Macabros 005: Blutregen - Dan Shocker - E-Book

Macabros 005: Blutregen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 09 - Blutregen Bei einer Geisterbeschwörung in einem verfluchten Haus erweckt der Parapsychologe Christopher Baring unbeabsichtigt de Geist eines Ursen, eines fischgesichtigen Dämons, der sich von Menschenblut ernährt. Björn Hellmark bekommt durch seinen geistige Führer Al Nafuur Wind von den Ereignissen in England und begibt sich sogleich auf den Weg in das Geisterhaus. Dort hat der Geist des Ursen bereits Besitz von einem der Teilnehmer der Beschwörung genommen und lockt den Millionärssohn in eine teuflische Falle ... Macabros 10 - Duell mit den Höllengeistern Der Physiker Pierre Barlon fährt nach Genf, um dort mit Walter Staußing das Phänomen Macabros zu erforschen. Auf dem Weg dorthin bekommt er von einem Dämon in Menschengestalt den Auftrag Hellmark zu töten, andernfalls würden seine Frau Edith und seine Tochter Desiree sterben. Doch dank Björns Fähigkeit sich zu verdoppeln kann er den Mordanschlag vereiteln. Doch das ist nur der Auftakt der unheimlichen Ereignisse, denn Edith und Desiree Barlon sind Dienerinnen Molochos und im Gegenzug für ewige Schönheit und Jugend müssen sie den Dämonen ihre Dienste anbieten. Sie besuchen Björn unter dem Vorwand sich für die Taten ihres Mannes und Vaters zu entschuldigen und stehlen die Dämonenmaske. Und plötzlich erscheinen eine zweite Carminia Brado und ein zweiter Rani Mahay. Beide sind vom Original nicht zu unterscheiden. Doch Björn gelingt es mit dem Schwert des toten Gottes, dessen Berührung allein die Höllengeister vernichtet, die Fälschungen zu töten. Pierre Barlon, der hinter das Intrigenspiel seiner Familie kommt tötet seine Frau und seine Tochter und bringt Björn Hellmark die Dämonenmaske wieder, bevor ihn die Polizei verhaftet. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 5

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-705-4

Dan Shockers Macabros Band 5

BLUTREGEN

Mystery-Thriller

Blutregen

von

Dan Shocker

Prolog

Ein grässlicher Schrei zerriss die Stille der Nacht. Dem alten Mann gefror das Blut in den Adern. »Gladis!« John Corkshere sprang vom Stuhl auf und stieß gegen den Tisch. Die Kerze darauf wackelte und ihr Wachs tropfte auf die Tischplatte. John stürzte aus dem Wohnzimmer in den Flur hinaus. Von hier führte eine schmale Holztreppe nach oben.

Er nahm von dem kleinen, klobigen Dielenschrank eine Windlampe, zündete sie mit zitternden Fingern an und stieg die Treppe empor. Oben wurde eine Tür aufgerissen. Eine Gestalt stürmte aus einem Zimmer.

»Gladis! Was ist denn passiert, mein Kind?« John Corkshere streckte die Lampe hoch. Das Licht flackerte über das totenbleiche Gesicht der jungen Frau.

»Vater … Das Zimmer … die Wand …«

»Was ist mit dem Zimmer?«

Die Stufen knarrten. Draußen fuhr der Wind unter die lockeren Dachziegel und pfiff durch die Risse und Spalten der Mauern.

Gladis konnte nicht sprechen.

»Was ist passiert?« John Corkshere sah dunkle Flecken auf dem weißen, knöchellangen Nachthemd seiner Tochter.

Gladis stammelte etwas, aber was sie sagen wollte, war nicht zu verstehen.

Der Alte kam schnaufend auf der obersten Stufe an. Das Treppensteigen strengte ihn an. Das Herz machte nicht mehr richtig mit.

Er legte einen Arm um Gladis. »Kind!«, sagte er erschrocken. »Du zitterst ja am ganzen Leib! Du hast Fieber! Du musst ins Bett!«

»Nein … nicht ins Bett … nicht mehr in dieses Bett. Es tropft … aus der Wand … aus der Decke. Blut, Vater, überall … Blut!«

Nach John Corksheres Herz griff eine eiskalte Hand. »Beruhige dich!«, flüsterte er. »Du hast geträumt.« Er musste an seine Frau denken. Genauso hatte es bei ihr angefangen. Wurde Gladis auch verrückt?

Ihre Mutter hatte vor einigen Wochen das Haus verlassen. Man hatte sie bis zur Stunde nicht wiedergefunden. Grace Corkshere war eine einfache, in sich gekehrte Frau gewesen. Schon immer hatten ihre großen, dunklen Augen einen seltsamen und verträumten Ausdruck gehabt. Jedermann, der sie gekannt hatte, sagte, dass Grace viel zu schön für diese Welt und mit ihren Gedanken immer woanders gewesen sei.

Hier in dem Haus, das mitten im Wald am Weg nach London lag, wo Reisende oft eine kleine Pause einlegten, um etwas zu essen und zu trinken, war alles schlimmer geworden.

Grace hatte immer gesagt: »Ich möchte weg, John. Etwas stimmt nicht mit diesem Haus. Ich habe hier Angst.«

Und diese Angst war ständig stärker geworden.

Doch er hatte ihr Unbehagen den unsicheren Zeiten zugeschrieben.

Gäste kamen nur noch selten. Über Nacht blieb niemand mehr hier, weil alle versuchten, noch vor Einbruch der Dunkelheit in die große Stadt zu kommen. Dort fühlten sie sich sicherer.

Hier in den dichten Wäldern versteckten sich Räuberbanden. Sie überfielen Kutschen und raubten die Reisenden aus.

Das einsame Haus, das John Corkshere preiswert erstanden hatte, war bisher verschont geblieben. Seit zwei Jahren lebte er hier, und nicht ein einziges Mal war er überfallen und beraubt worden. Die Räuber wussten wohl, dass hier nicht viel zu holen war.

John hatte seine ganze Hoffnung auf dieses Haus gelegt. Gerade weil die Reisenden nach London diesen Weg durch den Wald benutzen mussten, hatte er sich ausgerechnet, dass manch einer über Nacht hierbleiben würde. Es gab drei Gästezimmer und eine Wirtsstube, in der man ein gutes Bier trinken und einen guten Wein aus Frankreich genießen konnte.

»Das Haus bringt uns kein Glück. Lass uns hier weggehen!« Gladis Corkshere bedrängte den Vater. »Es ist verflucht!«

»Es ist nicht verflucht«, widersprach er. »Die Zeiten sind schlecht. Dieses Jahr ist besonders schlimm. Aber das ändert sich. Es bleibt nicht ewig 1672, Gladis.«

Er streichelte über ihren Kopf und merkte, wie seine Fingerspitzen feucht und – klebrig wurden.

Blut?

Er löste sich von seiner Tochter, hielt die Lampe über sie, um sie genauer zu betrachten.

Sein Atem stockte. Gladis war mit einer roten Flüssigkeit verschmiert.

Er versuchte, den Gedanken an Blut zu verdrängen. Aber es gelang ihm nicht.

»Hast du dich ... geschnitten?«, fragte er vorsichtig.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein … im Zimmer, ich sagte es schon …«

Er ließ sie stehen, näherte sich der Tür, die weit offenstand.

Vorsichtig streckte er die Hand mit der Lampe aus.

Es tropfte.

Auf die Lampe, auf seinen Kopf.

Es kam aus der Decke.

Regnete es draußen? War das Dach undicht?

Ein Tropfen klatschte ihm mitten auf die Stirn.

John Corkshere wischte über den Fleck, betrachtete seine Fingerkuppe. Sie war rot.

Es tropfte aus der Decke, als würde etwas durchgepresst. Das Licht der Windlampe war zu schwach, um Einzelheiten erkenntlich zu machen.

Doch so viel konnte man sehen: Spritzer auf dem Bettzeug, auf den Bilderrahmen, auf den Möbeln.

Überall.

Seine Hände wurden mit roten, klebrigen Flecken bedeckt.

Und dann …

Etwas drang zwischen seine Schulterblätter – heiß und mächtig in seinen Körper. Er stand wie erstarrt und begriff nicht, was sich abspielte.

Ein zweiter Stoß traf ihn.

John Corkshere taumelte nach vorn.

Blut quoll zwischen seinen Lippen hervor, floss aus tiefen Stichwunden über seinen Körper.

Der alte Mann fiel quer über das Bett, gurgelte dumpf und schaffte es noch einmal mit letzter Kraft, sich herumzudrehen. Die brechenden Augen sahen eine Gestalt, die vor ihm im Zimmer stand, in einem weißen, blutverschmierten Nachtgewand. Sie hielt ein langes, blutbesudeltes Messer in der Hand.

»G-l-a-d-i-s-?«, hauchte er mit ersterbender Stimme.

Seine Tochter ... seine Mörderin?

Er verstand nichts mehr.

Sein Kopf fiel zur Seite; seine Rechte, die noch immer die Öllampe hielt, entkrampfte sich. Die Lampe fiel zu Boden. Das Glas zersprang, und das Öl lief aus. Kleine Flammen züngelten über den ausgetrockneten Lehmboden. Die Mörderin verließ das Zimmer. Wie in Trance, ohne die geringste Regung auf ihrem schmalen Gesicht, ging Gladis Corkshere die Treppe nach unten.

Sie verließ das Haus, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Der Wind fuhr in ihre Haare; die kalte, feuchte Nachtluft drang durch ihr dünnes Gewand.

Gladis Corkshere verschwand in den finsteren Wäldern, die in den frühen Apriltagen des Jahres 1672 noch große Flächen vor den Toren Londons bedeckten.

Man hat das Mädchen nie wiedergesehen.

1. Kapitel

Dreihundert Jahre sind eine lange Zeit, und die kleinen Dinge, die sich im Verborgenen abspielen, werden in den Geschichtsbüchern nicht vermerkt. Dabei steckt in den kleinen Geschehnissen – würde man ihnen auf den Grund gehen – oft mehr Dynamit als in den Dingen, welche die Menschen so wichtig nehmen.

Doch nicht alles wird vergessen.

Es gibt Menschen, die können zwischen den Zeilen lesen. Sie bemühen sich, die Schleier zu lüften, die über schicksalsbedingten Ereignissen liegen, von denen eine größere Öffentlichkeit niemals erfahren hat.

Im Falle von Christopher Baring war es so, dass er sich schon als junger Mann für das alte, hinter einem morschen Bretterzaun liegende Haus interessiert hatte, das rund zwanzig Meilen westlich von London lag. Wenn er mit dem Bus oder dem Wagen die Straße nach London fuhr, hatte er immer wieder einen Blick auf das ein wenig abseits liegende Haus mit den spitzen Giebeln geworfen. Anfangs hatte er vermutet, dass es ein Überbleibsel des zweiten Weltkrieges sei. Es gab Einschlaglöcher hinter dem Zaun, die auf Bomben schließen ließen.

Eines Tages hatte er sich erkundigt, und er erfuhr, dass man es Corks House nannte. Was das bedeutete, wusste niemand. Auch wem es gehörte, konnte er zunächst nicht herausfinden. Nur eines stand fest: Dieses Haus war verrufen. Es war ein Geisterhaus. Solange man zurückdenken konnte, war es nicht bewohnt gewesen.

Aus einer anderen Quelle erfuhr Christopher Baring eines Tages durch Zufall, dass das Haus bereits einige Male zum Verkauf angeboten worden war. Das lag schon viele Jahre zurück. Niemand hatte es haben wollen. Dies wusste ein alter Mann zu erzählen, der neunzig Jahre alt war. Aber durch ihn erfuhr Christopher leider nicht mehr. Der Alte starb, bevor weitere Nachforschungen erfolgen konnten.

Schicksal und Herkunft von Corks House interessierten ihn. Er ertappte sich dabei, dass er an der betreffenden Stelle extra langsam fuhr, um länger hinübersehen zu können. Vor und hinter dem Zaun standen ein paar alte, verkrüppelte Bäume. Die Latten und Bohlen waren schimmelig und moosüberwachsen. Das Haus war ein Relikt aus einer anderen Zeit. Das große Grundstück lag wie eine Insel zwischen den Häusern der Gegenwart.

Christopher Baring war Besitzer eines kleinen Instituts außerhalb Londons, das sich mit parapsychologischen Phänomenen beschäftigte und den Nachweis zu erbringen versuchte, dass der Geisterglaube auf Tatsachen zurückging, was man jedoch nicht immer belegen konnte.

Es war schwierig, einen Geist aufzustöbern und der Öffentlichkeit zu beweisen, wann es sich um Täuschung und wann um einen echten Spuk handelte.

Man belächelte Christopher Baring und seine Arbeit. Von manchen sogenannten ernsthaften Wissenschaftlern wurde er sogar für verrückt gehalten.

Christopher Baring störte nicht, was man von ihm hielt. In seinem Büro existierten Protokolle von seltsamen und unerklärlichen Begegnungen, die Menschen in Häusern, Ruinen und Schlössern gehabt hatten. In vielen Fällen machten sich die Leute wichtig, aber den Betrug konnte man schnell nachweisen. Doch es blieben genug ungeklärte Vorfälle übrig, um ganze Bücher damit zu füllen.

Es gab Dinge, die der normale Menschenverstand nicht begreifen konnte – oder nicht begreifen wollte.

Der Verstand wehrte sich gegen das, was er nicht logisch im Sinne der klassischen Naturwissenschaften begründen konnte.

Es gab Menschen, die mit außergewöhnlichen Kräften ausgestattet waren.

Christopher Baring hatte nicht nur die bekannten Geisterhäuser und Erscheinungen untersucht, sondern sich auch besonders der Menschen angenommen, die eine Affinität für die Welt des Unsichtbaren hatten.

All diese Dinge beschäftigten ihn, während er zwischen zwei Taxis eingekeilt durch die Londoner Innenstadt fuhr. Er war auf dem Weg nach Soho. Es war Abend. Die Lichtreklamen leuchteten, und die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos spiegelten sich auf den regennassen Straßen.

Kaum einmal zeigten sich Passanten auf den Bürgersteigen. Es regnete schon den ganzen Tag.

Christopher Baring musste anhalten. Vor ihm sprang eine Ampel auf Rot.

Der schlanke Mann mit der spitzen Nase und den tiefliegenden Augen blickte versonnen auf die Straße, ohne sie richtig wahrzunehmen.

War er am Ziel seines Lebens?

Diese Frage stand plötzlich in seinem Bewusstsein, aber er verdrängte sie. So pathetisch durfte er nicht fragen, kritisierte er sich. Vielleicht hatte er einen Meilenstein erreicht, aber noch kein Ziel. In den letzten Wochen hatte sich vieles ereignet. Die Arbeit mit dem Medium Camilla Davies aus einer kleinen Ortschaft in Wales war äußerst fruchtbar gewesen.

Es gab keine Zeugen für das, was sie unternommen hatten; niemand wusste, wie tief sie in die Geheimnisse des Lebens eingedrungen waren. In Trance hatte das Medium etwas gesagt, was ihn seither nicht mehr losließ. Der Begriff Corks House war gefallen.

Camilla Davies war sehr erschrocken, sehr verängstigt gewesen; ihr Puls war bis auf einhundertsechzig emporgeschnellt. Christopher Baring hatte das Experiment abbrechen müssen, um das Medium nicht zu gefährden.

So war das uralte Haus, für das er sich schon immer interessiert hatte, erneut in sein Bewusstsein gerückt. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu erfahren, wer derzeit Eigentümer dieses Hauses war. Er hatte den Namen einer alten Frau erfahren, die Catherine Muxley hieß und in der Dean Street wohnen sollte.

Christopher war aufgeregt, ohne es sich erklären zu können. Oder gab es doch eine Begründung dafür? Corks House barg ein Geheimnis. Warum hatte Camilla Davies plötzlich davon gesprochen? Welche Botschaft hatte sie gespürt?

Christopher Baring startete wieder.

Er kam an der National Gallery vorbei und fädelte seinen Wagen in den Verkehrsstrom ein.

Der Dauerregen hielt an. Eine dichte Dunstglocke hing über der Stadt.

Es war März. Es hatte schon ein paar milde Sonnentage gegeben. Aber nun schien der Winter mit aller Gewalt zurückgekommen zu sein. Es war kühl und windig. Eine Grippeepidemie suchte die Insel heim.

Mechanisch steuerte Christopher Baring den Wagen durch Soho. In der Dean Street konnte er gut parken.

Er fand das Haus, das an einem Hinterhof lag, nicht auf Anhieb. Mit aufgespanntem Regenschirm suchte er die nähere Umgebung ab und lief um eine große Pfütze herum, die sich vor der Haustür gebildet hatte. Die Tür knarrte beim Öffnen. Muffiger Geruch schlug ihm entgegen. Bis er die Treppen zum dritten Stockwerk emporgestapft war, hatte er sich daran gewöhnt.

In der dritten Etage wohnte Catherine Muxley. Christopher Baring drehte an der alten Klingel. Es hörte sich an wie ein verrostetes Zahnrad. Nach einer Minute klappte drinnen eine Tür.

»Wer ist da?«, krächzte eine Stimme.

»Professor Baring, Madam.«

»Professor? Hab' keinen bestellt. Sie müssen sich in der Tür geirrt haben.«

Hinter der zu einem Drittel verglasten Wohnungstür machte Christopher Baring die verschwommenen Umrisse einer kleinen, etwas gedrungenen Person aus und hörte etwas schnaufen, als schnüffle ein Hund oder eine Katze unten an der Tür.

Christopher Baring kam nicht umhin, genau zu erklären, was für ein Professor er war. »Ich bin ständig auf der Suche nach alten Häusern. Wir – meine Leute und ich – untersuchen alte Gebäude daraufhin, ob sich in ihnen Geister eingenistet haben oder nicht.« Es hörte sich überspannt an. Das wusste er selbst. Er hätte es auch anders – fachgerechter – ausdrücken können, aber dann hätte ihn die misstrauische Alte sicherlich nicht verstanden.

Schließlich schaffte er es, ihre Neugier so weit zu wecken, dass sie die Tür einen Spaltbreit öffnete. Eine Kette sicherte aber noch immer den Eingang.

Ein wachsgelbes, verhutzeltes Gesicht tauchte auf. »Sie sind also ein Geisterforscher?«, fragte Catherine Muxley.

»So ähnlich, ja.«

Sie musterte ihn mit ihren kleinen, flinken Augen. »Verkaufen wollen Sie mir nichts?« Sie war noch immer skeptisch. »Nein«, sagte sie dann, noch ehe er etwas darauf erwidern konnte. »Sie sehen nicht wie ein Vertreter aus.« Sie griff nach der Kette. Rasselnd fiel sie gegen den Türrahmen. Catherine Muxley öffnete. »Dann treten Sie mal näher, junger Mann.«

Die ganze Wohnung erinnerte an ein Asyl für heimatlose Katzen.

Ein penetranter Geruch schlug ihm entgegen; dagegen war der Mief im Flur ein Genuss. Es roch scharf nach Katzenkot und Urin.

Christopher Baring ließ sich nichts anmerken.

Die lieben Tierchen waren die eigentlichen Herrscher der Wohnung. Überall standen Fressnäpfe mit irgendeinem undefinierbaren Katzenfutter herum. Überall lagen Kissen in den Ecken und auf den böse zugerichteten alten Polstermöbeln, bei denen die Innereien herausguckten.

Getigerte und gefleckte Katzen, schwarze und weiße, dicke und dünne tummelten sich zwischen seinen Beinen, blickten dem fremden Besucher mit großen Augen entgegen. Christopher Baring hatte das Gefühl, als musterten sie ihn feindselig. Außer sich und der Alten schienen sie nichts dulden zu wollen.

Es ging durch einen düsteren Korridor.

Von hier aus in eine Art Wohnzimmer. Für einen Menschen war es praktisch unbewohnbar.

Die Tapeten hingen in langen Streifen von der Wand; im Teppich gab es kopfgroße Löcher, wo die lieben Tierchen ihre Krallen geschärft hatten.

Außer zusammengerollten alten Decken und Fressnäpfen standen große Plastikschüsseln in sämtlichen Farben herum. In jeder lagen zwei oder drei Bogen Toilettenpapier. Darauf verrichteten die Katzen ihr Geschäft.

In der Zimmermitte befand sich ein wuchtiger Tisch und ein Ohrensessel.

Christopher Baring musste über sieben kleine Korbstühle hinwegsteigen, auf denen kleine, schmutzige Kissen und farbige Tücher lagen, als sei jeder Stuhl für eine bestimmte Katze reserviert.

Ein schwarzer Kater strich ständig um Christopher Barings Beine. Er lächelte und streichelte seinen Kopf. Das Tier blickte zu ihm auf. Die Spitze seiner roten Zunge ragte über die Lippen heraus. Speichel lief seitlich an der Zunge herunter. Der Kater war offensichtlich krank.

»Das ist der größte Schmuser.« Die Alte kicherte. »Er ist lustig, nicht wahr? Sie mögen wohl Tiere auch sehr gern?«

Er nickte. »Ja.« Es stimmte, er liebte Tiere – aber was hier getrieben wurde, hatte mit Tierliebe nichts mehr zu tun.

Catherine Muxley wies ihrem Gast den Sessel neben dem Fenster zu.

Darauf hockte ein fetter Kater, der ihn nur groß anglotzte und keinen Zentimeter wich. Christopher Baring musste sich auf die äußerste Kante setzen.

Catherine Muxley drückte mit ihren mageren gelben Fingern vorsichtig einen der Korbstühle zur Seite und nahm dann in dem großen Ohrensessel ihrem Gast gegenüber Platz.

Aus den Augenwinkeln heraus warf der Parapsychologe einen Blick zu den Fenstern an seiner Seite empor.

Sie waren fest verschlossen. Am liebsten hätte er sie weit aufgerissen und frische Luft hereingelassen. Aber das war nicht möglich.

Eine getigerte Katzendame schnurrte um seine Beine, peilte seine Knie an und sprang ab. Sie blickte ihn herausfordernd an, drehte ihm dann ihr dickes Hinterteil zu und legte sich genau zwischen seine Schenkel.

Dass notgedrungen zunächst die Katzen Thema Nummer eins waren, blieb nicht aus. Doch dann konnte sich Christopher Baring wieder an das heranpirschen, was ihm auf dem Herzen lag. Vor allen Dingen kam es ihm darauf an, mehr über Corks Hause zu erfahren.

Die alte Dame, die ebenso gut achtzig wie hundertfünfzig Jahre alt sein konnte, blickte ihn aufmerksam an.

»Sie sind der erste nach langer Zeit, der sich für das Haus interessiert.« Ihre dünnen Lippen, die zwischen den Falten um ihren Mund kaum wahrzunehmen waren, zitterten ein wenig. »Der letzte Interessent fragte vor fast fünfzig Jahren. Aber da sprach noch mein seliger Vater mit ihm.«

»Vor fünfzig Jahren?« Christopher Baring zeigte sich verwundert. »Aber ich habe gehört, dass vor einigen Jahren noch ein Angebot gemacht worden ist. Interessenten haben sich erkundigt ...«

Sie kicherte. »Erkundigt, ja. Aber als sie erfuhren, was es mit dem Haus auf sich hat, haben sie darauf verzichtet.« Sie zuckte die Achseln. »Niemand wollte es haben. Spottbillig wollte ich es abgeben.«

»Wissen Sie so genau, was die Leute schließlich davon abgehalten hat, das Haus zu kaufen?«

»Die Geschichte des Hauses. Wissen Sie, Mister Baring, die Leute erzählen viel über das Haus, aber keiner weiß etwas Genaues. Es heißt, dass man dort in ruhigen Nächten Stimmengewisper hören könne, dass es dort umgehe, dass Lichterscheinungen zu sehen und Schreie zu hören seien. Vielleicht ist nichts daran, vielleicht stimmt auch alles. Ich kann es nicht sagen; ich habe nie in meinem Leben auch nur eine einzige Minute in dem Haus verbracht. Auch die vorherigen Besitzer nicht. Das Haus hat einige Male den Besitzer gewechselt. Das ist leicht zurückzuverfolgen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts ist es sogar eine Zeitlang bewohnt gewesen, nachdem man es restauriert hatte. Ein knappes Jahrhundert davor soll der Dachstuhl gebrannt haben. Dabei soll das obere Geschoss fast völlig zerstört worden sein.«

Eine Katze sprang auf ihren Schoß. Auf dem Tisch vor der Alten stand eine Tasse Tee. Er war schon kalt, aber Catherine Muxley schlürfte ihn mit Todesverachtung. Neben der Teekanne stand eine kleine Büchse mit Milch. Einige Tropfen der weißen Flüssigkeit klebten an der Tischdecke. Die Katze stemmte beide Vorderpfoten auf die Tischplatte und leckte mit ihrer rauen Zunge die Milch auf.

»Eines verstehe ich nicht«, murmelte Christopher Baring. Er zuckte ein wenig zusammen. Der fette Kater hinter ihm rührte sich und drückte ihm die Pfoten gegen den Rücken, um sich breitzumachen. »Auf der einen Seite kommen Leute, die kaufen wollen, obwohl sie die Geschichte des Hauses kennen. Andererseits aber raten Sie diesen Interessenten ab.«

»In Wirklichkeit wollten diejenigen, die hierherkamen, gar nicht kaufen. Sie wollten nur wissen, ob mit Corks House wirklich etwas nicht stimmt. Sie hörten sich alles an, nickten und sagten, sie würden sich wieder melden. Nur einmal hatte ich einen wirklichen Interessenten. Der sah sich das Haus an. Augenzeugen berichten, er sei kurz nach Einbruch der Dunkelheit wie von Sinnen davongerannt. Als ihn die Polizei wieder einfing, konnte er nicht mehr sprechen. Er hatte die Sprache verloren.«

»Wann geschah das?«

»Vor gut fünfundzwanzig Jahren. Es gibt viele Geschichten um das Haus, Mister Baring. Sein Ruf hat sich in den letzten Jahrzehnten eher verschlechtert als verbessert, obwohl man doch glauben sollte, dass die Menschen der Gegenwart über Horrorgeschichten erhaben seien. Aber nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Der Fluch, der auf Corks House liegt, überdauert die Zeiten. Wir leben schon in einer merkwürdigen Welt.«

»Was wissen Sie von dem Haus, Madam?«

»Das, was die anderen auch wissen. Man soll es meiden. Ich hätte es gern verkauft, das dürfen Sie mir glauben. Der Preis war so günstig. Aber niemand wollte es haben. Der Fluch und das Gerücht sind stärker. Etwas lauert dort. Es verbreitet Angst und Schrecken. Vielleicht sogar Wahnsinn und Tod.« Sie senkte die Stimme und wisperte geheimnisvoll, den Zeigefinger hebend, als spreche sie mit einem Kind, das sie belehren wollte.

»Angst und Schrecken haben eine Ursache. Die kann man ergründen«, sagte Christopher Baring sachlich. »Ich möchte das Haus kaufen. Was soll es kosten?«

Es kam einfach so über ihn.

Catherine Muxley blickte den Parapsychologen von unten herauf an. »Wirklich?«, fragte sie langgezogen.

»Ich möchte erforschen, was dort vorgeht. Das ist mein Beruf.«

»Und Sie haben gar keine Angst?«

»Nein. Alles hat eine Erklärung. Man muss nur danach suchen.«

»Man sagt, dass Menschen durch den Einfluss einer bösen Macht gezwungen würden zu töten. Plötzlich würde es sie überfallen. Könnten sie diesem Zwang nicht folgen – würden sie den Verstand verlieren. Man sagt, dass nachts ein riesiger schwarzer Vogel auf der Schwelle des Hauses sitze und jedem, der sich dem Eingang nähert, furchtbare Schnabelhiebe versetze. Sie wollen das Haus wirklich kaufen?«

»Ja.«

»Aber ich verkaufe nicht mehr.«

Christopher Baring schluckte. Die Alte war schon mehr als komisch. Sie steckte voller Widersprüche. »Und warum nicht?«, fragte er.

»Wenn Sie es wirklich haben wollen, werde ich es Ihnen schenken.«

Christopher Baring glaubte, sich verhört zu haben.

Ungläubig blickte er die Alte an.

»Ja«, bekräftigte sie noch einmal, was sie gesagt hatte. »Ich möchte es Ihnen schenken.«

Catherine Muxley war nicht mehr ganz klar; dieser Gedanke setzte sich in ihm fest.

Wie konnte man ein Haus an einer solchen Stelle verschenken? Das Haus selbst war vielleicht nicht mehr viel wert, aber das Grundstück! Bei den derzeitigen Grundstückspreisen!

»Das kann ich nicht annehmen.«

Wahrscheinlich hatte sie durch ihr Verhalten alle Interessenten auf diese Weise vor den Kopf gestoßen, überlegte er. Vielleicht waren sie stutzig geworden, als sie den Preis hörten.

Und gerade dadurch hatte sie die Phantasie dieser Leute erst recht angeregt.

Da stimmte doch etwas nicht.

War alles nur Gerede? Er spürte plötzlich Zweifel aufsteigen. War alles künstlich aufgebauscht worden? Im Lauf dreier Jahrhunderte konnte so manches passieren. Vor allen Dingen dann, wenn sich Dichtung und Wahrheit mischten und man nicht mehr wusste, was Dichtung und was Wahrheit war.

»Das können Sie nicht annehmen?«, vernahm er ihre Stimme und wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Schön, dann zahlen Sie mir etwas! Geben Sie mir einen Penny, Mister Baring, einen einzigen Penny für mein Haus, und es gehört Ihnen. Dann haben Sie es gekauft, dann brauchen Sie sich keine Gewissensbisse zu machen. Wir werden einen Kaufvertrag machen; wir werden die Sache beim Notar regeln. Für einen einzigen Penny gehört Corks House Ihnen. Sie können Ihre Forschungen durchführen, und ich habe etwas für diese getan. So kommt jeder auf seine Kosten.«

Es gab keinen Zweifel: Sie wollte das Haus unbedingt loswerden. In Wirklichkeit hatte sie sich nie gesträubt, nie davor gewarnt. Die Leute hatten es nur nie haben wollen, dieses unheimliche Haus, von dem keiner wirklich wusste, was es damit auf sich hatte.

Als Christopher Baring bei noch immer strömendem Regen aus der Dean Street wegfuhr, steckte er voller Gedanken, Überlegungen und Zweifel.

Ein Haus für einen Penny, ein Grundstück, das viele, viele tausend Pfund wert war ... für einen einzigen Penny! Er konnte es nicht fassen.

Mechanisch ließ er sich von den vorfahrenden Wagen zur Peripherie lotsen, wo der Verkehr dünner wurde. Ruhig steuerte er den Bentley Richtung Westen. Der Himmel war schwarz; die Alleebäume wurden verschwommene Schemen, zwischen die Nebelschwaden flossen. Christopher fuhr nicht schnell. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Begegnung zwischen der alten Catherine Muxley und ihm. Er war einerseits beglückt, dass er die augenblickliche Besitzerin des Hauses so schnell gefunden hatte und dass das Gespräch nicht völlig fruchtlos gewesen war. Da fiel ihm ein, dass Catherine Muxley gar nicht mehr die Besitzerin war. Er war jetzt der Besitzer. Zwar gab es keinen Kaufvertrag, der von einem Notar beglaubigt worden war, aber er hatte der Alten auf deren Drängen tatsächlich einen Penny, einen lächerlichen Penny, in die Hand gedrückt.

Corks House gehörte ihm.

Nun musste nur noch alles schriftlich fixiert werden.

Hatten sich anfangs noch Zweifel gemeldet, dass die Alte durch ihr widersprüchliches und undurchsichtiges Verhalten zu der allgemein verbreiteten Meinung beitrug, so musste er jetzt wieder an Camilla Davies denken, die während einer Séance im Forschungslabor von dem Haus zu sprechen begonnen hatte. Das Labor lag zehn Meilen von der Stelle entfernt, wo das alte Gebäude stand.

Christopher Baring zündete sich gedankenverloren eine Zigarette an. Das gleichmäßige Geräusch des laufenden Motors wirkte einschläfernd.

Christopher gähnte und lehnte sich zurück. Zwanzig Minuten vergingen. Weit und breit war kein Fahrzeug zu sehen. Es war erst kurz vor halb neun Uhr abends, aber die Welt war wie ausgestorben. Das unfreundliche Wetter veranlasste die Menschen, im Hause zu bleiben und die Wärme des Ofens zu suchen.

Christopher freute sich auch schon auf zu Hause. Es lag eine unbearbeitete Akte auf seinem Arbeitstisch, die er heute Abend noch zum Abschluss bringen wollte.

Hier spielten die Auswertungen für das Medium Camilla Davies eine große Rolle. Das Mädchen war ein Phänomen, daran gab es für ihn nicht mehr den geringsten Zweifel. Wenn er seine Arbeiten der Öffentlichkeit unterbreitete, würde das eine große Sensation werden.

Christopher verringerte den Abstand zu den Alleebäumen zu beiden Seiten. Eine kleine Ortschaft lag vor ihm, die er durchfuhr. Ziegelsteinhäuser mit weißumrandeten Fenstern und Türen. Kleine Fenster, hinter denen anheimelnd Licht brannte. Ein friedliches Bild.

Eine Ortschaft, die nur aus wenigen Häusern bestand.

Kurz darauf lag wieder die dunkle Straße vor ihm.

Noch drei Meilen.

Die Straße machte einen Bogen. Gleich dahinter lag das Grundstück, an dem er immer vorbeigefahren war. Aber heute verließ er die Straße und passierte einen holprigen Weg. Hinter Sträuchern und Buschwerk stand der Lattenzaun, morsch und an vielen Stellen mit Maschendraht ausgebessert.

Der Regen war nicht mehr so stark, es nieselte nur noch. Christopher Baring verzichtete darauf, den Regenschirm mitzunehmen. Er schlug den Mantelkragen hoch und verließ das Auto, nachdem er die Taschenlampe aus dem Handschuhfach genommen hatte.

Christopher marschierte um den Zaun herum. Es gab eine Menge morscher Bretter. Wenn man einmal kurz dagegenschlug, fielen gleich mehrere heraus. Er betrat durch das entstandene Loch das Grundstück.

Viel Unrat lag herum.

Leere Flaschen, verrostete Konservenbüchsen, sogar ein vergammelter Kühlschrank und Packen alten Zeitungspapiers, das verrottete.

Irgendjemand schien dieses Grundstück als Schuttabladeplatz benutzt zu haben, um seinen Sperrmüll und anderen Dreck loszuwerden. Christopher Baring stiefelte darüber hinweg. Die Konservendosen schepperten unter seinen Füßen. Dicke Ratten verschwanden zwischen Rissen und Spalten in einem vernagelten Kellerfenster.

Christopher Baring ließ den Lichtstrahl über die alte Fassade hinweggleiten.

Das Haus war über all die Jahre hindurch dem englischen Wetter ausgesetzt gewesen, und Wind, Regen, Sonne und Hitze hatten ihre Spuren hinterlassen.

Es gab kein einziges unbeschädigtes Fenster mehr. Kinder hatten sie wohl als Zielscheiben benutzt. Einige Fensterlöcher waren mit rostigem Draht versperrt, einige mit breiten Brettern. In anderen wiederum hingen noch die scharfen Splitter. Spinnengewebe bedeckten die offenen Stellen.

Christopher Baring ging zur Eingangstür, die schief in den Angeln hing, und drückte vorsichtig dagegen.

Sand und Staub rieselten herunter.

Christopher grinste, als er auf die Türschwelle stierte, die in das Haus führte.

Es gab keinen großen schwarzen Vogel, der Eindringlinge mit seinem riesigen Schnabel angriff.

Die Leute kamen schon auf absonderliche Ideen. Er staunte immer wieder, wie sich solche wunderlichen Dinge verbreiteten und wer sie aufbrachte.

Die Wirklichkeit war phantastisch genug, da bedurfte es keiner Lügenmärchen.

Er ging in das Haus.

Der Strahl der Taschenlampe wanderte über rissige Wände, Sand, Staub und Spinngewebe. Ratten huschten durch das Haus. Baring sah ihre Augen in der Dunkelheit funkeln, wenn zufällig der Lichtschein auf sie traf.

Die Türen im Inneren des Hauses waren noch gut erhalten und hingen verhältnismäßig fest in den Angeln.

Christopher Baring öffnete eine nach der anderen, warf einen Blick in die dahinterliegenden Räume. Die Wände waren feucht, nirgends eine heile Tapete, nur noch Reste. Der Wind pfiff durch die offenen Fenster und die Ritzen und Spalten der groben Bretter.

Die Decken waren nicht durchnässt, ein Zeichen dafür, dass das Dach offenbar verhältnismäßig gut erhalten war.

Der Parapsychologe begutachtete die Parterreräume von Corks House, stieg die schmalen, knarrenden Stufen nach oben und prüfte vorsichtig erst jede einzelne auf ihre Tragfähigkeit. Er kam wohlbehalten oben an. Das Geländer wackelte bedrohlich hin und her, und er verzichtete darauf, es anzufassen.

Er war sehr aufmerksam, versuchte zu erkennen, ob es der Wahrheit entsprach, was sich die Leute flüsternd über das Haus erzählten.

Und er fühlte, dass etwas Wahres daran war.

Etwas lauerte hier, beobachtete ihn. Er merkte, wie ihn ein seltsames, nie gekanntes Angstgefühl beschlich.

Furcht!

Er hatte eigentlich nie gewusst, was das war.

Aber mit einem Mal war sie da.

Und je weiter er nach oben kam, desto größer wurde sie.

Bildete er sich nur etwas ein?

Er versuchte, objektiv zu sein.

Dieses Haus strömte etwas aus, das sogar er wahrnahm. Etwas, das er nicht definieren konnte.

Es war nichts Erfreuliches.

Eine bedrückende, beklemmende Stimmung, die körperlich spürbar war.

Wenn er das schon empfand, der keine besonderen Sinne für das Übernatürliche entwickelt hatte, wie stark musste da erst ein Medium reagieren.

Die Räume oben waren besser in Schuss als die unteren.

Er ging in jeden hinein. In einem war der Eindruck der Furcht so groß, dass ihm der Schweiß ausbrach und seine Hände leicht zu zittern anfingen. Er wusste nicht, dass er in dem Zimmer stand, in dem vor dreihundert Jahren Gladis Corkshere die Vision des durch die Decke rinnenden Blutes gehabt und ihren Vater ermordet hatte.

Christopher Baring hielt sich nicht mehr länger in dem Haus auf.

Er lief die Treppen hinunter und verließ durch die Vordertür das Gebäude, das weniger baufällig war, als es von außen wirkte. Mit etwas Aufwand konnte man es wieder restaurieren und als historisches Gebäude aus dem 17. Jahrhundert der Nachwelt erhalten.

Aber es stimmte: Etwas war mit diesem Haus nicht in Ordnung.

War es nur Einbildung, weil er so viel darüber gehört hatte – oder hatte er wirklich so empfunden? Diese Frage drängte sich ihm auf, als er schon wieder hinter dem Steuer seines Fahrzeugs saß und nun auf direktem Weg nach Hause fuhr. Eine Viertelstunde später hielt er vor dem kleinen Haus mit dem flachen Anbau, in dem sich das Institut befand, das er ins Leben gerufen hatte.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in seinem Junggesellenhaushalt rief er Camilla Davies an, ohne auch nur einen Blick in den Vorgang zu werfen, den er ursprünglich heute noch hatte abschließen wollen.

Das Medium meldete sich nach dem dritten Klingelzeichen.

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht aus dem Bett geholt, Camilla«, entschuldigte sich Christopher, nachdem er sich gemeldet hatte.

»Nein, Professor, das haben Sie nicht. Vor Mitternacht lege ich mich selten hin, wie Sie wissen.«

»Heute hätte eine Ausnahme sein können. Bei diesem Wetter.«

Sie sprachen eine Zeitlang über das Wetter. Als Engländer kam man um dieses Thema einfach nicht herum. Dann erwähnte Christopher Baring Corks House. »Ich habe mich dort umgesehen. Ohne viel Aufwand ließe sich dort zumindest ein Raum zurechtmachen, in dem wir die Séancen durchführen könnten.«

Dies war im Grunde genommen sogar der Vorschlag von Camilla Davies gewesen, nachdem das erste Mal Corks House eine Rolle in ihren Wahrnehmungen und Erzählungen gespielt hatte. Sie hatte einen Ruf aus dem Geisterreich vernommen. Die Stimme eines fremden Geistes, der keine Ruhe fand. Und dieser hatte etwas mit dem Geschehen zu tun, von dem so vieles erzählt wurde, von dem aber in Wirklichkeit niemand etwas wusste.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Camilla.«

»Und der wäre, Professor?«

»Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich gern gleich morgen mit Ihnen den Versuch starten. In Corks House, Camilla. Fühlen Sie sich ausgeruht und stark genug?«

»Selbstverständlich, Professor.«

»Es gibt dort etwas, Camilla. Ich habe es selbst gespürt.«

»Ich weiß, dass es dort etwas gibt. Jemand versuchte, mit mir zu sprechen. Im Haus wird dieser Kontakt möglich sein.«

»Ich werde gleich morgen früh alles Notwendige in die Wege leiten, Camilla. Morgen, nach Einbruch der Dunkelheit, hole ich Sie ab.«

»Gut, Professor.«

Noch am selben Abend bereitete er die Dinge vor, die keinen Aufschub duldeten.

So rief er seinen Mitarbeiter Berry Tuth an und erklärte ihm, was er vorhatte. Tuth war einverstanden. Und er rief auch Ernie Garet an. Der wohnte am anderen Ende von London, war Mitarbeiter eines Magazins, in dem moderne Technik populärwissenschaftlich erklärt wurde und wo in besonderen Artikeln auch auf Grenzgebiete der Wissenschaft eingegangen wurde.

Ernie Garet war weder ein Befürworter noch ein Gegner metaphysischer Dinge. Aber er wollte – ehe er persönlich dazu Stellung nahm – einmal selbst etwas erlebt haben, von dem er sagen konnte, dass es ihn beeindruckt hatte.

»Es kann schiefgehen, es kann aber auch zu einer Offenbarung werden, die dir die Augen öffnet«, schloss Christopher Baring, der seine Begeisterung kaum bezähmen konnte. Nie zuvor war er sich so sicher gewesen! Der Versuch am nächsten Abend sollte unbedingt mit mehreren Personen durchgeführt werden. Dies hatte auch noch eine zusätzliche Bedeutung. Ernie Garet, ein vollkommen sachlicher und objektiver Beurteiler und Beobachter, würde sicherlich auch die Einflüsse spüren, die Christopher Baring wahrgenommen hatte.

»Morgen Nachmittag dann, vor