Absturz unter Drachenfeuer - Thorsten Hoß - E-Book

Absturz unter Drachenfeuer E-Book

Thorsten Hoß

4,8

Beschreibung

Diese Geschichte erzählt von einer Astronautenmannschaft unter ihrem Schiffskommandanten Boris Iwanowitsch Koschkin, die in ferner Zukunft vom Sonnensystem der Erde aus startet, um einen Langstreckentest einer neuartigen Technologie durchzuführen, mit der ihr Raumschiff aufgerüstet wurde. Doch schon bald überschlagen sich die Ereignisse und führen dazu, dass ihr Schiff, die Sirius7, notlanden muss. Dabei haben sie noch großes Glück im Unglück, ist es doch ein lebensfreundlicher Planet, den sie erreichen. Aber schon während des Absturzes bemerkt die Crew, dass die Fauna hier einige Überraschungen zu bieten hat, als sie auch noch von Drachen attackiert werden, während ihr Schiff auf den Boden zurast. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen, beginnen die Gestrandeten sich mit ihrer neuen Situation zurechtzufinden. Als dann auch noch eine Fee auftaucht und die Astronauten getrennt werden, wird langsam klar, dass in einer Welt, in der Drachen am Himmel fliegen, noch einiges mehr möglich ist und Wissenschaft nicht immer hilft.

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Für zwei wunderbare Wesen.

Eine Maus und einen Waschbär.

Ihr seid mir eine tierische Hilfe.

Weitere erschienen Romane aus Lunaria:

Die Crew der Sirius7- Reihe:

Band 1: Absturz unter Drachenfeuer (Aug. 2016)

Band 2: Menschen Gesucht (Jan. 2017)

Band 3: Clan der Astronauten (Sep. 2017)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Zwischenspiel

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Zwischenspiel

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Zwischenspiel

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Zwischenspiel

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Zwischenspiel

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Zwischenspiel

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Zwischenspiel

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Zwischenspiel

Kapitel 39

Kapitel 40

Zwischenspiel

Kapitel 41

Kapitel 42

Zwischenspiel

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Prolog

Zwei Techniker saßen vor ihren Monitoren in dem kleinen Kontrollraum der Mondbasis. Eine Nachrichtensendung flimmerte stumm über einen der Bildschirme, während die anderen von Diagrammen und Zahlenkolonnen bevölkert wurden. Die beiden Techniker gingen routiniert ihrer Arbeit nach, bis das Bild eines Raumschiffes in den Fernsehbeitrag eingeblendet wurde.

„Mach mal lauter, die bringen was über die Sirius“, machte der Eine den Anderen auf die Sendung aufmerksam.

„Ich dachte, das Projekt ist streng geheim?“, erwiderte der Angesprochene, kratzte seinen kahlen Kopf und betätigte einen Regler, sodass nun auch der Ton zu hören war.

„… ist heute zu ihrer Mission aufgebrochen, den äußeren Asteroidengürtel unseres Sonnensystems zu erforschen. Unter der Führung ihres erfahrenen Kommandanten Boris Koschkin wird die mutige Crew des Schiffes auf ihrer Reise verschiedene physikalische und technische Experimente durchführen, von denen sich die Experten neue Erkenntnisse im Bereich der Quantenphysik erhoffen.“

Ein Videofenster wurde neben dem Moderator der Nachrichtensendung eingeblendet. Ein älterer Herr mit leicht asiatischen Zügen und schlohweißem Haar erschien dort, während der Sprecher seinen Vortrag ohne Pause fortsetzte.

„Hierzu haben wir den international anerkannten Experten für Quantenphysik Herrn Professor Doktor Heinrich Wu eingeladen, uns mehr über die anstehende Mission der Sirius7 zu erzählen.“

„Wie du siehst, haben die keine Ahnung! Es ist also geheim“, antwortete sein Kollege schmunzelnd, während er sich durch den Bart strich. “Nicht, dass wir viel mehr wissen als die da unten“, ergänzte er, wobei er den Ton wieder abstellte.

„Trotzdem verstehe ich nicht, warum die Nachrichten überhaupt vom Start berichten. Ich meine, wenn ich bedenke, was für einen Aufstand sie hier um die Geheimhaltung machen.“

„Keine Ahnung“, ein Schulterzucken, „wahrscheinlich ist es einfacher, die Leute anzulügen und sie auf eine falsche Fährte zu lenken, als ihnen einfach nur die Wahrheit zu verschweigen. Wenn die Sirius einfach so starten würde und es keine offiziellen Verlautbarungen gäbe, würde das bestimmt Fragen aufwerfen. Die Mediengeier schnüffeln doch überall rum.“

„Stimmt. Ein hoch auf die Privatisierung des Weltalls.“ Eine kleine Pause entstand. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was die richtige Mission der Sirius ist?“

„Nicht genau. Dafür sind wir beide nicht wichtig genug. Von den Jungs aus der Entwicklung weiß ich aber, dass sie irgendeine Antriebstechnik testen wollen, an der sie schon Ewigkeiten herumprobieren. Das ist aber auch schon alles, was ich weiß.“

„Warum das geheim bleiben muss, leuchtet mir aber immer noch nicht ein …“

„Keine Ahnung, ist wohl recht gefährlich. Du bist noch neu, also gebe ich dir einen guten Rat unter Kollegen. Zerbricht dir besser nicht den Kopf darüber! Sich Gedanken über Geheimnisse zu machen, bringt nur Ärger.“ Einen Moment zögerte der bärtige Techniker. „Aber den Start würde ich mir jetzt schon gerne angucken. Was meinst du? Es müsste eigentlich jeden Moment soweit sein.“

Als der andere Techniker mit von Neugier leuchtenden Augen nickte, änderte der erste einige Einstellungen und ein anderes Videobild erschien auf dem Hauptmonitor ihres Arbeitsplatzes. Es zeigte ein Raumschiff, das von seiner Form her standardmäßigen Schiffen glich, die auch zwischen der Mondstation, den Marskolonien und der Erde verkehrten. Nur der turmartige Aufbau am hinteren Teil war ein deutlicher Unterschied.

„Ich hab die Übertragung zum Kommandoleitstand angezapft“, freute sich der Bärtige über das dumme Gesicht seines Kollegen.

Die Sirius nahm unter den Blicken der beiden Männer nur zögerlich Fahrt auf.

„Für ein Raumschiff, das angeblich einen neuen Antrieb hat, beschleunigt es aber wirklich langsam“, bemerkte der Glatzkopf.

„Vielleicht müssen sie ja noch irgendetwas …“ Das selbstzufriedene Grinsen des Bartträgers erstarrte, als an der Stelle, wo eben noch die Sirius7 zu sehen war, plötzlich ein Lichtblitz alles überlagerte und das Schiff danach verschwunden war.

„Was war das?“, stieß der Kahlkopf erschrocken aus.

„Ich weiß es nicht“, antwortete der Bärtige leise. „Ich habe das ungute Gefühl, dass da gerade etwas sehr schief gegangen ist …“

1

Sein Sichtfeld kehrte langsam zurück. Sterne funkelten vor seinen graubraunen Augen wie kleine Supernovaen. Stöhnend richtete sich der leicht untersetzte Mann in seinem Pilotensessel auf und versuchte sich zu orientieren. Erfolglos befahl er dem Blechorchester in seinem Schädel, die dort dröhnende Kakofonie zu beenden, während er sich mühsam blinzelnd umblickte.

Flackernde Lichtquadrate schimmerten ihm entgegen, eingebettet in einer Wand kantiger Gebilde, durchsetzt mit bunten Lichtpunkten. Das ergab keinen Sinn, stellte er fest. Er rieb sich die Augen, um die inneren und äußeren Lichterscheinungen besser voneinander trennen zu können, dann fokussierte er seinen Blick erneut. Bildschirme mit Kolonnen von Zahlen und Buchstaben trafen seine Netzhaut, ohne ihm etwas mitzuteilen. Dass sie ihm etwas sagen sollten, wusste der Mann intuitiv. Nur was, erschloss sich ihm nicht.

Geistesabwesend strich er sich durch sein kurz geschnittenes braunes Haar und löste blinzelnd seine Aufmerksamkeit von den Monitoren. Träge schweifte sein Blick durch den Raum. Jede Augenbewegung fühlte sich an, als stachen ihm kleine Speere von der Innenseite seines Kopfes aus in die Iris.

Während er Schalter- und Knopfreihen in der glatten Oberfläche vor ihm bemerkte, traf ihn ein akustischer Hammer, der ihn aufstöhnen ließ. Zu dem Pochen und Hämmern in seinem Inneren gesellten sich unvermittelt unerträglich schrille Piepgeräusche. Der Lärm war sinnberaubend, reduzierte sich aber schnell wieder, wie Koschkin erleichtert feststellte.

„Koschkin?“, lallte er undeutlich. War er das etwa? Er schloss seine schmerzenden Augen erneut, als seine Erinnerungen zurück in sein Bewusstsein sickerten. Er hieß Boris Koschkin. Das wurde ihm jetzt wieder klar. Er war Kommandant eines Aufklärungsschiffes. Ein experimentelles Raumschiff mit außergewöhnlichen Antriebsaggregaten.

Sein Schiff hieß Sirius7 und seine Aufgabe war es, den neuartigen Hyperraumantrieb für Langstreckensprünge zu testen, um mit den gesammelten Daten zur Erde zurückzukehren. Seine Erinnerungen kamen nun immer schneller zurück.

Er hatte gewusst, was passieren würde. Während der Trainingseinheiten auf der Erde und später in der Mondbasis hatte man es ihnen immer wieder eingebläut. Reisen durch den Hyperraum stellten seltsame Dinge mit dem menschlichen Hirn an.

Selbst in der schützenden Hyperraumblase seines Schiffs waren sie nicht hundertprozentig abgeschirmt. Ohnmachtsanfälle mit temporärem Gedächtnisverlust waren dabei noch eine der harmloseren Auswirkungen. Die ersten Hyperraumreisenden waren ausnahmslos völlig wahnsinnig geworden.

Sein Blackout hatte ihn trotzdem kalt erwischt. Und mit der anschließenden Desorientiertheit und den Schmerzen von diesem Ausmaß hatte er auch nicht gerechnet.

So etwas war bei den Kurzstreckentests nie passiert. Seine Verwirrung wurde zunehmend durch die Erinnerungen zurückgedrängt und die pulsierenden Schmerzen ließen langsam nach. Ein paar Mal atmete er tief ein und öffnete dann wieder seine Augen.

Sein Blickfeld war nun soweit klar, dass er sich den Instrumenten und Anzeigen vor sich widmen konnte. Dieses Mal erfasste sein Verstand auch den Sinn der Anzeigen auf den Monitoren. Zunächst checkte er die Schiffssysteme und stellte erleichtert fest, dass alle Maschinen innerhalb normaler Parameter arbeiteten. Nur das Biogensystem des Schiffes war noch dabei, wieder hochzufahren.

„Gut“, schnaufte Koschkin, drehte sich dann aber abrupt um. Die Anwesenheit seiner Kopilotin Tanaka war ihm erst in diesem Moment wieder eingefallen.

„Hiriko?“, fragte er besorgt. Die zierliche Japanerin war schweißüberströmt und zitterte leicht. Trotzdem lächelte sie ihn schwach an und nickte ihm zu.

„Funkstation klar“, meldete sie leise und knapp.

Obwohl sie Kommunikations- und Sprachwissenschaftlerin war, zeigte sie sich wie immer sehr wortkarg, ging es Koschkin durch den, immer noch pochenden, Kopf. Er schaltete das Intercom ein, als weitere Erinnerungen seine Aufmerksamkeit auf andere Details richteten.

„Koschkin an Mannschaft“, brummte er in sein Mikrofon. „Ich erwarte eure Klarmeldungen.“

Bender meldete sich fast augenblicklich, ganz so, als habe sie nur auf seine Aufforderung gewartet.

„Alles klar, Katerchen? Geiler Ritt“, kam ihre süffisante Stimme aus dem Lautsprecher.

Boris verzog sein kantiges Gesicht, aber erwiderte nichts auf ihre Spitze. Er kannte sie lange genug, um zu merken, dass sie mit ihrer Frechheit nur die Nachwirkungen des Hypersprungs zu überdecken versuchte. So wie er mussten auch alle anderen an Bord diese Nebenwirkungen ihres Sprungs noch spüren.

Auch so wäre eine Zurechtweisung vergebens gewesen, erinnerte er sich. Die blonde Amerikanerin war nicht der Typ Mensch, der auf Zurechtweisungen reagierte. Eher hätte er sie damit angestachelt, noch frecher zu werden. Außerdem kannte sie ihren Wert als ausgezeichnete Mechanikerin für die Mission, was sich deutlich auf ihr Benehmen auswirkte.

Ihr Fachwissen wollte er nicht missen, doch ihr loses Mundwerk war eine ganz andere Sache. Schon während der Vorbereitung für die Mission hatte er immer wieder dem Drang widerstehen müssen, sie zu packen und ihr den Mund gehörig mit Seife auszuwaschen.

„Astrogation soweit klar“, erklang der tiefe Bass von Sven Eriksons Stimme aus der Bordanlage und riss den Russen aus seiner gedanklichen Abschweifung. „Ich muss aber noch einige Daten auswerten, die im Moment noch keinen Sinn ergeben. Melde mich dann wieder.“

Noch bevor Koschkin auf die Meldung des Norwegers reagieren konnte, kam schon die nächste Meldung über das Intercom.

„Melde, alles ruhig auf der Krankenstation. Die Biozeichen der Mannschaft sind stabil. Keine besonderen Vorkommnisse.“ Dann schaltete der Bordarzt, Doktor Segschneider, wieder ab.

Koschkin lehnte sich zurück. Seine Mannschaft war offensichtlich wohlauf und hatte den unerwarteten Übertrittsschock gut verkraftet. Der Kommandant lächelte in sich hinein, ignorierte seine Kopfschmerzen und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Er überflog die Anzeigen und betätigte erneut das Intercom.

„Doc, überprüfen Sie bitte die Biotanks. Das Biogensystem ist immer noch offline. Ashley, wie sieht es mit den Sprungtriebwerken aus? Wann sind sie wieder einsatzbereit? Sven, was ist das Problem mit den Daten? Sind wir an der richtigen Stelle herausgekommen?“ Langsam komme ich wieder in Schwung, dachte Koschkin und lächelte leicht, als Erikson sich wieder meldete.

„Wir sind mit sechsundsechzigprozentiger Sicherheit nicht an den richtigen Koordinaten herausgekommen. Außerdem zeigen die Bugsensoren eine Anomalie an, die ich nicht erklären kann. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir rasen auf ein Schwarzes Loch zu, aber die Gravitationssensoren zeigen nichts an.“

„Was meinst du?“, unterbrach Boris ihn ungläubig.

Routiniert nahm er einige Einstellungen an seinen Apparaturen vor, wodurch die Außenbordkameras im Bug auf seinem Schirm erschienen. Voraus erkannte Koschkin nichts. Das verwirrte ihn zutiefst.

Eigentlich sollte sich vor seinen Augen ein Panoramabild der inneren Milchstraße auftun, doch der Bildschirm blieb schwarz. Kein einziger Stern war zu erkennen. Sven meldete sich wieder.

„Es ist so, Kommandant, eigentlich müssten wir diverse Strahlungswerte erfassen können, wie sie von den Sensoren aus allen anderen Richtungen auch registriert werden. Nur voraus ist anscheinend nichts. Keine Strahlung irgendeiner Art, die wir erfassen könnten“, Erikson machte eine Pause. Da Koschkin auf seine Ausführung nicht reagierte, sprach er weiter.

„Normalerweise wäre das ein Anzeichen für ein Schwarzes Loch. Aber es fehlen die Verzerrungsfelder und Gravitation ist auch nicht festzustellen. Trotzdem scheint uns irgendetwas anzuziehen.“

„Was?“, erwiderte Boris.

Mit einem Blick überprüfte er die Geschwindigkeitswerte des Schiffes. Tatsächlich ließ sich eine Beschleunigung feststellen, die nichts mit den Triebwerken zu tun hatte. Er achtete nicht weiter auf die Ausführungen seines Astrogators, sondern aktivierte die Steuerdüsen.

Mit ihnen sollte sich genügend Gegenschub erzeugen lassen, um das Schiff abzubremsen. Zuerst gab er nur ein wenig Schub. Als nichts geschah, erhöhte er die Leistung schrittweise, bis die Aggregate mit voller Leistung arbeiteten und ihre Vibrationen im ganzen Schiff zu spüren waren.

„Bist du noch ganz dicht?“, ertönte die Stimme von Ashley aus dem Intercom, begleitet vom Röhren der Maschinen. „Wenn du noch mehr Schub gibst, verabschieden sich die Steuerdüsen endgültig. Wenn du in die andere Richtung willst, dann wende den Kahn einfach. Echt mal, wo hast du denn deinen Pilotenschein gemacht, Katzenmann?“

Boris fluchte, musste aber einsehen, dass seine Technikerin recht hatte. Er drosselte die Maschinen und richtete sie neu aus, um das Schiff zu wenden. Erstaunt musste er jedoch feststellen, dass ihm das Schiff nicht gehorchen wollte. Genau in diesem Moment meldete sich Dr. Segschneider bei ihm.

„Das Biogel ist beschädigt. Die einzelnen Zellen, für sich genommen, scheinen den Sprung gut überstanden zu haben. Aber die Vernetzungen zwischen ihnen haben sich fast vollständig aufgelöst. Ich werde einige Testreihen durchführen. Erst dann kann ich mehr sagen.“

„Machen Sie das, Doktor“, quittierte Boris knapp, bemüht, seine Befürchtungen nicht zu zeigen. Wenn das Biogensystem nicht mehr zu retten war, würde die Berechnung des Rücksprungs zur Erde wenigstens 48 Mal mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Aber was noch schwerwiegender war, ohne den Biogencomputer war das Gefahrenrisiko um einiges höher, dass ihr Schiff beim Wiedereintritt mit anderen Flugkörpern kollidieren würde, oder noch schlimmer, inmitten von Materie, wie die Erde oder der Mond, in den Normalraum zurückkehren könnte. Ob das den anderen Mannschaften auch passiert war, die nie mehr zur Erde zurückgekehrt waren? Sven unterbrach seine Gedanken erneut.

„Sir, ich habe einige Neuigkeiten. Nach Auswertung der zu erfassenden Konstellationen bin ich mir nun sicher, dass wir tatsächlich nicht an den von uns errechneten Koordinaten angekommen sind. Die Abweichung beträgt etwas mehr als zweiundzwanzig Lichtjahre oder, um genau zu sein …“

„Komm zum Punkt!“, unterbrach Koschkin ihn grob.

„Selbst, wenn ich die Daten der anderen Flüge großzügig auslege …“, fuhr der Astrogator nach kurzem Zögern fort, „… hätte die Abweichung von unseren Zielkoordinaten maximal etwas mehr als ein einhundertstel Lichtjahr betragen dürfen. Ich vermute, dass die Fehlerquelle die Anomalie vor uns ist. Dass es sich dabei um ein Schwarzes Loch handelt, kann ich nach den mir vorliegenden Daten allerdings ausschließen. Eine alternative Erklärung für das Phänomen habe ich momentan aber noch nicht. Dafür habe ich aber etwas entdeckt. Voraus gibt es Anzeichen von Energiestrahlung. Ich bin mir zwar nicht hundert Prozent sicher, dass sie sehr schwach ist, aber ich denke, diese Strahlung ist nicht natürlichen Ursprungs. Wenn meine Messwerte stimmen“, ergänzte der Norweger nun aufgeregt, „haben wir damit zufällig den Beweis gefunden, dass es tatsächlich anderes, intelligentes Leben, außer den Menschen, in der Milchstraße gibt.“

Koschkin schwieg. Er konnte sich noch eine weitere Möglichkeit vorstellen. Vielleicht hatten sie auch eines der anderen Siriusschiffe gefunden, die verschollen waren. Dass sie das siebte Hyperraumschiff der Erde waren, das sich so weit in die Tiefe des Alls begeben hatte, wusste nur er. Alle vorangegangenen Missionen waren streng geheim gewesen. Genau wie die, auf der sie sich gerade befanden. Kacke, dachte Koschkin.

„Gut“, entgegnete er laut. „Bestimme die Position der Energiesignale und leite sie an Hiriko weiter, damit sie sie anpeilen kann. Dann sehen wir weiter.“ Dann wechselte er den Kanal und funkte den Maschinenraum an. „Ashley, was ist jetzt mit dem Hyperantrieb?“

„Hetz mich nicht!“, kam die prompte Antwort. „Der Hyperraumantrieb ist immer noch am auslaufen. Mein Gott, dieses Maschinchen faltet Raum und Zeit wie ein Origamimeister. Das geht nicht so schnell.“

„Ashley“, mahnte Boris grollend. Sie schnaufte genervt.

„Wenn du unbedingt sofort eine Einschätzung haben willst, bitte sehr, aber beschwere dich nachher nicht.“

„Ashley“, unterbrach er sie erneut. Dabei legte er allen aufkeimenden Ärger in ihren Namen.

Wieder ein Schnaufen, dann ein tiefes Durchatmen von der anderen Seite.

„Also gut“, begann sie gedehnt. „Vorausgesetzt, dass alle Komponenten unbeschädigt geblieben sind, wird der Antrieb in etwa einer Dreiviertelstunde wieder soweit heruntergefahren sein, dass wir mit dem Neuaufladen beginnen könnten. Einsatzbereit würde er dann etwa zwanzig Minuten später sein. Dann müssten die Maschinen die nötige Energiedichte erreicht haben, die wir für einen Sprung bis zur Erde benötigten. Ich rate aber von diesem Vorgehen ab. Ich empfehle, dass wir die Maschine erst abschalten und durchprüfen, bevor wir den Antrieb wieder hochfahren. Ist schließlich kein Katzensprung, den wir gemacht haben“, sie lachte schallend über ihr eigenes Wortspiel, während Boris keine Miene verzog.

„Scherz beiseite“, fügte sie ernster hinzu. „Das sind alles nur Schätzungen, schließlich hat die Maschine noch nie einen so weiten Sprung gemacht. Ich gehe hier von den Daten der Simulationen, den Labortestreihen und unseren Erfahrungen bei den Testsprüngen aus. Wir sollten den Antrieb gründlich durchleuchten, bevor wir uns wieder auf die Reise machen.“

„Gut, dann klär bitte solange, warum die Steuerdüsen nicht ordnungsgemäß funktionieren.“

„Natürlich funktionieren die!“, kam die empörte Antwort postwendend. „Und das, obwohl du sie eben noch misshandelt hast. Wie ein grobmotorischer Grobian.“ Nun platzte Boris doch der Kragen.

„Wahren Sie die Form, Bender, und folgen Sie meinen Anweisungen!“, schnauzte er in sein Mikrofon. „Das Schiff lässt sich durch die Düsen nicht steuern. Irgendetwas ist nicht in Ordnung.“

„Ich steh drauf, wenn du grob wirst“, entgegnete sie in provozierendem Ton. „Ich will mal sehen, was Sache ist.“

Boris seufzte und verzichtete auf eine Erwiderung. Er vermied es auch, seine Kopilotin anzusehen. Er konnte sich gut vorstellen, wie ihre dunklen Augen amüsiert funkelten, während sie diese Unterhaltung mithörte. Sie war die Einzige der Mannschaft, die wusste, warum Koschkin sich das Verhalten von Ashley wirklich gefallen ließ.

Hiriko sagte nichts und schien sich auf ihre eigenen Aufgaben zu konzentrieren. Aber das schüchterne Lächeln, welches ihre dünnen Lippen nur sehr selten umspielte, hatte Boris’ Gedankengänge bestätigt, auch wenn er das Funkeln ihrer Augen von der Seite nicht hatte sehen können.

Doch bevor sich das zaghafte Lächeln noch in ein echtes Grinsen verwandeln konnte, verschwand es wieder aus ihren Zügen und wich konzentriertem Ernst, als sie Boris ansprach. „Kommandant, wir empfangen Funksignale. Ich kann sie nicht entschlüsseln und sie sind ziemlich schwach, aber es sind definitiv Funksignale.“ Boris’ Stimme bebte nur unmerklich, als er erwiderte:

„Versuch die Verschlüsselungscodes aus der Deltadatenbank.“

„Keine Übereinstimmung“, meldete die Japanerin nur Sekunden später. „Ich glaube, dass die Signale gar nicht verschlüsselt sind. Vielmehr scheinen unsere Geräte einfach nicht die richtige Frequenz zu besitzen. Ich werde das einmal testen.“ Hiriko machte sich fieberhaft an die Arbeit. Boris blieb hingegen keine Zeit, die ständig eingehenden Informationen zu überdenken, denn der Schiffsarzt meldete sich wieder per Intercom.

„Schlechte Nachrichten, Boris“, sagte er. „Das Biogensystem wird erst einmal offline bleiben. Die Selbstvernetzung des Gels hat zwar bereits wieder eingesetzt, aber es wird Tage dauern, bis das System wieder genügend Verknüpfungen aufweist, um eingesetzt werden zu können. Ob die Reorganisation des Gels die Funktionsfähigkeit beeinflussen wird, kann ich noch nicht sagen.“

Koschkin stöhnte. Tonlos bestätigte er:

„Danke, Doktor. Halten Sie mich auf dem Laufenden.“

Gäbe es nicht diese seltsame Anomalie, wären die ganzen Probleme mit seinem Schiff halb so wild. Er vertraute den Fähigkeiten seiner Mannschaft und war sich sicher, dass sie mit genügend Zeit alles in den Griff bekommen würden, wenn sie nicht geradewegs in diesem ominösen Phänomen stürzen würden.

„Sven, kann uns die Anomalie gefährlich werden? Was meinst du?“

„Schwer zu sagen, Kommandant. Da sie mit nichts, was wir kennen, vergleichbar ist und unsere Geräte sie nur indirekt erfassen können, kann ich keine fundierte Aussage treffen. Momentan sind wir, meiner Meinung nach, aber nicht in direkter Gefahr.“

„Danke“, sagte Boris und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Im Moment konnte er nur abwarten. Darum beschloss er, die bisherigen Ergebnisse der Blackbox hinzuzufügen. Die Blackbox war eigentlich ein altertümliches Relikt. In den vergangenen Jahrhunderten hatte jeder Flugkörper ein solches Aufzeichnungsgerät an Bord gehabt, wusste der Russe.

Damals waren es noch einfache Datensicherungssysteme gewesen, die eine Auswertung der Flugdaten nach Abstürzen ermöglichten. Diese Aufgabe erfüllten heute andere Notfallsysteme, so wie auch in der Sirius. Koschkins Blackbox war nicht nur ein Speichermedium für Flugdaten. Er war ein Minisupercomputer mit der neusten Sicherheitstechnik. Der nur fünfzehn Zentimeter große Würfel war in mattem Schwarz gehalten. Seine Oberfläche reflektierte rein gar nichts und er war mit keiner technischen Methode aufzuspüren, die die Menschheit kannte.

Koschkin wusste nur, dass sich die Blackbox nur dann zu erkennen gab, wenn man das Sicherheitsprofil des Würfels kannte und den richtigen Code auf der richtigen Frequenz sendete. Oder wenn man Koschkin war. Dafür hatte er zwei Tage in einem Hochsicherheitskrankenhaus zugebracht, damit die Wissenschaftler den Würfel auf ihn eichen konnten. Er startete das Zugangsprogramm, indem er auf eine ganz bestimmte Weise atmete und den Würfel dabei in der Hand hielt. Auf seinem Monitor erschien die Meldung:

Sicherheitsverbindung online …

Hallo, Kommandant Koschkin …

Bereit für Eingabe …

Die Verbindung stand. Koschkin legte die gesammelten Sprungdaten als Datensatz ab und sprach einen kurzen Bericht der bisherigen Geschehnisse, die er dem Datensatz hinzufügte. Die gesammelten Daten von Sven und Hiriko speicherte er ebenfalls. Nachdem er die Aktivierungsroutine wiederholt hatte und die Blackbox wieder offline war, wartete er. Ashley meldete sich kurze Zeit später und erklärte, dass die Steuerdüsen alle ordnungsgemäß arbeiten würden. Was ihn nicht beruhigen konnte. Ein weiterer Versuch, das Schiff zu wenden und die Haupttriebwerke einzusetzen, blieb wieder ohne Erfolg. Koschkin spürte, wie Frustration in ihm aufstieg. Fast war es so, als hielt eine eiserne Faust sein Schiff fest in der Umklammerung.

„Hiriko, was macht das Signal?“, fragte er seine Kopilotin, um sich abzulenken.

„Es ist immer noch da“, gab sie zurück. „Ich habe unsere Frequenz so angepasst, dass sie im Ultraschallbereich liegt. Dadurch ist es mir gelungen, das Signal aufzufangen. Ich kann es immer noch nicht verstehen, doch scheint es sich um ein automatisches Signal zu handeln. Die Sendeintervalle wiederholen sich etwa alle zwei Minuten. Ich denke, dass wir tatsächlich auf Aliens oder wenigstens auf ihre Technologie gestoßen sind.“

„Vielleicht hat das, was die Signale aussendet, ja etwas mit unseren Steuerproblemen zu tun“, entgegnete Koschkin nachdenklich. „Reicht die Länge der Intervalle aus, um die Übersetzungsautomatik einzusetzen?“ Hiriko schüttelte den Kopf.

„Zu wenig Informationen für die Automatik“, erläuterte sie knapp. In dem Moment meldete sich Sven über Intercom.

„Kommandant“, erklang seine Stimme aufgeregt, „ich habe ein Objekt erfasst, von dem die Energie und die Funksignale ausgehen. Haben Sie Ihren Schirm auf die Bugkameras geschaltet? Das Objekt befindet sich noch etwa neunhunderttausend Kilometer vor uns, sollte mit maximaler Vergrößerung aber bereits erkennbar sein. Von der Größe her, glaube ich, dass es sich nicht um ein Schiff oder eine Station handelt, wohl eher eine Art Funkboje.“

Während Sven noch redete, schaltete Boris zurück auf die Kamerasicht und vergrößerte den Ausschnitt nach den Angaben, die Sven ihm auf sein Display geschickt hatte. Dann sah er es. Ein rundes Gebilde, das zwei längliche Auswüchse auf entgegengesetzten Seiten aufwies. Koschkin musste unwillkürlich an einen Apfel denken, durch den jemand einen ungespitzten Bleistift getrieben hatte.

Die Instrumente zeigten ihm, dass die Kugel nicht mehr als zehn Meter im Durchmesser maß, während die beiden Auswüchse etwa 30 Meter in den Raum hinausragten. Boris schätzte, dass die Auswüchse selbst nicht dicker als eineinhalb Meter waren.

„Hast du dich wieder eingekriegt?“, quäkte Ashleys Stimme aus der Intercom-Anlage. „Ich wollte nur Bescheid geben, dass der Hyperantrieb in ein paar Minuten so weit wäre, dass er wieder aufgeladen werden kann. Das Restfeld hat sich fast völlig aufgelöst und die Maschinen sind nun kühl genug.“

„Gut, mach das“, entgegnete er abwesend.

„Außerdem wäre es fantastisch, wenn du mal sagen würdest, was eigentlich los ist“, hakte sie nach. Erst jetzt erinnerte sich Boris daran, dass die bisherige Kommunikation im Schiff natürlich nicht von allen mitverfolgt werden konnte. Er schaltete das Intercom auf schiffweite Durchsage und umriss in knappen Worten die bisherige Lage.

Gerade als er geendet hatte, ging ein kurzer Ruck durch das Schiff. Boris war sofort alarmiert. Er checkte seine Anzeigen, konnte aber keinen Grund für den Schlag feststellen. Doch dann spürte er die leichten Vibrationen. Da hatte er einen Geistesblitz. Was wäre, wenn …Er schaltete zurück zu Ashley.

„Hast du gerade irgendetwas aktiviert?“, fragte er fiebrig.

„Klar, mein Dicker“, gab sie zurück. „Wie mein Miezekätzchen gewünscht hat, habe ich damit begonnen, den Hyperraumantrieb wieder zu laden, damit wir …“

„Abbrechen!“, schrie Boris so laut in sein Mikrofon, dass sich seine Stimme zu überschlagen drohte. „Sofort abbrechen!“

„Was denn nun? Kannst du dich mal …“ Wieder fuhr er ihr ins Wort:

„Fahr das Ding sofort wieder runter und spar dir deine Kommentare! Das ist ein Befehl.“

Das Intercom schwieg und die Vibrationen erstarben Sekunden später.

„Erledigt“, meldete sich Ashley knapp.

An ihrer Stimme merkte Boris, dass sie beleidigt war. Damit konnte er sich im Moment aber nicht beschäftigen.

„Wenn das Hyperfeld wieder vollständig abgebaut ist, sag Bescheid“, befahl er und wandte sich an Sven. „Gib mir das Bewegungsprofil des Schiffes seit unserem Wiedereintritt auf den Schirm und halte dich bereit“ Einige Sekunden später erschienen ein Graph und einige Zahlenkolonnen auf seinem Schirm. „Ashley, gib mir die Betriebs- und Felddaten des Hyperraumantriebs seit unserem Sprung und warte auf neue Anweisungen.“

Anstelle einer weiteren schnippischen Bemerkung erschienen kurze Zeit später auch ihre Daten auf seinem Display. Er synchronisierte die beiden Datensätze und studierte sie eine Weile. Dann sah er seinen Verdacht bestätigt. Mit einigen Handbewegungen sendete er die synchronisierten Daten an Sven zurück und schaltete per Intercom wieder zu ihm durch.

„Überprüf die Daten, die ich dir gerade geschickt habe, und sag mir, was du denkst.“ Dann wechselte er wieder zum Maschinenraum. „Was macht das Hyperraumfeld?“

„Fast aufgelöst“, erwiderte Ashley frostig. „Wenn es vollständig zerfallen ist, erhalten Sie eine Meldung. Wie Sie befohlen haben.“

„Was hast du entdeckt?“, wollte Hiriko wissen.

„Ich denke, ich weiß jetzt, was uns festgehalten und auf die Anomalie zugezogen hat“, erwiderte Boris nachdenklich. „Unser eigenes Hyperraumfeld scheint in Wechselwirkung mit der Anomalie zu treten. Wenn Sven mit seinen Berechnungen soweit ist, werden wir mehr wissen. Oberflächlich bestätigen die Daten von Sven und Ashley meine Vermutung. Wenn das Feld wieder vollständig abgebaut ist, werde ich noch einmal versuchen, das Schiff mit den Steuerdüsen zu manövrieren. Wenn es gelingt, können wir uns fürs Erste um diese Alienstation und ihr Signal kümmern. Ich hoffe, dass Sven uns sagen kann, wie weit wir uns von der Anomalie entfernen müssen, um nicht mehr mit ihr in Wechselwirkung zu geraten.“

„Hyperfeld aufgelöst“, meldete Ashley in diesem Moment und Boris begann ohne weitere Erklärung mit seinem Versuch, die Flugrichtung des Schiffes zu verändern.

Zu seiner großen Freude reagierte der Flugkörper dieses Mal auf die Steuerdüsen und änderte seine Flugbahn. Boris bremste das Schiff und steuerte es näher an die fremde Funkstation, die störrisch immer wieder die gleiche Signalfolge sendete.

Als sie sich auf etwa einhundert Meter angenähert hatten, brachte er das Schiff auf eine parallele Flugbahn und passte ihre Geschwindigkeit der kleinen Station an. Boris vergrößerte das Bild des Gebildes auf seinem Monitor und betrachtete es.

„Es scheint keine Schleuse oder etwas in der Art zu geben“, stellte er fest. „Wenn wir uns die Raumboje genauer ansehen wollen, muss einer von uns hinüber. Was meinst du, Hiriko? Lust auf einen kleinen Ausflug?“

Hiriko nickte und löste ihren Gurt, der sie bisher auf ihrem Sitz fixiert hatte.

„Bin schon auf dem Weg“, sagte sie, stieß sich ab und schwebte zur Cockpitschleuse. Boris machte eine weitere Schiffsdurchsage, um seine Mannschaft auf den neusten Stand zu bringen. Dann schloss er die Augen und wartete.

2

Hiriko hatte die Vorkammer der Außenschleuse erreicht und legte routiniert ihren Raumanzug an. Bevor sie in die Schleusenkammer eintrat, überprüfte sie ein letztes Mal alle Komponenten ihres Anzuges und meldete dann ihre Bereitschaft, das Schiff zu verlassen.

Als sie von Boris grünes Licht bekam, stieg sie in die Schleuse und verschloss sie hinter sich. Einige Sekunden lang konnte sie noch das Zischen der Luft durch ihre Außenmikrofone wahrnehmen, bevor das entstehende Vakuum jegliche Schallübertragung unmöglich machte.

Ihr Herzschlag erhöhte sich deutlich, als sie die Außentür der Schleuse öffnete. Geschickt hakte sie eines der Sicherheitsseile an ihrem Anzug ein, bevor sie sich abstieß und mithilfe ihrer Anzugdüsen auf die Alienkonstruktion zusteuerte.

Das waren die Momente, weshalb sie überhaupt die Erde verlassen hatte. Mit einem Raumschiff durch die Weiten des Alls zu gleiten, war schon cool, aber wirklich da draußen zu sein, nur durch dünnen Stoff vor dem tödlichen Vakuum geschützt, war etwas gänzlich Anderes.

Sie spürte das Adrenalin, das durch ihre Adern schoss und ihre Sinne schärfte, als sie das fremde Vehikel erreichte. Gekonnt korrigierte sie ihre Flugrichtung, aktivierte ihre Magnetstiefel und setzte sanft auf der Außenhaut des Fremdkörpers auf.

„Gelandet“, meldete sie an ihr Mutterschiff. „Ich beginne nun, nach einer Einstiegsmöglichkeit zu suchen.“

„Gut, du kannst weitermachen“, beantwortete Boris ihren Funkspruch knapp.

Sie schaute sich um, überprüfte Stück für Stück die Hülle, auf der sie stand, und suchte nach einer Möglichkeit, tiefer in die Eingeweide des Flugkörpers einzudringen. So ging sie langsam, Schritt für Schritt, die Hülle der fremdartigen Station ab. Gelegentlich blieb sie stehen, um eine Naht oder Unebenheit in der Oberfläche genauer zu überprüfen und danach ihre Suche fortzusetzen. Schließlich blieb sie am Rand einer der herausragenden Aufbauten stehen und funkte die Sirius an.

„Ich glaube, ich habe etwas gefunden“, meldete sie. „Das hier könnte eine Art Wartungsluke sein. Ich werde versuchen, sie zu öffnen.“ Tanaka tastete die Umrisse der Platte ab, bis sie zwei Vertiefungen fand.

Mit vollem Körpereinsatz zerrte sie an dem Hüllenfragment. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach, als sich die Platte gegen ihre Kraftanstrengung zur Wehr setzte. Plötzlich erstarb der Widerstand, als sich die Klappe mit einem Ruck löste und die darunterliegenden Elemente freigab.

Hiriko wurde vom plötzlichen Nachgeben dermaßen überrascht, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und das frisch gelöste Hülsensegment in die Unendlichkeit des Alls schleuderte. Ohne ihre Stiefel wäre sie ihr wahrscheinlich gefolgt. So plumpste sie nur, durch ihre eigene Massenträgheit angetrieben, auf die Außenhülle.

Sie rappelte sich auf und untersuchte die Öffnung, die sie freigelegt hatte. Neben einigen Relais und fremdartigen Schaltungen erkannte sie drei seltsam geformte Hebel, deren Funktion sie nicht zu erraten wusste.

Sie beschrieb Boris ihre Beobachtungen so detailliert sie konnte. Dieser verfolgte ihre Bemühungen mithilfe der Bordkameras. Er war es auch, der etwas bemerkte, was Hiriko entging, da sie sich voll auf ihre Aufgabe konzentrierte.

„Lass die Luke und komm zurück“, vernahm sie Boris’ Stimme in ihrem Helmlautsprecher. Obwohl seine Stimme verzehrt klang, konnte sie erkennen, wie angespannt er war.

„Was ist los?“, fragte sie zurück.

„Die Platte, die du eben gelöst hast, ist in Richtung der Anomalie getrieben. Keine zwanzig Meter von deiner Position entfernt, hat irgendetwas sie dermaßen zusammengepresst, dass sie von unseren Sensoren nicht mehr erfasst werden kann.“ Hiriko schaute sich um, konnte aber nichts entdecken.

„Meinst du, ich bin hier in Gefahr?“, fragte sie unsicher.

„Keine Ahnung“, kam seine Antwort. „Aber diese Station scheint sich extrem nah an der Anomalie zu befinden. Sven hat in der Zwischenzeit meine Hypothese bestätigt, weswegen ich möglichst bald so viel Raum, wie es nur geht, zwischen uns und diesem Ding bringen möchte.

„Gib mir noch etwas Zeit“, bat sie. „Ich will diese einmalige Gelegenheit nicht verschwenden. Kein Mensch vor uns hatte bisher die Möglichkeit, Alientechnologie zu untersuchen. Dieses Schätzchen hier scheint schon eine ganze Weile hier zu sein. Insofern glaube ich, dass ich im Moment sicher bin.“

„Gegenvorschlag“, antwortete Boris eisern. „Du nietest eine Öse an das Teil und koppelst dein Sicherheitsseil an. Dann kehrst du zu uns zurück und wir schleppen den Sender einfach mit uns mit, bis wir einen guten Sicherheitsabstand zu der Anomalie haben. Dann können wir sie in aller Ruhe untersuchen.“

„Auch gut“, lenkte sie ein und setzte seinen Plan in die Tat um.

Eine Öse zu nieten und ihr Seil darin zu verankern, war einfach, auch wenn sie sich ein bisschen mulmig fühlte, als sie an dem Seil entlang zum Schiff zurückkehrte. So ganz ohne feste Sicherung, war es dann doch zu viel Nervenkitzel, um es voll zu genießen.

Endlich erreichte sie die Schleuse und atmete tief aus. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die letzten Meter die Luft angehalten hatte. Wieder huschte ein kleines Lächeln über ihre Gesichtszüge. Sie schloss das äußere Schott und wartete, bis sich die Schleuse wieder mit Atmosphäre füllte.

Dabei spürte sie die Vibrationen der Triebwerke, die ihre Arbeit aufnahmen. Der Kommandant schien es wirklich eilig zu haben von hier wegzukommen. Nachdem sie die Schleuse verlassen und gerade begonnen hatte, sich aus ihrem Raumanzug zu schälen, kam eine Durchsage von Boris über das Intercom.

„An alle. In einer halben Stunde treffen wir uns in der Messe für eine Lagebesprechung. Pünktlich! Ich will mich nicht wiederholen.“

Gut, dachte sie bei sich, dann kann ich ja sogar noch duschen.

Der Kommandant war der Letzte, der eintraf. Als er zum festgesetzten Zeitpunkt in der Messe einschwebte, fand er Ashley und Till, die sich mit Hüftgurten auf ihre Sitze geschnallt hatten und darauf warteten, dass auch die übrige Crew in der Messe eintraf.

So wie die beiden sich am Tisch gegenüber saßen und jeweils an einer der Konzentrat-Ration saugten, boten sie einen seltsamen Anblick. Wie aus einer übertriebenen Werbung für Fitnessnahrung. Beide hatten eine ähnliche Sitzposition eingenommen und hielten ihren Nahrungsbeutel lässig in der rechten Hand.

Aber sonst? Auf der einen Seite der Deutsche, fast einen Kopf kleiner als die Blondine ihm gegenüber, aber muskelbepackt, wie ein Schwergewichtsweltmeister. Niemand, der es nicht besser wusste, würde diesen Muskelmann für einen Arzt halten.

Seine glänzende Glatze und das markante Kinn verliehen dem Mediziner eher das Aussehen, welches man von Türstehern in zwielichtigen Bars erwartete. Nur die strahlend blauen Augen des Mannes ließen den wachen Geist des Mannes erahnen. Auf der anderen Seite Ashley, fast so groß wie Erikson.

Mit ihrer frechen Kurzhaarfrisur und dem hübschen Gesicht wirkte sie, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Aber Boris wusste es besser. Bei ihrem Anblick musste Koschkin immer wieder unerwünschte Gedanken verscheuchen, wobei er sich dabei über sich selbst ärgerte.

Es war ihm immer wieder ein Rätsel, wie sie es geschafft hatte, einen so durchtrainierten Körper zu besitzen und dabei noch solche weiblichen Formen zu behalten. Das Gleiche galt für ihr Gesicht. Es wirkte so unschuldig …

Ashley lächelte süffisant, als sie Koschkins Blick bemerkte. Schnell sah er weg und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken, den sie in seinen Zügen erhascht zu haben schien. Suchend wanderte sein Blick durch den Raum. Wo war der Rest? Sven schwebte an der Decke und war in die Lektüre eines Pads vertieft. Hiriko schien erst kurz vor ihm eingetroffen zu sein und schwebte auf die beiden Sitzenden zu.

„Dann können wir ja anfangen“, begrüßte der Russe die Anwesenden knapp und ließ sich zum Tisch treiben. Als auch Sven und Hiriko dort angekommen waren, eröffnete er die Besprechung.

„So wie es aussieht, wird es einige Tage dauern, bis wir den Heimweg antreten können. Svens Daten zufolge müssen wir noch mindestens weitere dreitausend astronomische Einheiten zwischen uns und die Anomalie bringen, um bei einem Sprung keine Interferenzen mit ihr zu riskieren. Aber selbst wenn dieser Abstand ausreicht, wird ein Rücksprung zur Erde durch den Ausfall des Biogels riskanter werden, als es mir lieb ist. Soweit zu unseren Problemen. Unerwarteterweise sind wir auf Alientechnologie gestoßen, die wir untersuchen könnten. Hiriko hat zu Recht angemerkt, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten, die uns hier in den Schoß gefallen ist. Ich erwarte konstruktive Vorschläge, wie wir vorgehen können.“

Nach dieser Einführung entbrannte eine heftige Diskussion darüber, was nun geschehen sollte. Nach einer guten Stunde wurde schließlich festgelegt, dass sich der Doktor weiterhin um das Biogel kümmern sollte. Außer der Überwachung der Reorganisation, sollte er nach Möglichkeiten suchen, den Vorgang zu beschleunigen und die Funktionsfähigkeit des Gels zu überprüfen. Sven sollte parallel mit den Berechnungen für den Rücksprung beginnen.

Zwar verfügte der Schiffscomputer alleine nicht über die gleichen Möglichkeiten, wie mit dem Biogensystem, doch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die biologische Komponente des Schiffs sich nicht mehr wiederherstellen ließ. Die Berechnungen, die durch den Bordcomputer durchgeführt wurden, konnten bei einer Wiederherstellung des Biogelnetzes jedoch in kürzester Zeit überprüft und angepasst werden, sodass diese Arbeit nicht vergebens wäre. Boris würde die Raumüberwachung übernehmen, während Hiriko sich um die Alientechnik kümmerte. Ashley sollte zu ihr stoßen, sobald sie die reibungslose Funktionsbereitschaft des Hyperraumantriebs gewährleisten konnte.

Dieser letzte Punkt hielt sie am längsten auf, da sich die temperamentvolle Amerikanerin viel lieber sofort mit der fremden Sonde beschäftigt hätte.

3

Die nächsten beiden Tage vergingen schnell und die Mannschaft kam in allen Belangen gut voran. Erikson gelang es, einige mathematische Algorithmen anzupassen, um die Berechnungsgeschwindigkeit zu erhöhen, während Dr. Segschneider mit jeder Stunde zuversichtlicher wurde, dass die Reorganisation des Biogels erfolgreich verlief.

Als er schließlich davon überzeugt war, dass es nach Vollendung der Neuvernetzung wieder gut mit dem Schiffssystem interagieren würde, hatte auch Ashley die Überprüfung des Antriebs abgeschlossen. Wissbegierig stürzte sie sich auf ihre neue, so sehr herbeigesehnte Aufgabe. Gemeinsam machten die beiden Frauen schnell Fortschritte bei der Erkundung der fremden Raumsonde.

Boris verfluchte immer wieder die Tatsache, dass die Raumanzüge schon lange nicht mehr so unförmig waren, wie in früheren Zeiten. Zwar schwächten sie die Körperform des Trägers immer noch ab, aber in Ashleys Fall waren ihre Rundungen immer noch deutlich genug, um sie auch durch die Objektive der Bordkameras klar als Frau zu identifizieren.

„Das macht sie doch mit voller Absicht“, beschwerte er sich halblaut bei niemandem bestimmten, da die Kommandobrücke gerade leer war.

Er beobachtete widerwillig, wie Hiriko und Ashley eine weitere Verkleidungsplatte aus dem Leib der Sonde lösten. Dabei hatte die Amerikanerin eine Position eingenommen, die den Russen einfach aus der Fassung brachte. Bedingt durch die Position der Bordkameras wurde Boris ein Blickwinkel aufgezwungen, der ihm ganz und gar nicht behagte.

Bei jeder Metallplatte, die von den beiden Frauen gelöst wurde, sah er sich zwangsweise ihrem Hinterteil und einem Teil ihrer rechten Körperhälfte ausgesetzt. Dass die Blondine jedes Mal, bevor sie und Hiriko an der Platte zogen, kurz mit ihrem Hintern wackelte, erhärtete seinen Eindruck nur noch mehr.

Das Außenteam schien nun genügend Platten entfernt zu haben, realisierte Koschkin erleichtert, als Ashley in die Eingeweide der Sonde einstieg und begann, einige Kabel mit den Systemen der Maschine zu verbinden. Hiriko, die in ihrem Raumanzug neben Ashley fast wie ein Kind wirkte, griff sich die Bedienelemente des Anzuges. Sofort meldete sich ihre Stimme aus dem Intercom.

„Ich glaube, es ist uns gerade gelungen, die Computersysteme der Sonde anzuzapfen. Wir versuchen jetzt, auf die dortigen Daten zuzugreifen.“

Der Russe beobachtete, wie die Japanerin gelegentlich weitere Kabel an Ashley reichte, während die hochgewachsene Frau ihrerseits in den Eingeweiden der Alienstation herumwerkelte. Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Die erste Veränderung bemerkte Boris fast augenblicklich, als eine Meldung auf einem der Kontrollmonitore aufleuchtete.

Sie meldete die Bereitschaft, eine Verbindung zu einem anderen Computersystem aufnehmen zu können. Boris informierte die Beiden, die ihn daraufhin baten, die verfügbaren Daten herunterzuladen. Nachdem er den Datentransfer eingeleitet hatte, versuchte er neugierig, einige der hereinkommenden Programmcodes auszuwerten. Darum bemerkte er erst einige Zeit später, und mehr durch Zufall, dass die Signale, die bisher regelmäßig von der Sonde ausgestrahlt worden waren, nun ausblieben.

„Die Sonde sendet nicht mehr“, berichtete er den Frauen erregt. „Ihr habt das Signal anscheinend abgeschaltet.“

„Keine Panik, Katerchen“, beschwichtigte Ashley abwesend, „was stört es dich?“

„Mich stört, dass jemand oder etwas dieses Signal vermissen könnte“, erwiderte Boris gereizt.

„Unwahrscheinlich“, kommentierte Hiriko ruhig. „Die Signale werden Jahre brauchen, um überhaupt das nächste Sonnensystem zu erreichen. Und ihre Stärke war so schwach, dass es kaum denkbar ist, dort überhaupt noch als Signal identifiziert werden zu können.“

„Genau“, brummte der Kommandant angespannt. „Das macht mir ja Sorgen. Wir wissen immer noch nicht, was die Aufgabe dieser Maschine oder der Sinn des Signals ist. Und wenn es absichtlich nicht so stark ist, aber einen permanenten Empfänger haben sollte …“

„Es kann auch sein, dass der Sonde langsam einfach der Saft ausgeht“, unterbrach Ashley ihn. „Dieses Ding sieht aus, als ob es hier schon eine ganze Weile herumgedümmpelt ist.“

„Möglich“, räumte der Russe zögernd ein. „Ebenso möglich, wie meine Befürchtungen. Ich will, dass ihr euch beeilt. Bergt noch ein Paar Komponenten, die interessant sein könnten, und dann nichts wie weg hier.“

„Verstanden“, erwiderte Hiriko, während Ashley “Wenn’s denn sein muss“ nuschelte.

Boris beschäftigte sich noch einmal kurz mit den fremden Computerdaten, konnte sich aber nach wie vor keinen Reim daraus machen. Er beschloss, seine Finger davon zu lassen, und sie einfach für die Experten auf der Erde aufzubewahren. Er hatte keine Zweifel, dass sich die Daten dort bei weiteren Forschungen als aufschlussreicher erweisen würden.

Boris Beunruhigung blieb, dass die beiden in ihrem Forschungseifer versehentlich das Funksignal deaktiviert hatten. Aber da auch nichts geschah, als die beiden Frauen eine interessante Komponente nach der anderen aus der Sonde ausbauten und zum Schiff brachten, beruhigte er sich wieder.

In den nächsten beiden Tagen entbrannte ein regelrechter Wettstreit zwischen Till und Sven, wem es als erstes gelingen würde, seine Aufgabe abzuschließen. Ashley und Hiriko bauten ihrerseits immer mehr Komponenten aus der fremden Raumsonde aus, die nach vier Tagen der Ressourcensicherung immer mehr wie ein ausgeschlachtetes Wrack wirkte, was sie ja auch immer mehr war, wie auch die beiden Frauen fanden. Koschkin verbrachte die meiste Zeit im Cockpit, wo er das Schiff überwachte und ein Auge auf das umliegende All hatte. In unregelmäßigen Abständen fütterte Koschkin auch die Blackbox mit weiteren Datensätzen über die Fortschritte seiner Mannschaft und die gesammelten Erkenntnisse der Aliensonde. Am fünften Tag ihres Dahintreibens schlugen plötzlich Boris’ Ortungssensoren an.

Zunächst dachte er, dass es sich bei dem Objekt um einen Kometen oder einen anderen kosmischen Irrflieger handelte, doch dann änderte der Signalpunkt seine Flugbahn und steuerte zielstrebig auf sie zu. Erregt stellte er Kontakt zu den beiden Frauen her, die sich wieder einmal außerhalb des Schiffes befanden und sich gerade damit beschäftigten, den vermeintlichen Computerkern der Sonde auszubauen.

„Wir haben den Kern gleich“, schnaufte Ashley in ihr Helmmikro, als der Kommandant sie anfunkte.

„Kommt zurück an Bord!“, rief er. „Wir kriegen Besuch.“

„Hör auf rumzualbern“, erwiderte sie lax.

„Das ist kein Scherz, ich habe ein Raumschiff geortet, das mit hoher Geschwindigkeit Kurs auf uns genommen hat.“

„Was?!“, entfuhr es beiden Frauen fast synchron, während Boris weiterredete.

„Dass es von der Erde kommt, dürfte wohl mehr als unwahrscheinlich sein. Kommt also sofort zurück und löst die Verankerungen an der Sonde. Das war’s hier.“

Hiriko blickte kurz zu Ashley und dem halbgelösten Computerblock.

„Wir sollten wirklich schnell verduften“, sagte sie zu ihrer Kollegin, deren blaue Augen kurz funkelten, bevor sie erwiderte: „Gut, wir haben sowieso genug, das muss reichen.“

„Wenn das die sind, denen die Sonde gehört, dürften sie nicht gerade erfreut sein, dass wir ihr Eigentum einfach so auseinandergenommen haben“, setzte Boris nach. „Kommt endlich an Bord!“ Ashley fluchte, während Hiriko nur ein kurzes „Okay“ zurücksendete.

Erleichtert nahm Boris zur Kenntnis, dass die zwei sich zügig auf den Rückweg machten. Er fuhr die Triebwerke hoch und machte eine kurze Durchsage per Intercom, damit sich auch die Anderen auf einen Not-Start vorbereiten konnten. Schon Sekunden nachdem sich die äußere Schleusentür geschlossen hatte und er sicher war, dass beide Frauen im Inneren des Schiffes waren, zündete er die Aggregate und gab Vollschub.

Schnell ließen sie die Raumsonde hinter sich. Boris beschleunigte weiter, immer das fremde Schiff im Blick. Er fluchte, als er sah, dass das andere Schiff seine Geschwindigkeit ebenfalls erhöhte. Selbst als die Sirius ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, schob sich das fremde Schiff unaufhaltsam näher heran. Wenn sie dieses Tempo halten konnten, würden die Aliens sie in kurzer Zeit eingeholt haben. Da meldete sich Ashley per Intercom und störte ihn in seiner Konzentration.

„Du hättest ja ruhig noch einen Moment warten können, bis wir gesichert waren, bevor du so einen Start hinlegst“, beschwerte sie sich. „Hiriko und ich klebten plötzlich am Schleusentor. Was ist denn los? Haben wir sie abgehängt?“

„Nein“, antwortete er knapp, „sie holen weiter auf. Mach, dass du in den Maschinenraum kommst. Vielleicht müssen wir die Sprungtriebwerke doch früher als geplant einsetzen. Sicherheitsbedenken hin oder her. Hiriko soll so schnell sie kann ins Cockpit kommen, Ende.“ Dann schaltete er zu Erikson. „Sven, was würde passieren, wenn wir den Hyperantrieb innerhalb der Wechselwirkungszone einsetzen würden?“

„Das ist unklar“, antwortete er prompt. „Nach meinen bisherigen Erkenntnissen werden wir wohl nicht da herauskommen, wo wir hinwollen.“

„Und wenn wir nur hier wegwollen?“, konkretisierte Koschkin.

„Das könnte funktionieren. Aber die Berechnungen der letzten Tage wären mit einem solchen Ortswechsel umsonst gewesen. Selbst bei einem kurzen Sprung von nur wenigen Sekunden würden wir Lichtjahre von hier herauskommen. Und das nur, wenn alles funktioniert. Wie gesagt, es ist ohne genauere Daten über die Anomalie kaum abzuschätzen, wie sich ein Sprung in deren Nähe auswirken wird.“

„Ich habe deine Bedenken zur Kenntnis genommen. Berechne einen Kurzsprung und füttere den Navigationscomputer damit.“ Boris schaltete um. „Ashley, bist du schon im Maschinenraum?“

„Ja, bin ich. Und ich sage dir, es ist nicht so einfach, mit ’nem halben Raumanzug den Antrieb am Laufen zu halten. Dir ist schon klar, dass die Maschinen nicht dafür ausgelegt sind, ihre Höchstgeschwindigkeit so lange zu halten? Länger als ein paar Minuten werden sie das nicht mehr mitmachen. Dann musst du sie um wenigstens fünfzehn Prozent drosseln, um keinen Maschinenschaden zu riskieren.“

„Verstanden“, brummte er. „Wie lange wird es dauern, den Sprungantrieb für einen Kurzsprung einsatzbereit zu machen?“

„Eine bis zwei Minuten“, erwiderte sie.

„Bereite alles vor, wir werden springen, sobald das Feld stabil ist. Solange muss das Triebwerk noch durchhalten.“

Ashley antwortete nicht, aber er konnte sich gut vorstellen, wie sie nun fluchend durch den Maschinenraum schwebte und alles vorbereitete. In diesem Moment erreichte Hiriko das Cockpit. Auch sie trug noch ihren Raumanzug. Nur den Helm, die Handschuhe und das Aggregat hatte sie abgelegt. Mühsam quetschte sie sich in ihren Sessel und überflog ihre Instrumente.

„Vielleicht sollten wir verlangsamen“, schlug sie vor. „Dann könnte ich versuchen, Funkkontakt aufzunehmen. Bei unserer jetzigen Geschwindigkeit sind wir einfach zu schnell. So merken wir nicht einmal, ob sie versuchen, Kontakt zu uns aufzunehmen, da wir schneller als mögliche Signale sind.“

„Und wenn sie uns nicht freundlich gesonnen sind?“, erwiderte Boris verbissen. „Wir haben kaum Möglichkeiten, uns gegen sie zu wehren, sollten sie Feuer auf uns eröffnen.“

„Aber entkommen können wir auch nicht. So wie es aussieht, sind sie schneller als wir“, erwiderte sie sachlich.

„Darum werden wir gleich einen Hypersprung machen, sobald Ashley soweit ist“, erwiderte er verbissen. „Alles anschnallen!“, brüllte Boris kurz, bevor Svens Stimme aus dem Intercom ertönte.

„Energieentladung bei dem fremden Schiff, sie scheinen auf uns zu feuern!“, rief er aufgeregt. „Die Typen haben Lasergeschütze oder so etwas.“ Genau in diesem Moment ging ein erneuter Ruck durch das Schiff. Man konnte spüren, dass die Maschinen begonnen hatten, das Hyperfeld aufzubauen. Schlagartig änderte es seinen Kurs und begann von Neuem auf die Anomalie zuzurasen. „Daneben!“, rief Sven euphorisch. „Gutes Manöver, Kommandant. Sie haben uns verfehlt.“ Boris grinste verzerrt.

„Da hat uns die Anomalie den Hintern gerettet“, presste er hervor. „Was ist mit den Sprungdaten? Beeil dich, der nächste Schuss könnte sitzen.“

„Die Berechnungen sind abgeschlossen“, erwiderte Erikson. „Ich gebe gerade die letzten Zahlen ein.“ Tatsächlich meldete der Navigationscomputer kurz darauf Sprungbereitschaft, fast zeitgleich mit dem Signal der Maschinen, dass die für den angegebenen Sprung nötige Energie aufgeladen und das Hyperraumfeld voll ausgebildet waren.

„Eine weitere Energieentladung“, meldete Sven. Boris zögerte keine Sekunde länger.

„Sprung!“, bellte er in das Intercom und gab die Steuerbefehle in seine Konsole ein.

4

Er spürte das seltsame Ziehen in seinem Körper, als würde er stückweise, Schicht für Schicht nach vorne gesaugt. Dann kam das Blackout, so wie er es von dem letzten Flug her kannte. Es war ein bisschen so, als würde man kurz die Augen schließen und dann wieder öffnen, während man scheibchenweise auseinander und wieder zusammengesetzt wird. Die Desorientiertheit blieb dieses Mal aus. Ebenso wie der Schmerz, den er bei ihrem Langstreckensprung empfunden hatte.

In diesen Punkten lief es ganz so, wie er es von den anderen nur wenige Lichtjahre weiten Sprüngen gewohnt war. Und das war gut so. Als seine Sinne wieder einsetzten, blinkten seine Armaturen wie eine Leuchtreklame auf LSD. Er fluchte. Die Energieversorgung, Lebenserhaltung, Antrieb, alles zeigte multiple Fehler oder Totalversagen. Die Sirius schlingerte durch den Raum und stieß ihn mal in die eine, mal in die andere Richtung. Akustische Warnsignale erzeugten eine Kakofonie aus Lärm, dann wurde es plötzlich dunkel und still.

Die Menschen an Bord der Sirius wurden wie in einer dreidimensionalen Zentrifuge herumgeschleudert. Nur ihre Gurte sorgten dafür, dass sie nicht wie Spielbälle mal gegen die eine dann gegen eine andere Wand geschleudert wurden. Boris kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor die Notaggregate ansprangen und seine Kontrollen wiederbelebten. Der Kontrollraum erschien im Dämmerlicht der Notbeleuchtung, als das Intercom ansprach.

„Verdammte Scheiße!“, ertönte Ashleys Stimme aus dem Lautsprecher. „Der Hyperantrieb brennt, das Haupttriebwerk ist ausgefallen und das Generatoraggregat musste ich per Notabschaltung runterfahren, damit es uns nicht um die Ohren fliegt. Was zum Geier hast du mit meinen Maschinen angestellt?“

„Dann kümmere dich drum!“, blaffte Boris als Antwort und wandte sich dann an Hiriko.

„Haben wir vielleicht doch noch einen Treffer abbekommen?“

„Glaube ich nicht“, stieß sie gequält hervor. „Zwar ist die Lebenserhaltung auf Notbetrieb, aber ich kann keine Anzeichen für einen Druckverlust feststellen.“ Boris nickte und wandte sich wieder dem Intercom zu.

„Sven, Positionsbestimmung, Till, Statusmeldung!“

Dann schaltete er auf Außenkamera, um sich ein Bild der direkten Umgebung zu machen, doch die Geräte zeigten nichts an. Immer noch wirbelte das Schiff willkürlich um seine eigenen Achsen.

„Hiriko, versuch, das Schiff zu stabilisieren!“, brüllte er, während er auf seine Anzeige starrte. Was war das? Er meinte, dass ein heller Punkt kurze Zeit zu sehen gewesen wäre. Waren die Kameras nun ausgefallen oder nicht?

„Schon dabei“, kam da ihre Antwort. „Die Steuerdüsen sind auch fast alle off.“

„Positionsbestimmung nicht möglich“, kam es gepresst aus der Intercom-Anlage. „Die meisten meiner Sensoren sind ausgefallen. Die Übrigen scheinen fehlerhaft zu funktionieren. Die Werte sind unmöglich …“

„Was heißt das schon wieder?“, grollte Koschkin zurück.

„Das heißt“, erwiderte Erikson mühsam, „dass das Universum verschwunden ist, wenn die Daten korrekt wären.“

Langsam stabilisierte sich das Schiff, Hiriko arbeitete fieberhaft.

„Doc, Statusmeldung“, wiederholte Boris seine Aufforderung, gebannt auf seinen Bildschirm starrend. Da war es wieder, ein Lichtpunkt. Dieses Mal am oberen Rand des Monitors, so rasend schnell vorbeiziehend, dass er wie ein Schweif wirkte.

„Kommandant“, erklang die Stimme von Erikson erneut, „Sie können mich ja für verrückt halten, aber ich habe hier ein Gravitationsmuster von einem Sonnensystem auf meinen Anzeigen. Ich meine wirklich nur ein einziges Sonnensystem sonst nichts. Keine anderen Sterne, keine Nebel oder irgendetwas anderes. Nicht mal kosmische Hintergrundstrahlung. Nur dieses eine System.“

„Das kann nicht sein“, erwiderte Boris. „Deine Messgeräte spielen wahrscheinlich genauso verrückt, wie die anderen Systeme unseres Schiffs.“

„Möglich“, gab Sven zu. „Aber die Messwerte des Systems sind klar und detailliert.“

„Später“, befahl Boris. „Überprüfe deine Werte noch mal. Ich melde mich wieder.“ Die Gedanken des Russen rasten. Fieberhaft versuchte er durch Veränderungen im Energiekreislauf, Tanakas Bemühungen zu unterstützen, das Schiff wieder unter Kontrolle zu zwingen. Gemeinsam schafften sie es schließlich, ihren Flug soweit zu stabilisieren, dass sich Boris erneut mit Svens Entdeckung auseinandersetzen konnte.

„Auf ein neues“, ermunterte der Russe den Norweger, seine Erläuterungen wieder aufzunehmen.

„Gut“, begann Erikson zögernd. „Ich hab’s jetzt zwei Mal überprüft. Mit fast identischem Ergebnis. Die Abweichungen scheinen durch die technischen Probleme bedingt zu sein.“

„Gut-gut“, entgegnete Koschkin ungeduldig, „was hast du jetzt herausgefunden?“

„Wir befinden uns ganz in der Nähe eines Sonnensystems“, setzte der Astrogator erneut an. „Ein System mit nur einer Sonne und einem Planeten. Und nach allem, was ich bisher weiß, stehen die Chancen gut, dass der Planet durchaus ein für uns lebensfreundliches Klima aufweisen könnte.“

„Hervorragend“, freute sich der Kommandant, während der Norweger langsam fortfuhr.

„Ja, schon“, gab er zu. „Aber das ist nicht irgendein Sonnensystem. Das System ist ungewöhnlich. Eine Sonne, die unserer so sehr ähnelt, dass es mir kalt den Rücken herunter läuft. Masse, Größe, Lichtintensität … Ja, sogar das Lichtspektrum ist das gleiche! Eine solche Sonne sollte mehr Masse um sich eingefangen haben als nur diesen einen Planeten.“ Boris begriff nicht, worauf der Astrogator hinauswollte und beschloss, Erikson einfach weiterreden zu lassen.

„Ein Planet, innerhalb der anzunehmenden lebensfreundlichen Zone in etwa einhundertneunundvierzig mal einhundertsechs Kilometer Entfernung zum Zentralgestirn, was genau einer astronomischen Einheit entspricht, wie bei unserer Erde. Der Planet scheint sogar eine annähernd gleiche Masse wie unser Heimatplanet zu besitzen. Nur weist er drei, nein vier Trabanten auf. Aber das ist auch alles, was die Sensoren erfassen. Keine anderen Planeten, keine Asteroiden oder andere Himmelskörper, nichts.“ Boris merkte, dass der Astrogator immer hysterischer wurde, und erwiderte so ruhig er konnte:

„Beruhige dich! Ich werde mir das ansehen, wenn wir die akuten Probleme in den Griff bekommen haben. Versuch, die Sensoren auf Fehlerquellen zu prüfen. Ich melde mich wieder bei dir.“ Boris spürte Übelkeit in sich aufsteigen, obwohl Hiriko es geschafft hatte, das chaotische Herumwirbeln der Sirius in eine schnelle Eigenrotation abzuschwächen. Die ganze Situation behagte ihm gar nicht.

„Doc, wenn ich zu dir rüber kommen muss, um zu sehen, wie es dir geht, vergesse ich meine gute Erziehung und verpasse dir einen Satz heißer Ohren!“, brüllte Boris in das Intercom. „Melde dich endlich, das ist ein Befehl!“ Dann atmete er einige Male durch, bevor er zum Maschinenraum wechselte.

„Wie ist die Lage bei dir?“, fragte er ruhiger.

„Könnte besser sein“, gab sie zurück. „So lange ihr das Schiff nicht beruhigt, kann ich selbst nicht viel machen, außer meinen Raumanzug vollzureihern. Ich steuere die Automatiksysteme so gut es geht. Verdammt! Die meisten meiner Maschinen arbeiten nicht richtig. Aber ich hab das Feuer unter Kontrolle und die Energieabgabe stabilisiert. Mehr geht im Moment nicht. Ich gebe dir einen Statusbericht, wenn ich mich losschnallen kann, um selbst nach dem Rechten zu sehen.“

„Einverstanden“, erwiderte Koschkin. Während er sich selbst daran machte, einige Diagnoseroutinen zu starten, hatte er nur wenig Zeit wohlwollend die Professionalität der Amerikanerin zu registrieren, die sie zur Abwechslung einmal an den Tag legte. Die Systeme zeigten ihm, dass das Biodeck und Rechenzentrum per Notverriegelung abgeschottet waren. Zu seiner Erleichterung registrierte das System aber noch Lebenszeichen aller Mannschaftsmitglieder. Der Doktor lebte also noch. Nach einigen weiteren magenaufwühlenden Minuten hatte Hiriko das Schiff endlich wieder so weit unter Kontrolle, dass ein gefahrloses Abschnallen möglich war. Koschkin wandte sich an seine Kopilotin, während er seinen Gurt löste.

„Ich werde nach dem Doc sehen. Übernimm du die weitere Koordination“, er stieß sich ab und schwebte zur Cockpitschleuse. Bevor er den Raum verließ, wandte er sich noch einmal an Hiriko.

„Gute Arbeit“, dann verschwand er in dem Verbindungstunnel.

Da der untere Schiffbereich zur Krankenstation versiegelt war, nahm Koschkin den Weg durch die Schiffsmesse und die Quartiere. Vor den Lagerräumen nutzte er den senkrechten Verbindungstunnel, um so zur Krankenstation zu gelangen. Zügig erreichte er die doppelte Sicherheitsschleuse, die alle terranischen Raumschiffe und Stationen besaßen, seitdem ein krankheitserregender Keim vom Mars die halbe Mondstation dahingerafft hatte. Vor der Schleuse der Station zögerte er.

„Hiriko, zeigen die Geräte an, weshalb die Decks versiegelt worden sind?“

„Die Anzeigen deuten auf eine biologische Verseuchung hin. Aber es kann sich genauso gut um eine weitere Fehlfunktion handeln. Ich empfehle trotzdem das Anlegen eines Sicherheitsanzuges.“

Der Russe bestätigte brummend und betrat die erste Schleusenkammer. Dort legte er einen der Anzüge an und wartete. Zischend wurde die Atmosphäre der Kammer ausgetauscht, bis die Sicherheitssysteme grünes Licht gaben und die Zwischenschleuse öffneten. Von der inneren Kammer aus konnte er durch ein Sichtfenster in die Krankenstation sehen. Auf den ersten Blick erkannte er nichts Ungewöhnliches. Schnell wanderte sein Blick durch den Raum, bis er den Arzt gefunden hatte. Er saß in sich zusammengesunken auf einem der Sicherheitsstühle, vorschriftsmäßig angegurtet.

Wahrscheinlich hatte der Doktor einfach nur die Besinnung verloren, als sich das Schiff so unkontrolliert bewegt hatte. Boris wollte gerade die Schleusentür öffnen, als ihm etwas ins Auge fiel. Ein hauchdünner grünlicher Strich an der Schläfe des Bewusstlosen machte ihn stutzig. Als er genauer hinsah, bemerkte er weitere feine Äderchen, die den Mann bedeckten. Boris stockte der Atem.

„Hiriko!“, rief er das Cockpit an. „Kannst du die Beleuchtung der Krankenstation ausschalten?“

„Ja“, ertönte es aus der Intercom-Anlage. Augenblicke später erlosch das Licht. Doch in der Krankenstation wurde es nicht vollständig dunkel. Schwach schimmerte die Station in biolumineszierendem grünlichem Schein. Jetzt konnte Boris genau sehen, dass ein Teil des Bodens und der Decke mit einem feinen Gespinst von Fäden überzogen war. Auf dem Arzt waren diese Adern besonders stak konzentriert.

„Das Biogel“, flüsterte Koschkin schockiert. Zögerte kurz, dann sagte er es nochmals lauter, während er das Intercom betätigte: „Das Biogel ist aus dem Tank ausgetreten …“

„Wie bitte?“, antwortete Hiriko ungläubig.

„Das Biogel ist aus dem Tank ausgetreten und hat sich in der Krankenstation verteilt. Es sieht aus wie ein Netz aus feinen Adern. Der Doc ist regelrecht eingesponnen in dem Zeug.“

„Ein Netz?“, fragte Hiriko zurück. „Ich dachte, es ist ein Gel, ein zähflüssiger Brei oder so etwas. Wie kann das Zeug ein Netz bilden?“

„Frag mich was Leichteres“, antwortete Koschkin. „Der Einzige von uns, der sich wirklich mit dem Gel auskennt, leuchtet jetzt im Dunkeln und ist bewusstlos. Was machen seine Biowerte?“

„Soweit stabil“, kam die Antwort.

„Na gut, ich gehe jetzt rein.“

„Sei vorsichtig.“

„Immer“, gab er zurück und aktivierte die Innenschleuse. Umsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, darauf bedacht, den Fäden des Biogels nicht zu nahe zu kommen. Nun konnte er sehen, dass die Verbindungsschleuse zum Labor der Station und den dahinterliegenden Biotanks offen stand. Der Tank selbst war nur noch zu einem Viertel mit dem Gel gefüllt. Es wirkte klumpig und starr. Am Tank und im Labor konnte Koschkin weitere Konzentrierungen des Geflechtes ausmachen. Koschkin wollte gerade einen weiteren Schritt machen, als er noch etwas anderes bemerkte, was ihn zutiefst erschreckte und ihn unwillkürlich zurücktaumeln ließ.

Der Doktor hatte seine Augen geöffnet und starrte ihn unverwandt an. Gleichzeitig hatten sich einige Fäden in Koschkins Nähe vom Boden aufgerichtet und schnellten auf ihn zu. Koschkin fluchte wie ein russischer Dockarbeiter, als er sich zurück in die Schleuse flüchtete.

Die Tür schloss sich keine Sekunde zu früh.

Die hauchdünnen Tentakel des Gels klatschten an die Scheibe des Fensters und wanden sich langsam daran entlang. Schwer atmend betätigte Boris erneut die Intercom-Anlage.

„Die Versiegelung ist berechtigt“, stieß er erregt aus. „Till hat mich angestarrt und dann hat das verdammte Zeug versucht, mich zu erreichen.“

„Das ist doch nicht möglich“, erwiderte Hiriko verstört. „Wie kann das sein?“

„Ich weiß es auch nicht“, gestand Boris ein. „Es ist mir völlig rätselhaft, wie sich das Gel in so kurzer Zeit dermaßen verändern und ausbreiten konnte. Wenn wir keine Möglichkeit finden, Till da herauszuholen, ohne uns zu gefährden, müssen wir die Notsterilisation des gesamten Biodecks einleiten.“

„Dafür müssen die Systeme aber erst wieder richtig arbeiten“, warf Hiriko ein. „Ashley hat mir zwischenzeitlich eine Zusammenfassung der Maschinenschäden gegeben. Es sieht nicht gut aus, aber im Moment besteht keine direkte Gefahr mehr. Das Feuer ist gelöscht und die Notsysteme arbeiten stabil. Aber unse