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Was für ein Sommer. Mike ist 15 und jobbt in den Ferien bei den Bike Devils, den Fahrradkurieren, die Big Mamma aus ihrer Zentrale mitten in London dirigiert. Auf dem Sozius der Vespa seines Freundes Roger fährt Mike von Trafalgar Square und Piccadilly Circus bis in die Docklands und nach Soho. Und immer mit dabei ist Mikes Freundin Sandy, Big Mammas Tochter und begeisterter Fan von Popstar Stephen Macro. Der ist gerade wegen eines MTV-Konzertes in London, und Mike und Sandy versuchen alles, um Tickets dafür zu ergattern. Ehe die beiden sich versehen, stecken sie in einer spannenden Kriminalgeschichte, bei der es um eine der legendärsten Gitarren der Pop-Geschichte geht - das Instrument, auf dem vor Jahren John Lennon die ersten Songs der "Beatles" komponierte. Und nun meint offenbar jemand plötzlich, dass Mike und Sandy wissen, wo das Instrument ist, das er unbedingt besitzen will.
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Seitenzahl: 190
Karr & Wehner
London Bike Beats
Jugendroman
Das Buch
Was für ein Sommer. Mike ist 15 und jobbt in den Ferien bei den Bike Devils, den Fahrradkurieren, die Big Mamma aus ihrer Zentrale mitten in London dirigiert. Auf dem Sozius der Vespa seines Freundes Roger fährt Mike von Trafalgar Square und Piccadilly Circus bis in die Docklands und nach Soho. Und immer mit dabei ist Mikes Freundin Sandy, Big Mammas Tochter und begeisterter Fan von Popstar Stephen Macro. Der ist gerade wegen eines MTV-Konzertes in London, und Mike und Sandy versuchen alles, um Tickets dafür zu ergattern. Ehe die beiden sich versehen, stecken sie in einer spannenden Kriminalgeschichte, bei der es um eine der legendärsten Gitarren der Pop-Geschichte geht - das Instrument, auf dem vor Jahren John Lennon die ersten Songs der »Beatles« komponierte. Und nun meint offenbar jemand plötzlich, dass Mike und Sandy wissen, wo das Instrument ist, das er unbedingt besitzen will.
Die erste Ausgabe des Romans erschien 2000 unter dem Titel »Das John Lennon-Komplott«.
Die Autoren
H.P. Karr und Walter Wehner leben und arbeiten in Essen und Iserlohn. Sie schreiben seit mehr sals 20 Jahren Romane, Stories und Hörspiele für Erwachsene und junge Erwachsene. Für ihre Krimis wurden sie mehrmals mit dem Friedrich Glauser-Preis
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Was noch zu sagen wäre:
Die Credits:
Da!
Das war er!
Der Bentley war echt! Cremefarben, mit verspiegelten Seitenscheiben und Weißwandreifen stand er neben ihnen an der Kreuzung zur Kingsway Street. Seine Abgase waberten durch die schwüle Sommerluft. Rogers Vespa tuckerte im Leerlauf. Mike nahm den Helm ab und wischte sich den Schweiß von seiner Glatze.
Der Taxifahrer neben ihm starrte auf seinen kahlen Schädel und würgte beim Anfahren den Motor ab. Mike stülpte sich den Helm wieder über und lehnte sich auf dem Rücksitz der Vespa nach links, als Roger an dem Taxi vorbeizog. Für einen kurzen Moment konnte er das Nummernschild des Bentleys erkennen.
THE 60S.
Genau wie Debra es herausgefunden hatte.
»He!«, rief Mike und wäre beinahe vom Rücksitz des Rollers gefallen. »Roger, das ist er! Halt an, das ist er!«
Doch Roger drehte ungerührt am Gasgriff und die Vespa rauschte an dem Nobelwagen vorbei auf die Kingsway in Richtung Russell Square. Vor ihnen schaukelte ein Touristenbus nach Norden. Mike riskierte einen Blick zurück und sah gerade noch, wie der Bentley sich nach rechts in den Geschäftsverkehr einfädelte.
»Das war er!«, brüllte Mike. Aber Roger reagierte nicht. »Mensch, das war er! Ein Bentley mit verspiegelten Scheiben! Und der Nummer!«
Roger nahm die rechte Hand vom Lenker, tippte sich gegen den Halbschalenhelm und kümmerte sich nicht weiter um Mike.
Klar, Roger fand Stephen Macro total uncool, weil er auf Rap und Tekkno stand oder aufgepeppte 60s und alles mit weniger als 150 beats per minute für Einschlafmusik hielt.
Every death has a beginning.
Mike bekam den Song nicht aus dem Kopf.
Every end knows a new goal.
Seitdem Roger seinen Führerschein für den Roller besaß, hockten sie zusammen. Entweder bei den Devils oder auf der Vespa. Im Augenblick waren sie auf einer Kurierfahrt nach Bloomsbury. Wenn Roger etwas ernst nahm, dann den Job bei Big Mammas Devils. Die Fahrrad- und Motorradboten mit dem schwarzen Teufelskopf auf den gelben Kuriertaschen gehörten bereits zur Inner City of London wie die doppelstöckigen Routemasterbusse.
Der Motor der Vespa summte. Roger überprüfte die Lieferadresse in der App auf seinem Handy. Best Travel und Home, Rathbone Street 23. Das Päckchen, das sie dort abgeben mussten, steckte in der Kuriertasche auf Rogers Rücken.
Roger nahm die Hand vom Gas, als der Routemaster vor ihm nach links abbog. Langsam rollten sie auf die nächste Kreuzung zu. In ihren Earbutts meldete sich die Devil-App, mit der alle Kuriere untereinander und der Zentrale chatten konnten.
»Hey Mam, Sandy hier«, kam eine Mädchenstimme durch. »Bin unterwegs zur Rathbone Street.«
Sandy war Big Mammas Tochter. Seit Anfang der Ferien hing sie ständig bei ihrer Mutter herum und versuchte sie zu überreden, sie auch als Kurier fahren zu lassen. Aber bis jetzt war Big Mamma hart geblieben. Sie meinte, dass sie mit vierzehn nichts auf der Straße zu suchen hatte. Mikes Mutter war da nicht viel anders. Bloß fiel ihr kein Grund ein, ihm das Fahren zu verbieten – schließlich war er doch die ganze Zeit mit Roger zusammen, und der war fast achtzehn und hatte versprochen auf Mike aufzupassen.
Mike mochte Sandy. Wenn sie im Biker-Stopp, einem Café drei Straßen westlich der Zentrale auftauchte, setzte sie sich meistens mit ihm in eine Ecke. Sie fragte ihn dann aus, was Debra in der Time Out-Redaktion für ihren Instagram-Account und ihren Klatsch-Kanal auf Youtube über die Stars zusammengetragen hatte, die gerade in der Stadt weilten.
Seit vor zwei Wochen Stephen Macro angekommen war, um eine unplugged session in den MTV-Studios aufzuzeichnen, versuchten Mike und Sandy, Karten für das Konzert zu ergattern.
Every nigth has a morning.
Every day brings a song.
Big Mammas Stimme kam voll und kräftig aus den Kopfhörern: »Sandy, sobald du die Lieferung abgegeben hast, kommst du wieder her. Ich will nicht, dass du alleine unterwegs bist.«
»Okay, Sir!«, tönte Sandys Stimme, gefolgt vom Signal, dass sie sich ausgeloggt hatte.
Mike tippte Roger auf die Schulter. »Fahr schneller. Sandy ist gerade auch zur Rathbone Street unterwegs!«
»Mal soll ich halten, mal soll ich schneller fahren!«, raunzte Roger. »Ich bin doch nicht dein Chauffeur. Du bist bei mir hier bloß der Beifahrer auf dem Rücksitz, damit das mal klar ist!« Er schlängelte sich im Windschatten eines Mittelklassewagens über die Kreuzung.
»Ich meine ja nur«, schrie Mike ihm ins Ohr. »Wir könnten Sandy da treffen.«
Roger konzentrierte sich auf die Fahrbahn. Mike lief der Schweiß unter seinem Fahrradhelm herunter, die Haut auf dem Kopf juckte. Seit zwei Wochen lag jetzt schon der Smogdeckel aus warmer Sommerluft und Autoabgasen über London, obwohl die Wetterfrösche im Fernsehen jeden Abend ankündigten, dass ein paar ordentliche Regenschauer die Stadt bald abkühlen würden. Auf den Bürgersteigen schoben sich die Leute träge von einem Geschäft zum anderen. Hier draußen am Rand der inneren City waren nicht mehr so viele Touristen unterwegs wie rund um Trafalgar Square, dem Tower und Buckingham Palace. Im Vorüberfahren sah Mike ein paar Inder vor der grell bemalten Schaufensterscheibe eines Ladens diskutieren. Ein paar Shops weiter hingen Jungs in Lederklamotten mit ihren schweren Motorräder am Straßenrand herum. Weiter hinten lud eine Gruppe Afrikaner Kartons mit Tablets und Smartphones von einem Lieferwagen und schleppte sie in einen Hauseingang.
An der nächsten Ampel stützte Roger sich mit dem rechten Fuß ab. Er rückte seinen Helm zurecht und sah auf die Uhr. »Wir sind gut in der Zeit.«
Die Devil-App meldete sich. Big Mamma brauchte einen Kurier am neuen Lloyds of London-Gebäude. »Es ist dringend!« Bei Big Mamma war alles dringend.
»Kannst du kurz Sandy was ausrichten?«, drängelte Mike. »Dass sie in der Rathbone Street wartet, falls sie vor uns da ist.«
Roger drehte sich grinsend herum. Er trug seine neue stylishe Radfahrerbrille mit den speziell gefärbten und behandelten Gläsern. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Bist wohl in sie verknallt, Kleiner?«
»Quatsch!« Mike schoss das Blut ins Gesicht. »Richte ihr das aus, ja?«
Hinter ihnen drückte jemand auf die Hupe. Roger gab Gas und Mike wäre fast vom Roller gerutscht. »Big Mamma hat Privatgespräche über die App verboten!«
»Das merkt sie gar nicht«, drängelte Mike. »Komm schon!«
»Nein!«
»Roger, bitte!«
»Nein. Wenn wir da sind, kannst du ja auf sie warten!«
Vor dem British Museum reihte sich ein Touristenbus an den anderen. Die Leute machten Selfies an den Eisentoren; die Busfahrer lungerten an einem Imbiss herum.
»Roger!«
»Mein Gott, du nervst!« Roger ordnete sich auf der linken Spur ein. »Aber nur ganz kurz!«
In Mike Kopfhörer klang das Signal für einen Privatchat. »Redet ihr da etwa über mich?«, fragte Sandy.
Mike musste schlucken. Da hatte er wohl irgendwas an seiner App falsch bedient. »Äh…. Ich bin mit Roger auch zur Rathbone Street unterwegs. Kannst du auf mich warten? Ich habe eben...«
»Geht nicht!« Sandy keuchte, weil sie wohl gerade einen Spurt mit dem Rad einlegte. »Ich bin für die restliche Schicht für Dalton eingesprungen. Der hatte vorhin an der Essex Bridge einen Crash.«
»Schlimm?« Big Mamma war normalerweise ziemlich stolz darauf, dass ihre Fahrer kaum Unfälle hatten. Was nicht zuletzt an der Standpauke über Verkehrsregeln lag, die sie jeden Morgen vor der versammelten Mannschaft hielt.
»Nur ein paar Kratzer«, kam es aus dem Kopfhörer. »Bloß sitzt er jetzt bei der Polizei und muss seine Aussage machen über den Wagen, der ihn geschnitten hat.« Die Verbindung wurde schlecht. »Wir sehen uns nachher bei meiner Mam, okay?« Sie unterbrach den Kontakt.
Mike klammerte sich an Roger fest. »Mist!«
»So ist das mit den Frauen«, hörte er Roger. »Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt haben, dann hast du keine Chance. Lernst du auch noch, Kleiner!«
»Sag nicht immer Kleiner zu mir.«
Die Rathbone Street war ein enger Schlauch mit schmalen, alten Häusern. Es gab ein paar Lebensmittelläden, ein Antiquariat, einen Handyladen und ein Tätowierstudio mit einem Plakat für das Stephen Macro-Konzert im Schaukasten neben der Tür.
Every song has a life.
Every life sings of death.
Wie sollten sie bloß an die Tickets kommen. Die würden innerhalb von Minuten im Internet ausverkauft und außerdem unbezahlbar sein.
Am Ende schlug die Straße einen Haken nach rechts und verschwand in einem Tordurchgang zum Charlotte Place.
Mike lugte an Rogers Schulter vorbei nach Sandy oder ihrem Mountainbike mit der Devils-Tasche. Nichts zu sehen. Er redet sich ein, dass sie vielleicht gleich noch eintreffen würde und rutschte auf dem feuchten Kunstleder des Rücksitzes herum. »Nummer 23!«
Roger manövrierte die Vespa zwischen zwei Wagen auf den Bürgersteig. Mike kletterte vom Sitz, drückte Roger seinen Fahrradhelm in die Hand und angelte den Umschlag aus Rogers Kuriertasche. Unten im Haus gab es einen Laden für Musikinstrumente. Derek Olcott - Instrumente prangte in altertümlichen Goldbuchstaben auf der Scheibe. Im Schaufenster standen Gitarren, ein Schlagzeug, verschiedene Saxophone, ein paar Rhythmusinstrumente. In der Tür hing ein großes Schild mit den Öffnungszeiten. Der Laden machte erst gegen Mittag auf und war montags ganz geschlossen. Vom anderen Ende der Straße näherte sich ein Bobby und zückte unternehmungslustig sein mobiles Datenterminal um Roger ein Ticket auszustellen. »Die Kerle sind wie die Pest!« Roger schob die Vespa zurück zur Straße. »Ich dreh eine Runde, okay?«
Mike nickte. »Wenn du Sandy siehst, sag ihr, dass wir...«
»...Stephen Macro gesehen haben, klar doch!«, meinte Roger mit einem Grinsen, das Mike schon wieder daran zweifeln ließ.
Mit dem Kurierumschlag in der Hand steuerte Mike den Hauseingang neben dem Musikinstrumentenladen an und drückte die Tür auf. Im Treppenhaus war es düster, aber angenehm kühl. Es roch nach Kalk und Wischwasser. Best Travel and Home stand auf dem Schild neben den Briefkästen, darunter klein 2. Stock. Natürlich. Und natürlich hing am alten Käfigaufzug ein Schild Außer Betrieb!
Mike lief die Treppe hoch und nahm sich vor, dass er, sobald er mit einem eigenen Roller für Big Mamma fuhr, auch einen runner mitnehmen würde, der ihm die Kurierumschläge in die Büros schleppte.
Oben ging es durch eine Schwingtür in einen Gang. Am Ende stand ein Fenster offen, durch das die stickige Straßenluft hereinschwappte. Mike klopfte bei Best Travel and Home und trat ein.
»Bike Devils Kurierdienst, bitte unterschreiben.« Er knallte der Sekretärin den Umschlag und den Quittungszettel neben den Prospektständer auf den Schreibtisch. Best Travel and Home vermittelte Ferienwohnungen und Reisen. An den Wänden hingen Bilder von weißen Wohnanlagen unter blauem Himmel.
Statt zu unterschreiben starrte die Sekretärin auf Mikes Glatze. »Was ist denn mit deinen Haaren?«
»Sehen Sie doch. Ich hab keine Haare.« Er schob ihr die Quittung hin. »Bitte unterschreiben.«
Die Sekretärin setzte ihre Brille auf und malte gerade ihren Namen in runden Buchstaben auf die gestrichelte Linie, als unten im Haus etwas explodierte. Mike hatte das Gefühl, dass das ganze Haus bebte. Das Teegeschirr auf der Fensterbank schepperte, ein Löffel fiel vom Sims. Die Sekretärin zuckte zusammen und schrie auf. »Was war das?«
Im gleichen Moment roch Mike den Qualm. »Es brennt!«
Mike rannte zur Tür. Hinter ihm schrie die Sekretärin. Mike riss die Bürotür auf. Vom Ende des Ganges wälzte sich eine dicke Wolke aus Staub und Rauch auf ihn zu. Im Treppenhaus schrieen Leute. Durch die Schwaden war kaum etwas zu erkennen. Mike blickte sich um. Die Sekretärin saß wie gelähmt hinter ihrem Schreibtisch. Es stank nach angeschmorten Kabeln und Kunststoff.
»Los, kommen Sie!« Mike musste husten.
Die Sekretärin starrte ihn immer noch aus weit aufgerissenen Augen an. Die grauschwarze Rauchwand erreichte das Büro und nebelte sofort alles ein.
Bloß raus hier!, schoss es Mike durch den Kopf, aber dann drehte er sich doch wieder zu der Sekretärin herum.
»Mein Gott!« Sie stand hinter Mike, ihre Halbglasbrille baumelte am Bändchen vor der Brust. Sie klammerte sich an ihn; er spürte, wie sie zitterte. Sie schnappte nach Luft. Mike versuchte sich zu erinnern, was man ihnen bei den Feuerschutzübungen in der Schule beigebracht hatte.
Vor allem Ruhe bewahren!
Dann einen sicheren Fluchtweg suchen.
Die ersten Flammen loderten durch das Treppenhaus. Die Glasscheibe in der Tür am Ende des Ganges zerplatzte, das Feuer leckte über die Holzdecke in den engen Schlauch. Es prasselte und krachte. Die Sekretärin schrie auf und wollte zur Treppe rennen, mitten in das Inferno hinein.
»Nein!« Mikes Augen brannten. Er zerrte die Frau mit aller Kraft zurück. »Nicht dahin!«
Die Sekretärin stierte in die züngelnden Flammen, dann wich sie in panischer Angst zurück. Sie stolperte über ihn und verlor das Gleichgewicht. Mike konnte sie nicht halten, sie stürzten beide hin. Er drückte sie zur Seite.
Immer am Boden bleiben!, fiel ihm ein.
Weil dort noch der meiste Sauerstoff war. Von der Straße drangen durch das Getöse der Flammen Autohupen und Schreie herauf, in der Ferne glaubte Mike schon die erste Feuerwehrsirene zu hören. »Ein anderer Ausgang! Gibt's noch einen anderen Ausgang?«
Die Sekretärin glotzte ihn verständnislos an. Dann zeigte sie auf eine kleine Tür neben dem Fenster am Ende des Ganges. Über der Tür zeichnete sich durch den Qualm schemenhaft ein grünes Fluchtweg-Schild ab. Mike packte die Sekretärin am Arm. »Los!«
Er kroch voran. Die Luft war voll mit schlierigen Rußflocken, neben ihm keuchte die Sekretärin. Ihre Frisur hatte sich aufgelöst und die Haare kräuselten sich schon. Endlich erreichten sie die Tür. Mike langte nach der Klinke und drückte sie herunter. Die Tür bewegte sich nicht. Erst als Mike sich gegen sie warf, schwang sie auf. Das Feuer blakte hinter ihnen auf und sprang über Wände und Boden heran. Die Sekretärin war auf die Beine gekommen, taumelte durch die Tür, packte Mike an der Schulter und zog ihn mit. Mike wurde schwindlig, und er musste sich zusammenreißen, um sich auf den Beinen zu halten. Unten führte eine Tür hinaus auf den Hof. Mike stolperte ins Freie, stürzte, raffte sich auf, zerrte die Frau hinter sich her, fiel wieder hin und sackte dann endlich zusammen. Ein Feuerwehrmann tauchte im Durchgang zur Straße auf. Als er Mike und die Frau entdeckte, sprach er etwas in sein Funkgerät. Zwei Sanitäter kamen mit ihren Notfallkoffern herangehetzt.
* * *
Sie brachten ihn und die Frau zu den Rettungswagen vorn auf die Straße. Der Rettungssanitäter untersuchte Mike kurz und meinte, dass er gerade so eben an einer Rauchvergiftung vorbeigekommen wäre. Er sollte die nächste halbe Stunde liegenbleiben.
Mike wartete, bis er weg war und richtete sich vorsichtig auf. Vor dem Laden war die Feuerwehr mit ihren Wagen in Position gegangen und legten mit zwei Rohren einen Wasserschirm über die Fassade. Ein Dreiertrupp mit schwerem Atemgerät drang ins Haus ein, um nach Eingeschlossenen zu suchen.
Neben dem Rettungswagen standen die Leute aus dem Haus mit verdreckten Sachen und rußverschmierten Gesichtern zusammen. Zerfetzte Gitarren, ein zerdrücktes Saxophon und ein paar verbogene Becken lagen auf dem Asphalt verstreut. Aus dem schwarzen Schaufensterloch des Ladens züngelte es orangerot. Hinter den Barrikaden, mit denen die Feuerwehr die Straße abgesperrt hatten, drängelten sich Schaulustige.
Zwei Feuerwehrleute in klobigen Rettungsanzügen schleppten einen kleinen, rundlichen Mann aus dem Qualm. Sein Kopf hing ihm auf die Brust und die Beine schleiften über den Boden.
Die Rettungssanitäter zerrten ihre fahrbare Bahre aus dem Wagen, während der Notarzt zu dem Verletzten hastete. Er brauchte nur ein paar Minuten, um den Mann aus dem Laden zu versorgen. Die Sanitäter pressten ihm eine Atemmaske aufs Gesicht, dann hoben sie den Verletzten auf die Trage und brachten ihn zu ihrem Wagen. Der Arzt schwang sich hinters Steuer und hakte das Mikro des Funkgerätes aus. »University College... Schwerverletzter aus der Rathbone Street. Mittlere Verbrennungen, Knochenbrüche, Rauchvergiftung. Macht ein Intensivbett fertig.«
Die Türen des Rettungswagens klappten zu, der Fahrer ließ den Motor an und gleich darauf raste das Fahrzeug mit heulender Sirene auf die Absperrung am Ende der Straße zu. Feuerwehrleute rissen die Gitter zur Seite. Unter den Leuten, die dahinter eine Gasse für den Wagen freimachten, erkannte Mike ein bekanntes Gesicht.
»Roger!« Mike brachte nur ein heiseres Krächzen heraus. Trotzdem ruckte Rogers Kopf herum. Als er Mike im Krankenwagen entdeckte, riss er die Hände hoch. Mike wollte aus dem Wagen klettern, aber der Sanitäter drückte ihn rabiat auf die Trage zurück. »Hiergeblieben!«
Mike brauchte eine halbe Stunde, bis er wieder einigermaßen auf den Beinen stehen konnte. Die Sekretärin, die er gerettet hatte, saß noch zusammengesunken und mit verfilzten Haaren auf ihrer Trage in dem anderen Krankenwagen.
Mike wischte sich über die Stirn und starrte auf den klebrigen Dreck auf seiner Hand. Der Sanitäter reichte ihm ein paar Zellstofftücher. Während Mike sich das Gesicht und die Glatze abwischte, drängelte sich ein untersetzter Kerl mit einer Videokamera auf der Schulter durch die Gaffer und baute sich vor dem zerstörten Laden auf. Die Feuerwehrleute ließen ihn ein paar Minuten in Ruhe seine Bilder drehen, ehe sie ihn wegscheuchten. Er sah sich um, stiefelte zur Sekretärin und redete mit ihr. Sie zeigte auf Mike. Der Typ kam mit der Kamera zu ihm herüber. »Sie sagt, du hättest sie gerettet.«
Mike starrte in das Objektiv der Kamera. Zwei Leuchten glommen rot über dem spiegelnden Glas. »Sind sie vom Fernsehen?«
»Klar!« Er kam mit der Kamera ganz nah heran. »Wie heißt du? Wo wohnst du? Was hast du hier gemacht? Wie ist das hier passiert? Wie geht's dir?«
»Mike«, sagte Mike. »Ich bin Mike Talbot. Da war eine Explosion... und dann hat alles in Flammen gestanden.«
»Tapfer!«, knurrte der Kameramann. »Was ist mit deinen Haaren? Sind die verbrannt?«
Mike fuhr sich über die Glatze. »Ich habe keine Haare.«
»Keine Haare? Bist du ein Skinhead oder krank oder was?«
Ehe Mike antworten konnte, tauchte ein Polizist auf und drückte dem Reporter die Kamera unsanft herunter. »Hey Gonzo, das reicht jetzt. Verschwinde.«
»Lass mich meinen Job machen, ich misch mich auch nicht in deinen ein!«, raunzte der Kameramann.
Der Polizist schob ihn ungerührt zur Absperrung zurück. »Ihr Videogeier seid wie die Krätze. Wenn man euch erstmal am Hals hat!«
Achselzuckend blieb der Kameramann hinter dem Absperrgitter und drehte noch ein paar Bilder von den Aufräumarbeiten. »Der arme Mister Olcott!«, sagte eine Frau hinter dem Gitter mehr zu ihrer Nachbarin als zu ihm, doch er wandte sich sofort mit der Kamera zu ihr herum.
»Kennen Sie Ihn?«
Die Frau wurde plötzlich ziemlich nervös. »Nein, kennen ist zuviel gesagt. Nur mal Hallo, wenn wir uns begegnet sind. Er war ja ganz allein.«
»Keine Verwandten?«, fragte der Kameramann hinter seinem Objektiv. »Ehefrau, Freundin, Kinder?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nur einen Neffen, irgendwo in Kensington. Jemand sollte ihn anrufen. Mister Olcott hat ihn jeden Montag besucht. Ich habe ihn noch gesehen, wie er gestern morgen losgefahren ist.«
»He Kleiner!«,
Mike fuhr herum. Roger hatte es endlich geschafft, sich durch die Absperrung zu schlängeln. Mit Mikes Fahrradhelm in der Hand stand er neben dem Wagen.
»Sag nicht immer Kleiner!«
»Sorry!« Roger grinste schief. »Ich war gerade an der Ecke, als es gekracht hat. Das ganze Schaufenster ist über die Straße geflogen, zuerst die Scheibe und dann die Instrumente hinterher.« Er wischte sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirn. Dann drückte er Mike an sich. »Scheiße, ich hab schon gedacht, dir wär was passiert.« Er schnaufte. »Was meinst du, was ich für einen Stress mit deiner Mutter gekriegt hätte!«
»Meinst du, dass es eine Bombe war?« Mike rieb sich die Glatze. Die empfindliche Haut brannte.
Roger zuckte mit den Schultern. »Auf alle Fälle ist die Polizei auch schon da. Sie stehen mit ihren Wagen hinten in der Charlotte Street.«
* * *
Eine Stunde später war das Feuer gelöscht. Es roch nach verbranntem Holz und Gummi. Der Instrumentenladen war nur noch ein nasses, qualmendes Loch in der Fassade. Feuerwehrleute stocherten mit Metallsonden im Brandschutt. Einer von ihnen rief seine Kollegen zu sich. Eine Weile untersuchten sie etwas, was am Boden lag und dann winkten sie nach dem Einsatzleiter.
Mikes Magen rumorte. »Ich hab Hunger!«
Roger schüttelte den Kopf. »Ich fass es nicht. Verbrennt hier fast und denkt bloß ans Essen!«
Mike drehte sich zu dem Sanitäter im Rettungswagen um. Der Mann füllte gerade auf einem Tablet ein Formular ein. »Können wir gehen?«
»Erst deinen Namen und deine Adresse!«
Mike sagte ihm, was er wissen wollte. »Ich rufe deine Eltern an, damit sie dich abholen.«
»Meine Mutter arbeitet«, meinte Mike. »Sie kann unmöglich aus dem Büro.«
»Und dein Vater?«
»Ist tot.«
Der Sanitäter kratzte sich am Kopf. Roger stand auf. »Ich bringe ihn nach Hause. Wir sind Nachbarn.«
»Also gut.«
Roger grinste Mike an. »Na dann mal los, Kleiner.«
Die Zentrale der Devils lag in einer Nebenstraße beim Trafalgar Square. Früher war hier ein Zeitungsladen mit zwei heruntergekommenen Räumen gewesen. Als Big Mamma einzog, hatte sie nur ihre Monitore und Rechner auf dem ehemaligen Verkaufstresen aufgebaut, einen Straßenplan von London an die Wand gepinnt und sich ansonsten keine Gedanken um die weitere Einrichtung gemacht. Der einzige Luxus, den sie sich leistete, war ihr sündhaft teurer Bürostuhl aus schwarzem Büffel-Leder. Außer Roger dirigierte Big Mamma von hier aus noch fast zwei Dutzend andere Boten mit ihren Rollern und gut zwanzig Typen mit Fahrrädern und E-Bikes durch die Stadt.