff Ronja das Wort.

„Die Klippenläufer haben den Ruf aggressive Kriegerinnen zu sein. Ihr Verhalten passt nicht dazu.“ Ihre Aussage wurde vom Nicken der anderen Frauen unterstützt.

„Na gut, wir sollten vorsichtig sein. Aber wenn sie sich wirklich zurückgezogen haben, sollten wir das Risiko eingehen, sie zu verärgern und tatsächlich Patrouillen ausschicken.“ Die Frau, die dies sagte, kannte Koschkin nicht.

„Schön und wenn sie schon unterwegs sind und was zu jagen finden, sollen sie es gleich mit nachhause bringen. Ronja und ich werden uns auch einer Patrouille anschließen, sobald Hiriko mit den Säbelfanten geredet hat. Wo ist sie eigentlich?“

„Sie ist immer noch auf der Suche.“

Faqechs Antwort löste einen weiteren Fluch bei der Blondine aus, bevor sie erwiderte: „Na hoffentlich bekommt sie das bald auf die Reihe. Die Säbelfanten verhalten sich zwar friedlich, solange Ronja und ich bei ihnen sind. Aber die Gerüche der vielen Leute machen sie nervös. Als wir bei den Klippenläufern waren musste der Tross knapp hundert Meter Abstand halten. Und auch als wir am Tor verhandelten, blieb Ronja abseits bei dem Rudel, um keine Zwischenfälle zu provozieren.“

„Wir hoffen alle, dass Hiriko bald wieder zurückkommt und auch dass sie erfolgreich ist. Wir werden Geduld haben müssen.“ Faqech Miene spiegelte völligen Ernst wider. Koschkin nickte bei den Worten der kleinen Schamanin, doch Ashley fluchte erneut.

„Genau das ist der Punkt! Mir geht die Geduld aus. Es geht mir hier alles viel zu langsam!“ Wieder fluchte sie. „Na gut. Solange Hiriko beschäftigt ist, werden Ronja und ich ein paar Jagdexpeditionen starten. Karl ist besorgt, wie schnell unsere Lebensmittelvorräte schwinden. Und die Tiere der Herden brauchen wir vielleicht noch für die Meerfeen, wenn dein Plan mit dem Boot nicht aufgeht.“

„Es wird funktionieren! Die Piroge werden sie nicht so schnell versenken können. Wie sonst erklärst du dir die Tatsache der vielen Schiffe, die im Seeschling gefangen sind? Hätten die Meerfeen die Möglichkeit so große Schiffe zu versenken, hätten sie das auch getan.“

„Kann sein“, lenkte Ashley ein. „Wann geht es los?“

„Die Reparaturen sind fast abgeschlossen. Morgen könnten wir das Schiff mit Proviant beladen und danach in See stechen.“

„Und dann darfst du dich wieder als Kommandant eines Schiffes fühlen!“

Ihr ätzender Kommentar schmerzte ihn tatsächlich, aber er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen.

„Darum geht es nicht. Die Erkundung ist genauso wichtig wie die Jagd! Wir müssen hier weg, bevor sich die Amazonen gegen uns stellen. Du weißt genau, dass wir den vereinigten Clans nichts entgegenzusetzen haben.“

„Das ist deine Meinung!“ Ashley tätschelte den steinernen Kopf ihres Hammers. „Die werden genauso eins auf die Fresse kriegen wie die anderen!“

„Wo du sie schon erwähnst“, nahm Fang den Faden auf. "Was machen wir nun mit den Gefangenen? Die Klippenläufer wollten sie nicht, doch sind ihre Verwundungen ausgeheilt.“

„Und es sind einige zusätzliche Mäuler, die zu stopfen sind“, pflichtete Koschkin bei. „Lassen wir sie selbst entscheiden, wohin sie gehen wollen.“

„Wir haben keinen Grund sie weiter festzuhalten“, meinte Faqech.

„Gut, sehe ich ähnlich. Wenn sie gehen wollen, sollen sie gehen, solange sie ihr Wort als Clanfrauen geben, friedlich abzuziehen.“

Da Fang und Ashley seine Meinung teilten, war das nun beschlossene Sache.

„Wer sagt es den Gefangenen?“

„So was Blödes kann auch nur von ʼnem dummen Kater kommen! Natürlich derjenige von uns, den die Frauen verstehen können. Du kommst schon mal gar nicht in Frage. Und Fang?“ Ashley schaute die Schamanin geradeheraus an. „Sie lernt schnell, aber zum richtigen Reden reicht es noch nicht. Also bleibt ja nur einer von uns übrig. Ich rede mit ihnen, sobald ich aufgegessen habe. Und nun troll dich. Die Mädels und ich haben noch was zu besprechen.“

4. Hiriko

Die Tentakelharpune überwand die Entfernung zwischen ihnen in Sekundenschnelle und bohrte sich tief in Tanakas Körper.

„Nein, nein, nein“, schrie Nirilis entsetzt und immerzu, außerstande einzugreifen.

Ein überraschtes ‚Aua‘ Hirikos eigene, erste Reaktion, als sie auf die Einstichstelle blickte, den Schmerz und das Brennen bemerkte.

Alles geschah so schnell, dass Hiriko gar nicht erst mit einfachem Entstofflichen reagieren konnte. Doch nun stellte sie fest, dass sie die Stelle, in der Tilsegs Tentakel steckte, nicht länger verändern konnte. Wie war das möglich? Sie war doch ein Naturgeist.

Heiß brannte der Stachel in ihrem Körper, als sie reflexartig nach Tilseg griff und Kontakt herstellte.

„Hab es! Hab es!“

Gierige Zufriedenheit war alles, was sie von dem Wesen spürte. Wo war Tilseg? Wo waren Verstand und Herz des grünen Knuddelbärs?

„Hab es! Hab es!“

Irgendwo da musste auch er sein.

„Hab es! Hab es!“

Sie musste es nur anders betrachten.

„Hab es! Hat sie!“

Da! In den Wirren der Lebensimpulse war er endlich. Wirr und schwach, aber da.

„Tilseg!“

„Hat sie! Rechnen, hat sie.“

Das Brennen in ihrer Brust wurde schlimmer aber sie wollte den Kontakt noch nicht aufgeben

„Tilseg, spürst du mich?“

„Hat sie! Rechnen, hat sie.“

Während sie tiefer in sein Bewusstsein eindrang, revanchierte sich sein außer Kontrolle geratener Körper ebenfalls mit weiteren Vorstößen in ihren Leib. Ein Schrei quoll aus ihrer Kehle, als sie weiter an dem Bewusstsein ihres Freundes zupfte, während das Biogel begann, ihren Leib zu übernehmen. Zelle für Zelle, Stück für Stück.

„Nein, nein, das darf nicht sein. Hiriko, oh nein.“ Nirilis schwamm panisch um die beiden ungleichen Wesen, die wie mit einer Nabelschnur durch die einzelnen Tentakel verbunden waren.

Hiriko schrie, sie weinte. Dann schrien beide. Brüllten ihre Angst, Ohnmacht und Verzweiflung in die Weiten des Meeres, während sich ihre Tränen mit dem Wasser mischten.

Zwischenspiel

Der Drache Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon folgte zielstrebig dem Fluss, der sich unter ihm dahin schlängelte. Irgendwo in den Windungen des Gewässers befand sich das, was er suchte.

Es war kein Gegenstand, den er als seine Beute erkoren hatte, sondern eine Person, genauer ein Mensch. Aber nicht irgendeine von ihnen wollte er in die Klauen bekommen, sondern ein ganz spezielles Weibchen.

Eine Frau mit blondem Haar, bewaffnet mit einem großen steinernen Hammer und auf einem Raubtier reitend, das die Menschen Säbelfanten nannten.

Wer das majestätische Geschöpf so durch die Lüfte gleiten sah, wäre nicht auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei dem Ungetüm um eine Amazonenkönigin handeln würde. Der Drache war die Königin vom Clan der Drachenklauen, einem Amazonenclan, der sich aus den Trümmern eines anderen erhoben hatte, nachdem er die damalige Monarchin verspeist hatte, die Jagd auf ihn machen ließ.

Seine Herrschaft war kompromisslos.

Wer ihm nicht folgte, musste gehen oder wurde verspeist. Doch ließ er den Frauen unter seiner Herrschaft mehr Autonomie und Freiheit, als es manch anderer Clan zulassen würde, was den Drachenklauen wenig Liebe von den anderen Clans einbrachte, da diese sich neben der Tatsache, dass sie einen Drachen als ihre Königin anerkannten, in einigen Punkten unterschieden.

Auch die Drachenklauen praktizierten eine Trennung zwischen Mann und Frau, doch war es den Kriegerinnen erlaubt, sich Männer zu erwählen und mit ihnen zusammen zu leben. Gleichberechtigt waren jedoch auch diese Paarungen nicht.

Es gab Tage, da bereute Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon es, sich zwischen Menschen niedergelassen zu haben. Zu seltsam und unsinnig wirkte ihr Verhalten. Doch die Vorteile, eine Königin zu sein, waren auch nicht zu verachten. Zufriedenheit stieg in ihm auf, als er an seinen ständig wachsenden Hort dachte, den die Frauen für ihn zusammentrugen.

Das war eine gewisse Mühe wert, beschloss der Drache. Also hatte er sich herabgelassen, zur großen Versammlung der Amazonenclans, ihrem Kurtai, zu kommen, und sich angehört, was die kleingeistigen Menschen zu bereden hatten. Wenn das stimmte, was sie berichteten, war dieser neue Clan der Astronauten tatsächlich gefährlich.

Doch das war er auch! Also machte er sich wegen ihnen keine Sorgen.

Die Berichte über die Königin dieses Clans, die auch Herrin der Säbelfanten genannt wurde, hatte ihn allerdings neugierig gemacht.

Das ständige Mittelmaß der Menschen langweilte ihn, doch diese Frau schien besonders zu sein. Mit leichtem Bedauern dachte er daran, dass er sie vielleicht würde töten müssen, sollte sie tatsächlich Tote beschwören und ähnliche Verbrechen begehen, wie sie ihr zur Last gelegt wurden. Aber zunächst würde er sie finden und mit sich nehmen.

Hatte er seine eigene Neugier dann gestillt, würde er sie schließlich dem Kurtai übergeben. Die dort getroffenen Entscheidungen müsste auch er befolgen, wenn er nicht den Status seines eigenen Clans riskieren wollte.

Diese Möglichkeit aber war für ihn gänzlich ausgeschlossen, denn dann wäre sein Hort in ernster Gefahr. Das aber würde kein Drache je freiwillig zulassen!

5. Sven

Sven Erikson hockte auf einem Tisch. Neben ihm saß sein Freund und Lehrmeister Lektor Ingbold mit baumelnden Beinen. Gemeinsam beobachteten sie eine mannsgroße, tiefschwarze Schattenkatze, die gerade im Begriff stand, einen ebenso beschaffenen Negativabdruck eines Gehirnes mit wild zappelnden Nervensträngen am Hirnstamm zu verspeisen. „Ich glaube, ich verstehe langsam Euren Zauber, den Ihr gewirkt habt, um dieses Kätzchen zu erschaffen.“

„Wirklich? Dann können Sie es mir hoffentlich auch erklären. Denn ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, warum es weiter größer wird, doch die Zauber, die von Ihnen abgefallen sind, nicht. Ebenso wenig wie den Bannspruch, den ich erschaffen habe, um Sie von den anderen Zaubern zu befreien.“ Dabei deutete der Norweger in eine Ecke des kleinen Raumes, in der ein handflächengroßes zwölfbeiniges spinnenartiges Schattengeschöpf hockte und wie erstarrt wirkte.

„Da kann ich Euch eventuell weiterhelfen, mein Freund. Ich denke, es liegt an der Art, wie Euer Zauber funktioniert, in Kombination mit den Eigenschaften dieses Raumes.“

„Wären Sie dann so freundlich, mich zu erleuchten, verehrter Lektor?“

„Aber mit Vergnügen. Wie Euch schon trefflich aufgefallen war, ist Euer Zauberkätzchen der einzige Spruch, der anwächst, wenn er die anderen Zaubersprüche verschlingt. Seine Wirkungsweise scheint darauf zu beruhen, jeder Zauberspruchmatrix solange Mana zu entziehen, bis diese in sich zusammenbricht.“

„Und durch die Aufnahme des so gestohlenen Manas wird der Zauberspruch stärker.“ Sven nickte verstehend. „Ich glaube, Sie haben tatsächlich die Erklärung dafür gefunden, warum nur die Katze wächst. Die anderen Zaubersprüche dienten dazu, Ihre Erinnerungen und Handlungsmöglichkeiten einzuschränken.

„Ja“, bestätigte der Lektor. „Jedenfalls soweit wir es bisher herausgefunden haben. Neues Mana sammeln sie dabei jedoch nicht.“

„Aber wieso greift die Katze nicht meine vielbeinige Spinne an? Das verstehe ich nicht.“

„Das, mein Freund, ist eine gute Frage, die auch mich beschäftigt. Warum dieser Bannspruch Euren anderen Zauber ausgespart hat, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Vielleicht weil sie beide von Euch stammen oder weil Euer Kätzchen durch seine Zaubermatrix nur bestimmte Arten von Zaubersprüchen jagt.“

Sven dachte eine kleine Weile über die Worte seines Lehrers nach. Irgendwie war es immer noch seltsam, dass er sich Auge in Auge mit Ingbold unterhalten konnte. Schließlich war Ingbold eigentlich ein Geist. Genau genommen sogar nur ein Seelenfragment eines abtrünnigen Magiers der Sieben Türme, der in einem kleinen, runden Schmuckstück eingekerkert war und nur mit Personen interagieren konnte, die dieses Kleinod berührten. Seit Hiriko ihn jedoch in ihren Weinstock hineingezogen hatte, um ihm diesen Raum zu zeigen, befand sich nicht nur er selbst, sondern auch der Lektor plötzlich im Inneren des Dryadenheims. Gefangen im Holz saßen sie hier nun fest.

„Sie haben recht. Beides scheint auch mir möglich. Man könnte es testen, indem Sie oder ich einen weiteren Zauber wirken, um zu sehen, wie die Katze darauf reagiert.“

„Ihr habt einen wachen Verstand, mein Freund. Doch fürchte ich, dass Eure Freundin uns strikt verboten hat weitere Zaubersprüche zu wirken. Davon abgesehen besitze ich schon seit langem keine Zauberkraft mehr.“

„Stimmt. Hiriko war nicht begeistert, als sie die Zauber gesehen hat. Davon abgesehen geht es mir ähnlich wie Ihnen. Ich habe mittlerweile Erfahrungen, wie es sich anfühlt, wenn man es mit der Zauberei übertreibt. Die beiden Bannsprüche haben mich definitiv an diese Grenze geführt. Meinen Sie, dass die Regeneration von Zauberkraft, so wie Sie mir den Vorgang erklärten, auch hier funktioniert?“

„Ich enttäusche Euch nur ungern, doch entzieht sich dies meinem Kenntnisstand. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Dryaden überhaupt zu so etwas in der Lage wären. Dass sich Zaubersprüche auf diese Art und Weise verstofflichen können, ist eine völlig neue Erkenntnis für mich. Der Wissenschaftler in mir ist völlig außer sich, wenn ich darüber nachdenke.“

„Wirklich? Und was bringt Sie so aus der Fassung?“

„Mein Freund, Ihr steht noch am Anfang Eurer Reise durch die Wissenschaft der Schulmagie, auch wenn Ihr schon einige erstaunliche Leistungen vollbracht habt, die manchen Meister der Zauberkunst erblassen lassen würden. Im Laufe der Jahrzehnte werdet Ihr lernen, wie groß und komplex die Spielarten der Magie doch sind. Aber dies hier“, er deutete auf die Katze, die nun unruhig durch den Raum streifte und sie dabei immer wieder umkreiste, „dies hier eröffnet ganz neue Aspekte, die selbst ich noch nicht beachtet habe.“

„Sie müssen es ja wissen, Lektor Ingbold. Schließlich sind Sie derjenige von uns beiden, der die Berufserfahrung besitzt.“

„Das, mein Freund, ist richtig. Doch muss ich gestehen, dass ich erstaunlich viel Neues erlernt habe, seid Ihr mir erlaubtet, mit Euch zu reisen. Die Zauber, von denen Ihr mich befreitet, haben nicht zugelassen zu erkennen, wie viel ich doch noch nicht wusste von dem, was ich durch Euch und Eure Freunde erleben durfte.“

„Bitte, Ihre Begleitung ist mir eine Ehre.“

„Ich habe es bisher noch nicht getan, aber ich möchte Euch von ganzem Herzen für diese Möglichkeit danken, die Ihr mir geschenkt habt, mein Freund. Eure Hilfe, die Ihr mir zuteilwerden ließet, als Ihr mich von diesen Zaubern befreitet, werde ich nie vergelten können.“

„Oh, aber, ähm..“ Sven wusste gar nicht, was er sagen sollte. So emotional war der Lektor selten, eigentlich sogar noch nie gewesen. Gelegentlich überschwänglich vielleicht, aber nie so offen. „Ja, kein Problem. Habe ich doch gern gemacht.“ Er spürte die Röte in seinem Gesicht aufsteigen und überlegte, wie das nun wieder möglich war, obwohl er doch in einer Pflanze steckte, völlig von seinem Körper getrennt. Oder etwa nicht? „Ich wüsste ja zu gerne, was draußen vor sich geht“, wechselte er schnell das Thema. „Was Hiriko und die anderen wohl gerade machen?“

6. Hiriko

Hirikos Wahrnehmung gefror. Oder war es die Welt, die plötzlich anhielt? Jegliche Bewegung erstarrte. Zunächst festigte sich das Wasser um sie herum zu einem klaren, kalten Kristall, in dem sie eingeschlossen war.

Nirilis schemenhafte Gestalt verharrte in ihrer Bewegung und auch die kleinen Gasbläschen hielten inne. Dann hielt schließlich selbst das Licht an. Es wurde dunkel.

Nun waren sie allein.

Die Kreatur, die Tilseg war, und sie in finsterer Bewegungslosigkeit. Doch dann flutete Licht die Dunkelheit um sie herum und nahm das Brennen und den Schmerz einfach mit, während es sich in ein unendliches Nichts erstreckte.

Im Zentrum des erleuchteten Nichts schwebten nun drei Körper. Zum einen Hiriko selbst. Ihre beiden Begleiter waren grün doch von unterschiedlicher Gestalt. Der eine war ein formloser Klumpen, unentwegt in Bewegung und doch auf der Stelle verharrend. Der andere war ihr Freund und Weggefährte.

Zunächst war sie sprachlos, außerstande zu begreifen, was passierte. Doch die Stimme des Doktors, der ‚Das ist über alle Maßen faszinierend‘ sagte, löste die Barrikade.

„Tilseg!“

Erst jetzt schien der muskelbepackte Glatzkopf sie tatsächlich zu bemerken.

„Hiriko Tanaka?“

Tilsegs Miene zeigte Überraschung, dann Freude und Erstaunen. Hiriko hatte noch nie so viele Gefühlsregungen über die Miene ihres grünhäutigen Freundes huschen sehen, seit er war, wie er war. Schließlich zeigten seine Züge Besorgnis, als er weitersprach.

„Habe ich dir etwas getan? Ich befürchte, ich habe dich angegriffen. Ich bitte dafür vielmals um Verzeihung. Geht es dir gut?“

„Mir? Ja, mir gehtʼs soweit gut“, entgegnete sie verunsichert. „Aber ich hab keine Ahnung, was hier los ist.“

„Faszinierend. Mir geht es genauso.“ Die Stirnfalten des Doktors legten sich in der Art in Falten, wie es Till Segschneider früher immer getan hatte, wenn er über ein Problem nachdachte. Tilsegs Miene war normalerweise weniger aussagekräftig.

„Es tut mir leid“, brach es nun aus der Dryade heraus. „Ich habe vergessen, dass du an Bord geblieben warst, es ist so viel passiert und dann habe ich nicht mehr an dich gedacht.“

„Es gibt keinen Grund, warum du dich entschuldigen musst. Du hast nichts getan. Ich muss mich entschuldigen, dass ich meinen Körper nicht kontrollieren konnte und er dich angegriffen hat.“

„Es freut mich, dass ihr so höflich miteinander umgeht.“

Die kraftvolle Stimme schien aus allen Richtungen auf sie einzudringen und ließ Hiriko erschreckt zusammenzucken. Doch dann regten sich Erinnerungen. Sie kannte diese Stimme vom Tag ihrer Geburt.

„Ein erstaunlicher Effekt. Die Situation wird immer interessanter.“

Tilsegs gelassene Äußerung verwirrte Tanaka, während der grüne Klumpen leise vor sich her blubberte.

„Wer … Wer bist du?“ Emotionen, die ihren Körper überfluteten, gaben die Antwort auf diese Frage. „Bist du es wirklich?“

„Dir ist diese Entität bekannt?“

„Entität? Du meinst …“ Sie brach ab, setzte dann erneut an. „Ähm ja, schon. Auch wenn ich keinen Namen für sie habe.“

„Du darfst mich Mutter nennen, wenn du möchtest, denn alle Dryaden sind ein Teil von mir. Die meisten Völker auf mir nennen mich Lunaria, wenn sie meinen Leib benennen. Doch die Menschen nennen mich auch Luna. Ich überlasse es euch einen Namen zu wählen. So war es immer schon Brauch.“

„Mutter?“

Hirikos Stimme war nur ein Hauch, als sie versuchte zu begreifen, was die körperlose Stimme gerade erzählt hatte. Tilseg fing sich vor ihr wieder.

„Wenn ich das richtig erfasse, deutet Ihr an, dass Ihr diese Welt verkörpert?“

„Ja.“

„Im esoterischen oder religiösen Sinne?

„Ja.“

„Diese Antwort ist unspezifisch, ich konkretisiere: Seid Ihr eine Art Göttin oder wollt Ihr damit sagen, dass der Planet selbst ein Bewusstsein besitzt, mit dem wir gerade in Verbindung stehen?“

„Ja.“

„Diese Antwort bleibt unspezifisch. Darüber muss ich nachdenken.“

„Warum sind wir hier?“ Hirikos Stimme war immer noch schwach, aber klar zu verstehen.

„Das ist eine gute Frage.“ Die Stimme fühlte sich ein wenig wärmer an als zuvor. „Ihr seid hier, weil ich nicht zulassen kann, dass das passiert, was im Begriff war zu passieren.“

„Was ist denn los?“

„Ich habe dich angegriffen“, entgegnete Tilseg auf ihre Frage.

„Nein“, widersprach die Stimme. „Ich weiß, dass du es zu verhindern suchtest. Der Angreifer, um den es geht, schwebt neben dir.“

Zwei Paar Augen richteten sich auf den Klumpen neben Tilseg.

„Doch da ihr beide eins seid, wird meine Entscheidung euch beide betreffen.“

„Eine Entscheidung? Was muss entschieden werden? Und was hat Tilseg überhaupt so Schlimmes getan?“

„Das sagte dein Freund doch bereits.“

„Ich bin schon öfters angegriffen worden, ohne dass du eingegriffen hast. Bis eben dachte ich sogar, ich hätte dich erträumt, als ich wiedergeboren wurde, und jetzt, jetzt bist du plötzlich hier. Ich verstehe gar nichts mehr.“

„Ich glaube, ich kann dir in einigen Punkten weiterhelfen.“ Tilsegs Stimme war weiter ruhig, ja geradezu gelassen, doch seine Körperhaltung zeigte Anspannung. „Seit wir uns hier befinden, kann ich wieder klar rechnen. Erinnerst du dich noch an den Kristall? Du hast mir erzählt, dass irgendetwas durch dich zu ihm, gesprochen hatte. Anschließend ließ der Kristall Ashley Bender gehen, raubte ihr aber ihr Wissen über jegliche Technik der Sirius7 und damit große Teile ihres Lebens.

„Ja, ich erinnere mich gut. Aber ich verstehe trotzdem nicht.“

„Ich habe lange über diesen Kristall, die Vernichtung des Schiffes und Ashleys Schicksal nachgedacht. Mit meinem jetzigen Wissensstand komme ich zu dem Schluss, dass dieser Kristall tatsächlich durch die Technik an Bord der Sirius angelockt wurde. Im Grunde könnte man ihn mit einer Art auf Technik spezialisierte Immunzellen des Planeten vergleichen, die jede technische Entwicklung vernichten, die einen bestimmten Technisierungsgrad überschreitet.“

Hiriko schwieg mit offenem Mund, vergebens bemüht den Ausführungen des Doktors zu folgen.

„Das hast du gut erkannt“, lobte die körperlose Stimme. „Wie lauten deine weiteren Schlussfolgerungen?“

„Ohne die Hintergründe zu wissen, die zu dieser ‚Immunreaktion‘ führten, ist als Folgerung zwingend zu sagen, dass dieser Planet sich offensichtlich aktiv gegen Techniken höheren Komplexitätsgrades wehrt.“

„Na gut, das erklärt, was mit dem Schiff und irgendwie auch was mit Ashley damals passiert ist. Aber was hat das mit dir und mir zu tun?“ Hiriko kam immer noch nicht mit.

„Wenn du es genau betrachtest, ist mein Körper im Grunde ebenfalls ein technisches Produkt. Nur eben kein Erzeugnis auf Grundlage der Maschinentechnik sondern wurde durch Biotechnik hervorgebracht.“ Tilseg machte eine Pause und deutete auf seine unförmige zweite Hälfte. „Dieser Teil von mir ist dem Biogel viel näher als einem Menschen. Ohne die Kontrolle durch mein Bewusstsein laufen primitive grundlegende Programme ab, die in meiner Genstruktur verankert sind. Zellerhaltung, Assimilation und Reproduktion.“

„Aha …“

Tilsegs Berechnungen schienen schneller und schneller abzulaufen, während Hiriko immer größere Probleme hatte, den Gedankengängen des Doktors zu folgen.

„Du, beziehungsweise die Dryaden, scheinen ebenfalls Teil des planetaren Immunsystems zu sein. Vergleichbar vielleicht mit den Helferzellen eines Organismus. Durch den Versuch meines Körpers, dich zu assimilieren, ist Lunaria auf mich aufmerksam geworden.“

„Willst du sagen, du bist eine Art Krankheit?“

„Im planetaren Maßstab, korrekt. Wenn es mir nicht gelingt, die Kontrolle über meine Körper zurückzuerlangen, stelle ich eine immense Gefahr für das gesamte Ökosystem dieses Planeten da.“

„Aber wieso denn?“

„Weil das Biogel außer Kontrolle ist. Es war nie für Einsätze außerhalb seines Tanks konzipiert und sollte eigentlich gar nicht in der Lage sein, längere Zeit in einer anderen Atmosphäre als die, die in Biogenkammern herrscht, überleben zu können.“

„Für so ein winziges Geschöpf besitzt du eine ausgesprochen scharfe Auffassungsgabe. Deine Schlussfolgerungen entsprechen der Wahrheit. Bisher habe ich dein Gefahrenpotenzial nicht erkennen können, da es durch dich verschleiert war. Doch der Übergriff gegen Hiriko und durch den Versuch ihre Zellen genauso zu übernehmen, wie es deine Substanz zuvor bereits mit einigen anderen Tieren tat, hat mir die Wahrheit offenbart.“

„Ich verstehe das alles nicht.“

„Das ist nicht schlimm“, entgegnete die sanfte omnipräsente Stimme der Dryade.

„Ich komme zu dem Schluss, dass ich in meinem Zustand tatsächlich eine ernstzunehmende Bedrohung für dich bin“, wandte sich Tilseg an die körperlose Göttin. „Nach meinen Berechnungen bin ich sogar eine deutlich stärkere Bedrohung, als es die Sirius7 je für dich sein konnte.“

„Richtig. Deine Art der Technik ist mir neu, auch wenn sie mir nicht grundlegend fremd ist.“

„Was wirst du gegen mich unternehmen?“

„Das hängt ganz vom Ausgang unseres Gespräches ab.“

„Nun muss ich mich doch meiner Begleiterin Hiriko Tanaka anschließen. Das verstehe auch ich nicht mehr. Mir ist es bisher nicht gelungen, die Kontrolle über meinen Körper zurückzuerlangen.“

„Das schaffst du schon“, ermutigte Hiriko ihn, doch Tilseg schüttelte nur den Kopf.

„Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit werde ich auch in Zukunft nicht dazu in der Lage sein. Meine Berechnungen zeigen, dass der Risikofaktor für alles andere im Falle meiner Weiterexistenz inakzeptabel hoch ist. Ich komme zu dem zwingenden Schluss, dass das Biogel vernichtet werden muss, um es daran zu hindern, alles Lebende in Biogel umzuwandeln, was es vorfindet. Meine Vernichtung ist daher unumgänglich, um die Sicherheit aller anderen zu gewährleisten.“

„In diesem Punkt irrst du dich. Aber das ist nur zu menschlich. Dir ist es nicht möglich die Zusammenhänge zu überblicken, doch gerade deine soeben gezeigte Bereitschaft, dich für das größere Ganze aufzuopfern, eröffnet dir noch einen anderen Weg.“

Hätte die körperliche Stimme ein Gesicht besessen, so würde dieses jetzt strahlen, so warm und freundlich, wie sie sich nun anhörte. Hiriko hatte aufgegeben zu begreifen, worüber sich Lunaria und Tilseg unterhielten. Doch bei dem Gefühl dieser Worte beruhigte sie sich ungemein. Irgendwie wusste sie nun, dass alles gut werden würde.

Dann spürte sie ein Kitzeln an ihrem Bauchnabel, als sich ein winziger Funke von ihr löste. Seltsam anmutend, doch wunderschön, schwebte er zu Tilseg hinüber, der seine Hand ausstreckte und den Funken mit den Fingern umschloss, nachdem er sich auf seine Handfläche hinabgesenkt hatte.

„Danke“, murmelte der Grüne und lächelte fast selig. „Faszinierend.

---ENDE DER LESEPROBE---