Mama macht mal blau ... - Mimi J. Poppersen - E-Book

Mama macht mal blau ... E-Book

Mimi J. Poppersen

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Beschreibung

Familie Schäfer hat für das kommende lange Wochenende so einiges Aufregendes geplant. Das heißt, jedes Familienmitglied hat etwas Spannendes vor, außer Sarah, der Mutter. Ihr Mann fährt auf seinen jährlichen Angeltrip an die Nordsee, ihre beiden Töchter im Teenageralter verbringen das Wochenende bei Freunden und auf dem Reiterhof. Dass sie so gar nichts für die nächsten Tage vorhat, wird Sarah erst klar, als sie bei ziemlich trübem Wetter in Heidelberg einen ihrer langweiligsten Arbeitstage hinter sich bringt. Spontan gibt ihr der Chef den Nachmittag frei und sie landet auf dem Nachhauseweg in einem kleinen Reisebüro. Fast magisch wird sie in das Geschäft gezogen und hält kurze Zeit später ein Flugticket nach Los Angeles in der Hand. Da wollte sie schon immer mal hin! Die folgenden Tage werden für Familie Schäfer in vieler Hinsicht einzigartig und unvergesslich, denn Mama macht mal blau…

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Tag fünf, Heidelberg, 16.15 Uhr

Tag null, Heidelberg, 14.00 Uhr

Tag null, Hollywood, 14.05 Uhr

Tag null, Heidelberg, 15.30 Uhr

Tag null, Hollywood, 18.00 Uhr

Tag null, Heidelberg, 18.00 Uhr

Tag eins, Heidelberg, 5.30 Uhr

Tag eins, Hollywood, 13.00 Uhr

Tag eins, Heidelberg, 16.00 Uhr

Tag eins, Hollywood, 16.00 Uhr

Tag eins, Heidelberg, 18.30 Uhr

Tag eins, Hollywood, 18.30 Uhr

Tag eins, Heidelberg, 21.05 Uhr

Tag zwei, Hollywood, 6.00 Uhr

Tag zwei, Heidelberg, 7.00 Uhr

Tag zwei, Hollywood, 11.00 Uhr

Tag zwei, Heidelberg, 11.00 Uhr

Tag zwei, Hollywood, 15.30 Uhr

Tag zwei, Heidelberg, 16.00 Uhr

Tag zwei, Hollywood, 17.00 Uhr

Tag zwei, Heidelberg, 17.00 Uhr

Tag zwei, Hollywood, 23.30 Uhr

Tag zwei, Heidelberg, 23.55 Uhr

Tag drei, Heidelberg, 7.00 Uhr

Tag drei, Hollywood, 7.00 Uhr

Tag drei, Heidelberg, 13.00 Uhr

Tag drei, Hollywood, 9.30 Uhr

Tag drei, Heidelberg, 16.00 Uhr

Tag drei, Hollywood, 10.00 Uhr

Tag drei, Heidelberg, 19.00 Uhr

Tag drei, Hollywood, 12.00 Uhr

Tag vier, Heidelberg, 8.30 Uhr

Tag vier, Hollywood, 8.30 Uhr

Tag vier, Heidelberg, 10.00 Uhr

Tag vier, Hollywood, 15.30 Uhr

Tag vier, Heidelberg, 15.30 Uhr

Tag fünf, Heidelberg, 7.30 Uhr

Tag fünf, Heidelberg, 15.00 Uhr

Tag fünf, Heidelberg, 16.00 Uhr

Tag fünf, Heidelberg, 16.15 Uhr

Tag X, Heidelberg, 18.00 Uhr

Impressum

Mama macht mal blau…

von

Mimi J. Poppersen

Text Copyright © 2018 Mimi J. Poppersen

Cover Image ©

Coverdesign: Mimi J. Poppersen

Alle Rechte vorbehalten

Mimi J. Poppersen auf Instagram

♥ Für meine Mama ♥

„Happiness is not something ready made.

It comes from your own actions.“

Dalai Lama

Prolog

Tag fünf, Heidelberg, 16.15 Uhr

Die Wohnung von Familie Schäfer blitzte und glänzte so gut es ging unter den gegebenen Umständen. Noch vor ein paar Stunden hatte es hier ausgesehen, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Gerade hatte Stefan Schäfer die letzten Putzlumpen in die Waschmaschine geschmissen, die er aber vorsichtshalber nicht anstellen würde.

Auf dem Küchentisch standen frische Blumen und ein leckerer Apfelkuchen, den Sophie und Julia gerne selbst gebacken hätten, wegen des nicht mehr funktionierenden Backofens allerdings auf die Bäckerei um die Ecke zurückgreifen mussten. Auch hätten sich alle gerne noch einmal geduscht, nach den ganzen Aufräumarbeiten, was jedoch ein paar Tage warten musste, bis das Badezimmer wieder zu betreten war.

Zu gerne hätte Stefan seine Frau selbst vom Flughafen abgeholt, aber auch das Auto befand sich in der Werkstatt.

So standen die drei da, mit Gipsfuß, starker Erkältung, unglaublich schlechtem Gewissen und blickten immer wieder erwartungsvoll aus dem Fenster.

Sie alle waren furchtbar aufgeregt, denn jede Minute würde Sarah Schäfer zur Tür hereinkommen. Ihre Mama und Ehefrau, die gerade mal fünf Tage weg gewesen war.

Fünf verhängnisvolle, lange Tage…

Tag null, Heidelberg, 14.00 Uhr

Ein anderes Wort für regenarmes Gebiet, las Sarah Schäfer gerade in ihrem Kreuzworträtsel und blickte hinaus auf den menschenleeren Marktplatz von Heidelberg, auf den der Regen in Strömen niederprasselte.

„Nicht Heidelberg“, sagte sie halblaut zu sich selbst und trug etwas lustlos „Wüste“ als gesuchten Begriff ein. Nun konnte sie das Lösungswort ausfüllen und eine Reise in die Karibik gewinnen.

Das wär´s doch! Jetzt eine Reise in den Süden gewinnen, dachte Sarah und betrachtete erneut das trübe Wetter vor der Tür.

Ihre Gedanken wurden jäh durch die fünf Kuckucksuhren zerstört, die in dem Moment alle gleichzeitig ertönten. Sarah zuckte zusammen und verschüttete einen gehörigen Schwall von ihrem frisch gebrühten Kaffee, den sie in der Hand hielt. Wütend betrachtete sie die reichlich verzierten Schwarzwalduhren, die etwas gedrängt an der Wand hingen und von denen sie eine kitschiger als die andere fand. Bei den Touristen waren diese allerdings sehr beliebt.

Erst eine halbe Stunde war seit ihrer Mittagspause vergangen? Das konnte unmöglich sein.

Fast schien die Zeit heute stehenzubleiben in dem Antikladen, in dem sie arbeitete. Dieses Gefühl hatte sie in den letzten Wochen leider immer öfter.

Sage und schreibe einen Kunden hatte sie an diesem Tag bisher gehabt. Einen Kunden!

Dies war ein Japaner gewesen, der einen winzig kleinen Scherenschnitt mit Heidelberger Motiv für zwölf Euro gekauft hatte. Das würde dann wohl ihr Tagesumsatz von heute sein: Zwölf Euro.

Wahrscheinlich wollte sich dieser einzige, traurige Kunde auch nur kurz ins Trockene stellen und etwas aufwärmen. Auf Sarahs nette Frage hin, wie sie ihm helfen konnte, fühlte sich dieser dann wohl verpflichtet, etwas zu kaufen. Also hatte er sich das Billigste im ganzen Laden ausgesucht: Ein Scherenschnitt kaum größer als eine Briefmarke, der das Heidelberger Schloss darstellen sollte. Das Motiv hätte allerdings auch als irgendeine Märchenszene oder das Haus vom Nikolaus durchgehen können.

Zwei Stunden musste Sarah sich hier nun noch um die Ohren schlagen. Sie könnte ja etwas die Antiquitäten abstauben. Oder hatte sie das schon gemacht? Eigentlich konnte sie auch schon mit der Abrechnung beginnen. Es würde sowieso kein Käufer mehr den Laden betreten.

Wer machte sich bei solch einem Sauwetter schon auf die Socken, um einen Stadtbummel zu unternehmen? Niemand.

Außer vielleicht ein paar Touristen, die von ihren Reiseveranstaltern dazu genötigt wurden, in zehn Minuten einmal über die alte Brücke, durch die Altstadt und bis hoch zum Schloss zu rennen und mindestens fünfzig Bilder zu schießen, um abends das gleiche in München oder Leipzig zu tun.

Wieder solch ein Tag, an dem sie gar nicht dran denken durfte, wie viel der Besitzer des Ladens, der gutmütige Herr Graf, für ihr Gehalt drauf legte.

Vor sieben Jahren hatte Sarah in dem schmucken Geschäft angefangen zu arbeiten, das der zwar schon etwas betagte, aber durchaus noch rüstige Herr Graf von einem Buchantiquariat nach und nach in einen hochwertigen Antikladen umgewandelt hatte.

Damals war dies genau das richtige für Sarah gewesen. Ihre Töchter waren mit acht und zehn Jahren schon recht selbständig und sie suchte nach einer neuen Aufgabe, die sie halbtags beschäftigte. Das reine Hausfrauendasein war ihr zu langweilig geworden und in ihren stressigen, früheren Job als Investmentbankerin wollte sie nicht wieder zurückkehren. Da kam das „Aushilfe gesucht“-Schild im Fenster des Buchantiquariats genau richtig. Mit Herrn Graf verstand sie sich auf Anhieb und gleich am nächsten Tag konnte sie dort anfangen. Das Geld brauchte Familie Schäfer nicht wirklich, Stefan Schäfer verdiente als Oberarzt in der Heidelberger Radiologie genug.

In den ersten Jahren hatte Sarah ihre neue Aufgabe wahnsinnigen Spaß gemacht. Sie war mit Herrn Graf richtig auf Schnäppchenjagd gegangen. So hatten sie nach und nach den Antikladen mit Kostbarkeiten bestückt. Darüber hinaus hatte Sarah unglaublich viel dazu gelernt, was alte Möbelstücke, Bilder, Kunstwerke und deren Restauration betraf. Auch ihre Wohnung schmückten einige besondere Schätze.

Allerdings musste sie zugeben, dass auch sie sich gerade letztes Wochenende mit den Menschenmassen durch IKEA gekämpft hatte, um dort neue Möbel für ihr Schlafzimmer auszusuchen. Ein Heidengeld war sie für billigste Möbelstücke und unnötigen Schnick Schnack losgeworden. Daher konnte sie es den Leuten noch nicht einmal übel nehmen, wenn diese einen Bogen um den Antiquitätenladen machten.

„Die Leute zieht es in der heutigen Zeit einfach zu Billigware. Das sieht man ja an den ganzen neuen Billigläden in der Hauptstraße“, prophezeite Herr Graf schon seit Längerem. Damit schien er leider recht zu haben, denn dass der Umsatz in den letzten Monaten rapide bergab gegangen war, merkte man auch ohne Taschenrechner.

An der Lokalität des Geschäfts konnte es nicht liegen. „Grafs Antiquitäten“ befand sich in der besten Lage, direkt an der Ecke des belebten Marktplatzes. Das war etwas, was Sarah an ihrem Job immer zu schätzen wusste. Von hier aus hatte sie einen Ausblick auf das Rathaus der Stadt, viele bunte Straßencafés und die berühmte Heiliggeistkirche. Sie war mittendrin im Leben der pulsierenden Altstadt, was allerdings an einem trüben Tag wie heute völlig egal war.

Französisch: Gute Reise, las sie als Nächstes in dem Kreuzworträtsel. „Bon Voyage“, trug sie mit geschwungenen Buchstaben ein und blickte erneut auf die kitschigen Uhren: 14.05 Uhr.

Tag null, Hollywood, 14.05 Uhr

„Die Nächste, bitte!“, rief Liam Baldwin mit einem leicht genervten Unterton.

Als kurz darauf eine völlig eingeschüchterte junge Frau auf die Bühne trat und verlegen in die hellen Scheinwerfer blinzelte, hob er sogleich die Hand, bevor die Kandidatin überhaupt ein Wort sprechen konnte.

„Danke. Die Nächste, bitte!“, mittlerweile konnte er seine Gereiztheit nicht mehr verbergen.

Mit hängenden Schultern und Tränen in den Augen ging die unerfahrene Schauspielerin wieder von der Bühne. Die nächste in der Reihe ließ Liam Baldwin wenigstens vorsprechen. Als diese allerdings den ersten Satz gesprochen hatte, hielt das ganze Team den Atem an, gefasst auf den nächsten Wutausbruch des bekannten Regisseurs.

Wie war eine komplett lispelnde Schauspielerin nur durch die Vorrunde gekommen? Das fragten sich in dem Moment wahrscheinlich alle Anwesenden im Raum.

„Danke. Das reicht“, brachte Liam gerade noch in relativ normalem Ton der unbedarften Schauspielerin gegenüber heraus. Als diese dann allerdings von der Bühne verschwunden war, drehte er sich zu seinem zehnköpfigen Casting-Team um, die alle schon ihre Köpfe einzogen.

„Sag mal, wollt ihr mich verarschen?“, brüllte er los.

„Es kann doch nicht so schwer sein, ein Kindermädchen zu finden, das nur drei Sätze sagen soll. Alles, was ich bisher gesehen habe, war Mist! Ganz großer Mist!“ Bei diesen Sätzen war er wütend aufgestanden und hatte das Skript zu seinem neuen Film auf den Boden geschmissen. Es hätte gerade noch gefehlt, dass er darauf herumtrampelte wie ein aufmüpfiges Kind.

„Ich hoffe, heute Nachmittag wird das besser. Um einiges besser, sonst Gnade euch Gott!“, drohend hielt er nun seine Faust in die Höhe und verließ das Pantages Theater am Hollywood Boulevard.

Als Liam Baldwin das kleine Theater verlassen hatte, das sie immer für ihre Castings nutzten, blickte sich sein Team etwas ratlos an.

Es war wieder soweit!

Sie alle wussten, dass sie jetzt machen konnten, was sie wollten, irgendetwas würde Liam immer finden, das ihm nicht passen würde. Die Schauspielerinnen waren zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu schrill, zu fade, zu vollbusig, zu flachbrüstig, oder alles zusammen… nichts konnte man ihm recht machen.

Meistens gab es während des Drehs eines Films etwa zwei bis drei Mal die Situation, wo dem hoch angesehenen Regisseur gar nichts mehr recht war und er sich an völligen Kleinigkeiten festnagelte, die ihm nicht passten. Das konnte eine kleine Requisite sein, die seiner Meinung nach nicht stimmte und dann noch extra aus Australien eingeflogen werden musste, ein kurzer Nebensatz, den er noch fünfzig Mal umformulierte oder eben diese Nebenrolle des Kindermädchens heute. Eine völlig unwichtige Nebenfigur, die nur einmal kurz auftauchte, musste nun mit der perfekten Person besetzt werden. Plötzlich war dies eine der Schlüsselszenen im ganzen Film. Warum, verstand zwar keiner, aber wenn der Meister sprach, kuschten alle.

„Ich glaube, die Brünette könnte ihm gefallen“, meldete sich nun mutig der Praktikant zu Wort.

„Die könnte ihm zu perfekt für ein Kindermädchen sein“, gab die Frau direkt neben ihm zu bedenken und alle mussten lachen.

„Es könnte allerdings auch einfach an Liams fünfzigsten Geburtstag am kommenden Wochenende liegen. Vielleicht müssen wir den einfach abwarten. Also macht euch nicht allzu viel draus. Ihr habt alle gute Arbeit geleistet!“, sagte der Leiter vom Casting-Team aufmunternd und klopfte dem einen oder anderen auf die Schulter.

„Warten wir einfach ab und briefen unsere Kandidatinnen noch einmal gut vor der nächsten Runde“, wies er alle an, worauf sie sich hinter die Bühne begaben, wo noch etwa zwanzig aufgeregte Kindermädchen warteten.

Liam Baldwin hatte in der Zwischenzeit in seinem Lieblingsrestaurant „Food and Wine“ am Hollywood Boulevard Platz genommen, nippte an seinem doppelten Espresso und beobachtete die vorbeilaufenden Menschen. Gerne saß er hier am Fenster und beobachtete das Treiben auf dem Walk of Fame. Wie sich die Touristen neben den goldenen Sternen auf dem Boden fotografieren ließen, die Scientology Kirche im Hintergrund. Ab und an bekam man auch die eine oder andere Berühmtheit hier zu sehen, aber darum ging es Liam nicht. Das Café hatte den besten Espresso der ganzen Stadt und den brauchte er jetzt.

Ich muss diese Szene noch vor meinem Geburtstag im Kasten haben, sonst habe ich das ganze Wochenende über schlechte Laune, dachte er verdrossen. Hierauf kippte er das bittere Getränk in einem Schluck hinunter und beschloss schleunigst wieder zu seinem Team zurückzugehen, um dieses grauenvolle Casting schnell hinter sich zu bekommen.

Tag null, Heidelberg, 15.30 Uhr

Sarah sollte recht behalten: Kein einziger Kunde erschien mehr an diesem Tag in dem Antiquitätenladen. Dafür war das Wetter erheblich besser geworden, mittlerweile ließ sich sogar die Sonne noch einmal blicken und es war angenehm warm für Ende September.

Schönes Wetter wäre toll für das lange Wochenende, dachte Sarah gerade, als ihr Handy klingelte und sie sogleich die aufgeregte Stimme ihrer jüngeren Töchter Julia vernahm. Diese würde das lange Wochenende mit einer Freundin auf einem Reiterhof verbringen und fieberte diesem schon seit Tagen, wenn nicht Wochen, entgegen.

„Mama, Mama, hast du gesehen, was jetzt für ein Hammer-Wetter ist?“

Sarah wusste, dass Julia, die gerade aus der Schule gekommen war, sich erst einmal Luft machen musste und nun reden würde wie ein Wasserfall.

„Mama, ich habe mir gerade mit Emelie überlegt, dass ich doch schon heute bei ihr übernachten kann. Dann können wir morgen nach der Schule gleich zusammen los zum Reiterhof. Ihr Vater würde uns hinfahren, dann musst du das nicht machen.“ Es war rührend, wie ihre Tochter solche Sachen immer so auslegte, als wollte sie ihr einen Gefallen tun.

Eigentlich wirklich keine schlechte Idee, musste Sarah insgeheim zugeben.

„Ja, wenn das Emelies Eltern recht ist, können wir das so machen“, antwortete sie und hörte daraufhin nur noch hysterisches Geschrei der beiden Mädchen am anderen Ende.

„Aber…“ Sarah wartete, bis Julia wieder aufnahmefähig war. „Aber warte noch bis ich zuhause bin, damit wir uns noch sehen, bevor du wegfährst. Okay, Schatz?“

„Klar, Mama!“, kam es vernünftig zurück.

„Du kannst ja deine Sachen fertig packen und in spätestens einer Stunde bin ich auch zuhause und kann dich zu Emelie fahren.“

„Du bist die Beste, Mama!“, kam es euphorisch zurück und dann hatte Julia schon aufgelegt, um wahrscheinlich den nächsten Kreischanfall mit ihrer Freundin zu bekommen.

Gerade als Herr Graf den Laden betrat, fiel Sarah auf, dass alle Familienmitglieder etwas Spannendes vorhatten über das kommende lange Wochenende, außer ihr selbst.

Julia ging mit ihren fünfzehn Jahren auf ihr erstes Reiterhof-Wochenende. Sophie, gerade siebzehn geworden, hatte sich schon für das ganze Wochenende abgemeldet, da ihr Freund Geburtstag hatte und die beiden schon so gut wie verlobt waren.

Ihr Mann Stefan hatte seinen jährlichen Angeltrip mit Freunden an der Nordsee geplant, den sie ihm wirklich von Herzen gönnte. Er hatte viel Stress gehabt an der Uniklinik in letzter Zeit und nach ein paar Tagen Angeln war er immer wie ausgewechselt. Die Erholung hielt meist wochenlang an, wobei Sarah sich immer wunderte, woran das lag, denn sie wusste, dass die Männer oft nur ein paar Stunden Schlaf bekamen, dafür aber umso mehr tranken. Nicht selten kam Stefan auch noch mit einer dicken Erkältung zurück, das gehörte wohl auch dazu, zu dem Abenteuer auf hoher See. Wahrscheinlich war es einfach die gute Seeluft und das raue Männerleben, wovon er wochenlang noch zehrte.

Nun schaute sie zu ihrem Arbeitgeber, der langsam auf sie zu kam und sich umblickte.

„War wohl wieder nicht so ein guter Tag?“, konnte ihr Herr Graf anscheinend gleich ansehen.

„Ehrlich gesagt, war es ein ganz schlechter Tag, Herr Graf. Lag wohl am Wetter, denn ich hatte nur einen Kunden“, gab Sarah ehrlich zurück. Sie konnte die Situation einfach nicht schön reden.

„Jetzt machen Sie sich doch erstmal ein schönes langes Wochenende“, sagte Herr Graf hierauf väterlich. „Nehmen Sie sich Dienstag noch frei, unternehmen etwas Nettes mit Ihrer Familie und am nächsten Mittwoch besprechen wir mal die Lage. Aber keine Sorge, Frau Schäfer, ich möchte Sie weiterhin in meinem Laden beschäftigen.“

Instinktiv hatte Sarah das Gefühl, den alten Mann umarmen zu müssen, schüttelte ihm jedoch nur herzlich die Hand. Herr Grafs Vorschlag hörte sich wunderbar an. Heute war Donnerstag, freitags arbeitete Sarah nie und Montag war Feiertag. Wenn Sie Dienstag auch noch frei hätte, wäre das ja ein richtiger Mini-Urlaub. Dass ihre ganze Familie ausgeflogen war, musste sie ihrem netten Chef ja nicht gleich unter die Nase reiben.

„Gut, Herr Graf, wenn Sie meinen…“, antwortete sie nun noch etwas unsicher.

„Natürlich meine ich das! Und jetzt packen Sie Ihre Sachen, es ist traumhaftes Wetter draußen.“

Gesagt. Getan.

So stand Sarah am Donnerstagnachmittag schon um kurz nach halb vier auf dem Markplatz und verspürte ein gewisses Kribbeln im Bauch. Sie wollte etwas unternehmen, auch etwas Schönes an diesem Wochenende auf die Beine stellen. Nur was?

Gemütlich schlenderte Sarah Schäfer hierauf über den Marktplatz und holte sich eine große Portion Eis bei ihrer Lieblingseisdiele an der Heiliggeistkirche. Sie beschloss, bei dem herrlichen Wetter noch etwas spazieren zu gehen, und bummelte kurz darauf die Steingasse entlang, um über die Alte Brücke zu Fuß nach Hause zu gehen. Familie Schäfer war gerade vor einem Jahr in eine traumhafte Wohnung in einer der imposanten Villen an der Neuenheimer Landstraße auf der anderen Neckarseite gezogen. Lange hatten sie nach solch einer Wohnung gesucht und genossen nun den täglichen Ausblick auf die Alte Brücke und das Heidelberger Schloss, das erhaben über der Stadt lag. Meistens ging sie zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit. Heute wollte sie sich besonders viel Zeit lassen für ihren Heimweg und den sonnigen Herbstnachmittag noch etwas genießen.

Etwa auf der Mitte der Steingasse blieb sie vor einem Schaufenster stehen, um in ihrem Spiegelbild zu prüfen, ob sie noch Reste von dem Eis am Mund hatte. Erst jetzt merkte sie, dass sie vor einem winzig kleinen Reisebüro stehengeblieben war. Das Geschäft war ihr schon öfter aufgefallen, sie hatte ihm allerdings noch nie weitere Beachtung geschenkt.

Im Nachhinein konnte sie nicht sagen, warum sie den Laden überhaupt betreten hatte. Irgendetwas zog sie magisch an, vielleicht war es auch nur Mitleid mit dem völlig gelangweilten und zugegebenermaßen fantastisch aussehenden Verkäufer, der wahrscheinlich einen ähnlich trägen Tag hinter sich hatte wie sie selbst. Fast schien es ihr, als würde der Beau sie in sein Reisebüro hineinwinken und sie schwebte förmlich über die Türschwelle, um sich wie gebannt in dem kleinen Raum umzublicken.

Das kleine Reisebüro war originell eingerichtet. Fasziniert betrachtete Sarah, was alles in dem winzigen Geschäft untergebracht war. Neben zwei unechten Palmen mit einer gemütlich aussehenden Hängematte, hingen eindrucksvolle Bilder an den Wänden, die definitiv Reiselust weckten. Zumindest bei Sarah. Dazu ertönte Musik, wie man sie sich an einem karibischen Strand vorstellte.

„Und wo wollen Sie noch last minute hin über das lange Wochenende?

---ENDE DER LESEPROBE---