Pollys Welt steht Kopf - Mimi J. Poppersen - E-Book
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Pollys Welt steht Kopf E-Book

Mimi J. Poppersen

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Beschreibung

Pollys Welt sollte von diesem Tag an ein Traum sein: Sie zieht mit ihrem Freund in eine wunderschöne viktorianische Villa in San Francisco und fängt ihre Karriere bei einer renommierten Bank an. Doch es kommt alles ganz anders und ihre Träume verwandeln sich innerhalb kürzester Zeit in Albträume. Ihre Misere beginnt damit, dass sie „Simon the Great“, den dicken Perserkater ihres Vermieters hüten soll, obwohl sie unter einer starken Katzenallergie leidet. Kurz darauf steht ihr lang verschollener Bruder vor der Tür, der mit seinem Didgeridoo und Nacktyoga die Welt verbessern möchte. Ihm folgen in den nächsten Tagen noch einige Überraschungsgäste, mit denen sie niemals gerechnet hätte. Auch ihr neuer Job bei der Bank ist alles andere, als das, was sie sich vorgestellt hat. Hier muss sie sich mit schmierigen Chefs, strengen Gouvernanten und Märchenerzählern abgeben. Die größte Überraschung erwartet sie allerdings in nächster Nähe, in der Wohnung direkt unter ihr. Damit hätte sie in ihren wildesten Träumen nicht gerechnet! Nach all diesen Irrungen und Wirrungen erkennt Polly, dass ihr wirklicher Traum ein ganz anderer ist!

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Inhaltsverzeichnis

Dilemma

Abiturfeier

Schnapsidee

Impressum

Pollys Welt steht Kopf

von

Mimi J. Poppersen

Text Copyright © Mimi J. Poppersen

Coverdesign: Mimi J. Poppersen

Alle Rechte vorbehalten

Mimi J. Poppersen auf Instagram

„Love doesn’t make the world go round. Love is what makes the ride worthwhile.“

Franklin P. Jones

Pollys neue Welt

Zufrieden blickte sich Polly in ihrer neuen Wohnung um. Genau so hatte sie es sich vorgestellt. Ihre erste, eigene Wohnung, die sie mit ihrem selbst verdienten Geld bezahlte, zur Hälfte zumindest. Die andere Hälfte der Miete steuerte ihr Freund Mike bei, der bald miteinziehen würde. Polly trat ans Fenster und blickte auf die Stadt, die sie so sehr liebte. San Francisco! Endlich wohnte sie in ihrer Lieblingsstadt!

Sie ließ diesen Tag, der ihr Leben verändern sollte, noch einmal Revue passieren. Gerade war Mike wieder weggefahren. Leider hatten sie sich zum Schluss etwas gestritten oder „sachlich diskutiert“, wie er es immer nannte, aber nun vermisste sie ihn bereits.

Das Paar hatte sich schon lange auf den Umzug nach San Francisco gefreut und heute erst einmal Pollys Möbel in ihr neues Heim gebracht. „Umzug“ konnte man das Ganze eigentlich nicht nennen, denn ihr gesamtes Hab und Gut hätte locker in einer Speisekammer Platz gehabt. Polly wollte den ganzen alten, meist rosafarbenen Kram aus ihrem Kinderzimmer nicht mehr. Ihre Eltern hatten allerdings darauf bestanden, dem jungen Paar ein neues Bett für die Wohnung zu schenken, was Polly dankend angenommen hatte. Insgeheim fragte sie sich, was der Hintergedanke ihrer Eltern dabei war ...

Es war ein mächtiges, übergroßes Doppelbett mit einem massiven Holzrahmen und Löwentatzen als Füßen. Nicht ganz Pollys Geschmack. Eigentlich so ziemlich das hässlichste Bett, das Polly jemals gesehen hatte, aber wie war das mit dem geschenkten Gaul?

Wahrscheinlich tickte bei ihnen schon die biologische Großelternuhr. Aber da mussten ihre Eltern sich noch etwas gedulden. Zwar hatte Polly einen fünf Jahre älteren Bruder, der sie eigentlich als erste mit Enkelkindern beglücken sollte, aber dass dieser bald Kinder kriegen würde, war so wahrscheinlich wie ein ganzer Kindersegen für den Papst. Nicht dass er schwul wäre, er war nur irgendwie anders. Selbst noch ein Kind und irgendetwas war bei ihm wohl schief gelaufen in der Kindheit, was natürlich nie laut ausgesprochen werden durfte.

Polly war gerade erst sechsundzwanzig geworden, seit einem Jahr mit Mike zusammen und wollte erst einmal ihre Freiheit genießen. An Kinder war noch nicht zu denken.

Welche Freiheit eigentlich? fragte sie sich in dem Moment, da sie sich genau genommen ohne einen Tag Pause direkt nach dem Studium ins Arbeitsleben stürzte. Schnell verwarf sie diesen unliebsamen Gedanken wieder. Alles war perfekt! Wie sie es sich immer gewünscht hatte!

Außer dem monströsen Ehebett hatten ihre Eltern ihnen noch ein edles, schwarzes Ledersofa geschenkt. Das war schon eher vertretbar.

Beide Möbelstücke waren bereits geliefert worden und standen etwas verloren in den Räumen, als Polly und Mike an diesem Morgen ankamen. Einen Parkplatz in der steilen Straße zu finden, wie sie typisch für San Francisco war, hatte länger gedauert, als der ganze „Umzug“ selbst. Nicht einmal zwei Stunden brauchten sie, um die restlichen Möbelstücke, die Polly ihr Eigen nennen konnte, hochzutragen und aufzubauen: ein Bücherregal und einen Nachttisch mit dazu passender Nachttischlampe für das Schlafzimmer. Einen kleinen Tisch mit vier Stühlen für die Küche und für das Wohnzimmer einen Couchtisch und eine Stehlampe im Retrostil. Ansonsten hatte Polly noch einige Koffer und Kisten gepackt mit Klamotten, Handtüchern, Tischdecken, Gardinen, unendlich vielen Teelichtern und verschiedenen Kunstwerken. Dies waren nicht irgendwelche Kunstwerke, sondern von Polly selbst gezeichnete Gemälde in den verschiedensten Stilrichtungen. Ihr Repertoire war unbegrenzt.

Polly hatte der Umzug Spaß gemacht. Mike hingegen hatte sich nach dem bisschen Schleppen der dünnen Brettchen erstmal schweißüberströmt auf die Couch fallen lassen und gestöhnt. Einmal mehr musste Polly feststellen, dass Mike nicht sehr belastbar war und dazu tendierte, Sachen über zu dramatisieren.

Gut, sie konnte nachvollziehen, dass er eine weitaus längere Anreise gehabt hatte als sie und auch seine Abschlussprüfungen in den kommenden Wochen noch vor sich hatte. Diese hatte sie zum Glück schon vor zwei Wochen mit Bravour abgeschlossen. Ihr furztrockenes Finanzstudium an der Stanford Universität, für das ihre Eltern tausende von Dollar hingeblättert hatten, hatte sie zu ihrer eigenen Verwunderung in nur vier Jahren abgeschlossen.

Eigentlich sollte sie seit zwei Wochen feiern bis zum Umfallen, aber wenn sie dann Mikes langes Gesicht sah, wurde jede Feierstimmung gleich im Keime erstickt. Irgendwie tat er ihr dann auch immer leid. Außerdem war sie noch nie wirklich eine Partymaus gewesen und momentan hatte der Umzug sowieso Vorrang. Aber sie würden schon noch feiern, wenn Mike seine Prüfungen hinter sich hatte. Dieser war drei Jahre älter als sie und hatte sich wesentlich mehr durch sein VWL-Studium gequält, noch dazu an der völlig unbekannten Universität von San Luis Obispo, sechs Fahrtstunden von hier entfernt.

Polly hätte nach ihrem Studium an Stanford wahrscheinlich ihre Bewerbungen auch auf Klopapier verschicken können, Mike dagegen hatte es da schon schwerer. Aber es hatte geklappt. Beide hatten einen Job in ihrer Traumstadt bekommen: Polly bei der renommierten Westcoast Bank und Mike bei einer kleinen Finanzberatung. Noch dazu hatten sie diese Traumwohnung gefunden.

Wieder fiel Polly auf, dass Mike den ganzen Tag über recht schlechte Laune gehabt hatte.

Vor sich hin motzend hatte er sich daran gemacht, die Vorhänge in der Küche aufzuhängen.

„Was ist das denn für ein hässliches Muster?“, lästerte er.

„Was?“, fragte Polly ernsthaft überrascht. „Das ist doch ein nettes Blumenmuster. Schön hell und freundlich. Dazu passend will ich Blumen ins Fenster stellen“, erklärte sie ihm eifrig.

„Da kann ich ja gleich bei meiner Oma einziehen“, gab Mike halblaut von sich, als er wieder von der Leiter stieg und sich zu Polly umdrehte. Als er dann jedoch sah, wie sie beleidigt dastand, mit den Fäusten in ihre Hüfte gestemmt, musste er lachen. Schon tat ihm sein Kommentar leid. Er nahm sie in den Arm und küsste sie.

„Ist schon okay“, sagte er einlenkend. Dann klatschte er in die Hände und rief aus: „Komm, lass uns endlich die Umgebung erkunden“. Darauf hatten sie sich besonders gefreut. Polly nickte zustimmend und war froh, Mike das erste Mal an diesem Tag mit richtig guter Laune zu sehen.

Die Vorhänge, die ich für das Wohnzimmer genäht habe, zeige ich ihm jetzt lieber nicht, dachte sie und musste schmunzeln bei der Vorstellung, was er zu den noch bunteren Exemplaren sagen würde.

San Francisco war eben eine farbenfrohe Stadt und so sollte auch ihre Wohnung werden, hatte Polly insgeheim beschlossen. Männer hatten ja sowieso keinen Geschmack und außer dem Platz, wo der Fernseher hing, schien ihnen doch alles egal zu sein. Es konnte allerdings sein, dass sie sich da bei Mike getäuscht hatte. Am besten richtete sie die ganze Wohnung in Windeseile fertig ein, bis er das nächste Mal herkam, damit er nicht mehr viel meckern konnte. Oder besser gesagt, nicht mehr viel verändern konnte. Herumnörgeln würde er so oder so.

Der Rundgang durch ihr Viertel steigerte ihre Begeisterung für die Stadt noch mehr. Natürlich wussten sie, in welche Gegend von San Francisco sie ziehen würden. Sie hatten sich diese Ecke ja ausgesucht. Nun aber wirklich durch die Straßen zu laufen und zu sehen, wo man in Zukunft einkaufen und Essen gehen würde, war noch mal etwas anderes.

Das tolle an dem viktorianischen Haus, in dem sie wohnten, war, dass es genau an der Grenzlinie zwischen zwei recht unterschiedlichen Stadtvierteln lag. Ein paar Schritte rechter Hand waren sie mitten in dem sehr hippen und angesagten Haight-Ashbury Stadtteil. Hier hatte in den sechziger Jahren die Flower-Power-Bewegung ihren Ursprung gehabt, was man heute noch spüren konnte. Die Straßen waren gespickt mit verrückten Secondhandläden, Kunstgalerien, Bars und Tattooshops. Den einen oder anderen Weltverbesserer konnte man auch heute noch auf der Straße antreffen. Fast fühlte man sich hier, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Linker Hand, südlich von ihrer Wohnung gelegen, waren die Ausläufer von Twin Peaks, einem sehr gepflegten Stadtviertel mit vielen Gourmet-Restaurants, schicken Boutiquen und edlen Wohnhäusern. Eine gute Mischung, wie Polly fand.

Insgeheim fragte sie sich allerdings, wie man sich in dieser Stadt am besten fortbewegen konnte. Hier einen Wagen zu besitzen, schien unmöglich. Bei der ständigen Parkplatzsuche würde man innerhalb kürzester Zeit auf der Couch eines Psychiaters landen. Zu Fuß würde man wahrscheinlich bald wegen Klumpfüßen beim Orthopäden Patient sein und ein Fahrrad würde man wohl mehr bergauf schieben, als es zu fahren. Die hübschen Cable Cars schienen also doch nicht nur eine Touristenattraktion zu sein, sondern durchaus ihren Sinn zu haben. Eine Haltestelle war nur einen Block von ihrem Haus entfernt und Polly konnte damit sogar zu ihrer Arbeit fahren, wie sie entzückt festgestellt hatte.

Polly stand am Fenster und genoss die kühle Brise, die gerade aufkam. Sie bildete sich ein, den Geruch vom Meer wahrzunehmen. Konnte es sein, dass sie sogar hier die Meeresbrise spürte, obwohl der Ozean ein ganzes Stück weit weg war?

Das konnte durchaus sein, da San Francisco auf einer langgestreckten Halbinsel lag, die wie ein Finger von dem kalten Pazifik umspült wurde. Twin Peaks lag auf einer Anhöhe ziemlich genau in der Mitte der Fingerkuppe dieser Insel und so bekam Polly den Meeresgeruch aus allen Himmelsrichtungen ab. Tief sog sie erneut die Luft ein und blickte gen Himmel.

Über ihr schwebte majestätisch eine Möwe und Polly beobachtete einen Augenblick, wie diese perfekt im Gleichgewicht durch die Windböen balancierte. In dem Moment löste sich etwas von dem Tier und landete mit einem riesigen Platscher direkt auf dem Bürgersteig unter ihr und verfehlte nur knapp eine Frau, die es sich dort gerade auf einem alten Koffer bequem gemacht hatte. Fluchend sprang diese auf und schrie etwas in einer fremden Sprache gen Himmel und zeigte der Möwe den Mittelfinger.

Pollys romantischer Moment war jäh zerstört. Nun blickte sie weiter nach rechts die Straße entlang und sah zwei Jugendliche, die offensichtlich gerade einen Drogendeal abschlossen und gleichzeitig stieg ihr eine dicke Wolke von Marihuana in die Nase. Polly musste husten und schloss hastig das Fenster.

Dieses Wohnzimmerfenster war das einzige, dass in Richtung des „hippen“ Haight-Ashbury Viertels ging. Wenn ihre Eltern zu Besuch kamen, musste sie dieses Fenster fest verschließen oder mit Brettern zunageln, das stand fest. Eventuell sogar zumauern!

Für ihre Eltern durfte nur die andere Seite existieren. Dieser wandte sich nun auch Polly zu und stellte sich an das andere Fenster des Wohnzimmers. Auch hier konnte sie den Geruch von Dope wahrnehmen. Ihren Eltern würde sie einfach sagen, dass es ein Stinktier sei, der Gestank war durchaus ähnlich.

Polly genoss den Ausblick auf die Stadt. Ihre Wohnung lag im zweiten Stock eines der für diese Gegend so typischen viktorianischen Häuser an der Ecke von zwei hügeligen Straßen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Von hier aus hatte sie einen traumhaften Blick auf die Stadt und den Golden Gate Park. Sogar einen Zipfel der Golden Gate Bridge konnte sie sehen, bildete sie sich zumindest ein. Polly war sich nicht ganz sicher, da gerade der abendliche Nebel aufzog, der die Brücke oft ganz verschwinden ließ. Der Nebel war ein fester Bestandteil dieser Stadt. Wenn sie von hier aus wirklich die Golden Gate Bridge sehen könnten, wäre das noch ein Pluspunkt für die Wohnung, der ihr bisher noch nicht einmal aufgefallen war.

Polly blickte sich in ihren neuen vier Wänden um. Einen stolzen Preis zahlten sie für die Drei-Zimmer-Wohnung auf knapp achtzig Quadratmetern. Zweitausend Dollar würden sie jeden Monat hinblättern müssen. Dabei hatte Polly den netten Mr. Mercet noch um dreihundert Dollar runtergehandelt. Ihr Vermieter schien wirklich ein herzensguter, etwas einsamer Mensch zu sein. Er wohnte in der Dachwohnung des Hauses und hatte durchblicken lassen, dass er ab und zu jemanden brauchte, der sich um seine Tiere kümmerte. Somit hatte Polly sogleich versichert, dass sie sich um seine Perserkatze und die drei Kanarienvögel liebend gerne kümmern würde.

Dreihundert Dollar war ihm das pro Monat wert gewesen, und Polly konnte den Mietvertrag gleich unterschreiben. Dass sie Katzen eigentlich nicht ausstehen konnte, da sie eine außergewöhnlich starke Katzenallergie hatte, verschwieg sie ihm natürlich.

Wer wusste, ob er wirklich jemals ihre Hilfe benötigen würde und das Tier ein paar Mal zu füttern, sollte sie ja noch hinbekommen. Zur Not konnte das ja Mike machen, der hatte schließlich keine Allergie gegen Katzenhaare.

Zufrieden ließ sie ihren Blick durch das spärlich eingerichtete Wohnzimmer schweifen. Im Grunde gefiel es ihr so. Viel mehr Möbel mussten es gar nicht sein. Sie betrachtete ihre Zeichnungen, die in einer Ecke auf dem Boden standen.

Deswegen hatte sie sich zum Schluss mit Mike in die Haare bekommen, weil er allen Ernstes behauptete, dass sie ihre „Bilder“ doch lieber nur im Schlafzimmer aufhängen sollte. Was war das denn für eine Aussage? Als wären sie ihm nicht gut genug für das Wohnzimmer. Wieder verspürte Polly Wut über seine Worte und schnaubte verächtlich. Gut so. Ihre Sehnsucht nach ihm war wie weggeblasen.

Langsam ging sie noch einmal durch die geräumigen Zimmer. Der Raum neben dem Wohnzimmer sollte ihr Gäste- und Arbeitszimmer werden. Polly betrat den noch gänzlich leeren Raum, von dem aus man ebenfalls einen grandiosen Blick auf die Stadt hatte und beschloss, sich hier eine Staffelei aufzustellen. Vielleicht fand sie ja abends oder an den Wochenenden Zeit zum Malen. Hierauf ging sie in den nächsten Raum, ihr Schlafzimmer und ließ sich auf das Monsterbett fallen. Immerhin war es bequem. Noch keine Nacht hatten Mike und sie in ihrer neuen Wohnung gemeinsam verbracht und es fühlte sich komisch an, dass sie die erste Nacht hier alleine verbringen sollte. Nun vermisste sie ihn doch wieder. Nur ein wenig.

Plötzlich merkte sie, wie müde sie war. Es war ein anstrengender und vor allem aufregender Tag gewesen, aber unmöglich konnte sie an ihrem ersten Abend in San Francisco einschlafen, bevor die Sonne unterging.

Diese bereitete sich gerade auf einen spektakulären Untergang vor und tauchte den Raum in eine angenehme Abendröte. Entschlossen sprang Polly wieder auf, um noch ein paar Verschönerungsmaßnahmen in der Wohnung vorzunehmen. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel, der sich auf der Rückseite der Tür befand und ihr vorher gar nicht aufgefallen war.

Es gab eine Zeit, da hatte sie Spiegel verabscheut, wenn möglich einen großen Bogen darum gemacht. Noch immer betrachtete sie sich nicht wirklich gerne darin. Aber was sie nun sah, gefiel ihr durchaus. Aus dem pummeligen Teenager war eine schlanke und selbstbewusste, junge Frau geworden. Ihr Gesicht war mit den strahlend grünen Augen und den frechen Sommersprossen ohne jedes Make-up hübsch. Früher hatte sie ihre dunklen Haare und die buschigen Augenbrauen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, verabscheut, wollte blond sein, wie die meisten ihrer Freundinnen. Heute fand sie, dass diese ihrem Gesicht einen südländischen Touch verliehen, und wäre nie auf die Idee gekommen, sich ihre Haare zu färben.

Wieder dachte sie an ihre Teenagerzeit. Damals hatte sie gar nicht gemerkt, wie sie sich über Jahre hinweg immer mehr Pfunde angefressen hatte, bis sie eines Tages feststellte, dass ihrer Mutter ihre Erscheinung peinlich zu sein schien. Plötzlich nahm sie Polly nicht mehr zu ihren so vielen sozialen Verpflichtungen mit, wo sie ihre Tochter sonst immer so stolz vorgeführt hatte. Polly war nicht mehr das süße Kleinkind oder liebe, zwar etwas pummelige Mädchen. Sie war ein übergewichtiger, nicht gerade attraktiver Teenager geworden. Und das ließ sie nicht nur ihre Mutter spüren. Kaum Freundinnen hatte Polly zu dieser Zeit und vereinsamte immer mehr während sie unendlich viel Essen in sich hineinstopfte.

Fast fünfzehn Kilo hatte sie seitdem abgenommen, die letzten fünf waren während des Lernens für das Examen nur so dahingeschmolzen. Mittlerweile hatte sie so viel an Gewicht verloren, dass sie bald wieder eine Kleidergröße kleiner benötigte.

Mit einem Mal wusste Polly, was sie nun machen wollte. Schnell warf sie sich ihre Kapuzenjacke über und stand ein paar Minuten später vor dem Tiefkühlregal des kleinen Tante Emma Ladens um die Ecke, in dem sie heute schon einmal ein paar Kleinigkeiten eingekauft hatten.

Eine gefühlte Stunde stand sie vor dem Eisschrank und starrte hinein. Das Eissortiment war für solch einen keinen Laden umwerfend und Polly konnte sich einfach nicht entscheiden. Schon zwei Mal hatte sie die nette Dame hinter der Theke gefragt, ob sie Hilfe benötigte, aber wie hätte sie ihr diese schwierige Entscheidung abnehmen können? Immerhin hatte sich ihre Auswahl mittlerweile eingegrenzt: Sie musste sich nur zwischen „Rocky Road“ oder „Everything“ der Marke Ben & Jerry entscheiden. Wahrlich keine leichte Auswahl.

Beide Eispackungen konnte sie auch nicht einfach nehmen, da sie aus guter Erfahrung wusste, dass sie vor der zweiten Packung nicht Halt machen und das ganze Eis in schwindelerregender Zeit in sich hineinstopfen würde. Noch einmal fünfzehn Minuten später verließ sie den Laden mit einem „Strawberry Cheesecake“-Eis von Häagen-Dazs.

Nachdem Polly dann noch ein paar Kisten ausgepackt hatte, machte sie es sich mit ihrem Eis und einer heißen Schokolade auf dem Bett bequem. Sie zückte ihren Laptop und beschloss, noch eine schöne Schnulze zu schauen. Etwas, das sie nicht mit Mike machen konnte.

Dass dieser sich gar nicht mehr gemeldet hatte, war verwunderlich. So sehr hatten sie sich nun auch nicht gestritten und er war, zum Glück, eigentlich nie sehr nachtragend.

Gut angekommen? schrieb sie ihm eine Kurznachricht, da es durchaus sein konnte, dass er noch auf der Fahrt war. Etwa eine Stunde später kam ein ebenso knappes Gut angekommen! zurück.

Kein Gruß, kein Nichts.

Männer!

Simon the Great

An nächsten Morgen wurde Polly durch ein furchtbares Geräusch geweckt, das sie aus ihrem Tiefschlaf hochschreckte. Ruckartig setzte sie sich auf und ihr nagelneuer Laptop landete mit einem lauten Krachen auf dem Parkettboden. Anscheinend war sie gestern wieder kurz vor Ende des Films eingeschlafen, wie so oft. Es gab wohl hunderte von Hollywoodschinken, von denen sie das Ende nicht kannte.

Wieder ertönte das fruchtbar nervige Geräusch, das ihre Haustürklingel sein musste.

„Mist!“, fluchte Polly vor sich hin, während sie den Laptop wie ein rohes Ei wieder auf das Bett legte. „Verfluchter Mist“, schimpfte sie erneut, als sie sich auf dem Weg zur Wohnungstür machte. Da hörte sie schon die aufgelöste Stimme von Mister Mercet: „Miss Polly? Sind Sie da?“

Jeden anderen Menschen hätte sie ordentlich zusammengestaucht bei solch einem morgendlichen Überfall, aber natürlich nicht ihren Vermieter. Polly hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es war, es fühlte sich jedenfalls an, als wäre es noch mitten in der Nacht.

Es musste sich um einen Notfall handeln. Das hoffte sie insgeheim, denn sollte der alte Herr jeden Samstagmorgen in aller Frühe an ihrer Türe klingeln, würde sie ihm wohl doch die Gurgel umdrehen müssen.

„Was gibt es denn Mis…“, begann sie zu sprechen, während sie die Türe öffnete. Als sie dann allerdings Mr. Mercet dort stehen sah, verschluckte sie den Rest des Satzes.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie stattdessen erschrocken.

Der Anblick ihres Vermieters war herzergreifend. Zuerst schoss Polly kurz durch den Kopf, ob er wohl bei ihr einziehen wolle, so beladen wie er war. Noch erschütternder war allerdings das Etwas, das er in seinen Armen trug.

Was ist hier los? dachte Polly irritiert, als seine Worte ihre vage Vermutung schon bestätigten.

„Miss Polly, es tut mir außerordentlich leid, Sie so zu überfallen. Es ist ein Notfall.“

Plötzlich war Polly hellwach.

„Meine Schwester, die in Los Angeles lebt, ist gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen. Ich bin der Einzige, den sie noch hat. Ich muss sofort zu ihr fliegen, um nach dem Rechten zu schauen. Es tut mir wirklich sehr leid.“

Nun drückte er der vor Entsetzen erstarrten Polly das haarige Wesen in die Arme und sie sackte merklich unter dem Gewicht zusammen.

„Das ist Simon. Simon the Great“, stellte er den überdimensional großen Perserkater vor. Schon bei ihrem ersten Treffen hatte er stolz von dessen astreinem Stammbaum geschwärmt, und Polly hatte ihn gleich als verwöhntes Zuchttier abgestempelt, ohne ihn jemals zu Gesicht bekommen zu haben.

Nun blickte sie auf das haarige, graue Tier und konnte nicht sagen, ob sie dessen Kopf oder Hinterteil betrachtete. Das einzige, was sie sah, waren diese unglaublich vielen, wahnsinnig langen Haare, die bereits in ihrer Nase kitzelten. In Kürze würde sie der erste Niesanfall überkommen.

Erst jetzt bemerkte sie, dass Mr. Mercet die ganze Zeit weitergesprochen hatte wie ein Wasserfall. Der arme Mann war furchtbar aufgeregt. Demnach benötigte „Simon the Great“, den sie gnädigerweise auch „Fluffy“ nennen durfte, eine besondere Diät und ein intensives Pflegeprogramm.

Gerade deutete ihr aufgelöster Vermieter hinter sich, wo ein riesiger Käfig mit drei Kanarienvögeln, ein Katzenklo, Unmengen an Katzenstreu und Futter für alle Tiere standen.

In Polly machte sich langsam Panik breit, dass Mr. Mercet in Wirklichkeit nicht nur zu seiner Schwester reisen, sondern auf nimmer Wiedersehen verschwinden wollte.

Dieser schnappte sich kurzerhand den Vogelkäfig und betrat ohne Aufforderung ihre Wohnung. Er schien in Eile zu sein.

„Wo soll ich den hinstellen?“, fragte er und blickte sich um.

Ohne ihre Antwort abzuwarten, die er bei dem aufgebrachten Gezwitscher der Vögel sowieso nicht gehört hätte, ging er zielstrebig in die Küche, wo er den Käfig und die dazu gehörigen Utensilien vor dem Fenster abstellte. Immer noch faselte er Anweisungen zur Pflege der Tiere vor sich hin.

Pollys Kopf war wie in Watte gehüllt und das Kribbeln in ihrer Nase wurde immer stärker. Mit einem lauten Niesen entlud sich der erste Allergieanfall und Simon the Great sprang wie von der Tarantel gestochen von ihrem Arm auf den Küchentisch.

Das Tier schaute sie erschrocken an, Polly blickte entsetzt auf die blutigen Kratzspuren auf ihrer Haut. Mr. Mercet bekam von alledem nichts mit, da er gerade fürsorglich eine ordentliche Ladung Vogelfutter in den Käfig streute. Hierauf drehte er sich wieder um und nahm seinen fetten Kater liebevoll auf den Arm, um sich von ihm zu verabschieden. Väterlich flüsterte er ihm einige, wahrscheinlich aufmunternde, Worte ins Ohr. Das Tier war sein ein und alles, das sah ein Blinder mit Krückstock.

Polly traten die Tränen in die Augen. Nicht weil sie die Szene so rührend fand, sondern weil ihre Allergie dabei war, sich in vollem Maße zu entfalten. Mr. Mercet blickte sie in dem Augenblick an und deutete ihre feuchten Augen völlig falsch. Kurz legte er ihr den Arm um die Schultern.

„Wird schon alles wieder gut, Kindchen. Meine Schwester wird sich wieder erholen“, versuchte er sie zu beruhigen. Als würde sie wegen seiner dämlichen Schwester heulen. Mr. Mercet schien nicht mehr alle Tassen im Schrank zu haben.

„In einer, spätestens zwei Wochen bin ich wieder zurück!“

Nun heulte sie doch!

Ihr Vermieter schien das Gefühl zu haben, etwas Nettes sagen zu müssen. „Schön haben Sie es sich hier gemacht“, sagte er aufmunternd und blickte sich in der Küche um. „Reizende Vorhänge. Ich hoffe, Simon macht Ihnen damit keinen Scherereien.“

Wie meinte er das?

Polly, die ihre Umgebung nur noch verschwommen wahrnahm, musste nun doch eine grundsätzliche Frage klären: „Ich dachte, wir würden die Tiere in Ihrer Wohnung füttern während Ihrer Abwesenheit?“ Einen Versuch war es ja wert. Vielleicht hatte er dies gar nicht in Betracht gezogen.

„Oh nein“, antwortete Mr. Mercet lachend, „Das würde mir Simon the Great wahnsinnig übel nehmen. Er ist eine sehr starke Persönlichkeit, müssen Sie wissen.“

Was auch immer das hieß…

In dem Moment ertönte ein lautes Hupen von der Straße.

„Oh, das ist mein Taxi zum Flughafen!“, rief ihr Gegenüber aus und kritzelte noch schnell eine Telefonnummer auf einen Zettel. „Falls etwas sein sollte, können Sie mich jederzeit anrufen“. Hierauf drehte er sich abrupt um und verließ für sein Alter relativ flotten Schrittes ihre Wohnung.

Gerne hätte Polly noch etwas gesagt, wie: „Alles Gute für Ihre Schwester“ oder „Scheren Sie sich zum Teufel“, aber sie spürte, wie sich langsam ihre Atemwege zuschnürten. Mr. Mercet war auch vorher nicht aufgefallen, dass sie kaum etwas gesprochen hatte und sich in einer Art Schockstarre befand.

Noch einmal hob er die Hand zu einem Abschiedsgruß und dann fiel die schwere Eingangstür hinter ihm in Schloss. Das Geräusch hört sich für Polly an, wie das Hinabrauschen eines Schafotts.

Das war’s!

Mittlerweile spürte Polly deutlich, dass ihr das Atmen immer schwerer fiel. Wahrscheinlich müsste sie sich bald eine Spritze mit Antiallergikum in den Oberschenkel rammen, wenn das so weiter ging. Nicht, dass sie das jemals schon hätte tun müssen in ihrem Leben, aber irgendwann war ja immer das erste Mal!

Völlig erschlagen betrat sie wieder die Küche, wo Simon immer noch auf dem Küchentisch saß und sie vorwurfsvoll anblickte.

Als könnte er meine Abneigung spüren, dachte Polly und zückte erstmal ihr Handy, um Mike anzurufen. Ein Blick auf ihr Telefon bestätigte ihr, dass es tatsächlich erst Viertel nach sieben war. Mr. Mercet hatte echt Nerven!

Sie hingegen gönnte Mike noch etwas Schlaf und beschloss ihn erst später anzurufen. Außerdem: Hatten sie sich nicht gestritten? Solle er sich nicht reumütig bei ihr melden?

Polly begab sich in ihr kleines, aber feines Badezimmer, das wirklich aussah, als wäre es noch original aus den Zeiten, als dieses viktorianische Haus erbaut wurde, was wohl kurz nach dem großen Erdbeben von 1906 gewesen sein musste. Am besten gefiel ihr hier die freistehende, hellblaue Jugendstil-Badewanne, der Tiertatzen als Füße dienten. Hier passte dies allerdings, im Gegensatz zu ihrem Bett, perfekt.

Hektisch durchwühlte sie ihren Waschbeutel, um festzustellen, dass sie natürlich kein Allergiemedikament eingepackt hatte. Warum auch? Niemals hätte sie damit gerechnet, am zweiten Tag in ihrer neuen Wohnung nicht Mike, sondern einen fetten Perserkater an ihrer Seite zu haben.

Ob der kleine Tante Emma Laden schon offen hatte?

Dort hatte sie gestern bereits das Sortiment bewundert. Es war unglaublich, was es in den paar Quadratmetern Verkaufsfläche alles angeboten wurde, aber das Geschäft verfügte über eine sehr gut ausgestattete Drogerie mit den wichtigsten Arzneimitteln, wie Polly gestern schon zufrieden festgestellt hatte.

Kurz war sie geneigt, alle Fenster aufzureißen, besann sich dann aber doch eines Besseren. Wer wusste, ob sich der Fettwanst dann nicht rausstürzen würde. Denn dass Fluffy noch nie draußen gewesen war, geschweige denn je eine Maus gefangen hatte, stand fest. Auf einmal verspürte sie so etwas wie Mitleid für das dicke Tier.

Schnell streifte sie sich ein paar bequeme Anziehsachen über und machte sich auf den Weg. Irgendeinen Laden, der offen hatte, würde sich schon finden. Die frische Luft würde ihr guttun.

Eis zum Frühstück...

Polly war überrascht, den kleinen Laden schon geöffnet vorzufinden. Noch erstaunter war sie darüber, dass wieder die gleiche Dame hinter dem Tresen stand, die ihr freundlich zulächelte, als sie eintrat. Ob diese immer noch oder schon wieder hier war?

Jedenfalls lohnte sich ihre Arbeit, denn das Geschäft war stets gut besucht und schien vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet zu sein. Irgendwie hatte der Tante Emma Laden etwas Besonderes, fast Magisches, fand Polly und grüßte die Verkäuferin freundlich. Diese hatte in Polly längst einen neuen Stammgast erkannt und fragte sie, wie es ihr in der neuen Umgebung gefiel. Anscheinend kannte sie all ihre Kunden persönlich und führte gerne einen kleinen Smalltalk. Polly nutzte gleich die Situation, um ihre heutige Misere zu schildern und sich bei den Allergiemitteln beraten zu lassen.

Dreißig Minuten später verließ sie das Geschäft fünfzig Dollar ärmer, aber um eine Freundin reicher. Drei verschiedene Antiallergika hatte sie sich gekauft, die sie abwechselnd ausprobieren wollte und sogleich das erste genommen hatte.

Als sie ihre Wohnung wieder betrat, fühlte sie sich schon erheblich besser. Das Kribbeln in der Nase war verschwunden und sie konnte auch wieder mühelos atmen.

Als sie dann jedoch die Küche betrat, blieb ihr fast das Herz stehen. Simon the Great hing in ihren Gardinen, oder eher in dem, was einmal ihre Vorhänge gewesen waren. Gerade in dem Moment ließ er sich mit ausgefahrenen Krallen in Zeitlupe den zarten Stoff hinabgleiten und zerschnitt diesen wie mit einer scharfen Rasierklinge. Polly bildete sich ein, dass er ihr dabei aufmüpfig in die Augen blickte. Die linke Vorhanghälfte hatte er schon so bearbeitet und es hingen nur noch jämmerliche Fransen von der Gardinenstange herab.

Polly hätte augenblicklich heulen können, wenn sie daran dachte, wie teuer der Stoff und wie viel Arbeit das Nähen gewesen war. Kurz bereute sie, dass sie nicht doch die Fenster geöffnet hatte, bevor sie gegangen war. Dann hätte sie jetzt vielleicht ein Problem weniger. Oder eins mehr. Wie man es sah.

Polly leerte den Inhalt ihrer Tüte auf den Tisch und beschloss, das nächste Mal auch Beruhigungspillen zu kaufen. Da fiel ihr Blick auf die beiden Eispackungen, die sie auf gutes Zureden ihrer neuen Freundin ebenfalls gekauft hatte. War ihr eher nach „Rocky Road“ oder „Everything“?

„Everything“ hörte sich doch nach einem vollwertigen Frühstück an. Polly nahm sich den größten Löffel, den sie in der Schublade finden konnte und setzte sich an den Küchentisch. Während sie genüsslich ihr Eis löffelte, beobachtete sie Simon bei der Arbeit. Es war wirklich erstaunlich, fast bewundernswert, wie präzise das fette Tier den Stoff in Streifen schneiden konnte. Außerdem wirkte er leicht wie eine Feder, wenn er die Gardinen emporkletterte.

Als Polly ihre Eispackung leer gegessen hatte, war auch Simon mit seinem Werk fertig und ihre Gardinen waren nun etwa fünf Zentimeter breite, bunte Fransen. Simon the Great wirkte stolz und setzte sich vor sie, als wartete er auf Applaus.

Polly wusste nicht, ob eventuell das Medikament, das Eis oder beides sie in solch gute Stimmung versetzten, aber sie begann tatsächlich mit dem zerstörerischen Kater zu sprechen: „Simon, da fehlt noch das i-Tüpfelchen“, sagte sie zu dem Tier, das nun leicht seinen Kopf schief legte, als würde es jedes Wort verstehen.

Kurzerhand riss Polly eine der äußersten Fransen ab, schnitt diese in der Mitte durch und band sie jeweils auf einer Seite um die gebündelten Streifen. Nun zupfte sie noch hier und da und drapierte ihre neuen Fransenvorhänge so lange, bis es ihr gefiel. Anschließend stellte sie sich mit verschränkten Armen vor ihr gemeinsames Werk und betrachtete es. „Wie gefällt es dir?“, fragte sie allen Ernstes den Übeltäter, der ein zustimmendes Miauen von sich gab.

Immerhin besser als Mikes Kommentar gestern, dachte sie, als in dem Moment ihr Telefon klingelte. Das ist er bestimmt, schoss es ihr durch den Kopf und sie wühlte hastig ihr Handy aus ihrer Handtasche. Kurz wunderte sie sich noch, dass er sie schon so früh anrief, denn Mike war der geborene Langschläfer und zu nichts zu gebrauchen, wenn man ihn am Wochenende zu früh weckte.

„Wie war deine erste Nacht, mein Schatz?“

Das war nicht Mike, wie sie gehofft hatte, sondern ihre Mutter! Wer sonst würde Samstag früh um kurz nach acht Uhr anrufen?

„Erzähl, Liebes! Fühlst du dich wohl? Habt ihr schon nette Leute kennengelernt? Was habt ihr heute vor?“

Gerade als Polly Luft holen wollte, um zu antworten, stieg ihr ein unglaublicher Gestank in die Nase. Simon the Great hatte sich in dem Katzenklo, das direkt neben ihr stand, erleichtert, in großem Maße.

Ein Blick darauf und die Vorstellung, dies später aus der Kiste schaufeln zu müssen, verschlug ihr kurz die Sprache. Dies war aber nicht weiter schlimm, da ihre Mutter noch lange nicht fertig war mit dem Fragen stellen.

Fluchtartig verließ sie die Küche und schloss die Tür hinter sich, sogar den Schlüssel dreht sie zwei Mal um, ohne genau zu wissen warum. Schnell lief sie ins Wohnzimmer, wo sie das Fenster aufriss, um tief Luft zu holen. Sofort erfüllte eine frische Brise Marihuana ihre Lunge, was einen Hustenanfall auslöste.

Wieder das falsche Fenster! Immer noch hustend öffnete sie das andere Fenster und lehnte sich weit hinaus, wobei sie nur knapp von einem Möwenschiss verfehlt wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---