Meermomente mit Zuckerguss - Mimi J. Poppersen - E-Book

Meermomente mit Zuckerguss E-Book

Mimi J. Poppersen

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Beschreibung

Yvonne muss nicht lange überlegen, als ihre Tante Heidi sie bittet, in ihrem Café in Kalifornien auszuhelfen. Einen passenderen Zeitpunkt hätte es nicht geben können, da in ihrem Leben gerade so einiges schiefläuft. Was könnte es da Besseres geben, als in das sonnige Kalifornien aufzubrechen? Nach einem holprigen Auftakt verliebt sich Yvonne schnell in das schillernde Küstenstädtchen Santa Cruz und meistert mit Heidi zusammen so manche Hürde rund um das Café. Schon bald merkt Yvonne, dass ihr die gelassene kalifornische Lebensweise gefällt, von der sie sich gerne etwas abschauen möchte. Daher lässt sie sich zu einem spontanen Campingtrip in den Yosemite National Park überreden, nicht ahnend, dass dies mit einem alten VW-Bulli im April nicht gerade ein Erholungsurlaub wird. Obwohl der Ausflug im Desaster zu enden scheint, ist da dieser eine Mitreisende, der ihr Herz schneller schlagen lässt. Yvonnes Kalifornienaufenthalt entwickelt sich überraschend anders und stellt nicht nur ihr Leben komplett auf den Kopf.

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Mimi J. Poppersen

Meermomente mit Zuckerguss

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Meermomente mit Zuckerguss

von

Mimi J. Poppersen

Mimi J. Poppersen auf Instagram

Text Copyright © Mimi J. Poppersen

1. Korrektorat: Jo van Christen

2. Korrektorat: Anja Karl

Lektorat: Media-Agentur Gaby Hoffmann | https://www.profi-lektorat.com

Coverdesign by A&K Buchcover | https://www.akbuchcover.de/

Verwendete Grafiken:

[email protected] - PNGTree

Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher

Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen

sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden

Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtig.

„California! Here we come!“

Phantom Planet

(unser Hochzeitslied)

Ein Café in Kalifornien, ein alter VW-Bus und jede Menge (Liebes-)Abenteuer!

Yvonne muss nicht lange überlegen, als ihre Tante Heidi sie bittet, in ihrem Café in Kalifornien auszuhelfen. Einen passenderen Zeitpunkt hätte es nicht geben können, da in ihrem Leben gerade so einiges schiefläuft. Was könnte es da Besseres geben, als in das sonnige Kalifornien aufzubrechen?

Nach einem holprigen Auftakt verliebt sich Yvonne schnell in das schillernde Küstenstädtchen Santa Cruz und meistert mit Heidi zusammen so manche Hürde rund um das Café.

Schon bald merkt Yvonne, dass ihr die gelassene kalifornische Lebensweise gefällt, von der sie sich gerne etwas abschauen möchte. Daher lässt sie sich zu einem spontanen Campingtrip in den Yosemite National Park überreden, nicht ahnend, dass dies mit einem alten VW-Bulli im April nicht gerade ein Erholungsurlaub wird. Obwohl der Ausflug im Desaster zu enden scheint, ist da dieser eine Mitreisende, der ihr Herz schneller schlagen lässt.

Yvonnes Kalifornienaufenthalt entwickelt sich überraschend anders und stellt nicht nur ihr Leben komplett auf den Kopf.

1. Meermomente

Yvonne konnte kaum glauben, dass sie tatsächlich hier war. Sie war am Meer – und nicht an irgendeinem, sondern dem rauen, ungestümen Pazifik!

Trotz ihrer Flugangst und allen Bedenken hatte sie es geschafft, den halben Erdball zu umkreisen, um hierher zu kommen. Gerade saß sie barfuß am Strand des kalifornischen Küstenstädtchens Santa Cruz, ließ ihre Zehen vom Meerwasser umspülen und blickte auf den endlos wirkenden Ozean.

Vor sich sah sie unzählige kleine Schaumkronen, die das Wasser schmückten wie Zuckerguss eine Torte. Dass sie vieles durch eine rosarote Brille sah, mochte daran liegen, dass sie am nächsten Tag ihren neuen Job in einem Café hier anfing. Vermutlich wirkte daher alles wie überzogen mit einer Verzierung aus rosafarbenem Zuckerguss.

Der Ozean hatte etwas Beruhigendes. Das gleichmäßige Rauschen der Wellen war wie Balsam für die Seele. Neben den Zuckerguss-Schaumkronen beobachtete Yvonne erstaunlich viele Surfer, die es kaum erwarten konnten, eine Welle zu ergattern. Linkerhand am Strand lagen einige Seehunde im Sand und sonnten sich direkt unter einer steilen Felsklippe, die ein hübscher Leuchtturm schmückte.

Ein absolutes Postkartenmotiv. Nur, dass es diesmal keine Ansichtskarte war, sondern sie Teil dieses Motivs war!

Ihr war gar nicht klar gewesen, wie sehr sie das Meer vermisst hatte. Obwohl, konnte man etwas vermissen, wenn man es gar nicht richtig kannte? Denn das, was sie hier vor sich sah, war nicht zu vergleichen mit ihren bisherigen Urlauben an der Nordsee.

Hier roch es nach Freiheit, Abenteuer und Natur pur! Jede Windböe brachte einen Hauch von Salzwasser mit sich. Sie konnte Mutter Natur förmlich spüren.

Entspannt schloss sie die Augen und lehnte sich zurück, um die wärmende Aprilsonne zu genießen, als sie plötzlich aufschrie und zurückschreckte.

Eine vorwitzige Welle eiskalten Pazifikwassers hatte sie überspült und ihre Hose bis zur Hüfte völlig durchnässt.

„Mann, das ist aber schweinekalt!“, fluchte sie und sprang auf, um sich vor der nächsten Welle zu retten, die bereits auf sie zu rauschte. Da der zuvor lockere Sand sich innerhalb einer Millisekunde in eine zähe Masse verwandelt hatte, konnte sie nicht schnell genug flüchten, und auch dieser Wasserschwall erwischte sie an den Füßen.

Wo waren überhaupt ihre nigelnagelneuen Turnschuhe?

Suchend blickte sie sich um und konnte gerade noch sehen, wie ihre Schuhe auf der zweiten Woge auf und ab tanzten, als wollten sie sich über sie lustig machen.

Geistesgegenwärtig schmiss Yvonne ihren Rucksack in den trockenen Sand, um ihren Schuhen hinterherzuhechten. In dem Moment, als sie sich in die eiskalte Meereswoge stürzen wollte, rief ihr ein nur in Badeshorts bekleideter Surfer etwas zu, das sie nicht verstehen konnte.

Während sie den California Beachboy, der aussah, als hätte er den letzten Mr. Universe Contest gewonnen, anglotzte, erwischte sie die nächste Welle ohne Vorwarnung, da sie in die andere Richtung geblickt hatte.

Die Wucht des Wassers haute sie glattweg um, allerdings nicht im guten Sinne. Die Beine wurden ihr schmerzhaft weggerissen, als wären sie Strohhalme, und sie wurde umhergewirbelt wie ein Blatt im Wind.

Augenblicklich schmeckte sie das salzige Nass im Mund und verschluckte sich daran. Als sie husten musste, gelang nur noch mehr Wasser in ihre Lunge. Auch spürte sie den Sand, den sie noch vor wenigen Sekunden so malerisch gefunden hatte, überall. Bis in ihre Unterhose wurde dieser gespült. Nach ein paar Umdrehungen fand Yvonne wieder Halt.

Auf allen vieren krabbelte sie ins Trockene, wo sie erstmal das Seegras von ihrem Körper entfernte. Noch immer musste sie husten. Das Meer war wirklich außergewöhnlich kalt. Bereits jetzt war ihr klar, dass sie den neu gekauften Badeanzug niemals tragen würde.

„Brauchst du Hilfe?“, hörte sie in dem Moment eine tiefe männliche Stimme über sich.

In der Hoffnung, dem Adonis von Surfer ihre eiskalte Hand reichen zu können, damit er ihr aufhelfen konnte, blickte sie hoch. Doch dort stand nicht Mister Universe, sondern eher der Weihnachtsmann in Shorts und Flipflops. Der ältere Herr hatte einen weißen Rauschebart und trug eine rote Sonnenbrille. Er schenkte ihr ein Lächeln, das eine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen entblößte, und streckte ihr die Hand entgegen.

„Du bist wohl neu hier?“, fragte er lachend.

„Ja, gerade erst angekommen“, meinte Yvonne etwas außer Atem, während sie sich ein besonders dreistes Seegras aus der Hose fischte.

„Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Die Flut kündigt sich meist mit einer ersten größeren Welle an. Da sind schon viele Badehandtücher draufgegangen“, erklärte er und grinste, als wäre das besonders lustig. Ihr fiel auf, dass der Fremde einen komischen Akzent hatte, fast konnte man meinen, er stamme aus Schottland.

„Meine Schuhe sind weg“, kommentierte Yvonne seine Erklärung nur, die wenig begeistert von dieser ersten Flutwelle war. Hierauf zuckte er etwas hilflos mit den Schultern und folgte ihrem Blick auf die See, wo keine Spur mehr von ihren Turnschuhen war.

„Und mein Rucksack auch“, stöhnte Yvonne dann, als sie sich am Strand umblickte.

„Daran solltest du dich leider auch gewöhnen. Hier wird sehr viel geklaut“, sagte der Fremde leichthin und reichte ihr das völlig durchnässte Handtuch. Das Einzige, das ihr geblieben war!

„Vielen Dank“, murmelte Yvonne und ließ sich einfach in den Sand plumpsen. Wie konnte man nur innerhalb so kurzer Zeit so viel Pech haben? Das war wieder typisch.

Noch vor wenigen Minuten war die Welt in Ordnung gewesen und sie hatte den Augenblick genossen. Lediglich Sekunden später hatte das Meer sie halb und ihre Schuhe komplett verschluckt und ein Unbekannter ihren Rucksack geklaut.

Das Ganze war so irrwitzig, dass sie sich einfach rücklings in den Sand fallen ließ und anfing zu kichern. Bald hielt sie sich den Bauch vor Lachen. Ein stiller Beobachter hätte meinen können, sie sei übergeschnappt. Ein bisschen stimmte das ja auch. Sie fühlte sich, als wäre mit der forschen Welle eine Sicherung bei ihr durchgebrannt.

Suchend blickte sie sich um, denn sie hätte sich gerne noch einmal bei dem Weihnachtsmann bedankt. Immerhin war er ihr sogleich zur Hilfe geeilt. Doch auch von ihm war keine Spur mehr zu sehen. Vielleicht hatte dieser Badestrand auch etwas Mysteriöses an sich und ließ Dinge einfach verschwinden.

Offensichtlich war es doch keine gute Idee gewesen, nach ihrer Ankunft direkt hierher an den Strand zu kommen. Doch sie hatte es nicht abwarten können und wollte endlich das Meer sehen. Und da ihre Gastgeberin und zukünftige Vorgesetzte, Tante Heidi, gerade ihren Mittagsschlaf abhielt, hatte sie beschlossen, nur den Koffer abzustellen, und sich gleich auf eine Erkundungstour zu begeben.

Nun war sie um einiges schlauer und wusste, dass sich über die kommende Flut nur die Wellenreiter freuten; vielleicht noch Seeanemonen und Seesterne, die wieder vom schützenden Meerwasser verdeckt wurden und nicht mehr von Menschen angeglotzt oder begrapscht werden konnten.

Zugegeben, stimmte Yvonne dieses Ereignis etwas betrübt. Sie konnte von Glück reden, dass sich in dem Rucksack nichts Wertvolles befunden hatte. Geistesgegenwärtig hatte sie nur ein Handtuch, einen Zwanzigdollarschein und Sonnencreme hineingeschmissen. Ihr Handy hatte sie zum Glück in der Hosentasche gelassen. Dort war es zwar auch nass geworden, aber gottlob hatte sie nach ihrem letzten Handy-Toiletten-Desaster ein wasserfestes Exemplar gekauft.

Etwas entmutigt machte sie sich auf den Rückweg. Barfuß und völlig durchnässt. Wobei sie feststellen musste, dass sie da nicht die Einzige war. Die meisten spazierten an der Küstenstraße lediglich mit Badeschlappen oder barfuß entlang, viele von ihnen in einen Neoprenanzug gepresst.

Einmal hatte Yvonne so ein Ding angehabt und es als furchtbar empfunden, kaum Luft hatte sie bekommen. Hier sah es jedoch so aus, als wären diese Anzüge äußerst bequem zum täglichen Gebrauch. Jeder Zweite war in solch einen Gummianzug gequetscht, trug dazu locker ein Surfbrett unter dem Arm und joggte Richtung Meer.

Yvonne war gespannt, ihre Tante nach so langer Zeit wiederzusehen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Heidi nicht mehr fliegen, das behauptetet sie zumindest seit vielen Jahren.

Vielleicht hatte sie aber auch ähnliche Flugangst wie sie selbst und sich nicht mehr zu dem langen Flug überwinden können, was Yvonne durchaus verstehen würde.

Doch für sie selbst war der Flug nun unausweichlich gewesen. Tante Heidi brauchte dringend ihre Hilfe. Anscheinend traute sie sonst keinem, ihr erfolgreiches Café, das ihren Namen trug, zu führen.

Ehrlich gesagt, war Yvonne sich nicht sicher, worauf sie sich da eingelassen hatte. Mittlerweile bezweifelte sie, dass sie die Richtige für den Job war.

2. Tante Heidi

Yvonnes Tante war schon immer etwas anders gewesen.

„Extravagant und ausgefallen“, wie ihre Mutter Gretchen sie meist beschrieb.

Die Schwestern Gretchen und Heidi – oft fragte sich Yvonne, ob ihre Großeltern in einer Art Märchenwelt unterwegs gewesen waren, als sie die Namen für ihre Töchter ausgewählt hatten. Oder war dies früher in Mode gewesen?

Einmal hatte Yvonne ihre Mutter gefragt, ob ihr der Name Gretchen gefalle. Daraufhin meinte diese nur: „So heißt immerhin nicht jede Zweite. Mir gefällt es.“ Damit war das Thema abgehakt. Yvonne konnte vermutlich froh sein, dass sie so einen normalen Namen hatte und nicht Rosenrot oder Schneeweißchen hieß.

Yvonne hatte Tante Heidi immer sehr gemocht und sich stets auf ihre Besuche gefreut, die leider nicht häufig ausfielen, da sie bereits mit Mitte dreißig nach Amerika ausgewandert war. Niemals hatte sie diesen Schritt vor über vierzig Jahren bereut, wie sie stets beteuerte.

Yvonne war etwa zehn Jahre alt gewesen, als ihre Tante sie das erste Mal in die Kunst des Backens einwies.

Da waren die Schwestern ganz gegensätzlich. Ihre Mutter kochte äußerst ungern und bereitete meist nur die einfachsten Gerichte zu. Tante Heidi hingegen liebte es, in der Küche etwas Besonderes zu zaubern. Vor allem das Backen hatte es ihr angetan.

Damals hatte sie mit ihrer Tante zum ersten Mal Muffins gebacken. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Yvonne weder das Gebäck noch den Namen gekannt. Ihre Tante kringelte sich geradezu um sie, um ihr die Backkunst näher zu bringen und das nachzuholen, was ihre Schwester verpasst hatte.

Den ganzen Tag standen die beiden in der Küche, bis sie schließlich Muffins in einer Anzahl zubereitet hatten, mit der sie ganz Heidelberg hätten versorgen können.

Sie hatten Muffins mit Blaubeeren, Himbeeren und Kranbeeren gebacken, aber auch welche mit Schokoladenstückchen, Mandelsplittern und Mohn. Leidenschaftlich widmete sich Tante Heidi verschiedenen Varianten aus Schokolade, Vanille und Zitrone.

Yvonne war als kleines Mädchen völlig hingerissen von der Begeisterung ihrer Tante und wie sich die Küche mehr und mehr mit den kleinen Küchlein füllte. Oft durfte sie diese noch verzieren.

Sie erinnerte sich gut an den Moment, als ihre Mutter von der Arbeit zurückkam, in die Küche blickte und einen Schreianfall bekam. „Was macht ihr denn hier?“, donnerte sie los. Man konnte ihr ansehen, dass sie wenig begeistert über die Unordnung war.

„Das räumen wir doch alles wieder auf“, erwiderte Heidi nur über die Schulter, ohne sie anzublicken. Sie kannte ihre Schwester.

„Man kann euch beiden nicht alleine lassen!“

„Jetzt sei nicht so spießig!“, meckerte Heidi zurück, „du bist typisch deutsch!“

Dies war einer ihrer Standardsprüche, seitdem sie in die USA ausgewandert war. Immerhin brachte dieser ihre Mutter zum Schweigen. Denn spießig und typisch deutsch wollte sie natürlich nicht sein.

„Na gut, ich lass euch mal“, brummte sie nur und zog von dannen. Ihr Vater hingegen schien recht angetan von der plötzlichen Backwut, die in der Küche ausgebrochen war. Zwar wusste Yvonne, dass auch er Tante Heidi oft als verrückt oder etwas eigenartig bezeichnete, aber sie spürte, dass er seine Schwägerin gerade deshalb mochte.

Nachdem sie alles perfekt wieder aufgeräumt hatten und Gretchen einen Zitronenmuffin probiert hatte, gab sie Ruhe und beschwerte sich bei darauffolgenden Backmanövern nicht mehr. Vermutlich auch, da sie wusste, dass dies nicht besonders oft vorkam und wie sehr Yvonne die Zeit mit ihrer Tante genoss.

„Morgen machen wir Cupcakes“, frohlockte Heidi, die stundenlang backen konnte, ohne zu ermüden.

„Was sind denn Cupcakes?“, wollte Yvonne neugierig wissen.

„Das sind im Grunde auch kleine Küchlein – wie Muffins. Der Name stammt daher, dass der Teig ursprünglich in einer Tasse, also einer ‚Cup‘ gebacken wurde. Im Unterschied zu den Muffins hat ein Cupcake einen Zuckerguss und manchmal noch Verzierungen. Das wird dir Spaß machen, meine Kleine!“

Yvonne konnte das nächste Backen mit ihrer Tante kaum abwarten. Leider gab es davon nicht mehr viele, da Heidi immer seltener nach Deutschland zurückkehrte. In den USA war sie oft umgezogen, lebte sogar auf Hawaii und hatte dort barfuß am Strand geheiratet. Davon hatte Yvonne nur Bilder gesehen, da diese Hochzeit eine überaus spontane Entscheidung gewesen war, an der keine Gäste teilgenommen hatten.

Ihr Ehemann war ein Hawaiianer, der um einiges jünger war als sie und den die Familie niemals zu Gesicht bekam, da die Ehe nicht lange hielt. Ständig war Heidi unterwegs zu neuen Abenteuern.

Wenn ihre Schwester sie fragte, wie sie denn ihr Geld verdiente, antwortete sie stets, dass sie schließlich nicht viel brauche. Das stimmte.

Heidi lebte mit dem, was sie am Körper trug und ein paar gepackten Koffern. Trotzdem – oder gerade deshalb – schien sie eine der glücklichsten Personen zu sein, die Yvonne jemals kennengelernt hatte.

Nach vielen Jahren des Umherziehens, hatte ihre Tante sich vor etwa zehn Jahren in dem Städtchen Santa Cruz an der kalifornischen Küste niedergelassen.

„Diese Stadt ist genauso verrückt wie ich!“, schwärmte sie am Telefon. Als sie dann noch berichtete, dass sie vorhabe, dort ein Café zu eröffnen, waren sie und ihre Eltern erstmal sprachlos.

„Die Amis lieben die deutsche Backkunst! Ihr werdet sehen, das wird einschlagen wie eine Bombe.“

Sie sollte recht behalten. Genauso kam es. Ihr Café in Santa Cruz wurde ein Riesenerfolg. Zuerst hatte sie einen recht überschaubaren Raum etwas außerhalb angemietet. Dieser bot lediglich Platz für eine Theke, in der sie ihre Backwaren ausstellen konnte und zwei kleine Tische zum Hinsetzen. Für den Anfang war dies allerdings genau das Richtige, wie Heidi nicht müde wurde, zu betonen, da sie äußerst wenig Miete zahlte, aber bereits nach ein paar Wochen schon einen gehörigen Umsatz gemacht hatte.

Die Leute standen Schlange, um ihr deutsches Brot, Laugenbrezel oder Schwarzwälder Kirschtorte zu bestellen. Natürlich gab es dort auch Muffins, meist mit einer kleinen deutschen Variation. Ihre Laugenmuffins etwa waren ein absoluter Renner, ebenso die Karottenmuffins, die sie an ein deutsches Rezept anlehnte. Auch ihre Croissantmuffins waren immer innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.

Kurzum, ihr kleines Café boomte so sehr, dass sie sich bereits nach drei Monaten nach einer größeren Location umschaute, diesmal in der Stadtmitte. Als ein Laden direkt auf der Hauptstraße von Santa Cruz, der Pacific Avenue, zur Verfügung stand, schlug Heidi sofort zu.

Obwohl dieses Café fast zehnmal so groß war wie das vorherige und über einen Außenbereich zum Sitzen verfügte, war sich Heidi sicher, dass es ein Erfolg werden würde.

Sie sollte sich nicht irren. Seit nunmehr fast zehn Jahren war das Café ein beliebter Anlaufpunkt für Jung und Alt, für Touristen sowie Einheimische. Tante Heidi hatte viele Stammkunden, die ihr deutsches Brot oder das Laugengebäck liebten. Sogar einige der großen Hightechfirmen in Silicon Valley ließen sich mit ihren deutschen Backwaren beliefern.

Heidi hatte mittlerweile einige Angestellte, stand aber am liebsten selbst hinter der Theke. Ihre Familie in Deutschland hielt sie stets mit Fotos, die sie noch klassisch per Brief versandte, auf dem Laufenden.

Yvonne fand es äußerst bewundernswert, wie ihre Tante vor zehn Jahren mit bereits über sechzig diesen Laden aus dem Nichts gestampft hatte und damit mittlerweile richtig erfolgreich war.

Gerade stand Yvonne vor dem Schaufenster des Cafés und betrachtete die Auslage. Heidis Dekoration konnte sich sehen lassen: Wie es aussah, hatte sie nach jedem Deutschlandaufenthalt einen ganzen Koffer mit typisch deutschen Sachen mitgeschleppt. Zu sehen waren unzählige Bierkrüge, Nussknacker, Wetterhäuschen, eine Kuckucksuhr und sogar ein paar grinsende Gartenzwerge standen zwischen dem Gebäck hinter dem Schaufenster.

Trotz der Menge an kitschigen Dekoartikeln war es Heidi irgendwie gelungen, dass dies nicht überladen wirkte und recht hübsch aussah. Zumindest schien es den Leuten zu gefallen, wie Yvonne feststellte. Ein Gast wartete geduldig, bis sie zur Seite trat, damit er ein Foto von Heidis Miniatur-Deutschland machen konnte.

Yvonne war froh, hierhergekommen zu sein und endlich einmal Heidis Café mit eigenen Augen zu sehen und nicht nur auf Bildern. Auch wenn dies barfuß, mit nasser Kleidung und ohne ihren Rucksack war.

Ihr war völlig klar gewesen, dass sie ihrer Tante helfen würde, sollte diese jemals ihre Hilfe benötigen. Vor drei Tagen war es dann soweit gewesen, und Yvonne hatte nicht mit der Wimper gezuckt, zuzusagen und ihre Koffer zu packen.

Na gut, das stimmte nicht ganz, wegen der langen Reise hatte sie zumindest kurz darüber nachgedacht, ob sie es wirklich tun sollte. Aber nach kurzem Abwägen stand außer Frage, dass sie dies auf sich nehmen würde.

Dass ihre Tante aber auch so viel Pech haben musste. Yvonne hatte nicht schlecht gestaunt, als ihre Mutter ihr die Neuigkeiten verkündet hatte.

3. Midlife-Crisis

Mit sorgenvollem Blick beobachtete Yvonne ihre Mutter, die gerade einen Anruf aus den USA erhalten hatte. Besorgt ging diese in der Küche auf und ab, lauschte der fremden Stimme und stellte hin und wieder eine Frage.

Da das Englisch ihrer Mutter nicht das beste war, musste sich Yvonne aus den Bruchstücken etwas zusammenreimen. Was ihr zu Ohren kam, hörte sich auf jeden Fall nicht gut an.

„Tante Heidi ist schwer gestürzt“, bestätigte ihre Mutter die Vermutung, nachdem sie aufgelegt hatte.

Yvonne wusste, dass dies eine der Horrorvorstellungen schlechthin für Gretchen war. Oft hatte sie ihre Sorge ausgedrückt, dass ihrer älteren Schwester mit Mitte siebzig im entfernten Amerika etwas passieren könnte.

„Was machen wir denn nun bloß?“, wollte sie verzweifelt wissen, während sie weiter vor Yvonne herumtigerte.

„Wer hat dich gerade angerufen?“, versuchte Yvonne, Licht ins Dunkel zu bringen.

„Eine Krankenschwester auf Anweisung von Heidi.“

Beide wussten, dass sie die einzigen Verwandten waren, an die sie sich wenden konnte. Ihre Ehe und Beziehungen waren stets kinderlos geblieben.

„Wie ist das passiert?“, hakte Yvonne weiter nach.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie ausgerutscht, hingefallen und hat sich den Arm gebrochen und einen Sehnenriss am Bein zugezogen. Es ist auch noch der rechte Arm, der mehrfach gebrochen ist.“

Yvonne konnte Gretchen die Sorge an der Stimme anhören. Sie liebte ihre ältere, etwas verrückte Schwester innig und hätte vermutlich alles für sie getan ... außer sich in einen Flieger zu setzen.

Ihre Mutter hatte leider über die Jahre immer mehr Ängste entwickelt, die alle mit dem Reisen zu tun hatten. Vom Fliegen durfte man gar nicht sprechen, Zug fahren mochte sie seit ein paar Jahren auch nicht mehr und in letzter Zeit stieg sie sogar immer seltener in ein Auto. Hierbei machten ihr die Unaufmerksamkeit der anderen und ihre Angst vor Tunneln ein Strich durch die Rechnung.

Somit war ihre Mutter seit Jahren nur noch per pedes oder mit dem Rad unterwegs. Wenn es sein musste, fuhr sie mit ihrem Mann ein paar Kilometer, um einen größeren Einkauf zu machen, das war es aber auch.

Yvonnes Vater hatte sich daran bereits gewöhnt. Solange er einmal im Jahr mit seinen Freunden einen Angelurlaub machen konnte, schien ihm dies nichts auszumachen.

Kurz gesagt, Gretchen kam definitiv nicht infrage, um in die USA zu fliegen und Heidi zu helfen.

Die beiden Frauen schwiegen eine Weile, bevor Gretchen ihre Gedanken zusammenfasste: „Vielleicht ist dies ja gerade das Richtige für dich in der momentanen Situation.“

„Da bin ich mir nicht sicher ...“, wandte Yvonne ein.

An diesem Nachmittag war Yvonne zu ihren Eltern gekommen, um ihnen die unliebsame Neuigkeit zu überbringen, dass nun auch sie ihren Job verloren hatte, wie so viele während und nach der endlosen Pandemie. Da ihr Vater gerade Angeln war, berichtete sie erst einmal ihrer Mutter die unschönen Neuigkeiten.

Seit über zwanzig Jahren war Yvonne in dem renommierten Hotel Ritter in Heidelberg angestellt, das sich in dem ansehnlichen ältesten Gebäude der Stadt befand. Yvonne fing dort an, als sie schwanger war, anfangs nur als Servicekraft, später als Assistentin der Geschäftsleitung und zum Schluss hatte sie mit zwei Kollegen das Hotelmanagement übernommen. Im Grunde hatte sie dort eine tolle Karriere gemacht, obwohl sie ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau abgebrochen hatte. Doch auf Yvonne hatte man sich immer verlassen können und sie war sich für keine Arbeit zu schade, das hatte ihr Vorgesetzter ihr stets hoch angerechnet.

Ihr Beruf ließ sich damals bestens damit vereinbaren, dass Yannick ein Kleinkind war. Sie konnte halbtags arbeiten und ihre Arbeitszeiten größtenteils selbst bestimmen. Yvonne liebte ihr Mutterdasein, obwohl sie Yannick früh bekommen hatte. Dass die Schwangerschaft ungewollt aus einer flüchtigen Beziehung stammte, hatte ihr nur anfangs zu schaffen gemacht. Schon an Yannicks erstem Geburtstag war sie mit ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter völlig im Reinen, hatte allerdings die stetige Unterstützung ihrer Eltern, sodass es Yannick an nichts fehlte.

Seine Großeltern kümmerten sich um ihn und der Opa sah es als seine Aufgabe, den fehlenden Vater beim Heranwachsen zu ersetzen. Die beiden gingen gemeinsam Angeln, aber auch brachte ihm Opa Ernst das Radfahren bei, genauso wie später das Autofahren, ging mit ihm Schwimmen und Klettern im Wald, und trank sogar das erste Bier in einer Kneipe mit ihm.

Die Pandemie hatte das Hotel Ritter noch einigermaßen überstanden, obwohl es viele Monate geschlossen war und die Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt worden waren. Hier hatte der Hotelbesitzer sogar in Renovierungsarbeiten investiert, wovon ihm Yvonne stets abgeraten hatte. Doch der ältere Herr ließ sich nicht beirren und brachte die historische Hausfassade wieder auf Hochglanz.

Yvonne selbst hatte vielen Mitarbeitern die unschöne Nachricht überbringen müssen, dass sie nach der Kurzarbeit ihren regulären Job nicht mehr antreten konnten. An diesem Tag war nun sie selbst an der Reihe gewesen. Obwohl sie über die letzten Monate immer wieder damit gerechnet hatte, traf es sie heute wie ein Schlag. Überhaupt war dies ein komischer Tag und fühlte sich an, als sei sie mit dem falschen Fuß aufgestanden. Da passte die Hiobsbotschaft von Tante Heidi gerade ins Bild.

„Du meintest doch vorhin, dass dies nun ein guter Anlass wäre, mal etwas ganz anderes zu machen“, erinnerte sie ihre Mutter.

„Ja, das habe ich nur so gesagt“, wollte Yvonne sich herausreden.

„Also, ich fasse mal zusammen“, begann ihre Mutter und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, „du hast heute deinen Job verloren, deine Lieblingstante in den USA ist gestürzt und braucht deine Hilfe, und ich kenne keine Bessere, die ihr Café dort drüben leiten könnte.“

„Ich kenne mich doch gar nicht mit den Gepflogenheiten in den USA aus, Mama!“

„Ach, das ist eine Kleinigkeit. Anstatt Euro nimmst du Dollar entgegen, und Englisch sprechen kannst du sogar auch. Mich könnte man dort nicht hinter den Tresen stellen, aber dich alle Mal.“

„Und der Flug?“

„Das schaffst du schon!“, meinte ihre Mutter, als wäre es bereits beschlossene Sache.

„Ich weiß nicht ...“

„Kindchen, das ist ein Zeichen des Himmels. Anstatt hier zu versauern und in die Midlife-Crisis zu verfallen, kannst du ein neues Abenteuer in Amerika beginnen.“

Ich weiß nicht, ob es so ein Abenteuer ist, meine kranke Tante zu pflegen und dafür zwölf Stunden in einem Flugzeug zu sitzen, dachte Yvonne, was sie jedoch für sich behielt.

„Yvonne fliegt zu Heidi und unterstützt sie. Meine Schwester ist gestürzt“, rief ihre Mutter im nächsten Moment ihrem Vater zu, der gerade zur Tür hereinkam.

„Das nenne ich ja mal spontan“, meinte dieser, der seiner Tochter allerdings sofort ansah, dass etwas an der Geschichte nicht stimmte. Offensichtlich machte Yvonne ein äußerst langes Gesicht.

„Tatsächlich?“, fragte er an seine Tochter gewandt, während er den Mantel auszog.

„Mama scheint es schon beschlossen zu haben. Du kennst sie ja“, antwortete Yvonne schulterzuckend.

„Nun erzählt doch mal in Ruhe ...“, sagte ihr Vater in seiner angenehm abgeklärten Art und setzte sich zu ihnen. Vermutlich war er froh, dass ihn niemand darauf ansprach, wieder nichts gefangen zu haben. Ihren Vater trieb es bei jedem Wetter hinaus zum Angeln. Ein wenig hegte Yvonne allerdings den Verdacht, dass es ihn nur zu seinem Angelverein zog, um dort Gesellschaft zu haben und ein Bierchen zu trinken.

Etwa fünfzehn Minuten später saßen sie zu dritt am Küchentisch, blickten auf den Laptop ihres Vaters und suchten nach Flügen.

„Wieso meintest du eigentlich, ich verfalle in die Midlife-Crisis?“, wollte Yvonne von ihrer Mutter wissen.

„Na, das ist doch der ideale Anlass“, behauptete diese, als wäre die Midlife-Crisis etwas Tolles, „du bist arbeitslos, dein Sohn ist gerade ausgezogen, du bist Mitte vierzig und kommst bestimmt bald in die Wechseljahre“, erklärte sie dann allen Ernstes. Manchmal fehlte es ihrer Mutter wirklich an Feingefühl.

„So, wie du das zusammenfasst, bekomme ich keine Midlife-Crisis, sondern kann mich gleich von der Brücke stürzen.“

„Das musst du eben nicht, mein Kind, denn du fliegst zu deiner Tante nach Amerika!“

„Zu deiner verrückten Tante“, ergänzte ihr Vater.

„Na, dann ist ja alles in Butter!“, schloss Yvonne ironisch.

„Hier wäre ein günstiger Flug für sechshundertfünfzig Euro mit Zwischenstopp in London“, triumphierte ihr Vater in dem Augenblick.

„Ich fliege auf gar keinen Fall mit Zwischenstopp. Ihr wisst, dass Flugzeugunglücke zu 99 Prozent bei Start und Landung passieren“, behauptete Yvonne, da sie sich erinnerte, dies irgendwo mal gelesen zu haben, „wollt ihr mich loswerden?“

„Dann musst du aber fast das Doppelte zahlen.“

„Egal“, beteuerte Yvonne, die sich fragte, warum auf einmal klar war, dass sie überhaupt in die USA fliegen würde. Nach San Francisco, um genau zu sein.

„Die Krankenschwester ließ ausrichten, dass Heidi den Flug bezahlen will ... wenn ich das richtig verstanden habe“, wandte Yvonnes Mutter ein, ohne den Blick von den Flugzeugpreisen auf dem Bildschirm abzuwenden.

„Na dann“, rief ihr Vater aus, „deine Schwester schwimmt ja in Geld.“

Vermutlich schien er dies im Scherz zu meinen, wobei sich Yvonne nicht ganz sicher war. Ein wenig überforderte sie die ganze Situation. Heute Morgen noch Managerin eines Hotels, mittags arbeitslos, und abends Vertretung ihrer Tante in einem Café irgendwo in Kalifornien. Da musste man doch erst einmal tief durchatmen.

„Ich sollte das alles erst mal sacken lassen und mit Yannick besprechen“, sagte Yvonne entschlossen, der das Ganze einfach zu schnell ging.

„Was musst du denn da mit deinem Sohn besprechen? Der wohnt jetzt in Karlsruhe und freut sich wahrscheinlich für dich, wenn du nach San Francisco fliegst.“

Da hatte ihre Mutter vermutlich recht.

Yvonne musste zugeben, dass sie seit dem Auszug von Yannick etwas einsam war. Dieser war in eine WG nach Karlsruhe gezogen und somit nur fünfundvierzig Minuten entfernt, aber trotzdem war er nicht mehr bei ihr.

Yannick, der sich vor den meisten nur Nick nennen ließ, war seit Kindheitstagen oft mit im Hotel gewesen und hatte vermutlich deswegen die gleiche Karrierelaufbahn eingeschlagen. Nun studierte er an der Karlshochschule Hotelmanagement, hoffte aber auf einen Studienplatz an der Universität von Salzburg. Nicht auszudenken, wenn erst einmal so weit weg sein würde.

Vermutlich hatte ihre Mutter recht und es wäre gar nicht schlecht, wenn Yvonne mal ihren Standort wechselte – und wenn es nur für eine Reise war. Aber musste es gleich Kalifornien sein? Der Schwarzwald hätte ihr als Tapetenwechsel gereicht.

„Gut, mein Kind, dann lass das doch alles mal auf dich wirken, und ich schicke dir den Link zu den günstigen Flügen per E-Mail“, beschloss ihr Vater in seiner ruhigen Art.

Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich immer wieder wie ein Teenager, wenn sie bei ihren Eltern war. Aber das ging vermutlich vielen Erwachsenen so. Sobald man über die Schwelle des Elternhauses trat, war man wieder das Kind.

Yvonne bedankte sich bei ihren Eltern für die Unterstützung und machte sich auf den Nachhauseweg. Gerade als sie die Haustür hinter sich ins Schloss ziehen wollte, vernahm sie die Stimme ihrer Mutter: „Ich sage dir, Yvonne steckt mitten in der Midlife-Crisis, genau wie damals Heidi, als sie Hals über Kopf nach USA aufbrach. Es wird ihr guttun ...“

Mittlerweile glaubte Yvonne fast selbst, sich in einer Lebenskrise zu befinden. Sie beschloss, es sich zu Hause gemütlich zu machen und die Sachlage mit ihrem Sohn zu besprechen. Immerhin war dieser mit seinen neunzehn Jahren so gut wie erwachsen und hatte oft einen passenden Ratschlag parat.

4. Begeisterung

„Nach San Francisco? Wie cool ist das denn?“, überschlug sich Yannick sofort, als er von den Plänen seiner Mutter erfuhr.

„Findest du es nicht etwas überstürzt?“, äußerte Yvonne nur eines ihrer vielen Bedenken.

„Ja, schon. Aber es bleibt dir ja nichts anderes übrig. Tante Heidi braucht jetzt deine Hilfe und nicht irgendwann ...“

Wie recht er hatte. Ob ihre Abreise übereilt war oder nicht, stand gar nicht zur Debatte. Entweder sie machte sich jetzt, sprich in den nächsten Tagen, auf die Socken oder sie konnte es gleich bleiben lassen.

„Mama, das wird genial. Weißt du, wie cool Kalifornien ist? Da gibt es die großartigsten Strände und Santa Cruz ist eine Hippiestadt und ein absolutes Surferparadies. Ich hab’s gerade gegoogelt.“

„Na, das hört sich doch perfekt an für mich als eingefleischte Hippiefrau und Surferin“, scherzte Yvonne etwas lustlos. Sie konnte gar nicht genau sagen, was es war, dass sie so zögern ließ.

Vielleicht hatte sie ihre Kündigung noch nicht ganz verkraftet. Ein Tapetenwechsel war in der jetzigen Situation bestimmt nicht schlecht, aber musste es gleich so weit weg sein?

„Mama, dort ist immer schönes Wetter, auch jetzt Anfang April ist es da angenehm warm mit zwanzig Grad.“ Yannick schien nebenbei am Laptop alles über Yvonnes neue Heimat herauszufinden.

Er hatte, im Gegensatz zu ihr, schon oft davon gesprochen, seine Großtante einmal zu besuchen. Seine Euphorie war echt, er freute sich für seine Mutter, was nur nicht ganz auf sie überspringen wollte.

Als in dem Moment eine Textnachricht von Gretchen eintraf, die wissen wollte, ob sie ihrer Schwester denn zusagen konnte, war Yvonne klar, dass sie sich entscheiden musste. Hier und heute.

„Okay, ich fliege!“, sagte sie zu Yannick und beschloss, gleich ihre Mutter anzurufen.

„Mama, du bist der Hammer!“, kommentierte ihr Sohn mit wahrer Begeisterung.

Etwa eine Stunde später hatte sie einen Flug gebucht, mehrere Textnachrichten mit Tante Heidi ausgetauscht, die es vor Freude kaum in ihrem Krankenhausbett zu halten schien.

---ENDE DER LESEPROBE---