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Die Aufgabe, der Matthew Drax und Haaley sich stellen müssen, führt sie in ein Gebiet, das seit Generationen keines Menschen Fuß mehr betreten hat. Was mag sie in dieser Todeszone erwarten? Und können sie den "Spiegel von Pachacámac", der die Herstellung weiterer Diamanten ermöglichen soll, überhaupt finden?
Gleichzeitig ist Matt an der weiteren Geschichte der Mayaa interessiert, die es nach Kristofluu schafften, der Daa'murenstrahlung und Synapsenblockade zu entgehen. Welches Geheimnis umgibt die Herkunft der roten Diamanten?
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Seitenzahl: 158
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In der Grünen Hölle
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Impressum
Am 8. Februar 2012 hält ein gewaltiger Komet Kurs auf die Erde! Man beschießt ihn mit Atomraketen – vergeblich. »Christopher-Floyd« schlägt in Asien ein. Die Druckwelle trifft auch drei Jets, die die Auswirkung beobachten sollten. Als der Commander der Staffel, der US-Pilot Matthew Drax, und sein Copilot Professor Dr. Jacob Smythe aus einer Ohnmacht erwachen, trudelt ihr Jet auf die Alpen zu! Smythe steigt per Schleudersitz aus. Matt kann notlanden und wird von Barbaren gefunden, die ihn »Maddrax« nennen. Statt einer verwüsteten Erde sieht er sich fremdartigen Lebewesen und Pflanzen in einer veränderten Geografie gegenüber.
Die Druckwelle hat die Jets durch einen Zeitstrahl um 520 Jahre in die Zukunft geschleudert. Dieser Strahl, der vom Mars zur Erde reicht, sicherte vor 4,5 Milliarden Jahren den Marsbewohnern, den Hydree, das Überleben. Der vermeintliche Komet war die Arche einer Wesenheit namens »Wandler«, deren Dienerrasse, die Daa'muren, sich die Erde untertan machen will, indem sie Fauna und Flora mutieren und die Menschen verdummen lässt.
Zusammen mit Aruula, einer telepathisch begabten Kriegerin, beginnt Matt Drax seinen Feldzug. Er findet Freunde – unter anderem die Hydriten, die sich aus den Hydree entwickelt haben –, kämpft gegen die Daa'muren und gerät an Schurken wie Jacob Smythe, der wahnsinnig wurde und die Weltherrschaft anstrebt, bis Matt ihn unschädlich macht. Auch Smythes Zwilling aus einem Parallelwelt-Areal stirbt, während seine ebenso verrückte Freundin Haaley entkommt. Diese Areale, die überall auf der Erde aufbrechen, sind das Ergebnis von Zeitreisen, die die Menschen einer fernen Zukunft unternahmen. Matt und seine Verbündeten können alle schließen, wobei ihnen GRÜN, eine Art Pflanzenbewusstsein der Erde, zur Seite steht.
Auch Colonel Aran Kormak stammt aus einer Parallelwelt – zumindest will er Matt dies weismachen. In Wahrheit ist er sein skrupelloser Zwilling aus dieser Welt, von dem Matt glaubt, er wäre tot. Doch Kormak, Befehlshaber einer Elitetruppe namens Dark Force, scheint sich zu besinnen und verbündet sich mit Matt, als eine neue Bedrohung auftaucht. Denn kaum ist das letzte Areal in Afrika versiegelt, wobei GRÜN beinahe vernichtet wird, sehen sich die Gefährten einer kosmischen Bedrohung namens »Streiter« gegenüber, die noch immer den Wandler auf der Erde vermutet, obwohl der längst mit seinen Daa'muren weitergezogen ist. In einem furiosen Endkampf gelingt es Matt, den Streiter zu versteinern.
Doch dann verschwindet Aruula mit dem Gleiter RIVERSIDE. Matt und ein Dark-Force-Trupp folgen ihr mit der PLASMA, einem außerirdischen Raumschiff, bis nach Südamerika. Über Peru stürzen sie wegen plötzlichem Energieverlust ab und finden die havarierte RIVERSIDE. Von Aruula keine Spur! Dafür entdeckt Matt das Wrack eines Flugzeugträgers mitten im Dschungel – und eine blinde Passagierin, die mit nach Amraka kam: Haaley.
Auf der USS Nimitz trifft Matt auf eine feindlich gesinnte Mannschaft und einen gewaltigen roten Diamanten. Inzwischen wird sein Trupp dezimiert. Steckt Haaley dahinter? Die letzte Soldatin stirbt beim Kampf gegen einen mutierten Jaguar, kann ihn aber erlegen – ein heiliges Tier, wie Matt und Haaley erfahren, als sie von Eingeborenen überwältigt werden. Zusammen mit einer Frau von der Nimitz warten sie auf den Tod, denn auch die Fremden sind Feinde der Indios, seit sie deren Heiligtümer, zwei rote Diamanten, raubten.
Sie versuchen zu fliehen, doch nur die Fremde entkommt. Matt und Haaley erhalten eine Chance in Form einer Götterprobe. Dazu müssen sie den geheimnisvollen »Spiegel von Pachacámac« aus einem tödlichen Gebiet bergen.
In der Grünen Hölle
von Michael Edelbrock
»Ihr werdet scheitern, wenn ihr die Götterprobe nicht ernst genug nehmt!«, klang Phakchas Stimme auf.
Matthew Drax, der gerade die Heckluke von PROTO geöffnet hatte und mit Haaley und Ccahuantico einsteigen wollte, hielt inne und sah zu dem alten Schamanen hinüber.
»Von der Hand eurer Kriegerin starb ein heiliger Jaguar, ein Kind der Göttin!«, fuhr Phakcha fort. »Die Probe wird das Urteil über eure Schuld fällen. Ihr habt bereits darin versagt, eines der beiden gestohlenen Jaguaraugen zurückzuholen. Wie wollt ihr den Spiegel von Pachacámac aus der Todeszone bergen, wenn ihr die Wege der Mayaa nicht kennt und unsere Verehrung für die Jaguargöttin nicht teilt?«
Matt zögerte mit seiner Antwort. Phakcha hatte einen Zeigefinger drohend erhoben. Eine unheimliche Intensität ging von dem Schamanen aus, ein gerechter Zorn lag in seinen Zügen.
»Sie werden die Probe ernstnehmen«, sagte Tecuun an Matts Stelle. Der Häuptling stand im Kreis der Dorfbewohner. »Schließlich wird Ccahuantico, einer meiner besten Jäger, an ihrer Seite sein.« Er nickte dabei dem jungen Mann im roten Überwurf zu.
»Sie werden uns hintergehen«, widersprach Phakcha. »Wir können sie nicht mit Gift gefügig machen – dafür dauert ihre Reise zu lang. Sobald sie weit genug vom Dorf entfernt sind, werden sie Ccahuantico töten und die Flucht ergreifen.«
Matt konnte seine Wut nicht zurückhalten – obwohl er sich darüber im Klaren war, dass genau das Haaleys Plan gewesen war. Aber nicht seiner! »Urteile nicht vorschnell über uns, Phakcha«, stieß er hervor, »und zweifle nicht an meiner Ehre! Ihr habt unser Wort, das wir halten werden.«
Phakcha schnaubte. »Ihr wisst nicht, was euch erwartet. Niemand weiß das. Seit drei Jahren ist keine Kriegerin und kein Jäger aus der Todeszone zurückgekehrt. Wenn es euch ans Leben geht, werdet ihr euer Wort brechen.«
»Dummschwätzer!«, fuhr Haaley auf, sehr zu Matts Verwunderung. »Wir bringen dir deinen scheiß Spiegel – damit du darin einen schwanz-«
»Was meine Begleiterin sagen will«, ging Matt schnell dazwischen, bevor Haaley sie beide um Kopf und Kragen redete. »Mit unserem Gefährt haben wir gute Chancen, die Probe zu bestehen. Wir kehren zurück, mit dem Spiegel von Pachacámac.«
Phakcha schüttelte den Kopf, schwieg aber zumindest.
Matt verlor keine weitere Zeit und enterte PROTO. Sofort umfing ihn der saubere, irgendwie zivilisierte Geruch nach Metall und Elektrizität, vermischt mit dem Duft nach Leder und ihren Vorräten.
Er hörte Haaley und Ccahuantico hinter sich einsteigen, während er bis zum Cockpit durchging, ohne sich zum Häuptling und den Dorfbewohnern umzublicken.
Mit einem Schalterdruck gab er die Energie aus der Reaktorkammer frei. Für gewöhnlich ruhte dort ein Trilithiumkristall; jetzt war es der Splitter eines roten Diamanten.
Haaley wollte sich auf den Copilotensitz fläzen, doch Matt hielt sie zurück. »Sorry, aber dort sollte Ccahuantico sitzen«, meinte er und erntete einen bösen Blick von ihr. »Wenn er uns führen soll, braucht er den freien Blick nach vorn«, schob er nach.
Der junge Indio ließ sich vorsichtig und sichtlich unbehaglich in den Polstersitz sinken, während sich Haaley grummelnd einen der Notsitze ausklappte.
Matt startete den Motor und gab Gas. Dann fuhren sie in den Dschungel hinein.
Phakcha sah dem Stahlgefährt hinterher.
Der Häuptling setzte große Hoffnungen auf dieses Ungetüm, das mit der Eleganz eines Nilpferds durch den Wald brach und mehr Krach machte als eine Horde Brüllaffen. Ob die Fremden es schaffen würden, den Spiegel von Pachacámac aus der Todeszone zu holen? Er selbst hatte seine Zweifel, aber ganz ausschließen konnte er es nicht. Brachiale Gewalt und Technik mochten bewirken, was Kriegern und Jägern bislang verwehrt geblieben war.
Auf seinem Rückweg kam Phakcha am Gemeinschaftshaus vorbei, wo die Gefangenen den Geschichten von Häuptling Tecuun gelauscht hatten.*
Vom Überfall der Conquistaas vor einem Mond hatte er zuerst erzählt, bei dem die Fremden das Große Jaguarauge erbeutet hatten, das letzte – bekannte! – wirksame Exemplar seiner Art. Wäre Phakcha in jener Nacht nicht auf Kräutersuche gewesen, er hätte dem Anführer, der sich Dak'kar nannte, den Schädel eingeschlagen.
Danach hatte Tecuun die Überlieferung von Colel und ihren berühmtesten Nachfahren erzählt. Im Grunde fand Phakcha es gut, diese Geschichten am Leben zu erhalten. Die Jugend sollte wissen, wo sie herkam. Aber es war nicht gut, ihre Geschichten Fremden zu erzählen.
Der Schamane nahm sich eine Reihe von Utensilien und Zutaten aus dem Gemeinschaftshaus an sich, bevor er zu seiner Hütte aufbrach.
Vor allem diese Haaley hatte immer einen abwertenden Spruch parat. Für sie gab es nichts von Wert, hatte nichts Bedeutung. Manchmal schien sie ihm unberechenbar und geistig verwirrt. Bedeutsam war jedoch, welche Wirkung das Gift auf sie gehabt hatte. Plötzlich hatte sie in die Köpfe anderer sehen können – eine Folge, mit der Phakcha nicht gerechnet hatte.
Dieser Matthew Drax dagegen... er war wie Colel. Ein im ersten Moment seltsamer Vergleich, aber je länger er darüber nachdachte, desto einleuchtender war er.
Die junge Colel war im Jahre 2012 in eine veränderte Welt geworfen worden. Sie hatte sich an Umstände gewöhnen müssen, die sie vorher für unmöglich gehalten hatte, und Entscheidungen getroffen, die den Weg eines ganzen Volkes bestimmten. Irgendetwas sagte Phakcha, dass es Maddrax, wie er sich selbst bisweilen nannte, ähnlich ergangen war. Dazu war der Mann ein aufmerksamer Zuhörer.
Tecuun hatte von der Wiederauferstehung des Reiches erzählt – und von dessen Niedergang. Die Priester hatten damals entschieden, keine weiteren Jaguaraugen herzustellen, bevor ihre Herrschaft nicht zu alter Stärke zurückgefunden hatte.
Phakcha schnaubte. Conde und seine verfluchte Arroganz! Die alte Stärke war niemals wiedergekehrt. Wo gab es denn heute noch echte Priester des Jaguars?
In seiner Hütte angekommen, räumte Phakcha eilig den Tisch leer und stellte eine Reihe Tiegel darauf, die er aus allen Ecken zusammensuchte.
Er strich einen Spatel Guano in den kleinen Steinmörser. Als nächstes folgten zwei Tropfen Rotfroschsekret, Galle vom schwarzen Kaiman, ein Fingerhut gemahlener Tucaan-Schnabel, ein halber Löffel Honig und ein Hanfblatt – für die Bekömmlichkeit.
Dann spuckte er in den Mörser, damit sich der Zucker lösen konnte. Er setzte ein Feuer an und bearbeitete die vorbereitete Paste mit dem Stößel.
Das Gemisch war gefährlich, mehr noch als das Gift, mit welchem er Matt und Haaley bei ihrer verlorenen Götterprobe gefügig gemacht hatte. Aber er brauchte es, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Phakcha gab Wasser in den Mörser, stieß noch fünfmal, siebte es ab und erhitzte es über kleiner Flamme. Voller Ehrfurcht füllte er die schwarze Flüssigkeit in drei ausgehöhlte Nüsse.
Die Behältnisse waren kaum größer als sein letztes Daumenglied. Aber jeder Giftmischer wusste, dass die Menge nicht das entscheidende Kriterium war.
Matt genoss das Brummen der Motoren an den vier Achsen des Amphibienpanzers. Sie schafften zwar nur gute dreißig Stundenkilometer, denn der Dschungel war dicht und dicke Bäume und tiefe Rinnen lauerten hinter jedem Dickicht, aber die Fahrt war weniger holperig als erwartet. Die Reifen glichen die Unebenheiten des Bodens aus und fanden ausreichend Grip in der schwarzglänzenden Erde.
Er hatte gelesen, dass die fruchtbare Erdschicht im Dschungel recht dünn war. Trotzdem brachte sie so eine überbordende Vielfalt hervor. Beinahe schien es, als klammere sich hier alles mit Klauen und Wurzeln an das Leben und gebe keinen Fußbreit Boden auf.
Matt konnte sich bildlich vorstellen, wie es hier zur Zeit von Tecuuns Geschichten ausgesehen hatte, in den Lebzeiten von Colel, Wawal, Ataw und wie sie alle hießen.
Für die Urwaldriesen gab es nicht genug Licht, denn »Christopher-Floyd« hatte durch die aufgewirbelte Asche die Atmosphäre für Jahrhunderte verdunkelt. Die Sonne drang nicht mehr durch; es wurde kühler und damit feuchter, weil weniger Wasser verdunstete.
Damit hing vermutlich auch das extreme Wachstum der Pilze zusammen. Die Mayaa hatten sich damals mit ihren Sporen eingerieben und sich »Geister des Dämmerwalds« genannt.
Doch diese Zeiten waren lange vorbei. Irgendwann klärte sich die Atmosphäre, der nukleare Winter endete. Die Pilze und Moose blieben jedoch Teil des Ökosystems.
»Sieht gar nicht so schwierig aus.«
Matt sah irritiert zur Seite. Haaley stand zwischen den beiden Pilotensitzen und sah ihm beim Steuern des Panzers zu.
»Darf ich auch mal?«
»Was?«
»Na, fahren«, sagte sie. »Oder bist du der antiquaren Meinung, man könne Frauen nicht ans Steuer lassen?«
Matt war vor allem der Meinung, man könne Haaley nicht ans Steuer lassen – bei ihrem Hang zum Risiko, der manchmal geradezu suizide Züge annahm. Aber das sagte er ihr natürlich nicht.
»Dazu gehört mehr, als mir ein paar Minuten lang über die Schulter zu schauen«, formulierte er. »Dazu müsste ich dir intensiven Fahrunterricht geben. – Und dazu haben wir momentan keine Möglichkeit«, fügte er schnell hinzu.
»Gibt es nicht ein Handbuch für das Ding?«, fragte sie. »Dann könnte ich die Zeit nutzen und darin schmökern.«
Das gab es in der Tat; in elektronischer Form. Sollte er lügen, um sie davon abzuhalten? Er entschied sich für die halbe Wahrheit. »Gibt es«, sagte er. »Aber um es zu lesen, brauchst du einen Monitor, und wir benötigen alle für die Instrumente. Außerdem ist das dann bloß die Theorie. Ohne Fahrstunden nützt die dir wenig.«
Um das Thema zu wechseln, sah er zu Ccahuantico hinüber, der immer noch angespannt auf dem Copilotensitz hockte. »Deine Frau macht sich hoffentlich keine großen Sorgen«, sagte er. »Wir sind absolut sicher hier drin. Unser Gefährt kann so ziemlich alles abhalten, was Klauen und Zähne hat.«
»Kukuri, mein Weib, macht sich immer Sorgen«, sagte Ccahuantico und lächelte dabei schmerzlich. »Und hier gibt nicht nur Klauen und Zähne, weißt du?«
»Du hast du wohl recht«, meinte Matt eingedenk der Mutationen, die sich hier herumtreiben und –ranken konnten. »Aber was uns auch begegnet, es kommt hier nicht rein.« Damit konzentrierte er sich wieder auf den Dschungel voraus. Glücklicherweise gab Haaley Ruhe und verzog sich auf ihren Notsitz.
Am frühen Nachmittag legten sie auf einer kleinen Lichtung eine längere Pause ein und stiegen aus. Es tat gut, sich die Beine zu vertreten. Matt und Haaley blieben in PROTOs Nähe und entzündeten ein Feuer. Denn Ccahuantico bestand darauf, auf die Jagd zu gehen und Wild zu erlegen, solange sie die Todeszone noch nicht erreicht hatten.
Nach einiger Zeit kam er mit einem kleinen Pelztier zurück, das Matt an einen Gerul erinnerte. Ccahuantico nahm es aus und häutete es, dann brieten sie das Fleisch über dem Feuer. Es schmeckte köstlich.
»Sag mal, Ticolino«, sagte Haaley kauend. Mittlerweile hatte er sich an den Spitznamen gewöhnt, den sie ihm verpasst hatte. »Der Alte, dieser Phakcha – was ist das für ein Typ?«
Ccahuantico sah auf, Misstrauen im Blick.
»Oh, bitte«, sagte sie. »Ich will ihn nur verstehen. Immerhin hat er uns eine tödliche Droge verpasst, mit der wir nur zwei Stunden zu leben hatten. Das war nicht gerade nett.«
Der Jäger zuckte in einer universalen Geste die Schultern und rückte seinen Überwurf zurecht. »Niemand im Dorf hat so viel Wissen wie er. Phakcha ist bestimmt schon sechzig und kennt viele Geheimnisse. Wir lernen von ihm.«
Haaley schien damit nicht zufrieden. »Aber er hat etwas zu verbergen«, behauptete sie. »Als er erfuhr, dass ich durch das Gift Gedanken hören konnte, wollte er mir keines mehr geben.«
»Er wollte uns keines geben, weil wir in den zwei Stunden nicht weit kämen«, warf Matt ein.
»Er kennt viele Geheimnisse«, sagte Ccahuantico noch einmal, diesmal leiser. »Die wenigsten davon sind für alle bestimmt. Manche sind gefährlich.«
»Aber Tecuun erzählt bei euch die Geschichten«, sagte Matt, um ein erfreulicheres Thema anzuschlagen.
Der Jäger lächelte breit. »Er erzählt sie so gut, weil er sie gerne erzählt.«
Haaley stocherte mit einem Stock in den Flammen herum. »Erzählst du auch gern Geschichten?«, fragte sie.
»Selten«, meinte er. »Geschichten sind etwas für lange Abende.« Dabei warf er einen vielsagenden Blick in Richtung der Anden, die hinter Bäumen und Farnen unsichtbar blieben.
»Du hast recht«, sagte Matt und erhob sich. »Brechen wir auf und nutzen das verbliebene Tageslicht.«
Ihre Weiterfahrt brachte sie zu einem Fluss, dessen braune Fluten offensichtlich über die Ufer getreten waren. Matt hielt an, damit Ccahuantico sich aus der oberen Luke einen Überblick verschaffen konnte.
»Zu breit«, meinte er. »Die Furt ist weggerissen. Vielleicht vom letzten Regen.« Er stieg wieder ein und schloss die Luke.
»Und nun?«, fragte Haaley und kam nach vorn.
»Wir müssen flussaufwärts fahren.«
»Müssen wir nicht«, widersprach Matt. »PROTO ist ein Amphibienpanzer, falls euch das etwas sagt.«
Er seufzte, als er die fragenden Blicke sah. Mit zwei Schaltern aktivierte er die interne Luftzirkulation und nahm die Traktion heraus, um mehr Grip entwickeln zu können. Und fuhr geradewegs in den Fluss hinein.
»Bei der Jaguargöttin!«
»Was soll das? Willst du uns umbringen?«
Die beiden waren drauf und dran, ihm in die Steuerung zu greifen. »Beruhigt euch!«, lachte er. »Seht doch – wir sind unter Wasser, und eure Füße sind immer noch trocken!«
»Das war nicht witzig!«, keifte Haaley und sah zugleich fasziniert durch die Frontscheibe. Es war nur braunes Wasser zu sehen. Matt studierte ohnehin eher das Gyrometer.
Da plötzlich blieben sie stehen.
Er gab etwas mehr Energie auf die Achsmotoren, spürte aber nur ein stärkeres Vibrieren. Besorgt nahm er den Fuß vom Gas.
»Sag, dass das noch einer deiner Scherze ist«, begann Haaley.
»Ist es nicht«, sagte er schnell. »Wir haben uns festgefahren. Der Boden wird aufgewühlt sein. Sucht euch Halt!«
Die Steuerung fest in der Hand, gab er für einen Moment Vollgas. Es war riskant. Wenn er nicht durch den Schlamm bis auf festen Grund durchschleifte, grub er sich nur tiefer ein. Und das, während er mit begrenztem Luftvorrat mitten in einem Fluss stand. Klar kämen sie heil hinaus, aber er müsste PROTO aufgeben; das stand nicht zur Debatte.
Für lange Sekunden hörte er nur das Surren der Motoren und spürte das Vibrieren der Reifen. Dann packten sie Grund und katapultierten PROTO vorwärts. Matt und Ccahuantico wurden in die Sitze gedrückt, Haaley schrie überrascht auf und fiel nach hinten.
Auf der anderen Flussseite schossen sie aus dem Wasser. Matt bremste eilig, damit sie nicht den nächsten Urwaldriesen rammten.
»Hinter dem Fluss liegt das Gebiet, auf dem die Mayaa nicht mehr jagen«, sagte Ccahuantico.
»Du meinst, hier beginnt die Todeszone?«, fragte Haaley mit einem Schaudern.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Bis dorthin müssen wir noch eine weite Strecke fahren. Aber es wird bald dunkel.«
»Dann sehen wir zu, dass wir noch möglichst weit kommen«, sagte Matt entschlossen und fuhr wieder an.
Bald stellte er fest, dass die Bodenrinnen tiefer und die Hügel höher wurden. Er hätte gerne einen Blick über das Land geworfen, doch dafür hätten sie aussteigen und auf einen hohen Baum klettern müssen. Das kostete nur Zeit und war das Risiko nicht wert.
Eine Zeitlang fuhren sie in die Dämmerung hinein. PROTO verfügte über ausreichend helle Scheinwerfer, um zwanzig Meter voraus die Nacht zum Tag zu machen.
Wieder hielten sie auf einer Lichtung und schlugen ein Lager auf. Bei Tageslicht hätte Ccahuantico gejagt, so aber griffen sie auf ihre mitgebrachten Vorräte zurück.
»Der Spiegel von Pachacámac«, sagte Matt später, als sie gesättigt ins Feuer starrten. »So nannte Tecuun doch das Geheimnis um die Herstellung der Jaguaraugen in seiner Geschichte über den alten Priester Conde.«
Ccahuantico nickte stumm.
»Na, komm schon, Ticolino-Baby«, meinte Haaley. »Wir sind unterwegs, um das Spieglein, Spieglein von der Wand zu holen. Da kannst du uns ruhig ein bisschen mehr darüber erzählen. Ist ja nicht so, dass wir ihn nicht zu sehen bekämen!«
»Ich weiß kaum etwas darüber«, gab Ccahuantico zu. »In den Geschichten heißt es, dass das Orakel von Pachacámac einst eine geheimnisvolle Prophezeiung machte. Ich kenne gerade einmal den bekanntesten Teil davon. Er geht ungefähr so: ›Wenn der Schweif der Schlange die Welt zertrümmert und der Jaguar seine Augen öffnet, wird das Reich auferstehen.‹ Das Geheimnis der Herstellung kommt vielleicht auch vom Orakel; ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Auch nicht, wie der Spiegel aussieht.« Er zuckte die Schultern; eine Geste, die ihm immer lieber zu werden schien.