Land der Astronauten - Thorsten Hoß - E-Book
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Land der Astronauten E-Book

Thorsten Hoß

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Beschreibung

Das Kurtai ist entschieden. Aber der Frieden bleibt brüchig. Die Crew der Sirius7 gibt ihr Bestes, doch als Kommandant Koschkin einem Hilferuf folgt und das Kloster Laylay ihre Kriegsschwester aussendet, überschlagen sich die Ereignisse ... Angestachelt durch die Bitte eines Drachens verfolgt die Dryade Hiriko derweil ihre eigenen Pläne. Auch die Suche nach Ashley Bender geht fieberhaft weiter. Diese führt den Clan der Astronauten tief in ein Gebiet, wo die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt. Doch so wild die Gegend auch scheinen mag, herrenlos ist sie nicht. Interessierte Blicke richten sich auf die Astronauten, während ihre früheren Taten sie einzuholen drohen ...

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

Prolog

1. Boris

2. Hiriko

3. Ronja

4. Ingbold

Zwischenspiel

5. Boris

6. Junior

7. Ronja

8. Ingbold

Zwischenspiel

9. Junior

10. Hiriko

11. Boris

12. Junior

Zwischenspiel

13. Ronja

14. Tilseg

15. Hiriko

16. Boris

Zwischenspiel

17. Junior

18. Hiriko

19. Boris

20. Junior

Zwischenspiel

21. Sven

22. Faqech

23. Hiriko

24. Junior

Zwischenspiel

25. Hiriko

26. Faqech

27. Sven

28. Ronja

Zwischenspiel

29. Faqech

30. Tilseg

31. Sven

32. Ronja

Zwischenspiel

33. Hiriko

34. Boris

35. Ronja

36. Hiriko

Zwischenspiel

37. Hiriko

38. Sven

39. Ronja

40. Sven

Zwischenspiel

41. Ronja

42. Boris

43. Sven

44. Ingbold

Zwischenspiel

45. Ashley

46. Hiriko

47. Sven

48. Boris

Zwischenspiel

49. Tilseg

50. Sven

51. Karl

52. Hiriko

Zwischenspiel

53. Hirko

54. Ronja

55. Sven

56. Boris

Zwischenspiel

57. Hiriko

58. Karl

59. Sven

60. Ronja

Zwischenspiel

61. Ingbold

62. Sven

63. Boris

64. Sven

Zwischenspiel

65. Ronja

66. Boris

67. Ingbold

68. Hiriko

Zwischenspiel

69. Sven

70. Ronja

71. Sven

72. Tilseg

Zwischenspiel

73. Hiriko

74. Tilseg

75. Sven

76. Boris

Zwischenspiel

77. Queckech

78. Ronja

79. Hiriko

80. Tilseg

Zwischenspiel

81. Hiriko

82. Ingbold

83. Hiriko

84. Ingbold

Zwischenspiel

85. Tilseg

86. Boris

87. Ronja

88. Karl

Zwischenspiel

89. Ingbold

90. Tilseg

91. Faqech

92. Ronja

Zwischenspiel

93. Boris

94. Tilseg

95. Ronja

96. Faqech

Zwischenspiel

97. Nirilis

98. Karl

99. Tilseg

100. Ronja

Zwischenspiel

101. Boris

102. Ronja

103. Queckech

104. Karl

Zwischenspiel

105. Ronja

106. Boris

107. Nirilis

108. Karl

Zwischenspiel

109. Boris

110. Karl

111. Ronja

112. Nirilis

Zwischenspiel

113. Ronja

114. Faqech

115. Tilseg

116. Boris

Zwischenspiel

117. Delphi

118. Ingbold

119. Nirilis

120. Tilseg

Zwischenspiel

121. Faqech

122. Tilseg

123. Boris

124. Karl

Zwischenspiel

125. Ronja

126. Faqech

127. Sven

Zwischenspiel

128. Tilseg

129. Ronja

130. Sven

Epilog

Lieber Leser

Bisher erschienene Romane aus Lunaria:

Über den Autor und dieses Buch:

Danksagungen:

Impressum

Land der Astronauten

(Die Crew der Sirius7, Band 5)

Zweite deutsche Ausgabe

©2018 Thorsten Hoß

[email protected]

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: Polina Hoß

Lektorat: André Reichel, Polina Hoß

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für meine Nichten.

Prolog

Inmitten eines dichten Waldes, der sich entlang der nördlichen Grenzen der Amazonengebiete erstreckte, stand ein einsamer Turm mitten in der Wildnis. Das hohe Gebäude, dessen Spitze sogar die Kronen der ihn umgebenden Bäume überragte, hatte schon bessere Zeiten erlebt und erst vor kurzem schweren Schaden genommen. Im unteren Teil, gut fünf Meter über dem Boden, klaffte ein großes Loch in dem dicken Mauerwerk, von dessen Rändern immer wieder einzelne Steinklumpen abbrachen und polternd in die Tiefe stürzten. Wer am Fuß des Bauwerks stand und dort, die herumliegenden Leichen ignorierend, zu dem Loch emporschaute, konnte eine etwas angeekelte Stimme vernehmen. Schwach, aber verständlich.

„Wer auch immer das hier getan hat, er hat nicht alles aufgegessen. Seht doch!“ Angewidert deutete der große sprechende Höhlenbär mit seiner Schnauze in eine Richtung des Zimmers, in dem das Loch klaffte. „Das Bein da war früher mal mit dem Geierkopf verbunden.“

„Dasch ischt wohl scho.“ Die Stimme des Wolfsmenschen klang nachdenklich. „Diesche Federn schind ein schicheresch Scheichen dafür.“

Noch ein Schnauzenschwenk des Bären, dieses Mal in eine anderen Richtung. „Und dann das da. Ich denke, das hat mal dem Meister gehört. Seht ihr seinen Ring?“

Die Blicke seiner Begleiter folgten den Gesten des Tiers. und betrachteten nun einen enorm großen Kothaufen inmitten einer ausgedehnten Blutlache.

„Mist“, äußerte sich der dritte in ihrer Runde. Dabei handelte es sich um einen gewaltigen Minotaurus, gegen den selbst der Höhlenbär schmächtig wirkte.

„Schicher, Krogar, ich schehe esch auch. Schogar ein schiemlich groscher Haufen Scheischsche ist dasch da.“ Der Wolfsmensch fletschte die Zähne und knurrte leise. „Wasch für eine Schauerei. Hier ischt richtig schlimm wasch schiefgegangen.“

Bo der Bär nickte zustimmend und schaute den Wolfsmenschen an.

„Was machen wir den jetzt, Dragar?“

„Dasch weisch ich auch noch nicht. Aber der Meischter ischt mit Schicherheit tot. Daran beschteht kein Schweifel. Ich rieche schein Blut, dasch ischt hier überall. Und den Ring da hat er schicher nicht einfach scho verloren.“

„Wurde gefressen.“

„Du schagst esch, Krogar. Dasch denke ich auch.“

„Wo sind eigentlich die ganzen Läusekäfer? Man sollte doch meinen, dass der Scheißhaufen hier ein gefundenes Fressen für sie ist.“

„Wasch weisch denn ich? Dasch Krabbelvieh intereschschiert mich nicht schonderlich. Aber da fällt mir wasch anderesch ein. Wasch meint ihr, ischt Asch wohl auch Teil von dem Scheischhaufen da?“

„So wie ich die feige Natter kenne, war der schon weg, bevor das da passiert ist.“ Der Bär rümpfte wieder die Nase. „Hier stinkt es widerlich, lasst uns woanders hingehen.“

„Schtimmt. Diescher Geschtank ischt schrecklich. Lascht unsch Asch schuchen“, schlug der Wolfsmensch vor. „Der scholl uns schagen, wasch hier losch war und wer den rieschen Scheischhaufen dagelaschschen hat.“

„Gut, aber was machen wir mit den Jungen?“

„Wasch scholl diesche Frage, Bo? Wasch scholl mit ihnen schein?“

„Sind eingesperrt.“

„Richtig, Krogar. Und ich bin schehr froh, dasch dasch scho ischt.“

„Ja, gut. Und was machen wir jetzt mit denen? Ich meine, der Meister brauch sie ja nicht mehr.“

„Laschschen wir schie, wo schie schind. Wir haben schie für den Meischter gefangen und unschere Aufgabe abgeschloschschen. Wasch schollen wir jescht noch mit ihnen?“

„Wir könnten sie doch laufen lassen?“

„Woschu? Schie haben esch unsch nicht leicht gemacht schie hierher schu bringen. Weggeschloschschen schind schie mir lieber.“

„Aber es sind doch Junge!“

„Nicht nett!“

„Schtimmt, Krogar. Diesche Bälger schind eigenschinnig, schturr und trotschig. Auscherdem habe ich keine Luscht weiter auf schie aufschupaschschen. Schollen schie schelber schehen, wasch schie nun machen. Schie bedeuten nur Ärger für unsch und gehen unsch überdiesch nichtsch mehr an.“

„Aber …“

„Schlusch jetscht!“

Der Bär verstummte, der Ochsenmann schwieg weiter. Trotzdem rührten die beiden deutlich größeren Begleiter Dragars sich nicht von der Stelle.

„Na losch, ich will endlich wischschen wasch hier vorgefallen ischt. Dann schehen wir weiter!“

Nun reagierten seine Gefährten doch. Gemeinsam verließen sie den Raum, um nach dem verschollenen Schlangenmenschen zu suchen, der sich Asss nannte.

Währenddessen brach ein weiteres Mauerstück ab und fiel in die Tiefe. Kleine Risse zeigten einem versierten Beobachter, dass es um die Stabilität des Gemäuers nicht zum Besten stand. Nur leider war hier nirgends jemand, der diese Bezeichnung in Anspruch nehmen konnte.

1. Boris

Kommandant Boris Iwanowitsch Koschkin löste sein Ohr von der Tür, an der er bis gerade gelauscht hatte, und flüsterte:

„Die Späher hatten recht. Hinter dieser Tür befinden sich tatsächlich Leute. Vermutlich ist das hier wirklich der Zugang zur Festung der Küstenjäger, von denen die Amazone gesprochen hat.“

„Ja, das sehe ich auch so“, erwiderte die zierliche Goblinschamanin wispernd neben ihm, dabei immer noch am Holz horchend. „Und was schlägst du jetzt vor?“

Koschkin dachte nach. Er hatte sich bisher nicht wirklich damit auseinander gesetzt, wie die Amazonen reagieren würden, deren verletzte Botin sie in einem alten Tunnel in der Nähe der unterirdischen Goblinstadt gefunden hatten. Eben dieser Tunnel hatte sie schließlich auch hierher geführt.

„Weiß ich auch nicht genau“, sagte er dann „Die Küstenjäger rechnen nicht mit uns, sondern mit Amazonen vom Clan der Klippenläufer. Schwer zu sagen, wie sie darauf reagieren, wenn sie mitbekommen, dass wir vor diesem geheimen Eingang zu ihrer Festung stehen.“

„Sie brauchen Hilfe, das steht fest. Ihre Schwester hat es selbst gesagt.“

„Holen wir sie doch. Soll sie sich mit ihren Clankameradinnen auseinandersetzen und ihnen erklären, warum sie uns hierher geführt hat.

„Als ob das nötig gewesen wäre.“ Fangs Blick war leicht anklagend bei ihren geflüsterten Worten. „Seit du wusstest, dass die Späher in dem Tunnel diese Tür gefunden hatten, warst du doch kaum noch zu halten.“

„Ja-ja, wie auch immer“, grummelte der Russe. „Holen wir die Amazone nach vorne. Wenn ihre Schwestern unsere Hilfe nicht haben wollen, dann gehen wir eben wieder.“

Fang grinste nun und löste sich ebenfalls von dem Portal. „Einverstanden. Machen wir es so.“ Anschließend flüsterte sie einem Ork einige Worte ihrer Muttersprache zu, die Boris weiterhin mehr schlecht als recht beherrschte. Kurz darauf näherte sich eine dunkelblonde Amazone mit Kopfverband und geschientem Arm den beiden ungleichen Anführen ihrer Gruppe.

Außer ihm und Faqech befanden sich noch je zwei Dutzend Orks und Goblins in ihrem Gefolge, ebenso wie knapp viermal so viele Männer, die aus Amazonendörfern stammten, und ein paar Amazonenkriegerinnen. Allesamt waren sie mit Speeren, Knüppeln oder Säbeln ausgestattet und boten im Fackelschein durchaus einen bedrohlichen Anblick für einen Außenstehenden.

Mit diesem Aufgebot hatten sie knapp ein Drittel der kampferprobten Leute bei sich, die noch zur Verteidigung ihres Hauptlagers in den Küstenhöhlen zurückgeblieben waren. Der Rest ihrer Streiter begleitete entweder Tilsegs Mission, mit den Clans zu verhandeln, oder suchte mit Ronja nach Ashley Bender.

„Na gut, dann mal los.“

Koschkin klopfte und gab dann der Amazone ein Zeichen, dass sie sprechen sollte. Die unterschwelligen Geräusche hinter der Tür erstarben schlagartig. Dafür erklang nach kurzem Zögern eine Frauenstimme dumpf durch das Holz. Die Amazone in ihrer Begleitung antwortete aufgeregt. Alsbald hörte man einen Riegel scharren, dann noch einen. Schließlich klackte noch ein Schloss, bevor die Tür endlich aufgerissen wurde.

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, in einer Rüstung, die ihr offensichtlich viel zu groß war, stand nun in dem düsteren Durchgang. Der freudige Ausdruck auf ihren Zügen veränderte sich schlagartig, als sie die vielen Gestalten bei ihrer Clankameradin bemerkte und registrierte, dass es sich bei den Bewaffneten keinesfalls um Amazonenkriegerinnen handeln konnte.

Ein Aufschrei des Entsetzens und schon bemühte sich die Frau panisch, die eben geöffnete Tür wieder zuzuschlagen. Doch Boris hielt sie auf, während gleichzeitig die Botin weiter auf ihre Clanschwester einredete. Währenddessen war irgendwo weiter hinten anschwellender Lärm zu vernehmen, der von nichts Gutem kündete.

Auch die junge Kriegerin hatte es bemerkt und schien nun endgültig den Kopf zu verlieren. So schnell sie konnte wirbelte sie herum und rannte von der Tür fort, die sie gerade noch verteidigen wollte.

Die verletzte Amazone ihrerseits wandte sich nun wieder an Faqech und redete mit ihr. Koschkin hatte keinen Plan, was die Frau erzählte, doch schließlich nickte die Schamanin, antwortete mit einigen Brocken Westländisch und gab dann Befehle in dieser und ihrer eigenen Sprache. Gleichzeitig zog sie Boris weiter in den Raum hinter der Tür.

„Wir scheinen gerade noch rechtzeitig zu kommen“, erklärte sie ihm, während sie ihn vorwärts drängte. „Offenbar wird die Burg immer noch angegriffen. Das, was du da vorne hörst, sind wohl die Eindringlinge.“

Das reichte dem Russen als Orientierung. Eilig setzte er sich an die Spitze seiner nachdrängenden Leute und stürmte vor. Während er durch den Raum rannte, bemerkte er die vielen Menschen, die hier kauerten. Frauen und Kinder, aber zu seiner größten Verwunderung auch Männer. Viel Zeit sich darüber Gedanken zu machen hatte er indes nicht.

„Sorg dafür, dass sich die Zivilisten in den Tunnel zurückziehen“, brüllte er Fang über die Schultern zu. „Sicher ist sicher!“ Dann kam auch schon der Kampfschauplatz in Sicht.

Im Halbdunkel des Gewölbekellers drang Licht durch eine eingeschlagene Türöffnung. Haarige Gestallten verdunkelten immer wieder kurz den Lichteinfall, wenn sie rücksichtslos in die Verteidiger sprangen, die schon einige der Kreaturen niedergestreckt hatten, aber langsam immer mehr selbst in Bedrängnis gerieten. Der Strom an Angreifern quoll beständig und mit Macht in den Raum, ohne auf das eigene Leben Rücksicht zu nehmen. Lange konnten die Amazonen ihre Position nicht mehr halten.

Koschkin war einer der Ersten, die im Geschehen eintrafen. Über die Schulter einer Kämpferin hinweg stach er beherzt zu und spießte einen der drei Gegner, die gerade die Frau bedrängten, einfach auf. Der Schmerzenslaut, den die Kreatur dabei von sich gab, war markerschütternd, fast als wäre es der Schrei eines Kindes, das gerade massakriert wurde.

Doch zum Schaudern blieb keine Zeit. Kraftvoll zog Boris seinen Speer zurück, nur um ihn sofort erneut vorschnellen zu lassen. Die Amazone, überrascht von der plötzlichen Hilfe, entsetzt von dem, was vor sich ging, und regelrecht schockiert, dass es ein Mann war, der ihr beistand, taumelte zurück, als sie ein Klauenhieb erwischte.

„Nicht glotzen! Kämpfen!“ Boris schloss die Lücke, während er weiter auf alles einstach, was kreischend auf ihn zustürmte.

Die meisten der Verteidigerinnen reagierten auf ähnliche Weise wie Koschkins Amazone. Eine versuchte sogar, einen herbeieilenden Ork zu attackieren. Doch ihr Schreck währte kurz, als den Frauen aufging, dass er und die anderen auf ihrer Seite waren.

„Verrammelt den Durchgang“, brüllte Koschkin immer wieder, bis Fang seinen Befehl endlich übersetzte und einige Männer begannen, jedwedes Gerümpel, was sie in die Finger bekamen, den Angreifern entgegen zu schleudern.

Es gelang. Nach und nach schlossen sie auf diese Weise das Tor, bis der Berg aus Möbeln, Leichen und anderen Dingen ausreichte, um ihnen eine Verschnaufpause zu gönnen. Koschkin brummte etwas Unflätiges und wischte sich mit Blut vermischten Schweiß aus dem Gesicht. Für den Moment hatten sie gewonnen und den unbekannten Feind der Amazonen aufgehalten. „Kannst du rauskriegen, was hier zum Geier noch mal los ist? Von diesen Viechern hat niemand was gesagt, als es um die Hilfe ging.“

2. Hiriko

Hiriko Tanaka war aufgeregt. Wie ein aufgescheuchtes Hühnchen hüpfte die dunkelhäutige Dryade ununterbrochen um die grabenden Männer herum und machte sich Sorgen. Seit Tagen arbeiteten die Leute unter Anleitung von Tilseg daran, die frisch gewachsenen Wurzeln ihres Weinstocks freizulegen. Dieses Vorhaben stellte sich jedoch als komplizierter heraus, als der grüne Hüne zunächst errechnet hatte.

„Wie kann es sein, dass die Wurzeln so tief sind?“, wunderte Hiriko sich.

„Faszinierend, nicht wahr? Meinen korrigierten Berechnungen nach, hat deine Aktivität im Inneren deines Symbiosepartners dafür gesorgt, dass deine Pflanze ebenso wie Nirilis Farn einen Wachstumsschub durchlebt hat, der in etwa dem Umfang zweier ganzen Jahre ihres natürlichen Wachstums entspricht.“

„Ist ja gut, ich weiß, ich bin schuld daran, dass wir nicht aufbrechen können.“

„Ich hatte nicht vor, jemandem die Schuld zuzuweisen, sondern wollte lediglich deine Frage beantworten.“

„Na gut. Dann gebe ich mir eben selbst die Schuld.“

„Du konntest nicht wissen, was geschehen würde.“ Der Muskelberg namens Tilseg ging in die Hocke und strich der Dryade über ihr dunkelgrünes, langes Haar. „Wir sind zwar schon eine Weile auf diesem Planeten und haben auch schon einen gewissen Erfahrungsschatz gesammelt, was hier als möglich gilt und was nicht. Aber es gibt bedeutend mehr über diese Welt zu lernen, als wir schon wissen. Mach dir keine Vorwürfe.“

„Ich wusste es ja schon“, gab Nirilis, die zweite Dryade ihrer Truppe, ganz ruhig und unbedarft zu. Sie sah Hiriko körperlich recht ähnlich, auch wenn ihr die asiatischen Gesichtszüge Tanakas fehlten.

„Wenn du das so genau gewusst hast, warum hast du mir dann nichts gesagt?“Hirikos Stimme klang zornig.

„Wieso sollte ich? Es ist doch vollkommen normal, dass Pflanzen auf uns reagieren. So etwas passiert eben, wenn wir glücklich sind.“

„Ja, das ist mir jetzt auch klar.“ Hiriko schmollte.

„Außerdem“, erklärte Nirilis weiter, „hättest du ja auch fragen können.“

„Wie soll ich nach etwas fragen, das ich gar nicht weiß?“

„Weiß nicht. Aber ich wusste ja auch nicht, was du da gemacht hast, bis du mir davon erzählt hast. Ich bin noch nie im Lebensstrom außerhalb meiner Pflanze gewesen!“

„Naja, das stimmt auch wieder.“ Nun wurde Hiriko etwas kleinlaut. Ihre Freundin hatte recht. Bis zu dem Tag, als hier die Blumen sprießten, hatte sie es auch nie zuvor getan. Den Lebensstrom fühlen, das war ein Kinderspiel für eine Dryade. Aber in ihn eintauchen taten sie als Naturgeister nur in ihren eigenen Pflanzen.

„Im Übrigen verstehe ich immer noch nicht, was an der ganzen Sache so schlimm gewesen sein soll“, setzte Nirilis ihre Rede fort, „Du hast etwas Tolles erlebt, dabei noch zwei Knospen gezeugt und die Natur gestärkt. Ich sehe kein Problem.“

„Ja, ich weiß.“ Hiriko seufzte. „Entschuldige.“

Tilseg hatte die Hypothese aufgestellt, dass ihr früheres Leben als Mensch ihr jetziges Leben als Naturgeist weitaus stärker beeinflusste als nur durch ihre Lebenserfahrung und Persönlichkeit. Solche Gespräche wie gerade erinnerten sie immer wieder an die Unterschiede. Sie war wie ihre Freundin eine Dryade und doch war sie anders.

Hiriko war sich sicher, dass jede andere Nymphe das gleiche Unverständnis für ihr schlechtes Gewissen zeigen würde wie ihre Freundin, weil sie einfach so dachten und fühlten wie Dryaden. Aber nicht sie. Na gut, sie dachte auch oft wie die anderen, aber irgendwie auch nicht. Sie war kein Mensch mehr, seit sie gestorben und wiedergeboren worden war. Aber ganz Nymphe war sie auch nicht.

Auf der einen Seite freute sie sich darüber. Denn obwohl sie als Mensch sehr schüchtern und verklemmt gewesen war, mochte sie ihr früheres Ich sehr. Außerdem schien sie sich durch ihre menschlichen Wurzeln etwas besser konzentrieren zu können als ihre Schwestergeister. Eigentlich auch gut so.

Und doch. Gelegentlich beneidete sie Nirilis dafür, so sehr im Jetzt zu leben und viele Sorgen einfach gar nicht erst zu empfinden. Ein Teil der andauernden Unbekümmertheit von Dryaden bestand schlicht in der Fähigkeit zu vergessen, das war ihr letztlich klar geworden. Das allerdings war Fluch und Segen zugleich, wie sie fand.

„Streit ist nicht nötig“, mischte sich Tilseg wieder ein. „Boris Koschkin hat mir in seinem Schreiben mitgeteilt, dass er uns innerhalb einer Frist von drei Wochen zurück erwartet. Bisher sind wir also nicht in Verzug. Sollten wir doch länger für das Umbetten eurer Pflanzen brauchen als geplant, werden wir ihm eine weitere Botschaft schicken.“ Nun wandte sich der grüne Hüne an die kleine Fee, die in den Zweigen des Weinstocks saß. „Vorausgesetzt, du wärst ein weiteres Mal bereit, diese Botschaft zu überbringen.“

Die Gesten der Fee waren durch ihre Strahlkraft nicht zu erkennen und ihre zwitschernde Sprache verstand auch der Doktor nicht. Hiriko aber schon.

„Ja, natürlich wird sie helfen“, übersetzte sie die Kernaussage. Die restlichen Spitzen in der Antwort waren an sie selbst gerichtet und zeigten der Dryade deutlich, dass die Fee immer noch böse auf sie war. Vermutlich würde sich dieser Umstand erst ändern, wenn sie endlich eine Möglichkeit gefunden hatte, Sven Erikson aus ihrer Pflanze zu holen.

„Was ist eigentlich mit Dryas Pflanze?“

Mit dieser Frage spielte sie auf die dritte Dryade an, deren Symbiosepartner sie seit einer Weile zu retten versuchten.

„Meine Bemühungen, das Wurzelwachstum zu fördern, zeigen Wirkung. Die Zellteilungsrate ist optimal.“

„Was heißt das?“, wollte Nirilis wissen.

„Der Steckling entwickelt sich gut.“

„Aber Drya ist immer noch nicht gesehen worden, oder?“

„In der Tat, das ist sie nicht.“

Hiriko machte sich Sorgen, dass es vielleicht doch ein Fehler gewesen war, das Ästchen von dem toten Symbiosepartner der Dryade abzubrechen, das sie, der Drache Wargiriuns-Aranarich-Deregal-Merac-Argon und Nirilis unabsichtlich zum Sprießen gebracht hatten.

„Ich verstehe das nicht. Sie war doch da. Wir haben sie gesehen und sogar mit ihr gesprochen.“

„Ja, am Baum …“

Tanaka schaute ihre Dryadenfreundin verunsichert an.

„Was meinst du?“

„Wir haben am toten Baum mit ihr gesprochen.“

„Stimmt.“ Jetzt, wo Nirilis es ansprach, erkannte es Tanaka erst bewusst. „Hier aber noch nicht!“

Seit sie den Ast hierher gebracht hatten, war die Dryade ihr nicht mehr erschienen. Angst stieg in der ehemaligen Asiatin auf. War es möglich, dass alles umsonst gewesen war? Drya war die einzige Nymphe, von der Hiriko bisher gehört hatte, die es geschafft hatte, jemanden in ihre Pflanze einzuladen und ihn später auch wieder zu entlassen. Und dieser Jemand war nicht irgendwer, sondern gleich ein Drache gewesen. Wenn ihr jemand mit Sven helfen konnte, dann war es diese Dryade.

„Warte!“ Ein weiterer Gedanke ließ Hiriko erschaudern. „Sag mal, Nirilis, was passiert eigentlich mit Dryaden, die den Radius ihrer Pflanze verlassen?“

„Das geht nicht.“

„Und wenn doch?“

„Ich verstehe nicht. Wie soll das denn gehen?“

„Zum Beispiel, wenn sich deine Pflanze von dir schneller entfernt, als du ihr folgen kannst?!“

„Oh, an so was habe ich gar nicht gedacht. Ja, dann könnte das gehen. Aber was dann passiert, weiß ich nicht. Du weißt ja selbst, dass wir es aus eigener Kraft nicht vermögen, diese Grenze zu überschreiten.“

„Auweia!“

„Was?“

„Mensch, Nirilis, ich glaube, wir haben einen schlimmen Fehler gemacht.“

„Was denn jetzt schon wieder?“

„Drya!“

„Was ist mit ihr?“

„Ich glaube, wir haben sie zurückgelassen, als wir den Ast retten wollten.“

„Oh.“

„Ja. Hast du darauf geachtet, ob sie uns gefolgt ist?“

„Ähm, nein. Ich hatte genug damit zu tun, mit dir mitzuhalten.“

„Ja. Genau. Ich war so auf meine Idee fixiert, den Ast zu retten, dass ich auch nicht darauf geachtet habe, ob Drya mit uns mithält. Ich … ich glaube …“ Hiriko schauderte bei dem Gedanken. „Ich glaube, sie ist außerhalb ihres eigenen Kraftradius’.“

Aus eigener Erfahrung wusste Tanaka, wie schlimm es war, an diese unsichtbare Grenze zu gelangen. Wie musste es sich dann erst anfühlen, jenseits davon zu sein? Wieder durchlief sie ein Schauder des Entsetzens.

„Tilseg?“

„Was kann ich für dich tun, Hiriko Tanaka?“ Der grüne Riese hatte die ganze Zeit über bei ihnen gestanden und die Arbeiten überwacht, während sie mit einander sprachen.

„Meinst du, wir können den Ast transportieren?“

„Das Wurzelgeflecht es noch sehr fein und bietet wenig Halt.“

„Was heißt das genau?“

„Ein Transport ist möglich, wenn auch nicht empfehlenswert.“

„Bitte, es ist wichtig.“

„Ich verstehe. Nun, ich könnte die Stabilität erhöhen, indem ich den Ast stütze. Aber der Transport sollte vorsichtig durchgeführt werden, um den bisher erzielten Erfolg nicht zu gefährden.“

„Mach das bitte. Ich hole schon mal Junior.“

„Ähm, was hast du vor?“, fragte Nirilis, derweil der Doktor nickte und sich an die Arbeit machte.

„Wir werden Drya suchen.“

„Ach so. Na dann ist ja gut.“

3. Ronja

Ein Lichtstrahl, wie durch ein Wunder ungehindert durch das sonst so dicke Blätterdach des alten Waldes brechend, ließ das kaum zu bändigende rote Haar der Säbelfantenreiterin kurz aufleuchten, als sie ihn durchquerte. Leise fluchend spähte sie durch das Dämmerlicht des Unterholzes, während ihr Säbelfant sich einen Weg durch das dichte Dickicht suchte.

Ihre fast zweihundert Reiter umfassende Truppe war ein bunt gemischter Haufen aus Orks, Goblins und Menschen, alle vom Clan der Astronauten wie sie selbst. Alle hatten sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet und suchten nun unter ihrem Befehl nach Ashley Bender, ihrer Königin.

Ronja hatte Erfahrung darin, sich auch im dichteren Wald voran zu arbeiten, war das Land ihres Heimatclans doch selbst zum großen Teil bewaldet. Aber ihre Leute im Dickicht dieses Gehölzes vernünftig zu befehligen, war doch schwieriger als gedacht.

Die Fremden, die sie jagten, verhielten sich sonderbar. Mal folgten sie den natürlichen Gegebenheiten so geschickt, dass es kaum noch möglich war, ihre Spur weiter zu verfolgen. Dann wiederum schlugen sie sich plötzlich querfeldein und hinterließen eine deutliche Schneise, der man problemlos folgen konnte.

Innerhalb der durch die Fremden geschlagenen Pfade kamen sie noch recht gut voran. Meistens jedenfalls. Zogen die Verfolgten allerdings über einen Wildwechsel weiter, verlor sich ihre Spur recht schnell und oft war nicht einmal klar, in welche Richtung die Entführer weitergezogen waren.

Es mussten viele Tiere in dem selbst am Tage herrschenden Dämmerlicht des Waldes leben. Jedenfalls vermutete Ronja das. Wenn sie die Häufigkeit der Wildpfade und unzähligen Spuren berücksichtigte, die sie dort entdeckten, war kein anderer Schluss möglich. Von den größeren Exemplaren der Fauna, die diese Fährten hinterließen und damit ihre Suche nach den Entführern deutlich erschwerten, hatte aber keiner von ihrer Truppe bisher etwas gesehen.

Aber es gab Vögel. Sogar viele von ihnen, die man zwar selten sah, aber hier allerorts hörte. Außerdem lebten reichlich Einhörnchen zwischen den Ästen. Die Goblins und Orks waren zunächst sehr vorsichtig, als sie die ersten dieser niedlichen Tierchen bemerkt hatten. Dies besserte sich jedoch bald wieder, als klar wurde, dass die hier lebenden Baumbewohner, anders als ihre Artgenossen jenseits der Berge, nicht ganz so aggressiv waren und sie mitsamt ihren Reittieren nicht als Beute betrachteten.

Kleinere Nagetiere, die hier auch zuhauf vorkamen, hatten da weniger Glück. Ronja war regelrecht entsetzt gewesen, als sie die eigenwillige Jagdmethode der sonst so possierlichen Tierchen das erste Mal mitverfolgte. Eins der Tiere stürzte sich plötzlich mit dem Horn voran von einem Ast, um einem vorbeihuschenden Nager mit einem fiesen, knirschenden Geräusch den kleinen Schädel zu spalten. Als das Einhörnchen anschließend auch noch über das Fleisch seines Opfers herfiel, verstand die Kriegerin viel besser, was ihre Begleiter beunruhigt hatte.

Ronja fluchte, als sie begriff, wie weit sie in Gedanken abgeschweift war. Wo war sie doch gewesen? Ja, genau, die Wildwechsel und die seltsame Spur der Gejagten.

Vermengt mit den Spuren der anderen Tiere waren die Abdrücke der Entführer kaum noch auszumachen. Das zwang sie dazu, ihre Gruppe aufzuteilen, bis jemand aus ihren Reihen die Fährte wiederfand. Das Ausschwärmen und spätere wieder Zusammenziehen ihrer Leute nahm dabei jedes Mal viel Zeit in Anspruch. Eine bessere Idee, wie sie vorgehen konnten, hatte der Rotschopf aber keine.

„Hier! Eine frische Schneise! Hierher!“

Die Stimme war weiblich und gehörte einer der wenigen anderen Amazonen ihres Trupps. Alle Frauen in ihrem Gefolge stammten aus dem Clan der vier Flüsse und waren nach der Schlacht um Zweibrücken zu den Astronauten übergelaufen. Nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten hatten die Kriegerinnen sich recht gut in ihrem neuen Clan eingelebt. Ronja vermutete, dass ein wichtiger Grund ihrer Integration in der Tatsache wurzelte, dass fast alle von ihnen Beziehungen mit einem oder sogar mehreren Männern führten. Manche hatten sich sogar schon lange bevor die Astronauten in das Territorium der Clans eingedrungen waren, ihrer Liebe hingegeben. Heimlich und in aller Stille.

„Komme!“, antwortete Ronja und ließ ihren Säbelfanten in die Richtung des Rufes laufen.

Ihr Reittier war ein imposantes, schuppengepanzertes Raubtier mit Säbelzähnen und recht kurzem Rüssel, mit dem er auch trompeten konnte. Einen Säbelfanten hübsch zu nennen, war vielleicht etwas gewagt, aber Ronja teilte Ashleys Meinung und fand, dass sie Individualität, Charakter und ein gewisses Etwas besaßen.

Ihres Wissens nach waren sie und Ashley, die auch Herrin der Säbelfanten genannt wurde, die einzigen Personen auf der Welt, denen es gelungen war, sich mit diesen Raubtieren anzufreunden und sogar auf ihnen zu reiten.

Ronja hatte ihren Säbelfanten Rufus getauft. Sie wusste gar nicht so genau, wieso sie ausgerechnet diesen Namen wählte, aber dem geschmeidigen Raubtier schien sein neuer Name zu gefallen. Jedenfalls reagierte es schon auf ihn, wenn sie ihn damit rief.

Eine ganze Weile lang hatte sie mit der Namensgebung gezögert, da Ashley ihr Reittier schon deutlich länger kannte, aber bisher darauf verzichtete ihn zu benennen. Aber irgendwie fand Ronja es komisch ihrem Tier keinen Namen zu geben.

Schließlich war sie doch ihren eigenen Bedürfnissen gefolgt und hatte ihren doch benannt. Danach hielt sie nichts mehr und sie hatte auch allen anderen Tieren ihres Rudels Namen zuteilwerden lassen. Allen, außer Ashleys Säbelfanten, der neben Rufus deutlich größer war als die restlichen Rudelmitglieder.

Endlich erreichte sie die rufende Amazone und die von ihr entdeckte, geschlagene Schneise. Dem Rotschopf genügte ein Blick, um zu erkennen, dass dieser frische Weg nicht von denen geschlagen worden war, die sie suchte. Sie war breiter und die Zerstörung war noch enormer.

Ashleys Entführer beschränkten sich hingegen darauf sich einfach einen Weg zu bahnen. Dabei entwurzelten sie allerdings nicht die Pflanzen des Unterholzes und fällten auf ihrem Weg auch keine Bäume.

„Wir müssen weiter suchen“, erklärte Ronja knapp. „Was immer diese Schneise schlug, es ist nicht unser Ziel.“

Neugierig geworden, stieg sie aber trotzdem von Rufus, um sich einen umgestürzten Baum in ihrer Nähe etwas genauer anzuschauen. Kräftige Krallen hatten die schützende Borke des Baumes aufgerissen und tiefe Kerben in das Holz geschlagen. Anschließend schien die Kreatur den Baum einfach umgestoßen zu haben.

„Ich kenne keine Bestie, die solche Spuren hinterlässt.“

Ronja warf der Amazone einen Blick über die Schulter zu, bevor sie antwortete.

„Ich auch nicht.“ Die Säbelfantenreiterin erhob sich wieder und blickte sich noch ein wenig mehr um. Überall weitere Krallenspuren und Zerstörung.

„So geht doch kein normales Wesen vor, wenn es sich einen Weg durch das Unterholz sucht“, mischte sich die Amazone wieder ein, die Ronjas Inspektion der Schneise aufmerksam verfolgte.

„Stimmt. Selbst wenn das Wesen so groß und stark ist, wie es den Anschein hat, dürfte es länger gedauert haben, diesen Baum zu fällen, als ihn einfach zu umgehen.“

„Ja. Als ob die Kreatur nicht fähig ist, ihre Richtung zu ändern.“

„Ob sie dazu nicht fähig ist, weiß ich nicht. Aber was so um sich schlägt …“ Ronja ließ ihren Satz unvollendet und betrachtete nachdenklich den Verlauf der Verwüstung. „Es sieht vielmehr so aus, als hätte das Wesen sich an allem abreagiert, was ihm im Weg war. Diese Zerstörung hier ist sinnlos und zum Vorrankommen schlicht unnötig.“

„Haltet mich nicht für feige, Prinzessin. Aber ich möchte das Ding, was hier durchgekommen ist, nicht kennenlernen, wenn es sich vermeiden lässt.“

„Ich bin keine Prinzessin mehr!“

Ihre Antwort fiel etwas schärfer aus als beabsichtigt. Ihre Reaktion rührte jedoch nicht daher, dass sie nicht daran erinnert werden wollte, früher einmal die Nachfolgerin ihrer Mutter, der Königin der Wogenden Wipfel, gewesen zu sein. Vielmehr erinnerte sie dieser Titel an das Verhalten ihrer Mutter und ihrer ehemaligen Mitschwestern beim Kurtai der Amazonenclans.

Ob mittlerweile eine Entscheidung getroffen worden war? Und wenn ja, welche? Hatten Tilseg und die anderen es geschafft, einen Friedensschluss zu erreichen, oder standen nun alle Clans geschlossen gegen die Astronauten? Ronja versuchte diese düsteren Gedanken abzuschütteln und bestieg wieder ihren Säbelfanten.

„Genau wie du und die anderen Clanfrauen habe ich meine Vergangenheit zurückgelassen, als ich mich den Astronauten anschloss.“ Ronja versuchte ihre Stimme versöhnlich klingen zu lassen. „Und für feige halte ich dich nicht. Jeder, der den Wunsch verspürt, dieser Kreatur zu folgen, um ihr zu begegnen, ist ein Narr mit Todeswunsch.“

Weitere Rufe signalisierten, dass eine andere Schneise gefunden wurde und unterbrachen damit die sich entwickelnde Unterhaltung.

„Na, wollen wir hoffen, dass es diesmal die richtige Spur ist. Wir verlieren einfach viel zu viel Zeit bei der Suche!“

Mit einem leichten Druck beider Knie signalisierte sie Rufus, dass es weiterging. Schon setzte sich der große Säbelfant in Bewegung und trabte den Wildwechsel entlang.

Die zurückbleibende Amazonenkriegerin blickte der Rothaarigen noch etwas hinterher, während sie zu ihrem Pferd ging. Sie erschrak sichtlich, als mehrere andere Säbelfanten, unerwartet aus dem Unterholz brachen. Zuvor hatte sie die Tiere nicht bemerkt. Das war unheimlich. Ihre Anspannung löste sich etwas, als die Räuber ihre Anwesenheit schlicht ignorierten und der Säbelfantenreiterin fast lautlos folgten.

„Für die Astronauten und unserer Königin“, flüsterte sie und bestieg ihr Reittier. „Und im Namen unserer Prinzessin“, fügte sie noch ein wenig leiser hinzu, während sie Ronja und ihrem Rudel noch einen Moment ehrfürchtig nachblickte. Dann erst folgte sie ihnen ebenfalls.

4. Ingbold

Lektor Ingbold saß im Schneidersitz auf dem Boden der großen Halle, den Kopf seines Freundes und Weggefährten Sven Erikson in seinem Schoß gebettet, und betrachtete die angespannten Züge des Schlafenden. Hier zu schlummern war eigentlich schon recht ungewöhnlich.

Man musste hier nicht ausruhen, auch wenn man es konnte. Aber so recht müde wurde man in Hiriko Tanakas eigenem kleinen Reich nie. Bis auf Sven, der nun schon eine gefühlte Ewigkeit auf seinen Beinen ruhte, ohne Anstalten zu machen, aufzuwachen. Aber besser so als das andauernde Geschrei, dachte der Magier und schaute sich um.

Außer einem Tisch und den Überresten eines Stuhls, die überall verstreut herumlagen, besaß der gewaltige Raum, in dem die beiden Männer sich befanden, keine anderen Möbel. Eine Holzschale mit hölzernem Obst und ein Schachbrett mit Figuren, bildeten die einzigen anderen Gegenstände hier. Das Spiel, von Ingbold höchstpersönlich fein säuberlich auf dem Tisch aufgestellt, wartete schon länger darauf, dass sein Freund wieder zu Verstand kam.

Alles in allem war es hier ziemlich karg und leer, wären da nicht noch die Zaubersprüche, die sich hier, anders als in der echten Welt üblich, personifiziert hatten. Zunächst einmal waren da die Körperteile. Vom Augapfel, Hirn und Ohr war weit und breit keine Spur auszumachen, aber die schwarze Hand trippelte gerade aus dem Lichtdunst, der hier überall um Ingbold herum gleichmäßig erstrahlte.

Das Licht schien nicht so wie es das normalerweise tat und warf auch keine Schatten. Trotzdem war es da. Überall. Nur nicht dort, wo die Zauber waren, die so wie ein Negativabdruck im Licht erschienen.

Die Hand trippelte nun zielstrebig auf ihren Fingern in Ingbolds Richtung und schien sich regelrecht zu freuen, die beiden Männer aufgespürt zu haben. Sie beschleunigte. Doch lange, bevor die Schattenkreatur auch nur einen der Beiden erreichen konnte, jagte ein weiterer Zauberspruch heran und verschlang den wild zappelnden Körperteil in einem einzigen Happs.

Die Schattenkatze war noch größer geworden, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Das entging Ingbold keineswegs. Allerdings wuchs sie bis vor kurzen nur noch unmerklich. Nicht dass dieser Spruch nicht bereits erschreckend genug angewachsen wäre. Der körpergewordene Zauber wies mittlerweile eine Schulterhöhe auf, die Ingbold fast doppelt überragte. Das war schon sehr beängstigend.

Bisher hatte das Zauberwesen aber seinen Dienst treu erfüllt und jeden Schadzauber wie die Körperteile, den Wurm und die Stachelkugel anstandslos gefressen, ihn und Sven aber unbehelligt gelassen. Leider blieben die Zauber nicht fort, sondern erschienen nach einer Weile einfach erneut, wuchsen aus der Wand oder dem Boden.

Die Katze aber fraß diese Zauber, immer und immer wieder. Sie hatten alle einmal auf dem Lektor gelegen, um ihn daran zu hindern, bestimmte Dinge wahrzunehmen oder sich an bestimmte Gegebenheiten zu erinnern. Jetzt schlichen sie hier herum, um wieder einen neuen Wirt zu befallen, wenn sie seiner nicht sogar wieder habhaft wurden.

Trotzdem hatte Ingbold vor diesen Zaubern keine Angst mehr, gab es doch noch einen weiteren Zauberspruch, der sich hier irgendwo versteckte und nur herangeeilt kam, wenn es einer der Schadzauber geschafft hatte, doch wieder ihn oder seinen Freund zu befallen.

Das handflächengroße, zwölfbeinige, spinnenartige Schattengeschöpf kam sogleich angestakst und begann sein Werk, bis der andere Zauber wieder floh. Die Schattenkatze ließ auch diesen Spruch in Ruhe, was Ingbold für eine gute Fügung hielt.

Sie alle waren lange der gesamte Zoo in Hirikos Reich, ihn und Erikson eingeschlossen. Aber seit Kurzem gab es einen Neuzugang unter den Zaubersprüchen, dem zuvor einige Modifikationen seitens Ingbold an der Bannspinne vorausgingen. Das war wirklich nicht einfach gewesen, musste der Magier eingestehen. Waren doch Kräfte am Werk, die er nicht verstand. Die seltsame Magie war so fremdartig wie nichts zuvor in seinem Leben – oder auch seinem Leben nach dem Tod.

Das durfte er nicht vergessen. Auch wenn er hier in Hirikos Reich einen Körper besaß und auch wenn er hier zaubern konnte, wie er zu seiner eigenen Verwunderung feststellte, war er nur ein Geist. Genau genommen noch nicht einmal das, sondern nur der Splitter einer Seele.

Ein Fragment des Magiers, der bei seiner Abspaltung noch ein Lektor gewesen war und es bis zu seinem Tod zu einem hohen Magistertitel gebracht hatte. Und zu einem dicken, fetten Arschloch, musste Ingbold sich eingestehen. Er selbst wusste nun, dass seine Kernpersönlichkeit einen schweren Fehler begangen hatte, als er ihn und andere Fragmente seiner Seele voneinander trennte.

Magister Ingbold hatte diese Erkenntnis jedoch nie erlangt. Weder zu seinen Lebzeiten, noch danach. Sein altes Ego hatte versucht, seinen Freund Sven zu benutzen, um selbst über den Tod hinaus sein Ziel, ein Lich zu werden, erreichen zu können. Doch das war damals von der tapferen Goblinschamanin, einer kleinen Fee und der Dryade, in deren Heim sie nun steckten, verhindert worden.

Der Lektor musste unwillkürlich lächeln, als er daran zurückdachte, wie sein dickes, gealtertes Ebenbild scheiterte und schlussendlich ohne Macht und Möglichkeit, irgendetwas zu tun, in einer kleinen Öllampe landete, die er noch als Novize zu seinem ersten Seelengefäß gemacht hatte. Der Seelensplitter aber, der bis dahin darin steckte, landete schlussendlich in dem Artefakt, das aus seinem eigenen Totenschädel entstanden war und einen mächtigen Manaspeicher darstellte.

Es war schon eine Ironie des Schicksals, dass sein unerfahrenstes und überdies mit seinen Ängsten beladenes Ich den mächtigsten Seelenspeicher bewohnte, den Ingbold in seiner Gesamtheit und in seinem ganzen Leben erschaffen hatte. Der Lektor lächelte verschmitzt bei diesen Gedanken, schaute sich aber weiterhin suchend um. Nein, die Schattengestalt dieses neuen, exotischen Zauberspruchs war weiter nicht zu sehen. Das war gut, oder nicht?

Etwas an der fremdartigen Magie beunruhigte ihn sehr, ohne dass er benennen konnte, woran genau es eigentlich lag. Sie war irgendwie falsch und wirkte auf eine sonderbare, unterschwellige Art bedrohlich. Dem Lektor lief bereits ein kalter Schauder über den Rücken, wenn er nur daran dachte. So verging die Zeit. Ingbold hielt Ausschau, während er seinen Gedanken nachhing und über den Schlaf seines Freundes wachte und wartete.

Zwischenspiel

Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich fanden sie den Schlangenmenschen in dem kleinen, wandernden Zimmer des Turmes. Er wäre von Dragar und seinen Begleitern vermutlich übersehen worden, hätte der Schlangenmensch sich nicht selbst bemerkbar gemacht.

„Ssseid ihr dassssss da draussssssen?“, zischte es, als das Dreiergespann an einem der Durchgänge zum Schacht des Zimmers vorbeiging und sich dabei unterhielt.

„Asch? Bischt du dasch?“, entgegnete der Wolfsmensch und steckte seinen Kopf in den Schacht.

„Wasss sssoll diessse dumme Frage? Wer sssollte ich sssonst sssein?“

„Ach, schau an, er ischt esch tatschächlich.“

„Warum hat dasss allesss ssso lange gedauert? Wo habt ihr gesssteckt?“

„Waren unterwegs“, entgegnete der Minotaurus hohl.

„Dasss issst mir ssschon klar, Hornochssse. Holt mich hier rausss, ich will ssselbssst sssehen, wasss passssssiert issst.“

„Du scholltescht deine Schunge beschscher im Schaun halten, Asch. Der Meischter hat unsch schelber auschgeschandt.“

„Dasss weisss ich ssselbssst. Trotzzzdem, der Meissster hätte euch hier gebraucht!“

„Sollen wir die blöde Natter nicht einfach da drin lassen?“ Bo fletschte seine Zähne. „Soll er sich doch selbst befreien. Reden können wir auch so.“

„Dasss wagt ihr nicht. Der Meissster würde euch bessstrafen!“

„Der Meischter wird niemalsch mehr jemanden beschtrafen, Asch.“

„Wasss? Wiessso?“ Asss’ Stimme zitterte leicht. „Wasss issst gessschehen?“

„Der Meischter wurde gefreschschen. Dasch ischt losch.“

„Wasss? Dasss, dasss issst unmöglich. Unssser Meissster kann nicht sssterben!“

„Dasch erschähl’ du mal dem Scheischhaufen im Beschwörungschraum. Ich bin mir schiemlich schicher, dasch er zum groschschen Teil ausch unscherem Meischter beschteht. Aber jetscht schu dir, Asch. Erschähl einmal, wasch hier paschschiert ischt, alsch wir weg waren. Wir schind schon schehr geschpannt, wasch du schum Schutsch desch Meischtersch getan hascht und wiescho du nicht Teil desch Scheischhaufensch geworden bischt.“

„Befreit mich zzzuerssst!“

„Dasch würde dir scho paschschen. Nein schuerscht erschählscht du, wasch hier paschschiert ischt. Dann schehen wir weiter.“

Also berichtete die Schlange, was sich im Turm zugetragen hatte. Unter Protest und Geschimpfe zwar, doch ausführlich genug, dass Dragar sich ein passables Bild machen konnte.

Ihr Meister hatte die letzte Gefangene, die der Wolfsmensch und die anderen herbeigeschafft hatten, für ein Experiment auserwählt und im Beschwörungsraum eine Verschmelzung zwischen ihr und einem weiblichen Katzenwer vollzogen.

Der Zauber selbst hatte wohl auch genauso funktioniert, wie der Meister es beabsichtigt hatte, und dafür gesorgt, dass Mensch und Katzenwer miteinander verschmolzen und etwas Neues, Einzigartiges wurden. Dragar konnte sich zwar nicht daran erinnern, aber auch er und seine Begleiter hatten diese Prozedur durchlebt. Aus ihrer Perspektive gab es also nichts dagegen auszusetzen.

Nachdem der Meister seinen Zauber abgeschlossen hatte und seine neueste Kreation bewunderte, begannen die Dinge jedoch aus dem Ruder zu laufen. Das frisch erschaffene Geschöpf im Beschwörungskäfig hatte getobt und sich immer wieder gegen die magisch verstärkten Gitterstäbe des Käfigs gestemmt.

Auch das war an und für sich nichts Ungewöhnliches. Die meisten neuen Geschöpfe des Meisters reagierten auf ihre Erschaffung in der Regel erst einmal sehr extrem, doch dieses Wesen war noch radikaler. Das Letzte, was Asss als Augenzeuge gesehen hatte, war, wie sich die Gitterstäbe des Käfigs unter heftigen Entladungen der Magie, die sie verstärkten, zu verbiegen begannen. Der Meister seinerseits hatte versucht, die Macht des Gefängnisses der Kreatur aufrechtzuerhalten. Der Schlangenmensch jedoch, der bei dem Ganzen nur eine Zuschauerrolle eingenommen hatte, hielt es für angebracht, den Rückzug anzutreten, bis der Meister die Situation bereinigt hatte.

Also war er zum Aufzug geschlängelt, um sich in Sicherheit zu bringen. Alles schien gut zu laufen und der Raum setzte sich langsam in Bewegung, doch mitten in seiner Fahrt wurde der Turm plötzlich von mehreren schweren Stößen durchdrungen. Alles wackelte und sein Fluchtgefährt hielt plötzlich an. Seitdem steckte er fest, egal wie sehr er auch an den Seilen zerrte, die die Kammer normalerweise in Bewegung versetzten.

Hier hatte er ausgeharrt, bis die Erschütterungen und das Geschrei aufgehört hatten. Er hatte darauf verzichtet, sich durch Rufen oder Klopfen bemerkbar zu machen, da er nicht wusste, was draußen vor sich ging und wer ihn hören würde. Stattdessen rollte er sich in eine Ecke der Kammer zusammen, lauschte und wartete, bis er schließlich einschlief. Später hörte er dann Dragar und die anderen und rief nach ihnen.

„Dasss issst allesss, wasss ich weissssss“, beendete Asss seine Schilderung schließlich.

„Du bischt jämmerlich, Asch. Wischo bischt du nur scho ein elender Feigling?“

„Ich bin dasss, wasss der Meissster ausss mir machte. Wie ihr auch. Aber wasss issst jetzzzt mit euch? Lasssssst ihr mich jetzzzt frei?“

„Also ich finde, wir sollten ihn einfach da lassen, wo er ist. Die feige Natter ist den Aufwand nicht wert.“

„Aber ihr habt esss versssprochen!“

„Daran muscht du mich nicht erinnern“, tadelte Dragar den Schlangenmenschen, bevor er sich dem Bär zuwandte. „Esch schtimmt. Er ischt ein unverbeschscherlicher Feigling, aber er ischt auch einer von unsch. Jetscht, da der Meischter tot ischt, haben wir nur noch unsch.“

„Krogar, geh in den Keller und befrei den Schischscher.“

„Ja, Dragar.“

Der Stiermensch stapfte über die Wendeltreppe des Turms, die er gerade noch so benutzen konnte ohne stecken zu bleiben, tiefer in die Eingeweide des Gebäudes. Gelegentlich kratzten seine Hörner an der Decke entlang, doch diesen Umstand ignorierte der Muskelberg einfach, bis er im zweiten Kellergeschoss den Raum fand, den er suchte. Die Kreaturen, die hier normalerweise je an einem der vier Arme des Mechanismus’ festgekettet hausten, waren verschwunden und so drehte der Minotaurus höchstpersönlich eine halbe Runde, bis er glaubte, die fahrende Kammer genug bewegt zu haben. Während er wieder hinaufstapfte, begrüßte Dragar den beinlosen Schlangenmenschen persönlich, als er sich aus dem Fahrstuhl schlängelte.

„Scho schieht man schich wieder, wasch Asch?“, feixte der Wolfsmensch schadenfroh.

„Ssso issst esss. Bissst du wirklich sssicher, dassssss der Meissster tot issst?“

„Schicher. Aber wenn du dich schelbscht überscheugen möchtescht, kannscht du gerne in den Beschwörungschraum gehen, um nachschuschehen.“

„Also ich verzichte!“ Bo rümpfte seine Nase. „Ich würde lieber wissen, was wir jetzt machen?“

„Ich weisch auch nicht scho genau. Der Turm war immer unscher Schuhausche. Aber ich beschweifle, dasch er esch noch ischt, jetscht, wo der Meischter tot ischt. Ich denke, wir werden unsch etwasch anderesch schuchen. Vielleicht schauen wir unsch schunächscht einmal unscher neueschtesch Familienmitglied etwasch genauer an.“

„Willssst du unbedingt sssterben?“

„Dasch nicht. Aber auch wenn esch unscheren Meischter aufgefreschschen hat, scheint esch eine Art Familienschinn schu beschitschen.“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Schind euch die Käfige nicht aufgefallen?“

„Die im Beschwörungsraum?“

„Nein. Ich meine die Verliesche unten, da wo wir die Menschenjungen eingeschperrt haben.“

„Wasss issst mit ihnen?“, wollte Asss nun wissen.

„Sie sind fast alle leer“, erklärte Bo.

„Genau! Dasch schich die anderen schelber befreit haben, ischt unwahrscheinlich, alscho hatten schie Hilfe.“

„Dasss issst doch Wahnsssinn“, zischte Ass.

„Also, ich hab gerade keine bessere Idee. Von mir aus schauen wir mal, was der Meister da zusammengezaubert hat. Danach können wir uns ja entscheiden, was wir dann machen.

„Scho schehe ich dasch auch. Lasch unsch alscho gehen. Wasch ischt mit dir Asch?“

„Ihr ssseid verrückt!“

„Schicher, wenn du dasch schagscht.“ Der Wolfmensch grinste breit, so breit, dass jeder seiner zahlreichen Zähne gut zu sehen war. „Wir warten alscho drauschen auf dich. Verabschiede dich vom Scheischhaufen und dann geht esch weiter.“

5. Boris

Die haarigen Kreaturen hießen Layfane. Soviel hatte er verstanden. Nun ja, wenn man es genau nahm, hatte er nicht verstanden, sondern vermutete es nur. Dieses eine Wort fiel immer wieder, während sich Faqech gemeinsam mit einzelnen Männern und Frauen ihres Trupps mit den Amazonenkriegerinnen der Küstenjäger unterhielt.

Wieder einmal schimpfte Koschkin über sich selbst. Er hatte sich seinen Hintern eigentlich genug platt gesessen. Hätte er weniger Zeit mit Grübeln und mehr Zeit mit Lernen verwendet, wäre er vielleicht in der Lage gewesen, der Unterhaltung wenigstens halbwegs zu folgen. So aber blieb das Gefasel für ihn ohne Sinn.

Allzu viel Zeit zum Quatschen hatten sie indes nicht, denn die Angreifer waren fleißig dabei den Geröllhaufen, der sie aufhielt, beiseite zu schaffen. Auf ihrer Seite des Haufens waren einige ihrer Leute im Gegenzug damit beschäftigt, der Barrikade weitere Hindernisse hinzuzufügen.

Diese Materialschlacht würden sie jedoch auf kurz oder lang verlieren, da schon die Mehrzahl der potentiellen Gegenstände in dem Sammelsurium steckte, das sie schützte. Als Fang sich endlich aus der Gesprächsrunde löste, war der Kommandant mit seiner Geduld schon fast am Ende gewesen.

„Also was ist hier los?“, überfiel er die Goblinin, sobald sie auf ihn zukam.

„Die Kriegerinnen wissen es selbst nicht so genau, würde ich sagen.“

„Wieso? Sie sind es doch, die angegriffen werden. Wenn sie es nicht wissen, wer dann?“

„Sie wissen, dass die Wesen Layfane sind und auch woher sie stammen.“

„Das ist doch schon einmal ein Anfang.“

„Eigentlich nicht. Die Kreaturen sind Geschöpfe des Waldes an der Südgrenze ihres Territoriums. Sie sind im Grunde harmlos und nicht besonders schlau.“

„Gut, Zweiteres glaube ich auch. Aber harmlos? So wie die hier reingestürmt sind! Ich bitte dich.“

„Das ist es ja. Eigentlich verlassen Layfane den Wald nicht. Und wenn, entfernen sie sich nicht weit von ihm. Die Küstenjäger haben ein paar kleine Siedlungen in der Nähe der Waldgrenze, die gelegentlich von Layfanen berichtet haben. Aber das waren einzelne oder nur eine kleine Gruppe von ihnen, die es auf die Ernte oder ein Tier des Viehbestandes abgesehen hatten. Bis hierher sind sie noch nie gekommen. Erst recht nicht in so großer Zahl.“

„Weißt du, wie viele es sind?“

„Wenn die Frauen nicht übertreiben, befinden sich einige Hundert von ihnen in der Festung.“

„Da stimmt doch was nicht. Wie passt das mit dem zusammen, was die Küstenjäger erzählen?“

„Das ist es ja. Es passt nicht. Das wissen sie auch. Sie glauben, dass irgendetwas die Layfane aus dem Wald treibt.“

„Und was?“

„Das wissen sie auch nicht.“

„Toll.“ Koschkin fluchte, während er seine Gedanken sortierte. „Wir reden vom dem gleichen Wald, in dessen Nähe Ashley vermutet wird, nicht wahr?“

„Ja. Aber du glaubst doch nicht, das sie die Layfane vertrieben hat, oder?“

„Ich weiß es nicht. Aber ich würde gerne wissen, was Ronja gefunden hat, nachdem sie in dem Amazonendorf dort angekommen ist.“

„Du weißt, dass draußen niemand lange überleben kann, solange der Sturm und die Drachenkämpfe anhalten.“

„Ja, ich weiß. Aber mir gefällt es nicht. Egal, das ist eine andere Sache. Was sagen die Amazonen nun zu uns. Wollen sie unsere Hilfe jetzt weiter oder nicht?“

„Ich weiß es nicht so genau.“

„Was? Wieso?“

„Ich verstehe auch nicht alles, was gesprochen wurde. Ich weiß nur, dass die Küstenjäger sich uneinig sind, was sie von uns halten sollen.“

„Wir haben ihnen doch gerade erst den Arsch gerettet!“

„Ja. Aber nicht alle glauben, dass wir das aus Selbstlosigkeit getan haben.“

„Das nenn’ ich ziemlich undankbar“, sagte Koschkin.

„Vielleicht. Aber ich glaube eher, dass es verletzter Stolz und Unsicherheit ist. Wenn ich die Kultur der Amazonen richtig verstanden habe, muss das Hilfegesuch der Kriegerin, die wir im Tunnel fanden, ein verzweifelter Akt gewesen sein. Gleichzeitig ist das Eingeständnis, die heimatliche Burg nicht allein verteidigen zu können, eine schmerzhafte Schmach. Und dann sind keine anderen Amazonen, sondern wir aufgetaucht, um zu helfen.“

„Jaja. Ich verstehe was du meinst.“ Der Russe verstellte seine Stimme, so dass sie hoch und quiekend klang, als er sagte: „Hilfe, ich brauche Hilfe, sonst sterbe ich! Oh nein, ein Mann stellt sich an meiner Seite. Das wird meine Ehre nicht ertragen, lieber werde ich sterben.“

„Merk’ dir diese Tonlage. Damit dürfte sich dein Quägch deutlich besser anhören.“

Die trockene Erwiderung der Goblinin brachte Boris aus dem Konzept und wieder zur Sache.

„Ach, Fang. Ich habe die Nase voll von dieser dummen Denkweise, die uns hier immer wieder unterkommt. Ich würde sie am liebsten mit ihrem Mist allein lassen.“

„Das verstehe ich gut. Vielleicht überwachst du einfach die Aufrechterhaltung der Barrikade und ich versuche eine klare Antwort von den Frauen hier zu erhalten.“

„Gut. Viele Alternativen haben wir eh nicht.“

„Wir könnten sie stehenlassen und wieder gehen“, schlug Faqech vor. Als Koschkin sie entgeistert anblickte, grinste sie. „Wusste ich doch, dass du sie nicht im Stich lassen willst.“

Der Russe fluchte und ging zur Barrikade. Fang konnte langsam in ihm lesen wie in einem Bilderbuch. Das passte ihm irgendwie gar nicht.

6. Junior

In vorsichtigen und gemessenen Schritt ging Junior durch das für ihn knöchelhohe Gras. Der junge Oger war Hirikos Ziehsohn, seit seine Eltern während der Kämpfe um die Sklavenarena gestorben waren, in der Boris Koschkin gefangen gehalten wurde.

Der große, untersetzte Muskelprotz war nicht sonderlich intelligent, doch der Dryade treu ergeben und in tiefer Liebe verbunden. Dass sie ihn darum bat sie zu begleiten, hatte ihn begeistert und er war mit Feuereifer bei der Sache.

Obwohl er keine Ahnung hatte, was es mit dem zerbrechlichen Ästchen auf sich hatte, das er hütete, wusste er, dass es seiner kleinen Mutter ausgesprochen wichtig war. Entsprechend sorgfältig ging er mit seiner kostbaren Fracht um. Neben Hiriko und ihrer Freundin Nirilis begleitete sie auch noch ein mächtig großer, grüngold geschuppter Drache.

Junior hätte ja gerne versucht, auf ihm zu fliegen, wie er es einmal bei einem Silberdrachen gemacht hatte. Aber seine Mutter wollte das nicht. Also ließ er es sein und versuchte es gar nicht erst. Fliegen hatte ihm gefallen, auch wenn der Silberdrache seine Anwesenheit auf sich nicht so toll fand und ihn ständig abwerfen wollte. Der sausende Wind und die Höhe. Das Gefühl bei jeder engen Kurve und den Loopings. Das war schon toll gewesen. Trotzdem. So dumm, nicht auf seine Mama zu hören, war nicht mal ein Oger!

Die beiden Dryaden begleiteten ihn die ganze Zeit über, während der Drache kam und wieder ging, wie es ihm gefiel. Gerade war er wieder unterwegs, als Junior eine Gruppe Reiter bemerkte. Auch die Fremden schienen auf ihn aufmerksam geworden, denn sie änderten ihre Richtung und steuerten nun genau auf ihn zu. Ein Blick zu seiner Mutter zeigte ihm, dass auch sie die Reiter spürte. Lächelnd schaute sie zu ihm empor.

„Keine Angst, mein Kleiner. Wir haben mit den Amazonen Frieden geschlossen. Die Frauen da vorne wollen bestimmt nur wissen, was wir hier treiben und dann werden sie ihrer Wege ziehen.“

Junior nickte und ging weiter. Der Oger verstand die Sprache Hirikos nicht, doch der Sinn ihrer Worte erschloss sich ihm, als wäre es das Natürlichste der Welt. Früher hatte Hiriko ihn dafür berühren müssen, aber in der Zwischenzeit verstand er sie auch so.

Während sich die Reiterschar immer weiter näherte, geschah etwas anderes, was Juniors Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ein Schemen, mehr ein Flackern der Luft als eine richtige Gestalt, erhob sich wie Morgendunst aus den Gräsern und waberte langsam auf ihn zu. Erstaunt und etwas verunsichert hielt der Oger an und fixierte die seltsame Erscheinung.

„Da ist sie“, jubelten Nirilis und seine Mutter zeitgleich.

Gut. Anscheinend war alles in Ordnung. Junior wartete und beobachtete, wie die Dryaden den Schemen umringten und auf ihn einredeten. Die Erscheinung aber glitt nur stumm und langsam weiter auf ihn zu. Nun wurde es ihm doch mulmig. Trotzdem rührte er sich nicht, sondern vertraute blind darauf, dass Hiriko auf ihn aufpasste.

Einen Moment spürte Hirikos Ziehsohn Erleichterung in sich aufsteigen, als er in dem Hauch aus Nichts eine weitere Dryade erkannte. Doch die unnatürliche Kälte, die sie mit sich brachte, verstärkte sein Unwohlsein erneut und ließ ihn schaudern.

Obwohl auch seine Mutter ein Naturgeist war und er sich an Nirilis gewöhnt hatte, waren ihm Geisterwesen nach wie vor ein wenig suspekt. Jedenfalls die, die nicht seine Mutter waren. Man konnte sie nicht einfach zerquetschen, wenn sie einem Angst machten. Das allein reichte aus um ihnen ein gewisses Misstrauen entgegenzubringen. Das war jedenfalls seine Meinung.

Unschlüssig, ob er nun zurückweichen sollte oder nicht, suchte er den Augenkontakt zu seiner Ziehmutter und versuchte ihre Mimik zu deuten. War sie überrascht, oder besorgt? Angst war das nicht oder doch?

Junior fiel es immer noch schwer die feinen Züge der kleinen Leute zu lesen. Seine Mutter bildete keine Ausnahme. Bei den Orks war es für ihn noch am einfachsten ihre Minen zu deuten. Während er noch darüber grübelte, was Hirikos aufgerissener Mund und Augen bedeuten konnten, war der Naturgeist bereits zu ihm aufgeschlossen.

Die Kälte biss ihn regelrecht in die großen schaufelartigen Hände und seinen Bauch, an dem er den in einen Lederbeutel verstauten Pflanzenballen behutsam presste. Reif bildete sich auf dem einzelnen Blatt und den beiden zarten Trieben, die der Ast vor kurzem erst entwickelt hatte. Auch seine Hände überzogen sich mit feinen Eiskristallen, während sein Bauch so sehr schmerzte, dass er sich ein wenig krümmen musste und laut rülpste.

„Kalt“, bibberte der nun frierende Oger in der harten Sprache seines Volkes und begann mit den Zähnen zu klappern. Eilig kam Hiriko zu ihm herangehüpft und berührte seine eisigen Glieder.

„Armer Schatz. Armer, armer Schatz.“

„Hast du das gesehen?“

„Ja, habe ich. Was ist mit Drya passiert?

„Das war wirklich unheimlich.“

„Stimmt. Meinem armen Kleinen ist ganz kalt und die Pflanze ist sogar gefroren.“

„Heißt das, es war alles umsonst?“

Manchmal verzweifelte Hiriko an Nirilis’ Fragen. „Woher soll ich das wissen?“

„Weiß auch nicht. Aber was machen wir jetzt?“

„Wir müssen sie irgendwie vorsichtig wieder auftauen, bevor sie eingeht.“

„Super! Eine Runde Gruppenkuscheln!“

Hiriko seufzte und wollte schon die Augen verdrehen, als sie verstand, was Nirilis meinte. Wenn sie ganz stofflich waren, besaßen sie eine Körpertemperatur und konnten damit Wärme abgeben.

Ganz vorsichtig, darauf bedacht, die nun noch zerbrechlichere Pflanze nicht zu verletzen, kuschelte sie sich an einen Arm ihres Ogers und versuchte so viel Wärme wie möglich an ihn und den Zweig weiterzugeben. Nirilis schmiegte sich an die andere Seite. Junior grinste dümmlich und klapperte dabei weiter mit den Zähnen, während er auf die beiden Dryaden herabblickte.

Indes näherten sich die Reiter weiter.

7. Ronja

Die Sichtung des Gebäudes hatte Ronja und ihren Leuten Mut gemacht, doch dies war nur von kurzer Dauer. Der Turm, den sie erreicht hatten, erhob sich inmitten des sich sonst scheinbar unendlich erstreckenden Waldes wie ein dicker steinerner Bau, dem ein zu groß geratener Specht schwer zu Leibe gerückt war.

Ein schmales Gebiet um den Turm herum war von Büschen und Bäumen freigehalten worden. Vielleicht würde man sogar sagen, dass sich das Gebäude im Zentrum einer kleinen Lichtung befände, hätten die Baumriesen ringsumher nicht jeden Fitzel Himmel zurückerobert. Von ihrer Position aus konnte sie nur einen Teil des Gebäudes sehen, das dann in dem dichten, höher liegenden Blätterdach verloren ging. Etwas tiefer unter dieser Decke prangte ein ordentliches Loch im Gemäuer. Dieses Indiz war jedoch nicht das Einzige, was auf schweren Ärger vor nicht allzu langer Zeit hindeutete. Ein ebenso klarer Hinweis waren die zahlreichen Layfanleichen. Etliche lagen einzeln verstreut, teils auch in kleinen Grüppchen um den Fuß des Turmes herum. Die meisten Kreaturen schienen gänzlich unverletzt, was jedoch an ihrem Zustand nicht viel änderte. Sie waren und blieben tot. Allesamt. Das Fehlen einer offensichtlichen Todesursache ließ Ronja mit besonderem Bedacht vorgehen, auch wenn sie am liebsten sofort das Gemäuer gestürmt und es nach Ashley durchkämmt hätte. Doch hier war Zauberei am Werk, da war sie sich fast sicher.

Eins hatte sie gelernt, seit sie Ashley kennengelernt hatte. Bei Magie musste man mit allem rechnen. Also unterdrückte sie ihren Impuls und ließ stattdessen Freiwillige als Späher vorausgehen. Angespannt hatte sie das Vorankommen ihrer Leute beobachtet und war ehrlich erleichtert, als sie schließlich den Eingang des Gebäudes erreichten, ohne von einer magischen Falle niedergestreckt zu werden.

---ENDE DER LESEPROBE---