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Der Mörder ist immer der Gärtner! Oder der Butler? Oder wer kommt sonst noch in Frage? Hier finden Sie eine Fülle von kurzen Kriminalgeschichten, die Sie in die Rolle des kriminalistischen Spürhundes versetzen. Lösen Sie allein, zu zweit oder in der geselligen Runde diese Fälle - vielleicht auch einmal als Alternative zum Fernsehkrimi-»Fast Food«. Unveränderter Nachdruck der Druckausgabe dieses Titels aus dem Jahr 1991.
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Seitenzahl: 175
H.P. Karr
Mord!
Kriminalstories zum Selberlösen
Zu diesem Buch
Der Autor H. P. Karr zeigte bereits mit Beginn des Lesealters eine höchst bedenkliche Neigung zur Kriminalliteratur. Im Laufe seiner Adoleszenz gelang es ihm, seine ungewöhnliche Vorliebe für Geschichten über Mord und Totschlag erfolgreich zu kommerzialisieren. Als Verfasser von Kriminalstories, Kriminalhörspielen und Kriminalromanen fristet er heute unerkannt von seinen Mitmenschen ein höchst befriedigendes Dasein und stellt damit unter Beweis: Verbrechen lohnt sich doch!
Hinweis:
Unveränderter Nachdruck der Druckausgabe dieses Titels aus dem Jahr 1991.
Table Of Contents
Ein Detektiv für alle Fälle
Bei Rotlicht: Mord
Der Mann mit der Kicherstimme
Mord ist keine Zauberei
Die Geschichte des schönen Felix
Mordakte Wolffhardt
Der letzte Gast
Der Tag, als Linda starb
Mordakte Roloff
Mörder können nicht an alles denken
Diskretion, Herr Kommissar!
Adel vernichtet
Erben will gelernt sein
Die lästige Erbin
Mordakte Cranach
Der Tag, als Xaver starb
Mit dem Fahrstuhl ins Kittchen
Romanze in Mord
Der dichtende Dieb
Mord im Wald
Fehler mit tödlichen Folgen
Mord im Zug
Bild eines toten Mannes
Die Stunde vor Mitternacht
Die Stromfalle
Der Mörder kam am Nachmittag.
Nachtschatten
Der Mord-Spezialist
Mord - eiskalt!
Mord schadet der Karriere
Mord ist Familiensache
Sein letzter Wille
Wenn einer eine Reise tut
Die credits
Jossack hatte mit Überraschungen gerechnet, als er das Schild an der Haustür anbrachte: «Jossack - Private Ermittlungen».
Zwei Tage später bekam er Besuch vom Finanzamt. «Wir interessieren uns für Ihre Gewinnerwartung im ersten Geschäftsjahr», sagte Steuerinspektor Behrend.
«Null», erklärte Jossack.
Behrend hob eine Augenbraue.
«Aber von etwas müssen Sie doch leben, Mann», sagte er.
Jossack bot ihm eine Zigarre an. Echte Havanna, das Stück zu sieben Mark. Der Finanzbeamte beäugte sehr misstrauisch Jossacks goldenes Feuerzeug, das vor ihm aufschnappte.
«Ich habe ein kleines Vermögen», erklärte Jossack. «Die Ermittlungen dienen mehr meinem Zeitvertreib.»
«Jossack ...», murmelte der Finanzbeamte plötzlich. «Sie sind doch nicht etwa der Sohn von dem Jossack?»
Der Jossack, das war Klaus Heinrich Jossack, millionenschwerer Stahlunternehmer in den sechziger Jahren. Sein Geschäftssinn hatte ihm eines der größten Vermögen Deutschlands eingebracht. Bevor die Stahlbranche in die Krise geriet, hatte er sich von allen seinen Unternehmen getrennt und privatisierte nun den Rest seiner Tage.
«Richtig», sagte Jossack. «Ich bin der Sohn von dem Jossack.»
«Nun denn», hatte der Finanzbeamte gesagt und war aufgestanden. «Wir erwarten dann pünktlich Ihre Steuererklärung, Herr Jossack.»
Die nächsten Tage brachten zwei Damen, die ihre verschwundenen Haustiere suchten, und einen kleinen Jungen, der sich von Jossack die Ergebnisse seiner Mathematik-Hausaufgaben ermitteln ließ.
Tanja Grün war Jossacks erste richtige Klientin. Sie kam am Mittwoch gegen vier Uhr. Nachts, wohlgemerkt.
«Sie müssen mir helfen», sagte sie, während sie in Jossacks Wohnung stolperte und ihn mit großen, unschuldigen Augen ansah. «Meine Freundin ist eben umgebracht worden. Ellen Gerber. Sie wohnt im Appartementhaus an der Goethestraße, Wohnung 7c. Ich wohne gleich nebenan in 7d.»
Jossack sah sie zweifelnd an.
«Haben Sie schon einmal von einer Einrichtung gehört, die Polizei heißt?» fragte er. «Dort gibt es uniformierte Männer, die nichts anderes zu tun haben, als mitten in der Nacht Mörder zu jagen.»
Tanja Grün schüttelte verzweifelt den Kopf. «Was meinen Sie denn, warum ich zu Ihnen gekommen bin? Der Polizeikommissar, mit dem ich gesprochen habe, behauptet, es sei Selbstmord gewesen.»
Der Kommissar, den Jossack wenig später, gegen halb fünf Uhr morgens, in Ellen Gerbers Appartement kennenlernte, hieß Bern, und er blieb dabei, daß die junge Frau, deren Leiche gerade in einer Stahlwanne hinausgebracht wurde, Selbstmord begangen hatte.
«Sie hatte einen Herzfehler und mußte regelmäßig ein Nitroglyzerinpräparat nehmen», erklärte Bern. «Wir haben das Rezept gefunden und es telefonisch vom Hausarzt bestätigen lassen. Heute Nacht hat Ellen Gerber statt einer Nitroglyzerin-Kapsel gleich sieben eingenommen. So einfach war das.»
«Sie litt unter Depressionen», sagte der blonde Mann mit den weichen Gesichtszügen, der schon in der Wohnung gewesen war, als Jossack mit Tanja Grün angekommen war.
«Das ist Robert Heidt», sagte Kommissar Bern. «Ellens Ex-Mann.»
«Letztes Frühjahr haben wir uns scheiden lassen», sagte Heidt.
«Wir haben seine Adresse gefunden und ihn hergerufen, um die Leiche zu identifizieren», erklärte Bern. Ein Spurensicherer reichte Bern einen Zettel in einer Plastikhülle. «Der Abschiedsbrief. Er lag auf dem Sekretär.»
Jossack sah Bern über die Schulter. «Ich habe es nicht mehr geschafft, entschuldige bitte», stand da in Bleistift. Keine Unterschrift.
«Eine nichtssagende Mitteilung, die erst im Zusammenhang mit dem Selbstmord eine Bedeutung bekommt», sagte Jossack.
Bern sah ihn an. «Es gibt keine Standardformulierungen für Abschiedsbriefe», sagte er säuerlich. «Für mich ist damit alles klar.»
Kommissar Bern nahm Robert Heidt mit aufs Präsidium, um ein Protokoll aufzunehmen. Jossack und Tanja blieben mit einem Beamten der Spurensicherung in der Wohnung zurück.
Tanja lehnte müde und verzweifelt an der Tür, während Jossack sich umsah.
Ein Appartement der Mittelklasse, Einbauschränke, Küchenpantry. Ein Sekretär neben dem Fenster und ein ausziehbares Bett. Das Bett war ungemacht und benutzt, auf dem Nachttisch stand ein altmodischer Wecker. Einer von denen, dessen Klingel man jeden Abend aufziehen mußte.
«Um halb zwei habe ich Geräusche aus der Wohnung gehört», sagte Tanja auf einmal leise. «Etwas polterte, dann war es still. Ich habe eine Viertelstunde gewartet, bevor ich nachsah. Ellen hatte mir ihren zweiten Schlüssel anvertraut, so kam ich herein und fand sie ... vor dem Bett.»
«Und?» fragte Jossack. Er sah aus dem Fenster. Ein schmaler Silberstreifen am Horizont kündigte den Sonnenaufgang an. Auf dem Sekretär neben dem Fenster lagen in säuberlicher Ordnung abgeheftete Rechnungen, Briefumschläge, Briefpapier und Briefmarken. In einem Federschälchen entdeckte Jossack zwei Kugelschreiber, einen roten Farbstift, zwei Filzstifte und einen alten Füllfederhalter.
«Ich bin sicher, daß ihr Ex-Mann sie gezwungen hat, die Kapseln zu nehmen», sagte Tanja. «Ellen war stets sehr vorsichtig mit dem Medikament.»
«Hat er einen Vorteil durch ihren Tod?» fragte Jossack.
«Aber natürlich. Er muss jetzt keinen Unterhalt mehr zahlen und braucht ihr auch nicht mehr das Geld zurückzugeben, das sie während der Ehe aus ihrem Vermögen in seine Computerfirma gesteckt hat.»
Jossack sah Tanja an und verstand plötzlich, wie nahe ihr der Tod der Freundin gegangen sein mußte.
Der Beamte der Spurensicherung beendete seine Untersuchung. «Keine neuen Spuren», sagte er. «Nur noch eine kleine Notiz in ihrem Taschenkalender.» Jossack machte ein interessiertes Gesicht, und der Beamte ließ ihn einen Blick in das abgeschabte Büchlein werfen, das auf dem Sekretär am Fenster gelegen hatte. «Robert» hatte Ellen mit Kugelschreiber in der Spalte für den vergangenen Tag eingetragen. Und dahinter: «22 Uhr.»
«Sie war also mit ihm verabredet», sagte Tanja, die Jossack über die Schulter geschaut hatte.
Draußen erschien der erste Sonnenstrahl am Horizont, und als sei das ein Signal gewesen, begann der Wecker auf dem Nachttisch zu rasseln.
Jossack fuhr herum. Der Wecker klingelte eine knappe Minute, bis das Läutwerk abgelaufen war.
«Ich bin sicher, daß ihr Ex-Mann sie gezwungen hat ...»
Jossack griff zum Telefon und rief Kommissar Bern im Präsidium an. «Ellen Gerber hat nicht Selbstmord begangen!» sagte er.
«Ich weiß», erwiderte Bern. «Robert Heidt hatte nicht die Nerven, die er sich zutraute. Er hat eben gestanden. Er hat sie gezwungen, die Nitrokapseln einzunehmen. Der Abschiedsbrief war ein alter Zettel von Tanja, den er mitgebracht hatte.» Eine Weile war es still in der Leitung. Dann fragte Bern: «Wie sind Sie dahintergekommen, Jossack?»
Lösung für «Ein Detektiv für alle Fälle»
Das Schild an seiner Haustür hatte 95,50 DM gekostet und ihm bislang nur neugierige Besucher gebracht.
«Jossack — Private Ermittlungen», pflegten sie zu fragen. «Was bedeutet das?»
«Daß ich private Ermittlungen durchführe», pflegte Jossack darauf ebenso gelassen wie nichtssagend zu antworten.
Durch das Fenster seines Büros konnte er auf das Einstein-Gymnasium blicken. Jossack hatte Schuldirektor Lauterbach kennengelernt, als er ihn bat, seinen Wagen auf dem Lehrerparkplatz abstellen zu dürfen. Sofort hatten sie festgestellt, daß sie ein gemeinsames Hobby hatten: Schach. Seitdem spielte Jossack einmal pro Woche mit Lauterbach.
Als an diesem Morgen Polizeiwagen vor der Schule auftauchten, stutzte Jossack.
Unter den Beamten erkannte er Kommissar Bern, den er vor einigen Wochen bei einem anderen Fall kennengelernt hatte.
Jossack nahm seine Jacke vom Haken und ging hinüber. Uwe Lauterbach, der Direktor, stand in der Halle.
«Einer unserer Physiklehrer ist tot», sagte er zu Jossack. «Studienrat Kramer. Nach der vierten Stunde wollte er eine Anlage zur Demonstration von schwachen elektrischen Strömen im Physiksaal 4 abbauen. Er berührte wohl zwei Kontakte — das wäre auch ganz ungefährlich gewesen, wenn nicht jemand die gesamte Anlage an unseren Drehstromanschluss angeschlossen hätte.» Lauterbach schüttelte sich. «380 Volt. Das hat er nicht überlebt.»
Jossack folgte Lauterbach in den Physiksaal. Männer der Mordkommission fotografierten und sicherten Spuren.
«Ah, Jossack», sagte Kommissar Bern. «Was führt Sie her?»
«Private Ermittlungen», lächelte Jossack. «Lauterbach ist mein Schachpartner.»
Karl Kramers Leiche wurde gerade hinausgebracht. Jossack sah sich die Versuchsanordnung auf dem Tisch an.
«Hier», erklärte Direktor Lauterbach und zeigte auf zwei Kabel, die vom Versuchstisch zu einer Schalttafel an der Wand führten. Über der Tafel hing provisorisch angebracht eine rote Glühbirne.
«Hier hat Kramer die Versuchsanordnung ans Netz angeschlossen», sagte Lauterbach und zeigte Jossack einen Stecker in der Tafel. «Und hier», er deutete auf einen Vier-Stufen-Schalter, «kann man einstellen, welchen Strom man haben möchte. Schwachstrom, 220 Volt oder 380 Volt. Die vierte Stellung ist die Aus-Stellung. Der Mörder hat einfach von Schwachstrom auf Starkstrom geschaltet.»
Lauterbach sah unglücklich aus.
«Normalerweise hätte Kramer an den Voltmetern hier sehen können, daß die Anlage mit 380 Volt versorgt wurde — nur leider hat Frau Alland letzte Woche durch ein Versehen die Anzeigeinstrumente überlastet und zerstört.»
«Frau Alland?» fragte Kommissar Bern interessiert.
«Eigentlich Alland-Kramer», sagte Lauterbach. «Die Ehefrau des Toten. Ebenfalls Physiklehrerin bei uns.»
«Sie haben nach Frau Allands Versehen die Anlage nicht gesperrt?» fragte Jossack.
«N-nein», meinte Lauterbach und deutete auf die rote Birne über der Tafel. «Kramer selbst hat diese notdürftige Warnanzeige gebastelt. Die rote Birne leuchtete, wenn 220 Volt oder 380 Volt eingeschaltet waren.»
Kommissar Bern griff in die Höhe und berührte die Birne. Sie bewegte sich. «Kein Kontakt», sagte er. «Sie wurde herausgeschraubt, sodaß sie nicht aufleuchten konnte.»
Ein Spurensicherer stäubte schwarzes Pulver auf die Birne und blies es ab. «Keine Fingerabdrücke», sagte er.
«Sieht nach Mord aus», meinte Kommissar Bern kurz darauf zu Jossack und Lauterbach. «Kramer war in der vierten Stunde im Physiksaal und schloss ihn ab, nachdem die Schüler gegangen waren. Er ging kurz ins Lehrerzimmer und kam zehn Minuten später zurück, um den Versuch abzubauen. In der Zwischenzeit muss der Mörder zugeschlagen haben.»
Sie saßen im Lehrerzimmer. Direktor Lauterbach hatte die beiden anderen Physiklehrer der Schule gebeten, ihre Stunden ausfallen zu lassen und sich zur Verfügung zu halten. Sie waren die einzigen, die einen Schlüssel zum Physiksaal hatten.
Lydia Alland-Kramer war eine elegante Frau mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen. Ihr Kollege Kurt Hauser war Mitte Zwanzig und trug Jeans und Turnschuhe.
Jossack fragte sich, warum die schöne Lydia mit dem gut fünfzehn Jahre älteren Kramer verheiratet gewesen war.
«Jemand hat den Stufenschalter absichtlich auf 380 Volt gestellt», sagte Kommissar Bern zu den beiden und wartete auf eine Reaktion.
«Ich denke, es war trotz allem ein Unfall», sagte Kurt Hauser.
«Mein Mann muss aus Versehen den Schalter auf 380 Volt gestellt haben», meinte Lydia Alland. Sie wechselte einen kurzen, vertraulichen Blick mit Hauser. Zu vertraulich für einen Lehrerkollegen, fand Jossack. Bern war das auch nicht entgangen.
«Wo waren Sie nach der vierten Stunde?» fragte er.
«Ich bin nach dem Klingeln in die Lehrerbibliothek gegangen», sagte Lydia Alland.
Direktor Lauterbach seufzte. «Der verlassenste Ort an dieser Schule.»
«Richtig — es war niemand dort», erklärte Lydia.
Hauser räusperte sich. «Ich bin nach dem Klingeln im Raum der 10 B geblieben», sagte er. «Dort hat es in der letzten Zeit Diebstähle gegeben, und ich hoffte, jemanden auf frischer Tat zu ertappen.»
«Und?» fragte Bern. «Haben Sie jemanden ertappt?»
«Leider nicht», erwiderte Hauser. Ein knappes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. «Mehr kann ich Ihnen als Alibi nicht bieten. Sie können natürlich jetzt böswillig konstruieren, daß ich von der 10 B rasch zum Physiksaal hinüberging, um den Schalter umzulegen und die rote Birne herauszuschrauben.»
Bern erwiderte das Lächeln des Lehrers. «Ich kann auch konstruieren, daß Frau Alland gar nicht in der Bibliothek war, sondern im Physiksaal», sagte er. «Dann hätten Sie beide die Gelegenheit zum Mord gehabt. Was uns dann noch fehlt, wäre ein Motiv.»
Schweigen. Hauser sah Lydia an. Lauterbach räusperte sich. Lydia sah zu Boden.
«Nun ...», meinte Lauterbach.
«Wir wollten uns scheiden lassen», sagte Lydia plötzlich. «Karl ... war sehr intolerant.»
«Er hat lediglich Ihr Verhältnis mit Hauser nicht geduldet», sagte Lauterbach. Der Direktor hatte sich entschlossen, alle Diskretion beiseite zu lassen. «Daß er sich scheiden lassen wollte, höre ich zum ersten Mal.»
«Wir haben uns erst gestern darüber geeinigt», erwiderte Lydia.
Lauterbach sah den Kommissar an. «Und heute Morgen hat mir Kramer eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Hauser angekündigt. Nach der ersten Stunde wußte es schon das ganze Kollegium.»
«Und was hätte das bedeutet?»
«Große Schwierigkeiten für Hauser», sagte Lauterbach. «Und wenn er, wie Kramer andeutete, wirklich seine Dienstpflichten verletzt hat, wäre er suspendiert oder zurückgestuft worden.»
«Gemeinsam mit seinem Verhältnis zu Frau Alland ein sehr gutes Motiv», meinte Jossack.
Er sah ein leichtes Leuchten in den Augen des Kommissars. «Ich glaube, wir sind beide zu demselben Ergebnis gekommen, wer Kramer getötet hat, nicht wahr?»
Wer war’s?
Lydia Alland-Kramer?
Kurt Hauser?
Lösung für «Bei Rotlicht: Mord»
Der Physiklehrer Karl Kramer wurde von seinem Kollegen Kurt Hauser getötet, dem Liebhaber seiner Frau.
Hauser verriet sich im Verhör, als er erwähnte, er habe auch die Gelegenheit gehabt, den Schalter auf die tödliche Stromspannung zu stellen und die rote Warnbirne herauszudrehen.
«Jossack — Private Ermittlungen», sagte Lorna Herold spöttisch und mit cognacschwangerer Stimme. «Tun Sie endlich was für Ihr Geld! Ich bezahle Ihnen hundert Mark die Stunde, und Sie dackeln nur hinter mir her.»
Sie saßen im Wohnzimmer ihres extravaganten Bungalows und sahen durch das große Fenster, wie die beiden Afghanenhunde im Garten spielten.
«Sie haben mich genau dafür engagiert», sagte Jossack und nippte an seinem Mineralwasser, «daß ich hinter Ihnen herdackele und aufpasse, daß Ihnen nichts passiert.»
«Ah ja», sagte sie. Die Sonne stand tief, und der erste kühle Abendwind wehte herein. «Ich dachte, ich hätte Sie engagiert, um diesen elenden Anrufer unschädlich zu machen.»
«Das wird sich ergeben», meinte Jossack gleichmütig.
Lorna war Mitte vierzig, und selbst heute, Jahre nach ihrem letzten Auftritt, drehten sich die Leute noch auf der Straße nach ihr um.
Nicht weil sie besonders schön war, sondern weil man sie wiedererkannte. Lorna Herold oder besser «Little Lorna», wie sie sich damals genannt hatte. Die Rock’n’Roll-Sängerin der sechziger Jahre. Mit Petticoat und Schleifchen im Haar hatte sie «The Locomotion» und «Leader of the Pack» auf Deutsch gesungen. Und ihre Fans hatten die Stühle im Konzertsaal zertrümmert.
Als dann das Beat-Zeitalter begann, hatte sie sich von der Bühne zurückgezogen, war Produzentin geworden und managte eine Handvoll Pop-Sänger.
Zu Jossack war sie gekommen, weil sie anonyme Anrufe mit Morddrohungen bekam. Nach den ersten Anrufen hatte sie einige der Telefonate auf Tonband mitgeschnitten und sie Jossack vorgespielt.
Es war eine Männerstimme, aber elektrisch verzerrt, so daß man sie nicht identifizieren konnte.
«Du hast mich ruiniert», sagte der Mann bei einem der Anrufe. «Dafür wirst du büßen. Bald.»
«Beschützen Sie mich», hatte Lorna zu Jossack gesagt.
Und seitdem lief er hinter ihr her.
Heute Morgen war er mit ihr einkaufen gegangen, dann hatte er mit ihr im Stadtgarten zu Mittag gegessen und sie anschließend zu einem Fototermin begleitet, bei dem sie mit ihrer neuen Entdeckung, einem jungen Sänger namens Ronnie Fischer, fotografiert wurde.
Anschließend war Jossack mit ihr zum Friseur gegangen.
«Nach diesen Fototerminen muss ich immer unbedingt etwas an mir tun», hatte sie gesagt und einen Kurzhaarschnitt verlangt. Während ihre langen Haare unter der Schere des Friseurs fielen, meinte sie: «Ist Ihnen der Besitzer der Boutique aufgefallen, in der wir am Vormittag waren? Ralf Render. Vor zwei Jahren hatte ich ihn unter Vertrag, aber dann habe ich ihn rausgeworfen, weil er trank anstatt zu singen. Er ist einer von denen, die glauben, ich hätte sie ruiniert.»
Der Friseur schlug «etwas ganz Fashionables» vor: grüne Strähnchen wollte er in ihr Haar färben.
«Wie du meinst, Mario», hatte sie gesagt und sich wieder an Jossack gewandt. «Und dann gibt es noch Dieter Fischer, den Bruder von Ronnie, mit dem wir vorhin die Fotos gemacht haben. Dieter war ebenfalls da, er hat sich im Hintergrund rumgetrieben, dachte wohl, ich sehe ihn nicht. Dieter wollte seinen Bruder managen, aber Ronnie wollte lieber mit mir arbeiten. Sein Bruder hatte viel Geld in die eigene Künstleragentur investiert. Doch nachdem Ronnie bei mir unterschrieben hatte, ging er pleite.»
Jossack schloss die Terrassentür, weil es kühl geworden war. Die beiden Afghanen — Sonny und Cher — drückten ihre Nasen an das Glas.
Lorna saß an der Hausbar und starrte auf das Telefon, das vor ihr stand.
«Wenn man Erfolg hat, macht man sich Feinde», sagte sie bitter und wollte wieder zum Cognac greifen. Jossack nahm ihr sanft die Flasche weg.
«Der Typ, der beim Friseur hereingeschneit kam», fuhr sie fort. «Kurt Wander. Macht mich für einen Verlust von 100.000 Mark verantwortlich.»
Jossack erinnerte sich an einen eleganten Mittvierziger mit Halstuch und goldenem Ohrring.
«Wander hat vor zwei Jahren eine Tournee für meine Sänger arrangiert», sagte Lorna. «Leider blieben die Hallen leer und er verlor sein Geld. Er hatte zu wenig Werbung gemacht — aber natürlich sollte ich wieder schuld sein.»
Jossack setzte sich zu Lorna an die Bar.
Vom Friseur aus waren sie dann sofort zu ihrem Bungalow gefahren. Sie hatte etwas gekocht und nach dem Essen damit angefangen, Cognac zu trinken.
Jossack sah sie an. Lorna trug das neue hellblaue Kleid, das sie am Vormittag in der Boutique gekauft und dort sofort angezogen hatte. Es war jugendlich geschnitten und machte sie mit der modernen Kurzhaarfrisur um einige Jahre jünger. Nur die grünen Strähnchen irritierten Jossack.
«Haben Sie Angst, daß der Anrufer Sie wirklich umbringen will?» fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. Der Cognac hatte ihr viel von ihrer Nervosität genommen.
«Hunde, die bellen, beißen nicht», sagte Lorna. «Da sitzt nur einer mit einem kleinen Gerät, das seine Stimme verzerrt, am Telefon und will mir Angst einjagen.»
Das Telefon klingelte, als sei das ein Stichwort gewesen.
Jossack wechselte einen raschen Blick mit Lorna. Ihr Cognacblick wurde schlagartig klar. Sie griff zum Hörer und schaltete den Mithörlautsprecher ein.
«Du hast Angst, nicht wahr?» ertönte die verzerrte Stimme. «Du weißt, daß ich es ernst meine. Bald wirst du sehen, daß ich genauso skrupellos sein kann wie du.» Der Anrufer kicherte. «Wunderschön siehst du aus in deinem blauen Kleidchen und mit den kurzen Haaren.» Wieder kicherte der Mann. «Aber grüne Strähnchen ... dafür bist du wirklich ein bisschen zu alt. Aber wenn du erst mal tot bist, spielt das ja keine Rolle mehr.»
«Hör auf!» schrie Lorna.
Der Mann kicherte. «Es gibt keine Chance mehr für dich.»
Dann klickte es. Der Anrufer hatte aufgelegt.
Lorna ließ den Hörer auf die Gabel fallen.
Sie zitterte. «Tun Sie etwas, Jossack», flüsterte sie. «Ich halte das nicht mehr aus. Wer ist der Mann, der das macht?»
«Sie sind ihm heute begegnet», sagte Jossack.
Wer war’s?
Ralf Render?
Dieter Fischer?
Kurt Wander?
Lösung für «Der Mann mit der Kicherstimme»
Der anonyme Anrufer, der Lorna Herold in Angst und Schrecken versetzte, war Kurt Wander. Er war Lorna im Friseursalon begegnet, als sie sich die Haare kurz schneiden und sich grüne Strähnen einfärben ließ.
Der Mann mit dem silbernen Zylinder hob die Augenbrauen, als er Jossacks Visitenkarte sah.
«Private Ermittlungen», las er. «Was soll das heißen?»
Jossack schob sich an ihm vorbei in das kleine Varieté.
«Ich bin ein Freund von Luigi», sagte er. «Er hat mich eingeladen — zur Premiere.»
Der Zuschauerraum des Varietés war leer. Nur vorn an der Bühne saß ein Mann an einem Bistrotisch.
Jossack setzte sich zu ihm. Jauer hob grüßend ein Champagnerglas. «Sie wissen hoffentlich die Ehre zu schätzen, Jossack?» fragte er trocken.
«Luigi hat mich sozusagen engagiert», meinte Jossack. «Ich soll alles versuchen, um seinen neuen Trick zu erklären.»
Der Mann mit dem silbernen Zylinder hatte einen Scheinwerfer auf die Bühne gerichtet. Der helle Strahl zeichnete einen verzogenen Kreis auf die Bretter.