Turm des Sammlers - Thorsten Hoß - E-Book
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Turm des Sammlers E-Book

Thorsten Hoß

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Beschreibung

Dem mysteriösen Sammler soll Einhalt geboten werden. Die Königin der Astronauten versucht sich dabei in ihrer persönlichen Interpretation von Diplomatie. Aus den eigenen Reihen ist keine magische Unterstützung zu erwarten. Geisterprobleme, ein gewaltiger Krake vor der Küste und ein Drache, der um Hilfe bittet. All das hält die Crew der Sirius7 schwer auf Trab. Doch unbemerkt von allen breitet sich ein Unheil aus, das den Clan vernichten könnte.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

Prolog

1. Tilseg an der Küste

2. Ronja

3. Karl

4. Ashley

5. Boris

6. Viktoria

7. Ronja

8. Faqech

Zwischenspiel

9. Ashley

10. Ingbold

11. Viktoria

12. Ronja

Zwischenspiel

13. Faqech

14. Ashley

15. Tilseg im Dorf

16. Viktoria

17. Barbara

18. Karl

19. Ronja

20. Tilseg am Sammlerturm

21. Ashley

22. Sven

23. Ronja

24. Hiriko

25. Ashley

26. Faqech

27. Ronja

28. Kequerech

29. Viktoria

30. Hiriko

31. Tilseg am Sammlerturm

32. Ashley

33. Barbara

34. Boris

Zwischenspiel

35. Hiriko

36. Tilseg am Sammlerturm

Zwischenspiel

37. Boris

38. Hiriko

39. Tilseg am Sammlerturm

40. Nirilis

41. Boris

42. Ashley

43. Tilseg am Sammlerturm

Zwischenspiel

49. Kequerech

Zwischenspiel

50. Faqech

51. Hiriko

52. Kequerech

53. Faqech

Zwischenspiel

54. Kequerech

55. Tilseg am Sammlerturm

56. Hiriko

57. Tilseg an der Küste

58. Nirilis

Zwischenspiel

59. Faqech

60. Wadma

61. Tilseg an der Küste

62. Nirilis

63. Faqech

64. Barbara

65. Ashley

66. Boris

67. Karl

68. Sven

69. Kequerech

70. Ronja

71. Boris

72. Sven

73. Tilseg im Dorf

74. Sven

75. Ashley

Zwischenspiel

76. Tilseg im Dorf

Epilog

Lieber Leser

Bisher erschienene Romane aus Lunaria:

Über den Autor und dieses Buch:

Danksagungen:

Impressum

Turm des Sammlers

(Die Crew der Sirius7, Band 7)

Deutsche Erstausgabe

©2020 Thorsten Hoß

[email protected]

www.lunariaromane.de

Covergestaltung: Polina Hoß

Lektorat: Polina Hoß

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der

Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für meine Frau,

ohne die mein Leben

um vieles ärmer wäre.

Prolog

Die blonde, durchtrainierte Frau bewegte sich so selbstverständlich durch diese Welt, als wäre sie nicht von einem anderen Planeten. Diesen Umstand würde niemand erahnen, der sie hier zu Gesicht bekam. Denn weder ihre Erscheinung, noch die Kleidung aus Tierhaut und Naturstoffen deuteten darauf hin. Auch der Kristall, der fest in der Mitte ihrer Stirn eingewachsen war, - und durchaus nichts Alltägliches darstellte, - gab keinen Anlass zu zweifeln, dass diese Menschenfrau nicht auf Lunaria geboren wurde. Trotzdem kam sie von einer anderen Welt, die eine fremde Sonne in einem weit entfernten Planetensystem umkreiste.

Dass allabendlich ein Ebenbild ihrer Heimat am Firmament erschien, wenn die hiesige Sonne am sternenlosen Himmel unter- und die vier Monde Lunarias aufgingen, würde jemand anderen vielleicht verstören. Aber die Frau beachtete das Bildnis der Erde nicht, wenn es über ihr erschien.

Sie war nicht schmächtig, doch ihre Statur war beileibe nicht so kräftig wie die ihrer anderen menschlichen Begleiter. Dieser Umstand verriet einem Kundigen einiges. Beispielsweise, dass sie nicht direkt aus einem Amazonenclan stammte wie ihre Freunde. Am ehesten hätte man sie den wilden Menschen zugeordnet, die im Schutz des Blätterdachs dieses Waldes außerhalb der Clangebiete der kriegerischen Amazonen lebten.

Die blonde Frau aber war nicht irgendwer. Das konnte man schon beim Anblick ihres Gefolges erahnen. Ihre Begleiter waren nicht nur zahlreich, sondern auch ungewöhnlich. Schon deshalb, da sie sowohl von Männern als auch von Frauen aus dem Amazonengeschlecht begleitet wurde. Das allein war bereits ein Unding aus traditioneller Sicht der Amazonen, galt bei ihnen doch das Kredo, dass der Mann Untertan der Frau war. Männer waren für sie nicht mehr als Sklaven, Diener und gelegentlich geliebtes Haustier und Zeitvertreib. Doch niemals gleichberechtigt, wie es in dieser seltsamen Schar der Fall zu sein schien.

Zum Gefolge gehörte noch eine ganze Horde Goblins, unter die sich noch eine ansehnliche Rotte Tiermenschen und einige Orks mischten. Unter dem Kuddelmuddel von Spezies fiel ein Muskelprotz aufgrund seiner grünen Hautfärbung besonders auf. In Angesicht des mitlaufenden Minotaurus' sowie des furchteinflößenden Reittiers der Blondine war diese Besonderheit jedoch fast nebensächlich. Das pferdegroße Ungetüm, auf dem die Frau saß, war in ein Schuppenkleid aus kleinen Hornplatten gehüllt, besaß zwei lange, säbelartige Eckzähne in seinem Raubtiermaul, spitze Ohren und einen kurzen Rüssel. Ein Tierkenner hätte das große Wesen spielend als männlichen Säbelfanten identifizieren können. Des Weiteren hätte er gewusst, dass diese Raubtiere gefährliche Jäger waren, denen man besser aus dem Weg ging.

Alleine die Idee, auf einem von ihnen zu reiten, war einfach absurd. Und doch ritt nicht nur die Blondine einen Säbelfanten, als wäre daran nichts Ungewöhnliches, sondern auch die Frau neben ihr. Diese rothaarige Kriegerin war klar als Amazone zu erkennen. Dass sie auf einem Säbelfanten ritt, wäre für jede andere Clanfrau Indiz genug, um zu wissen, wer da durch den Wilden Wald reiste. Jede Amazone wusste, dass es in diesem Teil der Welt nur zwei lebende Menschen gab, die tollkühn genug waren, um diese Raubtiere zu besteigen: die blonde Königin der Astronauten, Ashley Bender, und dann noch ihre Geliebte und ehemalige Amazonenprinzessin Ronja.

Etwa zwei Drittel der bunten Schar in ihrem Gefolge waren ebenfalls beritten. Doch saßen diese nicht auf Säbelfanten, sondern ritten etwa zu gleichen Teilen auf kräftigen Pferden oder ebenso großen Reitschweinen. Der Rest ihrer Leute ging zu Fuß.

Obwohl es das dichte Blattwerk der Bäume nicht erlaubte, wurden die Reisenden von dort durch zwei körperlose Entitäten beobachtet.

„Es war klug von dir, ihre Königin für dich einzunehmen und sie mit deinem Wächter zu vereinen“, begann eine von ihnen einen Dialog.

„Was meinst du?“

„Sag mir nicht, du spürtest nicht ihr wachsendes Potential?“

„Doch. Natürlich spürte ich es.“

„Wenn es so weiter gegangen wäre, hätte sie eines Tages zu einer von uns werden können.“

„Findest du, sie hätte dieses Schicksal verdient?“

„Sie wäre wie wir.“

„Nein, nicht wie wir. Sie wäre wie die anderen. Du weißt doch, wie das mit Göttern ist, die nur aus dem Glauben der Sterblichen erwachsen. Es ergeht ihnen wie ihren unzähligen Vorgängern. Sie wachsen heran, blühen eine Weile und vergehen, wenn sie vergessen werden.“

„Oder wandeln sich.“

„Ist es ein besseres Schicksal, wenn man wie wir war?“

„Nein. Das ist wahr. Gut, sie ist nun dein Wächter. Und was hast du mit ihr vor?“

„Nichts.“

„Nichts?“

„Sie ist mein Wächter. Verpflichtet, uns vor Es zu schützen. Mehr nicht.“

„Sie ist also noch frei?“

„Natürlich.“

„Das ist vernünftig.“ Stille. „Doch leider ist die Reise meiner fremden Kinder ins Stocken geraten.“

„Das stimmt. Aber sie haben nun einmal einen freien Willen.“

„Ja. Und das ist auch gut so. Doch meinst du, sie werden je das Tor erreichen, damit wir erfahren, was mit mir in ihrer Welt geschehen ist?“

„Ja. Ganz bestimmt. Sie werden ihre Reise fortsetzen.“

„Meinst du, dass dies ausreichen wird?“

„Das bleibt abzuwarten.“ Diese Entität schien einen Moment zu zögern. Dann sagte sie: „Was ist mit deinem Sohn? Wird er bereit sein?“

„Ja. Er ist auf dem Weg. Aber es ist immer noch eine weite Reise. Für ihn wie auch für diese Sterblichen. Und das Feld geeigneter Kandidaten ist sehr dünn.“

„Ja. Es ist nur noch einer, wenn man es genau nimmt. Doch für unsere Zwecke sollte der eine reichen.“

„Wenn er denn das Tor durchschreitet.“

„Das wird er. So wahr ich Lunaria heiße.“

„Gut. Sagen wir den anderen, wie es steht, und schauen später noch einmal nach ihnen.“

„Einverstanden.“

Von jetzt auf gleich waren die unzähligen Blätter wieder unter sich. Sie wisperten davon, was sich soeben zugetragen hatte. Doch außer ihnen hatte niemand Notiz von der stattgefundenen Unterhaltung genommen. Und wer achtet schon auf das Geraune von Blättern.

1. Tilseg an der Küste

Das schwere Unwetter über der Küste tobte unablässig heftig weiter. Tilseg saß geschützt an einem Höhleneingang und starrte in die Regenschleier vor ihm. Blitze erhellten das Panorama, wenn sie über den Himmel zuckten, und entblößten eine stürmische See, die fast ebenso wütend gegen die Klippen brandete, wie es der Orkan über ihm tat. Seit die unnatürliche Gewitterfront die Steilküsste erreicht hatte, ging das schon so, ohne dass der Sturm an Kraft einbüßte. Nur die Silberdrachen trotzten Wind und Wetter. Ungerührt zogen sie ihre Kreise über den Steilklippen an der Küste des Astronautengebiets. Jedes andere Geschöpf war außerhalb der Höhlen in Lebensgefahr. Die Silberdrachen jedoch fühlten sich offenbar sogar recht wohl in dem ständigen Blitzgewitter. Tilseg wunderte dies kaum, spien die Ungetüme doch schließlich selbst Blitzbälle, wenn sie ihre Luftkämpfe austrugen oder jagten.

Sie nisteten auch in den zahlreichen Rissen und Löchern der Felsen, die genug Platz für sie boten und teils tiefer in ein natürliches Höhlensystem führten, wo auch Angehörige der Astronauten einige der unterirdischen Kavernen bewohnten und sich häuslich eingerichtet hatten. Durch Gänge und Kammern verbunden, erstreckte sich ihr unterirdischer Einflussbereich von den Überresten des Wasserfalls des Grenzflusses bis zu den Katakomben der ehemaligen Clanburg der Küstenjäger.

Ihre Bereiche hatten die Astronauten von dem übrigen Höhlensystem abgegrenzt, so gut es ging. Schon wegen der großen Spinnen, die in den Tiefen lauerten, waren solche Vorsichtsmaßnahmen geboten. Aber bisher hatten die Drachen nur wenige Probleme verursacht.

Anders als das Volk der Meerfeen. Zwar hatte das Unterwasservolk sie nicht mehr belästigt, seit der Sturm aufgezogen war, doch schwamm deren Königin nun seit einigen Wochen im Höhlenhafen der Amazonenburg umher. Die Meerfeenkönigin schien unfähig, zu ihresgleichen zurückzukehren, ohne dass Tilseg bisher herausgefunden hatte, warum sie sich nicht aus dem Hafen heraus traute.

Hierher hatte sie Faqech und eine ansehnliche Gruppe Helfer gebracht, nachdem sie durch einen Zauberspruch Sven Erikssons plötzlich inmitten eines der Räume hier unten strandete. Offenbar hatte der ehemalige Astrogator bei seinem Versuch, den Kristallschädel von Ingbold wiederzuerlangen, gleich alles, was sich in dessen Nähe befunden hatte, zu sich her teleportiert. Neben dem Totenkopf und einer nicht unerhebliche Menge Wasser war auch die Meerfeenkönigin von diesem Zauber betroffen gewesen.

Das Meerwesen wäre fast erstickt, bevor Fang sie retten konnte, doch hatte ein anderer Goblin helfen können, indem er das Fischwesen mit einer Wasserblase um ihre Kiemen ausstattete, bis sie am unterirdischen Hafen waren.

Der zauberkundige Goblin stammte aus einer vergangenen Epoche. Gefangen mit vielen anderen in einem Zeitfeld, das Sven Erikson und Faqech aufgelöst hatten.

Diese Befreiten und die Meerfee waren Tilsegs priorisierte Aufgabenbereiche mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen. Mit der Meerfee versuchte er einen neuen Frieden zu schließen. Aber dieses Unterfangen gestaltete sich als fast aussichtslos. Eine lange Geschichte von Missverständnissen, Verrat und Kränkungen sorgten dafür. Zwar lagen die meisten dieser Ereignisse in einer Zeit, bevor die Astronauten hierherkamen, doch das war der Meerfeenkönigin egal. Sie scherte alle Menschen über einen Kamm.

Tilseg fand es faszinierend, dass die Erinnerung dieser Spezies offenbar zum Teil in ihrer Genetik verankert war. Das war jedenfalls seine wahrscheinlichste Hypothese, die er aus ihren bisherigen Gesprächen abgeleitet hatte. Die Königin sprach so, als habe sie selbst erlebt, was sie ihm an Untaten der Amazonenclans vorwarf. Doch war sie mit Sicherheit nicht ansatzweise so alt wie ihre Erinnerungen. Geschichtsschreibung oder andere Traditionen der Informationsweitergabe schienen ihr unbekannt.

Er erhob sich von seinem Beobachtungsposten und streckte sich, nur um dann milde über sich selbst zu lächeln. Er war gerade einer alten Gewohnheit von Til Segschneider gefolgt, der sich gerne streckte, um seine Muskeln zu lösen. Er aber besaß keine Muskulatur, wenn man es genau betrachtete.

Ihm gefiel es, dass er immer wieder Eigenheiten entdeckte, die ihn an sein altes Ego erinnerten. Es war gut, gelegentlich daran zu denken, woher man stammte. Einmal ein Mensch gewesen zu sein, half ihm ungemein dabei, die anderen zu verstehen. Er selbst aß nicht, schlief nicht und konnte sich nicht verletzen, ohne dass seine Zellen alles sofort reparierten. Ohne Til Segschneider gebe es keine Empathie in ihm. Als ihm das klar geworden war, hatte sich Tilseg vor sich selbst gefürchtet.

Aber nachdem ihm bewusst geworden war, was ihn von einem Monster trennte, hatte er begonnen, sich Zeit für sich zu nehmen. Wo er zur Ruhe kommen und nachdenken konnte, so wie gerade.

Ein Blitzeinschlag in nächster Nähe blendete ihn kurz. Der folgende Donnerschlag war so laut, dass seine Ohren regelrecht klingelten.

„Es wird Zeit“, sagte er zu sich selbst und wandte sich der Höhle zu. Es standen weitere Gespräche an. Mit den Leuten aus der alten unterirdischen Goblinstadt ebenso wie mit Faqechs Stamm. Fang hatte gute Vorarbeit geleistet, dennoch mussten beide Gruppen noch viel darüber lernen, wie das bei den Astronauten so lief. Diejenigen, die von ihnen noch hier waren, hatten Aufgaben erhalten und schienen gewillt, sich zu integrieren.

Unterwegs zu der unterirdischen Hafenanlage dieses Tunnelsystems erfuhr er von zwei Vorfällen mit den Höhlenspinnen, die in den bewohnten Bereich des Kavernengeflechts eingedrungen waren. Doch mit den Tieren hatten die postierten Wächter und ihre Verstärkung, die erfreulich schnell vor Ort war, kurzen Prozess gemacht. Tilseg war sehr zufrieden. Nicht zuletzt durch Boris Koschkins Training hatten die Astronauten mittlerweile den Bogen raus, wie sie mit den Spinnentieren fertig wurden.

Doch eine Sache blieb verzwickt wie gehabt. Die Meerfeenkönigin zeigte sich unversöhnlich stur und feindselig. Jedenfalls verbal. Das erinnerte ihn irgendwie an die Haltung der Zwerge im Dorf. Sie hatten ein ähnliches Auftreten an den Tag gelegt.

Die Meerfee war, anders als diese Zwerge, aber auch nicht in einem Käfig gefangen. Andererseits hatte sie auch noch keine Versuche unternommen, einen der Astronauten körperlich zu attackieren.

Nur das ließ Tilseg weiter auf ein friedliches Miteinander hoffen. Sie hatte genügend Gelegenheiten verstreichen lassen, ihnen zu schaden, seit sie hier war. Doch das, was sie sonst an Passivität zeigte, widersprach ihrer verbalen Aggressivität massiv.

Tilseg betrat gerade die Hafenkaverne, als er die Rufe bemerkte.

„Drache, Drache!“, schallte es warnend durch die Grotte, als er auch schon den silberbeschuppten Leib bemerkte. Der Drachenkörper selbst war nach seiner Schätzung spielend vier Meter lang, mit Hals und Schwanz auch gut das Doppelte.

Offenbar war der Silberdrache überrascht, sich in einer Höhle wiederzufinden, und prallte bei dem Versuch aufzusteigen gegen die Felsendecke. Mit lautem Platschen stürzte das Ungetüm zurück ins Wasser, wo es einen weiten Kreis zog und sich offenbar zu orientieren versuchte.

Die starren Reptilienaugen trafen Tilseg, dann einige andere in heller Aufregung rufende Astronauten, während die Meerfee versuchte, den größtmöglichen Abstand zum Drachen einzuhalten. Da dies durch die kreisenden Bewegungen des Ungetüms schwierig war, hatte sich die Königin schließlich unter die Holzplanken eines Stegs zurückgezogen und hinter dem Pfahl der Konstruktion versteckt.

Fasziniert beobachtete er die Kreise des Ungetüms, das seinerseits schließlich zu einer Entscheidung gelangte und seine Nüstern blähte. Schon jagte ein Blitzball in Richtung der weiterschreienden Astronauten.

„Deckung!“, konnte Tilseg gerade noch rufen, als der Blitz schon einschlug. Drei Astronauten verstummten und wanden sich nun zuckend am Boden. Er selbst fiel über ein Geländer und klatschte in das Wasser.

„Raus aus der Höhle!“, befahl er lauthals, als er wieder aufgetaucht war. Dabei wedelte er wie wild mit seinen Armen, bemüht, die Aufmerksamkeit des Drachen auf sich zu lenken. Seine Berechnung ging auf. Nun aber war er Ziel des Beschusses.

Als die knisternde Kugel nur knapp neben ihm ins Wasser schlug, spürte er die Wucht des elektrischen Schlags. Ein Moment, der ihm schlagartig seine Bewegungsfähigkeit raubte. Im Inneren seines Körpers entfalteten Zellen hektische Aktivität, als sie sich bemühten, mit der spontan ansteigenden Spannung fertig zu werden. Während er so gelähmt dastand, brüllte der Drache triumphierend. Er dominierte die Situation und war sichtlich zufrieden damit.

Tilseg zuckte immer noch und qualmte ein bisschen, doch erlangte er langsam die Kontrolle über seinen Körper zurück. Sein Körper kämpfte gegen die inneren und äußerlichen Verbrennungen an, die der Stromball verursacht hatte, und heilte.

Derweil nahm der Drache einige weitere Astronauten unter Feuer, die gerade versuchten, ihre betäubten Kameraden wegzuschaffen. Dass der Geschuppte zielsicher war, bewiesen die folgenden Aufschreie, die abrupt verstummten, als weitere Körper zuckend zu Boden gingen.

Es musste etwas geschehen, das war Tilseg völlig klar. Dem Drachen musste Einhalt geboten werden. Und zwar schnell! Wieder begann der Doktor mit den Armen zu rudern, um die Aufmerksamkeit des Ungeheuers auf sich zu lenken.

Der Silberdrache schien gleichermaßen verdutzt wie empört, dass eins seiner Ziele nach seinem Stromschlag weiterhin kontrolliert herumzappelte, und beschloss, den Beschuss zu wiederholen. Der Blitzball traf Tilseg nun frontal. Stromkaskaden jagten durch seinen Körper und Funken stoben auf der Wasseroberfläche davon.

Aber dieses Mal gelang es dem Astronauten, seine Körperkontrolle zu behalten. Zwar zitterte er am ganzen Leib und Rauch stieg von dem Einschlagpunkt in die Höhlenluft empor. Die Wunde war tief, doch winkte er dem Drachen stoisch zu, wobei ihm ein feines Lächeln über das Gesicht huschte.

Der Drache brüllte. Nun klar aus Empörung und nicht aus Siegesgewissheit. Ein weiterer Blitzball schoss durch die Höhle und traf den Leib des Arztes zielgenau.

Tilseg erbebte, als die Blitzkugel ihn traf, und er versuchte, den Stromschlag umzuleiten. Zitternd und erneut aus einer Wunde qualmend, taumelte er leicht, als es ihm gelang. Tilseg spürte, wie der Strom durch ihn floss. Wie die Ladungen von Zelle zu Zelle weitergeleitet wurden und abflossen. Herausfordernd richtete er sich auf, was das Ungetüm nur noch mehr aus der Fassung brachte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Tilseg, wie die getroffenen Astronauten hektisch eingesammelt und fortgetragen wurden, also erhöhte er den Einsatz, indem er sich umdrehte und dem Drachen mit seinem Allerwertesten zuwackelte.

Fauchend spie der Drache einen dritten Stromball in seine Richtung und glotzte überrascht, als Tilseg sich blitzschnell umdrehte und ihn mit beiden Händen auffing. Der Doktor war so sehr mit Spannung geladen, dass die Stromkugel tatsächlich in seinen Händen verblieb.

Tilseg rechnete nicht lange, sondern schickte das knisternde Stromgeschoss einfach zum Absender zurück, der es kaum glauben konnte, als seine eigene Primärwaffe gegen ihn gerichtet wurde. Blindwütig fauchte das Ungetüm und schüttelte sich, dann tauchte es ab.

Kühl beobachtete der Doktor, wie der geschmeidige Drachenleib durch das Wasser glitt, genau auf ihn zu. Eine körperliche Konfrontation war zwar nicht seine Absicht gewesen, doch war es nun zu spät, um einen Alternativplan zu erarbeiten. Das Einzige, wozu ihm noch Zeit blieb, bevor der Drache ihn erreichte, war, sich auf den unweigerlichen Angriff einzustellen.

Dem zuschnappenden Maul konnte er gerade noch entgehen, als der Silberdrache aus dem Wasser hechtete. Impulsiv schlang er seine dicken Arme um den Hals des Drachen, als dieser ins Leere schnappte. Die Krallen des Ungetüms bohrten sich jedoch erbarmungslos in seinen Körper. Tilseg ignorierte die entstehenden Wunden völlig und verließ sich auf seine Zellen, die das, was die Krallen anrichteten, schon wieder reparieren würden. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, dem Drachen die Luft zu nehmen, in dem er mit aller Macht zudrückte.

Das Ungetüm öffnete sein Maul und brüllte. Das heißt, er versuchte es. Doch durch die von dem Druck der kräftigen Arme des Doktors zugeschnürte Kehle, drang nur ein klägliches Gurgeln. Nun war es der Drache, der sich zu winden begann, und mit beiden Vorderläufen Rillen in den hartnäckigen Würger kratzte. Wasser spritzte, während das Ungeheuer wild mit den Flügeln schlug und sich zu befreien versuchte. Aber der Doktor war stark und seine Arme glichen einem Schraubstock, der den Hals des Ungeheuers fest im Griff behielt. Der Drache schlug und wand sich, versuchte wegzukommen, doch Tilseg ließ ihn nicht. Schließlich verdrehte der Silberdrache seine Augen, röchelte ein letztes Mal und erschlaffte schließlich in der tödlichen Umklammerung des Astronauten.

Nun, sie wäre tödlich gewesen, hätte Tilseg nicht den Druck vom Hals genommen und das nun bewusstlose Tier vor dem Erstickungstod gerettet. Nachdenklich betrachtete er den schlaffen Leib, der nun vor ihm im Wasser dümpelte. Kurzentschlossen packte er den Drachen an seinen Hörnern und zerrte ihn zum Ufer, damit er nicht doch noch am Ende ertrank. Tilseg begann einige Berechnungen anzustellen. Was sollte er nun mit dem Silberdrachen anstellen? Und welche Optionen gab es, bevor das Schuppentier wieder zu sich kam und die Situation von vorne begann? Erfreut oder dankbar war der Drache wahrscheinlich nicht, wenn er wieder zu Bewusstsein kam, aber er war viel zu groß und zu schwer, um ihn hier wegzubringen. Doch es musste eine andere Lösung geben, außer ihn in Ketten zu legen oder zu töten. Gerade bedauerte er sehr, dass Hiriko nicht hier war. Sie wüsste sicher einen Weg, mit ihm zu reden.

2. Ronja

Seit Ashley Bender sich mit einem unerwarteten, dafür umso innigeren Kuss zu ihr bekannt hatte, fiel es Ronja schwer, Bodenkontakt zu halten. Die letzten Wochen und Monate waren wie ein Traum gewesen, den sie wahrhaftig lebte.

Es hätte fast perfekt sein können, wären da nicht diese verfluchten Layfane. Zwar waren die eher tierhaften, haarigen Humanoiden nicht mehr in der Masse aufgetreten, wie es Boris Koschkin während ihres Ansturms auf die Clanburg der Küstenjäger erlebt hatte, aber sie blieben ein Ärgernis.

Immer wieder gab es Übergriffe von ihnen auf kleinere Gruppen Astronauten, meist auf Jagdtrupps im Wilden Wald. Warum ihr Herr und Meister – der ominöse Sammler – seine Kreaturen aussandte, wussten sie immer noch nicht. Doch worauf es die Layfane abgesehen hatten, war klar: Fleisch!

Tilseg hatte erzählt, dass er anhand der Beobachtungen des Kommandanten und anderer Überlebender der Kämpfe um die Amazonenburg einige Berechnungen angestellt hatte. Die Hypothese, welche er daraufhin aufstellte, war schaurig. Demnach benötigten diese magisch veränderten Kreaturen Fleisch, um sich zu vermehren. Hatten sie genug gefressen, würgten sie eine Art Gewebe-Ei hervor, das sich anschließend in kürzester Zeit zu einem neuen Layfane entwickelte.

Ein gruseliger Gedanke, der durch das Verhalten der Layfane jedoch untermauert wurde. Ihre Angriffe zielten darauf ab, zu töten und die Leute zu verschleppen. Waren sie unterlegen, schnappten sie sich wahllos eine Leiche und traten den Rückzug an. Ihnen war egal, ob es ein Artgenosse oder Astronaut war, den sie dabei erbeuteten. Hauptsache es war Fleisch.

Damit unterschieden sich diese Kreaturen deutlich von den Layfanen in den Wäldern jenseits der Clangrenzen, die zwar Fleisch auch nicht verschmähten, doch ihren Nachwuchs gebaren, wie es auch Menschen tun.

Da der Tiermensch Dragar und seine Leute das Heim des Sammlers schon länger kannten, waren sie schließlich doch aufgebrochen, um ihn zur Rede zu stellen. Doch hatten sie festgestellt, dass es nicht ausreichte, den Ort zu kennen, wenn man dann ignoriert wurde.

Außer ein paar Layfanleichen zu produzieren, hatten sie nichts erreichen können.

Da sie den Turm des Sammlers nicht einfach einreißen wollten - und konnten, wie Ronja realistisch vermutete, -waren sie schließlich Tilsegs Vorschlag gefolgt.

„Dragar, wie weit noch?“, fragte Ashley über ihre Schulter hinweg.

„Wir schind schehr nah und schollten esch gleich schehen“, entgegnete Dragar, der hinter dem Säbelfantenrudel hermarschierte. „Dasch Gebäude ischt tschiemlich niedrig. Man schieht esch erscht, wenn man schon fascht da ischt.“

Ronja spähte in die von dem Wolfsmensch angezeigte Richtung. Tatsächlich. Jetzt konnte sie zwischen dem Blätterwust ein Gebäude ausmachen.

„Da vorn“, meldete sie augenblicklich und deutete voraus. „Mauerwerk.“

„Ja. Ich sehe es auch. Scheint so, als wäre der Turm von unserem Glatzkopf wirklich ein wenig kurz geraten.“ Ashley grinste. „Wollen wir doch einmal sehen, ob auch jemand zu Hause ist. Wenn Tilseg recht damit hat, dass die Zauberer die Umgebung ihrer Türme im Auge behalten, sollte sie uns ja schon bemerkt haben.“

„Meinst du, die Magierin wird uns wirklich dabei helfen, dass wir zum Sammler vorgelassen werden?“, fragte Ronja skeptisch.

„Ein Versuch schadet nicht“, entgegnete Ashley. „Türen eintreten können wir immer noch, wenn sie uns nicht freiwillig geöffnet werden.“

Es war mit Sicherheit ein Turm und kein Türmchen. Dicke, runde Mauern und ein spitz zulaufendes Dach, ganz nach der Manier eines Zauberturms, wie sie hier üblich zu sein schien. Ronja hatte nun schon mehrere dieser Gebäude gesehen, um die Gemeinsamkeiten der Bauten zu erkennen. Sie waren schon individuell auf ihre Art, doch der Aufbau, das Material und der Grundriss waren ähnlich. Besaßen sozusagen einen gemeinsamen Stil. Aber dieser Turm war ein wenig kurz geraten, so als wäre er noch nicht hoch genug gewachsen, um seiner Bestimmung gerecht zu werden.

„Nur eine Etage“, murmelte sie nachdenklich. Sie wusste nicht viel über Zauberer, aber dieser Turm sprach nicht gerade für die Macht seiner Bewohnerin.

3. Karl

Er hatte die Messe gerade beendet und stand nun da, um einigen Auserwählten feierlich ein Geschenk der Göttin zu überreichen - Bruchstücke von Ashley Benders Leib, den sie nach ihrer Wiedergeburt als Mensch zurückgelassen hatte.

„Nimm diese Träne“, sagte er dem Astronauten, der nun mit gesenktem Haupt vor ihm stand, und hängte ihm einen kleinen Stein an einer einfachen Schnur um den Hals. „Dieses Schmuckstück ist Teil der Göttlichkeit unserer Königin. Trage es mit Würde und Anstand, auf dass sie dich leiten und beschützen möge.“

Während der Beschenkte sich nun entfernte und der nächste Astronaut vortrat, dachte Karl an die Vergangenheit und wie sich sein Schicksal doch verändert hatte, seit die Königin der Astronauten in sein Dorf gekommen war. Damals sah er in der wilden und völlig verwirrten Frau zuerst nur irgendeine Kriegerin der Vier Flüsse, bevor sie einen Spähtrupp dieses Clans im Alleingang niedergemacht hatte. Die wütende Blondine war gefährlich und unberechenbar gewesen.

„Nimm diese Träne …“, begann er die Zeremonie aufs Neue.

Als Dorfvorsteher war er damals versucht gewesen, die Säbelfantenreiterin an die Vier Flüsse zu verraten. Doch seine alten Herrinnen hätten ihn und seine Leute alleine für ihre Anwesenheit im Dorf bestraft. Also pflegte er die an Körper und Seele verletzte Frau in der Hoffnung, sie würde seine Gemeinschaft verlassen, bevor seine Herrinnen ihre Anwesenheit bemerken konnten.

„Nimm diese Träne …“

Rückblickend war seine damalige Entscheidung schicksalshaft. Nicht nur für ihn und sein Dorf, auch für sein ganzes Volk. Denn es handelte sich bei der so verletzlichen und aufgewühlten Frau um niemand geringeren als eine Göttin. Nach allem, was er bereits mit den Astronauten erlebt hatte, war er heute felsenfest davon überzeugt, dass Ashley Bender und ihre Freunde nicht von dieser Welt stammten.

Zwar hatte Karl mit dieser Einschätzung gar nicht so Unrecht, trotzdem lag er weit daneben. Für ihn waren die Zeichen jedoch klar und sein Glaube stark.

„Nimm diese Träne …“

Selbst als Boris Koschkin explizit bestritt, dass Ashley und ihre Kameraden Götter waren, fühlte er sich bestätigt. Welcher Mensch konnte schon dem Reiz, wie ein Gott verehrt zu werden, widerstehen? Niemand, seiner Meinung nach. Nachdem er sich sicher war, dass die Götter selbst sich seinen geschundenen Leuten gezeigt und ihnen geholfen hatten, schickte er immer wieder einzelne Getreue los, die seine frohe Botschaft verkündeten. Sie reisten zu anderen Dörfern, um von Wundern zu berichten, die sich bei den Astronauten ereigneten und die sie teils selbst erlebt hatten.

„Nimm diese Träne …“

Weder seiner Königin noch den anderen Halbgöttern in ihrem Gefolge hatte er etwas über die Missionare erzählt. Auch nicht über die Tränen und was er damit tat. Den Göttern war eine offene Anbetung sichtlich unangenehm, wie er wusste. Das war auch der Grund dafür, dass er seine Messen zu Ehren der Götter im Verborgenen abhielt.

„Nimm diese Träne …“

Nachdenklich berührte er sein eigenes Stück des Göttlichen Kristalls unter seiner Tunika und lächelte. Er war schon lange nicht mehr alleine mit seinem Glauben und es gab viele, die sein Werk weitertrugen.

„Nimm diese Träne …“

Und nun konnte er sie sogar dafür belohnen. Dank Carlos. Er war es, der die Artefakte mit einigen Getreuen aus dem Berg geborgen hatte, in dem ihre Königin zum zweiten Mal zu ihnen gekommen war. Bruchstücke ihres Leibs, den sie nach ihrer Wiedergeburt als Mensch zurückließ. Carlos hatte sie nur ein wenig schleifen lassen, bevor er sie ihm schickte.

„Nimm diese Träne …“

Es waren mittlerweile hunderte dieser Splitter, die Karl verteilt hatte und immer noch schickte Carlos mehr. Aber das Wichtigste war, dass die Göttin sein Tun mit Wohlwollen zu betrachten schien, erstrahlten manche Kristalle doch mit jedem Tag mehr, an dem die Gläubigen sie mit sich führten. Wozu ihr oder den anderen Göttlichen Astronauten des Clans also etwas über die Existenz der Kleinode sagen, wo ihr Segen doch zeigte, dass sie mit seinem Handeln einverstanden waren.

„Nimm diese Träne …“, sprach er ein letztes Mal und lächelte glücklich.

Es waren wirklich außergewöhnliche Zeiten, in denen nicht nur Götter über das Land wanderten, sondern ein jeder Teil ihrer Größe sein konnte. Beseelt von diesem Gedanken, verabschiedete er seine Gemeinde und machte sich weiter an seine Arbeit, den Clan der Astronauten zu verwalten. Und weiter zu vergrößern. Zum Ruhm und zur Ehre seiner Göttin …

4. Ashley

„Wer will klopfen?“, fragte Ashley und betrachtete die Pforte des Turmes.

„Ich kann …“, begann Ronja sich freiwillig zu melden, als die Flügel der Tür sich öffneten und eine recht kurze, aber muskulöse Amazone ins Freie trat.

„Was wollt ihr?“, fragte die narbengesichtige Frau barsch und stellte sich breitbeinig vor den wie von Geisterhand schließenden Eingang des Gebäudes.

„Ashley Bender, die Königin der Astronauten, ist auf der Suche nach Viktoria der Magierin. Unsere Königin wünscht zu erfahren, ob die Herrin dieses Turmes zu Hause ist.“

„Was interessiert euch das?“, erwiderte die Torwächterin.

Ronja entging nicht die anwachsende Nervosität des Rudels, das misstrauisch die kleine Kriegerin beäugte.

„Meine Königin wünscht ein Gespräch.“

„Schön für sie. Worüber?“

„Über den Sammler und seinen Turm.“

„Was gibt es über den schon zu sagen?“, antwortete die vernarbte Frau ungerührt. „Ihr hattet eure Chance.“

Ashley hörte sich den Dialog zwischen Ronja und der fremden Kriegerin an, während sie das Gebäude musterte. Die Worte der Wächterin waren störrisch und unkooperativ. So würden sie nicht weiterkommen. Schließlich mischte sie sich selbst ein und sagte:

„Wieso lebt deine Herrin eigentlich in einem Bungalow unter den Türmen? Vielleicht habe ich mich ja geirrt und sie ist gar nicht kompetent genug, um uns zu helfen.“ Damit wandte sie sich an ihre Geliebte: „Es ist Zeitverschwendung, mit der Frau zu sprechen. Soll sie ihrer Herrin doch erklären, wieso wir wieder gegangen sind.“

Damit bestieg sie ihren Säbelfanten wieder und gab ihm durch leichte Anspannung ihrer Beinmuskeln zu verstehen, dass sie umdrehen wollte. Doch bevor das Tier die Kehrtwende vollständig vollziehen konnte, öffnete sich die Pforte hinter der kurzen Kriegerin erneut.

Ashley hörte das Schaben der Türflügel und grinste, machte aber keine Anstalten, ihr Vorhaben abzubrechen. Langsam trottete ihr Reittier in Richtung ihrer anderen Gefolgsleute, die ein wenig Abstand gewahrt hatten.

„Meine Herrin ist nun bereit mit Euch zu sprechen“, hörte sie die jetzt merkwürdig angespannte Stimme der Amazone. „Ich … Ich bitte um Verzeihung.“ Dann stöhnte die Wächterin wie unter Schmerzen, die sie nur mühsam unterdrücken konnte.

Ashley hielt an und blickte sich um. Die Amazone vor der Tür flackerte seltsam, während sie verkrampft dastand. Dann war es vorbei. Die Frau streckte sich wieder und trat zur Seite, um Viktoria Platz zu machen. Den finsteren Blick, den die Amazone der Magierin zuwarf, nachdem diese an ihr vorbeigeschritten war, entging Bender aber nicht.

Leise fluchend, runzelte sie die Stirn. Das stank doch nicht nur nach bösartiger Magie, sondern auch nach Sklaverei!

Aber was hatte sie schon erwartet? Schließlich war sie selbst eine Weile Gefangene eines anderen hiesigen Magiers gewesen und für seine Experimente missbraucht worden. Auch die Tiermenschen in ihren Reihen waren Sklaven dieses oder eines zweiten Zauberers gewesen, den Ronja gefunden hatte. Warum also hätte die Magierin mit der Pentagramm-Tätowierung auf dem Schädel anders sein sollen?

„Ihr geruht Euch, dazu herabzulassen, mich zu besuchen?“, fragte die Magierin von oben herab. „Was verschafft mir die unerwartete Ehre?“

Ashley spürte, wie Wut über die provozierende Art der Magierin in ihr emporstieg, konnte sich aber zügeln. Seit sie mit dem Wächter Lunarias eins geworden war, hatte sie sich viel besser im Griff als früher. Ein paar Schimpfworte konnte sie sich aber trotzdem nicht verkneifen.

„Wir sind hier, um unser Versprechen einzuhalten und gemeinsam den Sammler aufzusuchen“, übernahm nun Tilseg die Gesprächsführung und trat vor.

Ashley überlegte einen Moment, ob sie seine Einmischung zurückweisen sollte, doch das grüne Hybridwesen mit den Erinnerungen des Doktors der Sirius7 war ein besonnenerer Verhandlungspartner als sie. Sollte er es ruhig versuchen.

„Ach ja?“, entgegnete die Magierin schnippisch. „Als ich mit deiner Königin darüber sprechen wollte, hatte sie dafür keine Zeit.“

„Ich sagte dir damals doch, dass der Zeitpunkt, wann wir uns mit dem Sammler beschäftigen würden, unbestimmt war.“

Ashley sah deutlich, dass Tilsegs Worte die Magierin irritierten.

„Du?“, erwiderte die Glatzköpfige ungehalten. „Dein toter Vater, meinst du wohl?“

„Inkorrekt. Du hast mit mir gesprochen. Lass dich von meinem Größenunterschied nicht täuschen.“

Viktoria schien über die Worte des Grünen nachzudenken. Ashley konnte nachvollziehen, dass die Magierin stutzte, hatte sie Tilseg bisher doch nur als einen riesenhaften Hünen kennengelernt und ihn das letzte Mal großflächig verteilt im Tunnel des von Zwergen bewohnten Berges gesehen, wo sie ihren Hintern rettete.

Auch sie hatte damals nicht glauben können, dass Tilseg noch lebte, auch wenn Hiriko seine Lebenskraft in den Überresten gespürt hatte. Und doch hatte die Dryade Recht behalten. Nun hatte der Clan der Astronauten nicht nur einen großen, sondern fünf normalgroße Tilsegs, die jeder für sich, zweifelsfrei Tilseg waren. Eine verwirrende Situation, wie Ashley fand.

„Wir sind gewillt, zu kooperieren. Was ist mit dir?“, erhob sie schließlich ihre eigene Stimme, als gerade niemand sprach. „Ich dachte, der Sammler ist für dich ebenfalls ein Ärgernis?“

Ashley hoffte, mit dieser Gemeinsamkeit einen Ansatzpunkt zu finden. Zu Recht wie es schien, denn die Magierin entgegnete kühl:

„Das stimmt.“ Dann schwieg sie einen Augenblick, als würde sie nachdenken. „Also schön“, sagte sie dann. „Was schwebt Euch konkret vor?“

5. Boris

Boris Koschkin büffelte. Seine feste Freundin Faqech war da unerbittlich. Vielleicht hätte der ehemalige Kommandant der Sirius7 mehr Gegenwehr geleistet, wenn er nicht gewusst hätte, dass die Goblinin recht damit hatte. Sein Westländisch musste deutlich besser werden.

Selbst Quägch, die Muttersprache seiner Geliebten, beherrschte er nur mäßig. Dadurch war er im Grunde immer wieder auf jemanden angewiesen, der Commen sprechen konnte. Und das waren - sah man einmal von seiner Schiffscrew ab - nicht einmal eine Handvoll Leute, die infrage kamen. Er musste wirklich lernen. Schon alleine, um sich mit den anderen Astronauten unterhalten zu können. Schließlich war ihre Zahl nach den letzten Schätzungen Tilsegs bereits deutlich im fünfstelligen Bereich angelangt und wuchs immer noch weiter.

„Die Geschichte von Boris Iwanowitsch Koschkin“, brummte der Russe leise. „Vom Raumschiffskommandanten zum Sprachschüler in nur einem Absturz.“

So konnte das Leben spielen. Koschkin fluchte leise und wiederholte dann nochmals die Worte seines aktuellen Lehrers. Und er war dabei nicht alleine. Eine Amazonenkriegerin, drei Männer, vier Goblins und ein Bär wiederholten die Worte gemeinsam mit ihm. Zunächst auf Quägch, dann auf Westländisch. Dass er mit einem Bären, der aufgerichtet über sechs Meter groß war, die Schulbank drücken würde, hätte er niemals in seinem ganzen Leben zu glauben gewagt. Und doch war es so. Er ärgerte sich über den Umstand, dass der Bär auch noch schnellere Fortschritte beim Lernen machte als er selbst, konnte aber nichts daran ändern, so sehr er sich auch bemühte.

„Ein Bär ist schlauer als ich“, grummelte er leise. Doch Bo, wie der Bär von den anderen genannt wurde, war eben kein normales Tier, redete er sich selbst gut zu.

Sein erneuter Ausbruch an gemurmelten Schimpfworten wurde da plötzlich unterbrochen.

„Weniger schimpfen, mehr lernen“, tadelte ihn eine Stimme. Aber nicht der Goblin, der diese Lerneinheit leitete, war der Sprecher, sondern Fang, seine Geliebte.

„Ich lerne ja“, entgegnete er resigniert und drehte sich zu der Schamanin um.

„Ich habe es gehört“, erwiderte die Goblinin und gab dem sitzenden Russen einen Kuss. „Du bist ja auch schon besser geworden.“

„Findest du? Ich habe einen Knoten in der Zunge, wenn du mich fragst.“

„Scheint dir ja zu helfen.“ Sie grinste schelmisch. „Hunger?“

„Ja“, erwiderte er erleichtert. „Ich könnte einen Bären verspeisen!“

Seine unbedachten Worte brachten ihm einen irritierten Blick von Bo ein.

„Geh und füttere deinen Menschen, bevor noch ein Unglück geschieht“, brummte der Bär so trocken, das Fang laut lachen musste.

„Mach ich“, versprach sie und zog den Russen auf die Beine. Kurze Zeit später saßen sie zu zweit an einem der Herdfeuer und aßen.

„Wie geht es Sven?“, fragte er sie zwischen zwei Bissen.

„Etwas besser“, entgegnete Fang und nahm sich ebenfalls noch etwas Eintopf aus dem großen Kessel über der Kochstelle. „Auch wenn er gelegentlich immer noch ziemlich verwirrt ist.“

„Kein Wunder, wenn ich höre, wie er von Hiriko und Delphi belagert wird.“

Faqech grinste.

„Sie wollen beide nur sein Bestes.“

„Ja klar. Was das heißt, weiß ich genau. Das ganze Lager redet davon.“

„Eifersüchtig?“ Fang grinste. „Kommst du etwa nicht genug auf deine Kosten?“

„Nein … Doch ... Ach, Fang“, Koschkin fluchte. „Du weißt, wie ich das meine.“

„Ja“, entgegnete die Schamanin und küsste ihn. „Aber ich meine es ernst. Die beiden machen sich genauso viele Sorgen um ihn wie wir. Sie haben einfach eine andere Art damit umzugehen.“

„Früher war Hiriko anders.“

„Hiriko ist jetzt ein Naturgeist. Geisterwesen sind anders als du und ich. Und Delphi ist immer noch eine Fee, auch wenn sie nun die Größe eines Menschen besitzt. Sie denken und handeln anders als wir.“

„Ja gut. Einverstanden. Lassen wir die beiden außen vor. Aber ich verstehe immer noch nicht, was mit Sven los ist. Nach dem ganzen Hokuspokus in der Goblinstadt ging es ihm doch gut.“

„Es sah so aus. Ja. Aber das war eine Täuschung. Magie ist da sehr tückisch.“

„Das habe ich mittlerweile auch kapiert. Aber was mit Sven geschehen ist, verstehe ich trotzdem nicht.“

„Hm … Gut, stell dir einen Fluss vor. Einen langen, verzweigten Fluss.“

„Na schön. So weit, so klar.“

„Dieser Fluss führt mal mehr, mal weniger Wasser über die Jahreszeiten hinweg, die sein Erscheinen prägen. Neue Arme entstehen, andere versanden.“

„Okay. Worauf willst du hinaus?“

„Warte ab. Nun stell dir ein Hochwasser vor, das diesen Fluss überquellen lässt, Böschungen mit sich nimmt und ganze Landstriche um den Flussverlauf herum überschwemmt.“

„Ist das bei Sven der Fall?“

„Ja und nein.“

Koschkin fluchte.

„Das hilft mir nicht weiter. Leidet er nun an Hochwasser oder nicht?“

„So war es im Grunde die letzten Male, bei denen sich Sven verausgabt hat. Dieses Mal aber, war es eine ungleich mächtigere Flutwelle, die alles in ihm mit sich gerissen hat.“

„Aber wieso war er denn zuerst soweit in Ordnung?“

„Nachdem der Zauber vorbei war, hast du bei Sven sozusagen die glatte Wasseroberfläche gesehen. Doch als wir das Wasser abgelassen haben, kamen die Schäden zum Vorschein, die zuvor unter der vermeintlich unbeschädigten Oberfläche verborgen waren.“

„So ist das also. Hm. Ja, ich denke, ich verstehe jetzt.“

„Gut. Was macht dein Studium?“, wechselte sie unverwandt das Thema und die Sprache.

Koschkin fluchte erneut.

„Wenn du schon fluchen musst, dann bitte auf Quägch.“

„Du gemein bist“, entgegnete er quäkend.

„Du bist gemein“, verbesserte sie ihn und grinste wieder.

Boris antwortete nicht, sondern grummelte nur unverständlich.

„Na schön“, wechselte Fang wieder ins Commen. „Ich will dich heute nicht weiter quälen.“

„Danke“, entgegnete Koschkin ehrlich erleichtert und ignorierte ihr Grinsen. „Und was machst du jetzt?“

„Ich geh jetzt erst einmal Sven besuchen. Wir sehen uns nachher. Essen wir dann zusammen?“

„Ja“, seufzte der Kommandant. Einen Moment hatte er gehofft, er käme um die restliche Lektion herum.

„Oje. So schlimm mit mir zu essen?“

„Äh … nein! Ich …“

Nun lachte Faqech schallend und küsste ihn nochmals. Offenbar hatte er sehr lustig ausgeschaut.

„Wir sehen uns später“, entgegnete sie immer noch amüsiert. Dann überließ sie ihn erneut seinen Lektionen.

Sie war erbarmungslos, fand er.

6. Viktoria

Nun reiste sie also doch wieder mit den Astronauten. Viktorias Neugier hatte am Ende über Groll und Abneigung gesiegt. Ein wenig haderte sie mit sich selbst, hatte sie doch absolut kein Vertrauen in diese Wilden. Aber da sich dieses Mal keine Dryade in den Reihen der Barbaren aufhielt, hatte sie Verstärkung mitgenommen. Als Schutz und Rückendeckung. Viktorias ältester Dämon Fex hatte seine Amazonenkriegerinnengestalt beibehalten und begleitete sie ganz offen. Ein anderes Andersweltwesen übernahm als kleiner Spatz die Luftüberwachung.

Ihre beiden Diener gaben ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit, denn obwohl sie sich jederzeit hätte hinwegteleportieren können, argwöhnte sie langsam, dass die Astronauten ihre wahre Macht geschickt hinter ihrer Grobheit und dem unbedarften Vorgehen verbargen.

Diese kraftstrotzende Barbarin Barbara beispielsweise. Das Artefakt, welches sie bei sich trug, war ein überdimensionaler Hammer, den selbst diese Amazone mit all ihren Muskelbergen nicht hätte handeln können. Und doch trug sie die Wuchtwaffe, als wiege sie fast nichts.

Dass auf der Waffe eine Art Gewichtreduzierungs- oder Levitationszauber lag, war offensichtlich. Doch widerstand das Kriegsgerät jeglichem ihrer Versuche, tiefer in den magischen Matrizenaufbau vorzudringen, der in der Waffe schlummerte.

„Ich müsste ihn eine Weile in Ruhe studieren“, murmelte die kahlköpfige Magierin in Gedanken versunken.

Offenbar war die Kriegerin aber nicht die eigentliche Besitzerin der Waffe, sondern trug sie nur für ihre Königin. Diese ruppige Blondine warf für Viktoria immer neue Fragen auf. Was war die Verbindung zwischen der Monarchin und dem Kristall, den sie in den Tunnel gefunden hatte?

Die Säbelfantenreiterin war jedenfalls eine latente Magiebegabte, so wie ihre Hammerträgerin. Ein kleiner Zauberspruch hatte Viktoria diesen Umstand schnell verraten. Aber sie selbst schien keinen blassen Schimmer davon zu haben. Nun. Ihre Macht war begrenzt. Knapp an der Grenze, wo mancher Magier überlegen würde, ob sich eine Schulung der kümmerlichen Fähigkeiten überhaupt lohnte.

Und doch schienen so viele Ungereimtheiten in ihrer Person zusammenzulaufen: der Kristall, mit dem sie etwas zu tun hatte, dann ihr Hammer, ihre schlummernde Stärke und ihre Verbindung zu dem Säbelfantenrudel. Alles wirklich ungewöhnlich.

Während Viktoria so über ihre Begleiter im Allgemeinen und die Astronautenkönigin im Konkreten nachgrübelte, erreichten sie schließlich den Turm des Sammlers.

Kreischend schwangen sich mehrere Layfane aus den Bäumen auf ihren Weg. Die Astronauten waren in der Überzahl und doch griffen die Biester an. Schnell entbrannte um Viktoria ein wüstes Handgemenge. Blut spritzte reichlich, als der Tod die Reihen abging und seine Ernte einfuhr. Alles geschah schnell und mit brutaler Härte.

Dann war es vorbei.

Die meisten Leichen waren Kreaturen des Sammlers. Nur zwei Astronauten waren gestorben. Viktoria musste zugeben, dass diese Barbaren recht effektiv auf diesen unerwarteten Überfall reagiert hatten.

„Wir sind da“, sagte die Königin der Astronauten, während sie einen Speer säuberte, den sie eben noch im Kampf benutzt hatte. „Viktoria? Wärst du so nett?“

Nun wurde es ernst. Sie hatte zwar behauptet, dass sie den Astronauten helfen konnte, Kontakt mit dem Sammler aufzunehmen, aber genaugenommen wusste sie selbst nicht mit Sicherheit, ob sie das auch konnte. Bisher hatte sie jedenfalls noch nicht mit dem Sammler persönlich gesprochen.

Sein Gebäude war groß und von der üblichen Grundform, die auch ihren eigenen einstöckigen Turm auszeichnete. Doch hatte das Bauwerk des Sammlers gut den dreifachen Durchmesser. Das glatte Mauerwerk verschwand in der Höhe zwischen den Blättern und suggerierte unterschwellig, bis in die Wolken zu reichen. Viktoria wusste jedoch, dass seine Spitze nicht über das Blätterdach des Waldes hinausragte.

Sie wusste aber auch, dass die Realität im hiesigen Luftraum stark gekrümmt war, was auf verschobene Dimensionen hindeutete. Viktoria kannte sich nicht gut genug mit derlei Magie aus, um die tatsächlichen Ausmaße des Gebäudes einschätzen zu können, doch eins war ihr klar. Das, was sie hier sahen, war nur ein Teil des eigentlichen Bauwerks.

Mit klopfendem Herzen näherte sich Viktoria dem Portal, das die einzige Öffnung in der runden Mauer zu sein schien. Die ebenmäßig gemaserte Tür besaß einen Messingring, den die Magierin nach kurzem Zögern berührte. Das Metall war kalt, nahm aber sofort ihre Körpertemperatur an. Dann ruckte der Ring leicht. Viktoria zog rasch die Hand zurück, als Bewegung in die Tür kam. Doch anstelle sich zu öffnen, zerlief das Holz im Zentrum beider Flügel und beulte sich aus, bis sich ein großes, grobes Antlitz auf der Holzoberfläche bildete.

„Was willst du?“, grollte das Gesicht.

„Mein Name ist Viktoria. Ich bin ein Mitglied des …“

„Beantworte nur meine Frage, Frau. Ich weiß sehr wohl, wer du bist.“

Viktoria blieb die Spucke weg. So hatte sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt.

„Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?“

„Ich rede, wie es mir gefällt. Also nochmal, was willst du?“

„Ich verlange, dass du mich augenblicklich einlässt. Ich bin hier, um mit deinem Meister zu sprechen.“

„Woher willst du wissen, dass ich nicht mein Meister bin, Frau?“

Viktoria spürte, wie der Zorn ihre Wangen rötete.

„Ich kenne gefangene Seelen wie dich. Wenn du nicht erst meinen und später den Zorn deines Meisters spüren willst, öffne dich.“

„Oh, jetzt habe ich aber Angst. Also gut ...“ Die Augen des Kopfes schlossen sich einige Augenblicke, dann grinste die Fratze. „Nein.“

„Wie, nein?“

„Nein eben. Wie in ‚Nein, du darfst nicht rein‘.“

„Aber der Sammler unterhält Kontakte zu meinem Bund.“

„Du bist nicht der Sprecher deines Bundes, also hast du auch kein Anrecht auf eine Audienz. Wirkliches Wissen scheinst du ebenfalls nicht zu besitzen. Also nein, du darfst nicht hinein. Nun geh, bevor ich einen Wächter wecke.“

Viktoria starrte das Gesicht frustriert an, das wieder zur Oberfläche der Flügeltür wurde. Was sagte sie nun den Astronauten, die hinter ihr warteten? Sie spürte Wut und Demütigung, während sie fieberhaft nach einer Erklärung suchte, die sie nicht vor den Barbaren blamierte.

Nur leider wurde sie einfach nicht fündig.

7. Ronja

Ronja konnte der Magierin im Gesicht ansehen, dass sie sich das Ganze anders vorgestellt hatte. Während die Tätowierte nun zu ihnen zurückkehrte, musste sich die Amazone zusammenreißen, um nicht schadenfroh zu grinsen. Doch der Gedanke, dass auch sie so nicht weiterkamen, dämpfte ihr Gemüt ausreichend, um sich nicht viel anmerken zu lassen.

„Es war einen Versuch wert. Gut gemacht.“

Ashleys Lob überraschte Ronja ebenso sehr wie die kahle Magierin.

„Gut gemacht? Aber ich bin doch gescheitert?“, entgegnete Viktoria irritiert.

„Schon“, bestätigte Ronjas Geliebte ungerührt. „Aber als wir geklopft haben, war da nicht einmal dieser unhöfliche Holzkopf.“

„Trotzdem werden wir nicht zum Sammler vorgelassen.“

„Stimmt“, bestätigte Ashley der Zauberin. „Aber wenn man vom Pförtner ignoriert und verspottet wird, muss man eben andere Saiten aufziehen, um sich Gehör zu verschaffen.“

Ronja, bisher über die so zahme Rede ihrer Freundin recht erstaunt, lächelte bei Ashleys nächsten Worten wölfisch.

„Barbara?“

„Ja, meine Königin?“

„Meinen Hammer, bitte.“

Während Ashley von ihrem Säbelfanten stieg und sich von der Hammerträgerin die riesige Wuchtwaffe übergeben ließ, wirkte Viktoria blasser und blasser.

„Was habt Ihr vor?“, fragte die Magierin schließlich, als Ashley sich in Richtung des Portals wandte.

„Na was wohl?“, entgegnete die Blondine. „Ich werde jetzt etwas kräftiger anklopfen.“

„Wartet“, beschwichtigte die Zauberin schnell. „Macht nichts Unüberlegtes.“

„Weshalb? Offenbar meint der Sammler, dass er uns ungestraft ignorieren kann. Da seine Schoßtierchen uns aber nicht in Ruhe lassen wollen, habe ich ein paar Takte mit ihm zu besprechen.“

„Ich verstehe. Aber es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit.“

„Ach? Und welche?“

„Ich weiß, wer der Sprecher meines Bundes ist. Ich werde ihn hierherholen. Er wollte sich zwar nicht einmischen, doch glaube ich, er würde auch nicht wollen, dass ihr gewaltsam gegen den Sammler vorgeht. Wartet bitte.“

„Schön. Und wie lange wird das dauern?“

„Nicht sehr lange.“

„Also gut“, entgegnete die Königin. „Wir werden warten.“

„Ich werde bald zurück sein“, antwortete Viktoria und begann mit ihrem Teleportationszauber.

8. Faqech

Faqech grinste immer noch, als sie auf das Zelt von Sven Erikson zuging. Der hochgeschossene Magier war ebenfalls ein Erdling und ehemaliges Mitglied der Crew ihres Geliebten. Doch zurzeit war er auch ihr Patient.

Fang verdankte diesem Astronauten einiges, ebenso wie jeder andere ihres Stammes. Überdies hatte sie Schuldgefühle, da sie sich mitverantwortlich für seinen jetzigen Geisteszustand fühlte.

Zwar hatte sie nichts getan, um ihm zu schaden, doch war der Zauberer bei dem Versuch, ihren Stamm aus der Zwischenwelt zu befreien, massiv überanstrengt worden. Nun musste er den Preis dafür zahlen, sich auf Magie eingelassen zu haben, die im Grunde viel zu mächtig für ihn war.

Es war Ehrensache, dass sie alles tat, um Erikson darin zu unterstützen, wieder zu sich zurückzufinden. Doch schien es ihr, als konnte sie ihm doch nicht wirklich helfen. Dieser Umstand bedrückte sie sehr, spornte sie aber auch gleichzeitig an, weiterzumachen.

„Sei mir gegrüßt, Faqech“, erklang eine körperlos scheinende Stimme außerhalb des Zeltes. „Ich fürchte, unser Freund ist noch ein wenig beschäftigt.“

„Ich höre es“, entgegnete sie und schaute sich um, bis ihr Blick auf einen roten, runden Stein fiel, der an einer Kette befestigt war und an einer Stange des kurzen Vordaches baumelte. „Offenbar haben sich die lieben Liebenden wieder versöhnt“, begrüßte sie das Schmuckstück, in dessen Inneren ein Seelenfragment eines Magiers eingeschlossen war. „Hängst du deshalb hier draußen herum, Ingbold?“

„Ja. Und auf eigenen Wunsch“, erklärte der Stein, bei jedem Wort schwach aufscheinend. „Es … ist besser für mein Seelenheil, wenn ich nicht immer wieder Zeuge bestimmter Aktivitäten bin.“

Fang grinste verstehend, während besagte Aktivität im Inneren des Zeltes sich dem Höhepunkt näherte.

„Nun“, entgegnete sie verschmitzt. „Ob Zuhören wirklich besser ist?“

„Das ist ein wahres Wort“, seufzte das baumelnde Geschmeide. „Aber es ist eben, wie es ist. Nicht wahr?“

„Ja. Meinst du, es dauert noch länger?“

„So scheint es. Ich habe zwar darauf hingewiesen, dass du kommen würdest, doch meine Bedenken wurden von Delphi einfach ignoriert …“

Fang nickte wissend. Die Mensch gewordene Fee Delphi ließ sich nicht groß von Zwängen oder Bedenken leiten.

„Und Sven?“

„Nun … Mein Freund war es, der veranlasste, dass Hiriko mich am Ende hierher beförderte bevor sie ging. Ist diese Antwort für dich ausreichend?“

Fang schmunzelte weiter und nickte erneut.

„Jaja. Liebende können ihr Umfeld schwer belasten“, sagte sie dann.

„Ja. So ist es wohl.“

„Soll ich dich ein wenig ausführen, bis sich die Gemüter wieder abgekühlt haben?“

„Es wäre mir eine Freude.“

Fang fingerte Ingbold geschickt von der Stange und streifte ihn sich über den Kopf.

„Wünsche?“

„Mir ist jede Richtung außer Hörweite recht, meine Liebe.“

„Schön. Kannst du mir noch einmal erzählen, wie Zaubersprüche der Schulmagie aufgebaut sind, während wir wandern?“

„Natürlich. Sehr gerne sogar. Ich freue mich, dass dich diese Spielart der Magie interessiert.“

„Es ist nicht nur wegen meines Interesses, vielmehr hoffe ich, einen neuen Weg zu finden, Sven zu helfen.“

„Nun. Dann wird es mir zweifach eine Freude sein, dir die Grundlagen der Schulmagie zu erläutern“, erwiderte Ingbold förmlich und dienstbeflissen. „Es ist so: Alles beginnt im Grunde mit der Idee an sich. Sie ist Ausgangs- und Angelpunkt jedweder magischen Aktivität.

---ENDE DER LESEPROBE---