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Januar 1946 befindet sich mein Großvater Erich in einer verzweifelten und hoffnungslosen Situation. Meine Großmutter Liese liest sein Tagebuch und kommt auf die Idee, Erichs erste große Liebe, die Toni, einzuladen. Dieses Märchen erzählt, welche erstaunlichen Ereignisse sich durch diesen kleinen Kunstgriff ergeben. Verfestigte Familienstrukturen geraten ins Wanken. Schafft Erich den Sprung ins Leben? Wie reagieren seine Kinder?
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Seitenzahl: 105
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Einleitung
Wenn es ihn doch nicht mehr gäbe!
Erich verliert seine Selbstbeherrschung!
Es waren zwei Königskinder….
Er schnurrte kalt die Ereigenisse seines Lebens herunter
Wo bleibt Toni?
Rendézvous aus der Ferne
Toni ist krank
Der Deutschaufsatz 1899 und 1946
Wir haben im Krieg alles geopfert!
Ich habe dich lieb!
Man kann nur Frauen liebhaben
Er konnte noch nie Verrückte aushalten!
Jochens und Tonis Gespräch
Der Albtraum
Erich macht einen Vorschlag
Erich hält eine Rede
Jobst und Erich Geraten Aneinander
Irgendwas macht sie immer falsch!
Ich werde die suppe auslöffeln!
Dem Sohn auf der Spur
In der Hütte des Holzfällers
Wie ein orangener Pfeil schoss das tier davon
Erich, bring das mit Aldi in Ordnung!
Du Hättest Pfarrer werden können!
Er kannte das Wiegenlied
Im Winter 1945/46 war die gesundheitliche und die gesamte Situation von Erich so furchtbar, dass es, mit den Worten einer nahen Verwandten „nicht auszuhalten war.“
In einer kalten Januarnacht nahm er dann eine Überdosis Opium, und wenige Tage später verstarb er, am 17.01.1946, in einem Krankenhaus in Wernigerode.
In diesem Buch kommt es jedoch inmitten seiner trostlosen Situation zu einer unerwarteten Wendung.
Seine Frau Liese liest sein Tagebuch und kommt auf die Idee, Erichs erste große Liebe, die Toni, einzuladen. Was sich daraus entwickelt, erzählen die Seiten dieses Märchens.
Januar 2018
Brigitte Klotzsch
Erich wollte wie immer in dem ungeheizten eiskalten Esszimmer aufstehen und seiner Frau helfen, Lebensmittel zu besorgen, wenigstens das.- Er hatte sehr wohl bemerkt, wie klaglos sie seine Rest-Familie versorgte und so machte er sich ein wenig nützlich und tätigte Besorgungen. Als er sich erheben wollte, sank er unter Stöhnen wieder zurück in seinen Stuhl. Das Rheuma quälte ihn so, dass es unerträglich war. Es war so feucht, so klamm, so kalt in diesem Haus, dass er sich unter äußerster Willensanstrengung zwang, aufzustehen und sich unter unerträglichen Schmerzen in das einzig warme Zimmer zurückziehen wollte, das es in diesem Haus nach dem unseligen Krieg gab, nämlich sein Studierzimmer, sein Herrenzimmer .
Er war kaum Herr seiner selbst, als er unter unsäglichen Schmerzen in sein Zimmer torkelte. Jochen kam ihm entgegen, mit der Leichtigkeit, die junge Menschen so an sich haben, weil sie gesund sind. Ihm wollte er diese seine Schwäche gar nicht zeigen! Aber er hatte sie schon entdeckt und fragte hilfsbereit: „Vati, soll ich dir in dein Zimmer helfen?“ Erich sagte verbittert matt: „Junge, mir ist nicht mehr zu helfen. Hilf lieber deiner Mutter, die hat deine Hilfe bitter nötig!“ Jochen nickte, öffnete dem Vater aber trotz der deutlichen Anweisung seine Tür rückte ihm den Sessel zurecht und deckte ihn, nachdem er dort hineingesunken war, mit warmen Decken zu. Er sagte: „Vati, die Wolle, die kratzt dich warm! Bei mir tut sie das auch!“ Mit seinem kurzgeschorenen Lockenkopf, den er mit seinen 16 Jahren immer noch hatte, schaute er seinen Vater so treuherzig an, dass der Kranke schmerzverzerrt lächeln musste und sagte leise: „Ja, mein Junge, ich kratze mich warm. Dank dir, aber geh der Mutter helfen. Ja?“ Jochen nickte, verbeugte sich leicht vor seinem Herrn Vater und verschwand, nachdem er die schwere Eichentüre zugeschlagen hatte. Seine Schritte verhallten im Flur .
Der ehemalige Landrat sackte in sich zusammen. Nun gab es keine Würde mehr zu verteidigen. Er konnte sich seinem ganzen Elend hingeben! Was war das für ein Leben? Er hatte keine Arbeit mehr, nutzte seiner Familie nichts mehr, machte ihr nur Arbeit und Scherereien. Wie viel besser wäre es, es gäbe ihn nicht mehr! Er hatte längst die Hoffnung verloren, dass er jemals erlöst würde von den entsetzlich kneifenden Magenschmerzen, von der nagenden Kälte, die bis ins Innerste der Knochen strahlte und den immer schmerzenden und nicht mehr funktionierenden Gelenken. Die Schmerzen waren so schlimm, dass er bei jedem Schritt laut schreien könnte. Es erinnerte ihn an die Kälte und Aussichtslosigkeit im Schützengraben, damals 1914 an der Westfront. Er wischte den Gedanken daran fort. Mit niemandem hatte er jemals darüber gesprochen. Und das würde er auch nie tun. Damit wollte er das zarte Geschlecht nicht belasten! Er nahm sich zusammen, dachte nicht mehr an diese elenden Schützengräben und vermied es, den anderen die entsetzlichen Schmerzen zu zeigen, die ihn bei jedem Schritt befielen.
Als er so alleine in seinem Gemach weilte, überfiel ihn sein Elend mit Macht. Er sackte in sich zusammen, gepeinigt von den Schmerzen in den Gelenken und dem nagenden dolchartigen Schmerz im Magen, der ihn in seiner Körpermitte durchbohrte, so dass er laut aufstöhnte. Er konnte das Stöhnen nicht unterdrücken, war es doch ein zurückgehaltener Schrei.
Liese stieß die Türe auf und fragte: „Erich, ich merke so sehr, wie du leidest. Sollen wir nicht nochmal einen Arzt konsultieren?“ Verbittert antwortete der Gatte: „Du weißt genau, dass mir keiner mehr helfen kann. Die Ärzte sind mit ihrer Kunst am Ende. Ich bin verloren, das weißt du auch. Jetzt geh an deine Arbeit!“ Liese steuerte unentschieden auf die Tür zu. Erich sagte verärgert: „Tu, was ich dir sage. Du wirst woanders nötiger als von mir gebraucht!“ Liese kniff den Mund zu einem schmalen Spalt zusammen und sagte mit gepresster Stimme: „Erich, ich geh ja schon!“ Sie verschwand hinter der schweren Türe. Erich schnitt es in den Magen, nicht ins Herz. Es war als ob sein Herz sich im Magen verkrochen hätte und mit ihm gemeinsam an all den Schnitten litt und den großen Kampf um die Liebe verloren hätte. Er verlor den Mut. Verzweifelt fragte er sich, ob er zu grob zu Liese gewesen wäre.
Da öffnete sich die schwere Tür ganz sachte. Er richtete sich automatisch auf. Seine großen Kinder waren inzwischen flügge, Jochen und Liese würden bestimmt nicht wagen, zu ihm zu kommen, wer mochte ihn da stören kommen?
Ein grauhaariger Kopf steckte sein lächelndes Gesicht durch den Türspalt, dahinter schob sich eine schlanke, nicht mehr junge, aber hübsche Gestalt hinein. Sie ging Schritt für Schritt auf ihn zu. Erich wich zurück, das konnte nicht sein. Das war ein Spuk! Er zitterte, der Schweiß stand ihm auf der Stirn und lenkte ihn ab von all den Schmerzen, die sein Leben bestimmten. Er erhob sich schwankend aus seinem Sessel und verbeugte sich.
Er sank wieder in seinen Sessel zurück. Er zitterte am ganzen Körper. Er war verzweifelt, er konnte das Zittern nicht stoppen. Seine Stimme war so heiser, dass man sie kaum verstehen konnte. Er stotterte sogar und brachte nur mühsam hervor: „T-t-t-t-oni, b-b-b-ist, d-d-d-u’s?“ Dann verließ ihn das Bewusstsein, alles drehte sich und ihm wurde schwarz vor Augen.
Als er wieder zu sich kam, sah er in die besorgten Gesichter von Toni, Liese und Jochen. Sie zerrten an ihm, die Frauen an seinen Armen und Jochen an seinen Beinen. Sie trugen ihn tatsächlich ins Schlafzimmer. Dort ließen sie ihn aufs Bett sinken und Jochen deckte ihn mit zehn Decken zu, das war das Mindeste, was er brauchte, um im eisigen Schlafzimmer nicht zu erfrieren. Dann entfernten sie sich auf Zehenspitzen und schlossen ganz leise die Tür.
Er lag da auf seinem Bett, völlig hilflos, eiskalt wie in einem Sarg, wie von allen verlassen. Es schnitt ihm so ins Herz, oder war es der Magen, dass er laut aufbrüllte wie ein verwundeter Tiger. Er konnte nicht anders, er konnte die Schreie nicht zurückhalten. Je mehr er es versuchte, um so lauter schrie er. Er schrie so laut und so erbärmlich, wie er es noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte. All seine Selbstbeherrschung, auf die er so stolz war, ging verloren. Er schrie wie ein Verrückter, er schrie nach Liebe, er schrie nach Gesellschaft, er schrie nach Toni. Immer deutlicher formte sich zu einem einzigen Schrei der Name: Toni. Der Schrei: Toni wurde immer lauter und verlangender, dass die drei Menschen, die sich so um ihn sorgten, es anhörten.
Die Tür öffnete sich und die Drei standen an der Schwelle. Als sie auftauchten, konnte Erich abrupt mit dem Schreien aufhören. Er keuchte: „Ich lass dich nicht nochmal gehen, ich lass dich nicht nochmal gehen. Nicht noch einmal!“
Jochen war es, der als erster die Fassung wiederfand. Er sagte: „Vati, dein Gebrüll weckt Tote auf. Wundere dich nicht, wenn gleich deine Mutter und dein Vater auch hier eintreten!“ Erich sank in sein Kissen zurück und wimmerte: „Ich will ins Warme, ich will raus aus der Gruft, raus aus dem Totengraben, raus! Ich will ans Feuer!“ Die beiden Frauen schauten sich an und Liese fragte: „Erich, kannst du denn aufstehen?“ Erich schaute sie verwundert an und sagte: „Warum soll ich denn nicht aufstehen können?“ Jochen rief: „Dann steh auf, Vater, steh auf!“ Erich warf die Decken von sich, richtete sich auf und stöhnte: „Es ist grabeskalt, Grabeskälte, ich kann das nicht aushalten!“ Liese sagte zu Jochen: „Hole Vaters Wintermantel, schnell!“
Jochen erschien mit dem dicken Mantel, sie umhüllten den Vater damit und zu Dritt schafften sie es , in sein warmes Zimmer zu gehen und ihn in seinen Sessel zu verfrachten. Jochen hüllte ihn in drei Decken ein, das genügte im Herrenzimmer. Dann traten alle Drei einen Schritt zurück und schauten den Erich an. Toni sagte nur ein Wort: „Erich!“
Dieses eine Wort bewirkte, dass das ausgemergelte bleiche Gesicht mit den schwarzen Rändern unter den Augen sich leicht rötete. Liese lächelte und sagte: „Komm, Jochen, wir lassen den Vati mal mit seiner Toni alleine!“ Sie küsste Erich auf die Stirn und verließ ein wenig schweren Herzens die Szene. Jochen folgte ihr.
Er drehte sich nochmal zu den beiden Menschen um und sagte: „Macht mir keine Dummheiten!“ Er verschwand mit seiner Mutter hinter der schweren Eichentür. Jochen steckte nochmal seinen Kopf hinein und sagte: „Wenn ihr etwas braucht, bitte klingeln. dann kommt euer getreuer Diener Jochen!“ Toni lachte und sagte:
„Würde der getreue Diener mir bitte einen Tee bringen?“ Erich sagte: „Mir auch“. „Aber selbstverständlich, meine Herrschaften“, ulkte Jochen und erschien kurze Zeit später mit zwei dampfenden Tassen Tee. Er war ja so neugierig auf diese erste Geliebte seines Vaters, dass er am liebsten Mäuschen gespielt und dem Gespräch gelauscht hätte. Aber Liese rief ihn ungeduldig und so folgte er ihr.
Als die beiden alleine für sich waren, senkte Erich die Augenlider verschämt. Es war ganz still in seinem Zimmer. Die Januarsonne schien durch die Scheiben und strahlte Toni an, dass sie aussah wie ein Engel. Erich starrte sie an und war beschämt. Beschämt, weil er sich so hatte gehen lassen und in dem Beisein von zwei schönen Frauen so geschrien hatte. Das konnte er sich nicht verzeihen. Beschämt war er auch, weil er, der verheiratete Mann mit seiner ersten Geliebten alleine im Zimmer war. Er getraute sich nicht, das auszusprechen, traute sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen. In das verlegene Schweigen hinein sagte Toni: „Erich!“
Erich wurde wieder warm inwendig, als er sie seinen Namen so wunderhübsch aussprechen hörte.
Leise kroch ein Wunsch in ihm hoch und er konnte ihr schüchtern sagen:
„Ton’chen, sing mir das Lied von den zwei Königskindern!“ Sein Magen war wundersamer Weise irgendwie ruhig und die Gelenke merkte er im Sitzen sowieso nicht. Gespannt erwartete er ihre Antwort. Toni sagte lächelnd: „Ja, Erich, ich will’s dir singen!“
Sie erhob sich, stellte sich seitlich zu Erichs Stuhl hin, schaute dabei aus dem Fenster in den verschneiten Garten der Landratsvilla und fing an zu singen:
„Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb….“ Als sie an die Stelle kam: “Das hört eine falsche Nonne, die tat als ob sie schlief…. der Jüngling ertrank so tief…“, da lösten sich bei Erich die Tränen. Tränen, die er so oft heruntergewürgt hatte, die lösten sich, sie rannen unaufhörlich die Wangen mit den tiefen Furchen herab. Er, der sich immer im Griff hatte, er weinte los, nein, er schluchzte und weinte schließlich herzerschütternd, immer lauter. Toni rannen die Tränen leise ihre Wangen herab. Sie setzte sich auf einen Stuhl dicht neben ihn, er verbarg sein Gesicht in seinen großen schmalen Händen und sie strich ihm liebevoll über den schütteren Hinterkopf und sagte immer wieder: „Mein Erich, mein Erich…“
Erich schämte sich entsetzlich, dass er weinte, dass er die Tränen einfach nicht zurückhalten konnte. Toni sagte sanft: „Erich, schäm dich nicht, lass sie fließen, lass sie einfach fließen. Du hast sie schon viel zu lange zurückgehalten.“ Erich horchte auf, er sollte weinen?
Er als Mann sollte weinen? Eigentlich hatte er nichts mehr