Lovely Dreams. Nur ein Kuss von dir - Polly Harper - E-Book
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Lovely Dreams. Nur ein Kuss von dir E-Book

Polly Harper

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Beschreibung

Nur ein Kuss von ihm und ihr Herz steht in Flammen

Seit Nova die Scherben einer zerbrochenen Beziehung zusammenkehren musste, hat sie gelernt, sich an den kleinen Glücksmomenten des Lebens zu erfreuen. In dem idyllischen Ort Goodville im Herzen Colorados betreibt sie einen Souvenirshop und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Großmutter, deren Augenlicht immer mehr schwindet. Da bleibt kaum Zeit, sich um ihr nicht vorhandenes Liebesleben zu kümmern – bis der neue Deputy Steve zu ihrem Erstaunen ein Auge auf sie wirft. Noch überraschter ist Nova allerdings, als ihr der attraktive Jax unverhofft seine Freundschaft anbietet. Immer wenn sie Zeit mit ihm verbringt, treibt Jax‘ raues unwiderstehliches Lachen ihren Puls in die Höhe. Doch Nova wagt es nicht, sich mehr zu erhoffen – denn schon einmal war Goodville zu klein für ihre größten Träume …

Teil 2 der neuen Goodville-Love-Reihe

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Seitenzahl: 501

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POLLY HARPER schreibt leidenschaftlich gern Liebesromane. Schon seit ihrem erfolgreichen Debüt im Jahr 2014 veröffentlicht die Autorin unter dem Pseudonym Greta Milán regelmäßig gefühlvolle Geschichten, die überall auf der Welt spielen. Sie selbst lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und drei Katern im Herzen Deutschlands. Mit Lovely Dreams, dem zweiten Band ihrer Goodville-Love-Reihe, entführt sie ihre Leserinnen in die romantischste Kleinstadt Colorados.

Außerdem von Polly Harper bereits erschienen:

Lovely Hearts. Solange du bei mir bist

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Polly Harper

LOVELY DREAMS

Nur ein Kuss von dir

Roman

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Copyright © 2021 by Penguin Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: www.buerosued.de

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26953-1V002

www.penguin-verlag.de

Für den Mann, der alles für mich ist.

Freund, Vertrauter, Liebhaber, Gefährte. Und noch so viel mehr.

Kapitel 1

Nova

»Kann mir mal bitte jemand den Akkuschrauber geben?«, rief May, die zur Hälfte im Korpus einer halb aufgebauten Kommode steckte, und streckte die Hand nach hinten aus.

»Einen Moment«, antwortete Nova über das Surren des gewünschten Akkuschraubers hinweg und überschlug im Geiste, wie lange Lauren wohl noch brauchen würde, um diese winzige Schraube festzuziehen.

Lauren kniete neben ihr auf dem Boden. Ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst, und Stressfalten hatten sich auf ihrer Stirn gebildet, während sie sich damit abmühte, das Werkzeug gerade zu halten. Ihr feuerrotes Haar, das zu Beginn der heutigen Renovier-Session zu einem akkuraten Dutt zusammengeknotet gewesen war, stand ihr inzwischen in alle Richtungen vom Kopf ab.

Nova bemühte sich nach Kräften, die beiden Teile der Schublade zu stabilisieren, damit Lauren das vorgebohrte Loch traf. Aber viel brachte es leider nicht. Es knackte, als Lauren schon wieder abrutschte und den Pin in das weiß lackierte Holz trieb. Die Schraube flog in einem hohen Bogen davon.

Lauren stieß einen frustrierten Schrei aus. »Verfluchter Dreck!«

Neugierig lugte May aus der Kommode. »Was ist los?«

»Ich kriege diese verfickte Schraube nicht in dieses verfickte Loch!«, blaffte Lauren, deren Gesicht mittlerweile dunkelrote Zornesflecken aufwies, sodass ihre Sommersprossen kaum mehr sichtbar waren. Sie ließ sich auf den Hintern sinken und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. »Ehrlich, Ladies. Ich dachte, das hier wäre entschieden lustiger.«

May kicherte. »Du bist einfach zu ungeduldig.«

»Du hast leicht reden«, erwiderte Lauren genervt. »Es ist nun mal nicht jede von uns Superwoman.«

Da hatte Lauren nicht ganz unrecht. May besaß beeindruckende handwerkliche Fertigkeiten, ohne den Umgang mit diversen Werkzeugen je wirklich erlernt zu haben. Sie kreierte wundervolle Skulpturen aus Drähten und Kristallen, schraubte mühelos Möbelstücke zusammen und konnte obendrein kochen, dass man nie wieder aufhören wollte zu essen.

Amüsiert hob May eine Braue. »Jetzt übertreib mal nicht. Im Tapezieren bin ich eine Niete.«

Lauren zog die Nase kraus. »Aber nur, weil du ein Zwerg bist.«

»Ich bin höchstens fünf Zentimeter kleiner als Nova«, schoss May zurück. »Und sie hat sich bei Weitem nicht so dämlich angestellt wie ich.«

»Also, ich finde, es gehört schon einiges an Können dazu, sich selbst zu tapezieren«, bemerkte Nova schmunzelnd.

Die drei brachen in Gelächter aus.

Etwas mehr als drei Monate war es nun her, seit die Frauen aus einer spontanen Laune heraus beschlossen hatten, in der beschaulichen Kleinstadt Goodville im Herzen Colorados einen Ladies Club zu gründen. Sie alle hatten sich einsam gefühlt und sehnten sich nach Verbundenheit. Genau die hatten sie nun mit den Soul Sisters gefunden.

In Laurens Bar, dem Nowhere, diente ein ungenutzter Lagerraum als Clubsitz. Allerdings hatte jede der drei in den letzten Wochen so viel zu tun gehabt, dass sie mit der Umgestaltung nur schleppend vorangekommen waren. Immerhin war der Parkettboden inzwischen abgeschliffen und neu aufbereitet. Die Wände hatten sie vergangenes Wochenende tapeziert. Eine elegante weiße Ornamenttapete und ein warmes Grau an der gegenüberliegenden Wand verliehen dem Raum eine kultivierte Gemütlichkeit. Die Rahmen der beiden großen Fenster hatten sie neu lackiert, genau wie die zwei weißen Holzregale, die Lauren nicht mehr brauchte. Diese standen nun auf der linken Seite. Davor thronte – noch in Plastikfolie eingewickelt – das neue Clubsofa. Die Polster und Kissen waren mit einem hellgrauen Leinenstoff bezogen. Es war erst gestern geliefert worden, zusammen mit drei gemütlichen Ohrensesseln, zwei gemusterten Polsterhockern und zwei Beistelltischen. Auch diese blieben verpackt, solange die Frauen mit dem Aufbau der Kommode und des Schreibtisches beschäftigt waren.

»Ich habe wirklich keine Lust mehr«, sagte Lauren seufzend und schaute sich missmutig in dem Chaos um.

»Soll ich es mal versuchen?«, bot Nova an, obwohl es Jahre her war, seit sie zuletzt einen Akkuschrauber in der Hand gehalten hatte.

»Von mir aus.« Lauren reichte ihr das Gerät, rappelte sich hoch und schwankte leicht.

»Alles in Ordnung?«, fragte Nova besorgt.

»Klar.« Sie zuckte mit den Schultern. »Meine Füße sind bloß eingeschlafen.«

So ganz kaufte Nova ihr das nicht ab. »Du bist ziemlich blass.«

Belustigt verdrehte Lauren die Augen. »Das bin ich doch immer.«

Normalerweise hätte Nova ihrer Freundin zugestimmt. Doch inzwischen kannte sie Lauren gut genug, um die feinen Unterschiede zu erkennen. Wahrscheinlich hatte sie sich wieder einmal die halbe Nacht in der Bar um die Ohren geschlagen und kaum geschlafen.

»Du arbeitest zu viel«, stellte auch May besorgt fest.

»Jetzt kriegt euch wieder ein. Mir geht es großartig.« Sie ging zu einem der Regale und schnappte sich die Schale, in der diverse Schokoriegel lagen. Anschließend wühlte sie darin herum, bis sie ihre Wahl getroffen hatte und riss die Verpackung auf. Nachdem sie herzhaft in ein Snickers gebissen hatte, nickte sie ihren Freundinnen auffordernd zu. »Mir wird es aber noch viel besser gehen, wenn wir diesen Scheiß endlich hinter uns haben.«

»Warum legst du dich nicht ein bisschen aufs Ohr, bis du später die Bar öffnest?«, schlug Nova vor. »May und ich kriegen den Rest auch allein hin.«

Lauren schnaubte entrüstet. »Ich lasse meine Soul Sisters bestimmt nicht im Stich.«

Ihre Miene zeigte deutlich, dass es sinnlos war, zu diskutieren. Deshalb ließen Nova und May es bleiben und konzentrierten sich darauf, die restlichen Möbel zusammenzubauen. Diesmal assistierte Nova der begabten Handwerkerin, die in Windeseile die übrigen Bretter verschraubte.

Unterdessen ließ Lauren sich auf das eingepackte Sofa fallen und kaute bedächtig ihren Schokoriegel. Sie hatte sich gerade das letzte Stück in den Mund geschoben, als drei Handys gleichzeitig lospiepten.

Eine Nachricht im Gruppenchat.

»Ich schau schon«, sagte Lauren und zog ihr Handy aus ihrer Jeanstasche. »Josephine fragt, ob sie doch noch vorbeikommen soll. Ihr nichtsnutziger Ehemann hat wohl beschlossen, den Sonntagnachmittag lieber mit einem Freund beim Angeln zu verbringen anstatt mit seiner Familie.«

»Was für ein Arschloch«, grummelte May.

Das wären zwar nicht die Worte gewesen, die Nova benutzt hätte, aber sie konnte ihrer Freundin nur beipflichten. Josephine war Anfang dreißig, Erzieherin in der örtlichen Kindertagesstätte und hatte sich auf der Suche nach Rückhalt und Verständnis dem Club angeschlossen, nachdem ihr Mann sie betrogen hatte.

Obwohl Goodville ein winziger Ort war und die Frauen sich schon häufiger begegnet waren, hatte Nova Josephine kaum gekannt. Doch mittlerweile hatte sie die junge Frau ebenso ins Herz geschlossen wie May und Lauren. Deshalb tat es ihr in der Seele weh, mitzuerleben, wie Josephine immer wieder von ihrem Mann verletzt wurde. »Sie ist zu gut für ihn.«

»Jepp«, stimmte Lauren zu und sank tiefer in die weichen Polster. Die Plastikhülle des Sofas knisterte. »Mir will echt nicht in den Kopf, wieso sie ihm seine Affäre verziehen hat. Ich wette, es war nicht die erste.«

»Vermutlich nicht.« Nachdenklich wischte Nova über die Kommode. »Aber ich kann verstehen, warum sie es nicht über sich gebracht hat, ihn zu verlassen. Sie liebt ihre Tochter mehr als sich selbst, und ich glaube ihr, wenn sie sagt, dass Vada eine Scheidung nicht verkraften würde. Immerhin ist sie elf Jahre alt, steht an der Schwelle zur Pubertät und vergöttert ihren Vater. Stellt euch nur mal vor, wie hart das für sie wäre.«

»Kinder werden mit schlimmeren Schicksalsschlägen fertig«, erwiderte May leise. Zweifellos dachte sie an ihre Nichten Cathy und Lilly, für die sie im Frühjahr das Sorgerecht übernommen hatte, nachdem ihre Eltern bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren. Das Ausmaß ihres Schmerzes musste überwältigend sein, und trotzdem kamen die Mädchen mittlerweile gut zurecht.

Mitgefühl wallte in Nova auf. »Aber im Gegensatz zu euch hat Josephine die Wahl. Sie muss mit den Konsequenzen leben, wenn sie die Ehe beendet.«

Lauren schnaubte. »Hätte der Penner sein Ding in der Hose behalten, müsste sie eine solche Entscheidung überhaupt nicht treffen.«

»Natürlich trifft sie keine Schuld«, stimmte Nova ihr sofort zu. »Ich sage ja nur, dass ich sie in gewisser Weise verstehen kann. Abgesehen davon vertraue ich darauf, dass dieser Mistkerl irgendwann bekommt, was er verdient.«

Ein teuflisches Grinsen hob Laurens Mundwinkel. »Ich hätte so gern sein Gesicht gesehen, als sie ihm gesagt hat, dass er einen Großteil unserer Möbel finanziert hat.«

Die Frauen kicherten, ehe Lauren das Handy hob, Fotos von dem vollgestopften Raum machte und sie Josephine schickte. Dazu schrieb sie ihr, dass sie ohnehin bald fertig wären und sie sich einen entspannten Sonntag mit Vada machen sollte.

Wenig später klinkte sich Helen in den Chat ein. Sie war die Letzte im Bunde der Soul Sisters und hatte von Anfang an höflich Abstand von der Möbelaufbauaktion genommen, da sie bereits Mitte fünfzig war und es vorzog, ihren Beitrag mit Näharbeiten zu leisten. Sie schickte unscharfe Fotos von Kissen und Vorhängen in die Gruppe, die Lauren im Auftrag von May und Nova eifrig kommentierte.

Etwas später waren die Möbel zusammengeschraubt, und die Frauen schoben sie mit vereinten Kräften an die vorgesehenen Plätze.

»Ach, du Schande«, erklang hinter ihnen eine helle Mädchenstimme.

Überrascht drehte Nova sich um.

Cole Baxter stand in Begleitung von Mays Nichten im Türrahmen. Alle drei lugten neugierig in den Raum.

Cathy stieß einen Pfiff aus. Sie war inzwischen acht Jahre alt und trug wie üblich Sportshorts und ein schlichtes T-Shirt. Ihren blonden Pferdeschwanz hatte sie durch die Lasche einer Basecap gezogen. Ihr rechter Unterarm war mit einem blauen Gipsverband ummantelt und in einer Schlaufe fixiert. In der linken Hand hielt sie ein Eis, das kurz davor war, auf den Boden zu tropfen. Aber sie achtete nicht darauf, sondern musterte staunend den Raum. »Was für ein Chaos.«

Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Lilly, die wie meistens ein geblümtes Rüschenkleid anhatte, nickte zustimmend, ehe sie an ihrem Schokoeis leckte.

Cole hingegen blendete das Durcheinander vollkommen aus. Seine grünen Augen blickten ausschließlich auf May. Sein rechter Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Grinsen und ließ etwas von dem Charme erahnen, den er mühelos versprühen konnte. »Hey.«

»Hey.« May strahlte ihn an, und die Funken zwischen ihnen flogen nur so durch die Luft. Das war nicht immer so gewesen. Genau genommen hatten May und Cole sich anfangs sogar ein bisschen gehasst. Doch dann hatten sie unzählige Hürden gemeinsam überwunden und zueinandergefunden. Jetzt war die Liebe, die sie verströmten, so allumfassend, dass Nova ganz warm in der Brust wurde.

May trat ihrer Familie entgegen. Sie strich mit dem Zeigefinger erst über Cathys, dann über Lillys Wange, ehe sie sich auf die Zehenspitzen stellte und Cole einen Kuss auf die Lippen drückte.

Prompt verzog Cathy das Gesicht. »Wäh!«

Sie meinte das nicht ernst. Ihr Gesichtsausdruck verriet deutlich, wie glücklich sie darüber war, dass sich ihre beiden wichtigsten Bezugspersonen ineinander verliebt hatten. Es klang trotzdem derart inbrünstig, dass alle im Raum in Gelächter ausbrachen. Selbst Lilly, die nach dem tragischen Tod ihrer Eltern lange nicht gesprochen hatte und nur langsam ihre Stimme wiederfand, ließ ein heiseres Glucksen hören.

»Komm her, du freche Göre, bevor du den schicken neuen Boden einsaust«, sagte Lauren grinsend und klopfte neben sich auf die Schutzfolie. Interessiert betrachtete sie das Eis in Cathys Hand. »Ist das Kirsche?«

»Erdbeere.«

Lauren zog die Nase kraus. »Wäh!«

Grinsend leckte Cathy an ihrem Eis und schlenderte, gefolgt von ihrer kleinen Schwester, zu Lauren, während May sich unzufrieden im Raum umsah. »Eigentlich sollte alles fertig sein, bis ihr kommt.«

»Mir scheint, die Damen haben ein wenig die Zeit vergessen«, erwiderte Cole belustigt und warf einen bedeutsamen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist schon nach fünf.«

Nova rutschte das Herz in die Hose. »O Gott! Ich muss los.«

Sie schlängelte sich zwischen den eingepackten Möbelstücken durch und sah sich panisch nach ihrer Handtasche um.

»Immer mit der Ruhe.« Lauren pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich bin mir sicher, Granny Sims hat Verständnis, wenn du ein paar Minuten später kommst.«

Das stimmte. Trotzdem ließ Nova ihre Großmutter nicht gern warten. »Ich habe ihr versprochen, sie pünktlich abzuholen, damit sie America’s Got Talent sehen kann.«

May bückte sich, hob Novas Handtasche auf und wedelte damit in der Luft herum. »Soll ich dich schnell fahren?«

»Nicht nötig.« Mit einem Lächeln nahm Nova ihre Tasche entgegen. »Granny ist heute bei Priscilla. Wenn ich mich beeile, schaffen wir es noch rechtzeitig.«

Nova verabschiedete sich eilig, stürmte aus dem Nowhere und kollidierte direkt mit einer Hitzewand.

Sie stöhnte leise auf. Obwohl der Tag allmählich zur Neige ging, war es immer noch brütend heiß auf den Straßen von Goodville. Die Augustsonne brannte vom wolkenlosen Himmel, und die Luft über dem Asphalt flimmerte.

Schräg gegenüber vom Nowhere, das sich direkt an der Hauptstraße im Zentrum des kleinen Städtchens befand, konnte Nova das Eiscafé sehen. Normalerweise war die Terrasse an Sonntagnachmittagen bis auf den letzten Platz besetzt. Aber heute schienen sich alle in die klimatisierten Häuser zurückgezogen zu haben. Auch Nova verspürte unweigerlich den Drang, wieder in die Kühle von Laurens Bar zu flüchten. Doch da ihre Großmutter sicherlich schon ungeduldig wartete, zupfte sie ihr luftiges Top zurecht und machte sich auf den Weg zu Priscilla.

Es dauerte nur Sekunden, bis sich Schweißperlen auf Novas Stirn sammelten. Obwohl sie nicht wirklich mit Verkehr rechnete, schaute sie nach rechts auf die Straße. Ihr Herz machte einen Satz, als sie Jax in seinem Pick-up entdeckte.

Von all den ledigen Männern in Goodville führte Jackson Troy ohne jeden Zweifel die Rangliste an. Zumindest, soweit es Novas persönlichen Geschmack betraf. Sein kräftiger Unterarm, der dank der Sonne in einem Bronzeton schimmerte, hing lässig aus dem Seitenfenster, und hinter der Frontscheibe blitzten Jax’ weiße Zähne auf, als er ihr zulächelte. Er hob die Hand zum Gruß und fuhr rechts ran.

Novas Knie wurden weich, und das lag sicher nicht an der Hitze. Sie starrte Jax an, der jetzt zu ihrem Entsetzen auch noch aus dem Wagen stieg und zu ihr schlenderte. In der Hand hielt er einen großen Briefumschlag. Sein hellblondes Haar, das ihm sonst bis zum Kinn reichte, hatte er nach hinten gebunden. Er trug ein schwarzes Shirt, das eng an seinem gut trainierten Oberkörper anlag, und Navyshorts, die nur allzu deutlich demonstrierten, dass er an allen Stellen überaus gut in Form war. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, richtete er seinen Blick direkt auf Nova.

Himmel! Diese Augen wären eines Tages noch ihr Untergang.

Bei keinem anderen Menschen hatte Nova je zuvor so viele unterschiedliche Blautöne in der Iris gesehen. Jax’ Augen schienen von Indigo bis Azur das gesamte Farbspektrum der Blaupalette zu umfassen. Und wie jedes Mal, wenn sie Jax traf, setzte sie dieser Anblick vollkommen außer Gefecht.

Unmittelbar vor ihr blieb er stehen. »Hey, Nova, wie geht’s?«

Danke, gut.

Einfach großartig.

Mir ist heiß.

Mehrere Möglichkeiten schossen Nova durch den Kopf. Leider war keine halbwegs intelligente darunter. Sie brachte keinen Laut über die Lippen. Stattdessen starrte sie Jax nur weiter an. Und je länger sie starrte, umso mehr geriet sie in Panik.

Wenn sie nicht gleich etwas Freundliches erwiderte, würde er sie für eine unhöfliche, hohle Nuss halten. Nova konnte ihm bereits ansehen, dass sich seine Miene zunehmend vor Enttäuschung trübte. Sein Lächeln verlor etwas von seinem Strahlen.

»Jax!«

Erschrocken wirbelte Nova herum, als Cole hinter ihr auf die Straße trat. Er musterte Nova überrascht. »Alles okay, Nova?«

Immerhin brachte sie ein Nicken zustande.

Cole sah zwischen Jax und ihr hin und her, ehe er sich wieder stirnrunzelnd an sie wandte. »Ich dachte, du wolltest deine Großmutter abholen.«

Nova zuckte zusammen. »Stimmt.«

Sie winkte, ohne den Mut aufzubringen, Jax noch einmal anzusehen. Dann eilte sie über die Straße, vorbei an geschlossenen Geschäften und Boutiquen, vor denen hübsch arrangierte Blumentöpfe standen. Die weißen, rosafarbenen und gelben Blüten ließen allesamt die Köpfe hängen. Nova konnte nachempfinden, wie sie sich fühlten.

Jax musste sie für eine komplette Idiotin halten.

Frustriert kniff sie die Augen zusammen. Warum nur bekam sie in seiner Gegenwart kein Wort raus? Bei ihren Freundinnen oder im Laden war sie doch auch nicht auf den Mund gefallen.

Dabei war es nicht einmal sein gutes Aussehen, das sie derart einschüchterte, sondern eher seine Ausstrahlung. Er schien jeden Menschen in seiner Umgebung für sich einzunehmen. Nova hatte schon häufiger aus der Ferne beobachtet, wie die Frauen von Goodville – egal ob verheiratet oder nicht – gebannt an seinen Lippen hingen, wenn er sich mit ihnen unterhielt. Er schien immer gute Laune zu haben, und wenn er auf diese charmante Weise grinste, zeigte sich ein Grübchen in seiner linken Wange, und seine blauen Augen strahlten wie der klare Himmel an einem wolkenlosen Tag. Und jedes Mal erklang in Novas Kopf die bezaubernde Melodie des Stückes Méditation aus der Oper Thaïs von Jules Massenet.

Nova liebte alles daran. Die Zartheit, die Sehnsucht, die Vollkommenheit. Es war sicher kein Zufall, dass sie unterbewusst ausgerechnet Jax diese Melodie zugeordnet hatte. Sie seufzte leise. Sie musste endlich aufhören, ihn aus der Ferne anzuhimmeln. Das brachte doch nichts. Alles, was sie damit erreichte, war, dass sie sich vor ihm und auch vor ihren Freunden zum Deppen machte.

Die Ladenzeile ging in eine Reihe hübscher Einfamilienhäuser über. Fast alle Gebäude waren in den letzten Jahren von Coles Baufirma Avens & Baxter, für die Jax ebenfalls arbeitete, renoviert worden. Nun glänzten die Fassaden in Schneeweiß, Mintgrün und Himmelblau. Die gepflegten Vorgärten waren durchsetzt von hohen Kastanien und Ahornbäumen, deren Schatten bis auf den Gehweg reichten. In einigen der Gärten surrten bereits die Rasensprenger.

Das letzte in der Reihe war Priscillas Haus. Bevor Nova das Gartentor öffnete, wagte sie einen raschen Blick über die Schulter. Ihr Herz machte einen Satz.

Jax stand noch immer mit Cole vor dem Nowhere. Und er sah sie direkt an.

Kapitel 2

Jax

Nova verharrte am Tor und wirkte so verschreckt wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Selbst auf die Entfernung konnte Jax erkennen, wie sich ihr zierlicher Körper verkrampfte.

Normalerweise reagierten Frauen nicht derart ablehnend auf ihn. Eigentlich passierte sonst das Gegenteil. Jax wollte nicht eitel wirken, aber er hatte keinen Grund zur Klage, was seine Wirkung auf das weibliche und gelegentlich sogar männliche Geschlecht betraf. Warum also starrte Nova Sims ihn an, als wäre er der böse Wolf?

Jax hatte sie schon häufiger beobachtet, wenn sie sich mit anderen Männern unterhielt. Goodville war ein überschaubarer Ort, und bei den Festen, die zuhauf vom Stadtratskomitee organisiert wurden, trafen die Einwohner ständig aufeinander. Nova war stets freundlich zu den Männern, mit denen sie ins Gespräch kam. Ein wenig schüchtern und verlegen, ja. Aber von angespanntem Schweigen keine Spur. Diese Reaktion schien ausschließlich ihm vorbehalten zu sein.

Was absolut keinen Sinn ergab.

Immerhin hatten sie sich im Nowhere schon einmal sehr nett unterhalten. Sie war anfangs etwas wortkarg gewesen, aber nachdem der Wein ihre Zunge gelockert hatte, war sogar ein richtiges Gespräch zwischen ihnen entstanden. Jax erinnerte sich noch gut an ihr schüchternes Lächeln und das Funkeln in ihren braunen Augen. Wie geschmolzene Schokolade.

Sie war nicht lange geblieben. Deshalb hatte er spontan beschlossen, sie nach Hause zu begleiten. Als sie den Souvenirshop erreichten, über dem Nova in der ersten Etage lebte, hatte Jax aufrichtiges Bedauern darüber empfunden, sich schon von ihr verabschieden zu müssen. Er hatte sogar überlegt, sie um ein Date zu bitten. Aber sie war so schnell ins Haus gehuscht, dass er gar keine Chance bekommen hatte, sie zu fragen.

Das war jetzt Wochen her, und seitdem schien sie sich in seiner Nähe noch unwohler zu fühlen als zuvor. Was echt schade war. Schließlich mochte er Nova. Eigentlich schon immer. Ihre bescheidene, unaufdringliche Art war ihm sympathisch, und die Tatsache, dass sie sich um ihre kranke Großmutter kümmerte, rührte sein Herz. Außerdem hatte sie diese sexy Art, sich auf die Unterlippe zu beißen. Jedes Mal, wenn sie ihre Zähne in das weiche Fleisch grub, erwachte in Jax der drängende Wunsch, über jene Stelle mit seinem Mund zu fahren. Er wollte sie wirklich gern besser kennenlernen.

Langsam hob er den Arm und winkte ihr zu.

Sie zuckte zusammen, wandte hastig den Blick ab und schob das Gartentor auf, ehe sie im Vorgarten der alten Priscilla Marone verschwand.

Jemand räusperte sich vernehmlich. Geistesabwesend drehte er den Kopf und stellte fest, dass Cole sich in den Schatten des Nowhere zurückgezogen hatte. Mit überkreuzten Armen lehnte er an der Wand neben der Eingangstür und musterte Jax mit einer Mischung aus Spott und Ungeduld.

Jax wurde klar, dass er seinen Boss seit geschlagenen fünf Minuten warten ließ, weil er es vorgezogen hatte, Nova hinterherzuglotzen. Glücklicherweise war Cole ein verdammt lässiger Chef und obendrein verliebt bis über beide Ohren. Zurzeit konnte ihm nicht viel die Laune versauen. Trotzdem murmelte Jax eine Entschuldigung und reichte ihm den Briefumschlag. »Hier sind die Verträge.«

»Danke, dass du sie extra vorbeigebracht hast«, erwiderte Cole, ohne einen Blick auf die Papiere zu werfen.

Jax winkte ab. »Nicht der Rede wert. Ich war eh im Büro.«

Coles Mundwinkel zuckte. »Ich weiß dein Engagement zu schätzen, aber mach auch mal frei. Immerhin ist Sonntag.«

Verlegen schob Jax die Hände in die Hosentaschen. »Ich hatte sowieso nichts Besseres vor.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Jax hätte sich durchaus vorstellen können, diesen wie die meisten Sonntage am See zu verbringen. Aber Montagmorgen stand eine wichtige Baubesprechung an, und Jax arbeitete jede freie Minute an der Statuspräsentation für die Investoren.

Cole lachte leise auf. »Du musst mir nichts mehr beweisen, Jackson. Ich habe die Entscheidung, dir die Verantwortung für das Projekt zu übertragen, nicht eine Sekunde bereut. Und das werde ich auch nicht.«

Für Jax war diese Zuversicht keine Selbstverständlichkeit. Cole und Julian hatten ihn vor weniger als zwei Jahren in ihrer Firma als Baugutachter eingestellt. Er sollte den Subunternehmern auf die Finger schauen und sicherstellen, dass die Einfamilienhäuser und Villen, die Avens & Baxter überwiegend baute, fristgerecht und einwandfrei fertiggestellt wurden.

Im letzten Jahr hatte Julian Kontakte zu ein paar Investoren aus Farmington knüpfen können. Sie waren mit Luxushotels und Golfplätzen in New Mexico stinkreich geworden und wollten ihre Fühler weiter nach Norden ausstrecken, indem sie am Fuße des Nationalparks ein exklusives Familienhotel bauten. Das Auftragsvolumen umfasste mehrere Millionen Dollar. Es war der größte Deal, den die Firma je an Land gezogen hatte.

Und dann waren Julian und seine Frau – Mays Schwester – ums Leben gekommen. Die Nachricht von dem Autounfall war wie ein Hurrikan durch das friedliche Städtchen gefegt. Wochenlang sah man nur traurige Gesichter und hörte leise, kummervolle Worte.

Mit seinen besten Freunden verlor Cole jegliches Interesse an den Belangen der Firma. Also übertrug er Jax die Bauleitung für das Familienhotel, und bis heute fühlte Jax sich mies, weil er schon mit Mitte zwanzig diese Wahnsinnschance erhalten hatte, auf die andere ihr ganzes Leben lang warteten – und das nur aufgrund zweier tragischer Todesfälle.

Wobei der Begriff Chance vielleicht ein wenig zu optimistisch gewählt war. Es stellte sich nämlich relativ schnell heraus, dass die Gegend, in der das Familienhotel entstand, in der Zukunft zwar ein Traum für die Gäste sein würde, der Baugrund für die Gewerke jedoch der reinste Albtraum war. Die bewaldeten Berge und die breite Flusskurve des Avon River machten es den Zulieferern beinahe unmöglich, die schmalen Wege bis zur Baustelle zu passieren. Hinzu kamen das unebene Gelände, die unberechenbaren Witterungsbedingungen, das Naturschutzamt und so weiter.

Als Jax die Leitung übernommen hatte, gab es Baumängel vom Keller bis zum Dach, wochenlange Verzögerungen im Ablaufplan, unzuverlässige Subunternehmer und fuchsteufelswilde Investoren. Dieses Projekt hatte ihn ganz schön ins Schwitzen gebracht.

Seit gut zwei Wochen lief endlich alles nach Plan, und Jax gab alles, damit das auch so blieb. Jetzt musste er nur noch die Investoren besänftigen, die bei ihrem letzten Treffen schon wieder damit gedroht hatten, das ganze Projekt platzen zu lassen und die bisher entstandenen horrenden Kosten von Avens & Baxter zurückzufordern.

»Und du bist sicher, dass du morgen nicht mitfahren willst?«, fragte Jax. »Du weißt, dass O’Donnell nicht allzu viel von mir hält.«

»Mir ist scheißegal, was dieser reiche Schnösel denkt. Als Julian und ich die Firma gegründet haben, waren wir auch nicht viel älter als du.« Cole schlug Jax auf die Schulter und sah ihn ernst an. »Du machst deine Sache gut, und dein Ehrgeiz wiegt dein Alter mehr als auf. O‘Donnell wird nicht abspringen, glaub mir. Wenn er das wollte, wäre er längst weg.«

Jax teilte Coles Meinung. Aber es tat gut, das auch aus seinem Mund zu hören. »Ich melde mich morgen Nachmittag, wenn ich auf dem Rückweg bin.«

»Mach dir keinen Stress.« Wie aufs Stichwort ging die Tür hinter ihm auf, und May trat in Begleitung ihrer Nichten heraus. Cathy stöhnte bei der Hitze auf, Lilly schnappte nach Luft. Sofort streckte Cole die Hand aus und zog May an sich, bevor er sich wieder an Jax wandte und breit grinste. »Ich denke, ich werde morgen nicht allzu lange im Büro sein.«

May machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Freude über diese Information zu verbergen. Sie strahlte Cole an und schmiegte sich an ihn. Ihr schien die Temperatur nicht das Geringste auszumachen.

»Das Privileg des Chefs«, stellte Jax schmunzelnd fest, obwohl er auch einen gewissen Neid verspürte. Nicht etwa, weil er sich ebenfalls nach flexibleren Arbeitszeiten sehnte, sondern weil Cole ohne jeden Zweifel sein Gegenstück gefunden hatte. May war der Pin für seine Schraube, das Zahnrad in seinem Getriebe, der Akku für seine Bohrmaschine.

… und Jax stand eindeutig zu lange in der prallen Sonne.

Er schüttelte den Kopf, um seine schrägen Gedanken zu verscheuchen, und schaute zum Straßenende.

May folgte seinem Blick, und just in diesem Moment öffnete Nova das Gartentor und hielt es für ihre Großmutter auf. Abigail Sims schien jedoch keine Eile zu haben, sondern zupfte ihren lila Sonnenhut zurecht, der mit bunten Federn und getrockneten Blumen geschmückt war. Passend zu der auffallenden Kopfbedeckung trug Abigail ein luftiges Kleid mit pinken Blumen, das locker an ihrem schmächtigen Körper herabfiel. Sie drehte den Kopf zu ihrer Freundin Priscilla, die sie zum Tor begleitet hatte, und schob die dicke Hornbrille höher auf die Nase.

Priscilla, die neben den beiden zierlichen Frauen ein wenig korpulent wirkte, wischte sich eine ihrer grauen Locken aus der Stirn. Ihre Lippen bewegten sich, und was immer sie sagte, entlockte Abigail ein heiseres Lachen, das über die leere Straße bis her zum Nowhere schallte.

Auch Novas Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.

Eine Hitzewelle jagte durch Jax’ Körper. Sie sah hinreißend aus, wenn sie lächelte.

»Also«, sagte May gedehnt. »Wir wollen nächsten Samstag grillen.«

»Wollen wir?« Cole musterte seine Freundin überrascht. Sie warf ihm einen Blick zu, woraufhin er prompt nickte. »Ja, wollen wir.«

»Bei dieser Affenhitze?«, fragte Cathy und schüttelte missmutig den Kopf. »Das ist doch total verrückt.«

»Die Männer grillen, Süße.« May stützte sich auf die Knie, sodass sie mit Cathy auf Augenhöhe war. Sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Wir wickeln deinen Arm in Plastikfolie ein und machen eine Poolparty.«

Sofort war die ältere Avens-Tochter Feuer und Flamme, und auch Lilly klatschte begeistert in die Hände.

»Ich denke, ich werde noch ein paar Freundinnen einladen«, überlegte May und tippte sich ans Kinn. »Und Ryan. Er kann uns die Drinks an den Pool bringen.«

»Mein Bruder wird begeistert sein«, erwiderte Cole belustigt, ehe er sich wieder an Jax wandte. »Ich rechne fest mit deiner Unterstützung.«

Jax freute sich über die Einladung. »Na klar, Mann.«

Sein Blick glitt erneut zum Straßenende, wo Nova immer noch in die Unterhaltung mit ihrer Großmutter und Priscilla vertieft war. Sicher wäre sie nächste Woche auch unter Mays Gästen. Die Aussicht, sie in einem Bikini zu bewundern, gefiel Jax mehr, als angebracht war. Andererseits könnte Nova sich auch mit einem Kartoffelsack verhüllen, sie wäre immer noch bildhübsch. Wenn sie doch nur nicht so schüchtern wäre.

Kapitel 3

Nova

»Dieser Junge ist ein wahrer Adonis«, seufzte Priscilla und fächelte sich mit einem verzückten Seufzen Luft zu. »Ach, Abi, wären wir nur ein paar Jährchen jünger …«

Nova bemühte sich, den Kopf nicht in Jax’ Richtung zu drehen. Sie hatte gehofft, er wäre inzwischen losgefahren. Leider hatten sich nun auch May und die Mädchen zu ihm und Cole gesellt, weshalb er immer noch am gleichen Fleck stand wie zuvor. Wenn sie das Bild am Rande ihres Sichtfeldes richtig deutete, schaute er sogar in ihre Richtung, was ihr Magen mit einem Kribbeln quittierte.

Abigail gluckste. »Meinem Elliot kann der Bursche sicher nicht das Wasser reichen. Aber beschreib ihn mir trotzdem.« Sie legte konzentriert die Stirn in Falten, der Blick hinter ihrer Hornbrille glitt ins Leere.

Novas Magen verkrampfte sich. Es wurde schlimmer. Dass Abigail ihre Freundin nicht mehr fokussieren konnte, zeigte deutlich, wie schnell die Erkrankung inzwischen voranschritt. Die letzte Untersuchung bei einem Spezialisten in Silverton lag erst zwei Tage zurück. Der Arzt hatte gesagt, dass niemand genau voraussagen konnte, wann das letzte bisschen Sehkraft, das Abigail noch besaß, endgültig erlosch. Aber von mehr als ein paar Wochen war sie schon ausgegangen. Angst und Sorge schlugen erbarmungslos ihre Krallen in Novas Herz. Was, wenn ihre Granny nicht mit der immerwährenden Dunkelheit fertigwurde? Wenn sie ihren Kampfgeist verlor? Sie war so eine fröhliche, lebenslustige Frau. Selbst der Tod ihres geliebten Mannes vor fünfzehn Jahren hatte nichts daran ändern können. Aber inzwischen mehrten sich die depressiven Episoden. Manchmal fehlte ihr morgens sogar die Kraft zum Aufstehen. Bis auf Nova und Daisy, die Pflegerin, wusste niemand davon, denn noch ließ Abigail nicht zu, dass irgendjemand auf die Idee kam, sie könnte ihren berühmt-berüchtigten Kampfgeist verloren haben. Aber was, wenn mit der Blindheit jeder Funke in ihr erlosch? Das könnte Nova nicht ertragen.

»Ich möchte meinen, er packt gerne auf dem Bau mit an, so kräftig, wie sich sein Bizeps wölbt.«

Priscillas Worte rissen Nova jäh aus ihren tristen Gedanken. Ungläubig musterte sie Abigails Freundin, die mit schief gelegtem Kopf ungeniert Jax’ Körper taxierte. Ihre rot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Grinsen. »Und ich wette, mit diesem Hintern könnte er Walnüsse knacken.«

Nova schnappte nach Luft. Prompt brachen die beiden betagten Damen in haltloses Gegacker aus.

»Nun schau nicht so entsetzt, Liebes«, sagte Priscilla und zuckte mit den Schultern. »Das war lediglich eine objektive Feststellung.«

»Und gibt es noch mehr Fakten über den jungen Mann?«, erkundigte Abigail sich und lehnte sich vor.

Priscillas Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. »Ich würde vermuten, dass er ausschließlich aus gestählten Muskeln besteht. Da stören nicht einmal die langen Haare.«

»Lange Haare?«, rief Novas Großmutter entsetzt aus.

»Kinnlang«, bestätigte Priscilla und machte eine wegwerfende Handbewegung, auch wenn Abigail es nicht sehen konnte. »Du weißt doch, wie die jungen Leute heutzutage in Sachen Mode sind.«

Abigail stieß ein Schnauben aus. »Ich schätze, es hat auch Vorteile, beinahe blind zu sein.«

»Sag so was nicht, Granny«, tadelte Nova sie sanft und legte ihr eine Hand auf den Unterarm.

»Findest du lange Haare bei Männern etwa gut?«, fragte Abigail entrüstet.

Augenblicklich wurden Novas Wangen heiß, was leider nicht unbemerkt blieb.

»Und ob sie lange Haare gut findet, Abi«, rief Priscilla aus und zeigte mit dem Finger auf Nova. »Ich glaube, unsere Gebete wurden doch noch erhört.«

Ein feines Lächeln zeigte sich auf Abigails Gesicht.

Nova konnte ihr ansehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten. Mit einem Anflug von Panik spähte sie über die Schulter und stellte erleichtert fest, dass Jax in ebenjenem Moment in seinen Pick-up stieg. »Wir sollten gehen, Granny. Deine Sendung fängt gleich an.«

Normalerweise hätte die Erwähnung besagter Sendung ausgereicht, damit Abigail sich in Bewegung setzte. Diesmal zögerte sie jedoch. »Vielleicht solltest du mit dem Burschen ausgehen, wenn er wirklich so stattlich ist.«

Allein der Vorschlag führte dazu, dass Novas Herz wie ein Kolibri in ihrer Brust flatterte. Allerdings war sie sich Priscillas forschenden Blicks überaus bewusst. Milde lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Ich werde nicht mit ihm ausgehen.«

»Warum nicht?«, fragte Abigails Freundin.

Ein Stich drang Nova durch die Brust. Ihre Großmutter kannte den Grund, zumindest teilweise. Aber sie wäre niemals so unsensibel, Zachary zu erwähnen. Deshalb schwieg sie.

»Du bist jung«, fuhr Priscilla fort. »Du solltest Spaß haben, anstatt dich immerzu mit alten Schachteln wie uns zu umgeben.«

Nur mühsam gelang es Nova, sich ein unbekümmertes Lächeln ins Gesicht zu pflastern. »Ich habe auch Freundinnen in meinem Alter.«

Abigail schnalzte mit der Zunge. »Es gibt Freuden, die vermag nur ein richtiger Mann zu schenken.«

»Hör auf deine Großmutter, Liebes«, pflichtete Priscilla ihr bei. Unvermittelt reckte sie den Kopf, als sich ein Auto näherte.

Natürlich musste Jax unbedingt an ihnen vorbeifahren.

»Ach, du meine Güte!«, rief Priscilla aus und strahlte. »Er hat ein Grübchen.«

Ja, das war Nova nur zu bewusst. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen, als Priscilla die Hand hob und fröhlich winkte.

Plötzlich wurde Priscilla feuerrot. »Er hat mir gewinkt. Oh, diese Hände.«

»Sind sie groß?«, fragte Abigail.

Priscilla nickte eifrig. »Riesig.«

Novas Großmutter grinste vielsagend. »Das ist sehr wichtig bei einem Mann.«

Okay, das reichte jetzt. Mittlerweile kam Nova Dampf aus den Ohren, und zwar nicht aufgrund der Hitze. »Wir sollten jetzt wirklich gehen, Granny.«

Kopfschüttelnd tätschelte Abigail Novas Hand. »Man könnte meinen, du wärst noch völlig grün hinter den Ohren.«

»Glaub mir, ich bin mir der Vorzüge großer Hände durchaus bewusst«, erwiderte Nova spitz. »Aber ich habe wirklich keine Lust, dieses Thema noch länger mit euch alten Schachteln zu diskutieren.«

Wieder gackerten die Frauen los, bevor sie endlich genug hatten und sich voneinander verabschiedeten. Priscilla schob das Tor ins Schloss und watschelte zurück in ihr kühles Heim.

Nova trat links neben Abigail und legte eine Hand auf ihren Unterarm, um sie zu führen. »Hattest du einen schönen Nachmittag mit Priscilla?«, fragte sie in der Hoffnung, ihre Großmutter endlich von dem nervenaufreibenden Thema Jax abzulenken.

Glücklicherweise stieg Abigail darauf ein. »Ja, es war schön. Und ich bin wieder auf dem neuesten Stand, was den Klatsch angeht. Das Police Department hat einen Neuzugang bekommen. Sheriff Baxter soll ihn einweisen, bevor er in Rente geht«, berichtete sie in gesenktem Ton, als würde es sich um ein Staatsgeheimnis handeln.

»Ich dachte, Jeff soll seinen Posten übernehmen«, erwiderte Nova überrascht, während sie den Bürgersteig entlangschlenderten.

Ihre Großmutter schüttelte den Kopf. »Der Stadtrat hat entschieden, dass wir einen Deputy aus Texas mit Diplom und Erfahrung brauchen.«

»Aber Jeff hat schon auf dem Revier gearbeitet, als ich hergezogen bin.«

»Um Sozialstunden abzuleisten.«

Nun ja, klug war es sicherlich nicht gewesen, das Fahrzeug der eigenen Mutter zu klauen und damit in den Avon River zu brettern, und das Ganze auch noch ohne Fahrerlaubnis. Aber das lag Jahre zurück, und inzwischen war Jeff zu einem verantwortungsvollen, zuverlässigen Mann herangereift, der in Kürze zum ersten Mal Vater wurde.

»Er hat einen Fehler gemacht.«

Abigail seufzte. »Du weißt doch, wie verbohrt manche Leute hier sind. Ich bin mir sicher, Jeff wird sich davon nicht entmutigen lassen.«

Vermutlich hatte sie recht. Trotzdem kam es Nova nicht fair vor. Schließlich war Jeff in dieser Stadt aufgewachsen. Er kannte die Leute und ihre Eigenheiten. Das machte doch einen guten Sheriff aus, oder nicht?

Sie befanden sich etwa auf Höhe von Laurens Bar, als Abigail sich stärker auf Novas Arm abstützte. Die Hitze machte ihr mehr zu schaffen, als sie zugab. Nova hütete sich, den kleinen Schwächeanfall anzusprechen, zählte jedoch im Geiste die wenigen Meter, die sie noch bis zum Souvenirladen zurücklegen mussten.

»Übrigens soll das diesjährige Spätsommerfest ein besonderes Motto kriegen«, wechselte Granny unvermittelt das Thema.

Innerlich stöhnte Nova auf. Das Gründerfest lag gerade mal ein paar Wochen zurück, und schon planten die gelangweilten Hausfrauen, allen voran Ashlyn Johnson und Patty Graham, die nächste Party. Sie nutzen wirklich jede Gelegenheit, um ein bisschen Glamour nach Goodville zu bringen. Manchmal fragte Nova sich, warum sich die Einwohner überhaupt noch die Mühe machten, die Bühne und die Verkaufsstände immer wieder abzubauen. Eigentlich könnten sie die komplette Ausstattung auch gleich stehen lassen. »Was denn für ein Motto?«, erkundigte sie sich.

»Wenn ich Priscilla richtig verstanden habe, schwebt dem Ausschuss ein venezianischer Maskenball vor.«

»Ein Maskenball?« Nova runzelte die Stirn. »Aber das ist lächerlich. Wir würden einander auf den ersten Blick erkennen.«

Abigail zuckte mit den schmalen Schultern. »Das habe ich auch erst gedacht. Aber dann fiel mir ein, dass ich noch ein paar alte Kostüme habe. Du könntest eins davon anziehen.« Ein hoffnungsvolles Lächeln hob ihre Mundwinkel. »Und du könntest spielen.«

Nova zuckte zusammen. »Auf keinen Fall.«

»Aber wenn wir es geschickt anstellen, wird niemand …«

»Nein«, unterbrach Nova ihre Großmutter entschieden und war froh, dass sie endlich die Eingangstür erreichten. Behutsam löste sie Abigails Hand von ihrem Arm und kramte die Schlüssel hervor.

Abigail seufzte. »Du musst endlich darüber hinwegkommen.«

Ein bitteres Lächeln hob Novas Lippen, während sich ein altvertrauter Schmerz in ihrer Brust breitmachte. »Lass es gut sein, Granny.«

Es war Abigail anzusehen, dass sie keineswegs zufrieden mit Novas Reaktion war. Trotzdem ließ sie es auf sich beruhen und schleppte sich die schmale Treppe hinauf, in den ersten Stock. Sobald sie die oberste Stufe erreicht hatte, streckte sie erleichtert den Rücken durch und betrat die Wohnung.

Rechts stand eine schmale Kommode, über der ihr Großvater schon vor Jahren zahlreiche Haken angebracht hatte, damit Abigail ihre vielen farbenfrohen Hüte aufhängen konnte. Mittlerweile umfasste ihre stolze Sammlung mehr als dreißig Sonnenhüte in allen Farben und Formen. Manche waren mit Federn geschmückt, andere mit Blumen. Hinzu kamen Baskenmützen mit großen Satinschleifen und robuste, mit silbernen Broschen verzierte Filzhüte für die kalten Wintermonate.

Geradeaus führte eine Tür in Novas Reich. Es war das ehemalige Kinderzimmer ihres Vaters.

Links daneben befand sich Abigails Schlafzimmer. Der Raum sah noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren. Die Wände waren mit beiger Blumentapete gemustert. Die komplette rechte Seite nahm ein rustikaler Eichenschrank ein. Gegenüber befand sich das breite Ehebett in Gesellschaft zweier kleiner Nachttischchen. Vor den beiden Fenstern hingen Spitzengardinen und schwere Vorhänge aus rotem Samt. Davor stand ein Lesesessel nebst einem Beistelltisch, auf dem eine Leselupe und die neuste Frauenzeitschrift lagen. Abigail hatte ein Faible für das englische Adelshaus. Wahrscheinlich rührte daher auch ihre Passion für extravagante Hüte.

Nova hatte Abigail vorgeschlagen, das Zimmer zu renovieren und ein kleineres Bett zu beschaffen, damit sie mehr Platz hatte. Aber diese Idee hatte Abigail entrüstet abgeschmettert. Sie behauptete bis heute, die Anwesenheit von Novas Großvater spüren zu können, wenn sie nachts die Augen schloss. Gelegentlich hörte Nova sie sogar mit ihm reden.

»Puh! Ist das eine Hitze da draußen«, murmelte Abigail, nahm ihren Sonnenhut ab und hängte ihn an seinen angestammten Platz. Dann schlurfte sie an der Küche und der hohen Porzellanvase mit Trockenblumen vorbei ins Wohnzimmer. In ihren eigenen vier Wänden kannte sie sich so gut aus, dass sie keinerlei Hilfe benötigte. Sie fand mühelos ihren bequemen Sessel und ließ sich in die weichen Polster sinken. Direkt daneben stand ein Tisch, auf dem die Fernbedienung lag.

Sie schaltete das Gerät ein und starrte konzentriert auf den Bildschirm. Er war in der höchsten Vergrößerungsstufe eingestellt. Zudem lag ein spezieller Farbfilter darüber, damit sie die Bilder besser unterscheiden konnte. Ihre Miene hellte sich auf, als in diesem Augenblick das Intro von America’s Got Talent in voller Lautstärke erklang.

Nova beobachtete ihre Großmutter lächelnd. Abigail liebte Castingshows noch mehr als Seifenopern und verfolgte mit Feuereifer sämtliche Formate, die das Programm so hergab.

Rasch ging Nova in die Küche, um ihrer Großmutter eine Erfrischung zu holen. Die Einrichtung hatte ebenso wie in Abigails Schlafzimmer längst die Altersgrenze von dreißig Jahren überschritten und bot keinen besonders einladenden Anblick.

Die Schränke und die u-förmige Arbeitsplatte waren aus dunklem Holz, die Wand über der Spüle grün gekachelt. Doch auch wenn die Küche nicht besonders hübsch aussah, war alles gut in Schuss, und jeder Gebrauchsgegenstand hatte seinen festen Platz. Das musste auch so sein, damit Abigail allein zurechtkam, wenn Nova unten im Laden arbeitete.

Sie holte Orangensaft aus dem Kühlschrank, goss ein Glas voll und kehrte zu Abigail zurück, die mit schief gelegtem Kopf einem jungen Mädchen lauschte, das gerade einen Popsong schmetterte. Sie sang hingebungsvoll. Leider traf sie keinen Ton.

»Hier ist etwas zu trinken für dich«, sagte Nova und versuchte, das Gekreische im Hintergrund auszublenden. Sie wartete, bis ihre Großmutter die Hand ausstreckte.

Nachdem Abigail das Glas entgegengenommen und einen Schluck getrunken hatte, schüttelte sie missbilligend den Kopf. »Furchtbar.«

Als das Mädchen zum fulminanten Höhepunkt ihrer Darbietung gelangte und in eine Tonlage wechselte, die vermutlich Glas zum Splittern bringen konnte, zuckten Nova und Abigail gleichzeitig zusammen.

»Du meine Güte«, murmelte Nova und trat einen Schritt von dem Fernseher weg, auch wenn das bei der Lautstärke nicht viel nützte.

Die Jury applaudierte verhalten, und auch das Publikum zeigte sich nur mäßig begeistert. Das Mädchen schien sich daran nicht zu stören. Mit stolzgeschwellter Brust blickte sie dem Urteil entgegen und schien kein bisschen daran zu zweifeln, dass sie es in die nächste Runde geschafft hatte. Ihre Miene verrutschte erst, als ihr alle vier Jurymitglieder eine klare Absage erteilten. Wutentbrannt stolzierte sie von der Bühne und wurde prompt vom Moderator abgefangen, der sie zu ihrer Gefühlslage befragte.

»Mir geht es fantastisch«, meinte sie trotzig. »Diese sogenannten Experten haben doch keine Ahnung. Ich bin ein Naturtalent!«

Abigail stieß ein entrüstetes Schnauben aus. »Dieses Mädchen hat nicht so viel Talent wie du in deinem kleinen Finger, und trotzdem strotzt sie nur so vor Selbstbewusstsein. Diese Welt wird immer verrückter.«

Nicht schon wieder.

Genervt verdrehte Nova die Augen. »Möchtest du etwas essen? Ich könnte uns eine Kleinigkeit kochen.«

»Bloß nicht! Es ist auch so schon heiß genug. Da musst du dich nicht noch an den Herd stellen. Außerdem hatte ich bei Priscilla drei Stück Kuchen.« Sie grinste Nova verschmitzt an. »Setz dich zu mir, Liebes, ja?«

Natürlich tat Nova ihrer Großmutter den Gefallen, vor allem, weil sie diese Sendungen ebenfalls mochte. Zumindest, solange ihre Großmutter keine Vergleiche anstellte.

Nova machte es sich auf dem Sofa gemütlich und kommentierte, was auf dem Bildschirm passierte, während weitere Sänger, Artisten und Comedians auftraten.

Als die Sendung schließlich vorbei war, schaltete Abigail den Fernseher aus und lehnte sich mit einem müden Lächeln in den Sessel. »Wenn du schon nicht für ein Publikum spielen willst, dann spiel wenigstens für mich.«

Nova gefiel der Seitenhieb nicht. Dennoch stand sie auf und trat zur Kommode unter dem Fenster. Wie üblich kribbelten ihre Fingerspitzen, als sie das obere Schubfach aufzog. Dort lag, gebettet auf ein rotes samtenes Kissen, ihre Violine.

Nova hatte sie zu ihrem zwölften Geburtstag geschenkt bekommen, weil ihre Faszination für dieses Instrument einfach nicht erloschen war. Ihre Eltern hatten kein Verständnis für Novas Hang zu verträumter klassischer Musik gehabt. Aber ihre Großeltern hatten diese Leidenschaft ernst genommen und ihr eine Violine des italienischen Geigenbauers Vincenzo Sannino geschenkt, die Nova seither hütete wie einen Schatz.

Andächtig fuhr Nova über das Ahornholz, das eine wunderschöne Flammung aufwies. Das Griffbrett und der Saitenhalter waren in einem dunkleren Holz gefertigt, ebenso wie der schwungvolle Kinnhalter und der mit Pferdehaar bespannte Bogen.

»Nun spiel schon, Kindchen«, forderte Abigail ungeduldig, woraufhin Nova die Violine aus dem Samtbett hob. Sie presste kurz die Lippen zusammen, als eine Welle des Bedauerns sie überrollte. Es war viel zu lange her, seit sie zuletzt gespielt hatte. Ihr Alltag nahm sie einfach zu sehr gefangen, und möglicherweise hatte sie sich nicht in den Träumen verfangen wollen, die die Melodien unweigerlich heraufbeschworen.

Nova hatte nie Geigenunterricht bekommen. Obwohl ihr Musiklehrer in der Schule begeistert von ihrem Talent gewesen war, hatten ihre Eltern schlichtweg keinen Sinn darin gesehen, in brotlose Kunst zu investieren. Also hatte Nova sich das Spielen heimlich selbst beigebracht. Sie hatte Bücher gelesen, Noten gelernt und Hunderte von Videotutorials geschaut.

Wenn ihr ein Stück gefiel, hatte sie wie eine Besessene geübt, bis sie es auswendig konnte, und bis heute war dieses Können fest in ihr verankert. Es war wie Fahrradfahren, wie Atmen. Sie verlernte es nie, ganz egal, wie viel Zeit verstrich.

Sowie ihr Kinn die kühle Oberfläche berührte, klappten ihre Lider zu. Die Melodie erklang, noch bevor Nova sich bewusst für das Stück von Massenet entschieden hatte. Vor ihrem geistigen Auge erschien Jax, der sie auf diese typisch lässige Weise angrinste. Und obwohl Nova wusste, dass es gefährlich war, erlaubte sie es sich für einen kurzen Moment, zu träumen.

Kapitel 4

Jax

Die Klimaanlage surrte leise und sorgte für eine angenehme Temperatur in dem abgedunkelten Konferenzraum. Normalerweise war Jax nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Aber angesichts der Bande, die sich rund um den Konferenztisch versammelt hatte, klopfte sein Herz schneller. Sieben Investoren saßen ihm mit versteinerten Mienen gegenüber, fünf Männer und zwei Frauen. An der Stirnseite des Tisches saß selbstredend der Bandenchef.

Quentin O’Donnell trug einen silbergrauen Anzug, der höchstwahrscheinlich passend zu seiner Haarfarbe geschneidert worden war. Seine blassblauen Augen, die von Falten umgeben waren, stachen aus dem sonnengegerbten Gesicht hervor. Wie üblich lag ein verkniffener Zug um seine Lippen. Seine Fingerspitzen trommelten gegeneinander. Er sah aus wie der Pate persönlich.

Doch nicht er, sondern seine Tochter Shannon richtete das Wort an Jax, sobald er die Statuspräsentation über die Bühne gebracht hatte. Mit lässiger Eleganz lehnte sie sich in ihrem Ledersessel zurück. »Und Sie sind sich absolut sicher, dass es diesmal keine unerwünschten Verzögerungen gibt, Mister Troy?«

Shannon war eine schöne Frau mit einem engelsgleichen Gesicht, das von einer langen, blonden Mähne eingerahmt wurde. Ihre Augen, die ebenso blau wie die ihres Vaters waren, funkelten in einer Mischung aus Kalkül und Belustigung.

Jax straffte die Schultern. »Absolut.« Er deutete auf die Leinwand hinter sich, auf die er eine genaue Auflistung der kommenden Bauphase projiziert hatte. »Wie Sie sehen können, haben wir sogar zwei Tage Vorsprung. Die Trockenbauarbeiten in den unteren beiden Etagen sind abgeschlossen. Daher haben die Fliesenleger dort bereits ihre Arbeit aufgenommen. Ich denke, bis Ende des Monats können wir mit dem Einbau der sanitären Einrichtungen beginnen.«

Shannon lächelte dünn. »Denken Sie es, oder wissen Sie es?«

»Ich weiß es«, erwiderte Jax und gab sich alle Mühe, seine Stimme ruhig zu halten.

»Und werden die Betten aus Übersee wie geplant eintreffen?«, erkundigte sich nun Miss Farraday. Anfangs hatte Jax irrtümlicherweise angenommen, dass es sich bei der betagten Dame um O’Donnells Lebensgefährtin handelte. Aber wie sich gezeigt hatte, bevorzugte der gute Mann deutlich jüngere Frauen.

Die knochige Miss Farraday mit dem braun gefärbten Bob war die Interior Designerin des Hotels, obwohl sie von Ästhetik so viel Ahnung hatte wie Jax vom Kochen. An jedem ihrer dürren Finger prangte ein dicker Klunker, und auch um ihren Hals lag eine schwere Kette, die keinen Zweifel an ihrem Reichtum aufkommen ließ. Was sie also sehr gut konnte, war Geld ausgeben. Daher bombardierte sie Jax beinahe täglich mit Webseiten von angesagten Möbeldesignern, deren Stücke sie in den künftigen Suiten sehen wollte. Zuletzt hatte sie goldfüßige Nachttischlampen mit roten Kordeln ausgesucht, die einem Puff alle Ehre gemacht hätten. Nicht dass Jax schon einmal in einem gewesen wäre.

Er rang sich zu einem Lächeln durch. »Miss Reed hat mir versichert, dass alle Lieferungen im Plan sind. Aktuell ist sie dabei, die Kapazitäten für weitere Anschaffungen zu prüfen, und wird sich auf jeden Fall noch diese Woche bei Ihnen melden.«

Miss Farraday schob einen Katalog über den Konferenztisch. Dem Cover nach zu urteilen, handelte es sich um einen Anbieter für Bettwäsche. Alarmierend viele Zettelchen klebten zwischen den Seiten. »Nehmen Sie das für Miss Reed mit. Ich habe bereits eine Vorauswahl für die Überwürfe getroffen.«

Lieber Himmel! Aktuell besaß das Hotel noch keine einzige Kloschüssel. Wen interessierte da die Bettwäsche? Man konnte es auch übertreiben.

Natürlich nickte Jax trotzdem und machte sich im Geiste eine Notiz, morgen einen extragroßen Brownie für Sally mit ins Büro zu bringen. Den würde seine Kollegin definitiv brauchen, wenn er sich den Katalog so ansah.

»Und was ist mit den silbernen Wasserhähnen?«, fragte der Mann links außen und lehnte sich interessiert vor. »Wurden sie wie geplant bestellt?«

Miss Farraday schnaubte. »Silber passt überhaupt nicht zum restlichen Gestaltungskonzept. Das werden wir noch einmal anpassen müssen, Mister Troy.«

Innerlich stöhnte Jax auf. Er hatte der Truppe schon unzählige Male erklärt, dass die Einrichtung der vierzig Zimmer und sechs Suiten ziemlich weit hinten in seiner Prioritätenliste stand, zumal das Sallys Fachgebiet war. Trotzdem wurden die Herrschaften nicht müde, ihn immer wieder wegen derlei Kleinigkeiten in die Mangel zu nehmen.

Letztlich dauerte das ursprünglich für eine Stunde angesetzte Meeting mehr als zwei Stunden. Am Ende dröhnte Jax der Schädel, sein Magen knurrte, und seine Laune war im Keller.

O’Donnell warf dem älteren, untersetzten Herrn zu seiner Rechten einen kurzen Blick zu. George Doyle hatte schütteres Haar und trug grundsätzlich die scheußlichsten Krawatten, die Jax je gesehen hatte. Heute zierte ein blauer Albtraum mit kleinen weißen Karos seinen Hals. Der Mann war O’Donnells Sprecher und übernahm stets dann das Wort, wenn der Big Boss nichts zu meckern hatte, was eher selten der Fall war.

Doyles Miene war vollständig ausdruckslos, als er sich an Jax wandte. »In Ordnung. Dann sehen wir uns in zwei Wochen wieder hier zur nächsten Statusbesprechung. Machen Sie beim Hinausgehen einen Termin bei meiner Sekretärin.«

»Ja, Sir«, antwortete Jax, obwohl es ihm missfiel, vor diesen selbstgefälligen Snobs zu Kreuze zu kriechen. Er wollte arbeiten und nicht alle paar Tage Bericht erstatten. Wäre der Hotelbau nicht die Erfüllung all seiner Träume und Avens & Baxter nicht so eine großartige Firma, hätte er diesen Lackaffen längst gesagt, wohin sie sich ihre Millionen stecken konnten. So aber senkte er den Kopf und unternahm gar nicht erst den Versuch, O’Donnell oder einem seiner Gefolgsleute die Hand zum Abschied zu reichen. Stattdessen raffte er seine Unterlagen zusammen, während sich der Investorenstab erhob und nach einem knappen Abschiedsgruß zur Tür hinausmarschierte.

Seufzend klappte Jax seinen Laptop zu. Da erklang hinter ihm ein leises Kichern. Jax war dieser Laut nur allzu vertraut, ebenso wie das leise Klicken des Türschlosses.

»War das wirklich nötig?«, fragte er Shannon, ohne sich nach ihr umzudrehen, und zwängte seinen Laptop in die Tasche.

»Das war doch lustig.«

Verärgert wirbelte Jax zu ihr herum. »Du hast wirklich eine seltsame Vorstellung von Spaß.«

Mit wiegenden Hüften kam Shannon auf ihn zu. Bisher hatte Jax wenig von ihrer Garderobe wahrgenommen, weil sie bereits am Tisch gesessen hatte, als er reinkam. Deshalb traf ihn der Anblick ihrer langen, wohlgeformten Beine in den hohen Riemchenschuhen unvorbereitet. Mit einem lasziven Lächeln knöpfte sie drei Knöpfe der weißen Bluse auf, die in einem taillierten Bleistiftrock steckte. Ein scharlachroter, spitzenbesetzter BH blitzte hervor. »Dann zeig mir doch, was du unter Spaß verstehst.«

Herausforderung lag in ihrem Blick. Sie liebte diese Spielchen und gab gern die überlegene Eisprinzessin. Dabei wusste Jax genau, dass sie auch eine sensible Seite hatte. Leider hatte er ebenjene Seite bisher nur einmal gesehen. Dieser besondere Moment lag jetzt drei Monate zurück. Damals hatte Shannon gerade erfahren, dass ihr Vater eine Frau datete, die kaum ein Jahr älter war als sie. Sie war derart niedergeschmettert gewesen, dass Jax die Tochter seines Auftraggebers nach einem besonders nervenaufreibenden Statusmeeting spontan auf einen Drink eingeladen hatte. Nach ein paar weiteren Drinks und einem ziemlich offenen Gespräch waren sie zusammen im Bett eines Luxushotels gelandet.

Jax hatte gehofft, dass sich die Begeisterung, die sie an jenem Tag füreinander empfunden hatten, in etwas Echtes, Dauerhaftes wandeln würde. Doch stattdessen endete sie in einer heimlichen Affäre, die Jax zunehmend an die Substanz ging. Dieses Vögeln im Zweiwochentakt, ohne irgendwelche Verpflichtungen, war anfangs vielleicht ganz nett gewesen, aber mittlerweile fehlte ihm die Tiefe einer Beziehung, weshalb er immer unbefriedigter den Heimweg antrat. Davon abgesehen wurde Shannon allmählich unvorsichtig, und das gefiel Jax ebenso wenig. Wenn Cole davon erfuhr, würde er ihm wahrscheinlich den Kopf abreißen, und Jax wäre umgehend seinen Job los. Von O’Donnells Reaktion ganz zu schweigen.

»Hey.« Zärtlich legte Shannon ihm die Hand auf die Wange. »Was ist los?«

Jax nahm einen tiefen Atemzug, ehe er den Kopf zurückzog. »Vielleicht sollten wir das heute bleiben lassen.«

Ein verletzter Ausdruck huschte über Shannons Züge. Fast rechnete Jax damit, dass sie stolz ihr Kinn recken und aus dem Büro marschieren würde. Doch zu seiner Überraschung lächelte sie traurig. »Ich wünschte, ich könnte dir mehr bieten, Darling. Aber wie du weißt, ist das nicht möglich.«

Ja, weil sie ihn nicht liebte.

Das hätte Jax vermutlich mehr gestört, wenn er selbst tiefere Gefühle für sie entwickelt hätte. So weit war es allerdings nie gekommen, und inzwischen bezweifelte er, dass sich je etwas daran ändern würde. Er mochte Shannon und fuhr total auf ihren Traumkörper ab. Aber mehr auch nicht.

Shannon schmiegte sich an ihn. Weiche Kurven trafen auf harte Muskeln. Ihr Blick war entschuldigend, als sie sich vorlehnte und einen hauchzarten Kuss auf seine Lippen drückte. »Alles, was ich dir geben kann, ist ein kurzer Moment Glückseligkeit«, raunte sie ihm zu. »Das willst du doch auch, oder nicht? Ich kann dir helfen, deine Einsamkeit zu vergessen.«

Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und dem triumphierenden Aufblitzen in ihren Augen nach wusste sie das auch. Denn obwohl Jax einen guten Job und einen Haufen Freunde hatte, fehlte ihm doch Nähe. Er sehnte sich nach einer Partnerin an seiner Seite, nach einer Frau, mit der er sein Leben in neue Bahnen lenken und vielleicht sogar irgendwann eine Familie gründen könnte. Er wollte auch endlich die Vertrautheit spüren, die May und Cole miteinander teilten.

Bisher hatte er nur oberflächliche Affären gehabt, und so aufregend die auch waren, wurde die Stimme in seinem Kopf immer lauter, die ihm sagte, dass das einfach nicht mehr reichte.

Jax wollte lieben.

Das Problem war nur, dass keine Frau seine Zuneigung wirklich wollte. In Goodville gab es seiner Theorie nach genau drei Varianten des schönen, weiblichen Geschlechts:

Die Kumpelinen waren nett und anständig. Zu ihnen zählte Jax all jene, die ihr Herz bereits verschenkt hatten oder in ihm nicht mehr als einen guten Freund sahen. May und Lauren beispielsweise.

Die Divas heischten für gewöhnlich um seine Aufmerksamkeit, um ihr Ego aufzuplustern, und dachten nicht im Entferntesten daran, sich wirklich auf ihn einzulassen. Nicht selten waren sie verheiratet, flirteten aber trotzdem, was das Zeug hielt. Ashlyn Johnson führte diese Riege an, dicht gefolgt von Jax’ Nachbarin Mallory.

Und dann gab es noch die Gleichgültigen, die erst gar keine Notiz von Jax als potenziellem Partner nahmen. Gegenwärtig befand sich nur eine Frau in dieser Schublade, deren Beschriftung er nur zu gern in Liebende geändert hätte. Aber Nova schien keinerlei Interesse an ihm zu haben.

Nun ja, immerhin war sie keine Diva.

Shannons Räuspern holte Jax zurück in den Konferenzsaal. Er blinzelte und konzentrierte sich wieder auf sie. Inzwischen wirkte sie nicht mehr ganz so verständnisvoll, sondern eher genervt. »Ich habe in einer halben Stunde das nächste Meeting.«

Echt sexy. Jax rang sich zu einem Lächeln durch. »Dann müssen wir es wohl verschieben.«

»Wir könnten uns später im Hotel treffen«, schlug sie vor.

Jax schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Ich muss um zwei auf der Baustelle sein.«

Schmollend schob Shannon die Unterlippe vor. Sie mochte es gar nicht, dass er sie abblitzen ließ, und da Jax nicht einschätzen konnte, wie sie mit seiner Zurückweisung umging, bemühte er sich um Schadensbegrenzung.

Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie am Saum ihrer aufgeknöpften Bluse zu sich, ehe er ihr einen Kuss gab. Sofort verlor sich ihre angespannte Haltung, und sie schmiegte sich an ihn. Als sie ein leises Stöhnen ausstieß, drosselte er die Intensität und hauchte ihr einen letzten unschuldigen Kuss auf den Mundwinkel.

»Beim nächsten Mal«, murmelte er an ihren Lippen. Dabei war er sich nicht sicher, ob es überhaupt ein nächstes Mal geben würde.

Kapitel 5

Nova

»Guten Morgen«, flötete May gut gelaunt, nachdem sie Novas Souvenirshop betreten hatte. Sie balancierte einen Karton herein, auf dem zwei Pappbecher standen.

Nova lächelte. »Hey.«

Mit einem Ächzen schob May den Karton auf den Verkaufstresen und grinste Nova an. »Ich habe neue Sachen für dich«, verkündete sie mit vor Aufregung funkelnden Augen und reichte Nova einen Becher, ehe sie ihren eigenen nahm. »Bin gespannt, was du davon hältst.«

Neugierig lugte Nova in den Karton und erblickte mehrere Schmuckstücke. Vor ein paar Monaten war May auf die Idee gekommen, aus Draht und Edelsteinen der Region kleine Skulpturen zu fertigen, die Nova in ihrem Shop ausstellte. Da sich die Stücke überraschend gut verkauften, hatte May ihr Portfolio inzwischen erweitert. Nach Ketten hatte sie wunderschöne Armbänder kreiert. Ihr neuster Clou waren anscheinend Sets, die zudem Ohrschmuck enthielten.

»Oh!« Vorsichtig hob Nova einen Ohranhänger in die Höhe, an dem feine Citrine glitzerten. »Das ist wunderschön, May.«

»Danke.« Sichtlich zufrieden lehnte May sich gegen den Ladentisch und nippte an ihrem Kaffee. »Und? Was gibt es Neues?«

Es war Mittwochmorgen. Was hätte in einem verschlafenen Ort wie Goodville seit Sonntagnachmittag schon passiert sein können?

»Nichts«, antwortete Nova wahrheitsgemäß.

May zog eine Schnute. »Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass das Leben hier im Schneckentempo verläuft.«

»Vielleicht tröstet es dich zu wissen, dass in ein paar Wochen ein Maskenball stattfinden wird.«

Sofort horchte May auf. »Wirklich?«

Nova nickte. »Granny hat mir erzählt, dass Ashlyn und ihre Partycrew schon mitten in der Planung stecken. Es soll ziemlich pompös werden.«

»Wie aufregend.«

Nun ja, dem konnte Nova nur bedingt zustimmen. Zumal Ashlyn sicher von ihr erwartete, dass sie sich in irgendeiner Form an der Veranstaltung beteiligte. Dabei hielt sich Novas Motivation, das ganze Wochenende hinter einem Verkaufsstand zu verbringen, arg in Grenzen.

Die Tür ging ein weiteres Mal auf, und ein Mann in Polizeiuniform betrat den Laden. Der grobe Stoff saß ein bisschen weit um seine schmalen Schultern, obwohl er ansonsten gut in Form zu sein schien. Er hatte dichtes, braunes Haar und freundliche blaue Augen. Ein Lächeln hob seine Mundwinkel, als er auf May und Nova zutrat. »Guten Morgen.«

»Hallo«, grüßte May ihn freundlich. »Sie müssen der neue Deputy sein.«

Sein Lächeln wurde breiter, während er ihre Hand schüttelte. »Deputy Steve Tautum. Ich hoffe, ich störe nicht. Ich wollte nur kurz vorbeischauen und mich persönlich vorstellen.«

»Das ist aber nett. Ich bin May.«

Nett war es tatsächlich. Allerdings tat Nova sich etwas schwer, ihn genauso offenherzig zu begrüßen, weil sie Jeff wirklich mochte. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass Steve auf dem Revier bevorzugt worden war, nur weil er ein Diplom in der Tasche hatte. Trotzdem reichte sie dem neuen Deputy ebenfalls die Hand. »Mein Name ist Nova.«

Steve verstärkte leicht den Druck seiner Finger. »Sehr angenehm.«

Nova nickte und zog ihre Hand zurück.

»Haben Sie sich schon gut eingelebt?«, fragte May.

Er lachte leise. »Ich bin erst seit Montag in der Stadt und habe heute zum zweiten Mal Dienst. Bisher hatte ich noch nicht viel Gelegenheit, mich umzusehen.«

Sie kicherte. »Allzu groß ist Goodville ja nicht. Bis zum Mittag sind Sie sicher fertig mit Ihrer Vorstellungsrunde.«

»Wahrscheinlich«, erwiderte er und wandte sich wieder an Nova. »Ich habe gehört, Sie kennen sich gut aus. Vielleicht könnten Sie mir die Gegend zeigen?«

Nova klappte der Mund auf. Sie war so perplex über seinen unvermittelten Vorschlag, dass sie keinen Ton hervorbrachte.

Glucksend zog er den Kopf ein. »Verzeihung! Jetzt war ich wohl ein bisschen forsch.«

Ja, das war er allerdings. Andererseits war der Deputy neu in der Stadt und suchte sicher bloß Anschluss. Daher riss Nova sich zusammen und winkte beschwichtigend ab. »Ich zeige Ihnen gern die Gegend, wenn sich mal eine Gelegenheit ergibt.«

Steve schien wenigstens fünf Zentimeter zu wachsen. Er war nur ein Stück größer als Nova. Deshalb fiel es ihr sofort auf.

»Das würde mich sehr freuen«, sagte er und lehnte sich ein Stück in ihre Richtung. »Wie wäre es morgen? Da habe ich früher Schluss.«

Nun ja, so bald nun auch wieder nicht. »Leider muss ich immer lange arbeiten und habe danach jede Menge Verpflichtungen.«