Menschen gesucht - Thorsten Hoß - E-Book
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Menschen gesucht E-Book

Thorsten Hoß

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Beschreibung

Endgültig auf Lunaria gestrandet, beginnt die Crew der Sirius7 langsam ihre Lage zu akzeptieren. Doch sind sie die einzigen Menschen zwischen den befreiten Orks und Goblins in ihrem Gefolge? Nur der gespaltene Geist des toten Zauberers Ingbold scheint zu wissen, wo sie andere ihresgleichen finden können. Doch damit er sie an seinem Wissen teilhaben lässt, müssen die Astronauten erst ihren Pakt mit ihm erfüllen. In der Hoffnung, bei den hiesigen Menschen eine neue Heimat zu finden, bereitet sich die Crew der Sirius7 auf ihr nächstes Abenteuer vor. Ob der Magier sein Wort auch halten wird, wenn er erst einmal hat, was er begehrt, ist alles andere als sicher. Nur eines ist gewiss: Das Ultimatum, welches der spukende Zauberer ihnen gestellt hatte, läuft langsam ab und es wird Zeit, ihre Reise in dieser mystischen Welt fortzusetzen.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

Prolog

1. Boris

2. Faqech

3. Ashley

4. Sven

5. Ashley

6. Sven

7. Boris

8. Hiriko

9. Sven

10. Ashley

11. Sven

12. Ashley

13. Tilseg

14. Boris

15. Sven

16. Hiriko

17. Sven

18. Boris

19. Sven

20. Boris

21. Sven

22. Hiriko

23. Sven

24. Boris

25. Sven

26. Boris

27. Sven

28. Boris

29. Sven

30. Boris

31. Tilseg

32. Sven

33. Ashley

34. Sven

Zwischenspiel

35. Hiriko

36. Tilseg

37. Boris

38. Hiriko

Zwischenspiel

39. Sven

40. Faqech

41. Ashley

42. Boris

43. Ashley

44. Sven

Zwischenspiel

45. Faqech

46. Sven

47. Ashley

48. Tilseg

49. Faqech

50. Ashley

51. Faqech

52. Tilseg

53. Faqech

54. Ashley

55. Faqech

56. Ashley

57. Faqech

58. Ashley

59. Faqech

60. Ashley

61. Faqech

62. Boris

63. Ashley

64. Boris

65. Ashley

66. Sven

67. Hiriko

68. Sven

69. Hiriko

70. Karl

71. Boris

72. Hiriko

73. Ashley

74. Hiriko

75. Sven

76. Hiriko

77. Karl

78. Sven

79. Ashley

80. Sven

81. Boris

82. Tilseg

83. Ashley

84. Sven

85. Ashley

86. Tilseg

87. Ashley

88. Hiriko

Zwischenspiel

89. Boris

90. Ashley

91. Boris

92. Ashley

93. Sven

94. Ashley

95. Boris

Zwischenspiel

96. Sven

Zwischenspiel

97. Ronja

Zwischenspiel

98. Boris

Zwischenspiel

99. Ashley

Zwischenspiel

100. Ronja

Zwischenspiel

101. Hiriko

Zwischenspiel

102. Ashley

Zwischenspiel

103. Boris

Zwischenspiel

104. Hiriko

Zwischenspiel

105. Ronja

Zwischenspiel

106. Ashley

107. Ronja

108. Tilseg

109. Ronja

110. Boris

Zwischenspiel

111. Ronja

112. Boris

113. Faqech

114. Ronja

115. Ashley

116. Boris

Epilog

Lieber Leser

Bisher erschienene Romane aus Lunaria:

Über den Autor und dieses Buch:

Danksagungen:

Impressum

Menschen gesucht

(Die Crew der Sirius7, Band 2)

Zweite deutsche Ausgabe

©2017 Thorsten Hoß

[email protected]

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: PolinaHoß

Lektorat: Polina Hoß, André Reichel

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für meine Eltern.

Prolog

Zwei Entitäten, jede für sich die menschliche Vorstellungskraft sprengend, betrachteten augenlos die winzige Gestalt, die unter ihnen kniete. „Dies ist er also?“, fragte die erste wortlos.

„Dies ist er!“, antwortete die andere mundlos.

„Er ist so schwach und zerbrechlich.“

„Natürlich! Er ist nur ein Mensch!“

„Er ist mir fremd, doch irgendwie vertraut.“

„Er gehört zu den Nachkommen derer, die zurückblieben.“

„Dann ist er sehr weit weg von seinem Zuhause. Erstaunlich… Ich habe den Weg gar nicht gespürt.“

„Er hat ihn auch nicht benutzt. Er kam mit einem Sternenschiff.“

„Also hat ES dich nun auch erreicht?“

„Das hatte ES schon mehr als einmal. Darum gibt es den Wächter.“

„Aber warum hat dein Wächter ihn und seine Leute verschont?“

„Das hätte er nicht, doch spürte ich dich in ihm und den anderen.“

„Ich spüre es auch, aber er ist kein Teil von mir.“

„Das ist interessant, oder?“

„Das ist es. Und es bedeutet...“

„Es bedeutet, dass du dort einen Weg gefunden hast, ES zu überleben.“

„Wenn das wahr ist, wäre es interessant, mich austauschen zu können.“

„Du weißt, dass das nicht geht. Sie sind einfach zu primitiv. Und dieses spezielle Exemplar ist besonders unempfänglich. Aber genau das macht diesen Menschen interessant. Seine Begleiter haben sich angepasst, er nicht.“

„Die beiden Frauen hatten keine Wahl. Und einer von ihnen war schon kein Mensch mehr, als sie ankamen.“

„Und trotzdem haben sie sich angepasst. Genauso wie sein anderer Begleiter.“

„Das ist richtig, aber ist dieser Mensch wirklich der richtige? Wenn du ihn gehen lässt, könnte ES wieder auf dich aufmerksam werden und versuchen auch noch unseren letzten Zufluchtsort zu erobern.“

„Das ist wahr. Doch wir wissen alle, was ES für uns bedeutet. Und anders als du und die anderen stehe ich nicht alleine da. Ich habe euch an meiner Seite. Und ich bin gewarnt. ES konnte sich einschleichen und euch innerlich verzehren. Das wird ES hier nicht können. Aber wenn der Mensch Erfolg hat, erfahren wir, wie du es geschafft hast, ES zu überleben.“

„Eine wichtige Erkenntnis“, stimmte die erste Entität nun zu. „Doch wie soll ihm die Rückkehr gelingen, ohne sich anzupassen?“

„Wir werden sehen. Er und seine Begleiter sind auf dem richtigen Weg. Wir werden sehen, ob er leisten kann, was wir uns von ihm versprechen.“

„Es ist lange her, dass wir uns für einen einzelnen Menschen interessiert haben.“

„Lass uns mit den anderen sprechen. Dann sehen wir, wie sich alles entwickelt.“

„Einverstanden.“

Von jetzt auf gleich war die kleine Gestalt, die auf dem Boden kauerte, wieder allein. Nur hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie Gesellschaft gehabt hatte.

1. Boris

Der Pilot und Astronaut, Kommandant Boris Iwanowitsch Koschkin, kniete im feuchten Gras. Nicht, dass sein Äußeres in irgendeiner Weise verriet, wer er war oder woher er stammte.

Nicht seine grobe Kleidung aus dickem Schweinsleder oder sein immer länger werdendes Haar, das ihm in wilden Strähnen ins Gesicht fiel. Nicht der primitive Speer, der neben ihm im Gras ruhte, und auch nicht sein Reitschwein, das im Schatten eines der Bäume auf ihn wartete. Einem unbedarften, unwissenden Beobachter zeigte sich kein Hinweis darauf, dass er nicht von dieser Welt stammte und ein Gestrandeter war.

Während er nun dort kniete, versuchte er seine Emotionen in den Griff zu bekommen und seine Gedanken zu beruhigen. Er hatte einfach ein letztes Mal hierhin zurückkommen müssen, bevor er seinem Hyperraumschiff endgültig den Rücken zukehren würde.

Nicht dass von seiner Sirius7 noch irgendetwas zu erkennen gewesen wäre. Ohne die Absturzschneise hätte er ihr Grab sicher nicht gefunden. Nur ein großer, länglicher Hügel aus sich immer noch setzender Erde deutete an, wo das Raumschiff nach seiner Bruchlandung zum Stillstand gekommen war.

Als er nach seiner Gefangenschaft an diesen Ort zurückgekehrt war, ragten noch vereinzelte Kristallspitzen aus der Erhebung. Doch während er die letzten Monate mit den Goblins gelebt hatte, musste der Kristall das Schiff weiter in die Tiefe gezogen haben.

Der ehemalige Kommandant der Sirius hatte den Erzählungen seiner Mannschaft einfach nicht glauben können, ohne es mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ein Kristallwesen, was sein Schiff angegriffen und zerstört hatte, war für ihn zunächst absolut unglaubwürdig.

Da seine Kameraden aber keinen Grund hatten, ihn zu belügen, akzeptierte er ihre Darstellung zunächst, ohne sie zu glauben. Doch als er selbst zurückgekehrt war, blieb ihm keine Wahl mehr.

Wie lange war das nun her, seit er und seine Crew von Pionieren der Raumfahrt zu Steinzeitmenschen abgestürzt waren? Er konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Ohne Computer und Kalender verschwamm sein Zeitgefühl zusehends.

„Ruhe in Frieden, meine Schöne“, verabschiedete er sich von seinem verschütteten Schiff und erhob sich. Bald würde er mit Faqech aufbrechen, um zu seinen eigenen Leuten zurückzukehren. Und dann würden sie gemeinsam weiterreisen, um andere Menschen zu suchen, die auf dieser Welt leben sollten.

Dass die bald frischgebackene Schamanin ihn begleitete, beruhigte Koschkin auf der einen Seite sehr. Das Goblinmädchen war so sehr Teil seines Lebens geworden, dass er sich nicht vorstellen konnte, wie es ohne sie wäre. Ohne sie hätte er hier gar nicht so lange durchgehalten und wäre schon etliche Male gestorben. Er hatte damals schon eine tiefe Loyalität für das zierliche Wesen empfunden, als er sie noch für einen Jungen hielt.

Im Nachhinein betrachtet war es für ihn jedoch nicht so verwunderlich. Weibliche Goblins schienen erst richtige Brüste zu entwickeln, wenn sie das erste Mal schwanger wurden. Zuvor waren sie so flachbusig, wie jeder andere männliche Goblin. Hinzu kam, dass sie einen machtvollen heilenden Gegenstand unter ihrem Lendenschurz versteckt hatte, den er bei ihrem ersten Zusammentreffen für männliche Genitalien gehalten hatte.

Dass er sich in diesem Punkt so grundlegend geirrt hatte, irritierte ihn noch eine ganze Weile, nachdem er eines Besseren belehrt worden war. Doch hatte er bis vorgestern seine Unsicherheit als überwunden betrachtet.

Seine wiedergekehrte Verwirrung war der zweite Grund, warum er hier alleine stand und nicht in ihrer Begleitung. Er brauchte etwas Zeit für sich, um seine Gedanken zu ordnen.

Seit sie sich erneut von seiner Crew getrennt hatten, damit Fang, wie er die Goblinin nannte, ihre Ausbildung zum Schamanen bei ihrem Lehrmeister Queckech abschließen konnte. Dabei hatte er sie nach Kräften unterstützt, beschützt, wenn es nötig war, und ihr dabei geholfen, die seltsamsten Komponenten für ihre Rituale zu suchen. Also generell, ihr ein guter Kamerad und Freund zu sein.

Als sie ihm an diesem schicksalhaften Abend vor zwei Tagen gestand, dass sie vermutlich nicht genügend Kraft sammeln könnte, um die vor ihr liegende Aufgabe zu bestehen, bot Koschkin ihr sofort seine Hilfe an. Faqech hatte ihn daraufhin wieder einmal so seltsam angeschaut, bevor sie ihm erklärte, dass er ihr tatsächlich helfen könnte, wenn er ein Ritual mit ihr vollziehen würde.

Ein Ritual, von wegen! Fang hatte ihn gevögelt, als würde es kein Morgen geben. Und er hatte es zugelassen. Nein, das war falsch. Nicht zugelassen, euphorisch mitgemacht, wäre ein besserer Ausdruck dafür.

Dabei hatte es so harmlos angefangen, bevor es in einer Form eskalierte, die Koschkin zuvor noch nie erlebt hatte. Nicht einmal Ashley war so wild gewesen.

Als Fang am nächsten Tag zu ihrer letzten Prüfung aufbrach und sich dafür bedankte, dass er ihr seine Kraft gegeben hatte, konnte er sich kaum rühren und war alleine in der kleinen Höhle zurückgeblieben, die ihm die Goblins am Rande ihrer Siedlung zugewiesen hatten.

Er hatte bis zum heutigen Vormittag benötigt, um halbwegs wieder zu Kräften zu kommen. Nachdem er sich gewaschen und etwas gegessen hatte, besuchte er den Schamanen, um sich nach Fang zu erkundigen.

Koschkin verstand mittlerweile einige Brocken der quäkigen Sprache der Goblins, doch reichte dies nicht, um eine längere Unterhaltung zu führen. Der alte Schamane machte ihm jedoch verständlich, dass Fang ihre Aufgabe noch nicht abgeschlossen hatte, sodass der Russe beschloss, alleine und ein letztes Mal zu seinem Schiff aufzubrechen, um sich zu verabschieden.

Und nun war er hier, alleine mit seinen Gedanken.

Ich sollte zurückkehren, beschloss er schließlich und wandte sich ab. Doch als er sich seinem Reitschwein näherte, sauste ein kleines leuchtendes Objekt auf ihn zu und zwitscherte ganz aufgeregt dabei.

„Was ist das schon wieder?“, stieß er überrascht aus und versuchte, dem Geschoss auszuweichen. Seine Bemühungen waren jedoch erfolglos. Wie eine zielsuchende Rakete hatte sich das Ding auf ihn ausgerichtet und blieb weiter auf Kurs. Kurz bevor es in ihn einschlagen konnte, drehte es abrupt ab und begann seinen Kopf in wilden Kreisen zu umrunden. Dabei zwitscherte es ununterbrochen.

2. Faqech

Ihre Geisterreise hatte Faqech sehr erschöpft. Sie brauchte einen Moment, um sich ihres Körpers wieder bewusst zu werden, und saß einfach nur da. Als sie endlich ihre Augen öffnete, spürte sie, dass ihr Lehrmeister bei ihr war, um sie zu stützen.

„Es hat ungewöhnlich lange gedauert“, sprach er sie an. „Ich habe schon angefangen, mir Sorgen zu machen.“

„Du hast mich gut vorbereitet. Die Geister haben mir gezeigt, was ich im Innersten bereits wusste. Ich bin hier nicht länger willkommen.“ Der alte Schamane blickte ernst in die offenen Züge seines Lehrlings.

„Die Ahnengeister haben dich abgelehnt? Dann ist das Ritual gescheitert?“

„Sie haben mich abgelehnt, doch habe ich mein Totem auch ohne sie gefunden.“ Queckech senkte den Blick, dann antwortete er traurig:

„Dann bist du nun also ein Schamane, aber ein Schamane ohne Stamm. Ich hatte gehofft, du könntest mich ersetzen, wenn die Zeit gekommen ist.“

„Der Stamm hat seine Entscheidung getroffen. Die Lebenden, als sie mich verbannten, und die Toten, als sie ihre Hilfe verweigerten. Und auch ich habe sie getroffen, als ich mich gegen sie stellte, um Boris zu schützen, auch wenn ich es damals noch tat, weil du mir die Verantwortung für den Menschen gegeben hattest.“

„Dann soll es so sein“, nickte der alte Schamane. „Wann werdet ihr aufbrechen?“

„In nächster Zeit. Auch wenn mich die meisten seit unserer Rückkehr wie eine Ausgestoßene behandeln, habe ich doch Freunde, von denen ich mich verabschieden möchte. Wenn ich meine Angelegenheiten geregelt habe, werden Boris und ich zu den anderen Menschen zurückkehren. Vielleicht wollen es die Geister, dass ich die Schamanin der Heimatlosen werde und bei ihnen lebe.“

„Das wäre möglich“, pflichtete Queckech ihr bei. Dann reichte er ihr nachdenklich etwas Wasser und ein wenig Nahrung und wartete schweigend, bis sie sich gestärkt hatte.

„Wirst du deinen Kraftspender mitnehmen?“, begann er schließlich erneut ein Gespräch. Faqech zögerte kurz, dann nickte sie.

„Ja, das werde ich“, bestätigte sie unbestimmt.

„Dann werdet ihr ein zweites Schwein brauchen. Zwei Goblins, ein Mensch, dazu noch Gepäck und eine Walze für das Messergras; das ist auf Dauer einfach zu viel für ein Tier.“

„Ein zweites Reitschwein wäre nicht schlecht“, stimmte sie zu. „Aber wir werden nur zu zweit sein.“ In der einsetzenden Stille warf sie ihrem Lehrmeister einen verstohlenen Seitenblick zu.

„Ich verstehe. Vielleicht haben die Ahnen dich deswegen abgelehnt, da du keinen deines Volkes erwählt hast.“

„Ich bin dem Ritus gefolgt! Du hast selber gesagt, das Ritual würde umso besser funktionieren, je enger man sich jemandem verbunden fühlt. Und es hat zweifelsfrei sehr gut gewirkt.“ Ihre Worte zeugten von Trotz und Verlegenheit gleichermaßen, doch hoffte sie, Entschlossenheit auszustrahlen.

Sie hatte Koschkin gar nicht in Erwägung gezogen, bis ihr klar wurde, dass sie sich mit niemandem in ihrem Stamm wirklich verbunden fühlte und er ihr daraufhin seine Hilfe anbot. Danach hatte sie sich gefragt, wieso sie nicht früher darauf gekommen war.

„Das hat es wohl“, stimmte ihr Lehrmeister zu. „Aber die Menschen sind so groß und plump und riechen komisch.“ Als er dies sagte, starrte Faqech ihn unverwandt an. „Sie haben auch viele gute Seiten“, ergänzte er schnell. „Aber ich finde sie einfach hässlich. Würde sich der Mensch nicht die Wangen schaben, sähe er in meinen Augen fast aus wie ein Bär.“

„Darauf kommt es nicht an“, bestimmte sie.

„Das ist eine sehr schamanische Einstellung“, pflichtete er ihr bedächtig bei.

3. Ashley

Die Umgebung flog rasend schnell an Ashley vorbei, während sie sich tief hinab gebeugt an das Schuppenkleid ihres Reittieres presste. Deutlich spürte sie die mächtigen Muskeln des Säbelfanten unter sich arbeiten, während er sie durch die endlose Weite des Messergrases trug. Sie liebte dieses Gefühl, das sie empfand, während sie unterwegs war. Früher einmal war sie die Ingenieurin und Bordtechnikerin Ashley Bender gewesen. Doch nun war sie Ashley die Säbelfantenreiterin, Herrin ihres Rudels.

Ihr altes Leben lag so weit hinter ihr, dass es ihr teilweise vorkam, als hätte jemand anders dieses Leben geführt. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass der Kristall ihr so viel Erinnerung und Wissen aus ihrem alten Leben gestohlen hatte. Damals, als ihr Schiff zerstört und ihr Leben ein anderes wurde... Doch das war egal. Es lag hinter ihr und war vorbei. Was zählte, war das Hier und Jetzt. Und jetzt gerade war sie mit ihrem Rudel auf der Jagd.

„Ashley, komm zurück. Ich habe den Ort endlich lokalisiert.“ Die Blondine zuckte leicht zusammen, als sie die mentale Botschaft empfing. Seit der Eierkopf gelernt hatte, telepathische Nachrichten zu übermitteln, ging er ihr auch noch auf die Nerven, wenn sie nicht im Lager war.

Aber auch das war jetzt egal. Ihr Rudel hatte ihre Beute fast erreicht. Zuerst würde sie ihre Jagd beenden. Vom Rücken Ihres Tieres sah sie die Bewegungen der Herde im Messergras. Zwanzig oder dreißig mussten es sein. Und sie hatten sie ebenfalls bemerkt. Egal, entkommen würden sie nicht.

Die aufgescheuchten Panzerwollschafe stoben auseinander, als ihre Meute Säbelfanten zwischen sie sprang und die ersten Opfer riss. Auch sie hatte sich aufgerichtet und einen ihrer Speere geschleudert. Zielsicher war die Waffe in den Hals eines der Schafe eingedrungen und hatte es zu Boden geschickt. Geschickt griff sie sich eine neue Waffe aus der Halterung ihres Sattels und zielte erneut. Auch ihr zweiter Speer traf genau, bevor ihr Reittier endgültig die Herde durchquert hatte und wendete. Noch zweimal jagten sie und ihr Raubtier den Überlebenden hinterher, um weitere Leben zu fordern. Bis sie keine Speere mehr hatte und absprang. Ihr Säbelfant sollte auch die Möglichkeit haben, seine Beute selbst zu erledigen. Zufrieden blickte sie sich um. Eines ihrer Raubtiere weidete gerade seine Trophäe aus und verschlang gierig große Bissen des frischen Fleisches. Sie wusste, dass die restlichen Rudelmitglieder ganz in ihrer Nähe waren und sich ebenfalls stärkten.

„Wohl bekommt’s!“, rief sie dem Tier zu, während sie begann, die erlegten Schafe für den Transport vorzubereiten. Zunächst stellte sie sicher, dass alle Schafe wirklich tot waren. Wo es nötig war, setzte sie einen Gnadenstoß nach. Dann begann sie, je zwei Schafe mit den Läufen aneinander zu binden. Dabei summte sie eine Melodie und ließ ihre Gedanken schweifen.

Seit sie an der Turmruine angekommen waren, war es stetig bergauf gegangen. Am Anfang war es müßig gewesen, Jagdbeute zu finden und diese zu erlegen, bevor sie im Messergrasmeer wieder entkommen konnte. Bis schließlich ihr Säbelfant unerwartet zu ihr zurückgekehrt war.

Als sie und ihre Freunde damals ihren treulosen Kater Koschkin befreiten, hatten sie neben etlichen Sklaven auch eine größere Gruppe dieser gefährlichen Raubtiere in die Freiheit entlassen. Ihr treues Reittier hatte sie damals angegriffen und beinah getötet. Doch sie konnte den Säbelfanten gerade so überrumpeln und in die Flucht schlagen.

Später hatte sie ihn wieder getroffen und ihm aus einer Laune heraus das Leben gerettet und seine Wunden versorgt. Seitdem hatte der große Säbelfant sie beobachtet. Zunächst war er nur um ihr Lager gestreunt und hatte für viel Unruhe unter den Orks und Goblins gesorgt.

Doch dann hatte er angefangen, Geschenke zu bringen. Hier ein Panzerwollschaf, dort ein Panzerwolf oder auch Megwo, wie die Einheimischen die entfernt wolfsartigen Raubtiere des Messergrases nannten. Nach und nach hatte sich das Band zwischen ihnen gefestigt. Auch, weil ihre Freundin Hiriko zwischen dem Tier und ihr vermitteln konnte.

Irgendwann brachte der Säbelfant einen zweiten mit in ihr Lager, halb tot, mit einem geschwollenen und entzündeten Rüssel, in dem ein Metallring eiterte. Auch diesem hatten sie geholfen.

Es vergingen zwar noch Monate, bevor ihr Säbelfant akzeptierte, dass sie auf ihm ritt, doch war der Grundstein gelegt. So hatte sich nach und nach ihr Rudel aus fünf dieser großen Raubtiere gebildet, mit dem sie nun jagte und im Prinzip im Alleingang das ganze Lager mit Frischfleisch versorgte. Seitdem war alles einfacher. Sie hatten genügend Essen und viele der ehemaligen Sklaven erwiesen sich als durchaus geschickte Handwerker, die auch noch aus den letzten Teilen der Tiere etwas Brauchbares erschaffen konnten.

Heutzutage musste sie nicht mehr nackt durch die Gräser streifen, um zu vermeiden, dass Kleidung, die sie trug, durch die scharfen Graskanten regelrecht von ihrer Haut geschnitten wurde. Und sie musste keine Rücksicht mehr auf andere nehmen, deren Körper nicht so widerstandsfähig wie ihr eigener waren. Sie wusste zwar bis heute nicht genau, weshalb ihre Haut so ungewöhnlich robust geworden war, doch spielte der Grund für sie auch keine Rolle. Es war eben, wie es war. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, führte zu nichts.

Also hörte sie auf zu grübeln und begann damit, ihr Rudel zu sammeln und die schweren Schafe auf die Rücken der Raubtiere zu wuchten. Auch das war etwas, was die alte Ashley nicht hätte leisten können. Dieser Kraftakt wäre schlicht zu groß für sie gewesen. Rundum zufrieden mit sich und der Welt bestieg sie erneut ihren Säbelfanten und machte sich auf den Heimweg.

4. Sven

Sven Erikson, ehemaliger Astrogator der Sirius7 und angehender Zauberer, wartete ungeduldig im Lager.

„Ich bin mir sicher, dass ich nichts falsch gemacht habe“, redete er mit sich selbst. Eigentlich redete er mit einem Geist, der nur von den Personen gesehen und gehört werden konnte, die das kleine, rote, runde Schmuckstück berührten, das er an einer Silberkette um den Hals trug.

„Ich habe auch keine Fehler bemerkt“, bestätigte der Geist sachlich. „Eure Gefährtin hat Eure Nachricht bestimmt erhalten.“

„Ich könnte versuchen, sie zu orten“, schlug Sven seinem Lehrmeister vor.

„Dadurch würde sie auch nicht schneller zurückkehren. Ihr würdet nur Mana vergeuden“, antwortete der Geist streng. „Auch wenn Ihr hier Eure Kräfte schnell zurück erlangen könnt, solltet Ihr von mir gelernt haben, dass man mit seinen magischen Fähigkeiten haushalten sollte.“

„Sie haben wie immer recht, Lektor Ingbold“, antwortete Erikson nach kurzem Zögern. Der Geist des verstorbenen Zauberers hatte ihm viel beigebracht, seit er zufällig auf dessen Überreste gestoßen war und die Kette gefunden hatte.

Die rote Kugel war kein einfaches Schmuckstück, wie er zuerst dachte, sondern Wohnstatt eines Seelenteils des Zauberers. Viel mehr hatte der Geist ihm darüber aber nicht erzählen wollen. In der Ruine, die einmal der Turm des Zauberkundigen gewesen war, existierte noch ein weiterer Seelenteil von ihm, der sich jedoch Magister Ingbold nannte und offensichtlich ganz normal herumspukte, nachdem sein Leben ein gewaltsames Ende gefunden hatte.

Dass Sven es als normal empfand, wenn Verstorbene herumgeisterten, fiel ihm gar nicht mehr auf. Dem Geist von Lektor Ingbold jedoch schon, der die Gedanken seines Lehrlings lesen konnte, solange das Schmuckstück Körperkontakt mit Sven hatte.

„Wie wäre es mit einer weiteren Lektion, während wir warten?“, schlug der Geist vor, wobei er leicht schmunzelte. „Das dürfte euren Verstand beschäftigen, bis eure Gefährtin zurückgekehrt ist.“

„Einverstanden“, entgegnete Sven erfreut. Doch als er sich dem Geist zuwandte, bemerkte er, dass dieser abgelenkt wurde und in Richtung des Turmes blickte.

„Aber es schadet doch nicht“, erwiderte der Lektor seinem unsichtbaren Gesprächspartner. Sven seufzte. Während er Lektor Ingbold sehr viel Sympathie entgegenbrachte, musste er eingestehen, dass dies nicht für Magister Ingbold galt.

Auch wenn die beiden ein und dieselbe Person zu sein schienen, führten sie immer wieder Streitgespräche. Umso weiter seine Ausbildung voran schritt, umso häufiger stritten sich auch die Geister. Manchmal konnte er Lektor Ingbolds Teil der Unterhaltung mitverfolgen. Manchmal, wie nach diesem Satz, wechselte der Lektor jedoch in eine Sprache, die Sven nicht verstand.

Dies wäre an und für sich nichts Besonderes gewesen, doch hatte Erikson durch eine Fee das Geschenk des Feenstaubs erhalten, wodurch er bisher jede Mundart verstanden hatte, auf die er in dieser Welt gestoßen war. Doch diese seltsame Sprache entzog sich der Magie des Staubs.

Warum das so war, konnte sich Erikson nicht erklären. Auch die Muttersprache des Geistes beherrschte er nicht, doch konnte er sie dank des Feenstaubs verstehen. Daran konnte es also nicht liegen.

Auch Hiriko verstand diese Sprache nicht, obwohl sie ansonsten mit so ziemlich jedem Geist sprechen konnte und auch verstand, was diese sagten.

Selbst mit seinem kleinen Feuerelementar, den er aus Versehen beschworen hatte, konnte sie kommunizieren, auch wenn sich eine Unterhaltung mit dem Elementarwesen kaum lohnte, denn die Interessensbereichen und Themen einer Flamme waren doch stark eingeschränkt. Sven beschloss seiner Kameradin einen Besuch abzustatten, während die Geister stritten und er auf Ashley wartete.

Hiriko Tanaka war einmal die Kopilotin und Funkerin der Sirius7, doch dann war sie durch einen tiefen Sturz gestorben. Anschließend wurden ihre Überreste verschleppt und später auch noch von Ogern verspeist. Auf der Erde wäre es eine klare Angelegenheit gewesen. Auch wenn sie dort vermutlich nicht von einem Oger gefressen worden wäre. Gestürzt, gestorben, gefressen. Sie wäre tot und fort.

Trotz dieser Widrigkeiten ging es der ehemaligen Asiatin jedoch recht gut. Als Erikson sie fand, aalte sie sich gerade auf einem großen Trümmerstück der Turmruine in der Sonne und lächelte verträumt.

Sie hatte sich mit Abstand am meisten verändert, seit ihr Schiff hier abgestürzt war. Sie war größer geworden und reichte jetzt an Eriksons eigene, fast zwei Meter messende, Körperhöhe heran. Gleichzeitig war ihre Haut noch dunkler geworden und glänzte nun in einem dunklen satten Braunton im Licht der Sonne. Nur ihre Gesichtszüge zeugten noch von ihrer asiatischen Abstammung. Wäre da nicht ihr langes grünes Haar gewesen, hätte er sie vielleicht mit einer der hochgewachsenen afrikanischen Kriegerinnen verglichen, über die er einmal etwas gelesen hatte.

„Hallo Hiriko“, grüßte er, als sie ihre Augen öffnete.

„Hi Sven“, grüßte sie zurück, während ihre dunkelbraunen Pupillen, in denen sich immer mehr grüne Sprenkel mischten, schalkhaft aufblitzten. “Suchst du etwas spezielles, oder hast du schon etwas gefunden, was dir gefällt?“, neckte sie ihn und legte sich noch ein wenig mehr in Pose. Erikson wurde sofort rot und wandte sich ab.

„Ehrlich Hiriko, ich wünschte, du würdest das lassen.“

Dass Ashley endlich wieder Kleidung trug, hatte ihn sehr beruhigt. Hiriko hingegen hielt dies nach wie vor nicht für nötig und neckte ihn immer wieder damit, dass er sich durch ihre Nacktheit so aus dem Konzept bringen ließ. Auch dieses Mal lachte sie glockenhell auf, bevor sie ihn anlächelte und unschuldig „womit denn?“ fragte. Dann setzte sie sich auf und fuhr fort. „Hast du nun nach mir gesucht oder bist du zufällig vorbeigekommen und wolltest nur kurz Hallo sagen?“

„Ein bisschen von beidem“, gab er zu. „Die Geister streiten sich wieder und ich warte auf Ashleys Rückkehr.“

„So ist das also. Und ich habe gedacht, die Sehnsucht nach mir hätte dich hierher getrieben“, schmollte sie enttäuscht und zog eine Schnute, nur um ihn kurz darauf wieder anzulächeln. Hiriko war immer noch Hiriko. Da war er sich sicher. Doch hatte sich ein Teil ihrer Persönlichkeit, ähnlich wie ihr Körper, sehr verändert, seit sie eine Dryade geworden war. Wie aus der stillen Sprachwissenschaftlerin dieser extrovertierte Naturgeist entstanden war, konnte weder sie selbst noch Lektor Ingbold erklären. Auch Tilseg, der von ihnen allen noch am besten zu begreifen schien, wie diese neue Welt funktionierte, hatte noch keine abschließende Lösung gefunden.

„Wo ist eigentlich Tilseg?“

„Der spielt, glaube ich, gerade Hebamme“, strahlte sie. „Unsere kleine Gemeinschaft wird wieder ein bisschen größer.“

„Sieht so aus“, bestätigte Sven gedankenverloren. Seit der Kommandant mit dem Goblinschamanen und Fang aufgebrochen war, hatte der Grünhäutige die Rolle des Heilers und Seelsorgers übernommen. „Einmal Doktor, immer Doktor.“

Tilseg, oder um genauer zu sein, ein Teil von Tilseg war einmal der Biologe und Bordarzt der Sirius, Till Segschneider gewesen, der diesen Planeten nicht lebend erreicht hatte. Während ihres Absturzes war es zu einem schweren Unfall auf der Krankenstation gekommen, der einen Teil der organischen Komponente ihres Hyperraumschiffes mit ihrem Schiffsarzt verschmolzen hatte.

Til Segschneider war zwar tot, doch lebte sein Wissen in Tilseg weiter, der bis auf seine ungewöhnliche Hautfärbung wenigstens äußerlich noch dem muskulösen glatzköpfigen Arzt entsprach.

„Was hältst du von meinen Fortschritten?“, unterbrach Hiriko seine Gedanken.

„Was für Fortschritte?“

„Na mein schickes Eigenheim!“, erwiderte die Dryade mit enttäuschtem Unterton. Sven schaute kurz begriffsstutzig, bevor er verstand. Hiriko war während ihrer Reise ihrer neuen Natur gefolgt und hatte sich mit einer Pflanze verbunden. Unglücklicherweise hatte sie sich ein Exemplar ausgesucht, das unter enormen Mengen Geröll und Schutt begraben war. Es hatte einige Anstrengungen gekostet, Magister Ingbold davon zu überzeugen, seinen Schutthaufen anrühren zu dürfen. Der Geist hasste Veränderungen an seiner Turmruine, ließ sie mit viel Zureden des Lektors aber gewähren.

Die Pflanze freizulegen hatte das ganze Lager fast einen Monat lang gut beschäftigt. Vor allem Hirikos Schoßoger Junior hatte enorme Arbeit geleistet, ihr Gewächs freizulegen. Der Oger war noch ein junger Vertreter seines Volks, doch mit Abstand das größte und stärkste Wesen ihres Lagers. Ohne ihn hätten sie es vermutlich nie geschafft, die Pflanze zu befreien. Hirikos Symbiosepartner stellte sich als ein etwa kniehohes Gebilde aus einem faustdicken Stamm heraus, der stark verdreht und um sich geschlungen etwa die Dicke eines Medizinballs aufwies. Eine Vielzahl dünner rankenartigen Äste hatte das Gewächs ausgetrieben, doch waren alle bis auf einen verkümmert gewesen. Hiriko meinte, dass es sich dabei um einen dornenbewerten rankenden Weinstock handelte.

Tilseg hatte mit einigen anderen Lagerbewohnern aus Häuten und Holz eine Art Erdwanne konstruiert, den Weinstock gestutzt und darin umgepflanzt. Erikson hatte zunächst nicht begriffen, was er und die Dryade sich da ausgedacht hatten, bis Hiriko in Aktion getreten war.

Mit ihrer Hilfe zeigte die Pflanze anfangs enorme Wachstumsschübe und umschloss ihre eigene Wanne schnell vollständig. Doch zeigte sich schnell, dass durch die Geschwindigkeit, mit der die Pflanze Masse gewann, das Erdreich, in dem ihr Stock nun wurzelte, rapide ausgelaugt wurde. Doch auch dazu war dem Doktor etwas eingefallen.

Hirikos Weinpflanze wurde zunächst durch den Inhalt der am Lagerrand ausgehobenen Latrine gedüngt. Auch diese Aufgabe hatte Junior übernommen, bis Hiriko den Wein in seine tatsächliche, erste Form hatte wachsen lassen. Erikson hatte es damals nicht glauben können als er es das erste Mal sah. Ein mit frischem Grün belaubtes Weinstock-Klohäuschen mit kleinen Dornen hatte er auch noch nicht gesehen.

Nach einer anfänglichen Scheu nutzten viele der Lagerbewohner das Gebilde auch tatsächlich. Sven hatte ja damit gerechnet, dass die Wanne schnell überlaufen würde, doch blieb dieses Ereignis aus. Und als Hiriko auch noch den Geruch unter Kontrolle hatte, wurde ihr Weinstock das beliebteste stille Örtchen im Lager.

In der Zwischenzeit hatte das Gebilde aber weiter an Größe gewonnen und zwei kurze, aber dicke Fortsetze an den Seiten, hatte sich langgestreckt und zwei weitere Fortsätze an einem Ende ausgebildet. Irgendwie erinnerte ihn das Gebilde jetzt an einen Klostreitwagen, dem man die Räder geklaut hatte.

„Hübsch?“, kommentierte er vorsichtig.

„Stimmt, das auch“, bestätigte sie, „Und praktisch. Tilseg muss sich noch überlegen, wie er meine zarten Achsen gegen Abrieb und Reibungshitze schützt und wie er am besten Räder dafür baut. Und dann bin ich endlich wieder mobil!“

„Ja, sehr schön“, erwiderte er diplomatisch. Doch Hiriko schien mehr Begeisterung erwartet zu haben.

„Du kannst ja auch Wasser holen gehen, wenn dir langweilig ist“, ärgerte sie ihn nun wieder und wurde prompt mit einem gequälten Aufstöhnen seinerseits belohnt. Er war der einzige, dem Magister Ingbold erlaubte, seine Turmruine zu betreten. Also war er es, der für fast hundertdreißig Kehlen Wasser aus der Zisterne im Turminneren schöpfte. Wenigstens musste er es nur hinauf befördern und aus der Ruine schleppen. Den Rest erledigten andere. Auch hier hatte der Magister erst nach langer Diskussion zugestimmt, als Lektor Ingbold darauf hinwies, dass der Zeitverlust für ihre Lerneinheiten andernfalls enorm wäre.

„Vielen Dank“, antwortete er zerknirscht. „Ich hatte gerade erst erfolgreich verdrängt, dass die Vorräte wieder knapp werden.“

5. Ashley

Nachdem Ashley das Lager erreicht hatte, lud sie zunächst die toten Tiere ab und führte das Rudel danach zu ihrem Stammplatz, der separiert vom Lager auf der anderen Seite des Trümmerfeldes der Turmruine lag. Ihre Säbelfanten waren satt, müde und träge. Die Tiere wollten sich ausruhen und ungestört verdauen. Und auch sie wollte endlich essen. Beim Abladen hatte sie sich einige gebratene Stücke Fleisch bringen lassen, die sie nun mit Heißhunger verschlang. Danach machte sie zwischen ihren großen Bestien ein Nickerchen.

„Wach auf.“ Unwillig rümpfte sie die Nase und grummelte. „Ashley, wach auf.“ Kannte sie die Stimme? Egal! Sie kratzte sich am Arm, drehte sich um und schlief weiter.

„Meint Ihr nicht, es ist übertrieben, Eure Gedanken per Zauber zu übertragen, wenn die Zielperson nur wenige Meter von Euch entfernt ist?“ Diese Stimme war fremd, genau wie ihre Worte. Doch hallte der Sinn hindurch und machte sie begreifbar.

„Nein. Nicht, wenn diese Biester wie eine gepanzerte Mauer um sie herum liegen. Und ich nachher die noch wecke, bevor Ashley aufwacht.“

„Das wiederum ist sehr vorausschauend von Euch. Ihr seid Euch aber im Klaren, dass Ihr Eure Gedanken immer noch übertragt, oder?“

„Oh Mist.“ Jetzt wurde ihr bewusst, wer sie da störte.

Das war ja so typisch. Dieser Blödmann konnte sie einfach nicht in Ruhe lassen. Mit einem Fluch richtete sie sich auf. Ihre schnelle Bewegung schreckte zwei der Säbelfanten hoch, die sich grollend umblickten, um zu sehen, worauf ihre Anführerin reagierte.

„Reicht es nicht, dass ich seit neustem deine Stimme im Kopf habe? Musst du jetzt auch noch deine Unterhaltungen live übertragen, während ich schlafe?“

„Was? Wie meinst du… Moment. Hast du Lektor Ingbold auch gehört?“

„Wenn du diesen seltsamen Kauderwelsch meinst, ja.“ Verärgert stand sie schließlich auf und schritt auf Erikson zu. Die beiden Säbelfanten spürten die Emotionen ihrer Herrin und fixierten den schlanken Zauberlehrling. Gleichzeitig verstärkte sich das bedrohliche Grollen ein wenig mehr.

„Ashley?“, entfuhr es Sven, während sich Angst in ihm ausbreitete. „Deine Freunde gucken mich so hungrig an. Wärst du so freundlich?“ Die Blondine, die ihr Haar nach wie vor militärisch kurz trug, blieb stehen und stemmte ihre Fäuste in die Seite.

„Machen dir meine Schmusetiere Angst?“, höhnte sie erfreut. „Vielleicht bist du das nächste Mal so freundlich, mich ausschlafen zu lassen, wenn ich müde bin?“ Dann machte sie eine kurze Geste in Richtung ihrer Tiere. „Ist gut Jungs, der Appetithappen gehört mir.“ Mit einem wölfischen Lächeln blieb sie schließlich vor dem Norweger stehen.

„Also, was ist so dringend, dass es nicht warten kann, bis ich mich ein wenig von meiner Jagd erholt habe?“ Abwartend verschränkte sie ihre Arme vor die mit Panzerwolfplatten geschützte Brust und schaute ihn herausfordernd an.

„Ich, ich habe den Schädel gefunden.“

„Schädel?“

„Den Kopf von Magister Ingbolds sterblichen Überresten!“

„Und?“

„Du weißt doch noch, dass wir ihn besorgen müssen?“

„Der Kater ist noch nicht da.“ Damit war für sie alles gesagt und so wollte sie sich umdrehen um ihr Nickerchen fortzusetzen.

„Aber wir müssen ihn doch zurückbringen.“ Ashley blieb stehen und seufzte. Sven war nicht dumm. Ganz und gar nicht. Und doch war er manchmal so selten dämlich. Also richtete sie sich erneut zu ihm um, musterte ihn abschätzig und sagte dann:

„Wenn wir den Schädel deines Kumpels jetzt holen und der uns danach von seinem Gelände schmeißt, wie soll der dicke Kater uns dann finden?“

„Das, oh, daran hatte ich nicht gedacht.“

„Siehste, ich schon. Und jetzt sei ein braver kleiner Zauberling und lass mich in Frieden weiter pennen.“

Sie hatte sich schon wieder hingelegt, als Sven sie erneut störte.

„Entschuldige bitte“, flüsterte er. „Das geht so leider nicht.“

„Was?“, schnauzte sie zurück. Die Säbelfanten wurden unruhig.

„Bitte Ashley. Können wir das woanders besprechen? Es ist wirklich wichtig!“, flehte er geradezu.

„Also gut“, seufzte sie nun. „Du wirst mich sowieso vorher nicht in Frieden lassen. Richtig?“

„Es geht wirklich nicht anders.“ murrend und grummelnd stand sie auf und schlurfte unmotiviert erneut zu ihm.

„Wo sollen wir reden?“

„Bei Hiriko?“

„Na toll. Auch noch ein Klogespräch“, witzelte sie trocken. Da Erikson keine Reaktion zeigte, stieß sie ihm leicht gegen die Schulter. Doch das reichte, um ihn einen Schritt rückwärts machen zu lassen. „Na los, bringen wir‘s hinter uns.“

Endlich bei der Dryade angekommen, trafen sie auch auf Tilseg, der an Hirikos Pflanzenrädern arbeitete.

„Sehr gut, dann sind ja jetzt alle da“, begann Erikson mit seinem Ausführungen. Dann erklärte er wieder, dass der Geist, der in der Turmruine hauste, ungeduldig wurde. Für Ashley war der Grund nach wie vor unbegreiflich, weshalb der Tote unbedingt den Kopf seines Skeletts wiederhaben wollte. Aber eigentlich war es ihr ziemlich egal. Als Sven endlich dazu kam, darüber zu berichten, dass der Geist darauf bestand, dass sie nun ihren Teil ihrer Vereinbarung erfüllten, nachdem das vermisste Körperteil geortet wurde, unterbrach Ashley ihn in seinem Redefluss.

„Ja, das wissen wir doch alles. Und ich weiß auch, dass du und Hiriko immer wieder betonen, dass der uns hier nicht haben will. Aber solange der dumme Kater nicht wieder da ist, bleiben wir hier!“

„Genau darüber will ich ja sprechen. Magister Ingbold ist einverstanden, dass wir hier auf Boris warten und erst dann aufbrechen. Er besteht aber darauf, dass wir unseren Teil der Vereinbarung umsetzen. Und zwar bald.“ Ashley fluchte, aber Hiriko nickte zustimmend.

„Ich glaube, Sven hat recht. Für den Geist muss es so wirken, als würden wir nur nehmen und nicht geben wollen, wenn wir uns weigern ihm zu helfen, bevor Boris hier ist, obwohl wir es könnten.“

„Korrekt“, mischte sich nun Tilseg ein. „Die Erscheinungen von Magister und Lektor Ingbold haben sich bisher an unsere Vereinbarung gehalten. Dass sie es weiterhin tun werden, ist wahrscheinlich, wenn wir dies auch machen.“

„Ach, ihr verdammten Weicheier“, schimpfte Ashley halbherzig. „Aber gut, ich mache mit. Wir können morgen aufbrechen. Reicht das deinem Magister?“ Sven schien kurz zu lauschen, dann nickte er.

„Sie sind beide einverstanden.“

„Bestens, dann kann ich ja jetzt hoffentlich in Ruhe mein Nickerchen beenden.“

6. Sven

Sven war erleichtert, als sie entschieden hatten, Ingbolds Kopf nun doch zu suchen. Sie hatten noch eine ganze Weile dagesessen, um über ihr Vorgehen zu diskutieren.

Gerade sprach Tilseg darüber, dass er im Lager zurückbleiben wollte, während Ashley, Hiriko und Sven alleine aufbrechen sollten. Der Grüne vertrat die Ansicht, dass es zu viel Unruhe unter den Goblins und Orks auslösen würde, wenn die ganze Crew plötzlich das Lager verließ, da dies seit Bestehen ihrer Gruppe nicht geschehen war. Und ihre Anwesenheit für die Moral der Leute sehr wichtig wäre.

„Wie meinst du das?“, wollte Erikson wissen.

„Nach meinen Kalkulationen hat Ashley bei ihnen einen sehr hohen Stellenwert. Ihr Status innerhalb unseres Lagers dürfte dem eines Häuptlings, großen Helden oder ersten Jägers entsprechen“, erklärte der Doktor gerade seine Meinung.

Sven war froh, dass die Amerikanerin bereits wieder zu ihren Kreaturen zurückgekehrt war. Sie wäre die nächsten Tage nur unausstehlich gewesen, wenn sie Tilsegs Einschätzung kennen würde.

„Dies war schon so, als wir von der Arena aus aufbrachen. Sie war es, die persönlich die meisten aus ihren Käfigen befreite. Dass sie die Säbelfanten bezwungen und gezähmt hat, führte nur zu einer weiteren Steigerung ihrer allgemeinen Achtung.“

„Cool. Das heißt wohl, wir sind mit einer Prominenten befreundet“, strahlte Hiriko. „Und was ist mit mir?“

„Du scheinst in ihrem Stammesverständnis die Rolle eines Schutz oder Rat gebenden Geistes einzunehmen, ähnlich wie die Ahnengeister, von denen Queckech berichtete.“ Tilseg stockte einen Moment, als würde er darüber nachdenken, ob er die nächsten Worte aussprechen sollte. „Für manche von ihnen bist du auch die Göttin ihrer neuen Gemeinschaft.“

„Das ist auch irgendwie cool, aber auch ziemlich abgefahren.“

„Korrekt. Wenn du nicht aufpasst, begründest du noch eine neue Religion, ohne es zu wollen.“

„Ach Quatsch“, winkte sie ab. „Was ist mit dir?“

„Ich bekleide in ihren Augen am ehesten die Position eines Heilers, Ratgebers und Anführers. Insofern setzen sie mich mit einem Schamanen oder Häuptling gleich, da ich beispielsweise nicht mit anderen Geistern als dir reden kann.“

„Und Sven?“, wollte Hiriko nun wissen. Der Grüne zögerte erneut, bevor er antwortete.

„Die meisten von ihnen halten ihn für einen besessenen Geistersucher.“ Die Dryade machte große Augen, während Sven „Wieso das denn?“ fragte.

„Was ist ein Geistersucher?“, platzte es aus Hiriko, bevor Erikson die Frage selbst stellen konnte.

„Geistersucher scheint es in ihren Stämmen nur selten zu geben. Die Beschreibungen variieren, doch in der Summe ergibt sich folgendes Bild: etwas einfach ausgedrückt sind es wahnsinnige Schamanen oder ehemalige Lehrlinge von Schamanen, die manchmal auch von den Geistern, mit denen sie kommunizieren, übernommen wurden. Sie leben meist am Rande der Gemeinschaft. Sie sind noch keine Ausgestoßenen, doch auch nicht Kern der Gruppe.“

„Warum haben sie diese Assoziation mit mir?“

„Du redest mit Personen, die sie nicht sehen können, und besitzt Kräfte, die sie in dieser Form nicht kennen. Einigen ist auch deine ewige Flamme aufgefallen.“

„Aber der Elementar war doch ein Versehen!“

„Das ist für ihre Meinung irrelevant. Dazu kommt, dass du dich in einem Bereich aufhalten kannst und dort viel Zeit verbringst, den sie als Tabu betrachten.“

„Tabu?“

„Als verbotenen Bereich, den man nicht betreten darf.“

„Was?“

„Der Turm.“

„Na toll“, brach es nun doch aus Sven heraus. „Ihr seid Oberhäupter und eine Göttin und ich? Der Irre vom Dienst.“

„Entschuldige bitte, Sven Erikson, ich wollte dich nicht kränken“, versuchte Tilseg nun zu beschwichtigen. „Ich sehe dich weder als Außenseiter noch als Geisteskranken an. Und deine Fähigkeiten werden uns allen noch sehr nützlich sein. Du musst bedenken, dass diese Leute alle aus einer Stammeskultur herkommen, der Zauberei in dieser Form fremd ist.“

„Ja, danke.“ Sven kämpfte wieder einmal mit seinen Selbstzweifeln und hoffte, dass ihm das nicht allzu sehr anzumerken war. „Ich geh dann mal schlafen, damit ich fit für die Abreise morgen bin. Gute Nacht.“

„Auch dir eine gute Nacht. Nimm es nicht persönlich, was sie von dir denken. Ihren Respekt genießt du trotzdem.“

„Sicher“, erwiderte er knapp. Hiriko stand auf und drückte ihn an sich.

„Morgen ziehen wir ins Abenteuer. Ärger dich nicht. Denkt daran, dass wir ohne dich nur Scherereien mit diesem Magister hätten.“ Sie strahlte ihn an und gab ihm unerwartet einen Kuss.

„Oh… Ja… Okay… Na dann…“, stotterte er, während sie sich wieder von ihm löste. „Gute Nacht.“

„Schlaf schön“, rief sie Ihm hinterher, als er davon eilte. Dann hörte er sie kichern und „Er ist so süß, wenn er rot wird“ zu Tilseg sagen.

Obwohl Hiriko den Heiterkeitsausbruch und ihre Worte bestimmt nicht böse gemeint hatte, empfand Sven es in diesem Moment irgendwie als Schmähung. Vielleicht lag es daran, dass er das Gefühl hatte, sein Kopf müsste in der Dunkelheit in einem hellen Rot erstrahlen, weithin für alle sichtbar.

Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte und nun auf seinem Schlafplatz lag, meldete sich Lektor Ingbold zu Wort, der sich seit dem Beginn ihrer Diskussion im Hintergrund gehalten hatte.

„Nehmt es Euch nicht so zu Herzen, mein Freund. Es sind barbarische Kreaturen, in deren Gesellschaft Ihr und Eure Freunde euch befindet. Ich zweifle daran, dass sie überhaupt in der Lage wären, zu begreifen, welch enorme Leistung Ihr in den letzten Monaten vollbracht habt.“

„Es verletzt mich trotzdem.“

„Doch Eure Gefährten sind sich Eures Wertes bewusst.“

„Hiriko und Tilseg? Ja, vermutlich. Kommandant Ko… ach, ich meine Boris, wahrscheinlich auch. Aber bei Ashley bin ich mir nicht sicher.“ Er seufzte.

„Nun, da könntet Ihr recht haben. Aber auch wenn sie Euer Können nicht anerkennt, steht sie doch an Eurer Seite. Meint Ihr nicht auch, mein Freund?“

„Doch, ich glaube, Sie haben wieder einmal recht, Lektor Ingbold.“

Tatsächlich hatten ihn die Worte des Geistes ein wenig aufgemuntert. Doch die nächsten Worte der Erscheinung versetzten ihn erneut in Alarmbereitschaft.

„Leider werde ich Euch auf Eurem Abenteuer, wie Eure Dryadenfreundin es so trefflich nannte, nicht begleiten können.“

„Was? Was reden Sie da?“

„Ihr werdet mich hier zurücklassen müssen.“

„Aber wieso? Ich meine, was ist, wenn ich Ihren Rat brauche oder beim Zaubern einen Fehler mache?“ Sven war ganz aufgeregt.

„Ich habe Vertrauen in Euer Können, mein Freund. Das, was Ihr seit unserem Kennenlernen erlernt habt, ist fabulös. Selbst ich habe Jahre gebraucht, um ein entsprechendes Verständnis für die Zauberkunst zu entwickeln. Als Lehrmeister bin ich höchst zufrieden mit Euch.“

„Aber warum soll ich Sie dann zurücklassen?“

Sven konnte das Mienenspiel des Lektors nicht recht deuten. Es war, als würden verschiedene Emotionen miteinander ringen, bevor er antwortete:

„Seht es doch als erste wirkliche Prüfung Eures Könnens an. Ein guter Lehrmeister weiß, wann er seinem Schüler Luft für eigene Erfahrungen geben muss. Es ist sozusagen Eure Reifeprüfung. Wenn Ihr mit Magister Ingbolds Schädel wiederkehrt, werdet Ihr kein Lehrling der Magie mehr sein. Sondern ein Studiosus. Ein Studierender der Magie, den Grundlagen entwachsen.“

„Sie brauchen mir ja nicht zu helfen. Aber ich würde Ihre Gesellschaft wirklich schätzen.“

Der Geist wirkte wirklich erfreut über die Worte, doch blieb er hart, Auch, wenn Sven Bedauern in der Miene des schlanken Mittedreißigers zu erkennen glaubte.

„Nein. Diesen Weg müsst Ihr alleine gehen. Doch wir werden uns wieder sehen, wenn Ihr zurückkehrt. Und nun schlaft und stärkt Euch für das kommende Abenteuer.“

Natürlich. Jetzt konnte er erst recht gut einschlafen. Seine Gedanken rasten und er war hellwach. Seine Unsicherheit tobte erneut in ihm und er grübelte noch lange, bevor er endlich zur Ruhe kam.

7. Boris

Koschkin tat sich zunächst schwer damit, die Anwesenheit der kleinen Leuchtkugel zu akzeptieren, die sich ihm ungefragt angeschlossen hatte. Zuerst versuchte er sie erfolglos abzuschütteln und musste schmerzlich erfahren, dass es keine gute Idee war, nach ihr zu schlagen.

Schließlich hatte er sich gefügt und war in die Goblinhöhle zurückgekehrt. Dort hatte er von Queckech erfahren, dass es sich bei dem sausenden Lichtbündel um eine ausgesprochen aufgeregte Fee handelte, die anscheinend eine Bekannte seines Astrogators war.

Queckech und Fang waren sich einig, dass die Fee nach Erikson suchte und sich deshalb Koschkin angeschlossen hatte. Faqech hatte erklärt, dass der Körper von Feen stärker leuchtete, wenn sie aufgeregt waren oder sich mit anderen starken Gefühlen beschäftigten.

Und diese kleine spezielle Fee schien bei ihrer Strahlkraft sowohl sehr aufgeregt als auch emotional extrem aufgewühlt zu sein. Schließlich erkannte er, dass er keine andere Wahl hatte und akzeptierte, dass der kleine zwitschernde Lichtball fortan seine neue Begleitung auf ihrer Reise war.

Er hatte ganz vergessen, wie weit sich seine Mannschaft bei ihrer Suche nach ihm von ihrem Schiff entfernt hatte. Doch endlich hatten sie den Wald verlassen und die Weiten des Messergrases erreicht. In zwei oder drei Tagen sollten sie auf seine Kameraden und den befreiten Sklaven stoßen. Im Großen und Ganzen war ihre bisherige Reise recht angenehm verlaufen, auch wenn sie doch nur ein Schwein vom Häuptling erhalten hatten.

Während er nun mit seinen ungewöhnlichen Reisebegleitern durch die Landschaft zog, hatte sich die kleine Fee nach und nach soweit beruhigt, dass er ihre Gestalt erkennen konnte. Wenn man einmal von dem inneren Leuchten und ihrer winzigen Größe, den filigranen Flügeln, und dem ungewöhnlich symmetrischen Gesicht mit den klitzekleinen spitzen Öhrchen absah, war die Fee einem Menschen äußerlich recht ähnlich.

„Verstehst du eigentlich, was sie flötet?“, fragte er seine Begleiterin.

„Nein. Ich glaube, selbst wenn wir ihre Sprache sprächen, wäre das Tempo mit dem sie redet viel zu hoch für uns“, antwortete die Schamanin in leicht quäkigen und mit dezent russischem Akzent versehenen Commen, der amtlichen Standardsprache der Erde. Wenn Koschkin darüber nachdachte, war es schon ein bisschen peinlich, wie gut Fang seine Sprache gelernt hatte, während er mit Händen und Füßen gestikulieren musste, wenn er Goblinisch sprach.

Seine kleine Freundin war ein wirklich schlaues Mädchen. Seine Befangenheit ihr gegenüber hatte sich in der Zwischenzeit wieder gelegt. Sie hatte sich ganz normal verhalten, als hätte es das Ritual - dieses Wort setzte er in gedankliche Gänsefüßchen - nie gegeben. Daher hatte er beschlossen, dass dem wohl so war, und es auch nicht weiter thematisiert.

„Ich bin neugierig, wie sich die Sache mit den Geistern entwickelt hat“, eröffnete Faqech ein neues Thema. Richtig, die Geister, von denen Sven das Zaubereihandwerk lernen wollte. Mit diesem esoterischen Kram wollte er eigentlich nichts zu tun haben. Dass es hier unter jedem Stein vor Geistern und Gespenstern wimmelte, nahm er hin, aber es war ihm am liebsten, wenn er vor diesem Kram seine Ruhe hatte.

„Keine Ahnung“, antwortete er daher uninteressiert. „Ich denke mal, Sven wird wissen, was er tut.“

„Das hoffe ich“, erwiderte Fang nachdenklich. „Queckech war der Ansicht, dass ein dunkler Schatten über dem Geist lag, der den Turm bewacht. Und außerdem war das Geisterwesen ungewöhnlich stark. Er glaubte, dass es durchaus gefährlich werden könnte.“ Ihre Worte beunruhigten den Russen nun doch. Und auch die Fee leuchtete heller als zuvor.

„Meinst du etwa, dass sie in Gefahr sind?“

„Ich glaube nicht, dass sie in direkter Gefahr sind. Aber ich habe ein paar Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass der Geist uns schaden kann. Sollte er es versuchen, werde ich es merken. Dann werden wir Klarheit haben.“

„Du machst mich kribbelig“, beschwerte er sich nun. Die kleine Fee zwitscherte verärgert, als wolle sie ihm zustimmen. Koschkin blinzelte hinüber zur Lichtkugel, die sie zurzeit wieder darstellte. „Sag, was du willst. Aber auch wenn wir nicht wissen, was die Kleine erzählt, scheint sie kein Problem damit zu haben, uns zu verstehen.“

Fang zuckte mit den Schultern. „Das ist Teil ihrer Magie. Manchmal verschenken Feen diese Gabe sogar. Wie es ja auch bei deinem Freund geschah.“

„Und warum schenkt sie dir und mir diese Fähigkeit nicht? Dann könnten wir uns unterhalten.“ Wieder zuckten Fangs Schultern.

„Ich verstehe die Beweggründe der Feen nicht. Vielleicht sind wir ihr nicht sympathisch genug.“ Bei diesen Worten grinste die Goblinin schelmisch. Bei dem darauf folgenden, empört klingenden Zwitschern musste auch der Russe grinsen. Trotz der Sprachbarriere war das kleine Wesen doch eine angenehme und sogar unterhaltsame Reisebegleitung, wenn er es genauer betrachtete.

8. Hiriko

Hiriko war begeistert. Die Konstruktion, die Tilseg an ihrem nun mobilen Weinstock montiert hatte, funktionierte hervorragend. Er hatte die gewachsenen Achsenstangen am Ende großzügig mit Leder verkleidet und mit je einer Holzscheibe auf beiden Seiten versehen, die nun wie einfache Räder funktionierten. Außerdem hatte er noch einen ausgehöhlten Baumstamm an einem Ende des Vehikels angebracht, der nun als Walze diente.

Ihr Oger Junior schob das ganze Gebilde in etwa so wie eine Schubkarre. Die Anbauten waren nicht unbedingt hübsch, fand die Dryade und außerdem störte es sie, dass tote Elemente an ihrem Eigenheim befestigt wurden, doch war sie wieder mobil und unterwegs.

Für sie war das das Schönste auf der Welt. Der grüne Knuddelbär hatte Wort gehalten und ihr geholfen, nicht allein zurückzubleiben. Das hatte sie lange befürchtet. Und als sie sich mehr versehentlich als absichtlich mit ihrer Pflanze vereinigte, schien ihre Angst Realität zu werden.

An Ort und Stelle verwurzelt hätte sie alles verpasst und ihre Freunde verloren. Doch nun waren sie gemeinsam unterwegs und Hiriko schwelgte im Freudentaumel.

„Das ist so toll!“, jubelte sie zum x-ten Mal und ließ Erikson dadurch wieder zusammenzucken.

„Es freut mich ja, dass es dir so gut geht. Aber könntest du aufhören, mir immer wieder ins Ohr zu brüllen?“

Hiriko nickte nur grinsend und erhob sich von der kleinen Plattform, die vor der Klotüre gewachsen war und kletterte geschickt auf das Dach des Gebildes. Dass der Norweger bei ihrer Aktion wieder rot wurde und sich abwandte, nahm sie dabei lachend zur Kenntnis. Am höchsten Punkt ihrer Pflanze angekommen, rief sie:

„Ich kann Ashley sehen. Sie kommt zurück.“

„Hervorragend. Vielleicht sind wir ja bald da.“

„Ich dachte, du bist derjenige, der weiß, wo wir hin müssen?!“

„Der Zauber zeigt mir nur ungefähr die Richtung und gibt mir ein unbestimmtes Gefühl der Entfernung zu meinem Ziel. Das ist leider nicht so präzise wie satellitengestützte Navigation.“

„Ach so“, entgegnete sie etwas enttäuscht, bevor sie „Huhu“ jubelte und der Säbelfantenreiterin wild zuwinkte.

„Hey Leute“, begrüßte Bender ihre Freunde, als sie schließlich neben ihnen ritt. „Alles klar auf dem Pott?“

„Klaro!“, erwiderte die Dryade freudig. „Wir schippern durch das Grasmeer.“

„Ich glaube ja eher, dass sie auf die Hauptfunktion deines Ogerkarrens anspielt“, meinte Erikson trocken. Hiriko zog eine Schnute, bevor er dann fortfuhr: „Hast du etwas gefunden, Ashley?“ Ein schiefes Grinsen zeigte sich auf ihren Zügen.

„Vielleicht meine ich ja beides“, begann sie. „Und ja, ich habe was entdeckt. Voraus sind weitere dieser komischen roten Holzstatuen, wie sie auch um den Turm herum platziert sind. Sieht schwer nach dem gleichen Künstler aus.“

„Wir sind also schon bald da?“, fragte Hiriko.

„Auf meinem Säbelfanten habe ich etwas mehr als eine Stunde gebraucht, um zu euch zurückzukommen. Da ihr aber viel langsamer seid, glaube ich nicht, dass ihr vor Sonnenuntergang dort ankommen werdet.“

„Junior gibt sich alle Mühe. Aber gegen das Gras anzukämpfen, ist auch für ihn schon sehr anstrengend.“

„Hey, das war keine Kritik. Nur 'ne Einschätzung. Eigentlich wollte ich damit sagen, dass ich jetzt erstmal jagen werde. Mein Rudel ist hungrig. Ich treffe euch dann später bei den hässlichen Holzfiguren.“ Damit nickte sie den beiden ein letztes Mal zu und beschleunigte.

„Bis später“, rief Hiriko ihr noch hinterher, bevor sie sich umdrehte und sich zu Sven hinunter beugte. „Was machen wir jetzt?“

„Das gleiche wie bisher?“, erwiderte der Norweger etwas unsicher, bedacht, nicht zu ihr nach oben zu schauen.

„Och man. Du bist langweilig“, beschwerte sie sich. „Wo ist eigentlich deine hübsche Kette?“, wollte sie dann wissen. Irgendwie schien ihre Frage Erikson zu erschrecken, denn er zuckte leicht zusammen und schaute nun doch hoch. Dass er danach sofort wieder wegschaute, bevor er antwortete, entlockte ihr ein weiteres Lächeln.

„Ich habe sie im Lager gelassen. Wie hast du gemerkt, dass ich sie nicht trage?“

„Na, dein Dauerschatten, der Lektor ist nirgends zu sehen, seit wir unterwegs sind“, kommentierte sie leichthin.

„Natürlich. Ich vergesse irgendwie immer wieder, dass du Geister ganz natürlich sehen kannst.“

„Stimmt. Obwohl ich nicht sagen würde, dass die beiden Geister im Turm natürlich sind.“

„Nein? Wieso nicht?“, fragte Sven aufhorchend.

„Naja. Der Geist aus deiner Kette scheint nur zu existieren, wenn ein Lebewesen sie hält oder trägt. Alle anderen Geister, die ich kenne, sind da anders.“

„Er scheint dann nicht zu existieren? Ich dachte eigentlich, ich könnte ihn einfach nicht mehr wahrnehmen, wenn ich das Schmuckstück nicht berühre. Lektor Ingbold hat sich auch nie entsprechend geäußert.“

„Ist aber so. Der dicke Magister dagegen ist immer da.“

„Ja, das wusste ich. Auch wenn ich ihn nicht sehen kann, spüre ich manchmal seine Anwesenheit.“

„Also, ich mag den Fettsack nicht. Der schaut immer so mürrisch und starrt mich manchmal an, als wäre ich irgendetwas Widerliches.“

„Ihn mag ich auch nicht besonders, wenn ich ehrlich bin“, stimmte Sven ihr zu. „Obwohl ich ihn persönlich gar nicht kenne. Aber er mischt sich ständig ein, wenn Lektor Ingbold mir eine Unterrichtsstunde gibt. Am Ende wird dann meist das Lehrthema gewechselt.“

„Aber wenn wir ihn gar nicht leiden können, warum helfen wir ihm dann? Ich glaube nicht, dass er ein netter Mensch war.“

„Aber der Lektor ist auch ein Teil von ihm, oder war es zumindest. Und er hat mir viel beigebracht und uns sogar gegen den Magister geholfen. Zum Beispiel, als wir deine Pflanze ausgraben wollten.“

„Ähm, ja, stimmt. Ich meine aber, dass er auf jeden Fall kein netter Geist ist. Dein Lehrer ist da zugegebenermaßen anders. Aber irgendetwas ist komisch an allen beiden! Ich weiß nur nicht genau was.“

„Ich vertraue darauf, dass sich beide an ihr Wort halten. Also mach dir keine Sorgen“, beendete Erikson schließlich die Unterhaltung. Hiriko hatte zwar das Gefühl, noch irgendetwas erwidern zu wollen, doch hatte sie es offensichtlich vergessen.

„Okay, und was wollen wir jetzt machen?“, fragte sie stattdessen erwartungsvoll.

9. Sven

Ashley hatte mit ihrer Einschätzung genau richtig gelegen. Als sie das Götzenbildnis erreicht hatten, ging bereits die Sonne unter. Sie hatten am Fuße einer der großen roten Holzstatuen übernachtet und waren in aller Frühe aufgebrochen, um die letzte Etappe zu überwinden.

Sven war im Grunde optimistisch in den Tag gestartet, auch wenn er nicht besonders gut geschlafen hatte. Dieses Mal blieben sie zusammen und kamen zunächst auch gut voran. Doch dann begann es schiefzulaufen.

Zuerst weigerten sich die Säbelfanten, weiter in das Gebiet vorzudringen. Ashley und Hiriko hatten ihr Bestes gegeben, um die Tiere zu beruhigen. Doch als die großen Raubtiere schließlich die Flucht ergriffen, rannte auch Ashley hinter ihnen her. Ihre Rufe nach dem Rudel und ihre begleitenden Flüche verklangen schließlich zusehends. Dann wollte auch Junior nicht mehr weiter.

„Er hat Angst. Genau wie Ashleys Tiere.“

„Aber wovor?“, wollte Erikson wissen.

„Vor nichts bestimmtem“, begann sie zögernd. „Das ist schwer zu erklären. Spürst du denn gar nichts?“

„Nein, ich glaube nicht.“

„ Aber ich kann etwas spüren. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich nicht hier sein sollte. Ich kann es nicht genau erklären, aber Junior hat wirklich Angst vor diesem Ort. Und du hast ja auch die Säbelfanten gesehen. Die waren total in Panik!“

„Ich fühle gar nichts.“

„Ich glaube langsam, dass es keine gute Idee war, hierher zu kommen. Vielleicht sollten wir auch umdrehen.“

„Wir müssen aber den Schädel von Magister Ingbold finden.“

„Ich werde Junior nicht quälen, indem ich ihn zwinge, weiterzugehen.

---ENDE DER LESEPROBE---