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In einem herrlichen Palast mit Blick auf das azurblaue Mittelmeer erfüllt sich Callys langgehegter beruflicher Traum: Sie darf zwei kostbare Gemälde restaurieren. Als Krönung all dessen ist ihr Auftraggeber auch noch ein attraktiver Aristokrat. Dennoch würde Cally nur zu gern auf der Stelle wieder gehen, als sie Leon Montallier, Fürst von Montéz, erblickt. Denn seit ihrem ersten Zusammentreffen in einer Londoner Galerie hält sie ihn für arrogant, unverschämt und herzlos. Und so sprüht sie nun vor Zorn - obwohl längst ganz andere Gefühle zwischen ihnen funkeln …
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© 2009 by Sabrina Philips
Originaltitel: „Prince Of Montéz, Pregnant Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon, London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: ROMANA
Band 1847 (14/1) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Fotos: Matton Images
Veröffentlicht im ePub Format im 07/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-86295-043-0
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Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
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Liebestraum am Mittelmeer
1. KAPITEL
Ihr Herz pochte so wild, dass man es bestimmt im ganzen Auktionssaal hören konnte. Cally Greenway atmete tief durch, während sie zum wiederholten Mal ihre Sitzposition wechselte.
Wahrscheinlich lag es nur an ihrer Anspannung, denn dies war der Abend, auf den sie sehnlich gewartet hatte. Sie blickte auf ihre Uhr. In weniger als zehn Minuten würde der Traum, für den sie so hart gearbeitet hatte, endlich wahr werden.
Warum fühlte sie sich dann nur dem Zusammenbruch nahe?
Cally schloss die Augen und suchte nach einer Erklärung dafür, als der Preis für das vorletzte Stück, einen sehr begehrten Monet, eine astronomische Höhe erreichte. Ja, nun wusste sie es! Sie war Restauratorin, doch auf Veranstaltungen wie diesen, auf denen sich alles nur um Äußerlichkeiten und Geld drehte, wurde ihr immer klar, wie fremd die Kunstwelt sie anmutete. Im Overall in ihrem Atelier hätte sie sich wohler gefühlt als hier auf der renommiertesten Kunstauktion des Jahres bei Crawford’s.
Genau deshalb bin ich auch so aufgewühlt, redete sie sich ein, während sie den Saum des schwarzen Etuikleids, einer Leihgabe von ihrer Schwester, übers Knie zog. Mit seiner Anwesenheit hatte es absolut nichts zu tun.
Wie kam sie nur auf die Idee, dass er diese Wirkung auf sie ausübte? Kein Mann konnte solche Empfindungen in ihr wecken, vor allem nicht bei der ersten Begegnung.
Bei dem Besichtigungstermin vor zwei Tagen hatte sie ihn zwar schon einmal gesehen, aber nicht mit ihm gesprochen. Mit den klassischen Zügen war er sehr attraktiv und sein eleganter Anzug offenbar maßgeschneidert. Dies und seine Anwesenheit ließen darauf schließen, dass er reich sein musste. Vermutlich besaß er außerdem einen Titel wie Herzog oder Graf und würde eine Frau wie sie keines Blickes würdigen. Und das konnte ihr nur recht sein, weil sie ein gebranntes Kind war und seitdem um einen großen Bogen um arrogante Männer wie ihn machte.
Dennoch musste sie ständig an seine intensiven blauen Augen denken, seit sie jenen Verkaufsraum betreten und den Fremden dort stehen sehen hatte. Sie musste all ihre Willenskraft aufbieten, um sich nicht wieder umzudrehen und einen verstohlenen Blick in die zweite Reihe von hinten auf der rechten Seite zu werfen. Jedes Mal, wenn sie es tat, schenkte er ihr ein unwiderstehliches schiefes Lächeln, das sie erschauern ließ.
„Und damit kommen wir zu Nummer fünfzig, zwei Gemälde von Jacques Rénard aus dem neunzehnten Jahrhundert mit dem Titel Mon Amour par la Mer, aus dem Nachlass von Hector Wolsey. Sie sind zwar restaurierungsbedürftig, aber es handelt sich um die bedeutendsten Werke des Künstlers.“
Cally richtete sich auf, als die Worte des Auktionators den entscheidenden Moment ankündigten. Erneut schloss sie die Augen und atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Als sie sie wieder öffnete, drehte sich das Wandpaneel zur Rechten des Mannes um hundertachtzig Grad, und die Exponate kamen zum Vorschein. Vor Ehrfurcht stockte ihr der Atem.
Sie erinnerte sich noch genau an das erste Mal, als sie sie – oder vielmehr einen Druck davon – gesehen hatte. Es war in der fünften Klasse gewesen. Ihre Kunstlehrerin Mrs. McLellan hatte sie ihnen als Beispiel dafür gezeigt, wie Jacques Rénard zu seiner Zeit die Kunst revolutioniert hatte, indem er statt einer Göttin eine echte Frau darstellte. Ihre Mitschüler hatten verlegen gekichert, denn das erste Bild zeigte diese angezogen und das zweite nackt. Für sie hingegen war es ein entscheidender Moment in ihrem Leben gewesen, weil die Bilder für sie Schönheit und Wahrheit versinnbildlichten und ebenso, dass alles zwei Seiten hatte. In dem Augenblick war ihr bewusst geworden, dass ihre Zukunft in der Kunst lag. Dieser Gewissheit war später nur ihr Entsetzen darüber gleichgekommen, dass die Originale nicht in einem Museum hingen, sondern sich im Besitz eines selbstgefälligen Aristokraten befanden und auf dessen Landsitz feucht wurden und Zigarrenrauch ausgesetzt waren.
Jetzt allerdings gehörten sie Hector Wolsey junior, der sie so schnell wie möglich verkaufen musste, weil seine Leidenschaft den Pferdewetten galt. Die Citygalerie in London hatte alles darangesetzt, sie zu erwerben, und einen Spezialisten gesucht, der sie aufwendig restaurieren sollte. Mit ihrer Begeisterung, ihren bisherigen Berufserfahrungen und ihrem Fachwissen über den Künstler hatte Cally die Leitung der Galerie davon überzeugen können, dass sie die ideale Kandidatin für diese Aufgabe war. So lange sie sich erinnern konnte, hatte sie sich genau das gewünscht, und für sie war es die Chance ihres Lebens.
Cally blickte sich im Auktionssaal um, während die Gebote in die Höhe schnellten. Gina, die Agentin der Galerie, die einige Plätze weiter saß, hatte das erste abgegeben. In allen Reihen wurde aufgeregt geflüstert, und die Mitarbeiter von Crawford’s an den Telefonen gaben die Summen an Interessenten auf der ganzen Welt durch. Innerhalb kürzester Zeit überstiegen die Gebote den Schätzpreis im Verkaufskatalog so weit, dass Cally sich am liebsten mit ihrem Exemplar Luft zugefächelt hätte, weil ihr plötzlich ganz heiß wurde. Allerdings tat sie es nicht, aus Angst, man könnte es mit einem Handzeichen für ein Gebot verwechseln.
Ihr Puls raste noch mehr, sobald sie einen verstohlenen Blick über die Schulter warf und den attraktiven Fremden betrachtete. Scheinbar ungerührt lehnte er sich mit einer beneidenswerten Lässigkeit zurück. Sie hingegen konnte ihre Nervosität nicht ablegen, auch wenn Gina weiter mitbot und die Galerieleitung ihr versichert hatte, dass sie den Zuschlag bekommen würden.
Aber das hat Wolseys Sohn beim Wetten wohl auch gedacht, überlegte Cally. Sie erinnerte sich noch zu gut, wie gefährlich es sein konnte, jemandem blind zu vertrauen. Dann versuchte sie sich zu entspannen, was ihr jedoch nicht gelang. Auch wenn man ihr gesagt hatte, die Citygalerie London würde über genügend finanzielle Mittel verfügen, konnte man eine Situation wie diese nur als Außenstehender gelassen verfolgen. Und der Fremde hatte auf keines der elf Gemälde geboten. Noch während sie überlegte, was er dann hier machte, passierte etwas.
„Jemand hat am Telefon … Warten Sie … zehn Millionen mehr geboten“, verkündete der Auktionator überraschend langsam, bevor er erstaunt die Brille abnahm und von seinem Mitarbeiter am Apparat zu Gina blickte. „Damit wären wir bei siebzig Millionen. Höre ich einundsiebzig, Madam?“
Plötzlich herrschte unheilvolles Schweigen. Cally spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals klopfte und ihr Magen sich zusammenkrampfte. Wer, in aller Welt, mochte ihr Mitbewerber sein? Der Galerieleitung zufolge hätte jeder ernsthafte Interessent hier im Publikum sitzen müssen. Ginas entsetzte Miene sagte alles. Die Nerven zum Zerreißen gespannt beobachtete Cally, wie ihre Kollegin nervös in die Unterlagen auf ihrem Schoß blickte und schließlich nickte.
„Einundsiebzig Millionen“, bestätigte der Auktionator. Dann setzte er seine Brille wieder auf und sah seine Mitarbeiter an den Telefonen an. „Höre ich zweiundsiebzig? Ja.“ Erneut wandte er sich an Gina. „Bekomme ich dreiundsiebzig?“
Diese nickte widerstrebend.
Nun sah er wieder seine Mitarbeiter an.
„Wir haben achtzig am Telefon.“
Achtzig?
„Bietet jemand einundachtzig?“
Nichts. Krampfhaft schloss Cally die Augen.
„Achtzig zum ersten …“
Hilflos blickte sie Gina an, die allerdings bedauernd den Kopf schüttelte.
„… zum zweiten … und zum dritten.“
Die Worte des Auktionators und das Geräusch des Hammers hallten schmerzhaft in ihr nach.
Die Londoner Citygalerie hatte die Rénards verloren.
Es dauerte eine Weile, bis ihr die ganze Tragweite bewusst wurde. Cally war schockiert. Die Gemälde, die ihr so viel bedeuteten, würden in irgendein Land verschifft werden. Sie konnte die Hoffnung, sie zu restaurieren und damit auch einen enormen Karrieresprung zu machen, endgültig begraben. Im nächsten Moment drehte das Wandpaneel sich wieder, und die Bilder verschwanden.
Nichts im Leben war wirklich sicher. Es war vorbei.
Während die Anwesenden den Auktionssaal verließen, blieb Cally wie gelähmt auf ihrem Stuhl sitzen und blickte starr auf die leere Wand. Daher bemerkte sie auch nicht, dass der attraktive Fremde noch blieb und Gina sich leise bei ihr entschuldigte, bevor sie mit gesenktem Kopf wegging. Natürlich wusste sie, dass die Galerie nicht über unbegrenzte Mittel verfügte. Und selbst wenn sie den anonymen Käufer überboten hätte, mussten die Ausgaben im Verhältnis zu den späteren Einnahmen durch die Besucher stehen. Immerhin überstieg die erzielte Summe den Schätzwert um fast das Doppelte. Gina war ein großes Risiko eingegangen, als sie so hoch mitbot.
Jemand anders hatte die Rénards also noch mehr gewollt. Aber wer? Dieser Gedanke riss Cally aus ihrer Starre. Derjenige, der die Bilder erworben hatte, würde sicher jemanden suchen, der sie restaurierte. Obwohl es gegen alle Regeln verstieß, musste sie es herausfinden. Sie sprang auf und eilte zu den Mitarbeitern, die an den Telefonen gestanden hatten.
„Bitte sagen Sie mir, wer die Rénards gekauft hat“, rief sie zu dem Mann, der mit dem anonymen Bieter gesprochen hatte.
Genau wie einige seiner Kollegen und Kolleginnen blieb er stehen und betrachtete sie neugierig und missbilligend zugleich.
„Das weiß ich nicht, Madam. Es ist streng vertraulich.“
Verzweifelt blickte sie ihn an, doch er schüttelte den Kopf.
„Er sagte nur, er würde im Auftrag eines privaten Sammlers handeln.“
Mit weichen Knien wich sie einige Schritte zurück und sank auf den nächsten Stuhl, wo sie das Gesicht in den Händen barg und mit den Tränen kämpfte. Ein privater Sammler! Also würde vermutlich niemand die Werke zu sehen bekommen, bis dieser starb.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Zum ersten Mal seit der Geschichte mit David hatte sie geglaubt, ihr Leben würde endlich weitergehen. Doch ihr Traum war wie eine Seifenblase zerplatzt. Und was sollte sie jetzt tun? Sie würde sich in ihrem Zimmer in dem billigen Hotel in London vergraben und am nächsten Tag in ihr Stadthaus mit dem Atelier in Cambridge zurückkehren. Dann würde sie sich ein weiteres Jahr mit gelegentlichen Aufträgen über Wasser halten müssen, von denen sie gerade ihre Hypothek abtragen konnte. Denn wenn sich mal eine einzigartige Chance wie diese bot, schien es immer nur darauf anzukommen, wen man kannte, und nicht darauf, welche Fähigkeiten man besaß.
„Ich glaube, Sie können einen Drink gebrauchen.“
Die Worte verrieten einen französischen Akzent, und der Klang der Männerstimme ließ sie noch mehr erschauern als das Geräusch des Hammers zuvor. Natürlich wusste sie sofort, wer mit ihr sprach. Und anders als sie sich weiszumachen versucht hatte, übte er eine noch verheerendere Wirkung auf sie aus, als er sich ihr näherte. Nervös strich sie sich durchs Haar, bevor sie sich zu ihm umdrehte.
„Nein, es geht mir gut, danke.“
Gut? Beinah hätte sie laut gelacht. Selbst wenn man sie gebeten hätte, alle versteigerten Gemälde zu restaurieren, wäre es eine starke Übertreibung gewesen. Sie blickte zu ihm auf. Mit fast einem Meter neunzig wirkte er noch imposanter, weil er stand, und er weckte Gefühle in ihr, die sie weder ergründen konnte noch wollte.
„Das klingt nicht besonders überzeugend.“ Forschend betrachtete er sie.
„Und wer sind Sie? Crawford’s hauseigener Psychologe?“, konterte Cally forsch. „Betreten Sie gegen Auktionsende den Raum, um danach die enttäuschen Bieter zu betreuen?“
Ein ebenso ironisches wie entwaffnendes Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie haben mich also bemerkt, als ich gekommen bin.“
Prompt errötete sie. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“
„Stimmt.“
Sie machte eine finstere Miene. Menschen, die es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, mochte sie noch weniger als solche, die mit ihrem Geld protzten. Energisch nahm sie ihre Handtasche und stand auf.
„Danke für Ihr Mitgefühl, aber ich muss jetzt in mein Hotel.“ Sie wandte sich zum Gehen.
„Nein, das bin ich nicht“, erklärte er. „Psychologe, meine ich.“
Daraufhin drehte sie sich zu ihm um, was er zweifellos beabsichtigt hatte. „Wer sind Sie dann?“
„Ich heiße Leon.“ Der Fremde kam zu ihr und reichte ihr die Hand.
„Und?“
„Ich bin im Auftrag meiner Universität hier.“
Er war also Dozent? Hätte ich bloß in Frankreich studiert, wünschte sich Cally und schämte sich sofort dafür. Ihre Kunstprofessoren waren alle fast sechzig und nicht besonders gepflegt gewesen. Dann wunderte sie sich, weil er für einen Universitätsmitarbeiter zu wohlhabend und weltgewandt wirkte. Andererseits galten Franzosen als besonders schick und gut aussehend. Und seine Tätigkeit erklärte, warum er nicht mitgeboten hatte. Anscheinend hatte sie vorschnelle Schlüsse gezogen.
„Cally.“ Als sie ihm die Hand schüttelte, durchlief es sie heiß.
„Und, sind Sie eine enttäuschte Bieterin?“ Skeptisch zog er eine Braue hoch.
„Entspreche ich Ihrer Meinung nach nicht dem Bild?“
„Soweit ich weiß, haben Sie kein einziges Gebot abgegeben.“
„Sie haben mich also vorhin bemerkt?“ Cally versuchte die Freude zu unterdrücken, die sie bei dieser Vorstellung empfand. Vor zwei Tagen hatte er sie keines Blickes gewürdigt, wahrscheinlich, weil sie sich nicht zurechtgemacht hatte. Und was spielte es für eine Rolle, ob er sie wahrnahm oder nicht? Es war nur eine Frage der Zeit, bis er seine Aufmerksamkeit einer anderen Frau widmete.
Leon nickte. „Ja. Und da Sie meine Frage, ob Sie enttäuscht sind oder nicht, auch nicht beantwortet haben, sind wir jetzt quitt.“
Als sie den Blick zu der Stelle schweifen ließ, an der eben noch die beiden Bilder gehangen hatten, fühlte sie sich wieder wie eine Versagerin. „Das ist ziemlich kompliziert. Sagen wir, heute hätte mein Leben eine positive Wendung nehmen sollen. Leider war es nicht der Fall.“
„Der Abend ist noch jung.“ Er lächelte selbstsicher.
Widerstrebend wandte sie den Blick von seinen Lippen ab und sah demonstrativ auf ihre Uhr. Viertel nach zehn. „Ich muss jetzt ins Hotel zurück, wie ich schon sagte.“
Sie wandte sich ab und ging auf die geöffnete Flügeltür zu.
„Haben Sie ein besseres Angebot, oder gehören Sie zu den Frauen, die Angst davor haben, Ja zu sagen?“
Cally erstarrte, wandte sich allerdings nicht um.
„Nein, aber ich weiß, dass fremde Männer, die einen gleich auf einen Drink einladen, eigentlich etwas anderes wollen. Und ich bin nicht interessiert.“
Leon pfiff leise. „Sie ziehen es also vor, wenn ein Mann gleich auf den Punkt kommt?“
Wieder errötete sie. „Nein, sondern wenn es bei einem Drink bleibt.“
„Sie sind also durstig, chérie?“
Plötzlich war ihr Mund so trocken, dass sie schlucken musste. Gehörte sie tatsächlich zu den Frauen, die Angst davor hatten, Ja zu sagen? Die Vorstellung, dass er womöglich recht hatte, schockierte sie und machte sie traurig. Nein, sagte Cally sich dann. Ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass ein solches Ja unweigerlich zu Enttäuschungen führt. Deswegen hatte sie anders als ihre Altersgenossinnen, die ständig mit wechselnden Typen in Clubs gingen, die letzten sieben Jahre damit verbracht, sich weiterzubilden, und oft bis in die frühen Morgenstunden am Schreibtisch gesessen. Und was hatte sie nun davon? Gar nichts.
Sie atmete tief durch. Natürlich ging sie das Risiko ein, enttäuscht zu werden. Aber wäre es schlimmer, als in ihr Zimmer zurückzukehren, wo sie ihren Kummer nur mithilfe des völlig überteuerten Inhalts der Minibar lindern konnte? Mit einem ganz normalen Mann etwas trinken zu gehen würde sie wenigstens für eine Weile auf andere Gedanken bringen.
„Einverstanden. Unter einer Bedingung …“, begann sie. Als sie dann jedoch zu ihm aufblickte und sein umwerfendes Lächeln sah, fiel ihr zu spät ein, dass die Gefühle, die er in ihr weckte, alles andere als normal waren. „Wir reden nicht über unsere Arbeit.“
„Abgemacht.“
„Und?“ Ihr wurde schwindelig. „Wo gehen wir hin?“
2. KAPITEL
Leon hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollten. Die letzten beiden Tage hatte er an nichts anderes denken können als an sie. Er hatte den Besichtigungstermin bei Crawford’s wahrgenommen, um sich die beiden Gemälde anzusehen, die alle haben wollten, und festgestellt, dass er etwas ganz anderes begehrte – die schöne Fremde mit der üppigen rotbraunen Mähne, die wie gebannt die beiden Bilder betrachtete. Bei ihrem Anblick hatte er diese völlig vergessen, denn sie hatte starkes Verlangen in ihm geweckt, allerdings unbeabsichtigt. Ihre Hemdbluse und der lange Rock, die sie trug, hatten ihre weiblichen Kurven nur erahnen lassen, und er hatte den übermächtigen Wunsch verspürt, sie an Ort und Stelle auszuziehen.
Auf ihn hatte sie jedoch wie der Typ Frau gewirkt, der alles durch Gefühle kompliziert machte. Und um herauszufinden, ob es tatsächlich der Fall war, hatte er sich diskret über sie erkundigt und erfahren, dass sie im Auftrag der Londoner Citygalerie die Rénards restaurieren sollte. Was für eine Fügung des Schicksals!
Verstohlen beobachtete er sie, während sie neben ihm herging, ohne den Verkehrslärm wahrzunehmen, der die laue Juniluft erfüllte. Zu seiner Freude war ihr Outfit anders als vor achtundvierzig Stunden diesmal richtig glamourös, denn sie trug ein elegantes schwarzes Etuikleid, und ihr wunderschönes Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern. An diesem Abend verkörperte sie genau den Typ Frau, der einer flüchtigen Affäre, wie sie ihm vorschwebte, nicht abgeneigt war.
„Entscheiden Sie“, forderte er sie auf, sobald sie das Ende der Straße erreichten und ihm bewusst wurde, dass er ihr noch immer eine Antwort schuldete.
Cally, die mit jeder Sekunde nervöser wurde, wollte das Ganze so schnell wie möglich beenden. „Lassen Sie uns einfach in die nächste Bar gehen. Schließlich wollen wir nur etwas trinken, oder?“
Leon nickte.
Als sie um die Ecke bogen, hörte Cally dumpfe Bässe und sah eine Leuchtreklame: Straße zur Hölle.
„Perfekt“, verkündete sie. Die Bar wirkte zwar wenig anheimelnd, aber wenigstens war es darin zu laut für eine Unterhaltung.
Im nächsten Moment kam ein Pärchen heraus und fing an zu knutschen. Leon musste sich ein Lächeln verkneifen. „Sieht nicht schlecht aus.“
Das konnte er unmöglich ernst meinen! Forschend betrachtete sie ihn, bereute es allerdings sofort, denn der Anblick seines Gesichts im sanften Schein der Straßenbeleuchtung ließ sie erschauern.
„Prima. Und mein Hotel ist nur zwei Straßen entfernt“, sagte sie, um sich davon zu überzeugen und ihn daran zu erinnern, dass sie sich gleich nach dem Drink in ihr Zimmer zurückziehen konnte.
„Besser geht es nicht“, bemerkte er mit einem vielsagenden Ausdruck in den Augen.
Als sie an dem Pärchen vorbeikamen, das sich gerade voneinander löste, um Luft zu holen, schluckte Cally.
In der Bar war es sehr schummrig, und einige Paare tanzten zu einem Stück, das eine Künstlerin mit rauchiger Stimme sang. Insgeheim beglückwünschte sie sich zu ihrer Wahl, weil die Geräuschkulisse jedes Gespräch unmöglich machte.
„Und, was soll es sein? Ein Süßer Tod oder ein Ananasquickie?“
„Wie bitte?“ Schockiert wirbelte sie herum und stellte dann fest, dass Leon aus der Cocktailkarte vorlas, die er vom Tresen genommen hatte.
„Ich nehme nur ein Mineralwasser, danke.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, zog er missbilligend die Brauen hoch. „Na gut.“ Schnell überflog sie die Auswahl. „Ein Kaktusgift bitte.“
Angestrengt überlegte sie, wann sie das letzte Mal Alkohol getrunken hatte. Ja, ein Glas Wein auf der Taufe ihres Neffen im Januar. Sie musste wirklich öfter ausgehen!
Nachdem Leon sein Jackett ausgezogen hatte, bestellte er zweimal dasselbe. Er wirkte so lässig, als würde er sich häufig in solchen Etablissements aufhalten. Cally hingegen verschränkte verlegen die Arme vor der Brust, weil sie sich overdressed fühlte.
„Erzählen Sie mir jetzt nicht, dass Sie oft hier sind.“
„Nein, ich lebe in Frankreich. Und wie lautet Ihre Entschuldigung?“
Cally lachte und entspannte sich ein wenig, als Leon und sie einen Tisch fanden und sich setzten. Sofort servierte die Kellnerin die Drinks. „Ich wohne in Cambridge.“
„Sie wussten also nicht, dass die Straße zur Hölle gleich hinter der nächsten Ecke liegt?“
„Nein.“ Der Name passt ja, dachte sie, als sie sich an die Auktion erinnerte.
Er schien ihre Verzweiflung zu spüren und prostete ihr zu. „Und, worauf sollen wir trinken?“
Sie überlegte einen Moment. „Darauf, dass harte Arbeit sich letztendlich nicht lohnt.“
Seine Gesellschaft und die Atmosphäre in der Bar machten ihr bewusst, dass sie vielleicht doch darüber reden musste. Zumindest hoffte sie, es wäre der Grund dafür und nicht die Tatsache, dass sie kein anderes Gesprächsthema kannte.
„Entschuldigen Sie“, fügte sie hinzu, als sie merkte, wie unhöflich es geklungen hatte. „Auf … die Straße zur Hölle.“
Nachdem sie angestoßen hatten, tranken sie einen Schluck und verzogen beide das Gesicht, weil der Cocktail so sauer war.
„Der heutige Abend ist für Sie also nicht unbedingt nach Plan verlaufen?“, hakte Leon dann nach.
„So könnte man es nennen. Die Leitung der Londoner Citygalerie hatte mir den Auftrag, die Rénards zu restaurieren, in Aussicht gestellt, falls sie den Zuschlag bekommen. Aber das haben sie nicht.“
„Vielleicht sollten Sie Ihre Dienste dem Käufer anbieten.“
„Dem Mitarbeiter des Auktionshauses zufolge, der mit ihm telefoniert hat, war es ein anonymer privater Sammler“, erwiderte sie ärgerlich.
„Und wer sagt, dass ein privater Sammler Sie nicht damit beauftragen würde?“
„Meine Erfahrung. Selbst wenn ich herausfinden könnte, um wen es sich handelt, würde derjenige jemanden nehmen, den er kennt, oder das Team, das es am schnellsten bewerkstelligt. Für die Reichen sind Kunstwerke wie Luxusautos oder Immobilien – eine Anschaffung, mit der man protzt –, aber keine Dinge, an denen sich alle erfreuen sollten.“
Regungslos saß Leon da. „Würde man auf Sie zukommen, dann würden Ihre Moralvorstellungen Sie also davon abhalten zuzusagen?“
Cally wandte sich ab, weil sie schon wieder mit den Tränen kämpfte. „Nein, ich würde den Auftrag annehmen.“
Natürlich ließ dieses Geständnis sie prinzipienlos wirken, aber es ging nicht nur um die Chancen, die sich ihr dadurch bieten würden. Sie hätte die Gelegenheit niemals ausgeschlagen, weil diese Gemälde die Richtung bestimmt hatten, die ihr Leben genommen hatte. Da sie sich allerdings schämte, es zuzugeben, schüttelte sie den Kopf.
„Es wäre idiotisch von mir, es nicht zu tun. Die Restaurierung der Rénards würde mich auf der ganzen Welt bekannt machen.“
Leon nickte. Sein erster Eindruck hatte ihn getäuscht. Sie wollte nur berühmt werden. Aber welche Frau möchte das nicht?, überlegte er zynisch. Außerdem wirkte Cally genauso unglaubwürdig wie alle anderen. Zuerst hatte sie behauptet, sie würde nicht über ihre Arbeit sprechen wollen, und ihm dann ihr Herz ausgeschüttet. Es gab nur eine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie zu ihrem Wort stand.
Er lehnte sich zurück. „Haben Sie Mon Amour par la Mer beim Besichtungstermin zum ersten Mal gesehen?“
Cally erschauerte. „Ich … dachte, Sie hätten mich an dem Tag gar nicht bemerkt.“
„Oh doch. Und da habe ich beschlossen, mit Ihnen zu schlafen. Deshalb bin ich überhaupt nur zur Auktion gekommen.“