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Valentina Kramer hasst nichts mehr als den Valentinstag! Erstens war sie bisher nur unglücklich verliebt und zweitens ist der 14. Februar auch noch ihr Geburtstag. Das hat ihre Mutter vor sechsunddreißig Jahren dazu bewogen, ihr diesen Namen zu geben, den sie nicht ausstehen kann. In diesem Jahr beschließt Valentina, ihrem Geburtstag und der tickenden biologischen Uhr zu entfliehen. Spontan bucht sie einen Flug nach San Francisco, ihrer Traumstadt, in der sie noch nie war, da sie unter starker Flugangst leidet. Den überstürzten Aufbruch kann Valentina sogar als Geschäftsreise verbuchen, da sie einen einzigartigen Reisebericht über San Francisco verfassen will. Sie möchte die Stadt aus einem Blickwinkel erfassen, wie sie sonst kaum ein Tourist zu sehen bekommt. Ihre Reise ins Glück fängt allerdings nicht gut an und scheint in eine massive Pechsträhne auszuarten. Ob sich daran ausgerechnet am Valentinstag etwas ändert?
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Inhaltsverzeichnis
Nichts wie weg!
Check-in für Anfänger
„Nur“ zwölf Stunden ins Glück
Ankunft in Frisco, San Fran oder the City
Auch das noch
Freitag, der 13.
Valentinstag
Liebestrank
Der Hausgeist grüßt
Sightseeingtour
Dim Sum
Eine schlechte Nachricht kommt selten allein
Grace
Candle Light Dinner
It never rains in California
Überraschungsbesuch
Kleider machen Leute
Auf der Suche
Alcatraz
Miss Marple
In den Bergen
Extra: Geheimtipps in und um San Francisco
Impressum
Nichts wie weg!
von
Mimi J. Poppersen
Mimi J. Poppersen auf Instagram
Text Copyright © Mimi J. Poppersen
Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de
1. Korrektorat: Anja Karl
2. Korrektorat: Jo van Christen
Verwendete Grafiken/Fotos:
depositphotos.com: Cundrawan703 / LyubovTolstova /
dragoana23 / ohmega1982 /Botanical decor
shutterstock.com: Dibrova Art / radionastya
Alle Rechte vorbehalten
“The coldest winter I ever spent was a summer in San Francisco”
Mark Twain
Liebe LeserInnen,
am Ende des Buches habe ich einige meiner persönlichen Lieblingsziele in und um San Francisco zusammengestellt. Ob man diese nun wirklich als „Geheimtipps“ zählen kann, sei mal dahingestellt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man die meisten davon nicht in jedem Reiseführer findet.
Das Wichtige ist, dass dies mit einer wahren Liebe zu dieser Stadt ausgewählte Ziele sind, da ich fünfzehn Jahre in der Nähe von San Francisco gelebt habe.
Nachreisen empfohlen ; )
Viel Spaß beim Lesen!
Eure
Mimi J. Poppersen
Mein Gott, wie sie den Valentinstag hasste!
Zufrieden klappte Valentina ihren Laptop zu und klatschte in die Hände. Gerade hatte sie einen Last-Minute-Flug nach San Francisco gebucht. Morgen in aller Frühe würde es schon losgehen in ihre Traumstadt, die sie bisher nur vom Hörensagen, Bildern und Filmen kannte.
Es war der 11. Februar und nachdem sie sich im Büro heute den etwa hundertsten, todlangweiligen Valentinswitz zu ihrem Namen anhören musste, hatte Valentina beschlossen, dieses Jahr einfach die Biege zu machen. Valentinstag war nicht nur deshalb eine Qual für sie, sondern auch, weil sie seit Jahren nur unglücklich verliebt gewesen war, wenn überhaupt.
Valentina Kramer hatte am 14. Februar auch noch Geburtstag. Das hatte ihre Mutter vor sechsunddreißig Jahren dazu bewogen, ihr diesen grauenhaften Namen zu geben. Wahrscheinlich fände sie ihren Namen gar nicht so schlimm, wenn sie schon seit Ewigkeiten einen Mann an ihrer Seite hätte und eine Schar Kinder um sich herum. Wie es bei all ihren Freundinnen der Fall war, nur nicht bei ihr …
Ausgerechnet sechsunddreißig würde sie in diesem Jahr werden, in drei Tagen, um genau zu sein. Das war doch exakt das Alter, in dem offiziell die biologische Uhr anfing, laut zu ticken. Manchmal wachte sie sogar nachts von dem nervigen Ticken auf: Sie war nicht mehr Anfang dreißig, sondern ging rasant auf die Vierzig zu.
In diesem Alter musste man Entscheidungen treffen wie: Endlich seinen langjährigen Partner heiraten, Kinder, ja oder nein?, aufs Land ziehen, ein Haus kaufen für die Kinderschar, Altersvorsorge, einen Platz im Kindergarten reservieren und am besten gleich noch einen im Altersheim dazu.
Im Grunde sollte sie es positiv sehen, denn all diese Überlegungen kamen bei ihr gar nicht erst auf. Sie war eingefleischter Single und hatte mit sechsunddreißig offensichtlich den Stempel „Restposten“ auf der Stirn.
Dabei sah sie gar nicht mal schlecht aus. Sie hatte eine durchaus sportliche Figur und ihr Gesicht war mit den strahlend grünen Augen und den frechen Sommersprossen ohne jedes Make-up hübsch. Früher hatte sie ihre dunklen Haare und die buschigen Augenbrauen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, gar nicht leiden können. Heute aber fand sie, dass dies ihrem Gesicht einen südländischen Touch und etwas Geheimnisvolles verlieh. Sie hätte locker als Italienerin durchgehen können.
Außerdem hatte sie als Journalistin einen einigermaßen spannenden Job und teilweise gar keine Zeit für eine Beziehung, redete sie sich zumindest ein.
Ihrem Chef hatte sie den überraschenden Trip nach San Francisco sogar als halb geschäftlich verkaufen können. Sie würde eine kleine Reisedokumentation über ihre Lieblingsstadt verfassen. Nicht, dass es davon nicht schon genug gab, aber ihre sollte etwas Besonderes werden. Sie wollte herausfinden, wo sich die Einheimischen von San Francisco gerne aufhielten: Welches waren die beliebtesten Restaurants, Bars, Strände, Ausflugsziele, wo es nicht von Touristen wimmelte.
Valentina, die sich von den meisten nur Tina nennen ließ, wollte einen einzigartigen Reisebericht mit vielen Insidertipps zu dieser faszinierenden Stadt verfassen. Zehn Tage hatte sie hierfür Zeit, das sollte reichen. Urlaub hatte sie sich davon nur zwei Tage genommen.
Versonnen blickte sie aus ihrem Wohnzimmerfenster auf das verschneite Heidelberg. Faktisch war es nur noch Schneematsch, der übrig geblieben war. Auch was vom Himmel herabrieselte, konnte man nicht wirklich als Schnee bezeichnen. Das Ganze war eine graue nasskalte Matschepampe, von der man sich nichts sehnlicher wünschte, als ihr zu entfliehen.
Valentina hatte den Wetterbericht studiert. In Kalifornien waren es tagsüber angenehme zwanzig Grad, teilweise sogar wärmer. Nachts konnte es allerdings recht kühl werden.
Packen! Was stand sie hier herum und starrte Löcher in das trostlose Wetter, als gäbe es nichts Schöneres anzusehen? Sie musste unverzüglich mit dem Kofferpacken anfangen, denn das dauerte gewohnheitsgemäß immer länger, als man dachte. Dann sollte sie sich schleunigst ins Bett legen, um vor dem stundenlangen Flug noch ein paar Stunden anständigen Schlaf zu bekommen.
Der Flug! Natürlich wusste Valentina, dass das der eigentliche Grund war, warum sie noch nie in ihrer Traumstadt gewesen war. Ihre Flugangst war „stark ausgeprägt“, wie ihr heute erneut ihr Hausarzt bestätigt hatte. Diesen hatte sie gleich nach der Arbeit aufgesucht, als sich der Plan in ihrem Kopf verfestigt hatte, um sich ein paar Beruhigungspillen verschreiben zu lassen.
Ein ganzes Sortiment an Tabletten hatte sie nun zur Auswahl: Ein leichtes Schlafmittel für die kommende Nacht, eine Pille für vor dem Flug, die nicht schläfrig machte, aber die Aufregung nehmen sollte, wieder eine andere für den Flug, die schläfrig machte und Angstattacken verhindern sollte. Sie hatte sich alles aufgeschrieben, wann sie welche Tablette einnehmen musste. Valentina hoffte inständig, dass die Medikamente wirken würden, denn wenn sie an ihren letzten Flug vor zwölf Jahren dachte, trieb es ihr noch immer die Schamröte ins Gesicht.
Damals war sie mit ihrem Freund Stefan, in den sie unendlich verliebt war, über das Wochenende nach Rom geflogen. Gerade mal ein zweistündiger Flug.
Natürlich hatte sie Stefan verschwiegen, dass dies der erste Flug in ihrem Leben überhaupt war. Das wurde ihm wohl augenblicklich klar, sobald sich die Türen der Maschine schlossen und Valentina ihren ersten hysterischen Schreianfall bekam.
Schon beim Hinflug verwandelte sich der Kurzurlaub, der als romantisches Wochenende gedacht war, in einen Horrortrip. Vermutlich ausgelöst durch ihre Aufregung, bekam Valentina solche Magenprobleme, dass sie am nächsten Tag das Badezimmer nicht verlassen konnte. Der dritte und letzte Tag in Rom hätte das Ruder noch herumreißen können, doch da wurde Valentina bei erster Gelegenheit die Handtasche geklaut, und sie verbrachten den halben Tag auf der Polizeistation. Stefan war mehr als genervt und Valentina nur am Heulen.
Direkt nach ihrer Rückkehr, noch am Flughafen in Frankfurt, machte Stefan Schluss mit ihr. Damals fiel sie aus allen Wolken. Heute konnte sie seine Entscheidung durchaus nachvollziehen. Sie hatten einfach nicht zusammengepasst.
Stefan war auch einer dieser Menschen, die stets gemäß ihrer tickenden, inneren Zeitbombe handelten. Nicht, dass sie über die Jahre beobachtet hätte, was Stefan machte, aber es wurde ihr durch Freunde immer wieder zugetragen. Dann hatte er sie sogar zu seiner Hochzeit eingeladen. Männer waren manchmal solche Idioten.
Was heißt da manchmal?
Neulich hatte Valentina ihn mal wieder in der Stadt gesehen. Mit einem Kinderwagen vor sich herschiebend, einer rosafarbenen Wickeltasche um die Schulter hängend und einem brüllenden Kind an der Hand, schleppte er sich durch die Fußgängerzone. Stefan sah nicht gerade prickelnd aus, wie sie, nicht ohne Genugtuung, feststellte. Er hatte sich augenscheinlich seit Tagen nicht rasiert, dunkle Ringe unter den Augen und sichtlich ergraute Haare, die ihm wirr vom Kopf abstanden.
Aus der Ferne hatten sie sich gegrüßt, aber Abstand gewahrt, um sich einen oberflächlichen Smalltalk zu ersparen, worüber Valentina heilfroh war. Nach diesem Zusammentreffen beschloss sie einmal mehr, dass sie doch kein so schlechtes Los gezogen hatte.
Wenn da nicht immer diese tickende Uhr wäre …
Endlich war es soweit.
Valentina stand überpünktlich am Flughafen in Frankfurt und starrte auf die Abflugtafel. Sie hatte noch drei Stunden Zeit bis zum Start. Bisher wirkten die Beruhigungspillen wie gewünscht. Sie hatte geschlafen wie ein Baby.
Warum sagte man das überhaupt? Schliefen die meisten Babys nicht außerordentlich schlecht, wachten alle paar Stunden auf und brüllten sich dann die Seele aus dem Leib? Manchmal machten solche Sprüche wirklich keinen Sinn.
Sie jedenfalls war sogar im Zug noch einmal in einen derartigen Tiefschlaf verfallen, dass sie froh sein konnte, jetzt überhaupt hier zu stehen. Ihre Mutter hatte ihr zwar angeboten, sie zum Flughafen zu fahren, aber das hatte sie dankend abgelehnt. Einmal wegen des immer noch tobenden Schneegestöbers, was auch für ihre Mutter als handfestes Argument zählte, sich nicht unbedingt in einen Wagen setzen zu müssen. Andererseits wollte sie den fünftausend, zwar lieb gemeinten, aber trotzdem nervenden Fragen ihrer Mutter entgehen. Diese hatte von Valentinas Entschluss, nach Kalifornien zu fliegen natürlich genauso wenig gewusst wie sie selbst. Vermutlich dachte sie, ihre Tochter sei übergeschnappt.
„Was, nach San Francisco?“, hatte sie entsetzt gefragt. „Wann denn?“
„Morgen“, antwortete Valentina nur knapp.
„Aber es ist doch dein Geburtstag.“
„Ja, deshalb ja!“
„Kind, ist alles in Ordnung mit dir?“
Ihre Mutter hatte wahrscheinlich schnell die klare Diagnose der Midlife-Crisis gestellt, wie ihr Hausarzt insgeheim wohl auch. Irgendwann hatte sie dann aber eingesehen, dass Valentina noch ihren Koffer packen musste, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihrer Tochter eine schöne Reise zu wünschen.
„Pass auf dich auf. Du weißt, wie gefährlich es in Amerika sein kann“, hatte ihre Mutter zum Abschied noch loswerden müssen. Als würde Valentina in die tiefste Wildnis des afrikanischen Dschungels reisen, um dort ein Überlebenstraining zu absolvieren.
Ein wenig hilflos blickte Valentina sich nun im Flughafen um. Wo die vielen Menschen wohl alle hin wollten? Waren sie alle auf der Flucht vor dem Valentinstag?
Sie unterdrückte ein Gähnen. Vermutlich sollte sie erstmal einen doppelten Espresso trinken, um gegen die Baldrianpillen anzukämpfen, bevor sie eincheckte.
Kurz darauf stand sie an einer Bar, bestellte sich einen doppelten Latte macchiato und betrachtete zufrieden ihre Umgebung. Es war ein angenehmes Gefühl, mal wieder als Reisender am Flughafen zu sein und nicht nur als der Chauffeur für jemanden, der zu einer spannenden Reise aufbrach oder von einer zurückkehrte.
Mittlerweile spürte sie die Aufregung. Es fühlte sich an wie ein Kribbeln, das sich langsam im ganzen Körper ausbreitete. Sollte sie eine der Tabletten nehmen, die ihr der Arzt für vor dem Flug empfohlen hatte? Schaden konnte es ja nichts, bevor die Aufregung in Angst umschlug.
Gesagt, getan, mit sofortiger Wirkung. Ein richtiges Hochgefühl breitete sich nun in ihr aus, das beim Blick auf die Rechnung allerdings jäh zerstört wurde. Zwölf Euro sollte der lächerliche Kaffee mit aufgeschäumter Milch kosten. Da hätte sie ja gleich Champagner trinken können!
Mit reichlich schlechterer Laune, als ein paar Minuten zuvor, trat sie an den Lufthansa-Schalter zum Einchecken. Sie schien einer der ersten Passagiere für ihren Flug zu sein und trotzdem wirkte die Dame hinter dem Schalter schon reichlich gestresst.
„So, Frau Kramer, hier ist Ihre Bordkarte für Platz 54B“, verkündete diese, nachdem sie ein paar Minuten wortlos auf ihrem Computer rumgehackt hatte.
„54B?“, hakte Valentina überrascht nach, „wieso denn das? Ich hatte doch Platz 33C reserviert. Ein Gangplatz mit extra viel Beinfreiheit!“
„Tja, das kommt vor …“, sagte ihr Gegenüber und betonte jedes Wort, als würde sie mit einem Kleinkind sprechen.
„Was heißt da ‚das kommt vor’? Ich habe doch extra dafür bezahlt!“, empörte sich Valentina. Wollte die Lufthansa-Tante sie veräppeln?
„Das können wir ja mit dem Aufpreis für Ihr Gepäck verrechnen“, verkündete die Dame hinter dem Schalter hierauf, als hätte Valentina einen Preis gewonnen.
„Was für einen Aufpreis für das Gepäck denn?“
„Ihr Koffer ist zwei Kilogramm zu schwer“, behauptete die immer unsympathischer werdende Frau und deutete mit ihrem blutrot lackierten Fingernagel auf die Gewichtsanzeige.
25.1 kg stand dort.
„Aber ich dachte, ich dürfe zweiunddreißig Kilo mitnehmen ...“, setzte Valentina an, zu protestieren, als die Ziege unverschämt anfing, zu lachen und laut losprustete: „Wann sind Sie denn das letzte Mal geflogen? Im letzten Jahrhundert?“ Dies hatte sie eher in Richtung ihrer Kollegen an den anderen Schaltern geschrien, die nun fröhlich in ihr Gelächter einstimmten. Sogar ein paar Reisende, die mittlerweile in der Schlange hinter ihr standen, hörte sie darüber lachen.
Schadenfreude pur.
Wobei das auch noch stimmte. Was war schon dabei?
Blöde Schnepfe!
Das Lachen ihres Gegenübers verstummte genauso abrupt, wie es begonnen hatte, und sie funkelte Valentina mit bösen Augen an.
„Habe ich das gerade laut gesagt?“, fragte Valentina erschrocken und befürchtete, dass ihr der Arzt anstatt Beruhigungspillen ein Wahrheitsserum verabreicht hatte.
„Allerdings“, kam es kühl zurück. „Also, was ist jetzt? Zahlen Sie das Übergewicht nun endlich?“
Schnell ging Valentina im Kopf alle Gegenstände durch, die sie mitgenommen hatte und überlegte, was davon zwei Kilo wiegen würde und was sie einfach in die Mülltonne schmeißen konnte.
Im Internet hatte sie gelesen, dass man sich zu dieser Jahreszeit, wie eigentlich zu jeder anderen auch, in San Francisco am besten nach dem Zwiebelprinzip kleiden sollte. Das hieß, morgens verließ man das Haus mit dicker Daunenjacke und Winterstiefeln, legte dann eine Schicht nach der anderen ab, bis man nachmittags im Bikini und Flipflops in einem Café oder am Strand saß. Des Weiteren musste sie für alle Gegebenheiten gewappnet sein: Von der hippen Surferbar, über das Öko-Restaurant, dass man nur nach stundenlangem Fußmarsch erreichen konnte, bis hin zum Gourmet-Schuppen der Schickeria von San Francisco. Unmöglich konnte sie etwas an dem Gewicht ändern.
„Was macht das?“, fragte sie übertrieben cool, als wäre ihr der Aufpreis völlig egal.
„Fünfzig Euro wären das“, erwiderte die Schrulle hämisch.
Mittlerweile fand Valentina, dass diese besser an die Kasse einer Peepshow in der Frankfurter Kaiserstraße gepasst hätte und das wäre noch ein Kompliment.
„Was heißt da wären? Kostet es fünfzig Euro oder nicht?“, gab Valentina pampig zurück und merkte, wie die Luft zwischen ihnen anfing zu kochen.
„Fünfzig Euro. Keinen Cent mehr und keinen Cent weniger.“
Genervt gab sie der blöden Kuh ihre Kreditkarte und bei der Vorstellung, einen Sitzplatz in der Mitte einer Sitzreihe zu haben, überkam sie schon jetzt die Panik. Einen letzten Versuch musste sie noch unternehmen.
„Nochmal wegen des Sitzplatzes. Das geht nicht. Ich habe wahnsinnige Flugangst und muss am Gang sitzen.“
Hierauf griff die blöde Schnepfe einmal tief unter den Tresen und reichte ihr, ohne sie noch einmal anzublicken, einen Stapel Kotztüten.
„Der Nächste bitte!“
Das Einchecken war ja eine absolute Unverschämtheit, dachte Valentina verärgert, wollte sich aber die Vorfreude auf ihren Kalifornienurlaub nicht verderben lassen. Durch nichts und niemanden. Langsam schlurfte sie die Gänge des Flughafens entlang, auf der Suche nach ihrem Gate.
Gerade hatte sie Gate 17 passiert, sie musste allerdings zu Gate 104. Das konnte doch unmöglich sein. Es kam ihr vor, als würde sie schon seit einer Stunde durch den Flughafen irren.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie endlich Gate 104. Völlig erschlagen ließ sie sich auf einen der Sessel fallen. Ihre Beine waren taub und es überkam sie eine bleierne Müdigkeit. Was war nur los mit ihr?
Hektisch durchwühlte sie ihre Handtasche und kramte die Medikamente heraus. Ihre Vermutung bestätigte sich: Sie hatte die K.O.-Schlaftabletten für den Flug mit den Fit-aber-keine-Panik-Pillen für vor dem Flug verwechselt. Kein Wunder. Kurz darauf war sie tief und fest eingeschlafen.
Ihr eigenes Schnarchen weckte sie auf. Erschrocken fuhr sie hoch und blickte sich um. Vor ihr stand ein etwa fünfjähriger Junge, der sie mit offenem Mund anstarrte, wie es vermutlich vor ein paar Minuten noch alle Passagiere um sie herum getan hatten, die nun so taten, als wären sie mit irgendetwas beschäftigt. Fremdschämen kannten Kinder wohl nicht.
Etwas verlegen lächelte sie dem Rotzlöffel zu, der sie immer noch völlig ungeniert anglotzte und zückte dann ihr Handy, um sich noch einmal von ihrer Mutter zu verabschieden. Sie hoffte, diese würde ihr die Flugangst nicht anhören.
Kurze Zeit später begann bereits das Boarding. Immerhin hatte ihr neuer Sitzplatz den Vorteil, dass er so weit hinten im Flieger war, dass sie direkt nach der Businessclass die Maschine betreten durfte.
Außerdem kann ich von meinem Mittelplatz aus bestimmt den ein oder anderen netten Ausblick aus dem Fenster erhaschen, redete sich Valentina die Situation schön. Nebenbei machte sie die Atemübungen, die der Arzt ihr empfohlen hatte und betrat den großen Blechvogel. Mit langsamen Schritten schleppte sie sich den Gang im Flugzeug entlang, als wäre es ihr Weg zum Schafott.
Immer wieder blickte sie auf die kleinen Metallschildchen über den Sitzreihen, bis sie „54A, 54B, 54C“ entdeckte. Der Fensterplatz war schon belegt. Noch einmal schaute sie auf das Schild, ob dies die richtige Sitzreihe war.
Nun lächelte sie der sehr beleibte Mann, der auf dem Fensterplatz saß freundlich an, was sie etwas verkrampft erwiderte.
Valentina traten Schweißperlen auf die Stirn: Auf Fensterplatz 54A saß definitiv der dickste Mensch, den sie je gesehen hatte. Die Armlehne zwischen den beiden Sitzen war überhaupt nicht mehr zu sehen. Ober- und unterhalb der Lehne quollen Schenkel- und Hüftspeck des Mannes auf ihren Sitz, der in dem Augenblick entschuldigend mit den Schultern zuckte, was vermutlich so viel heißen sollte wie „da müssen Sie jetzt wohl die nächsten zwölf Stunden durch!“
Immer noch starrte sie entsetzt auf die Sitzreihe, ohne sich zu bewegen, als sich jemand hinter ihr räusperte. Ruckartig drehte sie sich um und blickte in ein Paar asiatische Augen über einem professionellen Mundschutz, wie sie ihn bisher nur in Krankenhäusern gesehen hatte. Valentina konnte nicht sagen, ob ihr Gegenüber sie gerade anlächelte oder ihr die Zunge herausstreckte, mit einem Kopfnicken deutete dieser allerdings in Richtung Sitz Nummer 54C.
Ah! Mein anderer Sitznachbar. Wie entzückend.
Blieb nur noch die Frage, ob dieser selbst eine tödlich ansteckende Krankheit hatte oder sich vor einer schützen wollte. Immerhin war er dünn wie ein Streichholz, was sie sehr begrüßte, roch allerdings etwas sonderbar.
Gerade als Valentina es geschafft hatte, sich neben dem Fettwanst unter unglaublichen Verrenkungen und Mithilfe der Stewardess, anzuschnallen, rollte der Flieger schon auf die Startbahn.
Mein Gott, wie das wackelt! Ist das normal? Da fällt doch gleich ein Triebwerk oder der ganze Flügel ab, dachte sie panisch. Sie merkte, dass ihre Atmung schneller und unregelmäßig wurde. Als der A380 dann auf der Startbahn voll beschleunigte, entwich ihr ein entsetzter Aufschrei, und ihr wurde klar, dass sie dies unmöglich durchstehen konnte. Hektisch kramte sie in ihrer Handtasche nach den Tabletten und nahm gleich zwei von den K.O.-Pillen auf einmal. Denn dass diese wirkten, wusste sie ja bereits.
Auf nicht einmal tausend Metern Höhe fielen Valentina die Augen zu und sie versank in einen traumlosen Schlaf.
Etwa auf der Höhe von Grönland kam sie langsam wieder zu sich und wunderte sich über das weiche, warme und wabbelige Kissen, auf dem ihr Kopf gebettet war. Sie öffnete die Augen schon mit einer gewissen Vorahnung. Als sie dann nach oben blickte, sah sie das breite Grinsen ihres übergewichtigen Sitznachbarn.
Oh Gott! Wie widerlich!
Schnell setzte sie sich wieder auf, als wäre nichts geschehen und hörte den Fettsack ein leises „Schade“ murmeln. Er schien die letzten Stunden durchaus genossen zu haben.
Valentina blickte auf die Fluganzeige auf dem Bildschirm vor sich: Schon zweieinhalb Stunden Flugzeit waren rum. Yippie! Noch neuneinhalb Stunden hatte sie vor sich. Das würde sie nicht überleben!
Als sie sich hilfesuchend umblickte, sah sie, dass sich gerade zwei Flugbegleiter durch die engen Gänge zwängten, um das Mittagessen zu servieren. Es roch zugegebenermaßen gar nicht schlecht. Bei den Fluggästen in den Reihen vor ihr hörte Valentina schon, was heute auf dem Speiseplan stand: Rouladen mit Spätzle oder als vegetarische Variante Gemüseschnitzel mit Hirsepüree.
Da fiel ihr die Auswahl natürlich nicht schwer. Die Rouladen rochen köstlich und sie konnte sich im Augenblick nichts Besseres vorstellen.
Als die Stewardess, die die Zwillingsschwester der Check-in-Dame hätte sein können, bei ihrer Sitzreihe ankam, bediente sie zuerst den Fensterplatz. Als Valentina dann an die Reihe kam und freudig sagte: „Rouladen auch für mich, bitte“, machte die Flugbegleiterin ein langes Gesicht.
„So wie es aussieht, habe ich keine Rouladen mehr“, gab sie zu bedenken. Nachdem sie, laut klappernd, etwa fünfzig Schubladen in dem kleinen Wägelchen auf- und wieder zugeknallt hatte, verkündete sie: „Ich schaue mal in der Küche nach und komme gleich wieder.“
Natürlich kam sie erst dreißig Minuten später von ihrer Suche nach Rouladen zurück und, wie sollte es auch anders sein, hatte der Fettsack die letzten Rouladen im ganzen Flugzeug bekommen. Valentina bekam ein latschiges Gemüseschnitzel mit Hirsebrei, das mittlerweile auch noch kalt war.
Resigniert stopfte sie nur ein trockenes Brötchen in sich hinein und gab den Rest von dem ekelhaften Essen ihrem gefräßigen Sitznachbarn, der mit seinen Blicken bereits Löcher in ihr Tablett gestarrt hatte. Das Essen von dem todkranken Asiaten auf 54C lehnte er allerdings dankend ab. Wahrscheinlich hatte er Angst, auch bald so ein Klappergestell zu sein wie dieser.
54A grunzte noch einmal zufrieden und schlief nach seinem Festmahl tief und fest ein. Nichts konnte ihn wecken, wie Valentina nicht ohne Neid feststellen musste.
Sie hingegen versuchte vergeblich, sich auf ihren Reiseführer oder einen Film zu konzentrieren, bis sie schließlich nur noch auf die Weltkarte auf dem Monitor vor sich starrte und die Minuten bis zur Landung rückwärts zählte. Das Frustrierende daran war, dass tatsächlich jeder Passagier in dem Blechvogel zu schlafen schien. Auch der Asiate neben Valentina war in einen komaartigen Tiefschlaf verfallen und hatte die für seine Körpergröße ungewöhnlich langen Beine in einer Art Schneidersitz verschlungen. Somit war es für Valentina unmöglich, ihren Sitz zu verlassen, um sich die Füße etwas zu vertreten oder zur Toilette zu gehen. Deprimiert nippte sie alle halbe Stunde an ihrem schalen Wasser, um nicht auf das Klo gehen zu müssen und machte Gymnastik mit ihren Beinen, um eine tödliche Thrombose zu verhindern.
Nun hatte sie schon fast acht Stunden Höllenqualen durchgestanden, da wollte sie San Francisco zumindest zu Gesicht bekommen!
Endlich war es soweit: Das Flugzeug hatte schon lange die normale Flughöhe verlassen und wackelte seinem Ziel entgegen. Valentina war zwar speiübel, aber sie freute sich wahnsinnig auf das, was nun kommen würde.
Gerade hatte der Pilot mit einer äußerst sympathischen Stimme verkündet, dass sie noch eine Warteschleife drehen mussten und empfohlen, dass man dabei aus dem Fenster blicken solle.
Auch noch eine Warteschleife, hatte Valentina zuerst gedacht, die so schnell wie möglich aus dem Kasten raus wollte. Als sie dann allerdings aus dem kleinen Fenster blickte, war sie überwältigt. In dem Moment flogen sie einen großen Bogen über den Pazifik, der in greifbarer Nähe zu sein schien. Als Nächstes sah sie die typisch zerklüftete kalifornische Steilküste, die romantisch von der Sonne angestrahlt wurde und dann das berühmte Wahrzeichen der Stadt. Die Golden Gate Bridge erschien leuchtend rot rechter Hand vom Flugzeug, das nun in diese Richtung steuerte.