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Zu mächtig. Zu ungestüm. Zu gefährlich. So lautet das Urteil des Ältestenrats von Mintra. Die zehnjährige Vivien, Tochter des Elementes Luft, soll sich dem Prozess der Loslösung von ihrem Element unterwerfen. Doch ihre Mutter weiß, dass ein Mensch zerbricht, wenn man ihn von seinem Element trennt. Ihre einzige Hoffnung ist die Flucht. Herangereift zu einer jungen Frau, muss sich Vivien die Frage stellen, ob sie womöglich das Kind der Elemente ist, welches durch den Missbrauch ihrer Macht,¢ die Dunkelheit über Alurin bringt.
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Deutsche Erstausgabe September 2016
Copyright © 2016 Kerstin Rachfahl, Hallenberg
Lektorat: Martina Takacs
Korrektoren: Anke Schlachter
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Kerstin Rachfahl
Heiligenhaus 21
59969 Hallenberg
E-Mail: [email protected]
Webseite: www.kerstinrachfahl.de
Alle Rechte einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Julia, meinen Sonnenstrahl auf der Leipziger Buchmesse 2016. Danke für all Deine lieben Worte und Ideen und für das Anstellen, damit ich die Poster von den tollen Cover bekommen konnte.
Du bist ein Licht in meinem Leben.
Deine Kerstin
1. Mintra
2. Sturmvogel
3. Tonga
4. Sturm
5. Neptun
6. Brycgstow
7. Tinau
8. Tempel
9. Ball
10. Wiedersehen
11. Pläne
12. Eva
13. Überfall
14. Geheimtreffen
15. Rosamund
16. Freundinnen
17. Schicksal
18. Visionen
19. Timbor
20. Rückkehr
21. Nevarn
22. Unerwartet
23. Lord Poridur
24. Mannschaft
25. Aaron
26. Zweifel
27. Mintra
28. Insel der Verbannten
29. Jorge
30. Liebe
Figuren aus Band 1
Figuren aus Band 2
Figuren aus Band 3
Figuren aus Band 4
Nachwort
Bücher von Kerstin Rachfahl
Über die Autorin
Sie machte sich in ihrer Ecke winzig klein und hielt die Luft an, um ja kein Geräusch zu verursachen. Mäuse huschten um ihre Füße, hielten inne und hoben schnuppernd die Schnäuzchen, als wüssten sie nicht recht, ob es sich bei ihr wirklich um einen Menschen handelte oder nicht doch um etwas Leckeres zum Essen. Angestrengt lauschte sie dem Gespräch zwischen ihrer Meisterin Sanira und ihrer Mutter.
»Es tut mir so leid, Ricarda. Was soll ich sagen? Ich habe versucht, den Ältestenrat davon zu überzeugen, dass Vivien ein besonderes Geschenk von Lishar ist und kein Mädchen, vor dem wir uns fürchten müssen.«
»Was ist mit Kaja? Was hat sie dazu gesagt? Ihre Meinung wird vom Ältestenrat hoch geschätzt. Und wenn es ein ungewöhnliches Mädchen in unserer Mitte gibt, dann doch ihre Tochter Levarda. Ich weiß, dass sie nicht nur ein Kind des Elementes Wasser ist.«
»Nur, weil ich es dir erzählte. Es gibt zwischen den zwei Mädchen Unterschiede, nicht nur im Temperament. Vivien hat in der Handhabung ihres Elementes eine unglaubliche Mühelosigkeit gezeigt, wie ich sie bei einem so jungen Mädchen niemals zuvor gesehen habe.«
»Aber macht nicht genau das sie zu etwas ganz Besonderem? Müssen wir das nicht schützen, anstatt es zu zerstören?«
Die Meisterin seufzte tief. »Ja, gewiss. Ich stimme dir vollkommen zu, doch genau das macht dem Ältestenrat Angst. Kennst du die Prophezeiung von der Tochter, deren Kräfte alles Bisherige übersteigen? Die mit den Hütern der Elemente alles zerstören wird?« Bei dem letzten Satz hatte Sanira die Stimme gesenkt.
»Das ist doch blanker Unsinn! Vivien ist gerade mal sechs Jahre alt.«
»Ich weiß, aber du kennst auch ihre Schwächen. Levarda ist im Gegensatz zu ihr ein Ausbund an Disziplin, Vernunft und harter Arbeit, obwohl sie nur zwei Jahre älter ist als Vivien.«
»Im Namen von Lishar, Sanira! Sie ist ein Kind!«
»Ja, eines mit viel Macht. Einer Macht, die für alle gefährlich werden kann.«
»Aber sie hat ein goldenes Herz. Sie würde nie jemandem ernsthaft etwas zuleide tun.«
Eine Spinne ließ sich an ihrem Faden vor Viviens Gesicht herab, krabbelte über ihre Nasenspitze und erkundete, ob dieses Ding geeignet war, um von dort ein neues Netz zur Wand zu bauen. Vivien war gleich von dem Gespräch abgelenkt und schob die Spinne mit der Fingerspitze auf ihre Hand, um ihr zwischen den Eckbalken einen besseren Platz für ein Netz zu zeigen.
»Denk nur an den Vorfall beim Fest der Sonne«, hörte sie Sanira sagen.
»Niemandem ist etwas passiert«, widersprach ihre Mutter.
»Weil wir fähige Frauen in unserer Mitte haben, die das Schlimmste verhinderten. Der Tornado hätte viele Mintraner das Leben kosten können. Ein Drittel der Ernte wurde vernichtet, und das werden wir im Winter bitter zu spüren bekommen.«
Tiefe Schamesröte stieg der Lauscherin in die Wangen. Sie wünschte, sie könnte das Geschehene rückgängig machen. Nicht nur, dass sie seitdem von vielen mit Argusaugen beobachtet wurde, die Sache hatte auch einen Keil zwischen sie und ihre Freundin Leonora getrieben. Selbst Eiméar, Leonoras Zwillingsschwester und Viviens engste Gefährtin, war auf Abstand gegangen. Vivien wusste zwar, dass Eiméar sie nur mied, weil sie befürchtete, so wie sie in den Mittelpunkt der Gespräche des Ältestenrats zu geraten, dennoch schmerzte es sie ungemein. Levarda hielt ihr als Einzige weiterhin die Treue. Vivien fühlte sich auf einmal schrecklich allein.
»Also auch du, Sanira.« Die Stimme ihrer Mutter klang bitter.
»Ricarda, mein Herz«, mischte sich ihr Vater in das Gespräch ein, der bisher nur zugehört hatte, »es ist doch nicht so, dass sie getötet werden soll. Sie bleibt ja weiterhin unsere Tochter und lebt ein ganz normales Leben am Fuß des Asambra.«
»Normal?!«, fauchte ihre Mutter.
Vivien duckte sich noch ein Stück tiefer in die Ecke, in dem Wissen, dass ihr Papa es dort in der Stube genauso machte. Besser, man zog den Kopf ein, wenn Mama wütend wurde. Oft blinzelten Papa und sie sich dann verschwörerisch zu.
»Hast du eine Ahnung, was es bedeutet, nie wieder ein Teil des Elementes zu sein, mit dem du geboren wurdest?«
Eine kalte Faust schloss sich um Viviens Herz. Nie wieder ein Teil der Luft? Was meinte Mama damit? Sie war die Luft, sie atmete die Luft, sie lebte mit der Luft! Wie sollte das gehen, ihr diesen Teil von ihr zu nehmen?
»Schau, sie ist nicht die Einzige, die den Prozess der Loslösung vom Element durchlaufen hat.«
»Oh ja. Und wer hat es verkraftet? Weißt du, welche Schmerzen es bedeutet? Hast du Hamans verkrüppelte Hand einmal genauer betrachtet? Oder senkst du auch den Blick, wenn du an ihm vorbeigehst, so wie alle anderen?«
Es entstand eine lange Pause.
»Es tut mir leid, Sanira. Ich vergaß … Es lag mir fern, dir einen Vorwurf daraus zu machen.«
Als die Meisterin wieder sprach, klang ihre Stimme seltsam dumpf: »Er war ein Mann im mittleren Alter, als man ihn dem Prozess unterwarf. Vergiss das nicht. Außerdem besitzen Männer nicht dieselbe Stärke wie wir, wenn es darum geht, mit Schmerzen umzugehen.«
Vivien schlang in ihrem Versteck die Arme um ihren zitternden Leib. Mama war oft genug mit ihr bei Haman gewesen. Sie kannte seine traurigen Augen gut, den verlorenen Blick, wenn er mit einem wehmütigen Lächeln in eine Welt hinabstieg, die nur er sehen konnte. Oft musste ihn Mama füttern, damit er überhaupt Essen zu sich nahm. Meistens schwieg er, doch wenn er ab und zu einen Dank an Ricarda richtete, dann klang seine Stimme so leise wie Blätterrascheln an einem Baum, durch den eine sanfte Brise fuhr.
Schau, Vivien, was passiert, wenn du nicht fleißig lernst und achtsam mit deinen Fähigkeiten umgehst. Das, was Lishar dir geschenkt hat, kann dir genauso wieder genommen werden.
Sie hatte nur genickt, ohne zu verstehen, was ihre Mutter damit gemeint hatte.
»Und sie ist nur ein sechsjähriges Kind.«
Sie hörte das Zittern in der Stimme ihrer Mutter, merkte, wie ihr selbst Tränen über die Wangen liefen, ohne dass sie wusste, weshalb. Sie schob sich die Faust in den Mund und biss darauf, um sich selbst daran zu hindern, in die schützenden Arme ihrer Mutter zu laufen.
»Es wird ihr nichts passieren. Niemals würde der Ältestenrat zulassen, dass einem Kind Schmerzen zugefügt werden?« In der Stimme ihres Vaters lag Unsicherheit.
Die Stille, die darauf folgte, war schlimmer als jede Strafpredigt, die sich Vivien je von Sanira hatte anhören müssen.
»Ihr müsst ihr helfen, es zu überstehen, und ich werde immer für sie da sein. Glaube mir, Marek, ich wünschte, ich hätte dieses Urteil verhindern können.«
»Es ist beschlossen?!«, schrie ihre Mutter hysterisch auf.
»Ricarda!«
»Ricarda, Schatz, sei vernünftig.«
Erschrocken presste Vivien sich an die Wand, als ihre Mutter von wilden Schluchzern geschüttelt durch den Flur rannte, am Türriegel riss und hinausstürmte, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Mit einem sanften Streicheln kam Luft von draußen herein, hüllte Vivien ein, zupfte an ihren Locken, wirbelte sie durcheinander und lud sie zum Spielen ein. Die Mäuse duckten sich und huschten durch die offene Tür hinaus.
»Oh, Vivien, mein kleiner Sturmvogel, seit wann hockst du hier?«
Seine Wangen glänzten feucht. Ihr Vater streckte die Arme aus, und sie huschte zu ihm hin und klammerte sich fest an seinen starken Körper. Tief sog sie den Geruch nach Tannennadeln, Reh und ein wenig auch nach Blut ein, der ihn immer zu umgeben schien. Er war ein guter Jäger, der schnell tötete. Nie musste ein Wesen unter ihm leiden. Er legte seine Wange auf ihre Haare, hielt Vivien an sich gepresst, zerdrückte sie schier mit seiner Kraft, doch das war gut, denn so hörte ihr Zittern auf.
»Komm her, Vivien.«
Vorsichtig linste sie, geschützt von den Armen ihres Vaters, zu Saniras hochgewachsener Gestalt hinüber, die vom Lichtschein des Feuers umgeben in der Stube stand. Sie befreite sich aus der Umarmung, obwohl ihr Vater sie nicht loslassen wollte. Vielleicht hatte ihre Meisterin recht. Vielleicht war sie ein schlechtes, leichtsinniges, verantwortungsloses Kind des Elementes Luft. Sie hatte keine Angst vor den Schmerzen. Wenn Haman es ertragen hatte, würde sie es auch ertragen. Und vielleicht wären am Ende Leonora und vor allem auch Eiméar wieder ihre Freundinnen.
Ihr Vater fasste ihren Arm und hielt sie fest. Zaghaft schenkte sie ihm ein Lächeln und wischte seine Tränen weg. Dabei sah ihre Hand auf seiner Wange so winzig aus. Seine Haut war kratzig von dem Bart, weil er sich die letzten zwei Tage auf der Jagd nicht rasiert hatte.
»Sag Mama, dass sie keine Angst zu haben braucht«, wisperte sie und küsste ihn zum Abschied auf die Wange.
Sanira streckte die Hand aus und lächelte. Mutig schritt sie auf ihre Meisterin zu und neigte den Kopf im Zeichen der Ehrerbietung. Langsam ließ sich Sanira in die Knie sinken, um mit Vivien auf einer Höhe zu sein.
Ihre hellgrauen Haare schimmerten, und die dunkelblauen Augen musterten Vivien. Ihr Gesicht wirkte jünger als neunundvierzig. Ein warmer, silberner Schimmer umgab ihre Aura, während sie Viviens Blick gefangen hielt.
»Spürst du die Liebe, die dich umgibt?«
»Ja, Meisterin.«
»Manchmal geschieht etwas, das uns glauben lässt, sie hätte nie existiert. Doch in Wahrheit verschließen wir nur unser Herz vor ihr.«
»Wird es wehtun?«
»Ja, mein Kind. Ich kann dir nur nicht sagen, was dir mehr Schmerzen bereiten wird, der Prozess der Loslösung von deinem Element oder das Leben danach, ohne deine Verbundenheit zur Luft.« Ein gequältes Lächeln erschien auf Saniras Zügen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Aber eines kann ich dir verraten. Die Luft wird ihre Tochter genauso vermissen wie du sie.«
Und dann zog die Meisterin sie in ihre Arme, was sie noch nie zuvor gemacht hatte, und so wie Papa hielt sie sie ganz fest.
Alle waren freundlich zu ihr. Amara, die zurzeit dem Ältestenrat vorstand, hatte ihr alles genau erklärt: In ihr gab es eine Quelle, die sie mit ihrem Element verband. Dort konnte sie Energie speichern und auch von dort hervorholen. Durch ihren Körper flossen Energiebahnen – durch jeden Winkel ihres Körpers –, deren Zentrum diese Quelle war. »So wie ein Spinnennetz?«, hatte sie Amara gefragt. »Ein guter Vergleich«, hatte diese geantwortet und ihr übers Haar gestreichelt.
Diese Quelle mit ihrem Netz musste nun aus ihr herausgezogen werden. Sie würden es langsam, Stück für Stück machen. Erst die feinen dünnen Enden, bis sie zu den stärkeren Strängen kämen, und zuletzt die Quelle selbst. Vivien hatte die Augen geschlossen, ihre Hand über die Stelle in ihrem Körper gelegt und das energetische Pulsieren als ein besonders helles Licht in ihrem Innern wahrgenommen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man dieses Licht aus ihr entfernen sollte.
»Wird es wehtun?«, hatte sie gefragt.
»Ja, doch du bist noch ein kleines Mädchen. Erst im Laufe eines Lebens und mit der intensiven Nutzung der Bahnen werden diese stärker und stärker, weshalb es mehr Schmerzen verursachen würde, wenn du älter wärst, als es jetzt der Fall sein wird.«
Bei dem letzten Satz hatte Vivien die Unsicherheit der Frau, die das höchste Amt ihres Volkes innehatte, deutlich gespürt.
»Hab keine Angst, es werden die besten Heilerinnen aus unserem Volk bei dir sein und dir durch den Prozess helfen. Du kennst doch Kaja?«
Natürlich kannte sie sie. Sie war die Mutter von Levarda und deren unzähligen Geschwistern. Sie war so unglaublich lustig und hatte immer jede Menge Blödsinn im Kopf. Nie schimpfte sie, wenn Levarda mit Schlamm besudelt nach Hause kam oder ihre Sachen zerrissen hatte. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Mama. Wie oft hatte Kaja ihr den gröbsten Schmutz aus den Stoffen gebürstet, damit Mama nicht zu sehr mit ihr schimpfte.
Vivien wurde auf eine Holzkonstruktion gelegt, in deren Mitte eine Stoffbahn straff aufgespannt war. Kaja hatte sie daraufheben müssen, weil sie so hoch war. Ein Feuer brannte in der Höhle und machte die sie umgebende Luft so warm, dass sie nackt auf der Konstruktion liegen konnte. Nur ihr Amulett hing um ihren Hals und warf ein pulsierendes Licht an die Decke.
Kaja sah blass aus wie Schnee im tiefsten Winter. Sie lächelte ihr zu, nahm ihre Hand und hielt sie fest in ihrer.
»Keine Sorge, Vivien, du kannst dich entspannen. Wir wollen erst einmal schauen, wie es in deinem Innern aussieht, bevor wir morgen mit dem Prozess beginnen. Lässt du mich hinein?«
»Ja.« Vivien schloss die Augen.
Mit der einen Hand hielt Kaja weiterhin ihre Hand fest, während sie Zeige- und Mittelfinger der anderen an ihren Hals legte, dort, wo das Leben pulsierte. Kühl wie ein Wasserstrom floss Kajas Energie von diesem Punkt aus in sie hinein. Es kitzelte, sodass sie kichern musste, vor allem, als in ihren Gedanken jede Menge lustiger Figuren aus den Geschichten der Wälder Gestalt annahmen, ebenso Tiere. Wenn Levarda und Leonora ihre Wesen aus Wasser zauberten, sahen sie viel behäbiger und längst nicht so detailgetreu aus. Sogar Eiméar konnte aus ihrem Element, dem Feuer, Gestalten formen. Für ein Kind der Luft war es ungleich schwerer, sein Element zu verdichten, bis eine Art flimmernde Form erschien. Bisher hatte sie nur sehr grobe Abbilder von Gegenständen geschaffen, einen Stein, einen Stock, eine Schüssel. Doch das hatte sie heimlich gemacht, weil es in ihrer Ausbildung erst viel später kommen sollte – die Stimme ihrer Mutter hallte in ihrem Kopf wider – oder gar nicht mehr!
Alles ging furchtbar schnell. Wie ein rasender Strom, gefüttert vom schmelzenden Eis des Asambra, schoss die Wasserenergie aus ihrem Körper hinaus. Sie hörte einen Aufschrei, das Fauchen von lodernden Flammen, die zu viel Futter bekommen hatten, und andere Geräusche, die sie nicht zuordnen konnte. Hastig öffnete sie die Augen, doch da war niemand mehr. Als sie ein leises Stöhnen hörte, richtete sie sich auf.
An der gegenüberliegenden Wand lag Kaja. Die zwei anderen Heilerinnen, die zuvor neben ihr gestanden hatten, waren über Kaja gebeugt. Die eine sah Vivien mit großen Augen an. Das Feuer hatte das Holz vollkommen verbrannt, die Flammen erstarben und hinterließen heiße Glut. Die Hitze trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
»Kaja! Nun sag doch was«, hörte sie eine der Frauen panisch rufen, die neben Levardas Mutter knieten.
»Alles ist gut«, stöhnte Kaja.
»Gut?!«
Betroffen sah Vivien Levardas Mutter an, die sich mit einiger Hilfe der Frauen aufrappelte. Sie wollte von dem Gestell klettern und zu ihr laufen, als sie mit einem Mal das Gefühl hatte, von Wasser umschlossen zu sein, das ihr mit überwältigendem Druck die Luft zum Atmen nahm.
Amara kam mit fünf weiteren Mitgliedern des Ältestenrates in die Höhle gestürmt. Hastig stolperte Kaja zu Vivien hinüber, nahm sich den Umhang ab und legte ihn ihr um die Schultern.
»Was ist passiert?«, verlangte Amara zu wissen.
»Nichts, nur ein kleines Missgeschick meinerseits«, antwortete Kaja schnell.
»Missgeschick?«, echote die Heilerin, die Kaja aufgeholfen hatte, ungläubig. Sie richtete ihren Finger anklagend auf Vivien. »Sie hat Kaja angegriffen, als diese sie lediglich untersuchen wollte! Durch den ganzen Raum hat sie sie geschleudert. Das Kind ist eine Gefahr für unser Volk!«
»Beruhige dich, Bernadette. Das ist ja der Grund, weshalb wir uns entschieden haben, den Loslösungsprozess bei ihr durchzuführen.«
»Was wir unverzüglich tun sollten!«, fauchte die Angesprochene.
Kaja wandte sich Vivien mit einem warmen Lächeln zu und stockte. Vivien gurgelte jetzt panisch. Sie wollte ihr sagen, dass sie erstickte, da löste sich urplötzlich der Druck von ihr und sie bekam wieder Luft. Japsend sog sie die Luft tief in ihre Lungen.
»Bernadette! Was hast du getan? Wie kannst es wagen, ein kleines Mädchen in deine Wasserenergie einzuhüllen, dass es fast erstickt?«, fauchte Kaja wütend.
Die andere verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
»Antworte!«, befahl Amara.
»Sie wollte sich auf Kaja stürzen.«
»Was für ein Blödsinn! Sie hatte Angst. Sie wusste nicht, was geschehen ist, und wollte mir helfen.« Schützend legte Kaja ihr den Arm über die Schultern.
»Ist das wahr, Vivien?«
In ihrem Kopf pochte es heftig von dem Mangel an Luft. Sie wagte es nicht, zu antworten, stattdessen nickte sie bloß.
»Siehst du.«
Ein tiefer Seufzer kam über Amaras Lippen, als sie Kaja musterte. Zwischen den beiden fand ein unhörbarer Dialog statt. Schließlich kam Amara zu Vivien, nahm sie bei den Schultern und hob sie von der Konstruktion, hockte sich vor sie und sah ihr tief in die Augen. »Vivien, was genau ist geschehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast du die Energie deines Elementes benutzt?«
»Nein.« Sie biss sich auf die Lippen, als sie an Bernadettes Worte dachte und daran, wie Kaja hinten an der Wand auf dem Boden gelegen hatte. »Ich weiß es nicht. Wenn, dann geschah es nicht mit Absicht. Bitte, du musst mir glauben, Amara, ich wollte niemandem wehtun.«
»Ich weiß. Beschreib mir, was du gefühlt hast.«
»Ein kühler Wasserstrom floss durch mich, von der Stelle aus, an der Kaja mir ihren Finger an den Hals legte.« Sie zögerte, unsicher, ob sie alles erzählen sollte, auch das mit den Figuren in ihrem Kopf.
Aufmunternd blinzelte ihr Kaja zu. »Fahr fort.«
Sie schaute wieder zu Amara. »Ich sah Kobolde, Eichhörnchen, Feen, Mäuse und vieles mehr.«
Die Frau, die vor ihr hockte, schmunzelte. »Das macht Kaja gerne, weil sie den Menschen die Angst vor dem tiefen Kontakt nehmen möchte. Es ist ein Geschenk, das sie dir gemacht hat. Ist es das, was dich verunsichert hat?«
Vivien schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Nein«, flüsterte sie schließlich. Sie spürte, wie Tränen in ihr hochkamen. Das Herz wurde ihr schwer und ein Kloß stieg ihr in den Hals, weil sie sich ihrer Gedanken so schämte.
»Sprich, mein Kind. Du kannst mir alles erzählen.«
»Ich dachte an die anderen, daran, wie sie mit ihren Elementen Figuren formen, während ich nur einfache Gegenstände gestalten kann. Auf einmal musste ich daran denken, dass ich es nie in meinem Leben lernen werde, etwas so Vollkommenes zu schaffen, wie es mir Kaja in den Gedanken zeigte. Danach geschah alles ganz schnell. Ich wollte nicht, dass ich es verliere.«
Beruhigend streichelte ihr Amara über die Haare. »Es ist in Ordnung, dieses Gefühl von Verlust und Trauer. Ich hoffe, du verstehst gerade durch das, was geschehen ist, weshalb wir dich von deinem Element trennen müssen. Du wolltest Kaja nicht wehtun, doch genauso hättest du sie mit deiner Kraft töten können.« Amara hob die Hand und sah über ihre Schulter zu der Heilerin.
Vivien drehte sich um und sah, wie sich Kajas Lippen zu einem schmalen Strich verengten.
»Geh jetzt mit Sanira. Sie wird dir Eisenringe um deine Arme und Beine legen. Du brauchst keine Angst zu haben, es ist nur zu deinem eigenen Schutz. Sie werden dich von deinem Element abschneiden und du kannst lernen, mit dem Verlust umzugehen. Deine Meisterin wird die ganze Zeit bei dir bleiben.«
Sanira trat aus der Gruppe des Ältestenrats, nahm Vivien bei den Schultern und führte sie aus der Höhle.
Vivien hatte sich in die dunkelste Ecke der Höhle zurückgezogen. Dort lag sie eingerollt, hielt die Beine fest mit den Armen umschlungen. Eine sanfte Brise strich über ihr Gesicht und trocknete fortwährend die Tränen, die sich weigerten, mit dem Fließen aufzuhören. Es war, als wollte der Wind sie trösten, doch sie konnte ihn nicht mehr hören, ihn nicht mehr in sich spüren. Alle Leichtigkeit, alle überschäumende Freude, der Spaß, mit ihm zu spielen, waren verschwunden. Stattdessen hatte sie das Gefühl, dass die Wände der Höhle sie erdrückten. Sie liebte den Asambra, hatte nie Angst in seinem Innern verspürt. Bis heute. Die Wärme aus dem Kern des Berges hielt sie in einem schützenden Kokon, und doch fror sie, weil die Kälte aus ihrer abgeschnittenen Quelle kam. Sie setzte sich auf, und ihre Finger glitten über die schmalen Eisenringe an ihren Hand- und Fußgelenken. Nur so wenig Eisen war nötig, um sie zu einem völlig anderen Menschen zu machen. Sanira, die neben der Kerze gesessen hatte, um ein wenig zu lesen, setzte sich zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie hatte sich ebenfalls Eisenringe um die Hand- und Fußgelenke legen lassen, damit sie nachempfinden konnte, wie es ihrem Schützling ging.
»Ich besitze nicht annähernd deine Fähigkeiten, Vivien, doch auch ich habe das Gefühl, dass mich hier alles erdrücken will. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich dir helfen kann.«
»Bald wird ein anderes Kind zu dir kommen, das du lehren kannst, Meisterin.«
Sanira legte ihre Wange auf Viviens Kopf. »Es wird kein anderes Kind mehr geben, das so ist wie du. Wie soll ich jemals wieder mit etwas anderem arbeiten können, jetzt, wo ich weiß, wie sich die Vollkommenheit anfühlt?«
»Ich wünschte, ich wäre ohne die Fähigkeit geboren worden.«
Ihre Meisterin nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Das darfst du niemals denken und noch weniger sagen. Es ist ein Geschenk von Lishar. Alles hat seinen Sinn. Und wenn dies dein Weg ist, dann weiß ich tief in meinem Herzen, dass es auch dafür einen Grund gibt. Vivien, du besitzt ein Herz aus Gold. In dir steckt so viel Liebe, die du an alles, was dich umgibt, so großzügig verteilst. Konzentriere dich darauf.«
»Aber was, wenn ich auch sie verliere?«, wisperte sie. »Was, wenn ich so werde wie Haman? Wenn ich verbittert und griesgrämig werde und nie meinen Teil zum Wohl unseres Volkes beitragen kann?«
Sanira seufzte auf. »Du bist viel stärker, als er es jemals war, und dabei meine ich nicht die Verbundenheit mit deinem Element, sondern deine Disziplin, deine Ausdauer, deine innere Stärke.«
»Das alles hat nicht gereicht.«
»Es hätte gereicht, wenn du nicht so sehr ein Teil deines Elementes wärst. Auch der Wind meint es nicht böse, wenn er in einem Sturm über das Land braust und die Bäume entwurzelt. Es ist seine Art, es ist seine Energie, die sich sozusagen Luft verschaffen muss. Den Wind können wir nicht verändern.«
»Aber mich.«
Sie hörten leise tapsende Schritte. Kaja tauchte am Eingang der Höhle auf. Ein beruhigendes Lächeln lag auf ihrem Antlitz, in der Hand trug sie eine Packtasche. Sie kam zu ihnen herüber und zauberte aus ihrem Gewand einen Stoffbeutel mit Keksen.
»Das sind die Letzten, die Levarda vor ihren Geschwistern retten konnte. Sie hat sie extra für dich gebacken. Es sind Hafertaler, deine Lieblingskekse, sagt sie. Stimmt das?«
Vivien wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von der Wange und den Rotz von der Nase. Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie nickte und den Beutel entgegennahm. Vorsichtig biss sie ein Stück von einem Keks ab, und sofort ging es ihr besser. Levarda konnte außergewöhnlich gut backen, aber nur selten kam sie dazu. Die vielen jüngeren Geschwister hielten sie mit Spielen auf Trab und ihr Meister war überaus streng und fordernd mit ihr.
Kaja strich ihr über den wirren Lockenkopf, in dem sich zig Knoten gebildet hatten. »Sanira, kann ich dich kurz sprechen?«
Seit die Heilerin die Höhle betreten hatte, hatte sich der Griff ihrer Meisterin um ihre Schultern verstärkt. Jeder Muskel in Saniras Körper war angespannt, aber seltsamerweise beruhigte ihre Furcht Vivien, als bräuchte sie keine Angst mehr zu haben, wenn Sanira ihr diese Last abnahm. Und wenn es jemanden gab, dem sie absolut vertraute, dann war es Kaja.
Nur zögernd erhob sich die Angesprochene und warf Vivien einen Blick zu. Wieder versuchte sie ein Lächeln, das jetzt, mit dem leckeren Keks im Mund, schon ein klein wenig besser gelang. Wenigstens würde sie ihre Freunde behalten, und Leonora würde bestimmt keine Einwände mehr gegen ihre Freundschaft mit Eiméar erheben. Sie verdrängte den Gedanken, dass sie dann ein normales Kind wäre und sie nur wenig Zeit hätte, um mit ihnen etwas gemeinsam unternehmen zu können. Sie würde dann andere Aufgaben verrichten als ihre Freunde.
Die beiden Frauen gingen zum Höhleneingang. Die Brise verstärke sich fast unmerklich und trug ihr Gespräch ins Höhleninnere bis zu Vivien. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den nächsten Hafertaler, damit keine der beiden merkte, dass sie lauschte.
»Sie muss aus Mintra weg.«
»Nein! Du kannst ihr nach dem Element nicht auch noch ihre Freunde nehmen!«
Sie sah aus den Augenwinkeln, wie ihre Meisterin entsetzt den Kopf schüttelte.
»Ich kann sie unmöglich von ihrem Element loslösen.«
»Wie meinst du das?«
»Ach, Sanira, ich habe mir gerade schon den Mund fusselig geredet, um es dem Ältestenrat zu erklären. Amara ist die Einzige, die bereit ist, es auch nur verstehen zu wollen. Alle anderen sind einfach entsetzt von dem, was passiert ist.«
»Du hast mir noch nicht erklärt, wieso es unmöglich ist.«
»Es ist bei Vivien nicht so wie bei dir und mir, dass die Verbindung zu unserem Element ein Teil unseres Körpers ist.« Kaja nahm die Hände der Meisterin auf und strich dabei über die Eisenringe. »Es tut weh. Du spürst den Verlust von etwas, das ein Teil von dir ist, etwas, das du über alles liebst. So wie damals, als ich meinen Erstgeborenen verlor, noch bevor er in meinem Leib ausgereift war. Ein entsetzliches Gefühl war es, das mich noch manchmal in der Nacht heimsucht. Aber bei Vivien ist es anders. Die Luft ist sie und sie ist die Luft. Anders kann ich es nicht erklären. Fühlst du den Wind?«
»Ja, aber ich bin es nicht, wenn du das fragen wolltest.«
»Siehst du? Er weiß, was wir vorhaben, und auch er hat Angst davor, sein Kind zu verlieren.«
»Kaja, es ist ein Element, kein Wesen.«
»Ich weiß, und doch spürte ich seinen Zorn.«
»Viviens Zorn.«
»Mag sein, aber das ist ein und dasselbe. Wenn ich sie von ihrem Element trenne, wird sie sterben, glaub mir!«
»Du willst gegen den Ältestenrat handeln?«
»Ist dir klar, was mit mir geschieht, wenn durch die Nutzung meines Elementes ein unschuldiges Kind stirbt?«
Eine kalte Stille entstand. Ein Schatten schien das Licht des Feuers zu ersticken. Fröstelnd schlang Vivien ihren Mantel dicht um sich.
»Sanira, uns bleibt keine Wahl. Dieser Weg ist falsch, und du weißt es! Ricarda wartet am See. Sie wird Vivien aus Mintra fortbringen, und wenn es sein muss, sogar über das Meer.«
»Seid ihr von Sinnen? Du hast gesehen, wozu das Kind in der Lage ist. Was, wenn sie in Situationen gerät, in denen sie die Kontrolle über ihre Kräfte verliert? Willst du sie zu einem Teil der Dunkelheit machen? Genau so wird die Prophezeiung wahr werden.«
»Schscht, nicht so laut!«
Beide Frauen sahen zu ihr herüber. Hastig kramte Vivien den nächsten Keks hervor und beugte den Kopf tief über den Stoffbeutel. In ihr kämpften Furcht und Freude gegeneinander, aber die Furcht überwog. Wie sollte sie ohne die Führung ihrer Meisterin lernen, mit ihren Fähigkeiten umzugehen? Sie wollte kein Teil der Dunkelheit werden, was auch immer Kaja damit meinte.
»Ich habe Ricarda ein Buch mitgegeben, damit sie Vivien helfen kann, ihre Übungen zu machen.«
»Ein Buch! Ricarda ist kein Kind der Elemente, sie weiß nichts über die Feinheiten, wie man die Energie kanalisiert und sie sinnvoll verwendet!«
Energisch schüttelte Sanira den Kopf und sah wieder zu Vivien hin. Sie lächelte sie traurig an, und Viviens Herz fing heftig an zu klopfen. Bitte Lishar, bitte hilf mir. Ich weiß, es ist ein egoistischer Wunsch, aber ich brauche sie in meinem Leben, betete sie stumm zur Göttin.
»Ich werde sie begleiten.«
Kaja atmete tief durch. »Bist du dir ganz sicher?«
Die Meisterin richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Ja.«
Kaja fiel ihr um den Hals und beide blieben eine gefühlte Ewigkeit in dieser Umarmung.
»Ich hatte so sehr gehofft, dass du diese Entscheidung triffst.«
»Ricarda sollte bei Marek und den Kindern bleiben.«
Aber Kaja schüttelte den Kopf. »Nein. Sie haben gemeinsam entschieden, dass es das Beste ist, wenn Ricarda ihren Sturmvogel begleitet.«
»Ihnen ist klar, dass sie sich nie wiedersehen werden?«
Kaja nickte stumm.
Eine kalte Faust schloss sich um Viviens Herz. Nie wieder Papas kratzigen Bart spüren? Nie wieder die Wärme seiner Arme, wenn er sie umfangen hielt und ihr Geborgenheit gab? Nie wieder auf seinem Schoß sitzen und seinen Geschichten zuhören, während sie seinen Geruch nach Leder und Tannennadeln tief in sich einsog? Nein, das konnte sie nicht einfach hinter sich lassen! Und was war mit der dreijährigen Leila, ihrer Schwester? Auch sie würde sie nie wiedersehen. Wie konnte Mama auch nur darüber nachdenken, die beiden zu verlassen? Entsetzt schüttelte sie den Kopf. Der Wind fuhr ihr durch die Locken und wirbelte sie durcheinander. »Ich kann nicht«, wisperte sie ihm zu, und ihr Herz schien dabei in winzige Splitter zu zerbrechen.
»Gibt es keinen anderen Weg?«
»Nein. Ach, Sanira, manchmal habe ich Angst, dass wir von unserem Pfad abkommen und den Eid, den wir einst der Göttin schworen, brechen.«
Die beiden Frauen kamen zu ihr herüber. Ein Blick in ihr Gesicht reichte Kaja.
»Du hast uns belauscht?« Ihre Stimme klang streng.
»Ja, es tut mir leid.«
»Wie konntest du überhaupt etwas verstehen? Du hast dich keinen Meter von deinem Platz weggerührt. Kein Mensch hat so gute Ohren.«
»Der Wind«, flüsterte Sanira und sah die Heilerin an.
Kaja nahm Viviens rechte Hand und schob den Schlüssel in das Schloss des Eisenrings.
Vivien wehrte sich. »Nein, nicht! Ich will nicht!«
Die Heilerin hielt sie fest. »Vivien, hör zu. Du hast keine Wahl. Wenn du nicht gehst, wirst du sterben.«
»Das ist mir egal!«
»Aber deinen Eltern ist es nicht egal. Sie lieben dich.«
»Ich werde Papa nie wiedersehen und Leila auch nicht!«
»Ja, das stimmt, aber sie wissen, dass du lebst und dass es dir gutgeht.«
»Nein!«
»Vivien, wenn du stirbst, wird Lethos furchtbar wütend werden. Er liebt dich mehr als jede andere seiner Töchter des Windes.«
»Das ist mir egal! Ich liebe Papa.«
»Ich weiß. Doch ich weiß auch, dass du niemandem etwas Böses möchtest, oder?«
Vivien zögerte mit der Antwort, weil sie nicht wusste, worauf Kaja hinauswollte.
»Wenn du stirbst, Kind, kann es passieren, dass du zu einem Teil der Dunkelheit wirst.«
»Was ist die Dunkelheit?«
»Das, meine kleine Vivien, wissen wir auch nicht. Wir merken nur, dass sie immer mehr zunimmt, und wir haben keine Ahnung wieso.«
»Und was ist daran so schlimm?«
Kaja seufzte. »Auch diese Frage kann ich dir nicht ganz beantworten. Es gibt eine Prophezeiung, aber du bist noch zu klein, um sie zu verstehen. Sanira wird dir eines Tages alles erklären, versprochen. Heute musst du uns vertrauen. Wir alle lieben dich und wir wissen, dass auch diese Entscheidung einen Preis hat, den du, deine Eltern, deine Schwester und auch Sanira bezahlen müssen. Doch schau – sie alle sind bereit dazu, damit du leben kannst. Nimm dieses Geschenk an, denn wir schenken es dir aus tiefstem Herzen, weil wir alle davon überzeugt sind, das Richtige zu tun. Deine Aufgabe, kleine Vivien, wird darin bestehen, zu zeigen, dass du es wert bist.«
Vivien hörte auf, sich zu wehren. Kaja nahm ihr beide Eisenringe ab, und sofort spürte sie die Umarmung der Luft, das leichte Necken, als der Luftzug mit ihren Locken spielte und ihre Tränen trocknete. Ihre innere Quelle begann zu leuchten und erfüllte sie mit Energie und Zuversicht, auch wenn ihr Herz weiterhin zu zerspringen drohte.
Dort stand Mama mit drei Pferden. Sie trug ihre Hose, ein Hemd, eine Weste und einen langen Mantel. Ein Bogen war an ihrem Pferd befestigt. Papa stand bei ihr und hielt sie in den Armen, während die kleine Leila mit dem stillen Wasser des Sees spielte. Der Vollmond spiegelte sich in der klaren Oberfläche.
»Hier, trink, Vivien. Es wird dir helfen, mit der Trauer umzugehen.« Kaja hatte ihre Feldflasche mit dem Wasser des Sees Luna befüllt.
Artig trank Vivien einen Schluck, und nach einem scharfen Schmerz spürte sie die tröstende Wärme der Göttin Lishar in sich. Papa kam zu ihr, kniete sich vor ihr nieder und schloss sie in seine Arme. »Mein kleiner Sturmvogel.«
Sie umarmte ihn, wollte ihn nie wieder loslassen, doch sie wusste, dass sie es tun musste, nicht nur für sich, sondern auch für ihn.
»Schau, was ich für dich habe.« Er reichte ihr ein kleines Schwert und einen fein gearbeiteten Dolch. »Dort, wo du hingehst, kann ich dich nicht beschützen. Du wirst es selber tun müssen. Aber sei achtsam und vergiss nie, dass es der allerletzte Schritt ist, ein Menschenleben zu nehmen. Tu es niemals aus Zorn oder Leichtfertigkeit. Lerne, deinen Verstand zu nutzen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und sie zu umgehen. Versprichst du mir das?«
»Ja, Papa.«
»Eines Tages, mein kleiner Sturmvogel, werden wir uns wiedersehen.« Tränen liefen in seinen Bart. Er hatte sich noch immer nicht rasiert. Er legte seine rechte Hand zur Faust geschlossen auf seine Brust. »Das weiß ich ganz sicher.«
Sie lächelte ihn an, küsste ihn auf die rechte Wange, auf die linke, nahm zuletzt sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn. Sie schloss die Augen, konnte seine Liebe überall in sich spüren und wusste, dass diese sie nie verlassen würde, egal, wie weit sie voneinander entfernt waren. Als sie die Augen öffnete, sah ihr Vater sie mit einem seltsamen Ausdruck an, den sie nicht verstand.
Sie ging zu Leila, nahm vom Boden einen pechschwarzen, glatten Kiesel auf und drückte ihn ihrer kleinen Schwester in die Hand. »Ich liebe dich, kleine Leila, und ich werde dich immer lieben.« Sie drückte ihre Schwester an sich.
Der kleine Wildfang, der es sonst nie mochte, wenn Vivien sie umarmte, hielt ausnahmsweise still.
»Schau«, sie hob einen weiteren Kiesel mit derselben Beschaffenheit auf, »wann immer ich diesen Stein in meiner Hand halte, werde ich an dich denken. Und ich werde es spüren, wenn du deinen in deiner Hand hältst und an mich denkst.«
Leilas Faust schloss sich um den Stein und sie nickte ernsthaft. Sofort fühlte Vivien eine Wärme, so als wären die Worte, die sie zum Trost gesagt hatte, lebendig geworden.
»Ich liebe dich, vergiss das nie.«
»Ich liebe dich auch, Vivi.«
Sie küsste ihre Schwester, so wie sie es zuvor bei ihrem Vater gemacht hatte. Dann sprang sie auf ihr Pferd und folgte ihrer Mutter und ihrer Meisterin, die beide losgeritten waren. Ein letztes Mal drehte sie sich um. Das Bild von ihrem Papa, der ihre kleine Schwester Leila auf den Arm genommen hatte, prägte sie sich tief ein. Leila winkte ihr, und ihr Vater hob eine Hand. Auch sie hob ihre zu einem letzten Gruß.
Schwer atmend stand sie auf dem Gipfel des Asambra. Die Sonne strahlte ihr ins Gesicht. Sie hob die Hände zum Himmel empor und schrie mit aller Kraft. Sie lachte, als sie das Echo ihrer Stimme aus dem Tal widerhallen hörte. Mit zwei Schritten trat sie an den Rand. Unter ihr fiel die Steilwand Hunderte von Decads ab, bevor die ersten Baumwipfel begannen. Sie ließ sich von dem Felsen kippen, breitete die Arme aus und schloss die Augen, während sie den freien Fall in allen Zügen genoss. Die Luft pfiff an ihrem Körper entlang, den sie ganz gestreckt hielt, als wäre es ihre Absicht, von einem Felsvorsprung in einen See zu springen, nur dass es unter ihr kein Wasser gab. Erst kurz über den Baumwipfeln rollte sie sich ein und schlug ein paar Purzelbäume in der Luft, bevor sie schräg zur Seite gelegt den obersten Baumspitzen auswich. Sie sammelte die Luft um sich herum, lenkte sie in eine andere Richtung, wurde langsamer, bis sie nur noch schwebte. Als sie spürte, wie ihre Kräfte nachließen, näherte sie sich der Erde.
»Kapitän! Kapitän, wach auf!«
Erschrocken fuhr Vivien aus ihrem Traum hoch. Wie immer, wenn sie von ihrem Sturz vom Gipfel des Asambra träumte, brauchte sie einen Augenblick, um in die Wirklichkeit zurückzufinden.
Jannis ließ seine Faust gegen die Tür donnern. »Kapitän!«
Sie sprang aus ihrer Koje, zog sich hastig die Hose an und schnürte sich den Gurt mit Kurzschwert und Dolch um die Taille. »Was ist? Hatte ich nicht ausdrücklich gesagt, dass ich schlafen will?«
Sie riss die Tür auf und blickte in das sorgenvolle Gesicht ihres Ersten Offiziers. Seine sonst leuchtend hellblauen Augen schauten düster aus schmalen Schlitzen unter den tief herabgezogenen Augenbrauen hervor. Sein Mund war nur eine grimmige Linie im dichten Bart.
Alarmiert von seinem Ausdruck fuhr sie ihn barsch an: »Was ist?«
»Sieh selbst!«
Hastig eilte sie hinter ihm die Stiege hoch auf das Oberdeck. Vor knapp einer Stunde hatten sie das kritische Fahrwasser um die Farukinseln hinter sich gelassen. Die »Sturmvogel« war das einzige Handelsschiff, mit dem man es wagen konnte, diese Route zu wählen. Für alle anderen war das Risiko zu hoch, an einer der vielen Klippen zu zerschellen, die unsichtbar unter der Wasseroberfläche lauerten. Die Passage sparte einem eine Woche Fahrt zwischen dem Festland und Alurin, und das bedeutete, dass sie in der Lage waren, sechs Handelsreisen im Jahr zwischen den Ländern zu unternehmen. Im Gegensatz dazu traten die anderen eldemarischen Handelsschiffe in demselben Zeitraum nur vier Reisen an. In der Winterzeit kam der Handel aufgrund der Stürme komplett zum Erliegen.
Es war für dieses Jahr ihre letzte Reise, und die gesamte Mannschaft war froh, dass sie in knapp einer Woche wieder heimischen Boden unter den Füßen haben würden. Die Stürme hatten auch Vivien an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Doch die Sturmvogel war ein ausgezeichnetes Schiff, das trotz voller Ladung gut auf dem Wasser lag und gleichzeitig schnittig durch die Wellen pflügte.
Im Gegensatz zu den letzten Tagen zeigte sich das Meer heute von seiner ruhigen Seite. Der Wind zerrte an Viviens Hemd und ließ sie frösteln. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich kurz und schuf einen windstillen Kokon um sich. So war es besser. Sie konnte zwar nichts an der Außentemperatur ändern, aber daran, dass ihr der Wind unter die Kleidung fuhr.
Jannis neben ihr wickelte sich fest in seinen Umhang ein. Er warf ihr einen neidischen Blick zu. Vivien grinste und streckte die Hand aus. Er gab ihr das Fernrohr und deutete in die Richtung, die sie anpeilen sollte. Einen Moment suchte sie den Horizont ab, dann entdeckte sie ein Kriegsschiff aus Forran. Es hatte sich viel zu dicht an die Farukinseln herangewagt. Wenn es den Kurs beibehielt, würde es bei diesem Wetter unweigerlich an einer der Klippen an der Einfahrt zur Passage zerschellen. Neun Jahre währte schon der Frieden zwischen Forran und Eldemar, aber dennoch hielten die Schiffe der beiden Länder auf See Abstand zueinander. Und mit einem Handelsschiff näherte man sich einem Kriegsschiff der Gegenseite schon gar nicht. Zu lebhaft war Vivien die Erinnerung an die gekaperten Schiffe, sei es im Auftrag des Hohen Lords von Forran oder des Königs von Eldemar, die beide Freibeuterbriefe ausgestellt hatten. Nicht nur das Militär hatte die Gelegenheit zu einem lukrativen Geschäft genutzt, sondern auch Halunken, die bereit waren, ein Risiko auf sich zu nehmen, um reiche Beute zu machen. Die Piraten, eine Zeit lang der rechte Arm der Regierungen beider Länder, wurden nun wieder mit Kriegsschiffen gejagt und zur Rechenschaft gezogen, allerdings geschah das selten, und für gewöhnlich auch nicht zu dieser Jahreszeit. Dennoch war das für Vivien der einzige ersichtliche Grund für ein forranisches Kriegsschiff, sich in diesem Teil der Gewässer aufzuhalten. Dieses Schiff würde es nicht mehr rechtzeitig in den heimatlichen Hafen schaffen, bevor der Winter hereinbrach. Das musste der Kapitän auch wissen.
»Nachdem ich ihren Kurs die letzten zehn Minuten beobachtet habe, gibt es keinen Zweifel mehr. Sie steuern direkt auf die Unterwasserriffe zu. Wenn wir nichts unternehmen, versinkt das Schiff im kalten Grab der See.«
»Seit wann treiben sich die Forraner in dieser Gegend herum?«, murrte Vivien verärgert.
»Das Wrack wird uns im Frühjahr die Zufahrt zur Passage erschweren, je nachdem, wo das Schiff sinkt. Womöglich macht es sie für uns sogar unpassierbar.«
»Verflucht!« Sie beobachtete das Schiff weiter, aber Jannis hatte recht. Ihnen blieb nur noch wenig Zeit, um das Schicksal, auf das das Kriegsschiff geradewegs zusteuerte, abzuwenden.
»Bereit machen zum Wenden! Zieht das Großsegel ein!«
Die Entscheidung war getroffen, und die Mannschaft fing sofort an, ihre Befehle, die von ihrem Ersten Offizier weitergebrüllt wurden, in die Tat umzusetzen.
»Holt die Flagge von Eldemar ein und setzt dafür das Zeichen der Handelsgilde.«
Die Sturmvogel legte sich schräg und schnitt elegant wie ein Delphin durch die Wasseroberfläche, während sie vor dem Wind kreuzten. Sie half nur ein wenig durch Lenken der Luft nach. Zu viel, und das Kriegsschiff würde noch schneller in sein Schicksal getrieben, auf das tückische Riff aufzulaufen. Die Mannschaft musste sehr geschickt und flink mit den Rahsegeln arbeiten. Vivien bellte Befehle übers Deck und konzentrierte sich dabei auf das Steuerrad, während ihr Erster Offizier die Männer antrieb. Sie alle waren ein eingespieltes Team. Das war der Vorteil, wenn man schon so lange zusammen auf See fuhr. Für jeden Einzelnen war sie bereit, ihr Leben zu opfern, und das wussten die Männer. Zwischendurch hob Jannis immer wieder das Fernrohr, um zu prüfen, wie das Kriegsschiff auf ihre Annäherung reagierte.
»Verflucht!«, schimpfte er.
»Was?«
»Sie laden die Kanone.«
»Welche? Doch nicht alle?«
»Nein, nur die auf dem Achterdeck!«
»Hisst die weiße Flagge! – Was für Idioten«, knurrte sie.
Kaum hatte sie es ausgesprochen, als die erste Kugel das Wasser an der Backbordseite hochspritzen ließ. Nur ein paar Meter weiter, und sie hätte getroffen. Beim ersten Schuss! Bei der Wetterlage! Hastig änderte sie den Kurs der Sturmvogel.
Die Masten knarzten unter der abrupten Wende. Zwei Männer rutschten durch das überraschende Manöver ab, fingen sich aber wieder. Die weiße Flagge flatterte jetzt unter dem Zeichen der Gilde.
»Sprich!«, fauchte sie ihren Ersten Offizier an.
»Die Kanonen werden wieder geladen!«
»Setzt denn keiner von denen seinen Verstand ein? Was glauben die? Dass wir sie rammen und entern wollen? Wir sind ihnen mit unserer Bewaffnung doch sowieso völlig unterlegen.«
Sie hatte nicht vor, das Leben auch nur eines ihrer Männer aufs Spiel zu setzen! Kurz schloss sie die Augen und nahm Verbindung zu ihrem Element auf. Ein kleiner Schubs in die andere Richtung, und die Kanonenkugel veränderte rechtzeitig ihre Flugbahn und landete ebenfalls im Wasser.
»Sie hissen die weiße Flagge.«
»Ist mir egal. Was ist mit den Kanonen?«
»Werden abgedreht.«
»Woher der Stimmungswechsel?«
»Scheint, als hätten sie erst jetzt unsere Flaggen gesichtet.«
»Behalt sie im Auge, es könnte auch ein Trick sein!«
»Aye, Kapitän.«
Die Spannung an Bord der Sturmvogel stieg, als sie das Schiff in einem eleganten Bogen in Leestellung zu dem forranischen Kriegsschiff legte. Es war eine verwundbare Stellung, nicht nur wegen der 33 Kanonen, die ihnen von drei Decks entgegenstarrten, oder den weiteren Kanonen auf dem Ober- und Achterdeck, sondern vor allem standen sie gegen den Wind. Diese gefährliche Lage konnten sie nur kurz halten, sonst riskierten sie, an den Klippen zu zerschellen. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit, bis der Sturm richtig ausbrechen würde. Enterhaken wurden von der Gegenseite herübergeworfen und von den Männern befestigt, sodass die beiden Schiffe nun längsseits beieinanderblieben.
»Erbitten die Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen!«, brüllte Andrés, Zweiter Offizier der Sturmvogel zum Kriegsschiff hinüber.
Ihr Handelsschiff mit dem Großmast, dem Fockmast, dem Kreuzmast und dem Besanmast war zwei Decks hoch und hatte ein flaches Achterdeckshaus. Es wirkte neben dem massiven Kriegsschiff mit insgesamt vier Decks und mehr als hundert Kanonen sowie einem drei Ebenen umfassenden Achterdeck wie ein Spielboot.
»Erteilt!«, kam die knappe Antwort von der anderen Seite.
»Hugh, übernimm das Steuer.«
»Du willst mit?« Jannis warf ihr einen skeptischen Blick zu.
»Keine Sorge, ich halte meinen Mund, und du übernimmst die Rolle des Kapitäns. Aber ich muss sehen, wie dicht wir an dem Eingangsriff dran sind. Das Schiff ist doppelt so lang wie unseres, hat die dreifache Breite und locker einen Tiefgang von an die neun Metern.« Vor ihrem geistigen Auge verglich sie das Riff mit den Maßen des Kriegsschiffs.
»Dennoch siehst du aus wie eine Frau.«
Belustigt funkelte sie ihn an. »Was ich ja auch bin.«
»Du weißt, wie ich das meine. Selbst in Eldemar weiß niemand, dass du Kapitän der Sturmvogel bist. Und wenn sie von all deinen Besitztümern Kenntnis hätten, wäre dein Leben nichts mehr wert.«
Mit einem Stoßseufzer gab sie nach. Er war der Vernünftigere von ihnen, auch wenn sie das ihm gegenüber niemals offen zugegeben hätte.
»Also gut. Sieh zu, dass du überzeugend bist. Ich habe keine Lust, die Sturmvogel in Stücke schießen zu lassen.«
Er grinste breit. »Als ob du das jemals zulassen würdest.«
»Mach!« Sie gab ihm einen Schubs. »Uns bleibt nur wenig Zeit.«
Eine Planke wurde herübergeschoben, die wegen des Höhenunterschieds der Schiffe an beiden Enden festverzurrt werden musste. Ungeduldig sah sie zu, wie ihre Offiziere Jannis und Andrés flink über den Steg liefen – kein leichtes Unterfangen, da das Meer wild unter ihnen wogte. Sie hatte Hugh, dem Ersten Steuermann, das Steuerrad übergeben. Den Wind für sich nutzend lauschte sie angestrengt, während sie sich weiter nach Backbord schob. Nichts, lediglich ein paar Wortfetzen, Höflichkeitsfloskeln, die ausgetauscht wurden. Verdammt, dafür hatten sie keine Zeit! Angespannt betrachtete sie den Horizont, an dem sich dunkle Wolken zusammenzogen. Der Wind frischte ein wenig auf, fegte ihr winzige Eissplitter ins Gesicht.
Leise vor sich hinfluchend, nahm sie das Fernrohr und visierte die Inseln an, die so unschuldig und verlockend im Wasser lagen. Dabei waren sie umgeben von tückischen, unter dem Wasserspiegel liegenden Riffen. In der Passage wirkte das Meer ruhig. Nur daran ließ sich erkennen, wie stark der Bruch zwischen den beiden Meeresstellen war. Auch die daraus resultierenden Strömungen waren gefährlich. Vivien richtete den Blick auf die andere Seite. Hinter ihnen braute sich der Sturm am Himmel zusammen. Hatte sie sich getäuscht? Erneut fixierte sie mit dem Fernrohr die Punkte, die sie irritiert hatten. Es dauerte eine Weile, doch dann war sie sich sicher.
Alle Schimpfwörter vor sich hinfluchend, die ihr einfielen, sprintete sie los, lief über die Planke, sprang auf das fremde Deck – und hatte vier Schwerter am Hals.
Jannis, der offensichtlich geredet hatte, starrte sie mit offenem Mund an. Auch auf die beiden Offiziere der Sturmvogel richteten sich augenblicklich zwei Schwerter.
Ein Mann in der dunkelblauen Uniform der Garde des Hohen Lords mit dem silbernen Emblem der Schlange auf der Brust musterte sie kalt aus grünen Augen, deren leuchtendes Farbspiel sie für einen Moment alles andere vergessen ließ. Mit ihren vielfältigen Schattierungen glichen sie den Wäldern am Fuß des Asambra und waren genauso lebendig. Der Hauch einer Erinnerung versuchte, aus der Tiefe ihres Unterbewusstseins an die Oberfläche zu gelangen, doch dafür hatte sie jetzt keine Zeit.
Rasch fasste sie sich wieder. »Drei Piratenschiffe steuern direkt auf uns zu!«
Der Gardeoffizier, dessen Abzeichen seinen hohen Rang kennzeichneten, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Das bestätigte ihren Verdacht. Er wusste genau, dass die Piraten hinter ihm her waren. Eine kurze Handbewegung von ihm, und einer der Männer eilte das Achterdeck hoch, hob das Fernrohr und sah aufs Meer hinaus. »Sie sagt die Wahrheit.«
»Wie viel Zeit bleibt uns?«
»Schätzungsweise eine halbe bis eine Stunde, das hängt von den Windverhältnissen ab«, antwortete der Mann auf dem Achterdeck.
»Können sie uns sehen?«
»Schwer zu sagen.«
Nicht einen Moment hatte der Offizier seinen Blick von Vivien abgewandt. Er hatte exakt ihre Größe, was ihn gegenüber ihren Männern klein wirken ließ, die ihn beide um Haupteslänge überragten. Sein blauschwarzes Haar war mit einem Band im Nacken zusammengebunden, das aber nicht gegen die Wirbel ankam und die Mähne nicht straff zu halten vermochte. Das gab ihm ein verwegenes Aussehen. Im Kontrast dazu wirkte sein Gesicht mit der flachen Nase, dem vorspringenden Kinn, den feinen Augenbrauen und dem geschwungenen Mund eher verspielt. Dieser Mund rief bei einigen Frauen sicher Neid hervor. Der Mann war von schmalem Körperbau, besonders zur Taille hin. Wenn sie an die Krieger des Inneren Kreises von Eldemar dachte, hätte sie ihn geradezu als schmächtig bezeichnen können. Doch die Art von Aufmerksamkeit, die ihm seine Männer rundum entgegenbrachten, zeugte von Autorität und Selbstbewusstsein, die er aus jeder Pore auszustrahlen schien, und darum ließ sie Vorsicht walten. Noch immer versuchte sich eine Erinnerung in ihr Bewusstsein zu drängen. Sie kniff die Augen zusammen, schaffte es jedoch nicht, sie zu greifen. Nur das Gefühl, dass dieser Mann gefährlich war und sie ihn keinesfalls unterschätzen durfte, verstärkte sich.
»Fertig mit dem Betrachten?«
In seinem Ton klang Spott mit. Was sie aber mehr beunruhigte, war die Gleichgültigkeit darin. Es war ihm völlig egal, dass eine Frau vor ihm stand, und sie war sich sicher, dass er sie mit demselben Desinteresse töten würde wie ihre Männer, wenn er es für notwendig erachtete.
»Gefällt Euch, was Ihr seht?«
Tief durchatmend sah sie ihm fest in die Augen. »Nein.«
»Schade.«
Sie hob den Finger, legte ihn in den winzigen Zwischenraum zwischen der auf sie gerichteten Schwertspitze und ihrer Kehle. Seine Soldaten waren ungemein flink gewesen, doch von der Garde des Hohen Lords erwartete sie es auch nicht anders. »Wäret Ihr so freundlich?«
Auf sein Zeichen hin senkten sich die Schwerter, blieben aber in den Händen der Männer bereit.
»Hast du es ihm erklärt?«, wandte sie sich an Jannis.
»Aye.«
»Ihr könnt durchaus direkt mit mir sprechen, anstatt über Eure Männer. Ich erklärte Eurem Kapitän bereits, dass wir durch die Passage müssen. Unser Klüverbaum ist beschädigt und …«
»Um der Konfrontation mit den Piraten aus dem Weg zu gehen«, unterbrach sie ihn, »wollt Ihr mit dieser Fregatte in die Passage der Farukinseln segeln, ohne den Weg zu kennen? Absolut hirnrissig. Eure Bordwand scheint ebenso eine Kugel abbekommen zu haben wie Euer Klüverbaum.« Sie hatte keine Zeit für diplomatisches Drumherumgerede.
Um seine Mundwinkel zuckte es kurz. »Habt Ihr einen Namen?«
»Vivien.«
»Nun, Vivien …« In der Art, wie er ihren Namen sprach, klang eine Vertrautheit durch, als wären sie seit Ewigkeiten Freunde. »… es scheint so, als hättest du das Kommando inne. Kennst du oder kennt einer deiner Männer den Weg durch die Passage?«
»Selbstverständlich. Wären wir sonst hier? Jannis, du übernimmst das Steuer auf diesem Schiff. Sag mir, wen du noch brauchst, und ich schick dir die Leute rüber. Ich werde voraussegeln.«
»Hugh, Oswald und Jeremias!«
»Du weichst nicht vom Heck, wenn ich mit der Sturmvogel durch die Passage segle! Bleib immer exakt in der Mitte meines Fahrwassers! Verstanden?«
»Aye«, antwortete Jannis.
»Das ist immer noch mein Schiff, und es steht unter meinem Kommando!« Diesmal richtete sich sein Schwert auf ihren Hals.
Vivien zuckte mit den Achseln. »Wollt Ihr Eure Männer heil zu der Hauptinsel bringen, wo Ihr den Schaden reparieren könnt, oder möchtet Ihr ihnen ein kaltes Seemannsgrab bescheren? Aber vielleicht stellt Ihr Euch im Sturm auch lieber den Piratenschiffen und versucht Euer Glück auf diesem Weg.«
Da der Kapitän keine Anstalten machte, ihr zu antworten, schob sie das Schwert mit der blanken Hand zur Seite und überbrückte flink die Distanz zu ihm, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
»In diesem Fall, Forraner, nehme ich meine Männer gerne wieder mit und überlasse Euch Eurem Schicksal, das in jedem Fall Euren Tod beinhaltet, entweder durch die Piraten oder den Sturm oder durch eines der Riffe.«
Eine Brise wehte ihr den salzigen Duft seiner Haut entgegen. Er besaß keine Fähigkeiten der Elemente, das hätte sie spätestens jetzt, so dicht vor ihm, bemerkt.
Er packte ihre Hand, mit der sie das Schwert beiseitegeschoben hatte. Das Blut aus der Schnittwunde lief ihr Handgelenk hinab. Interessiert betrachtete er es, bevor er ihr in die Augen sah. »Du bist impulsiv und unvernünftig. Wer sagt mir, dass ich dir vertrauen kann?«
Seine Worte brachten etwas in ihr zum Klingen. Er forschte aufmerksam in ihrem Gesicht, während seine Mundwinkel erneut zuckten, als hätte er einen Scherz gemacht, den sie kennen müsste.
Kurz schüttelte sie den Kopf. Sie hatte keine Zeit für dumme Spielchen. »Niemand. Aber hätte ich die Absicht, Euch zu schaden, dann hätte ich Euch einfach weiterhin Euren Kurs halten lassen, anstatt zurückzusegeln, mit dem Risiko, von Euch zu Kleinholz gemacht zu werden.«
»Es sei denn, das Wrack unseres gesunkenen Schiffes würde drohen, dir im nächsten Jahr die Zufahrt zur Passage zu verwehren. Wie viele Tage gewinnst du gegenüber den anderen Handelsschiffen?«
Sie musste grinsen. Blöd war ihr Gegenüber nicht. »Und schon habt Ihr die Gewissheit, dass Ihr mir vertrauen könnt.«
»Also gut. Wir folgen dir.«
Ihre Hand tat verflucht weh. Wortlos hatte ihr Andrés sein Halstuch gegeben, damit sie die Wunde verbinden konnte. Leichtsinn – ja, der hatte sie schon mehr als einmal fast das Leben gekostet. Dennoch schien sie nie wirklich etwas daraus zu lernen. Die Einfahrt in die Passage war verteufelt heikel gewesen. Zusätzlich erschwerten die aufgekommenen Sturmböen die Manöver. Doch hier zwischen den Inseln war das Fahrwasser ruhiger. Konzentriert steuerte sie die Sturmvogel, beeinflusste den Wind zu ihren Gunsten und musste es diesmal für zwei Schiffe bewerkstelligen. Das Kriegsschiff reagierte furchtbar träge. Rasch merkte sie, dass die Arbeit ihren Preis forderte.
Wortlos schob ihr Andrés ein Stück Zwieback und einige getrocknete Pflaumen zwischen die Zähne.
»Du hättest vorsichtiger sein müssen.«
»Ich weiß.«
»Wir sollten sie nicht unterschätzen.«
»Ich weiß.«
»Konntest du erkennen, wer es ist, der hinter den Forranern her ist?«
Sie wusste es, hätte sich aber eher die Zunge abgebissen, als es zu verraten. So wie jedes andere Handelsschiff, das die Route zum Festland wählte, bezahlten sie ihren Obolus an die Piraten, die sie dafür in Frieden ziehen ließen. Diese Vereinbarung hatte sie für ihr Handelshaus Etraderiaf ausgehandelt, und beide Seiten profitierten davon.
Wenn Leute auf so engem Raum so viele Wochen im Jahr zusammenhockten, kannten sie sich irgendwann in- und auswendig. Andrés interpretierte daher prompt ihr Schweigen und führte seinen Gedanken weiter aus: »Ich hoffe, wir gefährden das Abkommen nicht durch unser Eingreifen.«
»Lass das meine Sorge sein. Erst mal müssen wir zusehen, dass wir sicher nach Hause kommen.«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte kurz zu. »Ich bin mir sicher, dass du uns auch diesmal gesund und wohlbehalten und wieder etwas reicher zu unseren Familien nach Hause bringst.«
Andrés grinste sie spitzbübisch an. »Solange du dein Temperament diesem Timbor gegenüber, der übrigens ein Offizier der Garde des Hohen Lords ist, im Zaum behältst … Und schlag ihn dir direkt aus dem Kopf. Ich glaube nicht, dass er Frauen mag, die wissen, was sie wollen.«
Sie schnaubte amüsiert aus. »Keine Sorge, er bekommt höchstens meine Fäuste zu spüren.«
»Oh nein! Weder das eine noch das andere! Versprich es bei deiner Ehre als Kapitän.«
»Kümmere du dich lieber darum, dass die Mannschaft spurt, anstatt mir langweilige Ratschläge zu erteilen.«
»Aye, Kapitän.«
Belustigt schüttelte sie den Kopf. Andrés hatte recht, der Mann reizte sie aus irgendeinem Grund. Allerdings hatte sie auch noch nie Geschick bei der Wahl ihrer Liebhaber bewiesen. Ständig brachte sie das in Schwierigkeiten, weil die Männer nie wirklich glaubten, dass sie einen eigenen Willen besaß und genügend Geld, um ihn sich auch leisten zu können. Nur im Bett waren sie alle gut gewesen.
Manchmal wünschte sie sich, dass sie ihren Kopf abschalten und unterwürfig sein könnte, aber das lag ihr nicht im Blut. Dieser Timbor mit den sonderbaren Augen … Timbor war ein geläufiger Name im einfachen Volk von Forran. Sie runzelte bei dem Gedanken die Stirn. Trug er keinen Titel oder gaben die Männer den beim Eintritt in die Garde ab? Sie konnte sich nicht mehr so recht an die Feinheiten der Gesellschaftsstrukturen in diesem Land erinnern. Zu lange lebte sie schon in Eldemar. Sie würde Mama oder Sanira fragen müssen. Die beschäftigten sich immer wieder mit solchen Sachen.
So sehr sie das Meer liebte, so sehr vermisste sie ihr Zuhause, wenn sie unterwegs war. Vor ihr lagen drei, vielleicht sogar vier Monate, die sie wieder mit Ricarda und Sanira zusammen verbringen konnte. Wie immer, wenn sie an die beiden dachte, fanden ihre Gedanken gleichzeitig zu den beiden anderen Menschen, die sie so sehr liebte und die sie zurückgelassen hatte. Es gab keinen Tag, an dem sie sich nicht danach sehnte, wieder mit ihnen vereint zu sein.
Sie erreichten sicher die Bucht der Insel Tonga und gingen vor Anker. Nachdem alle Segel eingeholt waren, schickte sie den Großteil der Mannschaft zum Ausruhen in die Quartiere. Ebenso sandte sie ein Boot zu dem Kriegsschiff, damit ihre Männer von dort abgeholt wurden. Sie hatte nicht vor, auch nur einen von ihnen bei den Forranern zu lassen. Der Ausflug auf die Insel zum Auffrischen ihrer Vorräte würde bis zum nächsten Tag warten müssen. Die Sturmwolken hatten die Abenddämmerung in dunkle Nacht verwandelt, doch Vivien fürchtete den Sturm nicht. Im Grunde war er ihr Freund, ihr Vertrauter und ihr Geliebter. Statt sich in ihre Kabine zurückzuziehen und dort zu schlafen, nahm sie ihre Hängematte und befestigte sie zwischen dem Besanmast und einem Pfosten, den sie dort extra hatte anbringen lassen. Sie warf sich schwungvoll in den festen Stoff, lauschte auf den Wind, ließ sich von ihm einhüllen, spürte, wie er über ihre Haut strich und mit ihren Haaren spielte. An die Knoten durfte sie gar nicht denken. Am besten wäre es, die Haare zu Hause einfach abzuschneiden, bevor ihre Mutter sie wieder mit einer Bürste bearbeiten wollte.
Die Sturmvogel schaukelte sanft auf den Wellen. Auf dem offenen Meer türmten sich die Wellen sicher schon meterhoch, doch hier in der Bucht bekamen sie nichts davon mit. Sie fragte sich, ob die Piraten umgekehrt waren, nachdem sie gemerkt hatten, dass ihnen die Beute entwischt war. Tief in ihrem Innern hoffte sie es. Lang genug hatte sie bei ihnen gelebt, und ohne die Piraten würde es sie heute nicht geben. Die Frage war, was die Forraner gemacht hatten, dass Jorge – so hieß das gewählte Oberhaupt der Piraten – drei seiner erfahrensten und kampferprobtesten Kapitäne zur Jagd hinter ihnen her schickte. Auch das war kein einfaches Unterfangen, denn obwohl er das Oberhaupt war, arbeitete doch jeder Pirat in seine eigene Tasche. Nur die Tatsache, dass auch Piraten Familien hatten und es einfacher war, diese gemeinsam an einem Ort zu beschützen, ließ die Männer zusammenarbeiten. Die Insel der Verbannten – so nannten sie ihren Heimatort. Noch im Grübeln fielen Vivien die Augen zu.
Sie hockte hinter den Fässern im Lagerhaus, die Hand auf den Mund gepresst, damit ihr kein Laut über die Lippen kam. Erst vor Kurzem hatte sie Tamara kennengelernt, eine geborene Mintranerin und Tochter des Elementes Feuer, die aus Tarieken nach Eldemar in die Stadt Tinau gekommen war. Sie hatte ihr gezeigt, wie sie die Flammen beherrschte, doch das hatte Vivien kaum beeindruckt. Trotz ihres Alters von knapp dreiundzwanzig Jahren verfügte Tamara nicht annähernd über die Fähigkeiten, die Viviens Freundin Eiméar schon als Dreijährige gezeigt hatte. Dafür war ihr Charakter von ihrem Element geprägt. Hitzig war sie, zornig, und sie beherrschte den Schwertkampf. Das machte sie in Viviens Augen zu einer ausgezeichneten Lehrerin für sie. Vor ihrer Mutter und Sanira hielt sie ihre Freundschaft geheim. Beide hatten sie schon hundertmal gemahnt, sich von jedem Mintraner und jeder Mintranerin fernzuhalten, aber Tamara hatte Vivien angezogen wie das Licht die Motte in der Nacht. Sie war mit einem Auftrag nach Tinau gekommen, welchem, das wollte sie Vivien nicht verraten. Sie erschien ihr so mutig und unerschrocken und wie jemand, der seinen Weg wählt, ohne sich zu verstecken, so wie sie drei es in den letzten Jahren getan hatten.
Ihre Mutter arbeitete inzwischen als Köchin bei einer reichen Kaufmannsfamilie und sorgte damit für ihrer aller Lebensunterhalt, während Sanira sich um Viviens Ausbildung kümmerte. Zu dritt bewohnten sie ein kleines Zimmer in der Nähe des Hafens. Hin und wieder übernahm die Meisterin eine Näharbeit, um ein kleines Zubrot zu verdienen, und Vivien half ihr dabei.