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Columbia River im Jahr 1876: Mit letzter Kraft erreicht die junge Mary Dare nach einem Schiffsunglück den Strand, wo sie von dem Leuchtturmwächter Jesse Morgan gefunden und gerettet wird. Mary, die nach einer unglückseligen Affäre auf der Flucht vor dem verheiraten Granger Clapp ist, verliebt sich heftig in den verschlossenen Jesse. Sie will wissen, warum er dieses einsame Leben, fern der Betriebsamkeit der Neuen Welt, gewählt hat. Am liebsten möchte sie mit ihm und dem Kind, das sie erwartet, für immer in der Geborgenheit des Leuchtturms leben. Sie ahnt nicht, dass ihr eigenes Schicksal bereits unlösbar mit Jesses tragischer Vergangenheit verknüpft ist ... Ein fesselnder Roman aus der Zeit des jungen Amerikas!
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Seitenzahl: 470
Susan Wiggs
Leuchtfeuer der Liebe
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Ta-schenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
The Lightkeeper
Copyright © 1997 by Susan Wiggs
erschienen bei: MIRA Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebol&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Claudia Wuttke
Titelabbildung: „Vittorio Dangelico“ bei Thomas Schlueck GmbH, Garbsen
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz
ISBN eBook 978-3-95576-403-6
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vor-behalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder ver-storbenen Personen wären rein zufällig.
Washington Territory, 1876
Am Sonntag wurde etwas an Land gespült.
Der Morgen dämmerte herauf wie alle anderen – tief hängender, kalter Nebel verhüllte die fahle Sonne, die bleigraue Dünung rollte von weit draußen heran, schwoll an und nahm an Kraft zu, um tosend gegen die gezackten Felsen von Cape Disappointment zu branden. Die höher steigende Sonne glich einem entzündeten Furunkel, als sie durch Wolken und Nebel brach.
Jesse Morgan beobachtete fasziniert den Sonnenaufgang vom schmalen Eisensteg des Leuchtturms, den er hinaufgeklettert war, um die Walöllampen zu löschen und seinen Arbeitstag mit dem Stutzen der Dochte und dem Säubern der Glaslinsen zu beginnen.
Doch dann fiel ihm etwas unten am Strand auf.
Er wusste nicht genau, warum er in die Tiefe spähte. Vermutlich hatte er es immer getan, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn er zu lange in die bleigrauen Wogen blickte, deren weiße Gischt den hellen Sand bedeckte oder tosend gegen die Felsen brach, bestand die Gefahr, dass er sich daran erinnerte, was die See ihm weggenommen hatte.
Für gewöhnlich achtete er nicht darauf. Dachte nicht. Fühlte nicht.
Heute aber spürte er eine Unruhe in der Luft, als hauche ihm ein unsichtbarer Fremder seinen Atem in den Nacken.
Ohne auch nur kurz zu überlegen, stellte er die Leinölflasche ab, legte das Poliertuch daneben und trat in den bitterkalten Wind auf die Plattform.
Eine seltsame Macht zwang ihn, sich mit einer Hand an der Eisenreling festzuhalten, sich weit vorzubeugen, um über die Landspitze und die Felsenklippen auf den sturmgepeitschten Küstenstreifen zu schauen.
Ein Klumpen Seetang. Stränge gelbbrauner Algen hüllten eine längliche Form ein. Vermutlich nur ein Haufen ineinander verschlungener Meerespflanzen, vielleicht auch ein verendeter Seehund, ein altes Tier, dessen Bartborsten weiß und Zähne braun geworden waren.
Tiere waren vernünftiger als Menschen, sie zogen ihr Leben nicht unnötig in die Länge.
Während Jesse auf das angespülte Treibgut starrte, spürte er … etwas Eigenartiges. Als drehe sich ein stumpfes Messer in seiner Brust. Es war kein Schmerz. Auch keine Neugier.
Unausweichliches Schicksal.
Noch während ihm dieser befremdliche Gedanke durch den Sinn schoss, polterte er mit schweren Stiefelschritten die gewundene Eisenstiege des Leuchtturms nach unten und stürmte den felsigen Pfad entlang.
Er kannte jeden Stein zum einsamen Strand, hatte den Weg wohl tausendmal zurückgelegt.
Was ihn verwunderte, war seine Hast.
Jesse Morgan hatte seit vielen Jahren keine Eile gehabt.
Nun aber rannte er keuchend, jeden Muskel angespannt. Sobald er aber den Haufen Seetang erreichte, blieb er stehen. Stocksteif und angstvoll.
Jesse Morgan hatte seit langer Zeit Angst, obwohl ihm das kein Mensch angesehen hätte.
Die Leute in Ilwaco, zweitausend Einwohner, die das ganze Jahr hier lebten, und etwa tausend Urlauber, die im Sommer die Gegend bevölkerten, hielten Jesse Morgan für rau und unbeugsam wie die Felsklippen, über die er in seinem Leuchtturm wachte.
Er galt als stark und furchtlos und ließ niemand hinter seine versteinerte Maske blicken.
Er war erst vierunddreißig und fühlte sich wie ein alter Mann.
Nun stand er allein am Strand, gelähmt vor Angst, ohne zu wissen, warum. Bis er etwas zu seinen Füßen unter dem Haufen Seetang zu entdecken glaubte.
Barmherziger Gott. Er fiel auf die Knie, die Nässe des Sandes drang kalt durch seine Hose. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte, war unschlüssig, ob er den Schleier des Geheimnisses überhaupt lüften sollte.
Die Algenstränge fühlten sich unangenehm schwammig und kalt an, klebten unnachgiebig an … Woran?
Seine Hände ertasteten geschliffenes Holz. Gehobelt, geglättet, lackiert. Das Wrackteil eines Schiffes. Ein Stück von einem Mast oder vom Bugspriet, mit Tau umwickelt, dessen lose Enden mit Pech bestrichen waren.
Hör auf, befahl er sich, ahnte bereits, was er finden würde. Das alte Grauen, nach all den Jahren brennend wie am ersten Tag, packte ihn.
Hör sofort auf damit. Er könnte aufstehen, die Klippen hinaufsteigen, durch den Wald laufen und Palina und Magnus wecken, könnte sie an den Strand schicken, um das Treibgut zu untersuchen.
Stattdessen zerrte er mit fahrigen Händen an den glitschigen Tangsträngen, grub tiefer, legte ein weiteres Stück des Mastes frei, fand das abgesplitterte Ende …
Einen Fuß. Nackt. Kalt wie Eis. Und Zehennägel wie winzige Muscheln.
Er holte ächzend Atem, arbeitete verbissen weiter, mit zitternden Fingern und dröhnendem Herzschlag.
Ein schlankes Bein. Nein, mager. Mager und voller Sommersprossen, die sich dunkel gegen leblose, fahle Haut abhoben.
Jesse stieß einen Schwall Gotteslästerungen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Früher hatte er mit Gott gesprochen. Nun verfluchte er ihn und die Welt.
Jede Sekunde des Grauens stand für sich, kristallisiert in einem Wissen, dem er seit Jahren zu entfliehen suchte. Er hatte sich bis ans Ende der Welt zurückgezogen, um der Vergangenheit zu entfliehen.
Er konnte ihr nicht entkommen. Er konnte nicht verhindern, daran zu denken. Er konnte nicht vergessen, was die See ihm geraubt hatte.
Und er wusste, was die See ihm heute vor die Füße gespült hatte. Eine Frau, wie konnte es anders sein. Das war der eisige Gipfel grausamer Ironie.
Er arbeitete sich unbeirrt weiter nach oben, legte das Gesicht frei. Und wünschte, er hätte es nicht getan. Denn als er sie sah, wusste er, warum es ihn so machtvoll zur Eile gedrängt hatte.
An diesem Morgen war ein Engel an seinem Strand gestorben. Ihr Heiligenschein bestand aus glitschigem Tang, der sich in ihren roten Haarsträhnen verfangen hatte, und ihr Engelsgesicht war mit Sommersprossen übersät.
Dieses bleiche Gesicht mit dem vollen Schwung lavendelblauer Lippen war von einem Bildhauer geschaffen worden, dem es gelungen war, Marmor in Poesie zu verwandeln. Ein Frauengesicht, wie es nur Träumer erblicken, die an Wunder glauben.
Aber sie war tot, heimgekehrt ins Reich der Engel, wohin sie gehörte, in ein Reich, das sie besser nie verlassen hätte.
Jesse sträubte sich dagegen, sie zu berühren, seine Hände aber gehorchten ihm nicht. Er packte sie bei der Schulter, rüttelte sie sanft, drehte den Mast ein wenig, an dem sie festgebunden war. Nun sah er die Gestalt von Kopf bis Fuß.
Sie war schwanger.
Zorn durchzuckte ihn wie ein Blitz. Es reichte nicht, dass eine schöne junge Frau ihr Leben lassen musste. Auch das dunkle Geheimnis, das süße keimende Leben in ihrem gewölbten Leib war vernichtet worden. Zwei Lebenslichter waren durch einen unbarmherzigen Sturm erloschen, durch haushohe Brecher einer gnadenlosen See.
Dies ist der Beginn, dachte Jesse, während er die leblose Gestalt losband und in die Arme nahm, der Beginn einer Reise, vor der ihm graute.
Die leblose Frau sackte vornüber wie eine Stoffpuppe. Eine kalte Hand krallte sich an Jesses Arm fest. Er wich entsetzt zurück, ließ sie im nassen braunen Sand liegen.
Sie stöhnte auf, hustete und erbrach Meerwasser.
Jesse Morgan, der selten lächelte, strahlte übers ganze Gesicht. “Verdammt”, knurrte er und riss sich den Gummimantel von den Schultern. “Sie lebt.”
Er legte ihr den gefütterten Mantel um die Schultern und hob sie hoch.
“Ich bin … am Leben”, hauchte sie kaum hörbar. “Ich glaube”, fügte sie genauso leise hinzu, und ihr Kopf sank nach vorn, “das ist ein Wunder.”
Mehr sagte sie nicht und fing an, an allen Gliedern zu schlottern. Sie fühlte sich an wie ein Fisch im Todeskampf, und Jesse hatte alle Mühe, sie nicht fallen zu lassen.
Und während er seine Last den steilen Felspfad hinauftrug, so schnell seine Beine ihn trugen, war ihm mit unumstößlicher Gewissheit klar, dass dieser Tag etwas Neues, etwas Außergewöhnliches, etwas unendlich Faszinierendes und Beängstigendes in sein Leben gebracht hatte.
Panik überflutete ihn in mächtigen, Schwindel erregenden Wellen. Wieso er? Wieso jetzt? Eine Fremde und ihr ungeborenes Kind zu retten war das Letzte, worauf er vorbereitet war.
Aber er war gezwungen, sie zu retten. Seit zwölf Jahren widmete er als Leuchtturmwärter sein Leben der Überwachung dieser tückischen Gewässer. Ihm blieb keine andere Wahl.
Mit weit ausholenden Schritten stieg er den gewundenen Pfad zur Warte hinauf, stürmte den flachen Hang auf der anderen Seite des Felsplateaus hinunter zum Waldrand, wo das Haus des Leuchtturmwärters stand. Das Gewicht des beinahe leblosen Körpers zerrte an seinen Armen. Er nahm zwei Holzstufen zur Veranda auf einmal und stieß die Haustür mit der Schulter auf.
Er trug die Frau in eine Kammer neben der Küche und legte sie aufs Bett. Die jahrelang unbenutzte Matratze mit dem vergilbten Drillichbezug roch muffig. Er kramte in einem hohen Schrank und fand ein paar alte gesteppte Quilts und eine karierte Wolldecke.
Er deckte die Frau zu, versuchte, ihr Wasser und Whiskey einzuflößen, doch die Flüssigkeit lief ihr aus den Mundwinkeln. Sie war ohne Bewusstsein.
Er hastete hinaus auf die Holzveranda und läutete die große Messingglocke, um Magnus Jonsson und seine Frau Palina zu alarmieren, deren Haus eine Viertelmeile entfernt im Wald lag. Er stocherte die ersterbende Glut im Küchenherd auf, legte Holz nach und stellte einen Wasserkessel auf. Danach ging er wieder in die Kammer.
Er musste ihr die nasse Kleidung ausziehen. Er musste sie berühren. Widerstrebend schlug er die Decken zurück. Seine Finger zitterten leicht, als er ihr nasses Haar zur Seite streifte und die Knopfleiste am Hals fand.
Eine Frau zu entkleiden war für Jesse etwas Ungewohntes geworden. Gleichzeitig erschien es ihm unerträglich vertraut.
Er biss die Zähne zusammen und öffnete die Knöpfe. Sie war immer noch ohne Bewusstsein, spürte nichts von seinen ungelenken Bemühungen, als er ihr einen Ärmel abstreifte, dann den zweiten, sie danach aus dem nassen Wollkleid schälte und es auf den Boden warf.
Darunter trug sie ein schlichtes Hemd, das einst weiß gewesen war. Ihre Brüste und ihr gewölbter Leib zeichneten sich deutlich unter dem dünnen, nassen Stoff ab. Er deckte sie zu und streifte ihr das Hemd unter der Decke ab. Auch ohne sie anzusehen, spürte er ihre weiblichen Rundungen und ihre glatte Haut.
Ihre Haut fühlte sich Besorgnis erregend kalt an.
In seiner Aufgeregtheit zerriss er das Hemd, während er es ihr nach unten zog, dann warf er es zum Kleid auf den Boden. Er zog ihr die Decken bis zum Hals hoch, schlug sie an den Seiten ein und stand auf.
Er zitterte an allen Gliedern.
In der Küche füllte er Flaschen und Kannen mit heißem Wasser und stellte die Gefäße nah an ihren Körper, um sie zu wärmen. Danach lehnte er sich gegen die roh gezimmerte Bretterwand und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Geschafft. Doch der schwierige Teil lag noch vor ihm.
Das Haus des Leuchtturmwärters war weniger ein Heim als eine Notunterkunft. Das einstöckige Holzhaus mit einem offenen Speicherraum am Waldrand reichte für Jesses Zwecke vollauf, der keine Ansprüche stellte, nur das Nötigste zum Überleben brauchte. Doch nun, im Licht der Morgensonne, das durch das Ostfenster auf die leblose Gestalt im Bett fiel, wirkte es klein, eng und schäbig.
Die Kammer neben der Küche war dafür gedacht, einen bettlägerigen Kranken zu beherbergen, um die Pflege zu erleichtern. In all den Jahren, die Jesse hier wohnte, war sie bislang unbewohnt geblieben.
Bis jetzt.
Die Frau lag reglos unter den Decken. Ihr Gesicht war bleich, ihr Ausdruck friedlich, ihr nasses rotes Haar von Salzwasser verklebt. Eine zierliche Hand lag unter dem Kinn. Ihre zarten Lider waren von hauchdünnen blauen Äderchen durchzogen.
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