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Die Mannschaft der Horizont erhält neue Dynas, beim ersten Testflug begegnet Dyna New 1 mit Kapitän Megan Riordan am Steuer ein gewaltiges Schiff der Großen, allerdings besteht die Besatzung aus sodoranischen Kriegern. Und deren Anführer Jalif Hansar ist ebenso brutal, wie machtgierig, er will die Erde erobern. Commodore Chet Morrow gelingt es mit Hilfe eines neuen Dynas und der Aktivierung des Warp-Antriebs, das große Schiff entscheidend zu beschädigen. Allerdings ist damit die Gefahr nicht beseitigt, denn das große Kriegsschiff besitzt zwei Beiboote, die immer noch gewaltig sind und stark bewaffnet. Die Schiffe trennen sich, nehmen Kurs auf Erde und Mars, zudem stellt der Sodoraner der Erde ein Ultimatum.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2024
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In dieser Reihe bisher erschienen
e601 Thomas T. C. Franke Ad Astra 01: Franke Schatten über dem Mars
e602 Thomas T. C. Franke Ad Astra 02: Die Kometenfalle
e603 A.N. O’Murtagh Ad Astra 03: Söldner der Galaxis
e604 Melanie Brosowski Ad Astra 04: Gestrandet in der weissen Hölle
e605 Thomas T. C. Franke Ad Astra 05: Jagt den Milan!
e606 Melanie Brosowski Ad Astra 06: Das Maki-Komplott
e607 Melanie Brosowski & Margret Schwekendiek Ad Astra 07: Hölle auf Eden
e608 Thomas T. C. Franke Ad Astra 08: Entscheidung auf Ceres
e609 Melanie Brosowski & Udo Mörsch Ad Astra 09: Die Aurora-Mission
e610 Melanie Brosowski & Udo Mörsch Ad Astra 10: Im Bann der Geierköpfe
e611 Thomas T. C. Franke Ad Astra 11: Geheimwaffe Dakota
e612 Thomas T. C. Franke Ad Astra 12: Der Malivia-Effekt
e613 Michael Edelbrock & Oliver Müller Ad Astra 13: Sodors Ultimatum
e614 Thomas T. C. Franke Ad Astra 14: Stunden der Angst
Ad Astra – Chet Morrows Weg zu den Sternen, Neue Abenteuer
Buch Dreizehn
Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
In Zusammenarbeit mit
Heinz Mohlberg Verlag GmbH, Pfarrer-Evers-Ring 13, 50126 Bergheim
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
Die Printausgabe des Buches ist 2017 im Mohlberg-Verlag erschienen.
ISBN: 978-3-945416-60-0
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-68984-144-7
e613 vom 15.12.2024
Vorwort
Was zuletzt geschah
Auftakt auf dem Mars
Drei Monate zuvor auf Sodor
Ein besonderes Angebot
Gegenwart
Die Angriffe
Das Mahnmal
Auf der Erde
Sodors Vergeltung
Zwischenspiel in Sacramento
Auf dem Schiff der Sodoraner
Michael Edelbrock
Oliver Müller
Mit diesem Band gab Michael Edelbrock bei Ad Astra seinen furiosen Einstand, sein Freund Oliver Müller setzte die Geschichte fort, diesmal haben es Chet und Co. erneut mit alten Feinden zu tun. Mir als Exposé-Autor hat es viel Spaß gemacht, zu lesen, wie Michael und Oliver meine Idee umsetzten, wieder echte Bösewichte auftreten zu lassen. Und ich hoffe, euch macht es ebenfalls Spaß beim Lesen.
Ad Astra Thomas T. C. Franke
Die Situation auf Aarknar, dem Heimatplaneten der Geierköpfe, spitzte sich zu. Während die Krieger weiter versuchten, die Aurora zu jagen, sich zugleich auf einen neuen Krieg gegen die Menschen vorbereiteten, wollte die Untergrundbewegung der Hüterinnen dies unbedingt verhindern, angesichts der katastrophalen Umweltzerstörungen auf dem Planeten. Um dies zu erreichen, brauchten sie die Kontrolle über die große Raumstation über dem Planeten, die zugleich Sitz des Oberkommandos der verbliebenen Raumschiffe ist. Die Menschen unterstützten den Angriff, Dreh- und Angelpunkt war das Schiff Malivia, es wurde zur Untersuchung in den Hangar der Raumstation gebracht. Der neuartige Antrieb hatte eine besondere Nebenwirkung, der Malivia-Effekt, den Chet Morrow von außen in Gang setzen konnte. Dadurch funktionierte fast nichts mehr auf der Station, wegen einer Blase verzerrter Raumzeit, denn dafür wurde die Energieversorgung der Station angezapft. Das Chaos nutzten Chet Morrow und eine fast 50-köpfige Truppe zur Attacke.
Der Angriff gelang, die Krieger konnten mit auf Betäubung eingestellten Nadlern ausgeschaltet werden, damit fiel die Station in der Hand der Menschen und der Hüterinnen. Und damit die Krieger keine neuen Attacken mehr unternehmen können, nahmen die Menschen lebende „Pfänder“, nach Sitte der Geierköpfe. Zur Sicherheit verblieb auch ein Kontingent Rauminfanteristen an Bord, dann brach die Aurora mit Dutzenden junger Geierköpfe zur Rückreise auf. Auf der Rückreise machte die Aurora Station im Orbit über Neu-Rom, Chet Morrow nutzte die Chance, vorab per Transmitter in die Heimat zurückzukehren, zusammen mit seinem alten Kumpel Tom Atkins.
Chet Morrow verließ den Transmitter und schüttelte das ungute Gefühl ab. Vollständige Auflösung, komplette Rematerialisierung – wem konnten solche Gedanken schon behagen? Erst recht nachdem er vor Jahren gesehen hatte, wie Letta Huo in der Endlosschleife gefangen war, wie sie immer wieder und wieder transmittierte, sich auflöste, wieder zurückgekommen war. Die Halle um Chet war groß und mit kaltem Licht gefüllt, die Luft roch chemisch rein. Man filterte und analysierte sie, denn die Menschen auf dem Mars konnten es sich nicht leisten, Sporen hereinzulassen. Die Wachmannschaft senkte ihre scharfen Waffen. Seit die Menschen mit dem Passepartout von Teddys Clan einen Transmitter der Großen gekapert hatten, fürchtete sie, dasselbe könne auch bei den eigenen Geräten passieren. Tom stieß einen Pfiff aus. „Was für ein Empfangskomitee“, sagte er, es klang sarkastisch.
„Nämlich gar keins?“, fragte Chet in gleichem Ton.
„Ach, was hast du gegen waffenstarrende Soldaten? Du warst doch die ganze Zeit von welchen umgeben! Immerhin haben diese hier die richtige Größe!“ Tom lachte nach seiner Anspielung auf Dakota Smith und ihr Team aus kleinwüchsigen Agenten. Sie hatten sich als zu harte Nuss für die gewaltigen Raptoren von Aarknar erwiesen. Doch das lag jetzt hinter den beiden. Vor zwei Monaten hatten sie das System der Geierköpfe verlassen. Die Aurora war noch unterwegs, derzeit kreiste sie im Orbit über Neu-Rom.
Phil Dickens, der Captain der Aurora, hatte wegen der Gäste an Bord einige Abstecher in Kauf genommen. Gäste war in diesem Fall ein anderer Name für Geiseln, oder Pfänder: Junge Geierköpfe, der Nachwuchs von wichtigen Kriegern. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die Krieger an die Vereinbarungen mit den Menschen hielten. Chet und Co. hatten die große Raumstation über Aarknar im Handstreich genommen, mit Hilfe der Hüterinnen. Diese weiblichen Geierköpfe hatten den Aufstand gewagt gegen das bisherige Regime. Um damit die Kriege ihres Volkes zu beenden.
Jetzt war die Raumstation, dazu die verbliebene Flotte der Geierköpfe, in der Hand der Hüterinnen und ihrer Verbündeten. Und um zu verhindern, dass es zum Gegenputsch kam, hatten die Krieger Geiseln gestellt, ihren eigenen Nachwuchs.
Chet Morrow war es anfangs nicht recht gewesen. Aber Irikarr, die oberste Hüterin und designierte Anführerin ihres Volkes, wie auch Lo-Ran, bisheriger Oberkommandierender der Krieger, sowie Bert Wunn als Geheimdienstchef der Erde, hatten Chet überredet, darauf einzugehen. Lo-Ran war selbst mit gutem Beispiel vorangegangen, eine seiner Töchter war mit an Bord der Aurora. Bisher war es Chet noch nicht gelungen, die UNO davon zu überzeugen, die Geierköpfe auf die Erde oder den Mars zu lassen.
Aber das schaffen wir auch noch. Wir können sie schließlich nicht die ganze Zeit im Schiff lassen. Eines nach dem anderen.
Chet und Tom waren vorausgereist. Sie wollten entspannen und die interstellaren Konflikte und Revolutionen für einen Moment vergessen. Immerhin war es der Abend des 31. Dezember. Und auf Erde und Mars feierte man so etwas, den Großen, den Jägern, den Makis und allen anderen zum Trotz. Die Soldaten salutierten und ließen sie passieren, jemand kam vom Ende der Halle auf sie zu. „Oh“, sagte Tom mit einem anzüglichen Grinsen, „da wird zumindest einer von uns persönlich abgeholt.“
Chet erkannte Megan Riordan, die ihn in seinem Kommando auf der Horizont beerbt hatte. Die schlanke, dunkelhaarige Frau war sehr attraktiv. Chet entging Toms Unterton nicht und er sah seinen feixenden Kumpel an. „Hör bloß auf, die Geschichte ist nun wirklich alt. Ich bin ein verheirateter Mann! Wird das nicht bei euch beiden auch mal Zeit?“
Tom stellte sein Grinsen sofort ein und dachte an seine Alexandra Sandy Lyle.
Megan Riordan salutierte übertrieben ernst, als sie sie erreichte. „Commodore“, sagte sie zu Chet, der lässig zurückgrüßte.
„Commander.“
Eine Sekunde herrschte Schweigen, dann konnte Megan das Grinsen nicht mehr zurückhalten und der gespielte Ernst fiel von ihr ab. „Willkommen auf dem Mars, ihr Rumtreiber.“
„Nana“, wehrte Tom sich, „wieso Rumtreiber? Wir haben einem unterdrückten Volk geholfen!“
Megan sah ihn spöttisch an. „Natürlich, der große starke Tom Atkins. Da wird Sandy sich ja freuen!“
Tom kniff die Augen zusammen. Megan und Sandy waren gute Freundinnen seit ihrer gemeinsamen Zeit bei den Amazonen. Er musste also aufpassen, was er sagte. Seine Freundin würde es in jedem Fall erfahren.
„Ihr habt das mit den Geierköpfen interessant geregelt“, fuhr Megan fort.
Chet wiegelte ab. „Die haben da schon ganz gut selbst mitgemischt. Aber wir sagen jetzt übrigens Jäger. Naja, meistens. Immerhin sind wir jetzt so was wie Verbündete. Und Geierköpfe klingt nicht sehr schmeichelhaft. Wir haben auch ein paar nette Exemplare mitgebracht. Du wirst staunen, die Kleinen sind wirklich allerliebst.“
„Chet“, seufzte Tom, „wie immer korrekt.“ Bei seinem Freund konnte er sich diesen Ton erlauben. Der lenkte aber ab. „Wir hatten hier noch jemand anderen erwartet, Megan.“
„Ich weiß. Ihr hattet Pekka Pavonen vorausgeschickt.“
„Ja, äh, er sollte etwas für uns … organisieren.“
„Ja“, sagte Megan grinsend, die beiden begannen, sich ertappt zu fühlen. „Er sollte für euch eine große Party klarmachen. Weil doch Silvester ist und ihr mal wieder zusammen auf einem Planeten und nicht irgendwo unterwegs seid.“
Sie waren ertappt und man sah es ihren Gesichtern an.
„Aber Pekka hat noch eine kleine Mission für mich zu erledigen.“
„Wo ist er denn?“, wollte Tom wissen.
„Auf der Erde.“
„Jetzt schon? Aber er war doch …“ Dann unterbrach Chet sich. Es gab ja zwischen Mars und Erde eine Transmitterstrecke, die die Entfernung auf Sekundenbruchteile zusammenschrumpfen ließ.
„Keine Angst“, sagte die große Frau und ihre braunen Augen blitzten spöttisch. „Er holt nur eine Überraschung ab und ist schnell wieder da. Pekka brauchte sich auch gar nicht um irgendetwas zu kümmern. Silvester kam nicht sonderlich überraschend, wisst ihr? Also ist ohnehin etwas vorbereitet. Wir sind eingeladen.“
„Wer ist ‚wir‘?“, fragte Chet.
„Die Besatzungen der Schiffe, also die baldige … Raum-Marine, ich denke, es wird offiziell e Space Navy heißen.“ Der Name ging ihr noch nicht leicht über die Lippen. Die UNO hatte beschlossen, das Flottenkommando ab dem neuen Jahr eigenständig zu machen. Das hatte beinhaltet, die Dienstgrade der nassen Marine zu übernehmen. Dementsprechend würde Pekka Pavonen in ein paar Stunden nicht zum Hauptmann befördert werden, sondern er würde an Bord ihres Schiffes künftig als Lieutenant-Commander angesprochen werden.
„Und wo geht es hin?“, hakte Tom nach.
„Zu den Infanteristen“, sagte sie leichthin. Chet und Tom sahen sich überrascht an.
„Moment“, sagte der Commodore übertrieben besorgt, „du meinst …“
„Ja! Ich hoffe, ihr habt ein paar Kopfschmerztabletten dabei! Onkel Tolja geht`s jedenfalls wieder gut.“
Letzteres klang fast wie eine Drohung.
* * *
„Chet, Towarischtsch!“, rief General Anatoli Nikolajewitsch Anduri, genannt Onkel Tolja, quer durch die vollgedrängte Kantine an Bord der Aurora. Die Leute machten Chet bereitwillig Platz. Die Begrüßung mit Onkel Tolja fiel gewohnt herzlich aus, auch wenn sie quer über einen vollbesetzten Tisch erfolgen musste. „Chet, wir haben schon ein paar alte Zeiten hochleben lassen. Ich habe schon ein bisschen von der Schlacht um die Station der Geierköpfe erzählt.“
Er klopfte vorsichtig auf den Tisch. „Von unseren Wunden. Unserem Sieg. Und unserem Abkommen.“
Chet lächelte. „Tja, mannsgroße Raptoren, ein Staatsstreich, eine Revolution der Hüterinnen. Und eine eroberte Station. Wie geht es dir übrigens?“
Onkel Tolja war bei seinem definitiv letzten aktiven Einsatz einmal mehr verletzt worden. Jetzt war klar, dass er endgültig abtreten würde, in den Unruhestand, die Regierung setzte viel Wert auf seine Meinung als Berater.
„Ach, mein Freund. Es zwickt noch ein bisschen. Ich werde alt.“, meinte der General, grinste jetzt. Onkel Toljas Bart wies inzwischen – wie sein schütteres Haupt – kein dunkles Haar mehr auf. Durchgängig grau schimmerte es. Und die Runzeln um die Augen fielen Chet jetzt richtig auf. Aber die Stimme ... Onkel Tolja klang immer noch wie ein übermütiger, junger Mann, der andere mitreißen und begeistern konnte. Und der vor allem verdammt gerne feierte.
An anderer Stelle wurde laut gejohlt. Jerry Jensen rief etwas dazwischen. „Onkel Tolja, erzähl doch die Geschichte von der Schlacht gegen die Römer.“
„Nein“, wiegelte der Alte ab, „nicht immer die, eine römische Schlacht und kaum ein Verletzter. Langweilig!“ Dass er selbst bei der letzten Unternehmung verletzt worden war, er ließ es einmal mehr elegant unter den Tisch fallen. Sergej Novikow rief vom anderen Ende des Tisches herüber. „Kein Verletzter damals! Das musst du mal den Neuen in Neu-Rom beibringen!“
„Denen bringe ich gar nichts mehr bei“, meint Tolja und lachte kurz. „Das muss Giorgio Thoeni jetzt machen.“
„Wenn Svetlana ihn lässt“, rief jemand. Chet glaubte, dass es Michail Markow war.
„Sei froh, dass sie noch nicht durch den Transmitter zurück ist. Die würde dir was zu dem Spruch erzählen!“, rief jemand.
„Wohl nicht nur erzählen“, tönte Onkel Tolja, alle lachten. Chet war immer weiter gedrängt worden, bis er den Tisch umrundet hatte und sich neben den General setzen konnte.
„Tja“, sagte dieser. „Ich bin schon altes Eisen. Die Neuen können von mir noch alte Geschichten hören. Aber ausbilden müssen sie schon andere. Nitsche wo, macht nichts! Ach, da ist Dima. Hier sind wir! Jetzt warten wir nur noch auf eines!“
Dima Jaschin war eingetroffen. Der Infanterist hatte sich vom jungen Soldaten über den Posten als Gruppenführer bis zum Nachfolger des Generals entwickelt, war ab jetzt Chef aller Infanteristen. Zuletzt hatte er fast zwei Monate auf der Raumstation über Aarknar verbracht, die Zeit, die die Aurora zur Rückkehr gebraucht hatte. Dima hatte die Chance genutzt, vor ihnen zurückzukehren.
Der deutlich ergraute Mann wurde von allen Seiten respektvoll begrüßt, mit ihm waren Ruud Goosen, Shitty Schmitt, sowie Aki Kawabata, die stille Japanerin, gekommen, letztere kam direkt von Neu-Rom. Extra für diesen Abend hatte sich die Japanerin frei gemacht, an ihrer Seite kam die junge Römerin Lucrezia LuckyLuc, Tochter des Offiziers Tiberius Cornelius. Auch wenn die Römerin viele Sitten der modernen Terraner übernommen hatte, als Dyna-Pilotin selbst in den Streitkräften diente, viele Menschen begegneten ihr immer noch mit Staunen, nicht zuletzt ihr eigenes Volk. Aber nun hatte der Senat von Neu-Rom extra sie angefordert für eine besondere Mission im Sonnensystem von Alpha Centauri. Chet hatte etwas von einer Suche oder Bergung gehört. Aber derartige Einzelheiten interessierten an diesem besonderen Abend niemanden im Raum.
Die Frauen wurden von Onkel Tolja natürlich mit Küsschen links und rechts begrüßt. Es trafen auch immer mehr Mitglieder der baldigen Space Navy ein. Wo die große Kantine vorher voll gewesen war, platzte sie jetzt fast aus allen Nähten.
„Dima“, rief Tolja durch den Lärm der Gespräche und des Gelächters, „wo hast du denn deine erstaunliche Pilotin gelassen?“
Tatsächlich wurde der erfahrene Infanterist eine Spur rot, als er an seine Anna-Maria Cruz dachte. „Sie kümmert sich noch um den TOS Malivia.“
Damit war sie rund vier Lichtjahre entfernt, denn die Malivia war angedockt an der Aurora. Chet sah, dass die Stimmung des Generals bei der Erwähnung dieses Namens deutlich sank. Der TOS war nach der verstorbenen Amazone Malivia E. Washington benannt worden, einer Freundin von Sandy und Megan. Mit Hilfe dieses kleinen Schiffes, vor allem dank des neuartigen Antriebs, designt von Sir Hektor, war es gelungen, die Stationsbesatzung über Aarknar zu überraschen. Chet sah, dass auch die Amazonen bei dem laut ausgesprochenen Namen einen Moment lang düstere Mienen zeigten. Zur Ablenkung fragte er: „Was fehlt denn noch, Onkel Tolja? Du sagtest, wir warten nur noch auf eines.“
In dem Moment ging ein lauter Ruf durch die Menge. Andrej Gorschkow kam mit einer schweren Kiste, die er vor der Brust trug, an den Tisch. Als er sie abstellte, konnte Onkel Tolja das Grinsen nicht mehr unterdrücken, er holte zwei Flaschen heraus, dann rief jemand „Wodka!“
„Jetzt, Towarischtsch, ist alles da für die Silvesterfeier!“, sagte Onkel Tolja und lachte wieder laut.
* * *
Die Infanteristen kannten wenig Zurückhaltung, die künftigen Navy-Angehörigen wollte ihnen in nichts nachstehen. Jeder Neuankömmling wurde lautstark begrüßt, selbst Zizou, der kleine Franzose mit den zahlreichen Tattoos, der nach seinem wenig ruhmreichen ersten Einsatz wieder in Gnaden aufgenommen worden war, oder Xabi, der kleine Baske, der jetzt zum Piloten ausgebildet wurde. Noch später kam ein abgehetzt wirkender Pekka Pavonen hinzu und erstattete Megan Riordan kurz Bericht.
Das Paket, sagte er, befände sich jetzt im Hangar der Horizont. Alle Blicke am Tisch richteten sich auf den Finnen, dann schwenkten sie zu Megan, die schaffte es nur wenige Sekunden, die Blicke zu ignorieren. Dann zuckte sie mit den Schultern, zog eine Schnute.
„Na schön. Es sollte eigentlich eine Überraschung werden zum neuen Jahr. Wir haben jetzt einen neuen Dyna an Bord. Mit Sir Hektors neuem Antrieb ...“
Jubel brandete auf. Leutnant Philipp Pyke, IT-Offizier der Horizont und immer noch begeisterter Forscher des Datenspeichers des Wissenssammlers, rückte etwas näher. „Auf Basis des Gravoreglers? Also mit dieser Blase ...“
„Ja“, übernahm nun Pekka Pavonen das Gespräch mit einem leicht gequälten Lächeln. „Er hat mir eine Stunde erklärt, wie er funktioniert. Irgendetwas von einem lokalen Referenzrahmen in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Und dann war noch etwas wie Warp-Antrieb. Hat etwas mit einem Typen namens Alcubierre zu tun. Und mit Star Trek ...“
Die fragenden Blicke blieben unverändert an ihm haften. Pekka rieb kurz über seine kurzen Haarstoppel. „Also, es hat etwas damit zu tun, dass man ein Energiefeld um das Raumschiff erschafft, die Feldlinien verzerrt. Fragt mich nicht, wie es genau geht! Man erschafft um das Schiff eine Blase, die aus dem dreidimensionalen Universum herausragt.“
Die Menge war beeindruckt. Klar, dass nur ein Genie wie Sir Hektor Rivas so etwas erschaffen konnte. Wer die Gravitation besiegte, konnte auch so etwas erfinden.
„Der Mann bringt uns vorwärts. Nicht auszudenken, wenn ihm etwas geschehen würde“, sagte Tom, dessen Gedanken in eine ganz ähnliche Richtung wie Chets gingen.
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, sagte Philipp Pyke nachdenklich. „Hat er vielleicht von einer Warp-Blase gesprochen?“
„Ja!“, bestätigte Pekka, froh, dass jemand anders ihm bei der Erklärung helfen konnte.
„Dann ist das ein recht altes Konzept, noch aus dem 20. Jahrhundert, lange bevor die Menschen regelmäßig ins All geflogen sind. Alcubierre hat die mathematischen Grundlagen dafür gelegt.“
„Der Name fiel auch“, stimmte Pekka zu. „Aber möglich wurde das Ganze wohl erst, als Sir Hektor der Gravitation die Fesseln angelegt hat.“
„Wie poetisch, Oberleutnant Pavonen“, prustete Onkel Tolja, „muss an dem guten Getränk liegen! Wie auch immer, es funktioniert. Das haben wir ja gesehen.“
Er hob sein Wasserglas, die wievielte Füllung er sich gerade genehmigte, war Chet unklar. Er hörte den Gesprächen nicht mehr zu. Der Wodka stieg ihm nun richtig zu Kopf und er vermisste seine Linda. Tom zeigte sich wie immer als guter Freund, erkannte die Lage. „Na, denkst du an deine Frau?“
Chet sah auf. „...türlich. Sie ist noch für Wunn im Einsatz.“
Geheimdienstchef Bert Wunn war beschäftigt, die Interessen der Menschheit auf ihren eigenen und fremden Planeten zu vertreten, dafür setzte er auch auf seinen Freund und Vorgänger Simon Weißkamm, der gerade als besonderer Botschafter auf Neu-Rom weilte. Chet griff sich eine Bierflasche, trank einen großen Schluck.
Ist zwar auch Alkohol, aber doch mit deutlich weniger Umdrehungen.
Er schaffte es, nicht zu kichern, setzte die Flasche wieder ab. „Denkst du nicht an Sandy?“, fragte er Tom und kam wieder auf das Thema zurück.
„Doch. Aber wir können nicht alle mit unseren Freundinnen und Frauen in den Einsatz gehen wie Dima.“
Chet erkannte, wie erwachsen Tom inzwischen geworden war. Laut sagte er aber etwas anderes: „Dafür müssen wir uns auch nicht so viele Sorgen um sie machen. Anna hat ihren Beinamen Adrenalin nicht umsonst erhalten.“ Wenn er an all die Stunts dachte, die diese Frau schon gedreht hatte, mit einem Dyna unter dem Hintern oder ohne!
„Ach, Anna passt schon auf sich auf. Und auf Dima mit.“
Chet musste wieder grinsen. So konnte der Abend weitergehen.
* * *
Am nächsten Morgen war der Hangar der Horizont voller Leben, auch wenn manches davon noch verkatert und etwas langsam auf den Beinen war. Techniker wuselten um Dyna New 1 herum, der in seiner grauen Beschichtung aussah wie ein besonders kantiger Meteorit. In einiger Entfernung war die alte Antiope auf dem Boden verankert, vielfach repariert und mit einer enormen Anzahl von Flügen und Kampfeinsätzen auf dem sprichwörtlichen Buckel. Rein äußerlich unterschieden die beiden Modelle sich nur wenig. Die Antiope war etwa zwei Meter breiter und länger als ihr ausrangiertes Vorgängermodell gewesen, den Trend hatte man beibehalten. Dyna New 1 war noch eine Spur breiter, dafür flacher, was den Atmosphärenflug etwas leichter machen sollte. Ansonsten war der Hangar leer. Die Navy hatte nur noch sehr wenige flugbereite Dynas im Einsatz, so wenige, dass sie für den Einsatz auf Aarknar sogar die noch älteren TOS aus dem Ruhestand reaktiviert hatte. Die Fertigungsstraße beim Flughafen Brasilia war die große Hoffnung auf einen steten Strom neuer Technik, zumal die Zulieferung vom Werk in Mexiko inzwischen reibungslos klappte. Pekka Pavonen nickte zufrieden bei der Betrachtung des Fluggeräts. Er wusste, dass die Technik unter der Haube viel wichtiger war als Äußerlichkeiten. Allein die Gerüchte um den Warpblasen-Antrieb hatten dafür gesorgt, dass ein beträchtlicher Teil der Mannschaft sich wie zufällig hier eingefunden hatte. Die Dyna-Piloten aus seiner eigenen Abteilung waren jedenfalls vollständig angetreten, sogar Dr. Wesley Batton, der amtierende Bordarzt, war anwesend. Er vertrat Johnny Marooney, seine Dienste würden sie hoffentlich während des Testflugs nicht benötigen. Und Pater John Wilcox war gekommen, der schon mehr Einsätze aus der Ferne erlebt hatte als Captain Megan Riordan. Ihn brauchten sie hoffentlich noch viel weniger als den Doktor.
Die Menschenmenge hatte schließlich auch Gaius Longinus angezogen, den Sicherheitschef. Der Römer hatte sie alle damals schwer beeindruckt, als er seinem alten Leben als Gladiator nahe Neu-Rom den Rücken gekehrt und auf der Horizontangeheuert hatte, die Liebe zu Bea Corten hatte ihn dazu gebracht.
„Pekka“, grüßte der ehemalige Gladiator ihn mit seiner tiefen Stimme und kam näher, der nickte zurück. „Wichtiger Flug heute. Vielleicht leiten wir ein neues Zeitalter ein.“
„Die Horizont hat doch auch ein Hypertriebwerk, dies hat man mir erklärt.“
Pekka lächelte gequält. „Es ist aber viel zu groß für einen Dyna und außerdem ein bisschen veraltet.“
„Ah so, mir wäre jedenfalls wohler, wenn das Ding etwas besser getestet wäre, bevor wir es hier starten.“
Pekka schaute erstaunt. „Wir haben schon ein paar Sprünge mit dem TOS ohne Probleme geschafft. Und wo sollen wir es ansonsten richtig testen, wenn nicht hier? Keine Angst, es wird uns schon nicht den Hangar rausreißen.“
Der Sicherheitschef zuckte zusammen und seine grünen Augen verengten sich noch mehr. Pekka bereute seinen Spruch schon. „Dieser Hangar“, sagte Gaius düster, „der hat eine üble Geschichte. Dieser religiöse Fanatiker hat Cayden hier töten wollen.“
Pekka nickte betreten, er wusste um die tiefe Freundschaft zwischen dem Römer und dem Halbsodoraner. „Und Chet hat er beinahe gleich mit erwischt.“ Er sah hinüber zum Hangartor. Man sah die Zeichen der Explosion nicht mehr, es war schon vor langer Zeit vollständig ersetzt worden.
„Wir überwinden diese alten Vorurteile, Gaius. Wenn wir sogar mit Dynas schneller als das Licht fliegen können, werden wir auch diese Trennung überwinden.“
Gaius seufzte. „Zunächst einmal habe ich hier 200 Mann Besatzung an Bord, deren Sicherheit ich garantierten soll. Bis später!“ Der Sicherheitschef hatte einen Freund weiter hinten entdeckt und schlenderte zu ihm hinüber. „Hallo Cayden, warum so zurückhaltend im Hintergrund? Willst du nicht zugeben, dass du auch neugierig bist?“
Der Halbsodoraner sah ihn ausdruckslos an, Gaius lächelte den gedrungenen Mann an. „Tu nicht so, dafür kenne ich dich zu gut. Außerdem gehörst du zur Mannschaft wie alle anderen auch.“
Wie immer versuchte Gaius, Cayden aus dem Abseits hervorzulocken. Der Freund hatte sich schon erstaunlich geöffnet, insbesondere nach der langen Aussprache mit Linda Moham. Davon hatte der Sicherheitschef allerdings nur gerüchteweise gehört. Linda selbst hatte nur ein wenig angedeutet und war plötzlich viel milder zu Cayden, als gäbe es da ein neues Verständnis zwischen den beiden. Gaius kannte selbst ein paar Brocken aus der Vergangenheit des Halbsodoraners. Vielleicht sogar ein paar mehr, als ihm lieb war. Doch der Großteil von dessen Vergangenheit war im Dunkeln geblieben.
Tatsächlich wurde Caydens Blick jetzt etwas sanfter. „Keine Sorge, ich fühle mich hier nicht als Fremder. Ich bin einer der wenigen Halbsodoraner, die bei den Menschen angekommen sind.“
Gaius sah ihn tadelnd an. „Und sogar das lässt du schon wieder düster klingen. Warum nur einer von wenigen? Es werden immer mehr.“
„Ja, aber nur langsam. Das Misstrauen ist noch groß.“
„Ach, welches Misstrauen? Wenn altgediente Gladiatoren hier Sicherheitschefs werden können, dann können auch Halbsodoraner diesen Abgrund überwinden. Außerdem hat der Commodore dich persönlich angeworben und wollte dich an Bord haben!“
Cayden nickte. Zwischen ihm und Chet bestand eine besondere Verbindung. Sie hatten ihr Wesen und ihre Gedanken miteinander geteilt. Chet kannte seine Vergangenheit und hatte sie sogar im Geiste mit ihm durchleiden müssen. Er schuldete Chet etwas dafür.
Ich schulde ihm Freundschaft, aber war das genug?
„Gaius, wo sind denn die Sodoraner auf den Stützpunkten? Auf den Schiffen? Bei der UNO? Bei den Infanteristen?“
Gaius winkte ab. „Ist ja gut. Du darfst nicht gleich alles erwarten.“
„Alles erwarten? Es gibt Römer bei der Space Navy und sie machen sich gut. Die Infanteristen werden sogar nahe Neu-Rom ausgebildet und nehmen Römer auf. Ihr seid halt auch Menschen. Wir sind keine Menschen, zumindest nicht vollständig. Das macht euch misstrauisch.“
„Mich nicht!“, sagte der ehemalige Gladiator inbrünstig.
„Vielleicht nicht mir gegenüber. Dafür bin ich dir und Bea und Chet und Linda sehr dankbar. Aber die Sodoraner verbindet eine lange Geschichte mit den Menschen.“
Seine Gedanken glitten ab zu seinem Großvater und Vater, die von Sodor geflohen waren. Sie hatten die Reise an Bord eines Generationenschiffes gewagt und ihr Leben in einer kleinen Enklave auf der Erde verbracht, während Sodor immer weiter in den Abgrund geschlittert war. Es hatte schon vor ihrem Aufbruch ein Verbot des Schrifttums gegeben. Bücher waren verbrannt worden, damit sich neue Ideen, vor allem die von einer Freundschaft mit anderen, nicht verbreiteten. Die legitimen Regierungsorgane der Altvorderen, wie der Rat der Ältesten, der Regierungspräsident und die Minister, waren längst durch einen obersten Herrscher ersetzt worden. Dieser war der beste Krieger, aber gute Krieger waren nicht automatisch gute Herrscher.
„Ich weiß“, sagte Gaius nachdenklich, „es gibt da eine düstere Geschichte zwischen Menschen und Sodoranern. Aber die gilt doch nicht mehr für diejenigen, die hier aufgewachsen sind. Die müssen die Geschichte doch auch mal hinter sich lassen. Ihr seid uns Menschen ähnlicher als den Sodoranern auf Sodor. Sieh uns Römer an! Das ist doch die Hoffnung unseres Zusammenlebens, dass wir die Geschichte hinter uns lassen. Deshalb hältst du doch meinen kleinen Marcus in den Armen und lächelst zurück, wenn er lächelt.“
Cayden konnte jetzt tatsächlich ein Lächeln nicht unterdrücken. „Der Kleine hält euch ganz gut beschäftigt, nicht wahr?“
„Das machen Kinder in dem Alter nun mal. Wie geht es Emrys?“
Cayden hielt das Lächeln mühsam aufrecht. „Es geht ihm gut. Er und Vanora sind glücklich in Neu-Rom. Auch weil sie dort geholfen haben und akzeptiert sind.“
Er dachte zurück an die schrecklichen Ereignisse, als Emrys die Kinder der Senatoren vor den Pradus gerettet hatte. Erst ab diesem Zeitpunkt hatten die Sodoraner dort eine Zukunft gehabt.
„Es wird auch hier eine Gelegenheit für eine solche Hilfe geben“, sagte Gaius, der die Geschichte aus Erzählungen kannte.
Cayden fiel es immer noch schwer, das Lächeln aufrecht zu halten. Er liebte Emrys, aber das Kind musste ihm einfach unheimlich sein. Es hatte die geistigen Kräfte von seinen leiblichen Eltern Vanora und Ywainio geerbt. Sodors Erbe war stark in dem Kind. Es würde es schwer haben unter den Menschen. Selbst Cayden lehnte inzwischen instinktiv alles ab, was zu sehr von Sodor geprägt war. So wie sein Geschenk an Chet: Das Heldenmesser von Randal Nascone, Vanoras Vater. Cayden hatte es seinem Freund aus echter Dankbarkeit geschenkt, ein symbolisches Band zwischen Menschen und Sodoranern. Es hatte einen schier unvorstellbaren kulturellen und auch ideellen Wert, den Chet vermutlich gar nicht zu würdigen wusste.
Cayden hatte es auch deshalb verschenkt, weil er es selbst niemals würde tragen können. Er wollte es nicht einmal besitzen. Es war der Inbegriff Sodors: eine Waffe, die eine geistige Verbindung mit ihrem Träger einging. Eine Mordwaffe, beseelt von einem uralten Instinkt.
„Das da“, sagte der römische Freund plötzlich mitten in seine Gedankengänge hinein, „das da wird neue Tore öffnen. Aber soll ich dir was sagen? Ich habe ein bisschen Angst davor.“
Cayden sah ihn überrascht an. „Bei dir erstaunt mich das. Ich dachte, ich sei der Schwarzseher von uns beiden.“
„Das hat nichts mit Schwarzseherei zu tun“, sagte Gaius heftig. „Die Ankunft der Menschen in Alpha Centauri, das hat so viele Dinge durcheinandergewirbelt. Das war für uns Römer nicht leicht.“
„Das glaube ich gerne“, sagte Cayden. „Aber so hast du Bea kennengelernt und ohne diese Ankunft gäbe es deine Kinder nicht.“
„Deshalb ist das ja auch keine Schwarzseherei! Ich sage ja nur, dass es nicht einfach ist. Ich habe in meinem Leben einen Entwicklungssprung nachvollziehen müssen, für den die irdischen Menschen 2000 Jahre Zeit hatten. Hier ist alles anders. Unsere Götter sind nichts weiter als Planeten, auf denen die Menschen bereits leben. Wir fliegen zu den Sternen!“ Er seufzte ergeben. „Beim Mars, selbst unsere Frauen werden Krieger und geben Widerworte.“
Cayden lächelte jetzt doch wieder. „Du würdest es nicht anders wollen.“
„Nein“, seufzte Gaius. „Die Menschen der Erde scheinen viele Tore aufgestoßen zu haben und ich glaube, dass das wirklich gut ist.“
Cayden blickte nachdenklich zu Dyna New 1 und der Traube von Menschen, die neugierig drumherum stand.
„Sie werden irgendwann ein Tor aufstoßen und etwas dahinter finden, mit dem sie nicht mehr fertig werden.“
Zu seiner Überraschung lachte Gaius jetzt. „Pah, das sagst du nur, damit ich dir nicht den Rang als Schwarzseher ablaufe!“
* * *
Die Kommandantin betrat den Hangar. Wie Pekka hatte Megan Riordan bereits ihren silberfarbenen Grummand mit dem roten Streifen angezogen und bewegte sich eine Spur schwerfälliger. Die Standard-Raumanzüge waren immer noch erstaunlich leicht, wenn man bedachte, was sie aushielten. Aber mit ihren dutzenden Mikrolagen, der Elektronik und Sensorik mussten sie zwangsläufig unhandlicher sein als eine einfache Bordkombination.
„Kapitän“, salutierte Pavonen. Megan Riordan hob die rechte Hand an die Stirn, es wirkte lässig. Die langen braunen Haare hatte sie in einen Pferdeschwanz gezähmt. Um die Nase war sie immer noch etwas blass und die Kopfschmerztabletten, die sie Tom und Chet gestern empfohlen hatte, hatte sie heute Morgen selbst gebraucht.
Henry Schneider vom Wissenschaftsteam trat zu ihnen und Nikki Singer, die schon ihre Kadettenzeit auf der Horizont verbracht hatte.
„Also, Pekka“, begann Megan, „was haben Sie uns da schönes geholt?“
„Kapitän, darf ich vorstellen: Der erste neue Dyna vom Flughafen Brasilia. Mit den besten Grüßen vom Oberkommando und außerdem einer kleinen Dreingabe von Sir Hektor.“
„Den Warp-Antrieb“, nickte Megan. „Sind Sie darauf eingewiesen?“
„Ja. Ich habe schon ein paar Hüpfer damit gemacht. Auf dem Rückflug.“
„Dann übernehmen Sie das Steuer, Lieutenant-Commander.“
„Äh, Captain“, schaltete sich der Wissenschaftler ein und nestelte nervös an seinem Kinnbart herum, als alle sich zu ihm umwandten. Er hatte schon an der Entwicklung des ersten Gravoreglers mitgewirkt, war dann aber nicht mit Sir Hektor in dessen Denkfabrik nach Brasilien gegangen.
„Ich wollte nur noch darauf hinweisen, dass das Energieproblem ... nicht ganz gelöst ist. Der Antrieb kann nur für Sekunden online gehen. Aber das ist ja schon ein Fortschritt.“
Der skeptische Blick Megans ließ den Mann schrumpfen. „Das reicht immer noch für allerlei Verrücktes“, beeilte er sich zu versichern. „Sie können zum einen die Masse des Dynas und seiner Besatzung aufheben, also außergewöhnliche Beschleunigungs- und Bremswerte erreichen. Zum anderen können Sie die Warp-Blase nutzen. Sie hebt alle Regeln des Einstein-Raums auf und nimmt Sie und die engste Umgebung mit auf die Reise.“
Megan war wieder versöhnt. „Das würde ich später gerne mal mit einem größeren Schiff wie der Horizont machen. Unser Hypertriebwerk kommt doch langsam in die Jahre.“
Henry Schneider zupfte an seinem Bart. „Sobald wir das Energieproblem für so große Massen gelöst haben. Schon beim Dyna benötigen wir lange Erholungszeiten von einer bis zu mehreren Minuten. Für größere Schiffe könnte man vielleicht speziell umgebaute Tokamaks der Makis nutzen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.“
Megan lächelte. „Wie das, was wir hier gleich tun werden.“
Sie wandte sich an alle. „Hangar räumen, wir bereiten den Start vor!“
Während sich die Menge in eilige Bewegung versetzte, rief sie über ihren Earplug die Vid-Abteilung der Horizont. „Mister Galvert, alle Sensorik auf Dyna New 1. Alles einleiten zum Ausschleusen.“
Der Leiter der Vid-Abteilung bestätigte.
„Mister Kayake“, rief Megan den Piloten der Horizont, „alles klar, um uns im Notfall aufzulesen!“
„Wie immer, Captain“, bestätigte der korrekte Japaner, ohne auf den flapsigen Spruch einzugehen. „Hals- und Beinbruch!“
„Danke!“
Die kleine Crew aus Pekka Pavonen, Megan Riordan und Nikki Singer betrat den Dyna und nahm ihre Plätze ein. Pekka als Pilot, Megan als Co und Nikki auf dem Platz des Bordingenieurs, den hatte die Technikabteilung extra für diesen Testflug mit zusätzlicher Sensorik ausgestattet. Die Technik-Crew leitete die Ausschleusung ein, als der Hangar geräumt war. Kurz danach waren sie schon im freien Raum, in ausreichendem Abstand zum Mars. „Ich wünschte, Barny Owl wäre hier“, sagte Pekka leise, „er hat verdient, das hier zu erleben.“
„Dem geht es auf der Aurora sicherlich auch nicht schlecht, mit den ganzen Jägern aus Aarknar“, sagte Megan.
Pekka nickte, immerhin hatte er die Mission mitgemacht, war für die Zeit auf die Aurora versetzt worden. „Das war schon ein heftiger Einsatz. Immerhin haben wir ein ganzes Volk enorm durcheinandergewirbelt!“
„Und das macht Ihnen Sorgen, Pekka? So wie ich gehört habe, haben die Raptoren sich selbst auch ganz schön was angetan. Gab es da nicht auch noch einen Verräter, der den ganzen Rat seines eigenen Volkes ausgelöscht hat? Der wollte doch die Macht an sich reißen.“
„Stimmt“, sagte Pekka mit belegter Stimme. „Die Jäger waren selbst ihre schlimmsten Feinde. Und wir konnten ja nicht zulassen, dass sie auch den Makis etwas antun.“
„Die kleinen Händler“, seufzte Megan, „landen so mir nichts dir nichts aus Versehen auf einem Mond ganz in der Nähe ihrer schlimmsten Alpträume.“
Pekka nickte wieder. „Ja, und etliche von ihnen starben dort, sie hatten aufgegeben. Wenigstens kamen die Überlebenden unbeschadet davon!“
„Wird uns das auch gelingen?“, fragte sie in Anspielung auf den Testflug.
„Zeit, das auszuprobieren“, sagte Pekka mit einem Schulterzucken. „Nikki, aktivieren Sie die Aufzeichnung. Start der Testphase um 13.13 Uhr.“
Megan atmete betont langsam aus. 13.13 Uhr.
Da fliegen wir zu den Sternen und nehmen den uralten Aberglauben an die 13 mit.
Das begleitete die Menschheit schon seit ihren ersten Flügen. Apollo 13 war so eine Geschichte, die unter Raumfahrern niemals sterben würde, auch wenn sie inzwischen 150 Jahre her war. Die Crew hatte auch aus drei Personen bestanden. Damals waren die Raumanzüge noch klobige Monster gewesen, nicht halb so fortschrittlich wie ihre Grummands, die im Grunde auch schon alte Modelle waren. Die Skaphander der Infanteristen waren da weit voraus, mussten aber auch ganz andere Belastungen aushalten.
Die Mondmission von Apollo 13 hatte von Anfang an mit Problemen zu kämpfen gehabt. Zwei Tage nach dem Start war ein Sauerstofftank explodiert. Wegen des geringen Vorrats hatte man die Mondlandung sofort abgesagt. Megan mochte sich nicht vorstellen, wie enttäuschend das für die Crew gewesen war. Wenn der neue Antrieb jetzt versagte, würden sie einfach das normale Staustrahltriebwerk nehmen und wären rechtzeitig zum Abendbrot in der Kantine – nachdem sie vorher noch geduscht und etwas Schriftkram erledigt hatten! Allerdings nur dann, wenn die Warp-Blase nicht noch ein paar Nebenwirkungen aufweist.
Wie auch immer: Das Sonnensystem war kleiner geworden als damals, als der Mond noch weit entfernt lag und es die Macht einer ganzen Nation benötigte, um ihn zu erreichen.
Dafür war der Einsatz heute höher. Hier ging es nicht einfach um Ruhm. Der Gravoregler zusammen mit dem Warp-Antrieb konnte ihnen den entscheidenden Vorteil in einem Konflikt verschaffen, der mehrere Völker und Planetensysteme umfasste.
Und trotz aller Fortschritte war das eigene System immer noch gewaltig. Ja, sie verfügten über eine außergewöhnliche Sensorik, die mit der Maki-Technik immer besser wurde. Sie hatten den Mars zum Teil terraformt. May Edmundsons Projekte warfen ihre Früchte ab und machten den roten Planeten langsam unabhängiger von der irdischen Infrastruktur. Aber immer noch gab es dunkle Flecken, die man nicht ständig im Blick halten konnte.
„Hier sind Drachen“ hatte man früher auf die unbekannten Stellen der Karte geschrieben. Und Drachen gab es noch immer. „Captain, wir sind so weit“, riss Pekka sie aus ihren Gedanken.
Als erstes testeten sie die Beschleunigungs- und Verzögerungswerte. Unwissenschaftlich ausgedrückt: Der Gravoregler eliminierte die Masse des Dynas und seiner Besatzung. Gestern Abend war viel von dem Sub-Manöver gesprochen worden. Anna-Maria Cruz hatte ihren TOS bei der Mission unter Ausschaltung des Eigengewichts mit über 100 G abgebremst, war dann sofort in das Meer von Aarknar getaucht. Das hatte zwar die am TOS befestigten Außenlautsprecher abgerissen, die eine wirksame Waffe gegen die schallempfindlichen Jäger gewesen waren, aber die Besatzung des TOS war ihren Verfolgern entkommen. So etwas war nur mit Hilfe des Gravoreglers möglich gewesen.
Wieviel mehr ist hier möglich?
Im freien Raum gab es keine atmosphärischen Störungen, keinen Luftdruck oder sonstige Hindernisse. Henry Schneider meldete sich über Vid-Funk, Megan hörte mit.
„Programmieren Sie den Autopiloten. Sie sollten jeweils nur eine Drittelsekunde beschleunigen mit gleichzeitigem Einsatz des Gravoreglers. Dann eine Minute Pause vor dem nächsten Einsatz.“
„Verstanden“, meldete Nikki Singer und ihre Finger huschten über die Konsole. Multiple Wenn-Dann-Kaskaden breiteten sich auf dem Plasmaschirm aus, als sie die verschiedenen Werte eingab. Pekka und Megan überprüften zur Sicherheit alles. Die ehemalige Kadettin hatte alles richtig gemacht. Lieutenant-Commander Pavonen leitete den Start ein.
Nach der Aktivierung passierte nichts. Nichts veränderte sich, nichts fühlte sich irgendwie anders an, außer vielleicht eine kleine Übelkeit, die vom Gleichgewichtssinn des Innenohres zum Magen kroch.
„Wir haben beschleunigt“, sagte Singer, dann schluckte sie. „Wir haben jede Menge beschleunigt.“
Die Crew betrachtete die Werte und staunte.
„Mister Galvert“, wandte Megan sich an die Horizont. „Messen Sie uns an. Können Sie die Werte bestätigen?“
„Captain, Werte bestätigt. Glückwunsch!“
Im Hintergrund hörte man leisen Jubel aus der Zentrale des großen Schiffes. Megan lächelte. Der unauffällige Antoine Galvert war bereits lange der Mann am Vid auf der Horizont. Manche nannten ihn insgeheim die Stimme und witzelten, dass er gar kein Mensch, sondern nur ein wiederkehrendes Echo auf den Frequenzen sei. Das ließen sie ihn allerdings nicht hören.
„Captain, hier Henry Schneider. Sie fliegen in Richtung des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter. Meiden Sie Ceres und die anderen großen Asteroiden. Das sind Gravitationsquellen und deren Wirkung auf die Warp-Blase ist noch unbekannt. Beides krümmt die Feldlinien und die Wechselwirkung kann eventuell die Blase kollabieren lassen.“
„Was passiert dann mit uns?“, fragte sie zurück.
„Äh, das wissen wir nicht. Also sollten wir besser vorsichtig sein ...“
Nach jeweils einer Minute beschleunigten sie noch einmal, wiederholten die Tests. Mehrfach Die Gespräche mit der Horizont wurden eingestellt, da es bereits eine ordentliche zeitliche Verzögerung gab. Nikki Singer erläuterte, dass sie den Berechnungen des Bordcomputers nach eine winzige Zeitdilatation ansammeln würden, so schnell waren sie unterwegs.
Dann leitete Pekka das erste Bremsmanöver ein.
„Wir erreichen den Asteroidengürtel“, meldete Singer. „Da sollten wir nicht mit dieser Geschwindigkeit durch.“
Pekka warf der jungen Pilotin einen tadelnden Blick zu.
„Nikki, die Asteroiden stehen so weit auseinander! Wir laufen eher in einer Wüste aus Versehen gegen einen Baum, als dass wir einen von ihnen treffen.“
„Lieutenant-Commander, ich bin kein Angsthase“, sagte sie spitz, „aber bei 50 Prozent Licht sind wir sehr schlecht im Ausweichen.“
Megan schaltete sich ein. „Da haben Sie Recht, Singer. Ich will etwas anderes ausprobieren. Programmieren Sie einen Seitenschub unter Nutzung des Gravoreglers.“
Singers Gesicht hellte sich auf und sie nickte begeistert. „Wenn wir keine Masse haben, haben wir auch keinen Impuls! Programmiert!“
Auf Pekkas Befehl hin aktivierte sie den Schub. Bei der Betrachtung der Messergebnisse nickte Megan zufrieden. „Glückwunsch, Leute. Wir haben soeben den ersten exakten 90-Grad-Winkel bei halber Lichtgeschwindigkeit geflogen! Singer, programmieren Sie einen Sprung. Wollen doch mal sehen, was das Ding alles kann.“
Während sie dem Befehl nachkam, überlegte Nikki laut. „Was werden wir eigentlich im Warp-Raum sehen? Also ich meine, auf der Horizont sieht man den Überlichtblitz, zumindest nehmen ihn die Außenkameras wahr. Sehen wir bei dieser Technik hier die Sterne an uns vorbeizischen sehen oder seltsame Farben oder …“
Pekka, noch immer lässig die Kontrollen des Dyna New 1 in den Händen, antwortete ebenso nachdenklich. „Sir Hektor erwähnte was. Die Warp-Blase hat keinerlei reflektierende, emittierende oder auch nur transparente Eigenschaften. Mit anderen Worten, wir werden eine Schwärze sehen, die so tief ist, dass wir vermutlich nicht lange hineinschauen wollen. Könnte ... äh ... etwas verstörend sein.“
Alles vibrierte, Warnanzeigen leuchteten aggressiv rot auf, füllten das Display im Bereich der Frontscheibe. Der Dyna dröhnte wie eine Glocke. Das Geräusch malträtierte ihre Trommelfelle. „Kollisionsanzeigen!“, keuchte Pekka. „Hunderte!“
„Meteoriten?“, fragte Megan laut und übertönte die Warnung nur knapp.
„Mikro-Meteoritenschauer!“