Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Maler und Grafiker Lucas Cranach der Ältere (1472–1553), der sich nach seiner Heimatstadt Kronach nannte, gehört zu den wichtigsten Figuren der Renaissance. Relativ spät in Wien als Künstler greifbar, war ihm in Wittenberg als Hofmaler dreier sächsischer Kurfürsten eine eindrucksvolle Karriere beschieden. Daneben war er für weitere Auftraggeber tätig. Seine im "Cranachstil" arbeitende, gut durchorganisierte Werkstatt sorgte für eine hohe Produktivität. Ohne seine katholischen Klienten zu vernachlässigen, schuf Cranach, ein Freund Luthers, für die protestantische Kunst maßgebliche Werke. Auch als Geschäftsmann und Politiker war er erfolgreich. Sein gleichnamiger Sohn führte das Werk des Künstlerunternehmers fort.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
herausgegeben vonThomas Götz
BARBARA BECK
Kunst zwischen Kommerz und Glaube
Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.
Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.
Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seine großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.
Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.
DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.
Einleitung
1Die frühen Jahre
Fränkische Wurzeln / Ein »junger Wilder« in Wien / Wiener Schöpfungen / Donaustil
2Der Hofkünstler
Eine verlockende Offerte / Die Ernestiner / Der neue Wirkungsort und seine Aufgaben / Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, genannt der Weise / Wittenbergs Schlosskirche / Kurfürst Johann I. von Sachsen, genannt der Beständige / Das Wittenberger Heiltum / Der Porträtist / Aktbilder / Der große Graphiker
3Die Reise in die Niederlande
Die Wappenverleihung / Auszug aus dem Wappenbrief vom 6. Januar 1508 / Auf diplomatischer Mission / Am Hof der Statthalterin / Antwerpen und seine Künstlerwerkstätten / Niederländische Einflüsse / Der Flügelaltar
4Gründerjahre
Heirat / Die Töchter: Ursula, Barbara und Anna Cranach / Entstehung einer Künstlerdynastie / Der älteste Sohn: Hans Cranach / Die Künstlerwerkstatt / Werkstattpraxis / Die »Bildermanufaktur« / Buchillustrationen
5Luther und die Folgen
Eine »bilderreiche« Freundschaft / Doppelbildnisse / Luther und die Bilder / Bekenntnisbilder / Nachfolger und Bewahrer: Lucas Cranach der Jüngere / Der Wittenberger Reformationsaltar / Der Schöpfer »böser Bilder« / Der Schmalkaldische Bund
6Im Dienste der Papstkirche
Konfessionelle Ungebundenheit / Der Großkunde Kardinal Albrecht von Brandenburg / Luthers »Scheisbisschoff«: Kardinal Albrecht von Brandenburg / Unerbittlicher Gegner Luthers: Herzog Georg der Bärtige / Ein letzter Großauftrag aus Berlin / Das berühmteste katholische Andachtsbild
7Der Geschäftsmann und Politiker
Der Immobilienbesitzer / Die Cranach-Höfe / Die eigene Apotheke / Auszug aus dem Apothekenprivileg vom 6. Dezember 1520 / Die eigene Druckerei / Der Kommunalpolitiker
8Ein Krieg und seine Folgen – Die letzten Jahre
Ein bedingt treuer Diener seines Fürsten / Der Schmalkaldische Krieg / Exiljahre / Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, genannt der Großmütige / Endstation Weimar
9Nachleben und -wirken
Cranach und die Kunstgeschichte / Cranach und die moderne Kunst / Die Cranachiden
Anhang
Zeittafel / Werkverzeichnis (Auswahl) / Digitale Datenbanken / Literatur (Auswahl) / Bildnachweis / Impressum
Der aus Franken stammende Lucas Cranach der Ältere gehört neben Albrecht Dürer, Hans Holbein dem Jüngeren, Hans Baldung gen. Grien und Matthias Grünewald zu den bedeutendsten deutschen Künstlern des 16. Jahrhunderts. Seine Werke finden sich in so gut wie allen namhaften Museen der Welt. Teilweise schmücken seine Altargemälde noch immer die Kirchen, für die sie einst angefertigt wurden. Ganz wesentlich prägte er die Kunst der Reformation und überlieferte das Bild ihrer einflussreichen Protagonisten. Gerade unsere Vorstellung von dem Reformator Martin Luther ist gänzlich von den zahlreichen Porträts beeinflusst, die Cranach und seine Werkstatt von ihm schufen. Überhaupt gelang es ihm, der mitteldeutschen Kunstlandschaft spürbar seinen Stempel aufzudrücken.
Lucas Cranach d. Ä. war nicht nur ein äußerst produktiver Künstler, der als Maler, Graphiker und Zeichner für den Buchdruck zahlreiche wichtige Werke schuf. Er betätigte sich darüber hinaus noch mit ebenso viel Geschick und Talent als Unternehmer und Kommunalpolitiker in Wittenberg, wo er von 1505 bis 1550 lebte. So sehr sein umfangreiches künstlerisches Werk fasziniert, so sehr sorgt es auch immer wieder für Diskussionen. Dank des großen Werkstattbetriebs mit etlichen Mitarbeitern und Lehrlingen, den Cranach als privilegierter Hofkünstler der sächsischen Kurfürsten aufbauen konnte, war ihm ein solch immenses Schaffenspensum möglich, dass die eindeutige Zuschreibung von Kunstwerken an ihn selbst, seine beiden mitarbeitenden Söhne oder seine Werkstatt schwierig ist. Genau dies beabsichtigte er mit dem von ihm festgelegten und verbindlichen »Cranach-Stil«. Für künstlerische Individualität war in seiner Wittenberger Werkstatt kein Platz. Er erreichte stattdessen, eine Art Marke mit hohem Wiedererkennungswert für seinen ausgedehnten Kundenkreis zu kreieren, der dies offenbar zu schätzen wusste.
Dieser Umstand sorgte bis ins 20. Jahrhundert hinein in der noch lange vom Geniekult bestimmten Kunstwissenschaft für Irritationen und Missfallen. Inzwischen erfreut sich Cranach allerdings dank anderer Forschungsschwerpunkte und einer geänderten wissenschaftlichen Herangehensweise eines bemerkenswert großen Interesses, was sich gerade in den letzten Jahrzehnten in einer Vielzahl von Publikationen und Ausstellungen niederschlug. Außerdem entstanden zwei Forschungsdatenbanken, die sich mit ihm und seinem Werk beschäftigen. Das 500-jährige Reformationsjubiläum brachte u. a. durch eine intensivere Beschäftigung mit seinem Sohn und Nachfolger Lucas Cranach dem Jüngeren neue Erkenntnisse zum Œuvre der beiden.
Trotz all dieser Forschungsaktivitäten und wissenschaftlichen Bemühungen ist vieles immer noch vage bzw. ungeklärt geblieben. Obwohl über Cranach, der sich später nach seiner Heimatstadt Kronach benannte, eine Reihe von Quellen vorliegen, fehlen bedauerlicherweise – wie bei den meisten seiner Zeitgenossen – private Dokumente wie Briefe oder persönliche Aufzeichnungen. Auch seine überaus lange künstlerische Laufbahn und sein beachtliches Werk zu erfassen, ist oft mit Unsicherheiten behaftet. So ist gerade über die drei ersten Lebensjahrzehnte kaum etwas bekannt, weshalb über diese frühen Jahre in erster Linie bloß Annahmen und naheliegende Vermutungen möglich sind. Selbst die dichtere Quellenlage ab seiner Wittenberger Zeit lässt Manches weiterhin im Dunkeln. Insbesondere zu seinem Privat- und Familienleben erfährt man leider nur wenig. Durch das Zusammensetzen der biografischen »Mosaiksteinchen« ergeben sich jedoch in Verbindung mit seinen Werken durchaus interessante Einblicke in ein vielfältiges Tätigkeitsfeld und in die Lebensumstände einer faszinierenden Künstlerpersönlichkeit zur Zeit der Renaissance.
Während zahlreiche Einzelheiten zu Leben und Werk Lucas Cranachs d. Ä. seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Hofmaler der sächsischen Kurfürsten in Wittenberg bekannt und gut dokumentiert sind, ist über seine ersten rund 30 Lebensjahre nur sehr wenig überliefert und vieles daher bis heute ungeklärt. Es gibt folglich weitgehend nur vage Vermutungen zu seiner frühen Biografie und seinem künstlerischen Werdegang. Somit bleiben die Anfänge dieses bedeutenden deutschen Renaissancekünstlers nahezu gänzlich im Dunkel der Geschichte verborgen. Eine derart spärliche Faktenlage ist allerdings für Kunstschaffende in jener Zeit keineswegs ungewöhnlich.
Geboren wurde Lucas Cranach laut späteren Angaben 1472, wohl am 4. Oktober, in der fränkischen Stadt Kronach, die damals zum Hochstift Bamberg gehörte und nach der er sich ab 1504 benannte. Als sein vermutliches Geburtshaus gilt das Haus Markt Nr. 45, das in den 1970er-Jahren abgerissen wurde. Sein Vater war Hans Maler (auch Moller oder Moler genannt), ein angesehener und gutsituierter Bürger, der es sich leisten konnte, mit seiner Familie in zentraler Lage in der Oberen Stadt zu wohnen. Außer dem Haus am Marktplatz besaß Hans Maler noch Land vor den Toren Kronachs. Ob er tatsächlich als Maler tätig war, wie es der Familienname nahelegt, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Kunstwerke, die ihm eindeutig zugeordnet werden können, sind auf jeden Fall nicht überliefert. Wenn er tatsächlich als Maler tätig war, dürften sich seine Arbeitsanforderungen wohl fast vollständig auf den handwerklichen Aspekt und auf Gebrauchskunst beschränkt haben: Kronach mit seinen etwa 1.500 bis 2.500 Einwohnern verfügte nämlich zu dieser Zeit weder über Klöster noch über Patrizier oder eine größere Zahl an Zünften, die in ausreichendem Maße als Auftraggeber für Bilder infrage gekommen wären.
Von Lucas’ Mutter weiß man lediglich, dass sie eine geborene Hübner war und wohl vor 1495 starb. Außer einem jüngeren Bruder Mathes hatte er noch die zwei Schwestern Margarete und Anna. Weitere Geschwister waren als kleine Kinder verstorben.
Der Überlieferung nach soll Hans Maler seinen Sohn Lucas in die Zeichenkunst eingeführt haben. Wie dessen Ausbildung danach verlief, ist nicht belegt. Seine Geburtsstadt bot jedenfalls kaum vielversprechende Zukunftsaussichten für einen ehrgeizigen jungen Künstler. Den damaligen Zunftordnungen für Maler entsprechend, schloss sich an die zwei bis drei Jahre dauernde Lehre die Gesellenzeit an, die üblicherweise mit der Wanderschaft verbunden war, auf der vielfältige Erfahrungen in fremden Werkstätten gesammelt, neue Entwicklungen in den wichtigen Kunstzentren kennengelernt und der künstlerische Horizont so erweitert werden konnten. Diese Gesellenzeit währte meist mehrere Jahre, bevor sich ein junger Maler der Meisterprüfung unterziehen konnte, die ihm überhaupt erst das Führen einer eigenen Werkstatt ermöglichte.
Zu all diesen wichtigen Ausbildungsaspekten liegen für Lucas Cranach keinerlei verlässliche Informationen und Anhaltspunkte vor. Es ist nicht einmal sicher, ob er seine Berufslaufbahn direkt als Maler und nicht vielleicht eher als Formschneider begonnen hat, der die Entwürfe anderer Künstler in Druckstöcke umsetzte. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen gelegentlich in der Forschung angedachten »Quereinsteigerkarriere« in den Malerberuf dürfte jedoch angesichts der strengen Kontrolle des jeweiligen städtischen Arbeitsmarktes durch die Zünfte, die – allein schon um sich unliebsame Konkurrenz fernzuhalten – auf eine ordentliche Ausbildung mit dem notwendigen technischen Wissen achteten, eher gering gewesen sein.
Aktenkundig wurde Cranach in seiner Heimatstadt einzig und allein durch die langwierigen Streitigkeiten seiner Familie mit den Nachbarn. Zwischen 1495 und 1498 kam es vor dem örtlichen Stadtgericht zu mehreren Prozessen zwischen Hans Maler einerseits und dem Ratsherrn und Weinwirt Kunz Donat andererseits wegen Verleumdung und Beleidigung, in welche die Kinder der Familie Maler mit verwickelt waren. Aus diesen Unterlagen geht hervor, dass Lucas damals bereits nicht mehr seinen festen Wohnsitz in Kronach hatte.
Man nimmt sicher nicht zu Unrecht an, dass Cranach seine Gesellenzeit durch Süddeutschland führte. Naheliegend dürfte für ihn ein zumindest zeitweiser Aufenthalt in der wichtigen fränkischen Kunst- und Handelsmetropole Nürnberg gewesen sein, worauf Anklänge in seinen ersten bekannten Werken verweisen. In der Freien Reichsstadt mit ihren namhaften Werkstätten für Malerei und Buchdruck, die auch für auswärtige Auftraggeber arbeiteten, gab es – anders etwa als in Bamberg oder Würzburg – keine zünftische Ordnung für Maler, so dass hier viele Künstler den freien Markt für sich zu nutzen versuchten. Einen wirklich handfesten Beweis für einen dortigen Aufenthalt Cranachs d. Ä. gibt es jedoch nicht.
Als Künstler fassbar wird Lucas Cranach erstmalig um 1500, als er in Wien lebte und arbeitete. Er ging damals bereits auf die Dreißig zu, so dass man bei den dort von ihm geschaffenen Werken mit Fug und Recht nicht mehr von einem »Frühwerk« reden kann. Gegen eine solche Bezeichnung spricht auch, dass ihn die auf die Jahre ab 1502 datierten Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälde, die ihm zugeschrieben werden können, als einen gereiften und innovativen Künstler mit großem, ja herausragendem Können sowohl in künstlerischer als auch technischer Hinsicht ausweisen. Da frühere Arbeiten von ihm bislang nicht bekannt sind, betrat er somit als Ausnahmekünstler schlagartig und scheinbar aus dem Nichts kommend die Bühne der Kunstgeschichte.
In welcher Stellung bzw. unter welchen Begleitumständen Cranach in Wien arbeitete, ist nicht tradiert. Irgendwelche Dokumente dazu sind bis jetzt nicht aufgetaucht. Lediglich die wenigen aus dieser Zeit erhaltenen Werke belegen sein Wirken dort. Um 1500 gehörten die Maler in Wien der St. Lukas-Zeche an. Dass Cranach als Geselle in einer fremden Werkstatt tätig war, erscheint angesichts seiner namhaften dortigen Auftraggeber freilich wenig wahrscheinlich. Als Meister ist er aber auch nicht für Wien verzeichnet. Ein zunftgemäßer Meister musste in der Donaumetropole verheiratet sein und das Bürgerrecht der Stadt besitzen. Möglicherweise eröffneten ihm seine Beziehungen zu angesehenen Gelehrten aus dem Universitätsmilieu vor Ort einen »zunftfreien Raum«, der es ihm erlaubte, außerhalb der Zunft als Graphiker und Maler tätig zu sein. Die Angehörigen der Wiener Universität unterstanden zu jener Zeit nämlich nicht der Jurisdiktion der Stadt, sondern der autonomen Universitätsgerichtsbarkeit.
Die Residenz der Habsburger gehörte in jenen Tagen mit etwa 20.000 bis 30.000 Einwohnern zu den größten Städten des Heiligen Römischen Reiches. Der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Maximilian I. förderte sein Herrschaftszentrum mit großem Nachdruck, gerade auch in kultureller Hinsicht. Die Wiener Universität wie auch die Stadt selbst entwickelten sich auf diese Weise zu einem wichtigen Sammelplatz und Anziehungspunkt für Intellektuelle und Künstler, denen sich vielversprechende Karriere- und Aufstiegschancen boten. Der dort tätige berühmte Humanist Konrad Celtis, der wie Cranach aus Franken stammte, pries die Donaumetropole daher als »das Auge Deutschlands«. Außer Celtis wirkten an der Wiener Universität und dem von Maximilian I. begründeten Poetenkolleg zahlreiche weitere bedeutende Humanisten, zu denen Cranach offenbar enge Kontakte pflegte, weil aus deren Kreis seine wichtigsten Auftraggeber kamen. Humanistisches Gedankengut fand dadurch auch Eingang in seine Werke. Allem Anschein nach verfügte er zudem über Lateinkenntnisse, über deren Erwerb jedoch – wie schon so oft – nichts bekannt ist. Ebenso muss offen bleiben, welchen Umständen er letztlich seine augenscheinlich guten Verbindungen zu Wiens intellektueller Elite verdankte.
Dr. Johannes Cuspinian und seine Ehefrau Anna, geb. Putsch – Malerei auf Fichtenholz, um 1502/03, Sammlung Oskar Reinhart »Am Römerholz«, Winterthur
Unter Lucas Cranachs überlieferten Arbeiten vom Beginn des 16. Jahrhunderts stechen besonders seine Porträts von Wiener Gelehrten hervor. Es sind die ersten Bildnisse in der deutschen Kunst, auf denen die Dargestellten inmitten einer weiten Landschaft wiedergegeben werden. Ihm müssen deshalb entsprechende Tendenzen in der oberitalienischen und niederländischen Porträtmalerei bekannt gewesen sein, die er zu einer ganz eigenen neuen Formensprache verschmolz. Zu nennen ist hier vor allem das Doppelbildnis von Dr. Johannes Cuspinian und seiner ersten Frau Anna Putsch (Sammlung Oskar Reinhart »Am Römerholz«, Winterthur) in Halbfigur. Der ebenfalls aus Franken gebürtige Humanist Cuspinian war Rektor der Wiener Universität und Dekan der Medizinischen Fakultät, aber auch Dichter und später Gesandter in habsburgischen Diensten. Die Bildtafeln entstanden wohl um 1502/03 aus Anlass der Heirat des Paares und stellen die ältesten bekannten Porträts in Cranachs Schaffen dar. In die Bildanlage flossen die Ideen eines humanistisch-christlichen Weltbildes ein, die Cranach eindrucksvoll in feinsinniger Manier zu visualisieren verstand. Der durchgehende Landschaftshintergrund dieses höchst innovativen Porträtdiptychons ist daher voller symbolischer Elemente und Figuren, die Stoff für eine Vielzahl an gelehrten Interpretationsmöglichkeiten bieten.
Einen humanistischen Bezugsrahmen hat wohl auch Cranachs Darstellung des »Büßenden hl. Hieronymus« von 1502 (Kunsthistorisches Museum, Wien). Es ist das erste datierte, wenngleich unsignierte Gemälde, das wir von dem Künstler kennen, und entstand wohl im Auftrag eines Wiener Humanisten. In dem Bild kommt der nordalpinen Waldlandschaft als Trägerin von Ausdruckswerten eine ähnliche Bedeutung zu wie der expressiven Figur des Heiligen selbst. Die Landschaft diente somit Cranach nicht mehr nur als bloße Hintergrundfolie.
Schon etwas früher entstand ein anderes religiöses Werk voll Dramatik: die vielfigurige »Kreuzigung Christi«, die sogenannte Schottenkreuzigung (Kunsthistorisches Museum, Wien), die Lucas Cranach d. Ä. wohl um 1500 malte. Obwohl dieses Gemälde mit seinen lebhaften Gestalten und der ausdrucksstarken Landschaft weder signiert noch datiert ist, wird es heute von der kunsthistorischen Forschung nahezu einhellig als das älteste bekannte Werk Cranachs anerkannt. Ohne eine Auseinandersetzung mit Albrecht Dürers herausragenden Holzschnitten ist dieses von starkem emotionalen Pathos und Drastik durchdrungene Bild nicht denkbar. Es lassen sich aber auch Bezüge zur älteren fränkischen Tafelmalerei erkennen.
Cranachs »Klage unter dem Kreuz« von 1503 (Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München) zeichnet sich ebenfalls durch diesen eigenwilligen und gefühlvollen Stil aus. Das auch »Schleißheimer Kreuzigung« genannte Gemälde übernimmt dabei die Gestaltung des Schauplatzes wie auch Details aus Dürers themengleicher Szene von der Tafel »Die Sieben Schmerzen der Maria« (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister) von 1495/96. Neu ist bei Cranach hingegen die übereck gestellte Anordnung der drei Kreuze, wodurch nicht mehr der Gekreuzigte frontal in der Bildmitte gezeigt wird, sondern die klagende Maria und der Apostel Johannes in den Mittelpunkt rücken. Wie auch bei anderen Wiener Werken zeigt sich die Natur eng mit der Szenerie verflochten. So sind die Zweige der fast entlaubten Eiche, die sich zum sterbenden Christus neigen, gänzlich kahl.
Das erste von ihm mit den ineinander geschlungenen Initialen L und C signierte und mit 1504 datierte Tafelbild, das zugleich als eines seiner künstlerisch bedeutendsten Werke überhaupt gilt, zeigt die Heilige Familie bei der »Ruhe auf der Flucht nach Ägypten« (Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie). Hier sind die biblischen Personen zusammen mit einer Vielzahl von Kinderengeln in ein detailreich geschildertes Bergidyll aus dem Donauraum versetzt worden, das einem Paradiesgarten gleicht. Das Gemälde ist durchdrungen von zahlreichen symbolischen Anspielungen. So nehmen verschiedene Pflanzen wie Akelei, Himmelschlüssel oder Distel Bezug auf Maria und Christus oder auf die spätere Passion. Der Bildgedanke geht auf Dürers großformatigen Holzschnitt der »Heiligen Familie mit den drei Hasen« zurück, der um 1497 entstanden war, doch direkte Anleihen hat Cranach vermieden. Ausgesprochen kunstvoll hat er seine Datierung und Signatur auf zwei kleinen, über einen Baumstumpf ausgebreiteten transparenten Tüchlein platziert.
Cranachs druckgraphisches Schaffen in jenen Wiener Jahren, bei dem er eigenständig Anregungen aus Dürers Graphik verarbeitete, weiß trotz der überschaubaren Anzahl von Werken gleichermaßen zu beeindrucken. Aus ökonomischen Überlegungen bevorzugte er dabei den Holzschnitt gegenüber dem Kupferstich, weil hier Abzüge in höherer Zahl und mit weniger Aufwand hergestellt werden konnten. Für den seit 1493 in Wien tätigen Drucker und Verleger Johannes Winterburger, der auch Schriften der dortigen Humanisten druckte, illustrierte er 1502/03 das Messbuch des Bistums Passau, das »Missale Pataviense«, mit einigen Holzschnitten.
Kreuzigung Christi, sog. »Schottenkreuzigung« – Malerei auf Lindenholz, um 1500, Kunsthistorisches Museum, Wien
Cranach fand dabei zu neuen und originellen Bildlösungen, wie etwa sein frühester datierter Holzschnitt, der »Hl. Stephanus« von 1502, belegt. Die knorrige Astwerkumrahmung und der ungewöhnliche, aus Zweigen geflochtene Heiligenschein stehen dabei für die Symbiose von Mensch und Natur. Anscheinend wurde diese Graphik auch als Einzelblatt herausgebracht. Ebenfalls mit der Jahreszahl 1502 datiert ist ein großer Einblattholzschnitt mit dem Thema des »Kalvarienbergs«. Diesem Sujet hatte Cranach schon kurz zuvor einen Holzschnitt von ähnlicher Größe gewidmet. Anscheinend hatte er diese beiden Graphiken – wie auch den gleichermaßen monumentalen Holzschnitt »Christus am Ölberg«, der um dieselbe Zeit entstanden war – bewusst als einzelne Andachtsbilder angelegt. Hier spürt man den Einfluss von Albrecht Dürers »Großer Passion«, die vier oder fünf Jahre früher entstanden war und mit ihrer Größe und Qualität neue Maßstäbe gesetzt hatte. Die drei Blätter Cranachs dürften wohl nur in einer kleinen Auflage gedruckt worden sein, da sie heutzutage unerhört selten sind.
Ruhe auf der Flucht nach Ägypten – Malerei auf Lindenholz, 1504, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie
Hl. Stephanus – Holzschnitt, 1502
Von großer Rarität sind auch Cranachs Zeichnungen aus seiner Wiener Zeit. Sie sind wie seine anderen in jenen Jahren geschaffenen Arbeiten von der Suche nach einer ausdrucksstarken Form geprägt. Zu nennen sind hier beispielsweise die beiden um 1500 entstandenen Kohlezeichnungen mit den »Schächern am Kreuz« (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett), die als Studien dienten. Als autonome, bildmäßige Kunstwerke angelegt sind hingegen die auf farbigem Papier ausgeführten Hell-Dunkel-Zeichnungen »Der hl. Martin mit dem Bettler« von 1504 (Staatliche Graphische Sammlung, München) und »Johannes der Täufer in der Einöde« um 1502/03 (Palais des Beaux Arts, Lille).
Obwohl Cranach Wien und den Donauraum 1504/05 bereits wieder verließ, wirkten seine expressive Kunst, sein farbensprühendes Kolorit und sein neues Landschaftsempfinden anregend auf andere in Oberösterreich und Bayern vor allem im Bereich der Malerei und Graphik tätige Künstler. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts subsumiert die Kunstgeschichtsschreibung diese ausdrucksstarken Arbeiten unter dem inzwischen in der Forschung umstrittenen Begriff »Donaustil«.
Donaustil