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„Das besondere Erlebnis für Bücherliebhaberinnen - Wellness, Literatur und sinnliche Abenteuer.“ Ein mysteriöser Todesfall in ungewöhnlicher Umgebung. Als Kommissarin Magdalena Schwarz zu einem Tatort gerufen wird, ahnt sie noch nicht, dass dieser Fall ihre Sicht auf die ‚reale’ Welt auf den Kopf stellen wird. Denn das ‚Literary Passion‘ birgt mehr als nur ein Geheimnis und vieles ist nicht, was es zu sein scheint. Was ist Wirklichkeit und was Traum? Wer ist Freund und wer Feind? Darf Magdalena sich auf die Verführungen in dieser fremden Welt einlassen oder wird sie so enden wie die Tote, die sie an diesen Ort gebracht hat? Der erste Teil der neuen Urban-Fantasy-Serie von Vanessa Carduie!
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Widmung
Kapitel (Lena)
Kapitel
Kapitel
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Kapitel (Marco)
Kapitel (Lena)
Danksagung
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DAS BUCH
„Das besondere Erlebnis für Bücherliebhaberinnen - Wellness, Literatur und sinnliche Abenteuer.“
Ein mysteriöser Todesfall in ungewöhnlicher Umgebung.
Als Kommissarin Magdalena Schwarz zu einem Tatort gerufen wird, ahnt sie noch nicht, dass dieser Fall ihre Sicht auf die ‚reale’ Welt auf den Kopf stellen wird. Denn das ‚Literary Passion‘ birgt mehr als nur ein Geheimnis und vieles ist nicht, was es zu sein scheint.
Was ist Wirklichkeit und was Traum? Wer ist Freund und wer Feind?
Darf Magdalena sich auf die Verführungen in dieser fremden Welt einlassen oder wird sie so enden wie die Tote, die sie an diesen Ort gebracht hat?
DIE AUTORIN
Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Mittlerweile hat sie einen Masterabschluss in Biologie und einige ihrer Geschichten veröffentlicht.
Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie auch gern ungewöhnliche Wege.
http://www.vanessa-carduie.com/
https://www.facebook.com/VanessaCarduieAutorin
Literary Passion
Gefährliche Träume
(Teil 1)
Vanessa Carduie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Text Copyright © 2017 Vanessa Carduie
Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist untersagt.
Coverdesign: Yvonne Less - art4artists.au Bildnachweis Model: http://depositphotos.com/132250452/stock-photo-fashion-portrait-of-romantic-beautiful.html
Korrektorat: Sandra Grüter
Lektorat: Jeanette Lagall - lektorat-lagall.de
M. Vogt
Bärwalder Str. 3
01127 Dresden
1.2 Auflage (26. Mai 2018)
Für meine Schwester.
Ich bin so glücklich, dass es dich gibt.
Ich schalte den Motor aus und sehe meinen Kollegen an. „Was wissen wir über den Laden?“
Erik kramt sein Notizbuch heraus. „Das Literary Passion bezeichnet sich selbst als Wellnesshotel der besonderen Art. Allerdings bieten sie mehr als nur Massagen an, wenn du weißt, was ich meine.“
„Ein Bordell also“, folgere ich.
„Auf jeden Fall ein Escortservice. Bisher unauffällig, alle Angestellten sind gemeldet und ein erster Hintergrundcheck besagt, dass sie ihre Steuern brav bezahlen.“
„Mhm, das muss nichts heißen. Na gut. Lass uns reingehen. Die Rechtsmedizin und die Spurensicherung dürften bald hier sein.“
Eisig weht mir die Luft ins Gesicht, als ich aus dem warmen Auto steige. Während Erik sich den Einsatzkoffer schnappt, betrachte ich das Zielobjekt. Die altehrwürdige Villa sowie die beiden Nebengebäude sind gepflegt und wirken edel. Das trifft auch auf den ausladenden Park zu, zumindest auf den Teil, den wir von hier aus sehen können. Ein diskretes Schild am Tor mit dem Namen des Hotels ist der einzige Hinweis, dass es sich nicht um ein normales Wohnhaus handelt. Der Notarztwagen steht noch im Hof. Da wir hier sind, ist klar, dass jede Hilfe zu spät kam. Erik klingelt. Während wir darauf warten, dass man uns einlässt, nehme ich die Umgebung unter die Lupe. Das ganze Objekt ist von einer Mauer umgeben, die wahrscheinlich Neugierige und ungebetene Besucher abhalten soll. Es gibt viele Bäume und Büsche, die das Grundstück zusätzlich abschirmen. Immerhin sind die Fenster nicht vergittert, wie ich es schon bei anderen Etablissements gesehen habe. Dafür gibt es einige Sicherheitskameras. Interessant. Wozu dieser Aufwand?
Ein deutliches Summen ertönt. „Lena, es geht los.“
Mit wenigen Schritten bin ich bei meinem Kollegen. „Viele Kameras, hohe Mauer. Ziemlich abgeschottet für ein Wellnesshotel.“
„Diskretion und Sicherheit werden bei uns großgeschrieben“, antwortet eine tiefe Stimme, die definitiv nicht zu meinem Kollegen gehört. Erschrocken drehe ich mich um. Ein groß gewachsener Anzugträger steht hinter mir. Kurze braune Haare, sonnengebräunter Teint und die dunklen Augen lassen ihn südländisch wirken. Ein wenig erinnert er mich an einen Mafioso, nur ohne Hut und den lächerlichen Bart. Als er mich von oben bis unten mustert, brennt sein Blick förmlich auf meiner Haut. Ich versuche, dieses eigenartig prickelnde Gefühl abzuschütteln.
„Und wer sind Sie, dass Sie darüber so gut Bescheid wissen?“ Mein Ton ist schroff.
„Marco Dragi. Ich bin der Sicherheitschef. Sie sind von der Kripo, richtig?“
Ich zeige ihm meinen Dienstausweis. „Kriminalkommissarin Schwarz und das ist mein Kollege Kommissar Meier.“
„Frau Krüger erwartet Sie bereits. Ich führe Sie hin.“
Zügig schreitet er voraus. Ich beeile mich, an ihm dranzubleiben, während Erik sich etwas mehr Zeit lässt und die Umgebung mustert. „Als Sicherheitschef wissen Sie doch über alles Bescheid.“
Er wirft mir einen kühlen Blick zu. „Ich weiß, wer sich auf dem Gelände aufhält, wenn Sie das meinen. Was in den Zimmern passiert, wissen nur unsere Kundinnen und die Angestellten, die für sie zuständig sind.“
Kundinnen?
„Sie haben mich richtig verstanden. Unsere Kundschaft besteht ausschließlich aus Frauen.“
„Woher wissen Sie, was ich gedacht habe?“ Mein Misstrauen ist geweckt. Dieser Sicherheitschef ist nicht ganz koscher.
„Ihr Gesichtsausdruck hat es mir verraten. Sie sind schließlich nicht die Erste, die so guckt.“
So richtig befriedigt mich diese Aussage nicht, obwohl sie plausibel ist. „Ein Bordell für Frauen ist auch nicht alltäglich.“
Das bringt ihn zum Lachen. „Wir sind viel mehr als das, aber Frau Krüger wird es Ihnen erklären.“
Sein Lachen kribbelt in meinem Bauch. Das passt mir überhaupt nicht. Ich will diesen Mann nicht faszinierend finden. Mittels Schlüsselkarte verschafft er sich Zutritt zum Hauptgebäude.
Ich runzle meine Stirn. „Das ist ein Seiteneingang.“
„Scharf beobachtet. Trotz des bedauerlichen Vorfalls möchten wir unsere Gäste so wenig wie möglich stören.“
„Ihre Diskretion in allen Ehren, aber wir müssen mit allen sprechen, die zur Tatzeit auf dem Gelände waren“, wirft Erik ein.
„Sicher. Ich dachte nur, dass Sie auf dem schnellsten Weg zum Tatort gelangen möchten.“
„Was wissen Sie über den Vorfall?“, frage ich. Dieser Typ ist irgendwie unheimlich.
„Die Tote ist Maria Sommer, siebenundzwanzig Jahre, circa eins sechzig groß, aschblonde lange Haare, schüchtern, unauffällig gekleidet, Nickelbrille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden. Sie ist Programmiererin bei einer Berliner Softwarefirma und Stammkundin von Adrian. Als er sie zum Dinner abholen wollte, reagierte sie nicht auf sein Klopfen. Die Tür lässt sich nur von innen oder mit dem Schlüssel öffnen. Er rief mich, weil ich den Generalschlüssel habe. Als ich fünf Minuten später das Zimmer betrat, fand ich sie leblos im Bett vor.“
„Eine sehr detaillierte Beschreibung“, murmelt Erik.
„Sie waren also als Erster am Tatort?“, hake ich nach.
Dragi nickt.
„Warum haben Sie den Notarzt gerufen, wenn Sie schon wussten, dass Frau Sommer tot ist?“
Er zuckt mit den Schultern. „Wir wissen beide, dass die Notrufzentrale darüber entscheidet, wen sie informiert. Außerdem muss der Totenschein von einem Arzt ausgestellt werden.“
Ich will noch mehr fragen, doch mich lenkt die Umgebung ab. Nachdem wir den Dienstboteneingang passiert haben, durchqueren wir einen hellen Flur und landen in einer imposanten Eingangshalle. Die Decken sind hoch und mit Stuck verziert. Ein mächtiger Kronleuchter und eine Prunktreppe runden das luxuriöse Erscheinungsbild ab.
Hinter mir pfeift Erik leise. „Nette Hütte.“
„Diese Villa und die dazugehörigen Wirtschaftsgebäude wurden 1905 gebaut, Jugendstil, gehörten einem Fabrikbesitzer. Aber Frau Krüger kann Ihnen mehr darüber sagen. Für mich sind andere Dinge wichtig.“
„Welche denn?“
Er wirft mir einen unergründlichen Blick zu. „Für meine Arbeit: die Anzahl der Zimmer, des Personals und der Gäste. Ich kenne den Grundriss auswendig und weiß in der Regel, wer wann im Haus ist und warum, Fluchtwege, Brandschutz. Das alles ist wichtig für mich.“
Mir reicht diese Antwort nicht. „Die Gäste werden Sie doch sicherlich auch im Auge behalten, oder?“
„Natürlich achten wir auf einen reibungslosen Ablauf und auf die Privatsphäre unserer Gäste. Welche Dienstleistungen sie wo in Anspruch nehmen, geht mich nichts an.“
Wir gehen die Treppe hoch und laufen einen großzügigen Flur entlang. An den Wänden hängen Landschaftsbilder und Stillleben namhafter Künstler. Der Teppich ist so weich, dass ich das Gefühl habe, auf Wolken zu gehen. Ich will gar nicht wissen, was eine Übernachtung hier kostet.
„Außer es kommt zu Streitigkeiten?“, greife ich das Thema wieder auf.
„Die haben wir selten. Natürlich gibt es ab und an eine Beschwerde, aber das passiert so gut wie nie. Unsere Klientel verursacht kaum Ärger und das Personal ist handverlesen.“
„Von Ihnen, nehme ich an?“
„Auch. Ich mache den Sicherheitscheck. Vorher müssen die Hosts jedoch das Auswahlverfahren überstehen. Wie das funktioniert, kann Ihnen Frau Krüger erklären.“
„Hosts?“, hakt Erik nach.
Der Sicherheitschef hebt nur eine Augenbraue, dann ringt er sich doch zu einer Erklärung durch: „Als Hosts werden unsere Sexarbeiter bezeichnet, da sie auch außerhalb des Bettes für unsere Gäste zuständig sind, erschien uns dieser Begriff passender als männliche Hure.“
Dragi sagt das in einem Ton, der deutlich macht, dass wir ihn mit der Fragerei nerven. Pech für ihn. Wir dürfen ihn solange nerven, wie wir wollen.
Bevor ich den Mund wieder aufmachen kann, öffnet sich vor uns eine Tür und eine adrett gekleidete Frau in den Vierzigern tritt heraus. Sie wirkt gestresst, setzt jedoch sofort ein geschäftiges Lächeln auf, als sie uns erblickt.
„Ah, die Damen und Herren von der Polizei, richtig? Ich bin Natalie Krüger, die Geschäftsführerin.“
Erik stellt uns vor. Mit einem Nicken verabschiedet sich der mysteriöse Sicherheitschef und wendet sich zum Gehen.
„Wo finden wir Sie, falls sich weitere Fragen ergeben?“, erkundige ich mich.
„Im Nordflügel, Erdgeschoss, das letzte Zimmer auf der rechten Seite.“ Mit diesen Worten verabschiedet er sich. Kurz bin ich versucht, ihm hinterherzusehen, aber das sollte ich lassen. Ich will mich nicht für diesen Mann interessieren. Nach allem, was er erzählt hat, wäre er ein prima Täter.
„Bitte kommen Sie. Wir haben die Suite abgeriegelt, so gut wir konnten. Ein schrecklicher Vorfall!“
Als wir der Geschäftsführerin in den Raum folgen, betreten wir eine andere Welt. Der Vorraum ist in dunklem Rot gehalten und mit schwarzen Möbeln bestückt. Die opulenten Gardinen sind aus blutrotem Brokat. Wo sind wir denn hier hineingeraten?
„Das ist unsere Vampir-Suite. Die Zimmer sind nach unterschiedlichen Themen aus der Literatur gestaltet, vornehmlich beliebte Klassiker, aber auch einige modernere Werke sind vertreten.“
„Aha“, brummt mein Kollege.
Der nächste Raum kommt einer Gruft gleich. Die Wände sind schwarz, ebenso das Himmelbett. Nur vereinzelte Farbtupfer finden sich in dieser Finsternis. Obwohl das Licht angeschaltet wurde, bleibt es düster. Wer will bitte in so einem Raum schlafen, geschweige denn Sex haben?
Jetzt sind allerdings andere Sachen wichtiger. Aus den roten Satinlaken schaut eine blasse Hand hervor. Die Besitzerin sieht ähnlich bleich und leblos aus. Glatte blonde Haare liegen über das Kopfkissen verteilt. Das Gesicht wirkt friedlich, beinahe glücklich. Ungewöhnlich für einen Mord. Neben dem Bett wartet der Notarzt.
„Hallo Doktor, was haben wir hier?“, will Erik wissen.
Der Mann schaut ratlos. „Wahrscheinlich Herzstillstand, bis auf diese kleine Wunde am Hals habe ich keine Verletzungen gefunden.“
Neugierig geworden, trete ich näher und betrachte die gezeigte Stelle. Auf der linken Halsseite befindet sich ein Bluterguss, der verdammt nach Knutschfleck aussieht. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich so etwas wie eine Bisswunde, allerdings nicht sonderlich tief. Einzig die Abdrücke der Eckzähne sind deutlich erkennbar. Ich glaube, ich spinne!
„Interessant.“ Ich drehe mich zu Frau Krüger um, während Erik den Papierkram mit dem Notarzt erledigt und ihn verabschiedet. „Hatte Frau Sommer ein Herzproblem?“
Sie schüttelt den Kopf. „Nicht soweit wir wissen. Als sie gestern ankam, wirkte sie gesund und munter. Allerdings überprüfen wir unsere Kundinnen nicht. Sie sind erwachsen und können jederzeit um Hilfe rufen, wenn es ihnen nicht gut geht.“
„Wie das?“
Sie tritt zu mir ans Bett und deutet auf einen roten Knopf am Kopfteil, den ich übersehen hatte. „Das ist der Notruf. Wir haben das in jedem Zimmer. Wird er betätigt, wird das Servicepersonal informiert und es gibt eine Meldung im Sicherheitssystem.“
„Haben Sie keine Angst, dass jemand diesen Knopf als Dienstbotenklingel missbraucht?“
Frau Krüger zuckt mit den Schultern. „Nein. Wir haben ein Kurzwahlsystem in allen Telefonen, über das sie genau den Service anfordern können, den sie möchten.“
Ein interessantes Detail. Derartige Notklingeln an Betten findet man eher in medizinischen Einrichtungen. „Weshalb haben Sie sich dafür entschlossen? Denken Sie, dass Ihr Personal den Damen etwas antun könnte?“
„Natürlich nicht!“ Die Geschäftsführerin ist empört. „Unser Haus bietet nur das Feinste vom Feinsten an und unsere speziellen Mitarbeiter werden gründlich auf ihre Eignung überprüft, bevor sie bei uns anfangen dürfen. Wir haben uns dafür entschieden, weil es in diesem Bereich immer wieder Vorfälle gibt, bei denen vor allem ältere Kunden gesundheitliche Probleme hatten.“
Ah, diealtenSäcke, diebeimSexeinenHerzkasperbekommen ... „Ich wusste gar nicht, dass Frauen ebenfalls gefährdet sind.“
Frau Krüger zuckt mit den Schultern. „Es nimmt immer mehr zu. Außerdem gibt es noch unzählige Gründe, weshalb sie diesen Knopf drücken könnten. Unsere Angestellten und freien Mitarbeiter können wir zum Gesundheitscheck schicken, die Kundinnen nicht.“ So wie sie auf die Tote schaut, verflucht sie diesen Umstand.
„Sie gehen also davon aus, dass Frau Sommer durch gesundheitliche Probleme verstarb?“, hakt Erik nach.
„Ja, natürlich. Ich vertraue meinen Angestellten.“
„Wie überprüfen Sie Ihre Angestellten eigentlich?“
Die Geschäftsführerin beginnt geduldig zu erklären: „Zuerst muss jeder unserer Mitarbeiter ein polizeiliches Führungszeugnis sowie ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Wenn dort schon Unklarheiten auftreten, kommen sie gar nicht in die nächste Runde. Dann werden psychologische Tests durchgeführt. Weiterhin müssen sie im Praxistest überzeugen, was sowohl die Umgangsformen als auch die speziellen Qualifikationen angeht. Wenn dann soweit alles passt, schicken wir sie noch zu unserem Arzt, um sicherzustellen, dass es keine übertragbaren Krankheiten gibt. Dazu kommt ein monatlicher Gesundheitscheck für alle Hosts.“
„Praxistest?“, fragt Erik erstaunt.
„Ja, natürlich. Hier geht es schließlich darum, dass die Kundinnen zufrieden sind“, antwortet sie gelassen. „Wir geben unser Bestes, um die Träume und Wünsche unserer Kundinnen zu erfüllen.“
Ich versuche, nicht zu intensiv über den Ablauf des Praxistests nachzudenken, und mustere Frau Krüger bei meinen nächsten Worten. „Vertrauen ist immer gut. Stört Sie diese Bisswunde denn gar nicht?“
Sie zuckt mit den Schultern. „Nicht sonderlich. Normalerweise passt Adrian auf, aber wer einen Vampir bucht, musst damit rechnen. Die meisten Damen wollen ihn nur deswegen.“
„Sie wollen mir jetzt aber nicht erzählen, dass Frau Sommer von einem Vampir gebissen wurde, oder?“
Sie verdreht die Augen. „Das ist seine Rolle und die Damen haben sich nie beschwert. Ob die Kundinnen wirklich daran glauben, ist mir egal. Ich kann Ihnen versichern, dass Adrian seine Aufgabe sehr ernst nimmt, aber das werden Sie noch merken.“
Haben wir es hier mit einem Verrückten zu tun? Oder mit mehreren? „Wo können wir ihn finden?“
„Er wartet in seinem Zimmer. Ich bringe Sie zu ihm.“
Wir verlassen die Suite und versiegeln sie, damit während unserer Abwesenheit keine Unbefugten darin herumstromern. Die Chefin höchstpersönlich begleitet uns zu dem Host, der Maria Sommer zuletzt gesehen hat.
„Wir müssen mit allen Personen reden, die zur Tatzeit auf dem Gelände waren“, informiere ich sie.
Diese Aussicht gefällt ihr nicht, doch sie nickt. „Zum Glück ist heute keine Lesung anberaumt, da sollte es kein Problem sein, alle zu versammeln. Ich werde Marco Bescheid geben. Er wird dafür sorgen, dass Ihnen alle für die Befragung zur Verfügung stehen.“
Sie klingt, als hätte sie einen vertrauten Umgang mit ihrem Sicherheitschef. „Vielen Dank. Hatte Frau Sommer Kontakt zu anderen Gästen oder blieb sie lieber für sich?“
„Sie ist, ähm, war recht schüchtern. Den Großteil ihrer Freizeit verbrachte sie in unserer Bibliothek. Wir veranstalten auch immer wieder Lesungen oder Themenabende zu diversen Büchern. Diese Angebote schätzen viele unserer Kundinnen, doch soweit ich informiert bin, bevorzugte Frau Sommer kleine Gesprächsrunden oder eine ruhige Leseecke. Aber vielleicht weiß einer meiner Angestellten mehr. Ich kann mich leider nicht persönlich um jede Kundin kümmern.“ Frau Krüger überlegt einen Moment. „Max kann Ihnen bestimmt weiterhelfen. Er ist zusammen mit Moritz für unsere Bibliothek zuständig.“
„Max und Moritz?“, fragt Erik amüsiert nach. „Ist das Absicht?“
Sie schüttelt den Kopf. „Es hat sich so ergeben. Beide lieben Bücher und sind immer über die neusten Trends informiert, davon profitiert unsere Sammlung.“
Während mein Kollege die Geschäftsführerin diverse Kleinigkeiten fragt, betrachte ich unsere Umgebung und versuche mir den Weg einzuprägen. Ich möchte mich ohne Aufpasser bewegen können und mich nicht verirren. Neben der luxuriösen Ausstattung fallen mir immer wieder kleine Nischen auf, in denen es eine Sitzmöglichkeit und mehrere Bücher gibt. In einer davon steht ein turtelndes Pärchen in historischen Kostümen. Eigentlich müsste es albern wirken, doch die Kleidung scheint durchdacht und hochwertig. Die wenigen Worte, die ich aufschnappen kann, klingen altmodisch und runden das Gesamtbild irgendwie ab. Wenn die Leute sich so unbefangen amüsieren, liegt die Vermutung nahe, dass es die Hotelleitung bis jetzt geschafft hat, den Vorfall vor den restlichen Kunden zu verbergen.
Als wir ins Erdgeschoss kommen und uns nach Norden wenden, runzle ich die Stirn. Ich habe das vage Gefühl, dass mir dieser Weg erst vor Kurzem beschrieben wurde. Nur vom wem? Dann fällt es mir ein. Natürlich! Dieser Sicherheitschef hatte vorhin so etwas gesagt.
„Wo finden wir eigentlich Herrn Dragi?“
Frau Krüger dreht sich irritiert um. „Die Sicherheitszentrale befindet sich in dem kleinen Häuschen am Tor. Dort ist er oft während seines Dienstes, wenn er nicht gerade seinen Kontrollgang macht. Seine Wohnung liegt in dem Nebengebäude, wo sich das Restaurant befindet. Wo er sich gerade aufhält, weiß ich nicht.“
Ich hätte da eine Vermutung. Die Frage ist nur, warum er bei dem Host ist und er uns das gesagt hat. WarumtreffensichdiebeidenHauptverdächtigen - unddannsoauffällig? Ich werde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas an dieser Sache faul ist. Als wir vor dem letzten Zimmer auf der rechten Seite des Gangs stehen bleiben, kann ich Stimmen hören. Bei Frau Krügers Klopfen verstummen sie. Kurz darauf wird die Tür geöffnet. Ich traue meinen Augen kaum und blinzle mehrmals, doch die Gestalt vor mir ist real. Im Türrahmen steht ein groß gewachsener Mann. Ein weißes Rüschenhemd bedeckt seinen Oberkörper, oder zumindest den Großteil davon. Vorn ist es so weit geöffnet, dass man seine muskulöse Brust sehen kann. Eine schwarze eng anliegende Hose schmiegt sich wie eine zweite Haut an seine Beine. Dazu passend trägt er ein schwarzes Cape, dessen Innenfutter blutrot ist. Ich schlucke und lasse meinen Blick hochwandern. Adrians Gesicht ist kantig und wirkt aristokratisch. Wellige schwarze Haare reichen ihm bis zu den Schultern. Als ich in seine Augen sehe, durchläuft mich ein kalter Schauer. Sie sind eisblau und schauen im Moment alles andere als freundlich. Seine ganze Haltung wirkt angespannt. Das ändert sich jedoch, als er seine Chefin erblickt.
„Frau Krüger, was kann ich für Sie tun?“ Seine Stimme ist melodisch.
„Kommissarin Schwarz und ihr Kollege Kommissar Meier möchten mit Ihnen über den Tod von Frau Sommer reden.“
Er wirkt betroffen. „Bitte, kommen Sie rein. Im Moment ist es zwar ein bisschen voll hier drin, aber Marco lässt uns sicherlich sofort allein.“ Der Host wirft dem Sicherheitschef einen bösen Blick zu. Dieser lehnt scheinbar gelassen am Kamin. Trotzdem kann ich die aufgeheizte Stimmung zwischen den Männern deutlich spüren. Haben sie sich gestritten?
„Natürlich. Ich kümmere mich jetzt darum, alle Gäste und Angestellten zu versammeln.“ Dragi stößt sich von der Wand ab und geht auf uns zu. „Der Speisesaal dürfte mittlerweile frei sein. Bis dann.“
Stirnrunzelnd blicke ich ihm nach. Was hat dieser Mann nur an sich, dass bei mir alle Alarmglocken schrillen?
„Ich lasse Sie jetzt besser allein. Es gibt noch einiges, was ich erledigen muss“, verabschiedet sich Frau Krüger.
Und plötzlich sind wir nur noch zu dritt. Unser unfreiwilliger Gastgeber deutet auf eine Sitzgruppe.
„Wollen Sie sich setzen?“
Wir stimmen zu und lassen uns nieder. Ich krame meinen Notizblock aus der Tasche und lasse meinem Kollegen den Vortritt bei der Befragung.
„Herr ... Wie lautet Ihr Nachname?“, erkundigt Erik sich.
Der Vampirdarsteller lächelt nachsichtig. „Winter. Adrian Winter.“
Mein Kollege räuspert sich. „Vielen Dank. Also, Herr Winter, wir möchten Sie zum Tod von Frau Maria Sommer befragen.“
Erik rattert das Standardprogramm ab, während ich mir Notizen mache.
Adrian Winter, geboren am 23.7.1982 – Ich stocke und sehe verwundert auf. Der Mann wirkt einige Jahre jünger.
Ledig, nie verheiratet, keine Kinder, wohnt bei Hamburg und während des Dienstes im Hotel, Abitur, Schauspielstudium. Arbeitet seit zwei Jahren als freier Mitarbeiter im ‚Literary Passion’.
„Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Berufswahl?“, fragt Erik nach.
Adrian zuckt mit den Schultern. „Neugier. Als Schauspieler ist es für mich einfach, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Hier ist das Publikum begrenzt, aber die Interaktion mit den Kundinnen ist interessant.“
„Was genau ist Ihre Aufgabe?“
„Das kommt auf die Kundinnen an. In erster Linie bin ich Gesellschafter, schenke den Damen Aufmerksamkeit, rede mit ihnen und höre zu.“ Der Host ist erstaunlich gelassen. Die meisten Menschen sind nervös, wenn sie von der Polizei befragt werden, vor allem, wenn sie das erste Mal in einer derartigen Situation sind.
Erik schaut skeptisch auf den ungewöhnlichen Mann in der anzüglichen Aufmachung. „Aber Sie haben auch Geschlechtsverkehr mit den Kundinnen?“
„Ja, jedoch weniger als Sie denken. Natürlich gehört das bei den meisten Kundinnen dazu, aber sie kommen nicht einfach auf einen Quickie vorbei, sondern wollen für ein paar Tage in einer Traumwelt mit ihrem Märchenprinzen leben, bevor der Alltag wieder zuschlägt. Da wir verschiedene Themenzimmer haben, sind wir angehalten, uns auch mit den literarischen Hintergründen zu beschäftigen, damit wir uns darüber mit den Kundinnen unterhalten können.“
Ich horche auf. „Bei den meisten? Heißt das, Sie haben auch Kundinnen, die auf Ihre speziellen Dienstleitungen verzichten?“
Die hellblauen Augen des Möchtegernvampirs blicken gelassen in meine. Auch wenn ich mit derlei Gestalten nun wirklich nichts anfangen kann, so ist Herr Winter alles andere als hässlich. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand so viel Geld ausgibt und dann auf den Höhepunkt verzichtet.
„Ja. Nicht viele, aber einige möchten einfach nur ihre Einsamkeit für ein paar Stunden vergessen. Wir begleiten unsere Kundinnen auch zu den Lesungen und je nach Wunsch spezialisieren wir uns auf ein bestimmtes literarisches Werk, bei mir ist es oft Bram Stokers Dracula. Bei den meisten Damen dauert es auch einige Zeit, bis sie warm werden. Ich dränge mich nicht auf. Wenn sie nur reden wollen, höre ich zu, wenn sie das volle Programm anfordern, gibt es das.“
Erik ist einige Jahre älter als ich und kann sich offenbar nur schwer mit dem Konzept anfreunden. Weibliche Prostituierte gibt es zuhauf, aber Männer, die derartige Dienstleistungen für Frauen anbieten, sind sehr selten anzutreffen - vor allem in dieser ländlich-gutbürgerlichen Gegend von Sachsen. „Und es stört Sie nicht, dass Sie als Sexobjekt angesehen werden?“
Überrascht sehe ich meinen Kollegen an. Es ist sehr ungewöhnlich, dass er eine derart unprofessionelle Frage stellt. Eigentlich ist er wesentlich abgebrühter. Allerdings muss ich zugeben, dass die ganze Situation skurril ist, immerhin sitzt uns normalerweise kein halbnackter Pseudovampir gegenüber, der für Geld mit Frauen schläft und nebenbei aus Büchern zitiert.
„Warum sollte es das?“ Winter lehnt sich vor und lächelt gewinnend. „Es macht Spaß, ist interessant und so erspare ich es mir, wildfremde Frauen in irgendeiner schmuddeligen Kneipe abzuschleppen. Im Gegensatz zu den meisten weiblichen Sexarbeitern bin ich in keiner Zwangslage und habe die Freiheit, mir meine Aufträge auszusuchen. Über das Umfeld kann ich mich auch nicht beschweren.“
Während ich mir ein Lächeln verkneife, muss Erik sich erst einmal sammeln. „Nun gut. Kommen wir zum eigentlichen Thema der Befragung. Beschreiben Sie bitte, in welcher Beziehung Sie zu Frau Sommer standen.“
Herr Winter zieht eine Augenbraue in die Höhe. „Maria ist - war - eine Stammkundin von mir. Wir verstanden uns gut, aber ich vermeide es, tiefere Gefühle für meine Kundinnen zu entwickeln.“ Er seufzt und lässt die selbstsichere Fassade fallen. „Das bedeutet jedoch nicht, dass mir ihr Tod nicht nahegeht. Sie war ein lieber Mensch und hätte noch einige Jahrzehnte vor sich gehabt.“
„Uns wurde gesagt, dass Sie Frau Sommer heute Abend zum Essen abholen wollten, sie aber nicht auf Ihr Klopfen reagierte. Ist das so richtig?“
Der Vampirdarsteller nickt. „Das stimmt.“
„Wann war das?“
„Zehn vor Acht. Um Acht beginnt das Dinner und Maria wusste Pünktlichkeit zu schätzen.“
„Was haben Sie als nächstes gemacht?“
„Ich habe mehrmals geklopft und ihren Namen gerufen. Selbst an das Telefon ging sie nicht ran, was sehr ungewöhnlich ist.“ Adrian fährt sich mit einer Hand durchs Haar und wirkt bedrückt. „Die Tür lässt sich ohne Schlüssel nicht von außen öffnen, also rief ich Marco, damit er nach dem Rechten sieht.“
„Hätte es nicht sein können, dass Frau Sommer einfach ihre Verabredung vergessen hat und irgendwo auf dem Gelände war?“, hakt Erik nach.
Der Host schüttelt den Kopf. „Nein. Die Wellness-Anwendungen finden bis zum späten Nachmittag statt. Danach können die Damen natürlich noch lesen, schwimmen oder so. Aber Maria hätte niemals einen Termin verpasst. Sie war beinahe krankhaft pünktlich und hatte Probleme, mit anderen Leuten Kontakt zu knüpfen.“
„Sie waren also der Bezugspunkt von Frau Sommer?“
„So könnte man es sagen“, bestätigt er.
„Wie war der Tagesablauf von Frau Sommer? Waren Sie den ganzen Tag bei Ihr?“
„Nein. Ich bin entsprechend meiner Rolle erst nach Sonnenuntergang verfügbar, also derzeit ab achtzehn Uhr. Je nachdem wie ihr der Sinn stand, gingen wir zusammen spazieren, eine Runde schwimmen, unterhielten uns oder verbrachten Zeit in ihrem Zimmer. Ab und an habe ich ihr auch etwas vorgelesen. Das Dinner ist immer ab zwanzig Uhr. Spätestens dafür habe ich sie abgeholt. In der Regel hielten wir uns bis halb zehn im Restaurant auf und machten uns danach einen gemütlichen Abend.“
„Aha. Wie war es heute?“
Der Vampirdarsteller überlegt kurz. „Ich habe mich gegen achtzehn Uhr bei ihr gemeldet. Dann sind wir durch den Park spaziert, haben ein bisschen geturtelt und waren vielleicht gegen halb sieben wieder in ihrem Zimmer.“
„Was haben Sie dort gemacht?“
„Maria wollte einen kleinen Vorgeschmack auf den Abend. Also habe ich sie ein bisschen verwöhnt.“
Von so einem Mann würde ich mich auch verwöhnen lassen – selbst in diesem albernen Kostüm. Schnell schiebe ich den unpassenden Gedanken zur Seite.
„Hatten Sie mit Frau Sommer Geschlechtsverkehr?“
Der Host blickt Erik kritisch an. „Tut das was zur Sache?“
„Wir sollten es wissen, falls derartige Spuren sichergestellt werden“, erkläre ich. „Solange es einvernehmlich war, haben Sie sich nichts vorzuwerfen.“
„Natürlich sind solche Dinge immer einvernehmlich“, antwortet Herr Winter scharf. „Und nein, hatten wir heute nicht. Ich habe sie massiert und dann haben wir gekuschelt. Wahrscheinlich wäre es später dazu gekommen. Maria wirkte heute Nachmittag erschöpft und wollte sich vor dem Dinner etwas ausruhen. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, dass sie viel Stress auf der Arbeit gehabt hätte. Sie bräuchte nur ein Stündchen Schlaf, dann wäre sie wieder fit.“
„Mhm. Was geschah dann?“
„Ich habe sie zugedeckt und bin in mein Zimmer gegangen, damit sie ihre Ruhe hat.“ Bei diesen Worten fährt er sich mit den Händen übers Gesicht. „Hätte ich gewusst, dass es ihr schlecht geht, wäre ich bei ihr geblieben und hätte unseren Arzt informiert.“ Fassungslos schüttelt er den Kopf. „Wenn ich bei ihr gewesen wäre, würde sie vielleicht jetzt noch leben …“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Derzeit wissen wir noch nicht, woran Frau Sommer starb.“ Erik macht eine Pause und beobachtet den Befragten, während er die nächsten Worte sagt. „Allerdings befindet sich am Hals des Opfers ein blauer Fleck mit merkwürdigen Bissspuren. Was können Sie uns dazu sagen?“
Herr Winter wird unruhig. „Ein blauer Fleck?“
„Ja, direkt hier“, meint mein Kollege und zeigt auf die linke Seite seines Halses.
„Ach, Sie meinen den Knutschfleck.“ Der Host wirkt erleichtert. „Das war ich, fürchte ich. Manche Damen bestehen darauf, von einem Vampir gebissen zu werden.“
„Wie bitte?“
„Meine Rolle – der Vampir. Dass es seinen Reiz hat, wenn jemand Sie beim Sex beißt, wissen Sie schon, oder?“, fragt der Darsteller. „Natürlich in der Regel, ohne zu verletzen.“
„Natürlich“, brummt Erik. „Frau Sommer wollte also von Ihnen gebissen werden. Aber wie ist dann der ungewöhnliche Bissabdruck entstanden?“
Herr Winter öffnet seinen Mund und entblößt beneidenswert weiße Zähne. Erst bin ich verwundert, aber dann erkenne ich, dass die Eckzähne deutlich länger und spitzer sind als bei einem normalen Menschen. Mich durchfährt ein kalter Schauer. Das ist ein bisschen unheimlich.
Erik guckt auch ganz verdattert. „Sind das Prothesen?“, frage ich daher.
„Ja. Diese billigen Aufsetzzähne halten nicht lange und gehen schnell kaputt. Wenn ich nicht wie ein Amateur wirken will, muss ich darauf zurückgreifen.“
Ich bin erstaunt, dass jemand nur wegen einer Rolle einen solchen Aufwand betreibt. „Behindert Sie das denn im Alltag gar nicht?“
Er zuckt nur mit den Schultern. „Nicht wirklich. Klar, ernte ich ab und zu irritierte Blicke, aber ich zeige meine Zähne nicht allzu deutlich. Sie rennen ja auch nicht dauergrinsend durch die Gegend, oder?“
„Eher selten“, bestätige ich und versuche zum eigentlichen Thema zurückzufinden. „Sie haben also Frau Sommer schlafen lassen. Wann sind Sie aus dem Zimmer gegangen?“
„Puh, ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es wird kurz vor um sieben gewesen sein.“
Ich notiere mir die Zeit.
„Dann sind sie zehn vor acht zurückgekehrt, um Frau Sommer abzuholen, aber sie öffnete Ihnen nicht, richtig?“
„Ja.“
„Okay. Als sie nicht reagierte, haben Sie Herrn Dragi gerufen, der mit dem Generalschlüssel das Zimmer öffnete. Was geschah danach?“
„Wir haben an der Zwischentür geklopft. Als wieder keine Antwort kam, ist Marco ins Zimmer gegangen.“
Ich horche auf. „Er und nicht Sie?“
„Selbst wenn ich es anders gewollt hätte, wäre ich nicht zuerst ins Zimmer gegangen. Da Maria nicht auf unsere Rufe reagierte und kein Geräusch zu hören war, befürchtete ich schon das Schlimmste. Als Marco kurz darauf fluchte und den Notarzt rief, wusste ich, dass etwas nicht stimmt.“
„Sie haben den Leichnam also gar nicht gesehen?“, hakt Erik nach.
Herr Winter schüttelt den Kopf. „Nein. Ich stelle zwar einen Vampir dar, aber ich mag Menschen in ihrer lebenden Form mehr und wollte Maria nicht so sehen.“
„Nun gut. Wir müssen Sie trotzdem um eine Speichelprobe sowie die Abdrücke von Fingern und Schuhen bitten.“
Unbehaglich sieht er uns an. „Wenn es sein muss. Ich will schließlich auch, dass Marias Tod aufgeklärt wird. Gehen Sie denn von einem Verbrechen aus?“
„Noch halten wir uns alle Möglichkeiten offen.“
Ich greife in unseren kleinen Einsatzkoffer und suche ein Probenröhrchen heraus. Während Erik Herrn Winter erklärt, wie die Probe genommen werden muss, fülle ich das entsprechende Formular aus und beschrifte den Beweismittelbeutel.
Wenig später stehen Erik und ich wieder im Zimmer von Maria Sommer. Die Spurensicherung samt Rechtsmedizin ist endlich eingetroffen. Das Blitzlicht erhellt immer wieder für kurze Augenblicke den finsteren Raum, während der Ursprungszustand des Tatortes und jeder weitere Schritt fotografisch dokumentiert wird. Aus gebührendem Abstand beobachte ich, wie die Bettdecke zurückgeschlagen wird und sich der Rechtsmediziner mit der Leiche beschäftigt.
„Auf den ersten Blick keine äußerlichen Verletzungen, bis auf das Hämatom auf der linken Seite des Halses. Totenstarre im Anfangsstadium, erste Leichenflecken.“ Er wirft einen Blick auf sein Thermometer. „34,6 °C. Bei der hier herrschenden Temperatur dürfte sie also seit circa drei Stunden tot sein.“
Ich blicke auf meine Uhr. Es ist mittlerweile nach zehn. „Das wäre dann ein vermutlicher Todeszeitpunkt zwischen neunzehn und zwanzig Uhr, oder?“
Der Rechtsmediziner mustert mich über den Rand seiner eckigen Brille. „Richtig.“
„Was können Sie uns zur vorläufigen Todesursache sagen, Doktor?“
Dieser blickt zurück zum Leichnam. „Tja, es gibt keine Abwehrverletzungen, keine tödlichen Wunden, keine offensichtlichen Vergiftungserscheinungen. Alles andere kann ich erst sagen, nachdem ich sie auf dem Tisch hatte.“
„Vielen Dank. Dann lassen wir Sie Ihre Arbeit machen und kümmern uns um die Befragungen“, meint Erik.
„Mhm, also wahrscheinlich ein ganz normaler Todesfall in ungewöhnlicher Umgebung?“, frage ich ihn auf dem Weg zum Speisesaal.
Er zuckt mit den Schultern. „Offensichtlich. Wenn sie nicht doch noch etwas finden, dann wird die Akte geschlossen und fertig. Trotzdem werden wir hier noch einige Zeit mit den Befragungen verbringen und der Papierkram kommt auch noch dazu.“
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und seufze. „Das wird eine lange Nacht.“
Wir gesellen uns zu unseren Kollegen, die mittlerweile auch angekommen sind und bereits mit den ersten Befragungen begonnen haben. Selbst zu zehnt werden wir einiges zu tun haben. „Lass uns Dragi vernehmen. Er war immerhin als Erster am Tatort. Der Rest wird schneller gehen. Von ihm benötigen wir ebenfalls eine Speichelprobe und zur erkennungsdienstlichen Behandlung muss er dann aufs Revier“, sage ich zu Erik.
Diesem mysteriösen Sicherheitschef möchte ich keine weitere Chance geben, uns aus dem Weg zu gehen.
„Ich bin gespannt, was er uns alles zu erzählen hat.“
Es dauert nicht lange, Dragi zu finden. Mit Argusaugen überwacht er das Geschehen. In seinem dunklen Anzug wirkt er elegant und doch spüre ich eine gewisse Gefahr, die von ihm ausgeht. Keine Ahnung, warum, aber ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass er etwas verbirgt.
„Herr Dragi? Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen“, eröffnet Erik das Gespräch. Obwohl mein Partner groß und nicht allzu schmal ist, wirkt er neben dem Sicherheitschef schmächtig.
Ohne Hast dreht sich der Angesprochene zu uns um. Er wirkt weder überrascht noch verunsichert.
„Selbstverständlich. Kommen Sie bitte mit.“
Erstaunt sehen Erik und ich uns an. Normalerweise sind wir diejenigen, die die Zeugen auffordern mitzukommen. Im Gegensatz zu uns kennt Dragi allerdings den nächsten leeren Raum. Also zucken wir mit den Schultern und folgen ihm aus dem Saal. Kurz darauf öffnet er eine Tür zu unserer Linken und schaltet das Licht an. Eine kleine Küchenzeile, ein großer Tisch und die Spinde an einer Raumseite deuten darauf hin, dass es der Pausenraum fürs Personal ist. Hier herrscht Moderne und Praktikabilität vor und nicht der Prunk wie in den Gästeräumen.
„Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt der Sicherheitschef und macht sich an dem modernen Kaffeeautomaten zu schaffen.
„Gern“, antworte ich verdutzt, während Erik ablehnt.
Dragi wirft mir einen kurzen Blick zu, der meinen Bauch flattern lässt. „Milch, Zucker?“
„Nur einen Schluck Milch, bitte.“
Der Kaffeeautomat brummt und zischt. Nur wenig später steigt mir das köstliche Aroma frischen Kaffees in die Nase. Dragi öffnet den Kühlschrank, nimmt eine Packung Milch und eine Flasche Wasser heraus. Mit effizienten Bewegungen schüttet er die Milch in meinen Kaffee und bringt dann alles zum Tisch.
„Bitte schön.“
„Danke“, sage ich und beäuge neugierig mein Getränk. Auf den ersten Blick scheint es genau die perfekte Mischung zu sein. Vorsichtig koste ich einen Schluck und unterdrücke einen glücklichen Seufzer. So guten Kaffee bekomme ich selten.
„Sie wollten mit mir reden?“, beginnt Dragi das Gespräch.
Erik nickt. „Ja, wir haben noch ein paar Fragen zum Tod von Maria Sommer. Herr Winter erzählte, dass Sie die Tote aufgefunden und den Notruf getätigt haben.“
„Richtig. Das hatte ich Ihnen bereits bei Ihrer Ankunft gesagt“, meint der Sicherheitschef gelassen. „Wollen Sie nicht erst einmal meine Personalien aufnehmen, bevor Sie die Vernehmung weiterführen?“
Diese Aussage lässt uns aufhorchen. Normalerweise wissen Zivilpersonen nicht so viel über die Polizeiroutine. Die meisten Leute hätten es ‚Befragung’ genannt und nicht ‚Vernehmung’.
Schnell ziehe ich das benötigte Formular aus unserem Einsatzkoffer und schiebe bedauernd meinen Kaffeebecher zur Seite. Erik schreitet sofort zur Tat und fragt die Standardsachen ab.
Marco Dragi: geboren am 10.03.1980. Ledig, keine Kinder, wohnt direkt auf dem Gelände des ‚Literary Passion’. Abitur, Jurastudium, Berater in einer Sicherheitsfirma, diverse Zusatzqualifikationen, seit der Gründung des ‚Literary Passion’ vor drei Jahren Sicherheitschef.
Aufmerksam schreibe ich mit und spüre immer wieder, dass Dragis Blick zu mir wandert. Noch nie habe ich einen derart ruhigen Zeugen gesehen, vor allem nicht, wenn diese Person vor wenigen Stunden eine Leiche entdeckt hat. IrgendwasverbirgtdieserSicherheitschef. Ich weiß nur noch nicht, was.
Wir gehen seinen Tagesablauf durch und er wiederholt, was er uns bereits bei unserem Eintreffen gesagt hatte.
„Ich habe die Suite geöffnet und dann das Schlafzimmer betreten, nachdem Frau Sommer wiederholt nicht auf unsere Rufe reagiert hatte.“
„Wie sah es im Zimmer aus? Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Nein, eigentlich nicht. Es war nur sehr still. Als ich das Licht einschaltete, regte sich Frau Sommer nicht. Sie war sehr blass. Ich fühlte den Puls, aber der war nicht mehr vorhanden. Dann rief ich den Krankenwagen.“
„Wo genau haben Sie die Leiche berührt?“
Dragi deutet auf seine rechte Halsseite. „Dort. Den Knutschfleck auf der anderen Seite hatte ich bemerkt und wollte nicht, dass ich irgendetwas verfälsche.“
„Haben Sie sonst noch etwas verändert oder berührt?“
Dragi neigt den Kopf leicht. „Nicht soweit ich mich erinnern kann. Ich nehme an, dass Sie jetzt Fingerabdrücke und eine DNS-Probe von mir haben wollen?“
Er überrascht mich mit seinem Wissen. „Woher kennen Sie die Abläufe so gut?“, hake ich nach.
Seine braunen Augen blicken zu mir. „Ich hatte schon mehrfach beruflich mit der Polizei zu tun und kenne ein paar Polizisten. Ursprünglich wollte ich ebenfalls diese Laufbahn einschlagen, aber das war wegen meines Gesundheitszustandes nicht möglich.“
Alsofürmichsiehtersehrgesundaus. „Welches Leiden hat Sie denn dienstuntauglich gemacht?“, frage ich.
„Obwohl das für den Fall unwichtig ist, beantworte ich Ihre Frage. Ich leide an einer recht seltenen Krankheit - Porphyrie - die zur Folge hat, dass meine Haut schon bei geringster Sonneneinstrahlung verbrennt. Deswegen bevorzuge ich auch die nächtliche Tätigkeit.“
Ich traue meinen Ohren kaum. Von so einer Krankheit habe ich noch nie gehört und bei seiner gebräunt wirkenden Haut hätte ich das auch nie vermutet. „Klingt unangenehm.“
„Ist es auch. Vor allem als Kind war es sehr schwierig, weil ich nie mit den anderen draußen spielen konnte.“ Er zuckt mit den Schultern. „Aber ich hätte es schlimmer treffen können. Bedenken Sie diesen Umstand bitte, wenn Sie mich einbestellen.“
Automatisch nicke ich. Dann besinne ich mich auf meine Aufgabe und suche ein neues Probenröhrchen. „Würden Sie uns eine freiwillige DNS-Probe geben?“, frage ich und halte ihm die versiegelte Packung hin. Als er sie nimmt, berühren sich unsere Hände kurz. „Natürlich.“
Mich durchfährt ein wohliger Schauer. Bevor einer von uns erläutern kann, wie er die Probe nehmen soll, ist es schon erledigt. DieserMannverschwendetwirklichkeineZeit.
„Bitte.“
Hektisch ziehe ich einen neuen Beweismittelbeutel heraus und verstaue die Probe darin. Alles schön beschriften und eintragen, dann wandert sie in unseren Koffer.
„Vielen Dank!“
Wir blicken uns einen Moment zu lange in die Augen. Als sich Erik neben mir räuspert, zucke ich leicht zusammen und trinke schnell einen Schluck Kaffee. Wäre auch schade, wenn der verschwendet würde.
Mein Kollege setzt die Vernehmung fort. „Haben Sie Frau Sommer vor ihrem Tod gesehen?“
„Nur gestern Abend kurz, als sie eingecheckt hat“, erinnert Dragi sich.
„Kam sie Ihnen anders vor als sonst?“
Dragi überlegt kurz. „Eigentlich nicht. Sie wirkte ein wenig erschöpft und war später als üblich hier. Ich hab jedoch nicht nachgefragt, was der Grund dafür ist.“
„Was haben Sie heute in der Zeit von 18.00 bis 19.50 Uhr gemacht?“
Der Sicherheitschef zieht nur eine Augenbraue in die Höhe. „Gearbeitet. Von fünf bis zwanzig nach sechs hab ich den Monatsplan mit Frau Krüger durchgesprochen. Danach machte ich meinen Kontrollgang übers Gelände und war viertel acht wieder in der Zentrale. Fünf vor acht rief Adrian bei mir an, weil Frau Sommer sich nicht meldete.“
KeingutesAlibifürdenTodeszeitpunkt, so wie der Möchtegernvampir.
Erik scheint dasselbe zu denken. „Hat Sie jemand währenddessen gesehen?“
„Max sowie einige andere Angestellte.“
Eine Frage stelle ich mir schon die ganze Zeit über und spreche sie nun aus: „Warum haben Sie sich nach unserer Ankunft mit Herrn Winter getroffen?“ Undesuns unterdieNasegerieben?
Lässig zuckt Dragi mit den Schultern. „Ich wollte wissen, wie es ihm geht, und hatte noch ein paar Dinge mit ihm zu klären.“
Ich erinnere mich an die aufgeladene Stimmung im Raum. „Sonderlich begeistert schien Herr Winter von Ihrem Besuch nicht zu sein.“
„Adrian musste sich ein bisschen abreagieren. Die wenigsten vertragen es gut, wenn Leute sterben, mit denen sie persönlichen Umgang hatten. Ich kenne ihn schon eine Weile und weiß, welche Knöpfe ich drücken muss. Andernfalls hätten Sie ein aufgelöstes Häufchen Elend vorgefunden, aus dem Sie keinen geraden Satz herausbekommen hätten.“
Nun ist es an mir, die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. „Sie haben also einen Streit provoziert, damit er vernehmungsfähig ist? Das ist aber sehr zuvorkommend von Ihnen.“
Dragi lächelt milde. „Das habe ich für sein Wohl getan. Außerdem ist er unausstehlich, wenn er schwermütig ist.“
„Hat Herr Winter öfter Stimmungsschwankungen?“, hakt Erik nach.
Dragi lacht. „Hatten Sie schon mal mit Schauspielern zu tun? Adrian lebt seine Rollen und steckt viel Zeit in die Erarbeitung seiner Figuren. Wie jeder andere muss er ab und an seinen Frust rauslassen. Er ist ein sehr selbstkritischer Mensch, der immer ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit benötigt. Unsere Bühne ist nur deutlich kleiner und das Publikum verzeiht keine Fehler.“
„Interessante Umschreibung. Gab es denn Beschwerden über Herrn Winter?“
„Nein, bisher nicht. Adrian ist nur manchmal etwas sensibel. Er gehört zu der Sorte Menschen, die nie wirklich zufrieden mit ihren Leistungen sind und immer denken, dass sie besser werden müssen.“
Erik stellt noch weitere Fragen, während ich die Antworten in Kurzform notiere. Als es endlich geschafft ist, lege ich Dragi das Protokoll vor. Nervös warte ich darauf, dass er die Korrektheit der Angaben bestätigt. Falls mir ein Fehler unterlaufen ist, wird er es mir sicherlich unter die Nase reiben. Als er seine Unterschrift darunter setzt, atme ich erleichtert auf.
„Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung. Wir teilen Ihnen zeitnah mit, wann Sie zur kriminaldienstlichen Erfassung kommen sollen“, sagt mein Kollege und beendet damit die Vernehmung.
Der Sicherheitschef nickt. „Natürlich. Jetzt würde ich gern wieder an die Arbeit gehen, wenn Sie nichts dagegen haben? Die Tagschicht wird sich nicht bedanken, wenn hier Chaos herrscht.“
„Vielen Dank für den Kaffee. Was schulde ich Ihnen dafür?“, frage ich.
„Der geht aufs Haus.“ Als Dragi mich mustert, kribbelt es in meinem Bauch. „Melden Sie sich einfach, wenn Sie noch etwas wissen wollen. Wir möchten alle, dass der Tod von Frau Sommer schnell aufgeklärt wird.“
Er führt uns zurück zum Saal, wo wir uns verabschieden. Erik und ich haben allerdings keine Zeit für eine Verschnaufpause. Unsere Kollegen waren schon fleißig, trotzdem haben wir noch einige Befragungen vor uns.
Erst nach Mitternacht sind alle Personalien aufgenommen und alle Anwesenden befragt worden. Wir geben Beweismittel und Protokolle auf dem Revier ab und dann heißt es endlich: Feierabend.
Erschöpft schließe ich die Wohnungstür auf und lasse im Flur alles fallen. Morgen früh werde ich deswegen wahrscheinlich fluchen, aber ich bin die Einzige, die darüber stolpern könnte. Ich schleppe mich ins Bad und erledige das Nötigste. Auf dem Weg zum Bett schäle ich mich aus den Klamotten und stoße prompt mit meinem kleinen Zeh gegen den Bettpfosten.
„Aua“, grummle ich und falle nur mit Slip und Top bekleidet in die Kissen. Vorsichtig taste ich meinen linken Fuß ab. Es wäre blöd, wenn ich mir den Zeh gebrochen hätte. Doch zum Glück scheint er nur geprellt zu sein.
Obwohl ich müde bin, liege ich wach. Bis jetzt gibt es bei unserer toten Vampirbraut keine eindeutigen Hinweise auf ein Gewaltverbrechen. Wenn dieser dämliche Biss am Hals nicht wäre, würde mich diese Sache weniger aufwühlen. Ich hab weiß Gott schon schlimmere Fälle gehabt. Aber irgendwas ist nicht ganz koscher. Bei der Befragung hat dieser Adrian sofort zugegeben, dass er das Opfer gebissen hat. ‚Es gehörte schließlich zum Programm und wurde gewünscht.‘ Auf Eriks Nachfrage, warum der Abdruck so eigenartig aussah, zeigte der Host einfach seine Zähne. Ich weiß nicht, weshalb mich dieser Anblick so beunruhigt. Es gibt wirklich Schlimmeres als künstlich verlängerte Eckzähne. Doch aus irgendeinem Grund lassen sie mir keine Ruhe. Sie wirkten so echt ...
Energisch schüttle ich den Kopf und muss über mich selbst lachen. Vampiregibtesnicht. Die Brüste mancher Damen wirken auf den ersten Blick ebenfalls echt.
Der Vampirdarsteller nimmt seine Rolle offenbar sehr ernst. Das wiederum scheint den Kundinnen zu gefallen, denn seine Dienste werden laut Frau Krüger regelmäßig in Anspruch genommen. Da diese alles andere als günstig sind, muss er einfach gut sein. Es fällt mir schwer zu verstehen, wie eine Frau sich dazu entschließen kann, sich Sex und Zuneigung zu erkaufen. Nur knapp die Hälfte der Kundinnen sind reiche Witwen oder gelangweilte Ehefrauen mit der goldenen Kreditkarte ihres Gatten. Der Rest sind junge Frauen, teils extrem erfolgreich und damit entsprechend zahlungskräftig, aber auch ‚normale’ Angestellte, die ihr Erspartes zusammenkratzen, um für ein paar Tage eine Prinzessin oder eben eine Vampirbraut zu sein. Die Herren, die diese Dienste anbieten, dürften vielen Frauen feuchte Träume bescheren. Nur das Feinste vom Feinsten. Das ist das Motto dieses ‚Wellness-Hotels‘. Bei den Kundinnen kommt das sehr gut an, wie wir während der Befragungen feststellen konnten. In unserer heutigen schnelllebigen Zeit können es sich die Wenigsten leisten, Zeit für Liebschaften oder eine richtige Beziehung zu verschwenden. Frau Krüger, die Geschäftsführerin, war schlau genug, das zu erkennen und richtig umzusetzen. Bei einer heißen Nacht mit einem der Hosts dürfte Frau immerhin auf ihre Kosten kommen. Wenn ich an die ganzen Nieten denke, die ich schon hatte, könnte ich ein bisschen neidisch werden.
Im Schein meiner Nachttischlampe blicke ich mich in meinem Schlafzimmer um. Viel gibt es nicht zu sehen: Ein Kleiderschrank, eine Kommode, mein Herrendiener, auf den ich meine Kleidung mal wieder nur drauf geworfen habe, und das Bett, in dem ich liege. Dank eines bekannten schwedischen Möbelherstellers passt alles halbwegs zusammen und war trotzdem bezahlbar.
Unruhig wälze ich mich im Bett hin und her. Meistens macht es mir nichts aus, alleine zu sein. Meine Eltern haben mich zu einer selbstbewussten Frau erzogen. Doch manchmal ... Manchmal beneide ich meine Freundinnen mit ihren Halbtagsjobs und ihren netten Männern. Ich komme in ein Alter, in dem der komplette Bekanntenkreis plötzlich Kinder bekommt und heiratet. Schrecklich! Ich darf mir regelmäßig anhören, wer jetzt schon wieder ein schreiendes Würmchen in diese gemeine Welt gepresst hat. Meine Mutter ist immer auf dem neuesten Stand und wird nicht müde, mir davon zu berichten. Sie erspart mir diese nervigen Nachfragen, wann ich denn endlich zur Vernunft komme und eine Familie gründe - noch. Das verräterische Funkeln in ihren Augen ist deutlich genug. Ich bin gerade mal achtundzwanzig und habe mir meine derzeitige Stellung hart erarbeitet. Wenn ich jetzt wegen einer Schwangerschaft ausfalle, dann war’s das mit der Karriere. Zumal ich dafür noch das männliche Gegenstück brauche und für Dates fehlt mir die Zeit. Selbst wenn ich sie hätte, würde es ewig dauern, bis ich einen Mann fände, der mit mir und meinem Beruf leben kann. Da gewinne ich eher im Lotto. Die Scheidungsrate bei der Polizei liegt jenseits von Gut und Böse. Ich habe keinen einzigen Kollegen, dessen Ehe - sofern er überhaupt verheiratet war - den anstrengenden Alltag überstanden hat. Bei der Kriminaltechnik sieht es besser aus, doch das ist die falsche Abteilung.
„Verdammt noch mal! Warum denke ich überhaupt darüber nach? Ich bin zufrieden mit meinem Leben“, schimpfe ich mit mir.
Nur nicht glücklich, flüstert eine fiese kleine Stimme in meinem Kopf. Ich drücke mir das Kissen gegen die Ohren, obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Wenn es den Kundinnen des Literary Passion so geht wie mir, dann verstehe ich langsam, warum sie das Komplettpaket buchen. Wenn ich meinen Stolz und die Finanzen ignoriere, dann hat das Konzept durchaus seinen Reiz. Urlaub braucht jeder mal ... Ich stöhne verzweifelt, als vor meinem geistigen Auge das Bild des mysteriösen Sicherheitschefs auftaucht.
„Bitte nicht! Derartige Verstrickungen kann ich wirklich nicht gebrauchen.“ Außerdem haben wir ihn noch nicht aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen. Er wusste, wo sich das Opfer befand, und hatte den Generalschlüssel. Vielleicht hat er sich ja in Frau Sommer verliebt und konnte es nicht ertragen, dass sie mit einem anderen Mann schläft. Warum mir dieser Gedanke nicht behagt, hinterfrage ich lieber nicht. Außerdem enden solche Beziehungsdramen meistens blutig und dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Auch wenn die Umstände merkwürdig sind, es könnte genauso gut ein Unfall oder ein natürlicher Tod gewesen sein. Morgen früh wird die Rechtsmedizin sich die Leiche ansehen, danach wissen wir mehr.
Ich schalte das Licht aus und versuche endlich zu schlafen. Langsam drifte ich in einen unruhigen Schlaf, nur um kurze Zeit später daraus hochzuschrecken.
Eine dunkle Gestalt schleicht sich in mein Schlafzimmer. Es ist zu finster, um etwas zu sehen, aber ich spüre die Präsenz einer anderen Person. Gespannt halte ich den Atem an und frage mich, wie sie in meine Wohnung gekommen ist. Noch wichtiger ist allerdings, warum sich jemand unberechtigten Zugang verschafft hat. Zielstrebig steuert der Eindringling das Bett an. Scheiße! Will er sich an mir vergehen oder mich umbringen? Mit diesem Gedanken fällt es schwer, Ruhe zu bewahren. Obwohl mir das Herz bis zum Hals schlägt, rühre ich mich nicht vom Fleck. Ich habe keine Waffen in Reichweite, also hoffe ich darauf, dass ich ihn überrumpeln kann. Der Einbrecher macht keinen Mucks. Keine Schritte, kein lautes Luftholen - nichts ist zu hören. Er stolpert nicht einmal über die ganzen Sachen, die auf dem Fußboden liegen.
Beinahe glaube ich, dass ich mir alles nur einbilde, doch plötzlich steht er direkt neben mir. Unter der Decke balle ich die Hände zu Fäusten und mache mich bereit, sofort zuzuschlagen, wenn er mich anrührt. Tatsächlich beugt sich der Eindringling zu mir herunter.