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Einmal Urlaub für die Seele, bitte: Der spritzige Feelgood-Roman »Liebe ist wie Salsa tanzen« von Theresia Graw jetzt als eBook bei dotbooks. Salsa im Blut und Schmetterlinge im Bauch: Statt der erhofften Beförderung landet die Moderatorin Katrin unversehens auf dem beruflichen Abstellgleis bei einer Sendung für Senioren. Natürlich ist sie alles andere als begeistert … bis der Brief einer Zuschauerin ihr Leben gehörig durcheinanderwirbelt! Die rüstige Hanna ist lebenslustiger als jede von Katrins Freundinnen – und auf der Suche nach ihrer einstigen Jugendliebe, die sie vor 60 Jahren plötzlich verlassen und sich nach Kuba abgesetzt hat. Kurzentschlossen macht sich das ungewöhnliche Duo auf zu einem Roadtrip, den Katrin nie wieder vergessen wird – nicht zuletzt wegen Max, einem charmanten Journalisten, der ebenfalls auf der Suche nach Hannas alter Flamme ist …und den beiden stets einen Schritt voraus zu sein scheint! »Ein Buch, mit dem sich der Frühling einläuten lässt.« Aachener Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwungvolle Liebesroman »Liebe ist wie Salsa tanzen« von Theresia Graw, ursprünglich erschienen unter dem Titel »Mit Hanna nach Havanna«; ein Lesevergnügen für alle Fans von Rachel Joyce und Monika Peetz! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 446
Über dieses Buch:
Salsa im Blut und Schmetterlinge im Bauch: Statt der erhofften Beförderung landet die Moderatorin Katrin unversehens auf dem beruflichen Abstellgleis bei einer Sendung für Senioren. Natürlich ist sie alles andere als begeistert … bis der Brief einer Zuschauerin ihr Leben gehörig durcheinanderwirbelt! Die rüstige Hanna ist lebenslustiger als jede von Katrins Freundinnen – und auf der Suche nach ihrer einstigen Jugendliebe, die sie vor 60 Jahren plötzlich verlassen und sich nach Kuba abgesetzt hat. Kurzentschlossen macht sich das ungewöhnliche Duo auf zu einem Roadtrip, den Katrin nie wieder vergessen wird – nicht zuletzt wegen Max, einem charmanten Journalisten, der ebenfalls auf der Suche nach Hannas alter Flamme ist …und den beiden stets einen Schritt voraus zu sein scheint!
Über die Autorin:
Theresia Graw, geboren 1964 in Oberhausen, lebt in München. Sie hat sich schon als Kind gern Geschichten ausgedacht. Nach einem Studium der Germanistik und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie zunächst als Journalistin, bevor sie sich immer mehr auch dem Schreiben von Romanen zuwandte. »Anders als in der Nachrichtenredaktion kann ich als Romanautorin meine Phantasie spielen lassen und selbst entscheiden, ob die Geschichten ein gutes Ende nehmen.«
Die Website der Autorin: www.theresiagraw.de
Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/theresia.graw/
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/theresiagraw/
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre turbulenten Liebesromane »Glück ist nichts für schwache Nerven« und »Wenn das Leben Loopings dreht«.
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eBook-Neuausgabe November 2023
Dieses Buch erschien bereits 2018 unter dem Titel »Mit Hanna nach Havanna« bei Blanvalet.
Copyright © der Originalausgabe 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (Galih, Arlenta Apostrophe)
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98690-710-5
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Theresia Graw
Liebe ist wie Salsa tanzen - oder: Mit Hanna nach Havanna
Roman
dotbooks.
»Verreise niemals mit jemandem,den du nicht liebst.«
Ernest Hemmingway
Es konnte nur drei Gründe geben, weshalb mein Chef heute Abend mit mir zum Essen ausgehen wollte:
1. Er war verliebt in mich.
2. Er würde mir den Posten der stellvertretenden Redaktionsleitung anbieten.
3. Er würde mir sagen, dass ich für den Goldenen Griffel nominiert bin.
Am Montag hatte ich Olivers E-Mail erhalten, so knapp formuliert wie immer: »Muss was sehr Wichtiges mit dir besprechen. Können wir uns am Freitagabend um acht im Il Fiore dolce treffen?«
Ich hatte umgehend zugesagt (»Geht klar«) und seitdem intensiv über alle möglichen Motive nachgedacht. Schließlich war ich zu der Erkenntnis gekommen, dass mindestens einer der drei genannten Gründe zutreffen musste – eine andere Option gab es einfach nicht. Als gelernte Naturwissenschaftlerin (ich habe ein Diplom in Physik) kannte ich mich schließlich damit aus, Sachverhalte zu beobachten und zu analysieren und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sache war ganz logisch: Der Anlass für seine Einladung in das Schwabinger Nobellokal Il Fioredolce musste etwas Besonderes sein, vermutlich sogar etwas sehr Persönliches, denn über alles andere hätte Oliver ja zu den normalen Dienstzeiten in seinem Büro oder in der Kantine mit mir reden können. (Und nicht in einem Restaurant, das auf Deutsch »Die süße Blume« hieß!) Deshalb stand an Punkt eins meiner Wahrscheinlichkeitsliste die Sache mit der Verliebtheit. Zwar hatte Oliver bislang keine direkten Andeutungen dieser Art gemacht, aber es gab einige Indizien. So war allgemein bekannt, dass er seit ein paar Monaten nicht mehr mit seiner Frau zusammen war, weil er sich – wie man in der Redaktion munkelte – in eine andere verguckt hatte. Wahrscheinlich in mich, denn er schaute mich seit einiger Zeit sehr speziell an. Olivers Blicke lagen irgendwo zwischen »Ich weiß etwas, das du nicht weißt« und »Dein Leben wird demnächst eine spektakuläre Wendung nehmen«, und dabei lächelte er auf eine Weise, wie er früher nie gelächelt hatte.
Manche Männer brauchten eben ein bisschen länger, um zu erkennen, mit was für einer großartigen Frau sie da seit Jahren zusammenarbeiteten. Mir war schon klar, dass ich keine dieser klassischen Schönheiten war, nach der sich die Kerle reihenweise umdrehten, sondern eher eine Frau für den zweiten Blick. Meine Nase war etwas zu lang, meine Beine waren etwas zu kurz, und diese krausen dunklen Haare lagen spätestens einen Tag nach dem Friseurbesuch wieder so wirr um meinen Kopf wie immer. Aber ich war blitzgescheit. Und das wog so manche optische Unzulänglichkeit locker wieder auf.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, nach meinem Physikstudium noch einen Doktor zu machen, vielleicht sogar Professorin zu werden und den letzten ungeklärten Fragen der Wissenschaft auf den Grund zu gehen. Denn Forschen, Fragen und Tüfteln, das waren schon immer meine Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Doch dann übernahm ich in den Semesterferien einen Studentenjob, der alles veränderte.
Um mein Taschengeld aufzubessern, fing ich an, als Kabelträgerin bei Hello-TV zu arbeiten, und nachdem ich ein paar Sendungen hinter den Kulissen begleitet hatte, wurde mir klar: Das war es! Ich würde den Rest meines Lebens ganz sicher nicht in einem Labor zwischen Elektrometer, Laserdioden und Rastertunnelmikroskop verbringen, sondern Journalistin werden. Ich war perfekt für diesen Job geeignet – ausgestattet mit einer gehörigen Portion Sachkenntnis, kombiniert mit unersättlichem Wissensdurst. Gab es etwas Tolleres, als jeden Tag andere Menschen zu treffen, alle Fragen zu stellen, die man immer schon mal stellen wollte, und anschließend der ganzen Welt darüber zu berichten? Wunderbar! Genau diese Mischung war es, die mich dazu brachte, der Uni Lebwohl zu sagen und in der Fernsehredaktion anzuheuern. Zum Entsetzen meiner Eltern übrigens. Als Professoren für klinische Pharmazie beziehungsweise angewandte Thermodynamik hätten sie es lieber gehabt, wenn ich mein Leben ebenfalls dem Dienst der Wissenschaft gewidmet hätte. Aber als sie mich das erste Mal auf dem Bildschirm sahen, waren sie mit meiner Berufsentscheidung versöhnt. Sogar mein Vater war stolz auf mich und sagte: »Statt des Physik-Nobelpreises bekommst du dann eben bald einen ganz wichtigen Journalistenpreis! Vielleicht sogar den Goldenen Griffel!« Das war gut möglich, denn natürlich trug ich bei Hello-TV längst keine Kabel mehr durch die Gegend, sondern hatte – auch dank Olivers Unterstützung – ein bisschen Karriere gemacht. Allerdings hatte mein Chef mich noch nie zu einem privaten Treffen eingeladen. Bis zu dieser Mail am Montag.
Dass unser Chefredakteur offenbar wieder auf Freiersfüßen wandelte, war übrigens nicht nur mir aufgefallen, sondern auch Trixie, mit der ich mir seit zweieinhalb Jahren das Büro teilte.
»Katrin«, sagte sie neulich und zwinkerte mir zwischen unseren Monitoren zu. »Ich glaube, bei Oliver ist frauentechnisch was im Busch!«
Trixie musste das wissen, denn trotz ihrer zarten sechsundzwanzig Jahre war sie in Liebesdingen etwas bewanderter als ich. Als ich ihr – natürlich streng vertraulich – von Olivers Mail und unserer Verabredung am Freitagabend erzählte, kippte sie fast von ihrem Schreibtischstuhl.
»Du gehst mit Oliver zum Essen?!«
Sie kreischte so laut, dass nun vermutlich sogar die beiden Assistentinnen der Geschäftsführung im Büro am Ende des Ganges bestens informiert waren.
»Mit dem Chefredakteur persönlich? Oh, mein Gott! Du Beneidenswerte! Was gäbe ich dafür, wenn Oliver mir so eine Mail schreiben würde! Ich würde sie mir ausdrucken, in einem goldenen Rahmen an die Wand hängen und jeden Tag bebend vor ihr niederknien.«
Erwähnte ich bereits, dass Trixie bisweilen zu übertriebenen Emotionen neigte? Sie war leider furchtbar anstrengend, eine wahre Nervensäge. Sie redete zu viel, sie lachte zu laut, sie schminkte sich zu bunt und kleidete sich grässlich (mal im Ernst, wer kam denn auf die Idee, einen Mini-Plüschrock in Leopardenmuster mit einer lila Strumpfhose und dicken, leuchtend orangefarbenen Sportschuhen zu kombinieren?). Und dann diese Ohrringe! Ihre Ohrmuscheln waren ein einziges Arsenal für Metallstecker und Gehänge aller Art. Zugetackert von oben bis unten. Am schlimmsten aber war ihre wöchentlich wechselnde Haarfarbe. Im Moment trug sie ihren ultrakurz geschorenen Schopf waldmeistergrün. In der vorigen Woche war er noch magentarot gewesen, davor karottengelb. Und an diesen Türkiston vom vergangenen Herbst mochte ich lieber gar nicht denken. Schlechter Geschmack hatte einen Namen: Trixie Bernhard.
Keine Ahnung, wie es dazu hatte kommen können, dass sie meine beste Freundin geworden war. Vermutlich, weil sie trotz ihrer verheerenden Optik der netteste Mensch war, dem ich auf diesem Planeten je begegnet war. Unsere Freundschaft hatte sich ziemlich flott entwickelt, seit dem ersten Tag, an dem sie in mein Büro hereingestiefelt war und gesagt hatte: »Hallo, ich bin Trixie, die neue Juniorredakteurin, und ich arbeite ab heute auch hier.«
Trixie hatte nicht nur großartige Ideen für meine Interviews, sie konnte witzige Texte schreiben, arbeitete schnell und effizient und geriet dabei niemals in Stress, wie groß der Druck kurz vor der Sendung auch sein mochte. Außerdem hatte sie immer einen kessen Spruch auf den Lippen. Es war unmöglich, schlechte Laune zu haben, wenn sie in der Nähe war.
»Seit wann geht das schon mit dir und dem Boss?«, fragte Trixie, glücklicherweise ein paar Phon leiser. »Und warum hast du mir nie etwas davon erzählt?«
»Da geht noch gar nichts«, stellte ich klar. »Er hat mich lediglich gefragt, ob ich Zeit hätte, am Freitagabend mit ihm auszugehen.«
»Oh, das ist so cool! Ich platze vor Neugier. Ich wünschte, ich könnte dabei sein. Du musst mir anschließend jedes schmutzige Detail des Abends erzählen ...«
Ach ja, ich vergaß: Neugier war auch eine von Trixies prägenden Eigenschaften.
»Ich weiß doch noch gar nicht, worum es geht«, bremste ich ihre Euphorie.
»Egal, was es ist. Sag einfach Ja! Oliver ist ... der Hammer!«
Das war vor zwei Tagen gewesen, und am Freitagvormittag hatte ich mich noch immer nicht entschieden, wie ich auf eine Liebeserklärung seinerseits reagieren sollte. Die Vorstellung, dass mein Chef am Abend mit einer roten Rose zwischen den Zähnen vor mir auf die Knie sinken und etwas von unendlicher Liebe stammeln würde (konnte man überhaupt stammeln mit einem Blumenstängel im Mund?), war doch sehr gewöhnungsbedürftig. Aber irgendwie auch verlockend. Oliver war ein kluger, sympathischer Mann im richtigen Alter (zweiundvierzig), er sah sehr gut aus, groß, schlank, mit dunklen kurzen Haaren, und er trug stets – was ich an Männern grundsätzlich schätzte – perfekt sitzende Anzüge mit ausgesprochen geschmackvollen Krawatten zu tipptopp gepflegten Schuhen. Ich war überzeugt, dass alle Kolleginnen zwischen zwanzig und sechzig auf ihn standen. Offenbar auch Trixie.
Dabei war ich mir gar nicht sicher, ob ich wirklich verliebt war in Oliver. In dieser Sache war ich etwas aus der Übung. Ich war schon lange nicht mehr richtig verliebt gewesen, ungefähr seit zehn Jahren nicht mehr, seit ich mich während einer etwas außer Kontrolle geratenen Studentenparty in der Besenkammer unserer damaligen WG auf einen Typen namens Danny eingelassen hatte. Er arbeitete an der Bar eines angesagten Münchner Clubs, hatte optisch entfernt Ähnlichkeit mit Jake Gyllenhaal, und ich war aus Gründen, die ich später nicht mehr nachvollziehen konnte, völlig verrückt nach ihm. Ein Zustand, der zwei Tage nach unserem ersten und einzigen Abend abrupt endete, als er mir per SMS mitteilte, ich möge ihn bitte nicht weiter mit meinen Anrufen nerven, wir hätten doch beide gewusst, dass die Sache auf der Party nichts Ernstes gewesen sei, und im Übrigen habe er nur deshalb mit mir geflirtet, weil meine hübsche Freundin und Mitbewohnerin ihn kurz zuvor habe abblitzen lassen. Die folgenden Tage und Nächte verbrachte ich im Bett, zwischen Mord- und Selbstmordgedanken schwankend, bis mir die Taschentücher ausgingen. Danach war ich wochenlang in Panik, aus Angst, bei unserem etwas überstürzten Akt zwischen Staubsauger und einem Zwölferpack Klorollen schwanger geworden zu sein, was glücklicherweise dann doch nicht der Fall gewesen war.
Seit der traumatischen Sache mit Danny mied ich hochprozentigen Alkohol, laute Musik und Männer, die mir »Du bist ja eine ganz Süße« oder etwas Vergleichbares ins Ohr flüsterten. Vor allem wenn sie dabei die Türklinke zur Besenkammer in der Hand hielten.
Wenn ich aus der Geschichte mit Danny eines gelernt hatte, dann das: Im Leben und in der Liebe durfte man nichts dem Zufall überlassen. Es war wie in der Wissenschaft: Mischte man die falschen chemischen Stoffe, dann flog einem die Sache um die Ohren. Danny, ich und Johnnie Walker – das war eine höchst unvernünftige Kombination gewesen, die doch nur in einer Katastrophe hatte enden können.
Im Grunde war es ganz einfach. Man musste eine Beziehung nüchtern und unter rationalen Gesichtspunkten angehen, dann funktionierte sie auch. Leider hatte ich den Mann mit den passenden Elementen noch nicht gefunden, obwohl ich eine ziemlich genaue Vorstellung von ihm hatte. Er sollte so ähnlich sein wie ich: intelligent, klug, vernünftig und jeder Art von irdischen Exzessen möglichst abgeneigt.
Ehrlich gesagt kam Oliver meinem Idealmann schon ziemlich nahe. Und sachlich betrachtet, hätte es sicherlich große Vorteile für mich, ein wie auch immer geartetes Verhältnis mit meinem Chef einzugehen. Vor allem in beruflicher Hinsicht. Allerdings war mir klar, dass Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz so ihre Tücken hatten. Man wusste bekanntlich nie, wie die Sache ausging, und wenn es blöd lief, dann wäre mein Lover auf einmal mein Exlover, aber als Chef bliebe er weiterhin mein Chef – und das war keine sehr angenehme Vorstellung. Bevor ich wieder einen Fehler machte, wollte ich eigentlich lieber solo bleiben.
Insofern war die Verliebtheitsoption nicht meine erste Wahl. Es wäre mir tatsächlich angenehmer gewesen, wenn doch etwas Berufliches hinter Olivers Einladung steckte. Möglicherweise würde meine Karriere ja an diesem Abend endlich den lang ersehnten Schub erhalten, und er würde mir eine höchst interessante Führungsposition anbieten. Den Posten der stellvertretenden Redaktionsleitung zum Beispiel, der demnächst frei wurde, wie ich gehört hatte, weil die bisherige Kollegin angeblich zum nächsten Ersten an die Spitze der Presseabteilung wechselte. Das wäre durchaus ein Grund, um sich in einem schicken Lokal zu treffen und die Angelegenheit in aller Ruhe zu besprechen. Ohne die neugierigen Augen und Ohren der Kollegen konnte man die Details eines hoch dotierten Vertrags doch viel besser aushandeln. Wobei das Beste an dieser Position gar nicht mein künftiges üppiges Gehalt wäre, sondern die Tatsache, dass ich als Olivers Stellvertreterin gleichzeitig auch Ramona Hieblers Vorgesetzte würde! Ich sah sie schon vor mir, wie sie hyperventilierte vor Neid. Aber damit würde ich klarkommen.
Ramona war eine äußerst ehrgeizige Kollegin, die ihre schlichte Auffassungsgabe durch ein üppiges Selbstbewusstsein und eine große Klappe ausglich, wobei sie nicht müde wurde zu erwähnen, dass sie bei der Endausscheidung zur »Miss Niederbayern-Oberpfalz« im Jahr 2015 den zweiten Platz erzielt hatte. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, Popsängerin zu werden. Sie hatte sich vor einigen Jahren bei einem Casting für eine Girl Group beworben, war aber schon in der ersten Runde rausgeflogen, weil sie an mehreren grundlegenden Anforderungen gescheitert war. An der Fähigkeit zu singen beispielsweise. Aber sie konnte jeden an die Wand quatschen. Ramona moderierte gelegentlich das vormittägliche Haushaltsmagazin bei Hello-TV (»Zwischen Topf und Tulpe«) und glaubte allen Ernstes, dass sie bald die ganz große Fernsehkarriere machen würde. Nur weil sie zugegebenermaßen sehr schöne Beine und lange blonde Haare hatte! Nun ja, sobald ich erst mal ins Leitungsteam unserer Redaktion aufgestiegen wäre, würde ich sie auf Normalnull zurechtstutzen. Einer musste es allmählich mal tun.
Aber ehrlich gesagt, am allerliebsten war mir Punkt drei auf meiner Liste, die Sache mit dem Goldenen Griffel. Einmal für den wichtigsten deutschen Journalistenpreis nominiert zu sein – und dann natürlich bei der ganz großen Gala damit geehrt zu werden: »Der Goldene Griffel im Bereich informative Unterhaltung geht in diesem Jahr an – Katrin Faber!« Tosender Applaus. Blitzlichtgewitter. Ich stehe auf der Bühne und recke die Trophäe in die Höhe. Das war mein größter Wunsch. Mein Lebenstraum. Mehr ging nicht, und meine Eltern wären auch begeistert. Ich wusste sogar schon, wie ich die ersten Sätze meiner Dankesrede formulieren würde.
In diesem Fall würde ich mich vielleicht sogar dazu hinreißen lassen, mit Oliver ein Glas Champagner zu trinken.
Allmählich wurde es Zeit für eine große berufliche Auszeichnung. Ich war dreiunddreißig Jahre alt und hatte inzwischen meine eigene Sendung bei Hello-TV. Seit ein paar Jahren arbeitete ich als Moderatorin, und ich war ziemlich gut. Im vorigen Jahr hatte ich im Ranking einer Programmzeitschrift auf Platz vierundzwanzig der beliebtesten TV-Moderatoren Deutschlands gelegen! (Die Statistik ging zwar nur bis Platz fünfundzwanzig, aber immerhin.) Meine Sendung hieß »Spaziergang mit Katrin« und wurde regelmäßig am frühen Montagabend ausgestrahlt. Dazu reiste ich durch die Republik und unterhielt mich mit mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, während ich mit ihnen am Rhein entlang oder durchs Brandenburger Tor schlenderte, in einem Schiff über den Bodensee tuckerte oder sonst wo gemütlich unterwegs war. Ich liebte diese Sendung! Meine Interviews waren legendär. Vor meiner Kamera hatte der Vorstandschef eines großen Dax-Konzerns zugegeben, dass die Jahresbilanz seines Unternehmens doch nicht so rosig ausfallen würde wie erwartet, und ein Topstürmer von Bayern München hatte durchblicken lassen, dass er in der nächsten Saison zu Manchester United wechseln würde. Und die Kanzlerin hatte ein brisantes Gesetzesvorhaben im Bereich der Inneren Sicherheit angekündigt, bevor auch nur der zuständige Minister darüber informiert gewesen war. Was für ein Skandal! Wochenlang hatten die Zeitungen meine Sendung zitiert. Sogar DER SPIEGEL. Das war zwar schon drei Jahre her, aber ich war immer noch stolz darauf. Allein für diese Geschichte hätte ich längst mit dem Goldenen Griffel ausgezeichnet werden müssen. Ich war mir sicher: Bis dahin war es nur noch eine Frage der Zeit. Und vielleicht war es tatsächlich nur noch eine Frage von Stunden, bis ich von meiner Nominierung erfahren würde.
Was immer mir Oliver heute sagen mochte, dieser Abend würde einer der wichtigsten und wunderbarsten in meinem Leben werden.
»Wie schön, dich zu sehen, Katrin!«
Oliver erwartete mich an einem lauschigen Ecktisch, als ich pünktlich um drei Minuten nach 20 Uhr das Il Fiore dolce betrat. Das kleine Restaurant war gut besucht, der Raum erfüllt vom Gemurmel der Gäste und von leiser klassischer Geigenmusik, die aus unsichtbaren Lautsprechern ertönte. Eigentlich hätte ich auch schon zehn Minuten eher im Lokal sein können, denn ich hatte gar nicht lange mit dem Auto herumkurven müssen, sondern wundersamerweise gleich an der nächsten Straßenecke einen geräumigen Parkplatz gefunden. Wenn das nicht mal ein gutes Omen war! Aber ich hatte es wohlweislich bleiben lassen, vor dem vereinbarten Zeitpunkt hier aufzuschlagen. Sonst hätte Oliver womöglich gedacht, ich wäre ungeduldig und könnte es gar nicht erwarten zu erfahren, was er mit mir besprechen wollte. Nur das nicht! Ich hielt Selbstbeherrschung für eine sehr wichtige Tugend. Deshalb hatte ich mir im Auto noch den Verkehrsbericht und die erste Meldung der Acht-Uhr-Nachrichten angehört, bevor ich in aller Ruhe ausstieg und ins Lokal schlenderte.
»Hallo, Oliver!«
Merkwürdigerweise bekam ich auf einmal Herzklopfen, als ich an den Tisch trat. Das konnte ich mir nun wirklich nicht erklären. Ich traf einen Mann, mit dem ich seit sieben Jahren täglich zusammenarbeitete, zum Abendessen in einem Lokal. Was genau sollte daran aufregend sein? Trotzdem bekam ich feuchte Hände, als mir der Kellner den Mantel abnahm und ich mich meinem Chef gegenüber auf den weiß gepolsterten Stuhl mit der hohen Rückenlehne setzte. Auf der blütenweißen Tischdecke standen zwischen den beiden gestärkten Stoffservietten und dem blanken Besteck eine schlanke weiße Kerze und eine kleine Glasvase mit drei rosa Röschen. Ich fragte mich, ob Oliver die Deko selbst so arrangiert hatte. Aber hätte er dann für diesen Abend nicht eher rote Rosen geordert?
Oliver sah wirklich fantastisch aus. Taubenblauer Anzug, weißes Hemd und eine hellblaue Krawatte mit winzigen weißen Segelbooten darauf. Wenn mich nicht alles täuschte, war er sogar noch beim Friseur gewesen. Außerdem hatte er heute so etwas angenehm Entschlossenes im Blick. Auf einmal fand ich Punkt eins meiner Liste gar nicht mehr so unerstrebenswert. Vielleicht war es doch mal wieder an der Zeit, sich zu verlieben. Soweit ich es in Erinnerung hatte, war das ein wunderbares Gefühl. Und mit Oliver an meiner Seite würde ich über das Malheur mit Danny bestimmt endgültig hinwegkommen.
Als er zu lächeln begann, wurde mir warm ums Herz, und auf einmal wusste ich, es war nicht Option eins. Es waren Option eins, zwei und drei gleichzeitig! Natürlich! Er würde mir zuerst seine Liebe gestehen, mir dann die stellvertretende Redaktionsleitung antragen und schließlich meine Nominierung für den Goldenen Griffel bekannt geben! Ich war so glücklich. Ich war die Beste. Das Leben fühlte sich großartig an.
Leider hielt sich Oliver erst noch mit etwas Small Talk auf. Ob ich problemlos hergefunden hätte. Ob ich meine Interviewtermine für die kommende Woche schon vorbereitet hätte. Ob ich auch eine Vorspeise nehmen wolle. Solche Sachen. Ich nickte und bejahte alles. Dann suchten wir das Essen und die Getränke aus (ich nahm Mineralwasser, um für die Vertragsverhandlungen einen kühlen Kopf zu behalten) und sprachen auch noch übers Wetter (matschiger Schneeregen, wie so oft im Januar in München). Als ob das irgendwie von Bedeutung gewesen wäre angesichts der Tatsache, dass er mich in wenigen Minuten zur wichtigsten Frau seines Lebens erklären würde.
Nach Crespelle mit Parmesan-Auberginen und Saltimbocca alla Romana kam Oliver dann endlich zur Sache.
»Also Katrin«, sagte er, nachdem der Kellner unsere Teller weggeräumt hatte, und schob sein Weinglas zur Seite. »Ich möchte etwas mit dir bereden.«
Ich nickte. Das hatte ich ja erwartet. Die Frage war nur, welchen Punkt meiner Liste er als Erstes ansprechen würde.
»Es geht um deine Sendung.«
Ich hielt die Luft an. Also doch gleich die Nominierung für den Goldenen Griffel? Mir wurde ein wenig schwindlig vor lauter Vorfreude.
»Ja«, hauchte ich. »Was genau meinst du?«
Dabei wusste ich es doch schon. Dabei wusste ich es doch schon ganz genau!
Oliver sah mich einen Moment lang schweigend an. Sein Lächeln verrutschte.
»Ich bin mit den Einschaltquoten deiner Show nicht zufrieden, Katrin. Wir verlieren Marktanteile. Acht Komma drei Prozent waren es vorige Woche für den ›Spaziergang‹. Das ist desaströs. Fast fünf Prozentpunkte weniger als im Sommer. Und vor einem Jahr lagen wir noch bei über fünfzehn Prozent. Ich beobachte den Trend schon seit Längerem. Ich weiß, dass du alles für deine Sendung tust, aber ich glaube, das reicht nicht.«
Ich starrte Oliver an. Das klang überhaupt nicht nach dem Goldenen Griffel. Verdammt. Mein Atem wurde flach. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass er mir vor ein paar Monaten schon mal etwas von abgesackten Marktanteilen erzählt hatte. Damals hatte ich das für eine vorübergehende Erscheinung gehalten. Und das hoffte ich immer noch. Ich holte tief Luft.
Vermutlich würde Oliver mir jetzt vorschlagen, dass ich die stellvertretende Redaktionsleitung übernehmen sollte. Zusätzlich zu meiner Sendung natürlich, auf dass mir die Führungsposition den nötigen neuen Schwung für meine Interviews geben und die Quoten wieder besser werden würden.
»Wir müssen uns auf etwas Neues einlassen«, fuhr Oliver mit gesenkter Stimme fort. »Ganz anders denken. Radikal durchstarten.« Er zögerte einen Moment. »Ich habe lange überlegt, wie ich es dir sagen soll ...«
Okay, dann war es wohl doch die Liebeserklärung. Aber warum hatte er dabei einen so nachdenklichen Gesichtsausdruck?
»Ramona Hiebler wird deine Sendung übernehmen, Katrin. Es tut mir leid, aber das ist das Beste für alle Beteiligten. Die abgedrehten Interviews mit dir werden wir natürlich noch ausstrahlen, aber ab Februar macht Ramona die Show. Ich habe schon mit ihr darüber gesprochen. Wir werden der Sache eine völlig neue Anmutung geben. Weniger Politik, mehr Boulevard. Mehr Biss. Mehr Sex-Appeal. Ramona ist genau die Richtige dafür.«
Ich fühlte mich, als würde mir der letzte Schluck Mineralwasser im Mund gefrieren.
»Ramona?«, krächzte ich. »Ramona soll – meine Sendung bekommen? Oliver! Das kann doch nicht ...«
»Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist, Katrin. Aber wir haben keine andere Wahl. Nimm es bitte nicht persönlich.«
Fragte sich nur, wie ich es sonst nehmen sollte.
Ich versuchte, mich krampfhaft an die drei Punkte auf meiner Wahrscheinlichkeitsliste zu erinnern. Leider waren sie in meinem Hirn implodiert. Aber ich wusste ganz genau, dass die Option Oliver schmeißt mich raus, und Ramona macht Karriere nicht darauf stand.
»Natürlich bleibst du Hello-TV als Moderatorin erhalten«, erklärte Oliver, nachdem er in Ruhe einen Schluck Wein getrunken hatte. »Wir wissen doch, was wir an dir haben. Du bist Profi. Du arbeitest seriös, gewissenhaft, unbestechlich. Du wirst eine Sendung bekommen, in der du deine Kernkompetenzen aufs Vortrefflichste einsetzen kannst.«
Er machte eine Pause, und ich überlegte fieberhaft, was er wohl meinen könnte. Vielleicht handelte es sich um eine politische Talkshow. Zur besten Sendezeit natürlich. Brisante Themen, prominente Studiogäste, gern international. Okay. Wenn das der Deal war, konnte ich damit durchaus leben. Sofern die stellvertretende Redaktionsleitung Teil des Vertrags war. Aber noch bevor ich zu Ende gedacht hatte, sprach Oliver weiter:
»Du wirst vom nächsten Monat an das ›Kaleidoskop‹ moderieren.«
Es schien mir, als würde mein Kopf zerspringen. »Das – ›Kaleidoskop‹!?«
Oliver nickte. Er sah jetzt sehr entspannt und zufrieden aus, als sei gerade eine große Last von ihm genommen worden. Er lächelte sogar wieder.
Ich wollte sterben.
Das ›Kaleidoskop‹ war das Seniorenmagazin von Hello-TV. Jeden Freitag zwischen 15 und 16 Uhr 30 befasste sich die Sendung eingehend mit aktuellen Pflegeprodukten für dritte Zähne, mit seniorengerechter Schonkost, den neuesten Techniken bei Rollatoren, dem Für und Wider eines Lebens im Altersheim und solchen Sachen.
»Du machst einen Scherz, nicht wahr, Oliver?«
Es konnte nur ein Scherz sein. Ich wollte durch die Republik reisen und spannende Interviews mit wichtigen Leuten führen, ich wollte Skandale aufdecken, über die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft berichten, für Gesprächsstoff sorgen und Diskussionen auslösen. Ich wollte definitiv nicht auf einem Sessel sitzen und eine Sendung moderieren, deren Publikum halb taub, halb blind und möglicherweise auch schon halb tot war.
»Oliver«, jaulte ich, als er nicht antwortete, sondern mich nur mit einem entschuldigenden Blick bedachte. »Wieso sollte ausgerechnet ich das ›Kaleidoskop‹ moderieren?«
»Weil du die Beste dafür bist, Katrin. Du weißt doch, dass Eberhard demnächst in Rente geht. Die Geschäftsführung will unbedingt eine Frau auf dieser Position, aber die Kollegin, die seine Nachfolge antreten sollte, hat uns hängen lassen. Carla hat ihren Vertrag kurzfristig gekündigt, weil sie zur Konkurrenz wechselt. Sehr ärgerlich. Wir müssen jetzt schnell handeln. Und da habe ich sofort an dich gedacht.«
Oliver lächelte, als hätte er mir gerade den größten Herzenswunsch meines Lebens erfüllt.
»Katrin«, fuhr er fort, während ich schwieg, fassungslos über seine kapitale Fehleinschätzung. »Ich weiß gar nicht, wo dein Problem liegt. Das ›Kaleidoskop‹ ist äußerst beliebt bei der kaufstarken und werberelevanten Zielgruppe der Fünfundfünfzig- bis Fünfundsiebzigjährigen. Stabile Quoten seit Jahren. Und bedenke doch mal, das Ganze ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Zwanzig Millionen Menschen in Deutschland sind heute im Rentenalter oder kurz davor, und die Tendenz ist weiter steigend. Da brauchen wir eine Topmoderatorin. Die alten Leute lieben diese Sendung. Sie sind unendlich dankbar, dass es in Zeiten von Internet, YouTube und Twitter bei Hello-TV noch ein traditionelles Fernsehmagazin gibt, dem sie in Ruhe folgen können.«
Oliver überschlug sich fast vor Begeisterung. Ich fragte mich, weshalb er diese Supersendung nicht selbst moderierte.
»Aber Oliver. Ich bin dreiunddreißig. Ich habe keine Ahnung von alten Leuten.«
»Du wirst da hineinwachsen, Katrin. Ich bin mir ganz sicher. Eberhard wird dich in den nächsten Wochen noch einarbeiten. Er hat die Show dreizehn Jahre lang moderiert, er kennt sich aus. Du wirst sehen, wie gut dir die Sendung gefallen wird. Du bist genau die richtige Frau dafür: ernsthaft, sachlich, ruhig, glaubwürdig, kultiviert ...«
Kurzum: sterbenslangweilig. Ein klarer Fall fürs Oma-TV.
Aber so einfach gab ich nicht auf.
»Stopp mal!«, rief ich. »Gerade diese Eigenschaften qualifizieren mich für den ›Spaziergang‹. Niemand in der Redaktion bereitet sich auf seine Sendung so gewissenhaft vor wie ich. Ich führe Interviews auf höchstem journalistischem Niveau. Ich habe den ›Spaziergang‹ zu der anspruchsvollen Sendung gemacht, die sie heute ist ...«
»Du hast völlig recht, Katrin, und genau das ist mein Problem: Die Leute haben keine Lust auf Anspruch und Niveau, sie wollen nicht über Probleme nachdenken, sie wollen sich einfach unterhalten. Sie wollen sich amüsieren, sie wollen staunen, sie wollen überrascht werden. Sie wollen verrückte Sachen sehen – und keine Interviews, die so trocken ablaufen wie eine naturwissenschaftliche Versuchsanordnung. Deine Gespräche sind in letzter Zeit ein bisschen ... langweilig geworden. Kein Skandal, kein Aufreger. Alles so brav. Wir brauchen mehr Spontaneität, mehr Mut, mehr Gefühl, mehr Witz, mehr Action.«
Das Wort »Action« begleitete er mit einer lebhaften Geste, bei der er beinahe mein Wasserglas umgestoßen hätte.
»Versteh mich nicht falsch«, fuhr er fort. »Du hast deinen Job bisher sehr gut gemacht. Aber die Zeiten ändern sich eben. Und wir müssen uns darauf einstellen, wenn wir mit dem ›Spaziergang‹ nicht vollends in den Quotenkeller abstürzen wollen.«
»Moment!«, protestierte ich. »Ich habe kein Problem damit, wenn meine Sendung ein neues Konzept bekommt. Lass mich dabei sein. Ich bin doch kreativ. Ich könnte Ideen entwickeln. Ich bin offen für alles.«
»Wir haben uns schon einiges ausgedacht, Katrin. Und ich bezweifle sehr, dass die neue Sendung noch etwas für dich wäre. Sie wird ziemlich frech und schräg. Wie gemacht für Ramona. Oder hättest du etwa Lust, in knappen Klamotten auf einem Skateboard durch die Gegend zu rollen und mit Stars und Sternchen über Schönheits-OPs oder ihren ersten Orgasmus zu plaudern?«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an.
Nein, danke. Da wollte ich tatsächlich lieber mit einem hundertjährigen Opa über Inkontinenz reden.
Ich war so entsetzt, dass ich noch nicht mal den Kopf schütteln konnte. Meine Sendung war tot. Meine Karriere lag in Trümmern. Der Traum vom Goldenen Griffel hatte sich mit einem Knall in Luft aufgelöst.
»Hey«, sagte Oliver und legte für einen Moment seine Hand auf meine. »Alles in Ordnung mit dir?«
Ich nickte tapfer, worauf er seine Hand zurückzog und den letzten Schluck aus seinem Weinglas trank.
»Sehr gut. Ich freue mich, dass du dich so kooperativ verhältst. Ich war mir nicht sicher, wie du reagieren würdest, deshalb hielt ich es für eine gute Idee, mit dir über diese kleine Veränderung außerhalb der Redaktionsräume zu sprechen.«
Ich nickte noch mal und versuchte etwas, das wie ein Lächeln aussehen sollte. Dabei hätte ich Oliver am liebsten die Vase mit den drei kleinen Röschen gegen den Kopf geworfen. Und den Kerzenständer gleich hinterher. Aber natürlich beherrschte ich mich.
Ich war keine Frau, die zu Depressionen neigte, wenn etwas schieflief im Leben. Alkohol ist keine Lösung, sondern verursacht langfristig noch mehr Probleme, wie man weiß, und auf dem Sofa zu liegen und zu heulen macht nur einen fleckigen Teint. Also ließ ich es bleiben.
In den vergangenen Jahren hatte ich zuverlässige Strategien entwickelt, um persönliche oder berufliche Tiefschläge zu verarbeiten und wieder bessere Laune zu bekommen:
1. Ich sortierte die Belege für meine Steuererklärung.
2. Ich studierte eingehend sämtliche Fachzeitschriften, die ich abonniert hatte, zum Beispiel Journalismus heute, Politik in der Gegenwart oder Wissenschaft und Forschung aktuell, um neue Ideen für meine Interviews zu bekommen.
3. Ich putzte den Backofen (inklusive Grillspirale).
Normalerweise entspannte es mich ungemein, das Chaos in meiner Schublade zu ordnen, in der ich übers Jahr all den Zettelkram sammelte, der bei meiner Arbeit als vielbeschäftigte Journalistin anfiel: Flug- und Bahntickets, Tankbelege, Restaurantrechnungen, Kassenbons ... Ich liebte es, auf diese Weise noch einmal die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen, mich an das eine oder andere tolle Interview zu erinnern und am Ende sämtliche Papiere für das Finanzamt korrekt geordnet und abgeheftet vor mir liegen zu sehen.
Aber am Tag nach meinem desaströsen Abend mit Oliver konnte mich selbst diese Tätigkeit nicht aufheitern, sosehr ich mich auch bemühte. Während ich meine Quittungen durchforstete, dachte ich die ganze Zeit: Nie wieder!
Nie wieder würde ich nach Frankfurt fahren, um mit einer Topbankerin darüber zu sprechen, wie das so ist, als einzige Frau im oberen Management zu arbeiten. Nie wieder würde ich nach Köln fliegen, um mich mit einem Karnevalsprinzen über die historischen Ursprünge von Alaaf und Helau zu unterhalten. Nie wieder würde ich mit Wissenschaftlern in München, Stuttgart oder sonst wo über Maßnahmen gegen den Klimawandel reden oder über diese neue Minibärenart, die kürzlich im brasilianischen Dschungel entdeckt worden war. Oder was auch immer. Nie wieder. Nie wieder! Es war zum ... nein, nein, natürlich heulte ich nicht. Ich war ja eine starke, vernünftige Frau. Hysterisch zu werden oder in ein großes Wehklagen auszubrechen hatte noch niemandem geholfen. Und dass ich jetzt mal ein Taschentuch benutzen musste, lag nur daran, dass mir ein Staubkorn ins Auge geflogen war.
Leider half mir Punkt zwei meiner Trostliste auch nicht weiter. Missmutig betrachtete ich den Stapel von Hochglanz-Fachzeitschriften, der auf meinem Schreibtisch lag. Dann warf ich ihn mit Schwung in den Papierkorb. Bye, bye, Politik und Wissenschaft. Wahrscheinlich sollte ich die Apotheken-Umschau ab sofort zu meiner Pflichtlektüre machen. Es konnte schließlich nicht schaden, als Moderatorin eines Seniorenmagazins über Arthrose, Demenz und Blasenschwäche genauestens Bescheid zu wissen.
Blieb noch Punkt drei. Ich wollte gerade überprüfen, ob es möglicherweise an der Zeit wäre, den Backofen mal wieder einer intensiven Komplettreinigung zu unterziehen, um einer erfreulichen, mich von meinen düsteren Gedanken ablenkenden Tätigkeit nachgehen zu können, als mein Handy klingelte.
»Mensch, Katrin«, schrie Trixie mir ins Ohr, kaum dass ich »Ja, hallo« gesagt hatte. Sie klang fidel wie immer. »Warum meldest du dich nicht? Ich sitze hier seit gestern Abend auf heißen Kohlen und warte auf deinen Anruf. Ich muss doch alles ganz genau wissen. Wie war dein Date mit Oliver? Habt ihr beide einen schönen Abend gehabt?« An dieser Stelle kicherte sie anzüglich. »Ich nehme an, du hattest noch keine Zeit, dich zu melden, weil ihr zwei die ganze Nacht lang schwer beschäftigt gewesen seid, nicht wahr? Hach, ich habe vollstes Verständnis dafür, ihr beiden Turteltäubchen. Seid ihr jetzt wirklich so richtig ... ich meine, muss ich jetzt Sie zu dir sagen?«
»Ach Trixie ...« Mir entwich ein tiefer, finsterer Seufzer.
»Uh ...« Das Lachen in ihrer Stimme verschwand abrupt. »Was heißt hier ›Ach Trixie‹? Was war los? Sag’s schon! Ist Oliver etwa – eine Niete im Bett?«
»Keine Ahnung, Trixie, wenn es doch nur das wäre! Aber glaub mir, es interessiert mich nicht die Bohne, wie Oliver im Bett ist.«
»Ups. Nicht? Erzähl mehr!«
In fünf Sätzen brachte ich sie auf den aktuellen Stand, was offenbar auch für Trixie ein Schock war. Zum ersten Mal erlebte ich sie ein paar Sekunden lang sprachlos.
»Oliver ist gar nicht verliebt in dich?«, flüsterte sie schließlich. »Oh, du Arme. Er hat dir das Herz gebrochen. Wie kann er dir das antun ...«
»Keine Sorge, Trixie. Mein Herz ist ein ziemlich robustes Organ, so einfach ist das nicht zu brechen. Außerdem hat er mir ja nie etwas versprochen, und ich glaube, ich war auch nicht wirklich verliebt in ihn.«
»Nicht verliebt? Oh, Gott sei Dank ...«
»Es hat mir einfach nur geschmeichelt, dass er mich privat zum Essen eingeladen hat. Weißt du, es ist die berufliche Sache, die mir größere Sorgen macht.«
»Echt jetzt?«
»Ja. Ich überlege noch, was ich schlimmer finde: dass Ramona meine Sendung bekommt oder dass ich das Seniorenmagazin moderieren soll. Es ist beides eine absolute Katastrophe!«
»Oje. So schlimm?«
»So schlimm.«
Es war wieder einen Moment still im Telefon. Dann sagte Trixie: »Okay, Katrin. Verstanden. Rühr dich nicht von der Stelle! Bleib, wo du bist. Alles wird gut. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir!«
Trixie legte auf, bevor ich ihr versichern konnte, dass ich keineswegs beabsichtigte, mich aus Verzweiflung vom Balkon zu stürzen. (Was angesichts meiner Hochparterrewohnung ohnehin keinen nennenswerten Effekt gehabt hätte.)
Exakt dreiundzwanzig Minuten später saß Trixie neben mir auf dem Sofa. Sie hatte ihre Stiefel ausgezogen und die Beine zum Schneidersitz übereinandergeschlagen. Unter ihren Jeans trug sie grün-weiß geringelte Socken mit Weihnachtsmannmotiv.
»Also«, sagte sie, zog eines meiner Dekokissen heran und schlang die Arme darum, als wolle sie es erwürgen. »Jetzt erzähl mal alles ganz genau.«
Trixie hörte mir zu, während ich bis ins letzte Detail von meinem Abend mit Oliver berichtete. Ich erinnerte mich sogar noch an die kleinen Segelboote auf seiner Krawatte. Trixie lauschte, erstaunlicherweise ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.
Als ich fertig war, lächelte sie.
»Mach dir keine Sorgen. Es gibt ein Leben nach dem ›Spaziergang‹. Glaub mir, wir werden die tollste Seniorensendung machen, die je im deutschen Fernsehen gezeigt wurde!«
»Wir?! Wieso wir? Ich werde versetzt.«
»Ja, aber ich werde natürlich dabei sein. Ich bin die Redakteurin deiner Sendung – und wenn du demnächst das ›Kaleidoskop‹ moderierst, dann gehe ich selbstverständlich mit. Oder hast du etwa gedacht, ich würde beim ›Spaziergang‹ bleiben und künftig als Redakteurin für Ramona arbeiten? Mit ihr zusammen im Büro sitzen und mir den ganzen Tag lang dieses öde Gequatsche über Bleaching und Extensions anhören oder welcher B-Promi gerade mit welchem C-Promi liiert ist?!« Trixie schüttelte sich. »Puh. Nur über meine Leiche.«
»Okay, Trixie. Ich finde es ja toll, dass du für meine Sendung arbeiten willst. Aber so einfach geht das nicht. Du kannst nicht nach Lust und Laune deinen Job wechseln. Das muss Oliver entscheiden.«
»Ich weiß.« Trixie sah mich triumphierend an. »Oliver hat bereits zugesagt.«
»Oliver hat was?!«
»Ich habe gerade mit ihm gesprochen.«
»Aber wie das denn? Heute ist Samstag. Da ist er gar nicht im Dienst.«
»Stimmt. Aber in unserem Redaktionsleitfaden steht, bei besonderen Notfällen muss der Chef auch außerhalb seiner Dienstzeiten umgehend informiert werden.«
»Trixie«, stöhnte ich. »Diese Regelung gilt für den Fall, dass der Papst zurücktritt oder ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt – und nicht für irgendwelche persönlichen Probleme einer Mitarbeiterin.«
»Ach so? Na, ich finde, wenn meine Lieblingskollegin kreuzunglücklich ist, weil jemand ihre Karriere abgesägt hat, dann ist das durchaus ein Notfall, über den der Chef dringend informiert werden muss. Zumal er selbst dafür verantwortlich ist. Ich habe Oliver zu Hause angerufen und gesagt, entweder wechsle ich ab sofort mit dir in die Redaktion ›Kaleidoskop‹ – oder ich kündige.«
»Das hast du zu Oliver gesagt? Du hast ihm mit deiner Kündigung gedroht? Bist du verrückt geworden?«
Trixie grinste. »Kann schon sein. Aber immerhin hat es gewirkt. Oliver hat gesagt, dass er auf meine kreative Mitarbeit ungern verzichten möchte. Und wenn es mir ein besonderes Anliegen wäre, mit dir zum Seniorenmagazin zu wechseln, sei es ihm recht.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
»Darauf hat er sich eingelassen? Wow. Na gut. Mir kann nichts Besseres passieren, als dich weiter in meinem Team zu haben. Aber du bist so – jung, so gescheit und so witzig. Du wirst dich schrecklich langweilen mit diesem ganzen Rentnerkram!«
»Nö. Warum sollte ich mich langweilen? Ich habe mir schon ein paar coole Themen für die Sendung ausgedacht. Es ist ja nicht so, dass sich Leute über sechzig nur noch für Treppenlifte und Hüftprothesen interessieren – oder? Ich habe neulich bei YouTube das Video eines Fünfundachtzigjährigen aus Bad Münstereifel gesehen, der zum ersten Mal einen Bungee-Sprung gemacht hat. Was hältst du davon, wenn wir den Typen ausfindig machen und in deine Sendung einladen? Der hat bestimmt eine Menge zu erzählen. Und bei uns in der Nachbarschaft wohnt eine alte Frau, die stellt jeden Tag ein Foto von ihrem Morgenspaziergang durch den Westpark bei Instagram ein. Bei Instagram! Dabei ist sie schon hundertzwei! Und sie hat über tausend Abonnenten. Toll – oder? Nur weil ein Mensch nicht mehr ganz jung und knackig ist, muss er noch lange nicht scheintot sein. Apropos scheintot: Jimi Hendrix wäre in diesem Jahr fünfundsiebzig geworden. Kannst du dir das vorstellen? Hendrix – fünfundsiebzig? Zumindest vom Alter her wäre er genau deine Zielgruppe ... Was meinst du: Wir finden bestimmt ein paar Leute, die damals in Woodstock dabei waren und ihn auf der Bühne erlebt haben. Die sollen uns mal erzählen, wie das war im Sommer ’69 mit peace and music im Schlamm und ob Jimi Hendrix seine Gitarre wirklich mit der Zunge gespielt hat. Ach, Katrin, es gibt so viele spannende Dinge zu berichten. Egal, wie deine Sendung heißt: Wir rocken das ›Kaleidoskop‹.«
Diesmal war es an mir, sprachlos zu sein.
»Mensch, Trixie«, war das Einzige, was ich herausbrachte, und dann nahm ich sie in die Arme.
»Jetzt ist aber gut mit Kuscheln«, knurrte sie nach ein paar Sekunden und schob mich sanft, aber nachdrücklich von sich. »Mach mir lieber einen Kaffee. Und eines musst du mir versprechen: Wenn du demnächst mit dem Goldenen Griffel für die beste Seniorensendung der Welt ausgezeichnet wirst, wink mir von der Bühne aus zu.«
Das versprach ich ihr gern. Auch wenn das natürlich absoluter Quatsch war.
Die Nachricht über die personellen Veränderungen bei Hello-TV sprach sich rasant wie ein Tornado im Sender herum, der gut funktionierenden Gerüchteküche sei Dank. Als ich am Montag früh durchs Drehkreuz an der Eingangstür mehr schlich als ging, rief mir der Pförtner statt seines üblichen Guten-Morgen-Grußes zu: »Frau Faber, stimmt es wirklich, dass Sie den ›Spaziergang‹ demnächst nicht mehr moderieren?« Und die Frau an der Theke der Cafeteria überreichte mir meinen täglichen 9-Uhr-15-Cappuccino mit den Worten: »Haben Sie sich das auch gut überlegt, zu diesem Seniorenmagazin zu wechseln? Sie sind doch noch gar nicht so alt ...« Selbst ein Kameramann, mit dem ich seit Jahren nicht mehr zusammengearbeitet hatte und an dessen Namen ich mich nicht einmal mehr erinnern konnte, sagte, als wir uns im Aufzug trafen: »Na, das ist ja mal ein Ding, dass Ramona Hiebler deine Sendung bekommt!«
Ich hatte gar nicht erwartet, dass so viele Leute im Haus an meinem beruflichen Schicksal teilnahmen, und war beinahe gerührt.
Am Vormittag lud Oliver die Redaktion zu einer kurzfristigen Mitarbeiterversammlung in den großen Konferenzraum und machte die Sache offiziell. Er sprach von einer »rasanten Entwicklung in der Medienlandschaft, mit der wir Schritt halten müssen«, von »geänderten Erwartungen der Nutzer, die wir nicht ignorieren dürfen«, von »Quotendruck« und »Sachzwängen« und »kleinen Stellschrauben im Programm, an denen wir drehen müssen, damit Hello-TV auch weiterhin eine glänzende Zukunft als einer der Marktführer im deutschen Fernsehen hat«, und so weiter. Am Schluss seiner Ansprache kam Oliver auf mich zu und gratulierte mir vor dem versammelten Team – »von Herzen«, wie er sagte – zu meiner neuen Herausforderung beim »Kaleidoskop«, die ich – wovon er »zutiefst überzeugt« sei – ebenfalls mit Bravour meistern würde. Ich hätte es angemessen gefunden, wenn er mir dabei auch noch einen Blumenstrauß überreicht hätte, so formell klang das Ganze.
Oliver kündigte an, dass sich Ramona in den nächsten Tagen der Redaktion vorstellen und mit den Kollegen die Details ihrer neuen Sendung besprechen werde. Ich hatte erwartet, dass spätestens an dieser Stelle ein wilder Tumult ausbrechen würde. Solidaritätsbekundungen, Protestrufe wie: »Wir wollen unsere wunderbare Katrin behalten!« oder »Diese eingebildete Ramona soll bleiben, wo sie ist!« Wenigstens der ein oder andere Buhruf. Leider geschah nichts dergleichen. Ich registrierte rundum allgemeines Achselzucken. Vielleicht waren sämtliche Kollegen und Kolleginnen ja davon überzeugt, dass ihnen die sofortige Kündigung, Arbeitslosigkeit und Hartz IV für den Rest ihres Lebens drohten, wenn sie auch nur eine Silbe Kritik an Olivers Entscheidung äußerten. Nicht mal Trixie sagte etwas, obwohl sie sonst immer zu allem ihren Senf dazugab.
Dann nahm ich doch ein leises, unwilliges Murmeln in meiner Nähe wahr. Aber als ich genauer hinhörte, waren es nur zwei Kollegen, die sich über das verlorene Bayernspiel vom Wochenende austauschten.
Den Rest des Vormittags verbrachten Trixie und ich damit, die persönlichen Dinge aus unseren Schreibtischen in große Pappkartons zu packen. Noch heute würden wir unsere neuen Büros eine Etage höher beziehen. Ich war schweigsam und voller Wehmut, als ich meine Aktenordner und den Bilderrahmen mit einem Foto aus meiner ersten Sendung verstaute. So viele wunderbare Jahre hatte ich in diesem Raum verbracht, Woche für Woche an meiner Karriere gearbeitet – und jetzt war diese Ära zu Ende.
»Nimmst du deinen Kaktus mit?«, erkundigte sich Trixie, als wir fertig waren und nur noch das verkümmerte, stachelige Gewächs auf der Fensterbank stand. Der Kaktus war das vielsagende Geschenk eines Fernsehzuschauers gewesen, der sich über eines meiner Interviews geärgert hatte. »Eine kratzbürstige Moderatorin« hatte er mich in der beigefügten Karte genannt. Ich hatte den Kaktus trotzdem auf meine Fensterbank gestellt und ihn zumindest in den ersten Monaten gehegt und gepflegt. Aber damit war es jetzt vorbei.
»Nein«, sagte ich zu Trixie. »Der Kaktus bleibt hier. Das ist mein Willkommensgruß an Ramona, wenn sie hier nächste Woche einzieht.«
Das war zwar kindisch, aber es tat gut, und Trixie kicherte zustimmend.
Wir waren gerade dabei, die Kisten in mein neues Büro zu tragen, als Ramona uns im Treppenhaus über den Weg lief. Da hätte ich ihr den Kaktus ja gleich persönlich überreichen können.
»Stellt euch vor, ich bekomme meine eigene Show!«, schrie sie uns vom oberen Treppenabsatz entgegen, während sie mit ihren stängeldünnen 15-Zentimeter-Absätzen die Marmorstufen herunterbalancierte. Sie trug ein sehr kurzes, sehr enges und sehr rotes Stretchkleid, das zweierlei zeigte: Sie hatte erstens wirklich tolle Kurven und zweitens eine sehr merkwürdige Vorstellung von bürotauglicher Garderobe.
»Ich bekomme meine eigene Show!«, schrie sie noch einmal, als wäre es akustisch möglich gewesen, ihr Gekreische zu überhören.
»Das wissen wir doch schon«, erklärte Trixie und stellte ihren Karton ab. »Deshalb brauchst du nicht unsere Trommelfelle zum Platzen zu bringen.«
»Nein, das wisst ihr noch nicht.« Ramona blieb lächelnd vor uns stehen und warf ihre glatte blonde Mähne mit Schwung über die Schultern. »Es wird himmlisch! Ganz anders als bei dir, Katrin. Wir haben das Konzept noch mal komplett umgeworfen. Das mit dem Skateboard war mir einfach zu albern. Oliver hat die neue Planung gerade erst genehmigt. Ich komme direkt aus seinem Büro. Ach, unser Chef ist einfach ein Schatz! Ich bin so wahnsinnig aufgeregt. Eigentlich darf ich es euch noch gar nicht verraten, aber wenn ich es nicht sofort jemandem erzähle, dann platze ich.«
Ich versuchte, mir Letzteres plastisch vorzustellen, aber Ramona ließ mir keine Zeit für Kopfkino und plapperte ohne Pause weiter: »Meine Sendung bekommt einen neuen Namen. Ich bin sooo happy. ›Spaziergang mit ...‹ – das klingt doch ziemlich retro. Findet ihr nicht auch? Bei mir heißt die Sendung viel cooler. Hört euch das an: ›Die ultimative Ramona-Hiebler-Live-Show‹. Ist das nicht irre?«
Das war total irre, das musste ich zugeben. Das war so irre, dass ich am liebsten den psychiatrischen Notdienst alarmiert hätte. Wer dachte sich denn so einen bescheuerten Namen für eine Sendung aus! Allmählich machte ich mir Sorgen um Oliver. Trixie ging es offenbar ähnlich.
»Die ultimative Ramona-Hiebler-Live-Show?«, wiederholte sie und betonte dabei jede einzelne Silbe, als wäre sie sich nicht ganz sicher, ob sie Ramona richtig verstanden hatte. »Was genau soll das werden?«
»Na, meine Sendung. Krass – oder? Oliver ist auch ganz begeistert. Es ist so fantastisch, eine eigene Show zu haben. Eine eigene, ultimative Supershow. Und zwar nicht aufgezeichnet, sondern richtig live! Zur allerbesten Vorabendsendezeit. Außerdem bekomme ich ein eigenes Studio und echtes Publikum! Und wisst ihr, wer mein erster Gesprächspartner sein wird? Elyas M’Barek! Ist das nicht der Wahnsinn? Ich und Elyas M’Barek zusammen auf einem Sofa. The allersexiest man of Deutschland zum Anfassen. Ich krieg mich nicht mehr ein. Ich bin so happy, ich dreh gleich durch!«
Ich hatte eher den Eindruck, dass Ramona bereits komplett durchgedreht war. Hoffentlich verabreichte ihr jemand ein bisschen Baldrian, bevor sie ihre erste Sendung machte. Damit sie beim Anblick von Elyas M’Barek nicht sofort in Ohnmacht fiel. Beziehungsweise er, wenn er sie sah.
»Aber jetzt muss ich los, ihr zwei Süßen. Ich hab noch so viel zu tun. Vor allem muss ich mich jetzt dringend darum kümmern, dass ich einen dicken Stapel neue Autogrammkarten bekomme! Ich bin ja dann demnächst so richtig prominent. Und die Woche drauf kommt übrigens Til Schweiger, er hat auch schon zugesagt. Ach, ich kann es noch gar nicht richtig glauben. Meine Zukunft ist so – pink!«
Sie lief ein paar Schritte treppab, dann stoppte sie und drehte sich noch einmal zu uns um.
»Übrigens, ihr könnt ja auch mal in meine Sendung kommen. Fände ich toll. Die Tickets fürs Publikum gibt’s gratis. Einfach bei der Hotline anrufen. Wir sehen uns! Bussi, Bussi!« Sie bedachte uns mit ein paar huldvoll hingehauchten Luftküssen, lachte und winkte und tanzte das Treppenhaus hinunter wie ein Gummiball auf Koks.
»Sag mal«, meinte Trixie, als Ramona aus unserem Blickfeld verschwunden war und ich noch wie vom Donner gerührt dem leiser werdenden Klackern ihrer Absätze lauschte. »Denkst du, sie hat etwas mit ihrem Busen gemacht?«
Ich fragte mich viel eher, was sie mit Oliver gemacht hatte, aber das wollte ich meiner Freundin gegenüber nicht laut sagen. Trixie sah unglücklich aus. Je mehr Ramona von unserem Chef geschwärmt hatte, desto dünner war das Lächeln in Trixies Gesicht geworden.
»Mit ihrem Busen? Wieso? Was soll sie denn mit ihrem Busen gemacht haben?«
»Na, hör mal, die hatte doch nicht immer schon solche enormen ...« Trixie spreizte die Finger und machte eine eindeutige Geste. Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich wirken Brüste größer, wenn man ein Kleid anhat, das mindestens zwei Nummern zu klein ist.«
»Hm.« Trixie war nicht zufrieden mit meiner Erklärung. Sie schien über etwas nachzudenken. »Glaubst du, da läuft was zwischen Oliver und Ramona? Ich meine, wenn du nicht die Glückliche bist, wer ist es dann? Und wieso sonst sollte sie auf einmal so eine Megakarriere machen!«
»Oliver und Ramona?«, zischte ich. »Bist du verrückt geworden? Er mag ja die ein oder andere fragwürdige Programmentscheidung getroffen haben, aber einen dermaßen schrägen Geschmack in Liebesdingen, das traue ich nicht mal ihm zu.«
Wobei ... Mittlerweile traute ich Oliver eigentlich alles zu.
»Na ja, ist mir im Übrigen völlig egal«, sagte Trixie, was sich leider nicht ganz ehrlich anhörte. »Los, komm jetzt.« Energisch hob sie ihren Karton wieder auf. »Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Während ich mit Eberhard wenig später ein paar grundsätzliche Fragen zur Zukunft des »Kaleidoskops« besprach, stürzte sich Trixie voller Tatendrang darauf, unsere neue Sendung vorzubereiten. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, jemanden ins Studio zu holen, der Jimi Hendrix noch gekannt hatte. Offenbar nahm sie ihr Motto »Wir rocken das ›Kaleidoskop‹« wörtlich. Allerdings gestaltete sich dieses Unterfangen schwieriger, als wir uns das vorgestellt hatten. Trixie mailte und telefonierte in den nächsten Tagen wie eine Weltmeisterin. Aber die meisten Leute, die mit Jimi Hendrix zu tun gehabt hatten, waren entweder längst gestorben, wohnten zu weit weg – oder hatten einfach kein Interesse daran, in einer Fernsehsendung aufzutreten, in der es vorher um die verschiedenen Aspekte einer Urnenbestattung ging und anschließend um Stützstrümpfe.
Auch die hundertzweijährige Dame mit den vielen Fans bei Instagram schickte uns eine Absage, als wir sie in die Sendung einluden. Sie war kürzlich bei ihrem Spaziergang durch den Westpark im Schneematsch ausgerutscht und hatte sich den Oberschenkel gebrochen. Jetzt lag sie im Krankenhaus und stellte jeden Tag ein Foto von ihrem Gipsbein ins Netz. »Ein anderes Mal gern«, schrieb sie, aber das half mir für meine erste Ausgabe des »Kaleidoskops« auch nicht weiter. Trixie versuchte daraufhin, eine Seniorin zu kontaktieren, die im vorigen Jahr mit ihrem Motorrad durch Indien gereist war. Davon hatte sie kürzlich in der Zeitung gelesen. Aber leider war die Dame inzwischen verstorben.
Glücklicherweise war Crazy Kurt noch fit. Das war der Mann, der im zarten Alter von fünfundachtzig noch mit dem Bungeespringen angefangen hatte. Er fand es großartig, ins Fernsehen zu kommen, und sagte sofort zu, als Trixie ihn anrief und um ein Interview bat. Wir waren sehr erleichtert. Zwar war unser Mann nicht halb so sexy wie Ramonas Gesprächspartner, aber immerhin lebte er noch.
Und dann kam der Tag meiner Premiere beim »Kaleidoskop«. Getreu meiner Devise »Jammern nützt nichts« hatte ich meine erste Sendung bis ins letzte Detail vorbereitet. Genau genommen war es nur eine halbe Sendung. Denn Eberhard und ich hatten einen fliegenden Wechsel vereinbart: Mitten in seiner letzten Show würde er sich von seinem Publikum verabschieden, worauf ich als seine Nachfolgerin vorgestellt werden würde, die dann den Rest des Magazins moderierte.
Ich beobachtete die erste Hälfte der Sendung auf den Monitoren im Regieraum, wo ich auf meinen Einsatz wartete.
»Nun ist es Zeit für mich, Lebwohl zu sagen«, verkündete Eberhard gerade. »Ab sofort werde ich mir das ›Kaleidoskop‹ – genauso wie Sie, meine verehrten Damen und Herren – ganz gemütlich von meinem Wohnzimmersessel aus anschauen.«
Bei diesen Worten fuhr die Kamera ganz nah an sein Gesicht heran, und man sah, dass tatsächlich Tränen in seinen Augen glitzerten, so gerührt war er. In diesem Moment erschien seine komplette Redaktion im Studio und überreichte ihm einen großen roten Rosenstrauß. Oliver nannte Eberhard vor laufender Kamera ein »Urgestein des deutschen Fernsehens«, das sich nach zweiunddreißig Dienstjahren in den wohlverdienten Ruhestand verabschiede. »Er hat das ›Kaleidoskop‹ zu der ganz besonderen Sendung gemacht, die sie heute ist. Gesehen und geliebt von Millionen Menschen. Ich danke dir von Herzen. Du wirst Hello-TV unvergessen bleiben.«
Alle klatschten, dann sprach Oliver weiter: »Ab sofort wird ein neues Gesicht das ›Kaleidoskop‹ moderieren, unsere wunderbare Kollegin Katrin Faber, die viele von Ihnen« – damit war wieder das Fernsehpublikum gemeint – »bereits aus der beliebten Talksendung ›Spaziergang mit Katrin‹ kennen und lieben. Herzlich willkommen, Katrin Faber!«