Lob der Intoleranz - Rolf  Friedrich Schuett - E-Book

Lob der Intoleranz E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

Essays zu kulturellen Dringlichkeiten und gesellschaftlichen Aufdringlichkeiten : . Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer Lob der Prominenz Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches Wurde jedes Etikett schon Schwindel? Ob cool, ob hot, alles nur hippe Ma(s)che Lächerliches, Ungewisses, Sinnloses? Machen Geschichtenerzähler gebildeter? Quatschen Rhetoriker, um nichts zu sagen oder Böses zu tun? Erst kommt die Fraßmoral, dann das Diner Neid ist Leid am Glück und Freud am Pech anderer Benutz mich, damit du mir nutzt! Plädoyer für die utopische Hochrisikogruppe proletarischer Intellektueller Lug und Trug als Volksbeglückung? Vom Viehhirten über Viehzüchter zum Stimmvieh : Landbau oder Bauland? Spirituelles, Spiritisten oder Spirituosen? Der lumpenproletarische Intellektuelle heute Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft Ist da noch jemand? Eliten unserer Tage Witzlose Philosophie eines philosophisches Witzes? Betriebsklima sau(ber)mäßig! Mann und Frau 2020

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INHALT

Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer

Lob der Prominenz

Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches

Wurde jedes Etikett schon Schwindel?

Ob cool, ob hot, alles nur hippe Ma(s)che

Lächerliches, Ungewisses, Sinnloses?

Machen Geschichtenerzähler gebildeter?

Quatschen Rhetoriker, um nichts zu sagen oder Böses zu tun?

Erst kommt die Fraßmoral, dann das Diner

Neid ist Leid am Glück und Freud am Pech anderer

Benutz mich, damit du mir nutzt!

Plädoyer für die utopische Hochrisikogruppe proletarischer Intellektueller

Lug und Trug als Volksbeglückung?

Vom Viehhirten über Viehzüchter zum Stimmvieh ̶ Landbau oder Bauland?

Spirituelles, Spiritisten oder Spirituosen?

Der lumpenproletarische Intellektuelle heute

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Ist da noch jemand?

Eliten unserer Tage

Witzlose Philosophie eines philosophisches Witzes?

Betriebsklima sau(ber)mäßig!

Mann und Frau 2020

Für Elke

Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer

Gesetzt, ich wollte eine Zeitschrift ins Leben rufen, die es noch nicht gibt, die schmerzlich vermisst werden könnte von einer lukrativ umfangreichen "Zielgruppe" von prospektiven Abonnenten − sagen wir mal der immer zahlreicheren und langlebigeren Hochbetagten mit vielen Vorerkrankungen. Plus fachärztliche Dauerbeiträge und Psychofritzen. Testtitel :

Ur-Opa & Granny −

Zeitschrift für das Leben ab 80

(Ich selbst als altgierig naseweiser Senior-Editor?)

Zielführende Themen z.B.:

"Meine vielen Tabletten und ich".

"Warum besuchen uns unsere Urenkel nicht mehr?"

"Der Zahnersatz ist dir ins Klo gefallen : Was nun?"

"Pampern im Alter : Ein Tabuthema".

Oder : "Lustgreispotenz bei Inkontinenz".

Vielleicht noch etwas gewagter:

"Demenz als Chance!"

Wer liest so etwas? Zahlungskräftige Ur-Kundschaft mit fetten Pensionen? Ratloses Pflegepersonal in Proll-Altersheimen und "Seniorenresidenzen"? Die leidgeprüften jungen Angehörigen? Marktforscher ausgeschwärmt: Feldforschung, randomisierte Doppelblindstudien mit Tiefeninterviews, Gratis-Nullnummer, Testausgabe, das ganze Problemspektrum!

Geht solches Periodikum mit einer permanenten Beilage: "Freund Hein − Ende ohne Schrecken"? Schreckt so etwas eher ab, oder gibt es dafür einen ungedeckten Lesegeheimbedarf?

Zielgruppen. Konzentrieren wir uns bei dem unübersichtlichen Thema an dieser Stelle auf ein naheliegendes wie signifikantes Beispiel. Autoren haben ihre noch nicht sehr spezielle Zielgruppe in ihren potentiellen Käufern oder in Verlagslektoren und Kritikern (die ihr Schreiben nie aus den Augen verliert). Das etwas engere angepeilte „Marktsegment“ eines Krimiautors besteht so vor allem aus habituellen Krimilesern, einer Stammklientel, die erfahrungsgemäß auf bestimmte Werbesignale mit Reiz-Reaktionsautomatismen so verlässlich einschnappt. Diese werden angesprochen an speziell dafür vorgesehenen Marktorten, wo sie voraussichtlich nach ihrem spezialisierten Lesefutter suchen könnten. Leserzielgruppen sind also Begriffe der professionellen Marktforschung von kommerziellen Verlagshäusern, die ihren Absatz planen und ihre Autoren-Ressourcen verwalten müssen, um auch nur überleben zu können durch ständige inflationäre Qualitätsselbstunterbietung.

Als das Theaterstück „En attendant Godot“ („Warten auf Godot“), nachdem es lange Zeit vergeblich eine geeignete Bühne gesucht hatte, dann schließlich 1953 in Paris beim frenetisch applaudierenden Premierenpublikum eine begeisterte Aufnahme fand, soll der Autor Samuel Beckett ehrlich bestürzt und entgeistert sich gefragt haben − und das ohne jede Koketterie : „Was habe ich falsch gemacht?!“ Hatte seine Kunst sich etwa in der „Zielgruppe“ geirrt?

Autoren, die gezielt für bestimmte marktsegmentierte Zielgruppen schreiben, haben sich freiwillig zu Schreibknechten („Negern“) von Druckmedien und Plat(t)formen gemacht, also machen lassen. Sie haben sich damit als seriöse Schriftsteller definitiv selber aufgegeben und sind handwerklich oft sehr geschickte Lesestofflieferanten und Suchtmitteldealer geworden, die eingespielten kunstgewerblichen Routinebedarf decken, um höhere Auflagen und Honorarmargen zu erzielen, welche wiederum auch den Verlag animieren, immer mehr in ihre Dukatenesel zu investieren. Da lohnen sich Pflichtlesereisen und opulente Messeauftritte der Werbe- und Gewerbestars.

Wenn ein Autor aber schon unbedingt eine bestimmte Zielgruppe im Auge haben möchte, um mehr daran zu verdienen und seinen Ruhm zu mehren, sollte er ja keine möglichst breite Zielgruppe seiner Marktattacken wählen, sondern eine denkbar kleine − je anspruchsvoller, desto überschaubarer.

Auch ohne ausgefeilte Marketingstrategien weiß jeder vorwissenschaftlich intuitiv, dass die Zielgruppe eines publizistischen Kassenschlagers und „Bestsellers“ ein breitgestreutes Massenpublikum ist und dass die Zielgruppe eines rezensionswürdigen Meisterwerks ein schmales Nischenpublikum von Connaisseuren und Liebhabern ist, die ja auch versorgt sein wollen. Ein lukrativer Kunstgewerbekitsch findet Massenabnehmer, Produktion von niveauvoller Qualitätskunst ist entweder ein Hungerberuf oder keine Kunst. Literatur ist brotlos oder nur Entertainerdroge.

An dieser Stelle mag einmal mehr mein Wort am Platze sein : Erfolgloses kann, Erfolgreiches muss Mist sein − auch und gerade in Kunst und Kultur. Ein übersehener Autor könnte ein verkanntes Genie sein, ein gutgehender aber ist es mit nachtwandlerischer Sicherheit nicht, sondern eher ein ranschmeißerischer Kitschier, eine makulierwürdige Eintagsfliege, die für ein Jahrhundertmirakel ausposaunt wird von geschäftstüchtigen Promotoren, Investoren, Influencers und zahlungskräftig zahlreichen Abnehmerscharen.

Max Horkheimer warf dem Schriftsteller Thomas Mann einmal vor, für Geld zu schreiben, also den Geist zu verhökern statt zu verschwenden − als wohlhabender Ehemann einer reichen Gattin, der es eigentlich gar nicht nötig hatte. Aber der kritikallergische Mann (miss)brauchte seine hohen Einnahmen zu Prestigesymbolen; sie waren ihm eher Arzneien gegen Statusdepressionen und artistische Potenzzweifel als gegen Hunger und Sozialabstieg.

Ein unbestechlicher Autor ist kein käuflicher, sondern ein schwerverkäuflicher Autor, aber natürlich nicht jeder ungelesene Stümper ein böswillig unterdrücktes Naturtalent. Im Idealfall ist der Autor kraft Autorität seiner Texte nichts als ein geistiges Unikum, das ein erratisch unverständliches und enigmatisches Unikat in den Ring wirft und sich achtlos dann an seine nächste Arbeit macht, ohne auf Beifall zu rechnen oder auf Zieltruppen samt Fan-Kommentaren zu schielen.

Man sollte entweder intransigent gegen seine Zeit schreiben oder seine Feder wegwerfen und etwas einträglich Nützlicheres tun. Das und nur das ist die einzig mit intaktkünstlerischem Gewissen noch halbwegs vereinbare intellektuelle Haltung der Kunst und Kultur heute gegenüber. Alles andere ist widerwärtiger Schmu(s) oder bloßer Bierausschank. Wozu die gesamte heutige „Popkultur“ zählt, dürfte danach keiner gesonderten Untersuchung mehr bedürfen. Rare Autoren wie Reinhard Jirgl, Jürgen von der Wense, Martin Kessel oder Henryk Elzenberg z.B. bleiben hingegen wohltuend im Schatten des freien Marktes und etablierten Kulturbetriebs. Authentische Autoren, die diesen Namen noch verdienen, sind heute vielleicht Selbstverleger, die ihre Werke möglichst so gut wie gratis anbieten. Sie leben für ihre Kunst und nicht von ihr, im Gegensatz zu geilen und feilen Kunstgewerbetreibenden. Und sie schielen und schießen auf überhaupt keine Zielscheibengruppe, sondern schreiben für einen Einzelnen, der selber sucht, also für niemanden, mithin ins Blaue das Blaue vom Himmel herunter. Sie rennen keinem einzigen Leser und Lobredner hinterher, sie schmücken sich nicht wie Huren, die nach Freiern fischen. Sie bieten sich nicht feil, sondern verausgaben sich kostenlos und lassen sich finden in ihren Verstecken.

Die Werkzeuge und Online-Schaufenster für „Selfpublishing“ stehen jedem geneigten Autor, der nicht von vornherein nur für die eigene Schublade arbeiten will, heutzutage preiswert oder kostenlos zur Verfügung. Die Zielgruppe von Popkultur ist eine Zielmasse und sollte dafür hoch blechen; die „Zielgruppe“ für Hochkultur besteht nur aus isolierten Individuen, die beschenkt werden sollten. Aber keine Bange, selbst geschenkt wird Hochkunst nicht beachtet! Hochkultur ist unterhaltsamer als alles, was "nur unterhalten" will, und hat keine Zielgruppe, nicht einmal mehr ein bildungsbürgerliches. Zielgruppen sind heute mediale Zielscheiben für geistigen Blattschuss.

Jedermann zählt zur Zielgruppe der Gesellschaft, die seine Zielscheibe ist. Die Zielgruppe des ehrlichen Autors bestehe aus allen Lesern, gegen die es anzuschreiben gilt, denn der ehrliche Leser will gegen sich selbst lesen und sich zutiefst in Frage stellen lassen. Will sagen, der wahre Autor schreibt und liest permanent gegen sich selbst, also gegen alles, wozu der Zeitgeist der Gesellschaft ihn und seinen Leser gemacht hat.

Spricht daraus wirklich nur das Ressentiment eines Erfolglosen, der aus der Not eine Tugend macht?

Lob der Prominenz

Ich weiß gar nicht, was alle immer gegen mich haben. „Promi“ hat einen so verdächtig verächtlichen Klang, dass sich doch nur gelber Neid und hochnäsige.Missgunst darin verbergen kann, oder? Fast jeder, den ich niemals beehre, lacht und lästert über mich und verhöhnt mich „satirisch“, weil er selber eben von mir noch nie ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit getaucht worden ist. Aber ich laufe schließlich nicht meinen Verächtern hinterher. Wer nicht Tag und Nacht von mir träumt und bereit ist, wirklich alles für mich zu tun und jede Unterhose coram publico herunterzulassen, dem helfe ich auch nicht auf Siegertreppchen der (all)gemeinsten Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit des Publikums sei ein rares Gut in der Mediengesellschaft, höre ich immer wieder. Jeder verfüge nur über eine begrenzte Zeit und Lust, nach anderen Menschen als sich selbst zu fragen, und rauft um das geringste Quäntchen Beachtung in der Massenmedienlandschaft. Dazu ist schon eine Art von selbstbesoffener Selbstverleugnung nötig, zu der nicht jeder den Mut und die Anlage hat. Meinen Anbetern, die sich selbstlos in meinem Dienst aufreiben, habe ich immerhin einiges zu bieten, einen hohen persönlichen Bekanntheitsgrad in der anonymen Massendemokratie, gleichgültig, ob nun durch erwünschte oder verhasste Eigenschaften. Auch ausgewiesene Ekelpakete können sich in meinem Glanz sonnen und sich ihren Mut zur Hässlichkeit oder zur allgemeinen Missachtung bewundern lassen.

„Pro-minent“ heißt heraus-ragend, und aus der Herde der grauen Mäuse hervorragen kann auch und gerade, wer gar nichts Hervorragendes ist und hat und kann, nichts, als mit meiner bescheidenen, aber unerlässlichen Hilfe sich selbst zu produzieren auf einer Bühne, die nur ich zur Verfügung stellen kann - ich, die verachtete, bewunderte und ersehnte Prominenz höchst selber. Durch das Werkzeug dieser allumfassenden Verehrung, Verachtung und Sehnsucht schaffe ich allein die Celebrities und Very Important Persons meiner Zeit, jedenfalls für eine immer begrenztere Zeit.

Fidelmusikanten erhöhe ich zu gefeierten Musikern, Grölbacken rufe ich aus zu Popsängern mit goldener Kehle, Boxervisagen verschaffe ich ein frauenschmelzendes Adelsprädikat, Hinterstuben-Conférenciers erhebe ich zu saalfüllend begnadeten Entertainerakrobaten, Stammtischstrategen zu gefürchteten Landespolitikern mit zwielichtigem Charisma. Ich kann den A-VIP zum B-VIP machen und natürlich auch den Z-Promi umgekehrt zum C-Promi. Ich mache aus jedem jeden anderen, vorwärts und rückwärts, je nach meiner Laune. Ich reiße meine Auserwählten auf den Olymp der allgemeinen Anerkennung und stürze meine Opfer zurück in den Orkus der Hordenanonymität.

Jeder erkennt andere an, um von anderen anerkannt zu werden. Hegel, ein Promi der Philosophie, erklärte diese gegenseitige freie Anerkennung aller Personen zum Wesen jeder Gesellschaft. Prominent aber ist, wer denen bekannt ist, die er selber gar nicht kennt und (aner)kennen muss.

Ausnehmend schwer habe ich es mit meinen eminent politischen Schützlingen und Favoriten. Sie werden vom namenlosen Publikum besonders kritisch beäugt und hämisch begleitet. Niemandem können sie es wirklich recht machen, und jeder Stümper glaubt es besser zu wissen und zu können als die durchschnittliche politische Rampensau. Ihre Diäten sind allen ständig zu hoch, ihre Leistungsbilanzen zu erbärmlich, ihre Auftritte zu unverschämt, ihre Ansprüche überzogen, ihre Weltanschauungen Spermüll, ihre Reden lächerlich salbungsvoll und nichtssagend.

Auf diesem Gebiet werden wirkliche Könner von intellektuellen Kennern besonders häufig verkannt, z.B. historische Größen wie US-Präsident Reagan („B-Cowboy“), Johannes Paul II. („Woytila-Papst“), Einheitskanzler Kohl („EU-Birne“) oder die amtierende Kanzlerin („Flüchtlingsmutti“). Ich, die so unprominente Prominenz in Person, behaupte einmal, dass das Gegenteil ebenso wahr ist : Politiker sind gemeinhin besser und ihre Kritiker unfähiger als ihr Ruf. Dafür trage ich Sorge in aller Bescheidenheit.

Politiker kritisieren gegnerische Politiker kompetenter als der tatenlos kommentierende fellow traveller im Publikum, der den praktischen Gegenbeweis immer schuldig bleibt. Politik sei die "Kunst des Möglichen“ und „ein Bohren sehr dicker Bretter“, schrieb ihr großer Soziologe Max Weber, der selber politische Ambitionen pflegte. Es gibt viel weniger verkannte Genies, als die meisten Zeitgenossen glauben, und unter den Kritikern der prominentesten Politiker besonders wenige.

Wer meine bekanntesten „Promis“ verachtet, verachtet recht undemokratisch das Geschmacksurteil der Mehrheit, das von den Massenmedien ja oft viel weniger erst geschaffen als nur gespiegelt wird. Wer dem Urteil der Gebildeten mehr zutraut als dem Mehrheitsvotum, lasse sich von den so häufigen politischen Fehlurteilen der Intellektuellen eines Besseren belehren.

Und ich bin vielseitig und nicht borniert, produziere am laufenden Band Tagesberühmtheiten, Monatspromis, Jahresprominenz und etwas seltener auch unsterbliche Jahrhundert-VIPs der Kultur wie Shakespeare, Bach, Rembrandt, Kant oder Einstein.

Natürlich generiere ich auch „schlagzeilenträchtige“ Dutzendware wie spektakuläre Skandalauftritte und Affären von kümmerlichen Nobodys mit einer relativ geringen Halbwertszeit des Ruhms. Ich blase meine Lokalpromis auf wie meine Welt-VIPs, meine dreisten „Big Brothers“ und kurzlebigen „Superstars“, die immerhin noch gut sind für Produktwerbung und als charity celebrities ehrenamtliche Spendenaufrufe für wohltätige Zwecke zieren. Meine Promis leiten Charity-Aktionen, durch die sie oft erst prominent werden.

Auch mit Mühe erlangte „traurige Berühmtheit“ hat immer noch besseres Image als steinerweichendes Verkanntheitsdunkel.

Der Jahrzehnt-Promi Andy Warhol versprach im Medienzeitalter jedem Menschen die Chance zu wenigstens einer Vierteilstundenprominenz, und das lassen sich bis heute sehr viele ruhmsüchtige Zeitgenossen gesagt sein, die unter ihrer grau(mäu)sigen Namenlosigkeit entsetzlich leiden, auch wenn sie sonst mit allem reich gesegnet und überversorgt sein sollten. Dort bin ich ein unrühmlich verkannter Wohltäter, der im Ruf steht, nur Scharlatane, Hochstapler, Windeier, Eintagsfliegen und unwürdige Wichtigtuer mit unverdienten Ehren zu überhäufen (und übersehene „wahre Größe“ dafür in Kohlenkellern verschimmeln zu lassen).

Habe ich mich hier einmal mehr geschmückt mit der fremden Feder meines Kollegen Erasmus von Rotterdam, der 1509 sein unsterbliches Selbstlob der Torheit („Encomium moriae“) dem (von Heinrich VIII. später prominent hingerichteten) Freunde Thomas Morus gewidmet hatte?

Ich selbst wenigstens werde ewig prominent bleiben, denn als ich noch nicht so inflationär entwertet daherkam wie heute, hieß ich noch „unsterblicher Ruhm“ und war das Privileg großer Feldherren, Könige und Kulturfürsten. Doch das ist lange her und meine Tränen nicht wert.

Den vielen, die einer Prominenz niemals näher kommen, als von Prominenten Autogramme oder Selfies zu ergattern, seien getröstet durch ein prominentes Wort des adligen Revolutionsflüchtlings Antoine de Rivarol, der im Hamburger Exil um 1800 schrieb : „L´obscurité protège mieux que la loi.“ (Der Edel-Promi Ernst Jünger übersetzte begeistert: „Unscheinbarkeit schützt mehr als das Gesetz.“)

Die Prominenz-Ärzte, die früher „eminenzbasiert“ töteten, bringen heute um durch „evidenzbasierte Medizin“. Die Zeiten ändern sich ̶ und ich mich wohl mit ihnen ...

Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches

Albert Schweitzer, Mutter Teresa, Gandhi, Madonna, Maradona, Max Schmeling, Greta Garbo oder Thunberg, oder doch lieber Bach, Rembrandt, Aristoteles, Shakespeare und Einstein?

Von Albert Einstein habe ich relativ wenig. Im Alter von 15 Jahren war er mein Vorbild gewesen. Erreicht habe ich nur seine Abneigung gegen Friseure (und gegen absolute Relativierung von allem).

Mit 20 Jahren war Jean-Paul Sartre mein erkorenes Vorbild gewesen, doch er hat mich nur „verdammt zur Freiheit“ von seiner Freiheitsphilosophie, und ich bin eher zu einem "Nichts" vor seinem "Sein" geworden. Zu seinem Lehrer Heidegger schwang ich mich nur soweit auf, dass ich "Feldwege" lieber gehe als "Holzwege" zum "Seyn des Seienden".

Mit 25 Jahren erhob ich den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno zu meinem leuchtenden Vorbild und schrieb dann doch nur „Maxima Amor'alia“, und es blieb zwischen uns der „kleine Unterschied“, den er zeitlebens verherrlicht hatte, ein Riesenabgrund.

Mit 30 Jahren stürzte ich mein Idol G. W. Fr. Hegel